Farewell - Gegenwart
Kapitel 38:
Farewell - Gegenwart
Sanjis Sicht
Bevor ich den Sommer über wegfuhr, wollte ich mich noch bei Seulgi verabschieden. Für sie zogen sich
Wochen immer viel länger hin als für beispielsweise mich, von daher war es angebracht. Passend zur
Besucherzeit erschien ich im Krankenhaus und durfte sofort in ihr Zimmer. Sie saß gemütlich in ihrem
Bett und hatte ein elektronisches Gerät auf dem Schoß, eine Art Spiel als Freizeitbeschäftigung, wo man
sich nur auf sein Gehör verlassen braucht. Ich schloß die Tür und Seulgi sah mit dem Kopf in meine
Richtung, keine Ahnung wie sie das immer hinbekam, aber sie erkannte immer entweder an den
Schritten oder dem Geruch, wer ihr Besucher war. Eine spitzen Leistung! „Hi, Sanji.“ Ich lief zu ihrem
Bett und setzte mich an den Rand, strich ihr über die Stirn bis über die Haare hinweg. „Na, alles klar?“
Sie freute sich richtig, wobei ich mich wiedermal unbehaglich fühlte. Das Krankenhaus hatte so eine
seltsame Atmosphäre an sich, keine Ahnung, aber hier benahm sich Seulgi immer ganz anders als
sonst. Hier hätte ihr niemals jemand zugetraut, wozu sie in der Lage war. Sie war total lieb, freundlich
und fröhlich, lachte über jeden kleinen Spaß und tat so, als ob ihre Erblindung ihr gar nicht wirklich zu
schaffen machen würde. Aber bei ihr zu Hause sah das schon ganz anders aus, da ging sie immer voll
ab. Gänsehaut erregend unvorstellbar.
„Du hast Schulferien, gell?“ Ihre kindliche Stimme kam mir wie ein ferner Traum vor, denn so hatte sie
früher immer mit mir gesprochen. Doch heutzutage war es für mich nur noch eine Illusion, die sie sich
aufrechterhalten wollte, so als wäre alles im grünen Bereich. „Ja, deshalb bin ich auch
vorbeigekommen.“ „Schön!“ freute sie sich und sah mit dem Gesicht in meine Richtung, doch ihre
Augen verfehlten mich, was sie natürlich nicht wissen konnte. Dass sie sich nur nach meiner Stimme
richtete, konnte ich mir gar nicht vorstellen, sie war wirklich tapfer. Ohne ihren Gegenüber zu sehen
wollte sie sich so normal wie möglich benehmen. Ich sprach weiter, legte meine Hände auf ihre. „Weißt
du was? Ich habe ein Praktikum bekommen.“ Eher für sie als für mich selber lächelte ich, wobei das ihr
nichts brachte; sie sah es nämlich nicht. „Das ist ja toll! Wo denn?“ fragte sie wissbegierig, sie hatte
meine Freude gut herausgehört. „In einer Stadt außerhalb von hier, da fahre ich für vier Wochen hin.“
Sie stutzte, denn das hieß, dass sie keine Krankenbesuche von mir bekommen würde. „Wieso denn so
lange? Kannst du nicht hier bleiben?“ Besorgnis zeichnete ihr hübsches Gesicht, ich wollte ihr die gute
Laune nicht verderben. Ich schüttelte ohne zu überlegen den Kopf, musste dann aber laut verneinen, da
sie meine Bewegungen ja nicht sehen konnte. „Nein, ich möchte das wirklich gerne machen. Das geht
eben über die halben Ferien.“ Ihr Lächeln war verschwunden und sie tatschte an meinen Händen herum,
ich verstummte. Ihr war Körperkontakt sehr wichtig, darum hatte ich auch nie etwas dagegen, dass sie
immer meine Hand halten wollte und ich ihr zur Begrüßung immer durchs Haar strich. Nur war mir das
manchmal unangenehm, aber es hatte das eben eine große Bedeutung für sie. Sie seufzte und
trommelte auf meinem Handrücken. „Das heißt, du kommst mich nicht mehr besuchen bis du zurück
bist?“ Fast schon schmollend sprach sie das aus. Klar wollte ich ihr keine Abfuhr geben, aber diese
kurze Ausbildung war nun mal sehr wichtig für mich. „Genau.“ Eine kurze Pause war entstanden. „Hm.“
