Learn To Fly von abgemeldet (DeiIta) ================================================================================ Kapitel 1: White Smoke ---------------------- Titel: Learn to fly Genre: undefiniert Länge: angelegt auf ca. drei oder vier längere Kapitel Kommentar: Eigentlich wollte ich SasoDei schreiben. Vielleicht bietet sich die Gelegenheit noch mal. Die FF hat mit dem Song der Foo Fighters übrigens nichts zu tun. Außerdem kann ich es wohl irgendwie nicht haben, wenn Deidara nicht manchmal Wesensänderungen hat... Um eventuelle Leser abzuschrecken, hier hat er einen gewissen Emo-Touch. Irgendwie hatte dieser Tag eine schlechte Verheißung. Deidara glaubte das nicht, er wusste es. Schon in dem Moment, als er ihn sah. Und eigentlich auch schon davor. Als Sasori ihm von den neuen Plänen der Schulleitung erzählte. Sasori war okay. Zu ruhig, zu ordentlich, zu schweigsam, zu festgelegt, aber trotzdem okay. Deidara kam auch gut ohne jemanden in seiner Nähe aus. Er hätte viele Freunde haben können, und er wollte sie nicht, also blieb es dabei. Sein Wesen war nicht wirklich unfreundlich. Es wäre besser als 'rebellisch' zu beschreiben. Er hielt sich nicht gern an Anweisungen. Er gab kühle, meist flapsige Antworten. Und er rauchte. Nicht ungewöhnlich, wenn man es hörte. Es war lediglich die Art, wie er seine Eigenschaften wahrte. Es machte ihn anders. "Sie beziehen unsere Klasse mit ein." fügte Sasori hinzu. Deidara hatte überhaupt nicht zugehört. Sie standen draußen, während leichter Schneeregen den Schulhof glitschig machte. Raureif überzog jeden Grashalm, und jede Atemwolke verwandelte sich in weißen Dampf. Deidara ließ seine Zigarette fallen und trat sie aus, obwohl es wegen der Nässe unnötig war. Wenn es ohnehin kalt war, langweilte ihn der Rauch. Deidara gehörte zu den älteren Studenten aus einer der drei Kunstklassen. Normalerweise ließ die Schulleitung die Älteren in Ruhe und halste ihnen keinen 'pseudopsychologischen Scheiß' auf, wie Deidara es nannte. Seine Finger waren rot vor Kälte. Gedankenverloren hauchte er sie an, beobachtete, wie der weiße Dunst sich verflüchtigte. Im Gegensatz zu Sasoris zerkratzten, manchmal blutigen Fingern waren sie unbeschadet. Deidara modellierte ausschließlich mit weichen Materialien, Sasori mit harten. Die Klassen waren in drei dieser Bereiche aufgeteilt: Weichmodellierung, Hartmodellierung, und abstrakter Modellierung. Sonst glichen die Unterrichtsthemen sich ziemlich: Aktzeichnung, moderne Kunst, Tusche- und Acrylmalerei, Expressionismus, alle Unterarten und Ausschnitte aus allen Kunstepochen. Wirklich alles. Sasori betrachtete ihn von der Seite. Seine hellblauen Augen waren ruhig wie ein wolkenloser Sommerhimmel, ein Farbton, den man ärgerlicherweise nicht imitieren konnte. Deidaras Kopf ruckte mit einem Anflug von Zorn herum. Er wurde schnell wütend. "Was, hm?!" "Es überrascht mich, dass du dich noch nicht darüber aufregst." sagte Sasori einfach. Er wusste, dass Deidara nicht zugehört hatte, aber sich lieber die Zunge abbeißen würde, als nachzufragen. In diesem Moment schrillte die Glocke. Sasoris schwerlidrige Augen blieben unbeteiligt, als er sich verabschiedete. Im Laufe des Tages würde Deidara sowieso keine Lust haben, noch irgendwem zuzuhören. In dem Moment, in dem er ihn sah, verdüsterte sich seine ohnehin gedrückte Laune noch mehr. Er war spät dran, die anderen saßen bereits auf ihren Plätzen. Der anwesende Lehrer durchbohrte ihn mit strafenden Blicken. Deidara ignorierte ihn. Das war einer von denen, die er nicht leiden konnte, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Der einzige Grund, warum er tatsächlich zur Tafel sah, als er eintrat, war er. Zusammen mit ein paar anderen aus seiner Klasse. Mit gesenktem Kopf saß er da, seine Umhängetasche auf einer Schultern, den Block mit beiden Armen gegen die Brust gedrückt. Täuschend echt wirkte er zerbrechlich und schüchtern. Schwarze Augen blickten teilnahmslos zu Boden. Deidara konnte Itachi noch weniger leiden als seinen Lehrer. Er war wie ein Roboter. Er schien alles kommen zu sehen, auf alles vorbereitet zu sein, und nur Dinge zu tun, die einen rationalen Sinn hatten. Seine Interpretation der Kunst fiel genauso aus: fragil, oberflächlich perfektioniert, festgelegt, ernst. Und grau. "Setzen Sie sich." befahl der Klassenleiter barsch. Deidara verkniff sich eine Grimasse und setzte sich auf seinen Platz. Itachis bloße Anwesenheit hatte ihm die Lust auf Provokation verdorben. Missmutig legte er seinen Block auf den Tisch. Der Roboter aus der Klasse für abstrakte Modellierung starrte noch verbissener auf den Parkettboden. Der Lehrer klatschte ungeduldig in die Hände. "Geht zu Euren Partnern und vertrödelt keine Zeit mehr!" Die anderen Studenten vor der Tafel setzten sich in Bewegung, murmelten verwirrt Namen vor sich hin und suchten ihre Besitzer. Itachi blieb stehen wie ein Denkmal seiner Selbst. Deidara wünschte sich, er möge endlich gehen. Allerdings ging es nicht nach seinen Wünschen. Der Lehrer schob ihn ein Stück vorwärts wie einen störrischen Esel. "Sie auch, Uchiha. Gehen Sie." Itachi dachte gar nicht daran. Deidara grinste verächtlich. Nichts, was einem Lehrer entgehen konnte. Schon gar keinem, der ihn nicht mochte. "Wenn Sie das so erheitert, wird es Sie sicher mit unbändiger Freude erfüllen, dass Sie Ihren Arbeitsauftrag mit Mr. Uchiha erfüllen dürfen." Deidaras Gesicht wurde für einen Moment verblüfft, dann spannten sich seine blonden Brauen gefährlich. "Mit ihm, hm?" Er sprach das Wort so angewidert aus, dass in Itachis Gesicht einer der angespannten Muskeln zuckte. Der Lehrer schob ihn noch ein Stück vorwärts, bis er vor Deidaras Tisch zum Stehen kam. "Da Sie es ja sonst nicht für nötig halten, den Arbeitsaufträgen detailgetreu Folge zu leisten, werden Sie sich wohl oder übel anstrengen müssen und mit Mr. Uchiha zusammenarbeiten. Eine Einzelarbeit akzeptiere ich nicht, Deidara." Deidara brodelte vor Wut. Nein, er war nicht eigentlich schlecht. Er konnte sogar Klassenbester sein, wenn er wollte. Oder wenn ihm der Arbeitsauftrag passte. Und wenn das nicht der Fall war, was häufig vorkam, erledigte er ihn anders als vorgegeben. Eigenwille und Talent vertrugen sich schlecht. Und ausgerechnet mit einer rationalen, ordentlichen, gehorsamen Person wie Itachi Uchiha... Der Lehrer setzte ein übertrieben freundliches Lächeln auf. "Sie haben eine Woche Zeit dafür, sonst schreibe ich Ihnen eine sechs auf. Das mag Ihnen egal sein, aber ihre Versetzungssicherheit gerät dadurch extrem ins Wanken. Viel Glück!" Er klopfte Itachi auf die Schulter wie einem Soldaten, der ein Himmelfahrtskommando anführte. Und doch schien er ernsthaft zu glauben, dass Itachi ihn zu so etwas wie einer Zusammenarbeit bewegen konnte. Itachi knallte seine Tasche auf den Boden und zog seinen Stuhl so weit wie irgend möglich von Deidara weg. Das Blatt mit dem Arbeitsauftrag legte er so achtlos hin, dass es von einem Windstoß erfasst wurde (zur besonderen Verbesserung des sozialen Klimas hatte ihre Lehrkraft nämlich noch die Fenster aufgerissen) und zu Boden segelte. Itachi schien nicht wirklich überrascht. Wie immer berechnend, methodisch. Deidara kam die Galle hoch, wenn er ihn schon sah. "Deidara, Sie und ihr Partner sind übrigens für Raum 128 eingeteilt. Strengen Sie sich an... Oder besser enttäuschen Sie mich nicht schon wieder." Wo kam dieser alte Sack jetzt wieder her?! Vorwurfsvoll blickte er auf das Blatt und behielt Deidara genau im Auge. Itachi stand auf, als ginge ihn das nichts an, und hängte sich seine Tasche um. Deidara ließ den Atem, den er unbewusst angehalten hatte, pfeifend durch seine zusammengebissenen Zähne entweichen und riss das Papier grob vom Boden. Es wurde völlig zerknittert, doch das hätte Deidara nicht weniger kümmern können. Er nahm seine Sachen und nahm beruhigt zur Kenntnis, dass Itachi nicht auf ihn gewartet hatte. Der Schwarzhaarige ging zügig, und Deidara war auch nicht scharf darauf, lange in seiner Nähe zu sein. In dem Augenblick, als er die Tür von Raum 128 öffnete, fiel ihm ein, dass hier die Heizung kaputt war. Bei den Außentemperaturen nur bedingt angenehm. Er wünschte diesem Lehrer wirklich die Pest an den Hals. Itachi kniete sich auf den Boden und begann, seine Staffelei aufzubauen. Deidara musste dringend seinen Ärger ein wenig ablassen. Er trat neben Itachi. Der Anblick ging ihm unsäglich auf die Nerven. Itachi ging gewissenhaft und sicher mit der Staffelei um, als hätte er die Bedienungsanleitung auswendig gelernt. Fast wie Sasori, wenn er Holz bearbeitete. Der Fakt, dass er sich dennoch manchmal mit den Werkzeugen verschätzte, wie seine zerschundenen Hände bewiesen, machte ihn für Deidara erträglich. Seine Hand tastete in seiner Hosentasche und umschloss einen kleinen, glatten Gegenstand. Ein paar Mal klickte das Feuerzeug, dann schoss eine kleine Flamme aus der Öffnung hervor. Wenig später fing das Blatt mit dem Arbeitsauftrag Feuer. Itachi zuckte zusammen, als ein Stück verkohltes Papier auf seinem Handrücken landete, und sah auf. Deidara grinste und ließ die Überreste auf den Boden fallen. "Und jetzt, Mr. Uchiha, werden wir uns ein wenig unterhalten, hm." Itachis Augen wurden dunkel vor Wut. Kapitel 2: Smile Like You Mean It --------------------------------- Itachis Augen wurden dunkel vor Wut. Mit einem einzigen Ruck, wie man eine Marionette am Faden hochzieht, war er auf den Beinen. Sein Blick zitterte unter der Anstrengung, die Beherrschung zu behalten. Er schien Deidara am liebsten ins Gesicht schlagen zu wollen. Wenn er es doch getan hätte! Deidara hätte ihn respektiert. Er hätte seine Meinung geändert. Aber Itachi wandte sich lediglich abrupt ab, sodass seine langen, schwarzen Haare herumflogen, und legte seinen Block auf die Staffelei. Seine schwarzen Augen sprühten Funken. Deidara schnaubte und beobachtete ihn. "Und was gedenkst du jetzt zu tun, hm?" Itachi ignorierte ihn. Er hatte noch kein einziges Wort gesprochen, und schien das auch nicht vorzuhaben. Seelenruhig