Herr der Diebe II von Komorebi (Rückkehr der Jugend) ================================================================================ Kapitel 5: Barbarossas Erbe --------------------------- Kapitel 5: Barbarossas Erbe „Wir finden schon raus, was mit dir passiert ist!“ sagte Prosper zu Scipio, als Wespe, Bo und er diesen zurück nach Hause brachten. Victor war noch bei Ida geblieben, er hockte oft stundenlang bei ihr herum und trank ihren Kaffee. Meistens, wenn Scipio an der Reihe war, die Fälle zu übernehmen. Doch heute würde Scipio kein Detektiv sein und niemand im Büro von Victor Getz würde die Aufträge annehmen. Er hatte sein Detektivbüro für einen Tag geschlossen. „Darum geht es im Moment nicht!“ antwortete Scipio und verkroch sich noch tiefer in seinem Mantel, als ein paar Leute auf sie zukamen. Sie schlenderten jedoch vorbei, ohne den seltsamen Jungen mit der Vogelmaske auch nur eines Blickes zu würdigen. „Ich denke, das STELLA ist im Moment wichtiger!“ Wespe seufzte. „Scip, wir würden das Kino alle gern zurückkaufen. Aber du musst doch einsehen, dass das unmöglich ist!“ Scipio rümpfte die Nase. „Wir haben noch überhaupt nichts probiert. Wir können noch nicht aufgeben.“ „Hast du etwa eine Idee, Scip?“ fragte Bo und sah ihn erwartungsvoll an. „Hast du?“ Scipio fuhr mit den Fingern über den Rücken seiner Vogelnase. „Noch nicht. Aber mir fällt schon was ein!“ „Klar, dir fällt ja immer was ein!“ erwiderte Wespe und verdrehte die Augen hinter Scipios Rücken. Mehr als die Tatsache, dass Scipio sich etwas einfallen lassen wollte, wunderte Prosper, dass dieser in seiner Situation überhaupt an das STELLA denken konnte und dieses sogar für wichtiger hielt als seine zurückerhaltene Kindheit. Vielleicht, dachte Prosper, vielleicht gab es ja tief in seinem Inneren einen Scipio, der sich freute, wieder ein Kind zu sein. Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Bis Scipio plötzlich stehen blieb. „Was ist los?“ fragte Prosper. „Ich glaube, ich habe eine Idee!“ sagte Scipio. „Wann hat Paolo dem Rotbärtchen das letzte Mal seine Einnahmen überwiesen?“ Paolo war der neue Besitzer von Barbarossas Laden, ein schlaksiger, blonder Mann, der unglaublich eitel war. Seine Schuhe waren stets auf Hochglanz poliert, seine Hemden waren blütenweiß und seine Krawatte makellos gebunden. Keiner von ihnen mochte Paolo, und er mochte sie auch nicht. Er schien allgemein nur von Erwachsenen etwas zu halten. Wann immer Kinder an seinem Schaufenster stehen blieben und ihre Nasen an dem kalten Glas platt drückten, um die wunderschönen, glitzernden Dinge hinter der Scheibe zu bewundern, kam er aus dem Laden marschiert und verscheuchte sie. Ausgenommen natürlich, die Eltern der Kinder waren dabei. Dann schenkte er den Kleinen ein gequältes Lächeln und ein altes Karamellbonbon, während er ihren Eltern seine Kostbarkeiten zeigte. „Ist schon länger her!“ brummte Prosper. „Er überweist dem Fettsack sicherlich bald wieder etwas!“ „Dann ist also schon ein wenig zusammengekommen, stimmts?“ fragte Scipio weiter. Prosper nickte. Ein Grinsen machte sich auf Scipios Kindergesicht breit. „Was haltet ihr dann davon, unserem lieben Paolo heute Nacht einen kleinen Besuch abzustatten, der alten Zeiten wegen?