Ich stand auf, lief zum Fenster und öffnete es. Draußen war es immer noch knallheiß, bald wäre ich in
Mocktown. Ob es dort auch dreißig Grad warm war? Der Krankenhauspark war gut gepflegt, nur
verwelkten die Pflanzen zum Teil von der Hitze. Wenn mein Besuch hier beendet war, würde ich noch
bei Lysop und Zorro vorbeischauen oder anrufen, Nami vielleicht auch noch. Ich hätte ihr vielleicht doch
besser ein paar Haarsträhnen abgeschnitten, als sie in meinem Bett geschlafen hat, dann hätte ich
Erinnerung während des Praktikums, aber egal jetzt. „Sanji?“ Ich drehte mich nicht zum Bett um, sie
konnte so oder so nicht wissen, wie herum ich stand. Ich fixierte im weitläufigen Garten einen Punkt
und nahm den Rest aus meinem Blickwinkel verschwommen wahr. „Sanji.“ hörte ich erneut Seulgis
Stimme, etwas ungeduldiger. „Ja, was?“ Stille zwischen uns. Sie machte mich einfach nur noch traurig,
da hatte ich keine Lust auf ein belangloses Gespräch. Zwischen uns war einfach zu viel kaputt, das
würden wir nie wieder hinbiegen können. „Wieso setzt du dich nicht zu mir? Das Fenster ist doch jetzt
offen.“ Weil ich keine Lust hab, aber was soll’s. Innerlich seufzte ich und drehte mich wieder zu ihr um.
Tat ich ihr eben den Gefallen und leistete ihr wieder mit nächster Nähe Gesellschaft. In dem Moment
öffnete sich die Tür und Jeff kam herein.
Aus dem folgenden Gespräch wurde ich indirekt ausgegrenzt, was aber nach Jeffs Aufkreuzen normal
für mich war. Ich konnte die ganze Szene gut beobachten und erkannte wieder die Trägheit in ihrem
Verhältnis, eine Trägheit, die ich 24 Stunden am Tag nicht aushalten würde. Es war eben nicht mehr die
perfekte Vater-Tochter Beziehung von damals, Seulgis Krankheit hatte einfach alles verändert. Die Tür
fiel ins Schloss und Jeff trat weiter heran. „Hallo, Sanji.“ „Hallo.“ „Hallo Papa.“ „Wie geht’s meinem
Liebling?“ „Ganz gut, Sanji ist ja hier und wir unterhalten uns.“ „Und ansonsten einen schönen Tag
gehabt?“ „Ja, die Krankenschwester hat mir vorhin das Keyboard gebracht und ich hab weiter
gelernt.“ „Sehr schön.“ „Und Herr Shura war auch bei mir, um weiter Lesen zu üben.“ Jeff hatte so viel
Geld, um sich einen Privatlehrer leisten zu können. Seulgi lernte nämlich die Blindenschrift, damit sie
wenigstens noch Bücher in die Hände nehmen konnte. „Das ist gut so, immer fleißig weiter lernen.“ Jeff
sah zu mir, wobei er mit Seulgi genauso gut hätte weiterreden können. „Und, was macht die Schule so?“
„Er hat Ferien, Papa.“ „Ach, sind es schon die Sommerferien?“ Ich antwortete. „Ja, seit einer
Woche.“ „Schön, schön...“
Gedankenversunken sah er auf Seulgi, welche nirgends hinsehen konnte, und ich beobachtete die
beiden in ihrem verzwickten Gitter. Klar hatte ich sie noch lieb, die beiden gehörten zu meiner Familie,
ob ich wollte oder nicht, aber sie taten mir auch Leid. Ich gehörte nicht dazu, ich war ein stiller
Zuschauer, der miterlebte, wie sie vor sich hin lebten. Aber so fühlte ich nur im Krankenhaus, bei Jeff
Zuhause wäre ich nicht gerne mit ihnen alleine, da waren sie für mich einfach nur Psychopaten. Die
Erlebnisse vom letzten Mal ließen mich immer noch nicht los, sind mir regelrecht in den Knochen
stecken geblieben. Die beiden hatten sich dadurch aber keinesfalls Respekt von mir gesichert, mich
sondern nur eingeschüchtert. Deshalb hörte ich auf das, was sie sagten und verhielt mich Seulgi
gegenüber so, wie sie es brauchte. Dabei war ich dieses -nonsense - vor - sich – hinleben- tierisch
satt. Manchmal fragte ich mich echt, weshalb ich Seulgi noch besuchen kam. Die beiden wollten doch
