Taste Of Confusion I von Karma (Devlin x Miriam) ================================================================================ Kapitel 2: Begegnung -------------------- "Kommst Du, Miriam? Die Anderen warten sicher schon." Claudia läuft ungeduldig vor der offenen Badezimmertür auf und ab. "Ich bin fast fertig." sage ich und ziehe die Bürste noch ein letztes Mal über meine beiden schwarzen Zöpfe. Dann drehe ich mich zu ihr um. "So, das war's. Von mir aus kann's losgehen." Claudia grinst und fasst mich am Handgelenk. Unsere Jacken und Taschen hat sie sich über den anderen Arm gelegt. "Mann, ich freu mich schon riesig. Übrigens, Jonas wird auch da sein. Hat sein Bruder mir gestern erzählt. Und er hat auch gesagt, dass Jonas total auf Dich steht. Also, schmeiss Dich ran!!!" Ich seufze leise. "Und wenn ich das nicht will?" Jetzt wird Claudia sauer und dreht sich zu mir um. "Hör mal, das ist doch Quatsch. Jonas ist ein echt toller Kerl. Du bist vollkommen verrückt, wenn Du 'Nein' sagst. Und fang mir jetzt nicht schon wieder mit dem Taschentuchfuzzi an! Das ist doch schon ewig her. Ausserdem, wenn der was von Dir gewollt hätte, hätte er Dich ja wohl gefunden, oder? Hat er aber nicht! Also vergiss endlich die Vergangenheit und konzentrier Dich auf das Hier und Jetzt. Und wenn Jonas Dich fragt, ob Du seine Freundin sein willst, dann sagst Du 'Ja', sonst kenne ich Dich nicht mehr. Kapiert?" Ich nicke nur. Claudia ist sonst wirklich ein Schatz, aber – beste Freundin hin oder her – diese Sache versteht sie einfach nicht. Ich weiss ja selbst, dass ich wahrscheinlich verrückt bin, dass ich immer noch an etwas denke, was fünf Jahre zurückliegt, aber ich kann nichts daran ändern. Deswegen hatte ich auch bis jetzt noch nie einen festen Freund, obwohl ich in ein paar Monaten achtzehn werde. "Komm, wir wollen doch nicht zu spät kommen." Mit diesen Worten reisst Claudia mich aus meinen Gedanken. "Der Club ist zwar neu, aber wenn wir nicht früh genug da sind, kommen wir nicht mehr rein." Sie drückt mir meine Jacke und meine Tasche in die Hand und schiebt mich in den Flur. Unten vor der Haustür werden wir schon von ihrem Freund Marc erwartet. Er begrüsst uns, wir steigen ein und fahren los. Vom Beifahrersitz aus dirigiert Claudia ihn zu der Adresse, bei der wir Jonas und seinen Bruder Nico abholen sollen. Die beiden stehen schon fix und fertig vor der Haustür. Nico öffnet die Tür und schiebt erst seinen Bruder ins Auto, auf den Platz direkt neben mich, dann steigt er selbst auch ein. "So, da wir ja jetzt alle vollzählig sind, kann's ja losgehen." grinst Marc in die Runde. Jonas sieht mich von der Seite an und lächelt. "Du siehst toll aus, Miriam." Ich lächle zurück. "Danke. Du auch." Das ist noch nicht mal gelogen. Mit seinen schwarzen Haaren und den grauen Augen ist er wirklich gutaussehend. Kein Wunder, dass so viele Mädchen auf ihn stehen, auch wenn er so oft schwarz trägt und sich ab und zu schminkt. Vielleicht auch gerade deswegen. Schwarze Klamotten stehen ihm wirklich gut. Vielleicht hat Claudia recht und ich sollte wirklich 'Ja' sagen, wenn er mich fragt. Durch meine Grübelei habe ich gar nicht gemerkt, dass wir inzwischen schon vor dem Club angekommen sind. Marc parkt den Wagen und Jonas reicht mir die Hand, um mir beim Aussteigen behilflich zu sein. Ich lasse mich von ihm aus dem Auto ziehen und sehe, wie die Anderen sich angrinsen. Sie bleiben auf dem Weg zur Tür absichtlich ein paar Schritte hinter uns. Wahrscheinlich wollen sie uns allein lassen und uns trotzdem beobachten. Ich zucke innerlich