“ „Du willst ihm die Einnahmen stehlen?“ rief Wespe und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, als eine Reisegruppe sich neugierig zu ihnen umdrehte. „Ach, kommt schon. Der Fettsack hat genug Geld, und Paolo auch. Das wird sicher ein Kinderspiel!“ Da war es, das Leuchten in Scipios Augen. Nachts durch ein dunkles Haus schleichen, der Nervenkitzel, das Erfolgsgefühl nach einem gelungenen Raubzug. Noch einmal der Herr der Diebe sein, bevor er versuchte, wieder ein Erwachsener zu werden. Prosper konnte in diesem Moment in Scipio lesen wie in einem Buch. Er selbst hatte nie viel von Einbrüchen gehalten, ihm war so unwohl zumute gewesen, als er in Idas Haus eingebrochen war. Doch Scipios Lebenssinn hatte einmal darin bestanden, seinen eigenen Eltern wertvolle Dinge zu stehlen und seine Schützlinge glauben zu machen, er sei in Paläste und andere feine Häuser eingebrochen und niemals geschnappt worden. Prosper seufzte. „Also gut, meinetwegen. Was meinst du, Wespe?“ Wespe sah sich um. Dann nickte sie. „Abgemacht. Heute Nacht holen wir uns Barbarossas Geld!“ Scipio sah die beiden dankbar an. Er schien sich wirklich auf den Einbruch zu freuen, nachdem er ein Jahr lang Detektiv gespielt hatte. „Und ich komm auch mit!“ rief Bo. „Ja, Scip, ja?“ „Nein, tust du nicht!“ sagte Prosper ärgerlich. „Du bleibst bei Ida!“ „Wenn ihr mich nicht mitnehmt, dann schreie ich es so laut, dass alle wissen, dass ihr bei Paolo einbrechen wollt!“ erwiderte Bo und verschränkte die kurzen Arme vor der Brust. „Ach Bo, verdammt!“ sagte Prosper verzweifelt. „Komm schon, Prop!“ Scipio legte Bo die Hand auf die Schulter und grinste. „Wir nehmen ihn mit!“ Prosper warf Scipio einen vernichtenden Blick zu, doch er gab auf. Bo hatte schließlich nicht mehr und nicht weniger Erfahrung mit Einbrüchen als er selbst. „Komm schon, Bo!“ zischte Prosper, als er versuchte, seinen kleinen Bruder in ein enges, schwarzes Oberteil zu hereinzubekommen. „Sonst bleibst du hier!“ Bo strampelte und zappelte. „Nein, das ist unbequem! Ich will das nicht anziehen!“ Erschrocken presste Prosper ihm eine Hand auf den Mund. „Okay, okay, aber schrei nicht so, bitte. Sonst weckst du noch Ida auf!“ Ida war vor etwa einer Stunde ins Bett gegangen, in dem Glauben Prosper, Wespe und Bo schliefen schon. „Dann zieh halt deinen dunkelblauen Pulli an. Das geht auch!“ Bo nickte und schlüpfte hinein. „Deine Haare leuchten so.“ flüsterte Prosper und kaute aufgeregt auf seiner Unterlippe. „Hier“ sagte Wespe und zog Bo eine schwarze Mütze über die blonden Locken. Dann malte sie ihm das Gesicht ein wenig schwarz. Bo kicherte. „Das kitzelt!“ Wespe legte lächelnd einen Finger auf ihre Lippen, dann reichte sie Prosper die Farbe. Ihr eigenes Gesicht hatte sie ebenfalls schon geschwärzt, ihre dunklen Haare waren wie immer zu einem langen Zopf geflochten. Die Tür quietschte, als Prosper sie öffnete. Wenn alles so still war, dann hatte man das Gefühl, dass all die Geräusche, die man sonst jeden Tag hörte, doppelt so laut waren. Mit klopfendem Herzen lauschte Prosper hinaus in den dunklen Flur, doch Ida schien nicht aufgewacht zu sein. „Kommt!