suchte er eine freie Seite in seinem Block, schlug sie auf und wählte sorgfältig einen Bleistift aus. Ordentlich. Koordiniert. Bedacht. Das genaue Gegenteil von Deidara. Der Blonde seufzte abfällig und nahm seinen eigenen Block auf den Schoß. Er war wesentlich ungeordneter, voller halb fertiger Skizzen, Entwürfe, Ideen und ein wenig zerknickt und zerschlissen von der rauen Behandlung. Es war die Art, wie Deidara die Dinge mochte – ungezwungen, originell und lebhaft. Die Kunst nahm sein Leben ein. Er machte sich zum Beispiel gar keine Gedanken, wenn er ein weibliches Aktmodell abzeichnete. Es langweilte ihn lediglich, weil er sich an gegebene Formen halten musste. Wenn ihm eine Studentin zuzwinkerte oder in seiner Gegenwart auf diese wohlbekannte Art kicherte, wandte er ungerührt den Blick ab und beschäftigte sich mit seinen Gedanken. Sie wurden ebenfalls nur von seinen eigenen Vorstellungen regiert. Ein großer Teil seines Denkens konzentrierte sich ausschließlich darauf. Er ging abends selten weg, aber er stand mitten in der Nacht auf, wenn ihn ein Traum oder bewegungsloses Wachliegen zu irgendetwas inspiriert hatte. Er wusste nichts voraus, er konnte nichts auf Dauer in seinem Kopf festhalten. Itachi schien nichts weiter als eine umfangreiche Ansammlung an Bildern in seinem Kopf zu haben, die er in jeweils leicht abgeänderter Version aufs Papier brachte. Das war dann vielleicht ein schönes Bild. Ein gutes Bild dagegen war wesentlich schwerer zu zeichnen. Die Kälte im Raum biss ihm ins Gesicht, und seine Finger fühlten sich taub an. Konzentriert strich Deidara sein Haar hinters Ohr und vertiefte sich in seine Skizze. Der Bleistift flitzte hastig übers Papier, bemüht, das Bild in seinem Kopf auf das Blatt zu bannen. Bald blendete er alle Geräusche aus, sogar die Tatsache, dass er mit Itachi in einem Raum war, und versank vollends in den fahrigen Bleistiftlinien... "Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das als Arbeitsauftrag gegeben zu haben!" Deidara zuckte zusammen. Er hatte nichts gehört, seine Gedanken waren noch verwirrt wie nach einer Tiefschlafphase, aus der man plötzlich gerissen wird. Der Lehrer beugte sich über sein Blatt und zog die Augenbrauen zusammen. "Und was ist das für ein willkürliches Gekritzel?! Sie scheinen den Studiumsplatz verfehlt zu haben... Das ist nicht das Niveau unserer Schule." Wie Deidara diese geringschätzigen Worte hasste! Es war seine Art von Kunst, niemand hatte das zu verspotten! Bevor er eine gereizte Antwort geben konnte, war der Lehrer allerdings bei Itachi angelangt. Zu Deidaras Verwunderung verschwand der hämische Ausdruck nicht. "O-oh... Auch von Ihnen hätte ich mehr erwartet, Mr. Uchiha... Das ist auch nicht mehr als Papierverschwendung. Ihr Partner scheint kein guter Umgang für Sie zu sein." Itachis Lippen bewegten sich lautlos. Er starrte ausdruckslos auf seinen Block, den Bleistift in der Hand. Doch er machte nicht den Eindruck eines gescholtenen Schülers. "Ich erwarte, dass Sie beide jetzt ihrem Auftrag nachgehen... und da ich den Verdacht habe, dass diese Überreste da auf dem Boden alles ist, was von besagtem Auftrag übrig geblieben ist, werde ich Ihnen einen Neuen geben... Und wenn der wieder in Flammen aufgeht, werde ich persönlich dafür sorgen, dass Sie dieses Jahr Ihre Prüfung nicht bestehen..." Betont gemächlich entnahm er ein neues Blatt seinem Aktenkoffer und legte es auf einen der Tische. Als er an Deidara vorbeiging, lächelte er selbstgefällig. "Das hat Ihnen die Sprache verschlagen, hm?" Er ahmte absichtlich den Ton nach, den Deidara für sein Satzanhängsel benutzte, was den Blonden noch mehr aufregte. Spätestens jetzt würde er ihm zu gern einen Tritt in die Magengrube geben. Wie er es hasste, sich fügen zu müssen! Ungefähr eine Minute, nachdem sich die Tür geschlossen hatte, stand Itachi auf und ließ seine dunklen Augen über das bedruckte Papier wandern. Deidara holte eine Zigarette aus seiner Tasche und zündete sie an. "Vergiss es... ich arbeite nicht mit dir, hm." sagte er abweisend. Itachi beachtete ihn nicht. Er riss das Blatt, die sogenannte 'Papierverschwendung' heraus, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. Er holte eine saubere Palette und Acrylfarben aus seiner Tasche und nahm eine von den bespannten Leinwänden, die den Raumnutzern zur Verfügung standen. Normalerweise gab es davon wenig, doch in einem Raum, der im Winter nicht geheizt werden konnte, fand man noch welche. "Hey... Was hast du vorhin gesagt, hm?" fragte Deidara unvermittelt und ließ den Rauch durch seine halb geöffneten Lippen ausströmen. Itachi sah auf, nicht wirklich überrascht, aber auch nicht vorbereitet auf diese Frage. Seine Wangen waren von der Kälte gerötet, und seine blassen Lippen zitterten schwach. Nicht schwach genug, als dass es Deidara tatsächlich entgehen konnte. "Arschloch." Itachis Stimme war leise, trotzdem deutlich, und ein wenig rau. Er machte eh den Eindruck eines Menschen, der leicht krank wurde. Deidara fiel auf, dass er sich an Itachis Stimme gar nicht mehr erinnern konnte. Der Schwarzhaarige sprach selten, und immer beinahe tonlos, sodass ihn nur die Person verstand, für die seine Worte bestimmt waren. Deidara hob eine Augenbraue, halb spöttisch, halb aufmerksam. "Danke gleichfalls, hm." Er meinte, Itachi resigniert seufzen zu hören. "Zu ihm. Aber wenn du es wissen möchtest, du bist auch eins." Er sagte das so neutral, dass Deidara sich erstrecht von ihm verarscht fühlte. Desinteressiert wandte er sich ab. Itachi sah ihre Unterhaltung, sofern es eine gewesen war, sowieso als beendet an, und ging ins Nebenzimmer, um Wasser zu holen. Hier waren wahrscheinlich die Leitungen eingefroren. Deidara wartete einen Moment, dann stand er auf und ging zum Papierkorb. Es hatte ihn neugierig gemacht. Itachi Uchiha fabrizierte kein 'Gekritzel'. Er war einer der besten Zeichner seiner Klasse. Er wurde nie herablassend von Lehrern behandelt. Deidara wollte lediglich wissen, wie übel die Zeichnung gewesen sein musste, dass sie ernsthaft getadelt wurde. Behutsam faltete er das zusammengeknüllte Blockblatt auseinander. Es war mit einem sehr weichen Bleistift gezeichnet und ein Wirrwarr aus Linien und Formen. Im Zentrum war das Papier schwarz und glänzend, so oft musste er darüber gezeichnet haben. Verwirrt betrachtete Deidara die Abbildung. Ihm fehlte ein Anstoß, die Idee hinter diesem Bild, falls es eine gab, zu verstehen, außerdem konsternierte ihn allein der Gedanke, dass Itachi etwas nicht rational Festgelegtes zeichnete. Was bitte war der Hauptgedanke, sofern vorhanden? "Ein Schneesturm." Itachis Stimme schien ein wenig lauter, klarer geworden zu sein. Sie zitterte leicht in der Kälte. Deidara hob eine Augenbraue. Wenn das ein Schneesturm war... Das war ein inhaltloses Geschmiere, keine Frage. Wenn man es betrachtete. Doch Deidara kannte Gedankengänge, er kannte den Drang, das Ungreifbare darzustellen. Ein flüchtiges Hirngespinst, das man versuchte auf Papier zu bannen. Ein Gefühl, so lang wie ein Herzschlag, ein Gedanke, der zwischen den Fingern zerrinnt, bevor man ihn überhaupt gesehen hat. Deidara kannte den Ausdruck. Wortlos legte er das zerknitterte Blatt auf einen der Tische. Itachi interessierte sich ohnehin nicht mehr für seine Arbeit von vorhin. Angesichts der eisigen Kälte zog er weder seinen Mantel noch seinen Schal aus. Er bereitete lediglich seine Farben vor und holte ein Stück schwarze Kreide aus einem kleinen Holzkästchen. Dann vertiefte er sich in seine Skizze, als sei nichts gewesen. Widerwillig überflog Deidara den Arbeitsauftrag. Das Übliche, wenn man es Schülern schwer machen wollte: das perfekte Zusammenspiel aus Gefühl und Rationalität, harten und weichen Elementen, hellen und dunklen Farben. Keinerlei Anregungen, keine Vorgaben. Und dann auch noch mit Itachi. Deidara wusste nicht, was ihn da mehr ankotzte. Rumstehen brachte ihn jedenfalls nicht weiter. Er musste sich eigene Vorlagen schaffen, und dazu brauchte er ebenfalls Wasser. Er wusste nicht, warum, er brauchte es jetzt einfach. Ohne Itachi eines Blickes zu würdigen ging er in den Nebenraum, scheuerte die Hände gegeneinander, damit sie nicht völlig taub wurden, und beförderte seine Asche gekonnt in einen Abfallkorb. Das Wasser war beißend kalt. Deidara hatte das Pech, einen der undichten Wasserhähne zu erwischen, der seine Hände klatschnass machte. Deidara fluchte durch zusammengebissene Zähne und spuckte seine Zigarette in den Ausguss. Heute war definitiv kein Tag zum Rauchen. Er wischte sich die Hände an der Hose ab, doch die Kälte blieb. Er nahm das Glas und ging zurück. Itachi betrachtete gedankenversunken die Bilder in seinem Block. Deidaras Augenbraue zuckte wütend. Er war wirklich ein unpersönlicher Typ, wenn es um sein Umfeld ging (sein Zimmer im Studentenwohnheim hatte fast keine eigene Note), aber sein Block war für ihn etwas absolut Privates. Außer Sasori hatte er noch nie etwas daraus gezeigt. Denn Sasori fragte nicht danach, er wartete, ob Deidara es von sich aus zeigte. Wenn er es nicht tat, war die Sache aus der Welt. Was Deidara ein Mal jemandem gezeigt hatte, riss er aus dem Block und verwahrte es irgendwo anders. Es war sozusagen 'entweiht'. "Was machst du da, hm?!" zischte er zornig. Itachi sah ihn nur kurz aus den Augenwinkeln an. "Wonach sieht es aus?" fragte er ruhig. Sein leidenschaftsloser Blick regte Deidara auf. Natürlich, wie sollte das ausgerechnet Itachi verstehen? "Leg ihn hin, hm!" Der Schwarzhaarige ignorierte seine Frage gänzlich. Stattdessen drehte er die aufgeschlagene Seite zu Deidara. "Was ist das?" Sein Tonfall hatte sich nicht geändert, und Deidara hatte überhaupt keine Lust, ihm Auskunft zu geben, zumal er das eh nicht kapieren würde. "Ein Vogel, hm." Warum hatte er jetzt tatsächlich geantwortet?! Deidara war frustriert. Dieser dämliche Musterschüler kam wirklich damit durch. Einfach zum Kotzen. Itachi nickte unmerklich und legte den Block wieder hin. Er hauchte seine Fingerspitzen an, bevor er sich