die Schultern und grinse. Wenn es ihnen so viel Spass macht, sollten sie doch. Jeder so, wie er mag. Vor dem Club ist es trotz der frühen Stunde schon ziemlich voll und wir müssen fast zwanzig Minuten anstehen, bevor wir endlich reingelassen werden. Drinnen herrscht Dämmerlicht, das nur von wenigen Lampen an den Wänden ausgeht. Fast alle Besucher sind mehr oder weniger schwarz gekleidet – genau wie wir. Die Jungs geben ihre und unsere Jacken an der Garderobe ab und Claudia und ich nutzen die Zeit, um uns ein wenig umzusehen. "Was man aus einer alten, halbverfallenen Metallwerkstatt alles machen kann." staunt sie und sieht sich fasziniert. die Dekoration an. Gummifledermäuse hängen an unsichtbaren Fäden von der Decke und in den Ecken kleben künstliche Spinnweben mit den dazugehörigen Plastikspinnen. Der Boden ist von leichtem Nebel bedeckt, so dass wir unsere Füsse kaum noch erkennen können. "Na, gefällt es Dir?" fragt Jonas, der inzwischen wieder zurück ist. Ich nicke. "Ja, bisher schon. Ich finde die Idee mit den Grablichtern auf den Tischen echt klasse." "Stimmt, das sieht wirklich toll aus." pflichtet er mir bei. "Der DJ legt auch gleich richtig los. Dann kann man sich zwar nicht mehr so gut unterhalten, aber dafür prima tanzen." Als hätte er das Stichwort gegeben, wird die Musik plötzlich fast ohrenbetäubend laut. 'Hellraiser' Jonas nimmt meine Hand und zieht mich auf die Tanzfläche. Ich beginne zu tanzen, geniesse die Musik. "Und, wie läuft es bei euch? Wir sind schon seit zwei Stunden hier und Claudia hat mich auf die Toilette gezerrt, um mich auszufragen. "Bisher haben wir nur getanzt und was getrunken." "Mann, was für ein Lahmarsch!" mault sie und zieht ein missmutiges Gesicht. "Wenn der weiter so trödelt, helfe ich ihm auf die Sprünge. Das darf doch echt nicht wahr sein!" "Du, da läuft 'Velocity'. Ich muss auf die Tanzfläche." sage ich, mehr um das Gespräch zu beenden als weil ich wirklich tanzen will. "Na dann, auf geht's!" Claudia quetscht sich an den draussen anstehenden Mädchen vorbei und macht sich auf die Suche nach Marc. Ich trete ein paar Schritte zur Seite, um mal einen Moment ganz für mich alleine zu sein. Der Abend ist zwar bisher ganz schön, aber ich hatte bisher nur beim Tanzen mal einen Augenblick für mich, weil wenigstens einer der Vier ständig in meiner Nähe ist. Dass ich mich zu nah an die Herrentoilette gestellt habe, merke ich erst, als mich jemand bei dem Versuch, an mir vorbeizukommen, von hinten anrempelt. Im Vorbeigehen erhasche ich einen Blick auf den Typen und in diesem Moment setzt mein Herz aus. Blonde Haare und hellgrüne Augen – das ist er! Das ist Devlin! Er ist hier! Bevor ich reagieren kann, ist er bereits in der Menge und damit aus meinem Blickfeld verschwunden, ohne mich überhaupt gesehen zu haben. Ich kann einfach nicht glauben, was hier gerade passiert ist. Was tut er hier? Warum ausgerechnet heute, wo ich mir doch fest vorgenommen habe, ihn endlich zu vergessen und mit Jonas zusammenzukommen? Die kleine Narbe auf meinem Arm brennt. Die Narbe, die ich mir an dem Tag zugefügt habe, als ich ihn getroffen habe. Fassungslos stehe ich vor den Toiletten und bemerke nicht, wie mich immer mehr Leute im Vorbeigehen anrempeln. "Hey, Miriam, was ist denn mit Dir los? Du bist ja ganz blass!" Claudia ist zurückgekommen, um mich zu suchen, und zupft an meinem Ärmel. Ihre Stimme bringt mich in die Wirklichkeit zurück. "Er ist hier, Claudia! Er ist hier! Ich hab ihn gesehen!" schreie ich, um die Musik zu übertönen. Mehr als das muss ich nicht sagen, sie