“ Auch die Treppe erschien ihnen lauter als sonst. Prosper wagte erst zu atmen, als er die Haustür hinter sich zugezogen hatte und die kühle Nachtluft ihnen entgegenschlug. Um halb drei wollten sie sich mit Scipio vor Barbarossas Laden treffen. Als sie ankamen, stand dieser schon draußen in der Kälte. „Da seid ihr ja endlich!“ flüsterte er ungeduldig. „Ich steh mir hier schon seit einer halben Stunde die Beine in den Bauch. Ich wäre fast allein reingegangen!“ „Fast!“ sagte Wespe. „Was können wir dafür, wenn du vor Aufregung viel zu früh kommst?“ Scipio warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. „Egal, lasst uns gehen!“ Er hatte wieder die gleichen schwarzen Lederhandschuhe an wie bei ihrem Einbruch in der Casa Spavento. „Mach die Tür auf, Scip!“ flüsterte Bo aufgeregt. Scipio lächelte und machte sich daran, das Schloss aufzubrechen. Bo sah ihm fasziniert dabei zu, während Prosper und Wespe Schmiere standen. „Ihr werdet sehen!“ sagte Scipio. „Bald gehört das STELLA ganz legal uns!“ „Was ist daran legal, etwas mit gestohlenem Geld zu kaufen?“ warf Prosper ein, doch niemand antwortete ihm. Früher hatten sie schließlich auch davon gelebt. „Achtung!“ flüsterte Wespe plötzlich. „Da kommt jemand!“ Scipio wirbelte herum und tat so, als würde er sich mit den anderen unterhalten. Eine Frau ging an ihnen vorbei, musterte sie einmal skeptisch und achtete dann wieder auf ihren Weg. Als ihre klackernden Schritte verstummt waren, wandte Scipio sich wieder seiner Arbeit zu. „Ich hab es gleich!“ sagte er. Seine Stimme zitterte vor Aufregung. Mit einem leisen Klacken sprang das Schloss auf. Scipio öffnete die Tür. Im Laden roch es muffig, Paolo schien nicht viel von Durchlüftung zu halten. Die alten Holzdielen knarrten unter den Schritten der Kinder. Prosper blieb fast das Herz stehen, als er sah, dass Bo eine der kostbaren Figuren berühren wollte. Schnell hielt er seine Hand fest. „Wir dürfen keine Fingerabdrücke hinterlassen, Bo!“ flüsterte er. Scipio und Wespe standen inzwischen ein wenig ratlos vor Barbarossas Safe. „Hat jemand aufgepasst, als das Rotbärtchen für Renzo die Kombination eingegeben hat?“ fragte Scipio. Prosper nickte. „Ich glaube, ich weiß noch zwei der Zahlen. Ich hab mich umgedreht, als er mit seinen kleinen dicken Fingern die Kombination eingegeben hat!“ Scipio nickte. „Gut. Dann gib die beiden Zahlen ein, und die Dritte finden wir durch Ausprobieren heraus!“ Prosper machte sich an die Arbeit. Er wollte so schnell es ging wieder nach Hause. Nachdem er an dem dritten Rädchen eine Weile herumgespielt hatte, klickte der Safe. „Geschafft!“ flüsterte er glücklich und zog an der schweren Tür. „Was zum...?“ Der Safe war fast leer. Ein Hunderter flatterte heraus und landete auf dem Boden. „Das gibt es doch nicht!“ rief Scipio und drängte Wespe unsanft beiseite. „Verdammt! Dieses miese Schwein!“ Draußen waren Schritte zu hören. Die drei hielten den Atem an. „Da sind Polizisten!“ flüsterte Wespe. Ihre Stimme zitterte. „Vielleicht hat die Frau von eben die Polizei geholt!“ Die Schritte kamen immer näher. Scipio hockte sich hinter den Ladentisch. „Runter!“ zischte er. Die Tür flog auf. „Das Schloss wurde aufgebrochen!