wieder hinsetzte. Deidara wurde nicht schlau aus ihm. Mal schlug er, wenn auch nicht laut, ganz andere Töne an, mal musste man ihn zwingen, sich überhaupt zu bewegen, und mal führte er sogar Konversationen und sagte Sätze mit Subjekt, Prädikat und Objekt. Nein, er wurde definitiv nicht schlau aus ihm. Sie mussten eine ganze Zeit gesessen, notiert und mit verschiedenen Mitteln skizziert haben. Irgendwann unterbrach sie das Schrillen der Pausenglocke. Deidara stand auf und streckte seine starren Glieder. Er musste unbedingt raus hier, Dreckswetter hin oder her. Es war ihm völlig egal, dass Itachi sich nicht rührte, obwohl seine schmalen Hände rot und vermutlich nicht viel wärmer als ein Gletscher waren. Seine Schuld, wenn er hier bleiben wollte. Das passte ja zu ihm. Eine von Sasoris bemerkenswerten Fähigkeiten war es, zufällig am richtigen Ort zu sein. Deidara stieß auf ihn, als der Rothaarige vor seinem Spind stand und routiniert einen selbstklebenden Verband um seine blutende Hand wickelte. Deidara blickte ihm flüchtig über die Schulter. Es sah übel aus. Die ganze Handinnenfläche war tief aufgeritzt. Es musste höllisch weh tun, doch Sasori verzog nicht mal das Gesicht. Er war dergleichen gewohnt. Es würde ihn nicht daran hindern, seine Abschlussarbeit fertig zu stellen. Obwohl er Deidaras Anwesenheit zweifellos bemerkte, reagierte er erst, als er die notdürftige Verarztung abgeschlossen hatte. Seine Braue hob sich vielleicht einen Millimeter. "Wo bist du gewesen?" Deidara konnte ihm nicht verübeln, dass er glaubte, er hätte geschwänzt. Der Unterricht fand nicht in den ungeheizten Räumen statt, und Deidara verschwand durchaus mal, wenn ihm etwas nicht passte. Die Kälte war ihm immer noch deutlich anzusehen. Der Blonde zog eine Grimmasse und warf sein Haar über die Schulter. "Wenn du fragen würdest, mit wem ich unten gewesen bin, könnte ich dir eine Antwort geben, hm." Sasori hielt nicht viel von der Geschichte. Es war ihm anzusehen. Deidara wusste nicht, wie er über Itachi dachte, und es war ihm herzlich egal. Er erzählte nichts Konkretes, lediglich dass er die nächste Woche gezwungen war, mit ihm zusammen zu arbeiten. Sasori dachte sich den Rest, während sie aus den schmierigen Fenstern der Kantine den grauen, nassen Schnee beobachteten. Es schien, als sei er schon voller Straßendreck, bevor er überhaupt den Boden berührte. Deidara hatte das Bedürfnis, seinem Unmut Luft zu machen, doch die Worte kamen nicht. Er sah weiter nach draußen. Itachi stand auf dem Hof, zusammen mit einem hoch gewachsenen, anderen Studenten. Er sagte etwas, und Itachi schüttelte den Kopf. Langsam, fast mechanisch. Schwere Schneeflocken rieselten aus seinem Haar. Der andere sagte wieder etwas, und diesmal schwieg er und starrte zu Boden. Dann nickte er, er schien es widerwillig zu tun. Der andere schenkte ihm etwas, das ein Lächeln hätte sein können, wenn es nicht so bitter gewesen wäre. Ohne ein Wort des Abschieds drehte Itachi sich um und ging, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um nicht auszurutschen. Der Wind blies ihm die Haare vors Gesicht. Seine Hände hatte er in den Manteltaschen vergraben. Deidara sah zu, wie er zurück ins Gebäude ging, unbemerkt von allen anderen, und in den unbeheizten Flügel zurückkehrte. Die kleinen Wasserpfützen, die er mit jedem Schritt hinterließ, hatten etwas von Tränen, fand Deidara. Natürlich sagte Itachi nichts. Er saß wieder auf demselben Stuhl, tief über seine Skizze gebeugt, die Stirn in konzentrierte Falten gelegt. Deidara trat ohne ein Wort des Grußes ein, den Block unter den Arm geklemmt. Die kleinen Pfützen auf dem Boden waren glatt, wahrscheinlich froren sie schon ein. Das Wasser in der Heizung auch. Deidara mochte die Stille nicht. Er mochte Itachi auch nicht, auch wenn er sich etwas geirrt hatte, was seinen Charakter betraf. Aber Itachi hatte eine unangenehme Art zu schweigen. Er machte einfach kein Geräusch, kein einziges. Nicht einmal sein Bleistift war zu hören. Sein Gesicht war völlig blank. Er musste an die Szene auf dem Hof denken. Sie ließ sich nicht vertreiben. Itachi würde ihm nie sagen, was vorgefallen war, und eigentlich interessierte es ihn nicht. Es war lediglich die ganze Art, wie es vonstatten gegangen war. Still und heimlich. Wie ein Stummfilm. Wie etwas, das schon lange über Worte hinweg war. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Also brachte er Itachi einen Kaffee mit, als er einige Zeit später ging. Der andere sagte nichts, und er sah auch nicht auf. Er zeichnete weiter. Deidara konnte es nicht erkennen, es war alles viel zu verschlungen. Itachi hatte wirklich nur diese Skizze gemacht. Wahrscheinlich war sie hundertmal ordentlicher als Deidaras flüchtiges Gekritzel. Schließlich fiel ihm auf, dass die Blechdose leise unter der Hitze kreischte. Er drehte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch. Deidara hatte es im Gefühl, dass er das tat, obwohl er nicht hinsah. So viel man diesem Getränkeautomat auch vorwerfen konnte – der Kaffee war immer verdammt heiß. Er schaffte es nie, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, um sich nicht die Zunge zu verbrennen. Itachi zögerte und nahm die Dose. Seine geröteten Finger falteten sich darum, ohne sie zu öffnen. Eine ganze Weile saß er so, ohne sich zu rühren. Seine Art zu schweigen ging Deidara wirklich auf den Zeiger. "Ist für ein Arschloch trotzdem ein 'Danke' drin, hm?" Itachi blickte ihn an, als hätte er das nicht verstanden, dann nickte er. Deidara legte auffordernd den Kopf schief, während er versuchte, das pelzige Gefühl auf seiner Zunge zu vertreiben. "Danke." sagte Itachi kurz und beschäftigte sich mit dem Dosenverschluss. Deidara zuckte mit den Achseln und setzte sich neben seinen Skizzenchaos auf den Tisch. Es half ihm immer etwas, wenn er mit den Beinen baumeln konnte. "Wer war das auf dem Hof, hm?" Itachis Schultern zogen sich für einen Moment zusammen, als hätte Deidara versucht, danach zu greifen. Er sah ihm nicht ins Gesicht, sondern starrte in den Dampf, der aus der schmalen Dosenöffnung strömte. "Ein Freund." Er hob die Stimme am Ende ein wenig, als würde er eine Frage stellen. "Jetzt wohl nicht mehr, hm?" fragte Deidara weiter. Itachi antwortete ihm nicht. Seine Hände verkrampften und entkrampften sich, als wäre er unschlüssig, ob er etwas erwidern sollte oder nicht. Das unangenehme Schweigen trat wieder ein wie ein ungebetener Gast. Deidara warf einen Blick zu einem der unbenutzten Tische, auf den er Itachis weggeworfene Skizze gelegt hatte. Es passte doch. Ein Schneesturm. Stille, Schneeflocken, die einen Gedanken tragen und sich um ein einziges Zentrum, ein einziges Denken ranken. Wortlos langte er nach dem Zettel und legte ihn neben seine eigene Skizze. Wenn er es recht betrachtete, ließ es sich kompensieren. Sein Vogel und Itachis Schneesturm. Deidara stellte seine Dose weg. Er wusste schon, sie würde ihm erst wieder einfallen, wenn der Kaffee schon längst kalt war. Doch das zählte nicht, eine gewonnene Idee konnte man nicht mit kaltem Kaffee vergleichen. Er wusste, dass Itachi ihn beobachtete. Seine scheinbar leblosen Augen verfolgten jede Bewegung seiner Hände. Recht so, sollte er es eben sehen. Deidara lächelte ein halb ernstes, halb vergnügtes Lächeln. Ernst, weil er sich konzentrieren musste, um seine Vorstellung exakt nachzubilden. Vergnügt, weil eine neue Idee für ihn den Adrenalinschub bedeutete, den andere Leute nur beim Achterbahnfahren oder beim Bungeejumping bekommen. Und ein Lächeln, weil das Kritzeln seines Bleistifts und Itachis aufmerksame Blicke endlich das nervenaufreibende Schweigen vertrieben. Kapitel 3: Eyes --------------- Am nächsten Tag kam er zu spät. Den ganzen Abend war sein Kopf leer gewesen, wie ausgebrannt. Er war nachts auch nicht aufgewacht und konnte sich an keinen seiner Träume erinnern. Seit er angefangen hatte, jeden Gedanken aufzuzeichnen, war ihm das nicht mehr passiert. Es verwirrte ihn. Fast panisch suchte er nach den alten Fantasien, die ihn auf Schritt und Tritt begleiteten, nach seiner Angewohnheit, seine Umgebung im Kopf nach den eigenen Vorstellungen zu verändern. Fast direkt vor dem Studentenwohnheim gab es einen Unfall wegen vereistem Asphalt. Die Straße war blockiert, und er musste einen Umweg machen. Deidara ertappte sich dabei, wie er rannte, um seine Verspätung einzuholen. Es passte zu ihm, unpünktlich zu sein, und wahrscheinlich würde es heute eh kein Lehrer merken. Außer Itachi würde es niemand merken. Er blieb stehen. Sein stoßweiser Atem wurde zusammen mit einigen vereinzelten Flocken zur Straße geweht. Ganz allmählich verschwand die Leere. Wie konnte eine lächerliche Abschlussarbeit seine Kreativität derart erschöpfen? Seit wann konnte ein einziger Nachmittag überhaupt antasten, was er an Gedanken in seinem Kopf hatte? Wenn überhaupt, dann brachte er die Saiten zum Klingen, von außen war da gar nichts zu machen. Das hatte man ihm schon in der Mittelschule aufs Zeugnis geschrieben. Es fing wieder an zu schneien. Schwere Flocken mit einem vereisten Kern, die so kalt waren, dass sie auf der Haut brannten. Er fing wieder an zu laufen. Unter seinen Füßen knirschte der Schnee, zusammengeschweißt von Frost und Wasser. Einige Mal rutschte er fast darauf aus. Wie er diesen Schnee hasste. Es endete damit, dass er zwanzig Minuten zu spät kam. Die Halle war leergefegt, der Boden bedruckt mit fahrigen Profilen. So musste er sich wenigstens nicht zu seinem Spind durchschieben. Deidara fragte sich, was er mitnehmen sollte. Über die Skizzenphase war er einigermaßen hinweg. Acrylfarbe? Irgendwie war ihm nicht danach. Ölfarbe? Dann würde er ständig frisches Wasser brauchen, und die Wasserhähne waren ihm nicht unbedingt wohlgesonnen. Außerdem konnten die Leitungen bereits zugefroren oder defekt sein. Zeichenkohle? Schon eher. Wenn er allerdings zusammen mit Itachi die Abschlussarbeit machen musste, würden sie sich einigen müssen. Was hieß, dass er gezwungen war, mit diesem Perfektionsroboter