erkennt sofort, von wem ich rede. Genervt winkt sie ab. "Quatsch! Das hast Du Dir bloss eingebildet. Oder soll das eine Ausrede wegen Jonas sein? Wenn ja, vergiss es, das zieht nicht!" zischt sie und ihr Gesicht zeigt, wie sauer sie ist. Aber das ist mir egal. Er ist hier! Ich kann an nichts Anderes mehr denken. Ich weiss genau, dass ich es mir nicht eingebildet habe. Und ich habe ihn auch nicht verwechselt. Diese Augen würde ich überall wiedererkennen! Flehend sehe ich sie an. "Das ist keine Ausrede. Er ist wirklich hier, glaub mir! Ich muss ihn finden. Ich MUSS!!!" Claudia sieht mir an, dass ich es ernst meine. Sie ist immer noch etwas sauer, aber sie nickt seufzend. " Na gut, dann suchen wir beide jetzt Deinen Taschentuchfuzzi." Sie sieht auf die Uhr. "Hm, sagen wir, eine Stunde. Das dürfte reichen, um den Laden von oben bis unten zu durchsuchen. Aber wenn wir ihn nicht finden, versprichst Du mir etwas: Du gehst zu Jonas und sagst ihm, dass Du seine Freundin sein willst. Und diesen Heini vergisst Du dann ein für alle Mal, klar?" Hecktisch nickend erkläre ich mich damit einverstanden. "Jaja, schon gut. Er ist da entlang gegangen." Ich nehme Claudias Hand, um sie in dem Gedränge nicht zu verlieren, und beginne, ihn zu suchen. Er muss hier sein. Irgendwo. Er muss einfach! Ich habe ihn doch ganz genau gesehen. Zehn Minuten vergehen, zwanzig, dreissig, vierzig. Claudia und ich durchsuchen den ganzen Club, aber er ist nicht zu finden. Ob er schon gegangen ist? Das glaube ich nicht. Das darf einfach nicht sein! Fünfzig Minuten und noch immer keine Spur von ihm. Sechzig Minuten. Das war's. Er ist weg. Gegangen, ohne dass ich ihn noch mal gesehen habe. Claudia bleibt stehen und zwingt mich so, es ihr gleichzutun. " Wir haben alles abgesucht und ihn nicht gefunden. Die Stunde ist um. Finde Dich damit ab, dass Du es Dir nur eingebildet hast. Und jetzt gehen wir zurück zu den Jungs und Du sprichst mit Jonas, wie Du es mir vorhin versprochen hast." "Aber..." beginne ich, doch Claudias Blick lässt mich verstummen. Ich lasse den Kopf hängen. Wahrscheinlich hat sie Recht. Trotzdem bin ich mir sicher, dass ich mich nicht getäuscht habe. Er war hier, das weiss ich. "Hey, hörst Du das? 'Komm zu mir'. Na, wenn das nicht passend ist. Also, auf zu den Jungs." Sie nimmt wieder meine Hand und schleift mich in Richtung Tanzfläche. Ich fühle mich im Moment nach allem, aber ganz sicher nicht danach, ein Liebesgeständnis zu machen. Aber was bleibt mir anderes übrig? Ich habe es versprochen, und bisher habe ich meine Versprechen immer gehalten. Tief seufzend lasse ich meinen Blick über die Tanzfläche schweifen, um nach Jonas Ausschau zu halten. 'Komm zu mir Komm zu mir Dort wo Dein tiefer Schmerz zerschellt Komm zu mir Komm zu mir Dort wo nur Schattenschönheit zählt Komm zu mir Komm zu mir Am Himmel glüht ein neuer Stern Komm zu mir Komm zu mir Neige Dein Haupt vor Deinem Herrn...' Wieder setzt mein Herz einen Schlag aus. Als hätte das Lied ihn wieder heraufbeschworen, steht er mitten auf der Tanzfläche und singt mit geschlossenen Augen. "Komm zu mir! Komm zu mir..." Von einer Sekunde zur anderen sind alle Menschen hier im Club nur noch Statisten. Der Einzige, der wichtig ist, ist er. "Komm zu mir! Komm zu mir..." Ich fühle mich, als würde er nur für mich singen. Als würde er mich zu sich rufen. Ich kann meinen Blick nicht mehr von ihm lösen, denn ich fürchte, wenn ich auch nur blinzeln sollte, verschwindet er für immer und ich sehe ihn nie wieder. Claudias Hand habe ich losgelassen. "Komm zu mir..." Wieder