“ sagte einer der Polizisten. Ein Taschenlampenstrahl wanderte durch den Raum. Scipio wagte es nicht, zu atmen, doch er befürchtete, das Klopfen seines Herzens würde ihn verraten. Sie mussten es einfach hören. Es war so laut. Der eine Polizist fing an, auf den Safe zuzugehen. Er hatte einen Spitzbart. Wespe schossen vor Angst Tränen in die Augen. Prosper drückte ihre Hand, um sie zu beruhigen. Eine falsche Bewegung könnte sie verraten. „Hey, schau mal hier, der Safe!“ rief der Spitzbart seinem Kollegen zu. Dieser kam näher. Wespe und Scipio erkannten ihn. Es war der Mann mit dem Walrossbart, der Wespe ins Waisenhaus gebracht hatte. „Na, die scheinen ordentlich abgeräumt zu haben!“ sagte er, als er seinen Taschenlampenpegel in den leeren Safe wandern ließ. „Durchsuch mal den Raum!“ Die Kinder waren starr vor Angst. Sie rührten sich auch nicht als der Walrossbart seinen Strahl direkt auf sie richtete. „Hey, ich glaub ich hab unsere Einbrecher!“ rief er dem Spitzbart zu. Scipio stand auf und gab dem Mann einen Stoß vor die Brust. „Lauft!“ rief er. Langsam lösten sich auch die anderen aus ihrer Erstarrung, sie sprangen auf und rannten zur Tür, doch der Spitzbart versperrte ihnen den Weg. „Ganz ruhig!“ sagte er. „Ihr geht erst, wenn wir das sagen!“ Bo fing an zu Schluchzen. Die Tränen rannen ihm die Wangen hinunter und trugen die schwarze Gesichtsfarbe in langen, nassen Spuren mit sich. Prosper nahm ihn in dem Arm. Wespe wandte ihr Gesicht ab. Wenn der Walrossbart sie erkannte, dann war alles vorbei. Scipio blickte starr vor sich hin. „Also“ begann der Spitzbart. „Ihr kommt jetzt erst mal mit aufs Revier. Und keine Zicken!“ Der Walrossbart schien etwas abgelenkt von Scipios Maske zu sein. „Nimm die Maske ab, Junge! Es ist zu spät!“ Scipio spürte, dass die Maske sowohl das Problem, als auch die Lösung war. Er packte sie an der Vogelnase und zog sie sich vom Gesicht. Der Walrossbart starrte ihn an. „Nun schau dir das an! Das ist Dottor Massimos Sohn!“ Der Spitzbart kam ungläubig näher. „Guten Tag, meine Herren!“ sagte Scipio, dann gab er den anderen unauffällig ein Zeichen. Als sie zu laufen begannen, setzte auch er sich in Bewegung und rannte zur Tür. Die Polizisten sprinteten hinterher. „Die holen uns ein!“ schrie Wespe. „Stehen bleiben, oder wir schießen!“ rief der Spitzbart hinter ihnen. Scipio lief plötzlich nach links und spaltete sich von den Anderen ab. Der Spitzbart verfolgte ihn, während der Walrossbart hinter den anderen herlief. Sie hörten einen Schuss. „Nein!“ rief Prosper und blieb stehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Auch der Walrossbart hatte vor Schreck angehalten. „Lauf weiter!“ rief Wespe. Prosper fing wieder an zu rennen, er hörte die Schritte des Walrossbartes hinter sich, doch die Gedanken, dass Scipio getroffen wurde, rasten wie Blitze durch seinen Kopf. Wespe bog in eine so enge Gasse ein, dass der Walrossbart nicht hineinpasste und außen herum rennen musste. Durch diesen Vorsprung hatten sie ihn ein paar Gassen weiter abgehängt. Dennoch liefen sie alle drei ohne anzuhalten bis zu Idas Haus weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)