zu reden. Deidara seufzte, nahm behutsam den Holzkasten mit der Kohle aus dem Spind und schloss ihn wieder ab. Ein flüchtiger Blick ins Innere des Kasten zeigte ihm, dass die Kohlestücke sowohl unversehrt als auch halbwegs unverbraucht waren. Deidara ging eigentlich nicht schlampig mit Utensilien um, doch er achtete nicht auf Ordnung, wenn ihm eine Kreation wichtiger war. Auf diese Weise hatte er zum Beispiel schon etliche Pinsel durch einfaches Vergessen irreparabel verklebt. Darauf bedacht, kein Kohlestück beim Rennen zu zerbrechen, lief er in den unbeheizten Flügel. Das vertraute Summen der Heizlüfter wurde immer leiser und verstummte schließlich. Der ganze Flügel lag still. Deidara vertrödelte keine Zeit. Er drückte die Tür zum Raum 128 auf und trat ein. Nur, um wieder darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass es hier einen Menschen gab, den er noch weniger mochte als Itachi. "Fünfzehn Minuten zu spät. Kommen Sie mir bitte nicht mit irgendwelchen Entschuldigungen." Fast hätte Deidara seinen Kohlenkästchen fallen lassen. Als ob er sich bei irgendwem für das Wetter entschuldigen würde! Außerdem bestand für ihn lediglich dann Anlass, wenn es sich um ein schwerwiegendes Fehlverhalten handelte. Das hieß erstens, dass er selbst daran Schuld war und zweitens, dass er es selbst einsah. Beides war nicht der Fall. Grollend ließ er sich auf seinem Platz nieder und erwiderte giftig den Blick des Lehrers. Itachi schien sich nicht an seiner Anwesenheit zu stören. Er sortierte seine Entwürfe. Offensichtlich war er keiner von denen, die den Nutzen der Nacht einsahen. Deidara verdrehte ärgerlich die Augen. Eine Inspiration konnte man nicht herzwingen; was Itachi da fabriziert hatte, war vermutlich mal wieder sein abgedroschener Tand. Die Art von Tand, die den meisten anderen Menschen gefiel. Nur Deidara nicht. Der Lehrer nahm das Augenverdrehen als willkommene Gelegenheit, die nächste Schlacht ihres Kleinkriegs einzuläuten. "Es fehlt Ihnen merklichst an Disziplin, und anscheinend haben Sie nicht mal die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten. Selbst diesen einfachen Arbeitsauftrag haben Sie am ersten Tag nicht ansatzweise bewältigt." Einfach? Ein Arbeitsauftrag auf einer ganzen Seite, ohne Anregungen und gewisse Vorgaben war nie einfach! Also musste er das improvisieren, und diese unter Künstlern ach so geschätzte Improvisation war offenbar 'nicht ansatzweise bewältigt'. Deidara hätte jetzt wirklich gewalttätig werden können. Hinter seinen blauen Augen brannte heiße Wut, und seine Gedanken überschlugen sich in seinem Temperament. Niemand hatte das Recht, seinen Lebensinhalt zu verspotten. Niemand hatte das Recht, ihn zu verspotten. Seine Bilder waren seine Entscheidung! Er biss sich auf die Unterlippe und behielt die Kontrolle. Noch. Sosehr er es hasste, er musste sein Studium ohne Verzögerung beenden. Und Lehrer wussten so etwas. Anders als Kunst ließ sich Wissen immer missbrauchen. Beim nächsten hämischen Grinsen hatte er das Gefühl, sein Blut würde anfangen zu brodeln. "Darüber hinaus wissen Sie wohl nicht, wie man sich in diesen Räumen zu verhalten hat. Sie sind ein absolut schlechtes Beispiel, und das, was Sie für Talent halten, ist eine himmelsschreiende-" Aus. Das war zu viel. "Halten Sie doch Ihre verdammte Fresse, wenn Sie keine Ahnung haben! Es geht Sie nichts an, wofür ich mich halte, und ich will nicht wissen, wofür Sie sich halten! Sie verstehen von Kunst ungefähr so viel wie von vorne oder von hinten (obszöne Anspielung), und nur weil Sie sich was auf Ihr Diplom einbilden und meinen, Sie müssten hier Gott spielen, bin ich nicht gehirnamputiert! Scheißdreck, stecken Sie sich Ihren Arbeitsauftrag sonst wohin!" Sein Atem bildete weiße Schwaden vor seinem verzerrten Gesicht. Sein eigener Puls dröhnte ihm in den Ohren, deshalb entging ihm, dass es völlig still war. Eine fassungslose Stille, die ihn grimmige Genugtuung spüren ließ. Wenn unbedingt jemand wissen wollte, wie es in ihm aussah – bitte. Das hatte er soeben offenbart. Ein kleiner Teil dessen, was er nie in Worte fassen konnte. Dass der Lehrer an ihm vorbeistürmte, merkte er nur an dem scharfen Luftzug, der ihn aus seiner jähzornigen Zufriedenheit holte. Er würde Achtkant von der Schule fliegen. Bei dieser Erkenntnis kochte die Wut von Neuem in ihm hoch. Sie würden ihm nicht glauben, dass dieser Ausbruch lediglich das Resultat einer Provokation gegen seinen empfindlichsten Punkt gewesen war. Er würde keinen zweiten Start machen können. Es war vorbei, so kurz vor dem Ziel. Deidara ließ sich auf einen Stuhl vor dem Fenster fallen und starrte nach draußen. Seine Augen brannten, und sein Atem kam immer noch schneller als normal. Das war unfair, verdammt, absolut unfair! Er hatte das Gefühl, wenn er seinem Ärger keine Luft machte, würde er implodieren. Sein Blick schweifte über die grauen Fenster. Glas hatte eine angenehm hohe Lautstärke, wenn es brach. Eiskalte Fingerspitzen legten sich auf seine Schläfen und berührten scheinbar ziellos Aderpunkte. Deidara war so überrascht, dass er zusammenzuckte. Er fühlte sich seltsam beengt, wenn etwas seine Schläfen an beiden Seiten anfasste. "Lass die Fenster heil." Itachis Stimme war unbeteiligt, als hätte er die ganze Zeit nicht zugehört. Deidara setzte zu einer boshaften Antwort an, als sein Zorn allmählich verebbte. Ganz so, als würde man ein Starkstromkabel mit einer soliden Gummiisolation überziehen. Seine aufgewühlten Gedanken kamen endlich etwas zur Ruhe. Weit genug, um eines festzustellen. Bisher hatte es eigentlich keiner gewagt, ihn wirklich zu berühren. Niemand umging seine Verbote. Es war seine Art, dass seine Zurückweisung andere einschüchterte. Und wenn er sagte, dass man seinen Zeichenblock in Ruhe zu lassen hatte, wurde dem Folge geleistet. Nur Itachi setzte sich darüber hinweg, ohne sich dafür zu entschuldigen, und er, Deidara, hatte es ihm verziehen. Bisher hatte er von sich gedacht, er würde rasend werden, wenn sich jemand in seine Entwürfe einmischte. Doch als Itachi ihm die Seite gezeigt hatte, mit der er spezielle Gedanken verband, hatte die Wut einfach nicht kommen wollen. Noch schlimmer, es hatte ihn dazu gebracht, etwas mit einer fremden Skizze zu kombinieren. Unoriginell? Und wenn schon. Es war ein eigenartiges Gefühl der Vertrautheit, von einem anderen die Schläfen massiert zu bekommen, und trotz seiner miesen Lage und Itachis ziemlich kalten Fingern kam ihm die ganze Sache seltsam ruhig und unantastbar vor. Wenn er es wirklich bedachte, fehlte ihm tatsächlich die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten. Sicher, er hatte seine Gründe. Sein ganzes Umfeld war ein ermüdend-monotoner Kreis aus Floskeln, Verlegenheiten und Verfälschtheit. Menschen sagten sich so gut wie nie, was sie dachten, deshalb existierte dieser Kreislauf. Ein gewöhnlicher Mensch hätte in dieser Situation anders reagiert, hätte geschwiegen oder mit sinnfreiem Gerede genervt. Itachi handelte, wie er es für richtig hielt, was Deidara dann auch von ihm denken mochte. Deswegen hatte er den Block geöffnet. Und deswegen führte er gerade etwas durch, bei dem ein gewöhnlicher Mensch sich verlegen zurückhalten oder sich an die Stirn tippen würde. Sie schwiegen eine ganze Weile. Draußen fiel grauer Schnee aus grauen Wolken an einem grauen Himmel. "Ich habe es mich nicht getraut." Deidara öffnete die Augen, von denen ihm nicht aufgefallen war, dass er sie geschlossen hatte. Itachis Fingerspitzen verharrten regungslos auf seinen Schläfen, inzwischen waren sie wenigstens nicht mehr kalt. "Hm?", machte Deidara und legte den Kopf in den Nacken. Itachi machte sich gar nicht erst die Mühe, seinem direkten Blick auszuweichen. "Ich konnte es ihm nicht sagen.", fügte Itachi ausdruckslos hinzu. "Schon okay, hm." Langsam, fast zögerlich, setzte Itachi seine Massage fort, und Deidara schloss die Augen wieder. Er fühlte sich ausgeglichener, von der Rastlosigkeit befreit, die ihn befiel, wenn er nichts zeichnen konnte. Er hatte nicht mal den Wunsch, das zu tun. Alles, was er wollte, war sitzen zu bleiben und den Augenblick zur Ewigkeit zu dehnen. Schließlich stellte Itachi seine Massage ein. Deidara klappte seine Lider hoch, um dem fragenden Blick des Schwarzhaarigen zu begegnen. "Und jetzt?" "Jetzt flieg' ich von der Schule, hm." Itachi verzog keine Miene und deutete auf seinen eigenen Block. Offensichtlich interessierte ihn recht wenig, was nicht in unmittelbarer Zukunft lag. Deidara streckte den Arm aus, und Itachi legte ihm ein zusammengerolltes Blatt im A2-Format in die Hand. Es offenbarte ihm wenig. Eine Spirale, die sich aus dem unteren, linken Eckpunkt bis zur Mitte des Blattes hoch wand. Ein viel zu massiver Flügel, der nur aus harten Bleistiftlinien bestand und so seltsam zweidimensional wirkte. Eine zittrige Linie von der Spitze der Spirale, die ziellos übers Papier irrte. Eine makellos glitzernde Scherbe, die irgendwie in den Vordergrund gesetzt worden war. Und das alles auf einem Blatt. Deidara hielt es mit beiden Händen fest, damit es sich nicht zusammenrollte. Er erkannte Elemente von gestern, doch sie verbanden sich in seinem Kopf nicht. "Renaissance, hm?" "Hn." Er verdrehte die Augen und erhob sich. Das musste also noch verbunden werden. Das Einzige, was ihn verwirrte, war die Scherbe. Alles Andere konnte er mehr oder weniger deuten, nur dieses Glasstück war fehl am Platz. Deidara hatte das ungute Gefühl, dass Itachi nicht darüber reden wollte, was ihm dieses Element bedeutete. Immerhin, er hatte nicht wieder seine Bildergalerie abgespult. Ihm fielen die kleinen Fäden auf, wie von der Scherbe abperlten. Ratlos zog er die Augenbrauen hoch und sah Itachi an. Er zuckte nur mit den Schultern. Deidara hasste es, die Knöpfe drücken zu müssen, aber wie er schon ausreichend bewiesen hatte, war Itachi genauso stur wie er selbst. "Blut, hm?" "... Vielleicht.", erwiderte Itachi ausweichend und drehte sich weg. Deidara holte einen Bleistift aus seiner Tasche und fügte