nur eine Bestätigung, dass es mir wieder besser ging, dass ich wieder clean war. War ich ja auch, nur
glaubte mir Jeff das nicht. Seulgi schon, vermutete ich zumindest. Die beiden sprachen echt nur noch
aneinander vorbei, taten so, als wäre die Welt in Ordnung und Friedefreudeeierkuchen eben. Ich wollte
zusehen, dass ich schnell wieder gehen konnte, um hier nicht noch einzutrocknen, so wie die Pflanzen
draußen. Vier Wochen würde ich mein Kochen perfektionieren, dieser Gedanke kribbelte mir schon in
den Fingern. Zum Glück war ich schon längst vom H weg, denn sonst hätte ich nie eine Chance gehabt,
irgendwo angenommen zu werden. Selbst wenn ich noch drauf wäre und die nichts gemerkt hätten,
wäre es zu riskant gewesen, irgendwas mitzuschmuggeln. Ich hatte ja schon im Kopf umgeschaltet,
dass es so nicht weiterging, nur glaubte mir Jeff genau das nicht. Wobei mir dass ja egal sein konnte, in
welchem Licht er mich sah, denn bis jetzt hatte ich immer nur das getan, was ich wollte und auf seine
Meinung dazu gepfiffen.
„Wie ich sehe, ist deine Platzwunde wieder verheilt.“ sagte Jeff, ich nickte ihm zustimmend zu. Ihm war
das doch schnurzpiepegal, ob da jetzt eine Narbe war oder nicht. Selbst wenn mir Seulgi das Gesicht
total zerkratzt und verstümmelt hätte, hätte er nicht eingegriffen. So wie Mama, so wie Papa. Ich bin
wohl echt unter einem schlechten Stern geboren. Seulgi kam zu Wort, wobei es mir schaudernd kühl
den Rücken herunter lief. „Darf ich mal fühlen?“ Noch kurz angewurzelt blieb ich auf meinem Fleck
stehen, begab mich dann aber ans Bett und setzte mich. Sie tastete sich zu meinem Gesicht hoch und
strich über meine Unterlippe. Richtig ungewohnt für mich, ich wollte nicht, dass ausgerechnet sie sie
befühlte. Ich liebte sie doch nicht mehr, wieso gab sie es nicht langsam auf? Sie ließ einfach keine
Gelegenheit aus, mich berühren zu können, so schien es mir immer. Dagegen war ich doch total
entstellt, diese Narbe würde ich den Rest meines Lebens haben. Wer fand das schon attraktiv? Seulgi
konnte sie nicht sehen, für sie war es nur wie ein Kratzer aus ihrer Erinnerung. Sie konnte sich vielleicht
gar nicht vorstellen, wie mies das in meinem Gesicht aussah. Sie sollte mir nicht zu nahe kommen,
deshalb stand ich wieder auf. Ich hatte mich genügend ihrem Willen gebeugt und mitgespielt. Jetzt war
ich entlassen, konnte gehen, hatte mich der Höflichkeit halber blicken lassen, das war gut jetzt. Mein
Herz war damit wieder im Reinen und ich konnte ohne schlechtes Gewissen einen Abgang machen.
„Also, ich geh dann mal wieder.“ stellte ich fest und rechnete praktisch schon mit kommender Reaktion.
„Och, schon? Bleib doch noch ein bisschen.“ „Aber ich muss meine Tasche noch packen, ich fahr doch
weg.“ Zu argumentieren fiel mir alles andere als schwer. Jeff erkundigte sich nicht mal, wohin es ging.
„Du verschwindest jedes Mal so schnell, du kannst gerne bleiben.“ Jetzt durfte ich mich da rausreden,
aber nur, weil er wusste, dass Seulgi meine Anwesenheit immer fröhlich stimmte. Er hatte eingesehen,
dass sie mich brauchte und nach mir verlangte. Ihretwegen forderte er mich jedes Mal auf, noch ein
bisschen länger zu bleiben. „Ja schon, aber ich muss noch ein paar Freunden Tschüss sagen und dann
meine Tasche packen. Ich hab ein Praktikum und fahr morgen weg.“ Das musste Jeff hinnehmen und ich
war aus dem Schneider. Nur noch von ihnen verabschieden und dann hieß es: Freiheit.
erstellt am 10.05.2007
4Kolibris,
Elena