ist es, als meinte er mich. "Hey, Miriam, was soll das? Wo bleibst Du denn? Vergiss nicht, was Du mir versprochen..." Claudia hat sich umgedreht, um mich notfalls mit Gewalt zu Jonas zu schleppen. Als sie mein Gesicht sieht, dreht sie den Kopf und folgt meinem Blick. "Was ist denn los? Warum starrst Du so auf die Tanzfläche?" Dann sieht sie, was ich sehe. "Sag bloss, DAS ist er?!" fragt sie mich mir offenem Mund. Ich nicke nur, meine Kehle ist zu trocken zum Sprechen. "Mann, ist der heiss!! Und wie der tanzt..." Den Rest höre ich nicht mehr, denn ich gehe auf die Tanzfläche. Ich muss einfach zu ihm. Also quetsche ich mich durch die Tanzenden durch, hin zu der Stelle, wo er ist. Ich denke nicht darüber nach, was ich sagen oder tun will, wenn ich erst vor ihm stehe. Das ist egal. Wichtig ist nur, dass ich überhaupt zu ihm komme. Das Lied ist inzwischen zu Ende und der Song, der jetzt läuft, ist mir unbekannt. Nur ein paar Schritte von mir entfernt dreht er sich um und verlässt die Tanzfläche. Ich habe Angst, ihn wieder aus den Augen zu verlieren, deshalb schiebe ich alle beiseite, die mir im Weg stehen. Endlich habe ich es auch geschafft, die Tanzfläche zu verlassen. Suchend sehe ich mich um, aber ich kann ihn nirgendwo entdecken. Panik steigt in mir auf. Nicht schon wieder! Ich darf ihn nicht schon wieder verlieren! Dann, endlich, sehe ich ihn doch noch. Er lehnt mit dem Rücken an der Bar und lässt den Blick über die Tanzenden schweifen. In seiner linken Hand hält er ein Glas und mit seiner rechten zündet er sich gerade eine Zigarette an. Ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein, gehe ich auf ihn zu, bis ich genau vor ihm stehe. Noch immer weiss ich nicht, was ich sagen soll. Wahrscheinlich erkennt er mich nicht mal mehr. Immerhin ist es schon über fünft Jahre her und ich habe mich doch sehr verändert. Er hingegen sieht noch genauso aus wie damals. Nur etwas größer und älter ist er geworden. Aber seine Augen sind noch die gleichen wie damals. "Hey, Miriam, da bist Du ja! Wir haben Dich schon überall gesucht. Wo hast Du denn Claudia gelassen?" Nico. Ausgerechnet jetzt. Muss das sein? "Sie war vorhin da drüben, am anderen Ende der Tanzfläche." antworte ich automatisch und sehe wieder zu Devlin hinüber. Seine hellgrünen Augen sind genau auf mich gerichtet. Gerade als ich etwas zu ihm sagen will, legt Nico mir seinen Arm um die Schultern und schiebt mich weg. Ich drehe mich um und sehe, wie Devlin an seiner Zigarette zieht und den Rauch zur Decke pustet. Dann stellt er das Glas auf die Theke, dreht mir den Rücken zu und verschwindet im Gedränge. "Hör zu, Miriam, halt Dich von dem Blonden da eben fern. Der Typ legt alles flach, was nicht bei 'Drei' auf den Bäumen ist. Der totale Playboy. Wenn er herkommt, ist er immer alleine, aber wenn er wieder geht, hat er jedes Mal ein anderes Mädel dabei." In Nicos Stimme schwingt ein wenig Neid mit. Ich kann nichts dazu sagen. Stimmt das? Aber was habe ich erwartet? Er hat mich zwar angesehen, aber nicht erkannt. Wie auch? Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Wahrscheinlich hat er den Nachmittag, der für mich so besonders war, schon lange vergessen – ebenso wie mich. Der Gedanke tut weh. Ich brauche jetzt einen Augenblick für mich allein, also löse ich Nicos Arm von meinen Schultern und sage ihm, dass ich kurz zur Toilette muss. "Okay. Wir sind da drüben rechts, ganz am Ende der Theke." Ich nicke und warte, bis er zu den anderen zurückgegangen ist. Dann gehe ich nach draussen. Ich brauche einfach frische Luft. Vor der Tür atme ich tief durch und kämpfe gegen den Wunsch an, mich irgendwo zu verkriechen und zu weinen. Ich weiss nicht, wie lange ich hier stehe und in die Nacht starre. Es ist ziemlich kalt, aber ich will nicht wieder reingehen, um meine Jacke zu holen, denn die Anderen suchen mich bestimmt schon. Lieber friere ich noch ein bisschen, wenn ich dafür mit meinen Gedanken allein sein kann. Plötzlich legt mir jemand von hinten einen Mantel über die Schultern. Ich bin mir sicher, dass es Jonas ist, deshalb drehe ich mich nicht um. Ich kann ihm jetzt nicht in die Augen sehen. "Da Kleid steht Dir viel besser als Deine Schuluniform." Nein, das kann nicht sein! Das bilde ich mir nur ein! Er ist nicht wirklich hier! "Hast Du schon wieder Deine Zunge verschluckt oder habe ich Dich so sehr erschreckt?" Langsam, die Hände im Mantel festgekrallt, drehe ich mich zu ihm um, "Devlin..." Mehr bringe ich nicht heraus. Er steht vor mir, hat eine brennende Zigarette in der Hand und mustert mich mit seinen hellgrünen Augen. Dann nickt er und nimmt einen tiefen Zug. "Du erinnerst Dich also noch an mich." stellt er fest und pustet den Rauch über meinen Kopf hinweg. "Vorhin sah es so aus, als wolltest Du mir was sagen, aber dann kam Dein Freund dazwischen." "Nico ist nicht mein Freund." Ich muss das unbedingt klarstellen. Ich will nicht, dass er denkt, ich sei mit Nico zusammen. "Ich bin mit ein paar Freunden hier. Er gehört dazu." "Soso, er ist also nicht Dein Freund." sagt er grinsend und legt den Kopf schief. "Also, was wolltest Du mir sagen?" Abwartend sieht er mich an. "Ich..." beginne ich und atme tief durch. Dann öffne ich den kleinen Beutel, der seitlich an meinem Gürtel hängt. Nach ein paar Sekunden habe ich gefunden, was ich gesucht habe. "Ich habe da noch etwas, das Dir gehört." Mit diesen Worten halte ich ihm das Taschentuch entgegen, das er mir vor fünf Jahren um meinen Arm gebunden hat. Er sieht mich erstaunt an und macht keine Anstalten, es anzunehmen. "Es... ich habe es gewaschen." Etwas Besseres fällt mir nicht ein, um die unangenehme Stille zu beenden. "Du hast es behalten?" fragt er ungläubig. "Ja, das habe ich. Ich wollte es Dir zurückgeben, wenn ich Dich wiedersehe." "Wie geht es Deinem Arm?" "Was?" Habe ich richtig gehört? Hat er mich wirklich nach einer fünf Jahre alten Verletzung gefragt? Offenbar antworte ich nicht schnell genug, denn er fasst meinen Arm, zieht ihn zu sich heran und schiebt den Ärmel meines Kleides hoch. "Ich habe Dir ja gesagt, dass Du eine Narbe davon zurückbehalten wirst." sagt er und streicht mit seinem Daumen ganz leicht über den blassen Strich. Sofort bekomme ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. "Ist Dir immer noch kalt? Komm, lass uns reingehen." Sanft, als wäre die Verletzung noch frisch, zieht er den Ärmel meines Kleides wieder nach unten, legt mir – wohl mehr aus Gewohnheit – einen Arm um die Schultern und führt mich zurück in den Club. Die ganze Zeit über halte ich sein Taschentuch in der Hand. Drinnen führt er mich an einen der Tische im Eingangsbereich und rückt mir einen Stuhl zurecht. Den anderen Stuhl schiebt er neben meinen und setzt sich. Hier ist es wärmer als draussen und die Tanzfläche ist weit genug weg, dass man sich noch unterhalten kann, wenn man nur nah genug beieinander sitzt. Vor lauter Nervosität zerknülle ich das arme Taschentuch. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. "Ach, hier bist Du! Wir haben Dich schon gesucht." Na toll, erst Nico und jetzt auch noch Marc. "Kommst Du mit? Wir wollen nach Hause." Völlig automatisch nicke ich. "Gut, ich hole Deine Jacke. Wir treffen uns dann am Ausgang." Mit einem bösen Blick auf den neben mir sitzenden Devlin, dessen Mantel ich noch immer anhabe, geht Marc zur Garderobe. "Das heisst wohl, dass wir uns für heute verabschieden müssen." Devlin steht grinsend auf, reicht mir seine Hand und zieht mich hoch. "Scheint so, als würden alle Jungs, die Dich kennen, mich nicht mögen. Woran das wohl liegt?" Offensichtlich erwartet er darauf nicht wirklich eine Antwort, also erwidere ich nichts. Marc kommt mit meinen Sachen auf uns zu und ich erinnere mich wieder an das Taschentuch, an dem ich mich die ganze Zeit festgeklammert habe. "Dein Taschentuch..." sage ich und starte einen neuen Versuch, es ihm zurückzugeben. Statt des Taschentuchs nimmt Devlin jedoch wieder meine Hand. "Behalte es noch eine Weile. Du weißt ja jetzt, wo Du mich finden kannst, wenn Du mich suchst. Gib es mir einfach beim nächsten Mal zurück." Während er spricht, zieht er meine Hand immer näher zu sich heran. Ich kann nichts anderes tun als ihn anzusehen. Er lächelt leicht und drückt seine Lippen hauchzart auf meinen Handrücken. Ich spüre, wie mein Gesicht flammend rot wird. "Weißt Du, ich habe auch noch etwas, was Dir gehört. Vielleicht gebe ich es Dir zurück, wenn wir uns wiedersehen." Noch immer lächelnd lässt er meine Hand los, nimmt seinen Mantel von meinen Schultern und verlässt an meinen Freunden vorbei den Club. "Was wollte denn der Süssholzraspler von Dir?" Marcs genervte Frage bekomme ich nur halb mit. Was hat er gesagt? Er hat etwas, das mir gehört? Und er will es mir zurückgeben, wenn wir uns das nächste Mal sehen? Was kann das nur sein? Ich habe keine Ahnung, was er damit gemeint haben kann. "Ich hab Dich was gefragt, Miriam!" Marc klingt gereizt. "Wie? Oh, äh, ja. Ja, natürlich." antworte ich, lasse mir meine Sachen geben und mich zum Ausgang und ins Auto schieben. Während der Heimfahrt sage ich kein Wort, sondern starre nur aus dem Fenster. Ich weiss nicht, was ich denken soll. Er hat mich erkannt. Er weiss, wer ich bin. Ich kann es einfach nicht glauben. Er hat mich nicht vergessen! Völlig abwesend verabschiede ich mich von Jonas und Nico, ohne sie anzusehen. Zum Glück schläft Claudia an diesem Wochenende bei Marc. Gesellschaft ist wirklich das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen kann. Dafür bin ich viel zu durcheinander. Kurz vor unserer Wohnung dreht sich Claudia zu mir um. "Soll ich heute lieber zu Hause schlafen?" Ich schüttle den Kopf. "Nein, nicht nötig. Ihr freut euch doch schon die ganze Woche auf euer gemeinsames Wochenende. Ausserdem will ich sowieso nur noch ins Bett." "Okay." sagt sie und sieht mich zweifelnd an. "Aber ruf mich an, wenn was ist. Egal, was. Und egal, wann." Ich muss lächeln. Sie macht sich mal wieder viel zu viele Sorgen um mich. Aber so ist sie nun mal. "Mache ich. Aber wie gesagt, ich will nur noch schlafen." "Dann gute Nacht. Schlaf gut." "Ihr auch." "Nacht." brummelt Marc bevor ich aussteige. Ich gehe nach oben und schliesse die Tür auf. Dann mache ich das Licht an und winke den beiden vom Küchenfenster aus zu, damit sie wissen, dass ich auch wirklich zu Hause bin. Marc fährt los und ich gehe hinüber in mein Schlafzimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Mein Arm und mein Handrücken brennen, wo Devlin mich berührt hat. Ausserdem habe ich das Gefühl, als würde sein Duft noch an meinem Kleid haften. Mit dem Bild seines Lächelns vor Augen schlafe ich schliesslich ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)