hinzu. Gefrorene, seichte Pfützen. Tränen. Alles dasselbe. Er war damit beschäftigt, den Gedanken einzubringen, als ihm Linien innerhalb des Flügels auffielen. Sie waren noch fragiler und flüchtiger und schwer zu erkennen. Deidara kniff die Augen zusammen und hielt das Blatt gegen das kalte Licht von der Decke. Ein blickloses Auge starrte in die seinen. Umrandung und Wimpern waren in allen Einzelheiten gezeichnet, bloß die Pupille fehlte. Das Papier war völlig weiß, wo sie fehlte. Er sah Itachi erneut fragend an, obwohl der andere sich wieder mit seinen eigenen Aufgaben beschäftigte. Dennoch blickte er mit einer berechnenden Art auf, als hätte er lange genug Zeit gehabt, sich die Antwort auf die ungesprochene Frage zu überlegen. "Es kam mir in den Sinn." "Wann, hm?" "Heute Nacht." Wie beneidenswert. Deidara wusste nicht mal, was ihn gestern so verbraucht hatte, dass er sich an nichts erinnern konnte. Intuitiv sah er auf, während seine Hand den Bleistift weiter über das Blatt bewegte. Er hatte erwartet, dass Itachi irgendetwas tat, weil er ein koordinierter Mensch war, einer von der Sorte, die immer etwas Sinnvolles tun mussten. Gestern hatte er sich auch ständig mit irgendetwas beschäftigt. Aber diesmal tat er nichts. Er starrte einfach nach draußen, die Lider ein wenig gehoben, als würde er auf etwas warten, das er auf keinen Fall verpassen durfte. Irgendwie hatten diese Striche unter seinen Augen etwas. Deidara hatte nichts für die äußerliche Perfektion übrig. Sie war der Inbegriff der Oberflächlichkeit, vor der es sich zu schützen galt. Hätte Itachi diese Striche nicht, wäre sein Gesicht perfekt. Seine Augen standen gerade im richtigen Winkel auf seiner blassen Haut, um einen täuschend echten Ausdruck der Zerbrechlichkeit zu erwecken. Seine Lippen waren, obwohl recht schmal, nicht reizlos und hatten den passenden Farbton für seinen Teint. Sein Haar und seine Augen sorgten dafür, dass seine Erscheinung nicht zu hell wurde. Insgesamt ein sehr hübsches Gesicht, die feingeschnittenen Züge waren der Traum eines jeden Portraitmalers. Wären diese Striche nicht. Sie unterbrachen die Perfektion und veranlassten zu einem zweiten Blick, bei dem die Unnahbarkeit in seinen Augen unangenehm auffiel und die Menschen zur Vorsicht ermahnte. Sie waren in den weichen Konturen seines Gesichts ein unpassendes Element der Härte. Deidara mochte sie. Sie ermöglichten es ihm, überhaupt Itachis Nähe zu ertragen. Mit der verkörperten Perfektion hätte er es keine Sekunde in einem Raum ausgehalten. Es war ein innerer Zwang, diese Oberflächlichkeit zu ignorieren, fast ein körperlicher Schmerz. Fakt war, Itachi hatte diesen Makel, deshalb kamen sie aus. Itachi bemerkte seinen direkten Blick und löste endlich die Augen vom leeren Hof draußen. "Woher hast du die, hm?" Zweifellos wusste Itachi, wovon er sprach. Er musste er gewohnt sein, danach gefragt zu werden. "Von einem Unfall." Also doch eine Perfektion. Sie schwiegen. Itachi drückte die Fingerspitzen gegeneinander, und Deidara studierte das, was er gezeichnet hatte. Eine Seerose. Er wusste nicht, wie er darauf gekommen war. Und vor allem stand sie Kopf. Er nahm sein Radiergummi und setzte es an. Entschieden zu kitschig. "Ein Geburtsfehler." Deidara sah auf und runzelte verwirrt die Stirn. Er neigte dazu, Nebensächlichkeiten schnell zu vergessen. Itachi mied seinen Blick. "Möchtest du unbedingt bemitleidet werden, hm?", fragte Deidara gereizt und strich sich sein Haar hinters Ohr. Itachi schüttelte den Kopf. "Dann würde ich anderen die Wahrheit sagen." "Hm." Itachis Gesicht blieb ausdruckslos. "Wegen eines Geburtsfehlers wird man bemitleidet, weil es immer schon war. Nach einem Unfall fragt niemand." Das klang plausibel. Und es war einzig der Verdienst dieser lächerlichen Floskeln, dass die Menschen sich einbildeten, bei so etwas nicht nachfragen zu dürfen. Dennoch stellte Deidara fest, dass er eigenartig erleichtert war. Itachi war kein makelloses Schöpfungswunder. Er beschloss, die Seerose nicht wegzuradieren. Aber er schwärzte ihre Spitzen und ließ sie einige Blätter verlieren. Das war Realität. Deidara war es nicht bewusst (das hieß, vielleicht war es ihm so gleichgültig, dass es auf dasselbe herauskam), aber langfristig betrachtet war er ein charakterliches Phänomen. Sein gesamtes Wesen war einzelgängerisch entwickelt, und im Prinzip benötigte er kein Privatleben. Bisher war das minimale soziale Bedürfnis dadurch gestillt worden, dass er unter Menschen war, obwohl es ihn kaum interessierte. Es gab zwar Menschen, deren Anwesenheit er begrüßte oder nicht als störend empfand, doch eigentlich waren sie für sein Gleichgewicht nicht nötig. Solange man ihn mit seiner Gedankenwelt allein ließ, suchte er den Kontakt nicht. In seinen Augen hieß es, Verantwortung für andere zu übernehmen und sich in einen endlosen Refrain von Verhaltensregeln einzureihen. Daher schien es ihm das Einfachste, zu engen Beziehungen auszuweichen und sich mit Sasoris Gesellschaft oder einsamen Nächten, die er nicht als einsam empfand, zufrieden zu geben. Getreu des Reims 'love is a name, sex is a game' hatte er noch nie versucht, mit jemandem in Kontakt zu kommen, auch wenn sein Aussehen ihm dabei nicht im Weg stand. Und jetzt? Er erkannte sein eigenes Tun stellenweise nicht wieder. Es mochte daran liegen, dass er in der Prüfungszeit etwas unter Druck stand, dennoch hätte keine Prüfung der Welt ihn derart beunruhigen können, dass er sich sein Verhalten selbst nicht mehr erklären konnte. Irgendetwas war faul mit ihm. Und Deidara hasste solche Überraschungen fast noch mehr als pappigen, vereisten Schnee. Verblüffenderweise kam keine weitere Rückmeldung wegen dem Vorfall am Morgen. Deidara war kein Vorzeigeschüler, bei dem man es sich zweimal überlegte, bevor man ihn von der Schule warf. Vielleicht musste man sich auch erst eine gute Erklärung zulegen, die die Schulleitung in gutem Licht erscheinen ließ. Deidara kümmerte das wenig. Noch war er da, und Itachis Massage hatte eine bemerkenswert nachhaltige Wirkung auf seine Emotionen. Noch waren sie nicht fertig. Bis jetzt war es nicht mehr als eine Skizze, bestehend aus verschiedenen Elementen ihres Denkens. Doch unter den dünnen Bleistiftlinien und den Kohlestrichen schien etwas zu pulsieren. Es schien zu leben. Und er würde jedem, allen voran sich selbst beweisen, wie lebendig Kunst war. Es war Mittagspause, als unverhofft das nächste Element zur Geltung gebracht wurde. Von draußen drang gedämpft der Lärm der Schüler und Studenten herein. Deidara rieb sich die Augen und stellte fest, dass sie wieder anfingen zu jucken. Itachi war gegangen, um Kaffee zu holen, obwohl sie beide notorische 'Stehenlasser' waren. Wenn er sie nicht auswusch, riskierte er eine Entzündung und das kam gerade sehr ungelegen. Kurzentschlossen stand er auf und betrat den Nebenraum. Es gab Reizvolleres als Wasser mit einer Temperatur unweit des Gefrierpunkts, außerdem gab es da einen zweiten, unangenehmen Faktor. Vorsichtig tastete er über sein linkes Auge. Im Spiegel konnte er verschwommen seine Reflektion sehen. Es war störend. Er blinzelte heftig und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Ein kleines, unscheinbares Glasstück landete auf seiner Handfläche. Als blonder Mensch zwei verschiedene Augenfarben zu haben war schon ulkig. Zudem hatte Deidara es nie gemocht. Das Blau war in Ordnung, mehr oder weniger. Aber sein linkes Auge verbarg er seit seiner Kindheit. Grün, wenn man genau hinsah, mit einem Stich Grau. Es passte nicht in sein Gesicht. Der Anschein der Perfektion, den er so hasste. Dennoch, sein grünes Auge versteckte er immer hinter einer blau gefärbten Kontaktlinse. Er hörte, wie jemand die Tür zum Kunstraum schloss. Wenn er sich in Itachi nicht täuschte, würde er sich weiter beschäftigen oder Löcher in die Luft starren, wonach ihm gerade war. Deidara grinste ironisch und setzte die Linse wieder ein, nachdem er es über sich gebracht hatte, etwas kaltes Wasser einzureiben. Seine Gedanken kehrten bereits wieder auf den Zeichenblock zurück. Itachi sah beiläufig auf. Er hielt die Skizze so, wie man etwas hält, dass man dreht und wendet, weil irgendetwas noch nicht passte. Man fand es nur noch nicht. Deidara hatte das selbst oft genug getan, um die Kritik zu erkennen. Er zog die Brauen hoch und wartete, dass Itachi damit herausrückte. Verdammt, er fing wirklich an zu kooperieren. "Du kannst es rausnehmen.", sagte Itachi einfach und glättete behutsam das Papier. Es schien, als wartete er auf etwas. "Hm?", machte Deidara. Er hatte ein schlechtes Gedächtnis für triviale Alltagsdinge. "Ich zeichne kein buntes Glas." Deidara blinzelte überrascht. Sein erster Gedanke war die Erkenntnis, warum das Auge innerhalb des Flügels pupillenlos gewesen war. Erst sein Zweiter beschäftigte sich damit, woher Itachi das wusste. Er hatte es keinem erzählt und war ziemlich sicher, dass in dieser Stadt nie jemand sein grünes Auge gesehen hatte. War es ihm vorhin entgangen, dass er länger als gedacht nicht allein gewesen war? Für Itachi war das offensichtlich gänzlich nebensächlich. Er passte die Form auf dem Blatt Deidaras linkem Auge an und deutete Wimpern und Lid an. "Ich erkenne Glas, wenn ich es sehe." In seiner Stimme schwang keine Genugtuung über diese Erkenntnis mit. Seine Hand bewegte sich sicher und bestimmt über das Papier, ohne zu beachten, ob Deidara seiner Aufforderung folgte. Dementsprechend ging der Blonde nicht weiter auf sie ein und drückte den Verschluss seiner Kaffeedose um. Seine kalte Haut prickelte dort, wo sie mit dem heißen Metall in Kontakt kam. Itachi ließ sich mit seiner Reaktion fertig, bis er die Umrisse fertiggestellt hatte. Dann hob er kaum merklich den Kopf. Seine dunklen Augen glänzten matt. "Ich weiß, was du denkst." Er sprach wieder in der leisen, leidenschaftslosen Tonlage, mit der er Deidara sosehr auf die Nerven ging. Hoffentlich wusste er das auch. "Du hältst mich für vorhersehbar und festgelegt, und weil du dich als das genaue Gegenteil betrachtest, erträgst du mich nicht." Deidara schnaubte verächtlich. Soso, der Roboter hatte Aufmerksamkeitsmangel und musste sich wieder Beachtung verschaffen. Die Psychotricks bekam man in jedem billigen Agententhriller. Er wartete, dass Itachi seine ermüdende These fortsetzte, doch der Schwarzhaarige stand lediglich ohne Hast auf und ging auf ihn zu. Gemächlich, mit fließenden Bewegungen. Wie ein Mensch, der von sich glaubt, alles annähernd Interessante dieser Welt schon gesehen zu haben und deshalb auf alles vorbereitet ist. "Und was folgern Sie daraus, Mr. Uchiha, hm?", spottete er. Dabei fiel ihm ein, dass Spott ihn heute schon mal in Teufels Küche gebracht hatte, wenn auch nicht in derselben Bedeutung. Itachi ließ sich allerdings nicht produzieren. Das grelle Deckenlicht spiegelte sich schwach in seinen Augen, als würden sie die Helligkeit allmählich aufsaugen. Sein Haar glänzte nicht, im Kontrast mit seinem Haar hätte das bloß störend gewirkt. Es war wirklich ein beneidenswertes Gesicht. Und wenn er diese Striche nicht hätte, würde er allem oberhalb des Erdbodens mühelos eine menschenscheue Marionette vorspielen. Itachi schien nicht auf seine Frage eingehen zu wollen. Stattdessen erwiderte er ruhig: "Versteckst du es der Perfektion willen?" Deidara hätte sich nicht beleidigter fühlen können. Er hasste die augenscheinliche Perfektion, er hasste sie wirklich. Und er hasste sich dafür, dass er es Itachi nicht erklären konnte. Er konnte es nicht mal sich selbst erklären. Niemand sollte es sehen, und er hatte es nie infrage gestellt. Itachi und seine Fragerei. Was würde er deswegen als Nächstes anzweifeln?! Vielleicht würde er die Worte finden, wenn er die Linse einfach herausnahm. Darin hatte er Übung. Mit Kontaktlinsen zu schlafen war angeblich ungesund. Völlig egal, aber wenn er allein war, fühlte er sich ungezwungener. Es war ungewohnt. Er sah genau den flüchtigen Ausdruck des Erstaunens, der über Itachis Gesicht huschte. Deidara hätte seiner Wut gern Luft gemacht, doch es tat sich nichts. Sie starrten sich beide ziemlich dämlich an, zumindest fand er das. Lächerlicherweise fiel ihm dabei auf, dass Itachis Augen aus vielen Nuancen von dunklem Grau und Schwarz bestanden, dass seine Wimpern dicht und leicht gebogen waren, dass seine Augen manchmal unabhängig voneinander blinzelten, dass... er dieses Gesicht anziehend fand. Völlig egal ob es hübsch oder charakterbetonend war, er fand Gefallen an diesem Mittelstück zwischen Perfektion und Weltlichkeit. Itachis Mundwinkel zuckten nach oben. Er streckte seine Hand aus und hielt Deidaras Pony fest, der sonst halb über das linke Auge fiel. Seine eigenen lächelten selbstvergessen in sich hinein, wie es kleine Jungen tun, die zum Geburtstag ein neues, feuerrotes Modellauto bekommen haben. Deidara war ein Stück größer als er. Itachi stellte sich auf die Zehen und musterte genau die Farbunterteilungen. Dabei kniff er hin und wieder die Augen ein wenig zusammen. Deidara rührte sich nicht. Itachis Atem war nicht mehr als ein dünner, fast unsichtbarer Streifen, der hin und wieder zwischen seinen blassen Lippen hervorperlte. "Hast du schon mal geküsst?", fragte Itachi unvermittelt, ohne seine Farbinspektion zu unterbrechen. "Keine Ahnung, hm." "Ah." "Eigentlich nicht, hm." Deidara zögerte einen Moment. "Und du, hm?" "Nicht wirklich." "Wenn ich vorhersehbar wäre, würde ich dich jetzt küssen, hm?" Die erhoffte Verwirrung blieb aus. Itachi ließ sich nicht erschrecken. Stattdessen zuckten seine Mundwinkel wieder, diesmal etwas länger. "Wahrscheinlich. Und?" Deidara grinste. Für ihn hatte dieses Gespräch Unterhaltungswert. Sie versuchten beide, den anderen einzuschätzen, nur um wieder vor einem neuen Rätsel zu stehen. Das war nichts, was mit Strategie zu tun hatte. Wenn man etwas tatsächlich wissen will, helfen Worte nicht mehr weiter. Es war ein Einverständnis. Nur ein Test. Itachi war es nicht gelungen, Deidaras Motive zu verstehen, und Deidara hatte es nicht geschafft, Itachis Absichten zu klären. Es war etwas absolut Synchrones, eine Kunst für sich. Ein Kuss, bei dem er herausfand, dass Itachis Lippen einen schwachen Kaffeebeigeschmack hatten und deshalb nicht so kalt waren wie seine Hände. Dass es ihn nicht verunsicherte, als er die Hand unter sein Kinn legte und den anderen Arm um seine Schultern schlang. Dieser Kuss hatte nichts von einer 'neuen Erfahrung' unter Teenagern. Sie konnten sich beide nicht erinnern, ob sie schon mal geküsst hatten, weil es für sie von jeher irrelevant gewesen war. Aber ein nicht ergründetes Mysterium barg eine eigene Faszination. Ein Kuss, bei dem er weit mehr erfuhr als nur 'Kaffee'. Ein leidenschaftlicher, rauer Kuss. Sie würden sich nichts erklären müssen. Sie hatten noch genug Zeit, die Skizze zu vervollständigen. Anm.: Eventuell ist eine Sequel in Planung. Kapitel 4: Learn To Fly ----------------------- Itachi trat zurück und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. "Bah... Du schmeckst wie ein Aschenbecher." "Tja, dann hättest du mich besser nicht geküsst, hm?" "Eher andersrum." Itachi setzte sich wieder hin, als sei nichts gewesen, und zeichnete die Pupille ein. Deidara schnaubte. So eine nebulöse Antwort passte zu Itachi, und er würde seine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass der andere etwas Besonderes damit gemeint hatte. Es erfüllte seinen Zweck – keine Gespräche, kein lästiges Geplänkel über sexuelle Orientierung und Gefühlsduselei. Derartige Sensibilitäten würden immer verhindern, dass man seine Augen komplett vom Leben auf die Kunst abwandte. Etwas, das Michelangelo begriffen hatte. Deidara drehte sich um und spuckte in den Papierkorb. Er meinte, Itachis ärgerliches Funkeln zwischen seinen Schulterblättern gespürt zu haben, ungefähr so, wie wenn man seine Handfläche über eine Kerze hält und gerade in dem Moment zurückzieht, von dem an man sich Schaden zufügen würde, aber nur einen kurzen, rasch abebbenden Schmerz behält. Itachi ließ die Leinwand unvermittelt auf den Tisch sinken, als ob ihm völlig entfallen wäre, was er zeichnen sollte. "Ist nicht vergeben können dasselbe wie Hassen?" Deidara hatte nichts für Akustik übrig, wirklich nicht. Genauso wenig wie für Kinder. Es war skurril, wie kindlich ernst und arglos Itachi klang, wie er die Stimme anhob, während man sonst stets überlegen musste, ob er eine Frage gestellt hatte. Seine erste Reaktion war ein Grinsen, doch sein Kopf war schneller als sein Gesicht. Nein, war es nicht. Irgendwie nicht. Irgendwo da gab es Unterschiede, ganz sicher. Und trotzdem bekam er sie nicht zu fassen. Er klappte den Mund auf und zu, begegnete schweigend Itachis offenem Blick, ähnlich dem einzigen Fenster in einen dunklen, staubigen Raum. Es gab eine Formulierung, die an dieser Frage wichtig war. Itachi hatte nicht 'nicht verzeihen können' gesagt. Verzeihen war alltäglich, trivial. Vergeben war etwas Anderes. Vergeben war etwas... auf einer anderen Ebene. Für Vergebung warf man sich auf den Boden, brach mit allen Grundsätzen, handelte aus dem tiefsten Wunsch, Vergebung zu erlangen (ich selbst kann das auch nicht ausdrücken. Dafür gibt es eine Kurzgeschichte namens 'Forgive me' über den Krieg, deren Inhalt ich nur wiedergeben würde, wenn ich hier näher darauf einginge. Wer sich dafür interessiert – es gibt sie sicher im Internet). "Seh' ich aus, als würde ich das wissen, hm?" Itachi hielt seiner Aufgebrachtheit stand. Durch seine Augen huschte ein angedeutetes Lächeln. "Du kannst weder küssen noch denken. Hoffen wir, dass du wenigstens zeichnen kannst." Deidara mochte keine ironischen Scherze auf seine Kosten. Dennoch, wenigstens hatte Itachi gezeigt, dass er einen verrosteten Sinn für Humor besaß. "Und du kannst keine Witze reißen, hm." Itachi beugte sich wieder über die Leinwand, nicht sichtlich gekränkt, als wäre ihm soeben eine unverrückbare Tatsache mitgeteilt worden. Stille breitete sich aus wie dicke, sanfte Watte. Ein neuer Tag und gleich wieder etwas, das er über den Haufen geworfen hatte. Er war halbwegs pünktlich, und er wusste, dass er sah. Es war ohne Zweifel nicht schlecht, die eigenen Gedanken wie Geister herumschweifen zu lassen, Dinge zu sehen, die nicht da waren oder ganz anders beschaffen. Ein Fahrradständer zum Beispiel war so langweilig, dass seine Augen automatisch begannen, sich mehr dafür zu interessieren, wie die Konstruktion unter Hitze gebogen worden war, ganz in Hellorange und Weiß, um dann unzeremoniös auf den Stein genagelt zu werden. Doch wenn er blinzelte und seine ruhelosen Gedanken zum Schweigen brachte, konnte er sehen. Wie das Eisen beschichtet war, damit es nicht rostete, es schien so, als seien es hauchdünne Metallplättchen, die übereinander an der Oberfläche hafteten. Sie glitzerten vor Raureif, das Gras war daran festgefroren. Dunkler Rost begann bereits, sich hindurchzuwühlen. Das alles war banal, dennoch war es da. Fantasie war etwas Hübsches, nur sollte sie nicht überbenutzt werden. Deidara schüttelte den Kopf. Er starrte einen Fahrradständer an und wartete darauf, am Boden festzufrieren wie das Gras. Manchmal kam er sich selbst lächerlich vor. Kahle Bäume schirmten den Himmel über ihm ab. Es hatte keinen Neuschnee gegeben, der alte war zu einer festen, glatten Masse geworden, der unter den Füßen krachte und völlig durchsetzt mit Streusalz war. Er glaubte nicht an das Schicksal. Irgendjemand anders musste etwas gegen ihn haben. Denn sonst wäre er nicht schon jetzt hier, und er wäre allein. "Hallo, hm..." Er begrüßte andere so selten mit Worten. Wann das letzte Mal? Itachi blickte ruhig auf. Er hatte sich tatsächlich auf eine der Bänke gesetzt, wo er sich im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch abfrieren würde, wenn er dort blieb. Auf seinen Oberschenkeln lag ein aufgeschlagenes Buch, nicht größer als eine ausgestreckte Hand. Seine geröteten Finger klammerten sich ungeschickt an die Seiten. Es war schwer, Bilder zu zeichnen, wenn man kein Gefühl mehr in ihnen hatte. Er nickte langsam, als wäre auch sein Kopf festgefroren, und legte den Kopf ein wenig zur Seite, die Seite, auf der noch Platz auf der Bank war. Deidara zögerte, beschloss dann, sich nicht so anzustellen und ließ sich neben dem anderen nieder. Er hatte angefangen zu sehen. Er konnte ebenso anfangen zu sprechen. Es war so, als hätte sein Denken an dem Abend, an dem ihm überhaupt nichts mehr eingefallen war, eine Generalüberholung vollzogen. Und jetzt befand er sich im Eingewöhnungszustand. Künstlerisches Coming Of Age, erstaunlich. Nicht wirklich. Aber Milliarden von ungenutzten Gehirnzellen ließen stets genügend Gründe, sich zu wundern. "Was liest du, hm?" Er fragte, weil es ein dünnes Büchlein war, das so gar nicht zu Itachis stoischem Ernst passen wollte. Aristoteles in 65 Seiten vielleicht. "Liebst du mich?" Umständlich schob Itachi den Zeigefinger zwischen die Seiten, um seinen Punkt nicht zu verlieren, und drehte ihm das Deckblatt zu. Liebst du mich? Und das in langweiligen, schwarzen Lettern (ursprünglich verfasst von Ronald D. Laing). Itachi hatte sich absichtlich so undurchsichtig ausgedrückt. Er hatte genau den Moment abgepasst, in dem der Schreck über den vermeintlichen Sinneswandel in die Glieder fährt und man noch nicht so weit ist, Misstrauen und Überlegungen aufzunehmen. Er hatte gewusst, wann der Moment vorüber war, und ihm den Schriftzug gezeigt. "Spinner, hm." Natürlich nicht. Deidara hatte von jeher einen großen Bogen um das leidige Thema gemacht. Alles, was er an Überzeugung gefasst hatte, war die, dass man sich nicht völlig verlieben konnte. Es gab immer irgendein Detail, eine Eigenschaft, die man nicht mochte, in die man sich nicht verlieben konnte. Liebe war keine Perfektion, das war unmöglich. Unmöglich zu perfektionierende Dinge waren eine Wissenschaft für sich. Möglicherweise hatte er ein Eigentor geschossen, er, der Perfektion verabscheute, konnte demnach nicht vor etwas gefeit sein, das niemals perfekt sein würde. Es gab Zeiten, da wünschte er sich, das menschliche Gehirn würde weniger Zellen beinhalten. Würde das Denken hin und wieder stark vereinfachen. Itachi bedachte ihn mit einem unsichtbaren Lächeln, einem ach so schwachen Spannen seiner blassen Lippen, und senkte den Kopf wieder, vertieft in seine Lektüre. Sie könnten Smalltalk machen. Sie könnten sich über das Bild unterhalten. Sie könnten sich mal in Bewegung setzen, sonst würden sie einen Tag verschwenden, und die meiste Arbeit war noch lange nicht getan. Verschwendung. Daran mangelte es hier nicht. Warum sonst überzog die Nacht alles mit Frost, umkränzte jeden einzelnen Grashalm mit winzigen Eiskristallen, wenn die ersten Sonnenstrahlen das wieder wegschmolzen? Ein unrühmliches Ende, wenn man den hässlichen, schmutziggelben Fleck in Betracht zog, der sich mit Mühe durch die trübe Wolkendecke kämpfte. "Was hast du vor, wenn du hier wegbist?" Itachi nahm den Blick nicht von den spärlich bedruckten Seiten, aber immerhin setzte er den vagen Grundstein für ein Gespräch. Na ja, wegsein würde er schnell. Und Itachi schien den Gedanken erraten zu haben, oder vielleicht hatte er ihn von Anfang an mitgerechnet, jedenfalls fügte er hinzu: "Es gibt eine Art Stipendien für eigene Projekte." Deidara hatte es nicht so mit den Zukunftsträumen, deshalb fiel ihm darauf keine Antwort ein. Träume waren so kurzlebig, ohne dass man sie auf Papier bannen konnte. "Nichts. Du, hm?" Es stimmte nicht, dass er nichts vorhatte. Er würde auf jeden Fall irgendetwas tun, soviel stand fest. Als einziges. Itachi starrte das Buch an, ohne dass seine Augen weiterwanderten. Er las nicht mehr. Sie waren vermutlich an dem dramatischen Punkt, dass Deidara die Gegenfrage gedankenlos gestellt hatte, und Itachi scheute sich, jemandem einen Einblick zu gewähren. Als würde der es einfacher machen, ihn zu verstehen. "Ich will nach Venedig." Künstler war eh der Nummer-eins-Alptraumberufswunsch für jeden Vater. Und Venedig war noch schlimmer. Man verbrachte seine Zeit damit, den Boden zu bemalen, über den und das entsprechende Werk Tausende von Menschen in wenigen Stunden wieder herübertrampeln würden. Und mit den Portraitmalern verhielt es sich nicht besser. Es gab keine Garantie, dass der Kunde das so sorgfältig gemalte Bild nach der nächsten Ecke zerriss, weil es nicht geschmackvoll oder schmeichelhaft genug war. Und bei beidem verdiente man schlecht. "Kann ich mir nicht vorstellen, hm." Deidara ließ offen, ob er diese Wahl für unklug hielt oder Itachi nicht als die richtige Person für so ein Leben erachtete. Schlussendlich wusste er es nicht. Einerseits klang der Plan aufregend, und andererseits kannte er Itachi kaum. Und eine Menge Menschen waren der Meinung, je verschwiegener und geheimnisvoller ein Künstler war, desto besser müsste er sein. Irgendwie ließ es sich nicht vereinbaren. Itachis mentale Bildergalerie, mit der er seine Prüfung mit Bravour machen würde, und das unsichere Leben voller fremder Gesichter, die auf eine Art dem flüchtigen Auge präsentiert werden mussten, dass sie... Deidara hätte es 'hübsch waren' genannt, doch so simpel war Itachi wohl auch nicht gestrickt. 'Anders', das war eher passend. "Sondern?" "Weiß ich nicht, sagte ich bereits, hm." "Stipendium?" Deidara lächelte ein wenig über die Wortkargheit des Gespräches. "Ausgerechnet ich, wo es ein Wunder ist, dass ich noch nicht suspendiert bin, hm?" Ihn jetzt zu suspendieren wäre tödlich für seine Zulassung zu den Prüfungen – aus dem stupiden Grund, dass seine Anwesenheit zwingend war, um die Benotung des Bildes tatsächlich für ihn zu akzeptieren. Itachi klappte sein Buch zu und steckte es mit einer abnormalen Sorgfalt zurück in seine Tasche. Der Einband war zerschlissen und die Farbe teilweise abgeblättert. Es erinnerte Deidara seltsam lebhaft an seinen Block. Genau so, wie er nicht wollte, dass andere darin herumblätterten, wollte Itachi offenbar nicht, dass das Buch noch mehr beschädigt wurde. "Die Stipendien hier werden von Privatpersonen übernommen. Du musst sie nur begeistern." Der letzte Satz klang beißend ironisch, was umso stärker auffiel, da Itachis Stimme sonst unbewegt und nichtssagend über seine Gemütsverfassung war. "Müsste ich dich dann etwa mitnehmen, hm?" Es sollte sich scherzhaft anhören, aber irgendwie tat es das nicht. Es lag nicht an ihm, sondern an der Situation. Itachi sah ihn beinahe belustigt mit seinen leicht schrägen, dunklen Augen an und sagte nichts. Es war unmöglich zu sagen, was er dachte oder was sein Schweigen ausdrückte. Deidara schnaubte, was eine Wolke weißen Wasserdampfs in Itachis Richtung sandte, und beobachtete gedankenverloren, wie der Frost in seine Hände biss. Motive hatten sie genug, die Freiräume würde die Farbe füllen. Und über Farben waren sie sich nicht einig. Deidara wollte eine aquamarinblaue Scherbe mit verschwommenen Konturen, Itachi wollte blassorange und scharf geschnittene Linien. Spätestens jetzt erkannte Deidara, was der besondere Haken daran war, mit Itachi arbeiten zu müssen. Er schien komplett unfähig zu sein, Kompromisse zu machen. Deidara war ebenfalls nicht besonders gut darin, und sein Kompromiss bestand darin, Itachis äußerst langwierig gemischtes Blassorange in einem unbewachten Moment mit einem grässlich grellen Neongelb zu überdecken. Das Farbe sickerte durch das Blatt, das sie als Demonstrationswerkzeug benutzt hatten. Es sah, um die Wahrheit nicht zu beschönigen, scheußlich aus. Neongelb in seiner ganzen unverdünnten Kraft schmerzte bereits in den Augen, doch anscheinend war das leicht zu verschlimmern. Deidara suchte mehrere Sekunden lang nach einer Beschreibung für den genauen Ton, was im Ansatz scheiterte. Itachi starrte mit deutlicher Fassungslosigkeit auf die Verschandelung seiner Anstrengung. Sein Brustkorb hob sich unter dem gefütterten Wintermantel, und für einen Moment dachte Deidara, er würde schreien. Stattdessen spannte er auf eigenartige Weise die Finger seiner linken Hand an: alle Finger standen in etwa im Winkel von neunzig Grad und knickten dann ein Stück ab. Mittel- und Ringfinger drückte er dabei zusammen, während der Zeigefinger und insbesondere der kleine Finger abgespreizt waren. Der Daumen umklammerte etwas, das nicht da war. Deidara musterte die seltsame Position mit wachem Interesse. Sie schien Itachi den Ärger ein wenig zu nehmen, was wohl die originellste Beruhigungsart war, der er je beigewohnt hatte. Und von diesen kannte er einige, denn Schulpsychologen sahen es als ihre Aufgabe, exzentrischen, eigensinnigen Schülern wie ihm das Temperament abzugewöhnen. "Dann eben blau." Itachi klang nicht sonderlich begeistert. Die Finger seiner linken Hand senkten sich in einem nicht festzustellenden Takt. Deidara achtete nicht auf die Antwort. "Was soll das, hm?" Itachi lächelte, fein und ironisch. Deidara war nicht sicher, ob er deshalb ungehalten oder ebenfalls belustigt sein sollte, und die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Itachi etwas aus seiner Manteltasche holte. Von der Art her, wie er zögerte, ließ sich ableiten, dass seine misstrauische Seite das nicht billigte, doch tatsächlich so etwas wie Neugier überwog. Er zog nicht gerade das hervor, was Deidara erwartet hatte – einen mp3-Player, ein gewöhnliches Modell. Einen der kleinen Kopfhörer hielt er Deidara hin, den anderen befestigte er an seinem eigenen Ohr. Zuerst ertönte nur knisterndes Rauschen. Dann klopfte jemand mit einem metallenen Stift auf eine harte Oberfläche, und das Rauschen wurde verdrängt von der schrillen Stimme einer Violine. Jemand spielte mit einigem an Übung, allerdings auch sehr zornig ein simples Stück. Wann immer der Bogen auf eine falsche Saite abrutschte und einen störenden Nebenton erzeugte, wurden die Striche schneller und energischer – aggressiver. Diese Aggression nahm ab und kehrte zurück, sobald ein neuer Fehler unterlief. Der Spieler ließ sich nicht abhalten, bis er beim finalen Ton erneut abrutschte und einen hässlichen, kreischenden Ton erzeugte. Der Spieler fing daraufhin von vorne an, schnell und wütend und unzufrieden mit sich selbst. Die Melodie verzerrte sich fast bis zur Unkenntlichkeit, aber der Spieler baute so lange Wiederholungen ein, bis er es passabel zu Ende gebracht hatte. Itachi lauschte den geradezu jammernden Tönen mit einem selbstvergessenen Lächeln, selbst als die Aufnahme endete und Deidara ihm den Kopfhörer zurückgab. "Bist du das, hm?" Itachi wickelte das Kabel ruhig um den mp3-Player. "Mit fünf Jahren." "Das war scheußlich, hm." Na ja, vermutlich das Niveau eines Fünfjährigen, der viel geübt hatte, obwohl er keine rechte Hingabe empfand. Itachi nickte bloß. "Ich habe es gehasst.", bestätigte er gleichmütig. "Warum hast du es trotzdem gespielt, hm?" Die Antwort darauf schien Itachi vorsichtig zu wählen. "Mein Vater fand das Zeichnen kein angemessenes Talent." Deidara hätte beinahe gelacht. Man musste erst mal auf die Idee kommen, die Begabung seines Sohns mit Gewalt auf einen anderen Sektor der Kunst verschieben zu wollen. Und noch vor kurzer Zeit hätte er absolut sicher bestritten, dass Itachi überhaupt Talent hätte. Es war wieder still, während die quäkenden Töne der Geige, auf der ein missmutiger Fünfjähriger spielte, noch im Raum hallen zu schienen. "Wie hieß das Stück, hm?" Itachi setzte sich wieder hin und begann, eine neue Farbe zu mischen. Ein lebhaftes Rot, wie das Blatt eines Zierahorns, wenn auch nicht ganz. Es erinnerte an... den glänzenden, warmen Klangkorpus einer Violine. "'Des Teufels Traum'." (wenn ich mich recht erinnere, von Weber) Das Gefühl schwelender, verbissener Wut, es fehlte dem Bild noch. Selbst, wenn es außer ihnen niemand verstehen würde... "Wir sollten das Bild so nennen, hm." Itachi malte ein weiches Lächeln auf das Papier, obwohl es nicht mehr als ein Farbfleck war. "Sollten wir." Die Scherbe wurde schließlich aquamarinblau. Sie hätten sich gratulieren sollen zu ihrem ersten erfolgreichen Kompromiss. "Du bist so ruhig." Personen wie Sasori, die sich die Ruhe zum Wesenszug gemacht hatten, waren durchaus in der Lage, die verschiedenen ihrer Arten zu unterscheiden. Und wenn Deidara versuchte, seine von der Kälte steifen Finger auf der Platte des Cafeteriatisches in etwas zu versetzen, was vage der Position beim Spielen eines Saiteninstruments ähnelte, zählte das eindeutig nicht zu der unzufriedenen, fast schmollenden Verschwiegenheit, die zutage kam, wenn er sich nicht gerade über etwas aufregte. Und das war schon längst fällig, denn es entsprach tatsächlich der Wahrheit, dass er die vergangenen eineinhalb Wochen in einem unbeheizten Flügel mit Itachi Uchiha verbracht hatte. Deidara tat den Kommentar mit einem Schulterzucken ab. "Kannst du Geige spielen, hm?" "Nein, nur Cello." Deidara bedachte ihn mit einem auffordernden Blick, den Sasori unbeeindruckt erwiderte. "Hab's aufgegeben." Zur Untermalung zog er seine verschränkten Arme auseinander und offenbarte einen neuen Verband um das Gelenk seines Ringfingers, der ihn effektiv daran hinderte, ihn richtig zu knicken. Deidara nahm das mit einem nicht weiter interessierten Nicken auf und testete stattdessen, wie schnell er die Positionen seiner Finger ändern konnte. Sasori beobachtete das mit mildem Amüsement. Vielleicht gab es so etwas wie charakterverändernde Wirkungen von Kälte auf das menschliche Gehirn. "Würdest du nach Venedig gehen, hm?" Deidara sah ihn mit verstohlener Neugier an. Dabei rieb er sich das linke Auge. Er rieb es in letzter Zeit so oft. Sasori brauchte nicht lange über die Antwort nachzudenken. "Nein." Die kategorische Ablehnung ohne Begründung schien Deidara zu ärgern, er verfiel wieder in brütendes Schweigen, während die schmelzenden Schneeflocken schmutzige Schlieren an die gerade geputzten Fenster der Cafeteria malten. Es schneite schon wieder, der nasse Schnee hatte etwas krampfhaft Erstickendes. Nichts Sanftes, Stilles dabei. "Warum?" Sasori fand es aus irgendeinem Grund nötig, nachzufragen. Nicht mal, weil er übermäßig wild darauf war, zu erfahren, warum Deidara plötzlich mit neuen Themen anfing. Einfach, da sie nie über Zukunft und die Meinungen darüber geredet hatten – nie, ihrerseits gefangen von den Floskeln, sich nicht zu stark annähern zu wollen. Etwas, das Deidara vermutlich gerade erst vage bewusst wurde. Deidara wischte mit dem Handrücken über die beschlagene Scheibe. Es schien irgendetwas an dem leeren, gräulichen Hof zu sein, das ihn faszinierte. Oder er sah einen ganz anderen Hof, den Hof einer Kathedrale, mitten in dem Kanalgewirr von Venedig. "Wie spielt man Cello, hm?" Es wird nur noch ein Kapitel geben. Danach kann man es noch weiterführen, das müsste dann die holde Leserschaft entscheiden. Kapitel 5: Snow --------------- 'Des Teufels Traum' fand allmählich ein Ende. Itachi sprach nicht mehr viel, noch weniger als vorher, und sah oft aus dem Fenster. Die Heizungen waren wieder intakt, weshalb die Scheiben mit gräulichen Schlieren beschmiert waren und das Wasser, das aus den Hähnen kam, nicht im Mindesten wärmer. Deidara empfand es fast so, als wäre es schade. Es war nicht mehr so kalt, dass die Finger steif wurden und der Atem weiße Wolken bildete, aber damit kehrte Konventionalität zurück. Itachi würde ihn nicht mehr küssen, weil seine Lippen blau anliefen, und Deidara würde es nicht mehr zu seiner Aufgabe machen können, Kaffee aus dem Automaten zu holen, um den man die Hände faltete und es genoss, wie die Haut anfing zu prickeln. Die Kompromissversuche waren häufiger geworden, allerdings gab es immer noch eine ziemlich hohe Misserfolgsquote dabei. Itachi war sehr misstrauisch, was Diskussionen über die richtige Farbgebung anbetraf, seit Deidara sein Blassorange ruiniert hatte, und hielt bei den besagten Diskussionen Abstand, um außer Pinselreichweite zu sein. Wenn man viel Zeit mit jemandem verbringt, entwickeln sich zwangsweise bestimmte Verhaltensmuster dem anderen gegenüber. Itachi hatte kein Muster, dafür einen unbeirrbaren Grundsatz: in seiner Gegenwart wurde nicht geraucht. Schon der Anblick von Zigaretten störte ihn offenbar, und nachdem Deidara sich beratungsresistent gezeigt hatte, auch mit Aussicht auf Lungenkrebs, hatte Itachi genug. Rauchen war im Gebäude ohnehin verboten, aber wenn schon die Heizungen in diesem Bereich ausfielen, konnte man sich vorstellen, wie sensibel die Rauchmelder waren. Itachi löste das Problem, indem er ging. Anfangs genügte es ihm, in den Nebenraum mit den Waschbecken auszuweichen. Dann schloss er die Tür und schob einen Stuhl unter die Linke – Deidara fand ihn da schon paranoid. Und irgendwann antwortete Itachi aus dem Grund nicht mehr auf entnervte Rufe, weil er nicht mehr da war. Meistens kehrte er nach einer Weile zurück, oder sie stritten ein wenig durch das Fenster, bis er sich zurückbequemte. Streit fand nie unter Aufbietung vernünftiger Argumente statt. Itachi ging grundsätzlich nach draußen. Es schneite immer noch dicke, nasse Flocken, die wegen der inzwischen intakten Heizungen auch im Umkreis dieses Gebäudetrakts schmolzen. Und heute war anscheinend der Tag, an dem er entschieden hatte, weder zu streiten noch von sich aus zurückzukommen. Er blieb in Sichtweite der Fensterreihe – Deidaras Sichtweite – und lehnte sich dort gegen einen Baum, wo der Schnee noch liegen blieb. Das einige, was er noch tat, war sich den Schal über Mund und Nase zu ziehen – sah aus wie ein Tuareg – und die Arme zu verschränken. Deidara hatte wirklich keine Lust, rauszugehen und Itachi zu holen, nur weil er schmollte und schon den Gedanken an Zigaretten hasste. Außerdem war er nicht bereit, sich von Itachi auf diese Weise zu einer Reaktion zwingen zu lassen. Natürlich konnte Interaktion nicht nur auf der Ebene von ein paar abgehackten Sätzen, raren, wenig zärtlichen Berührungen und schwer zu deutenden Blicken verharren. Aber darüber hinaus konnte jede Menge schief gehen... Deidara wollte ungern darüber nachdenken, ob er beziehungsgestört war, asozial, pathetisch oder einfach nur ängstlich. Seit Itachi ihn gefragt hatte, ob er ihn liebe, natürlich ein reines Zitat, war kein Wort mehr in der Richtung gefallen. Und warum auch, Künstler lebten unter dem wunderbaren Klischee, wunderlich und sexuell in alle Richtungen offen zu sein. Eine der wenigen Gegebenheiten, die Deidara auf seine Art schätzte. Vielleicht sollte er nach Paris, wenn er fertig war. Dass sein Französisch bestenfalls gebrochen war, machte die Sache ausnahmsweise interessanter. Und ein abgebrochenes Studium machte sich sozusagen gut. Deidaras Gedanken waren zäh und langsam, das vorherige gewissermaßen nur die Zusammenfassung von Bruchstücken, die sich äußerst gemächlich aneinander fügten. Und er brauchte eine gewisse Zeit, um seine eigenen Gedanken als Ganzes zu verstehen, als er sich die Hände rieb. Sie waren unangenehm warm, weil er den Spachtel zu fest aufgedrückt hatte (ob das Werkzeug so heißt, weiß ich leider nicht genau. Es besteht aus Metall, mit einer abgebogenen Fläche, auf die Farbe gestrichen wird). Itachi hatte nicht gewollt, dass das Gewirr um die Pupille zu pastos gestaltet wurde, aber er war gerade nicht da, um ihn aufzuhalten. Denn Itachi hatte tatsächlich den Nerv, wie ein Denkmal seiner Selbst vor dem Baum zu stehen. Es schneite noch, doch da die Äste der Kiefer ohnehin auf jeder Nadel mit nasskalten Flocken besetzt waren, bekam man entweder gar nichts oder alles auf ein Mal ab, Mittelding gab's nicht. Sein Schal war wieder herabgerutscht – was gut war, Deidara fand diesen Bombenleger-Flair leicht beunruhigend – und seine Augen geschlossen. Niemand, nicht mal Itachi, konnte im Winter im Stehen einschlafen, während sich über ihm Äste voll widerlichem Schnee bogen und er jederzeit den Jackpot auslösen konnte. Ganz davon zu schweigen, wie lange er da schon stand, nur, weil er Zigaretten verabscheute und kindisch reagierte, wenn er seinen Willen nicht bekam. Deidara stand auf, wobei Wirbel in seinem Nacken unangenehm krachten, und trat vor eins der Fenster. Itachi regte sich nicht. Die Kiefernäste waren wirklich sehr beladen. Barcelona? Na gut, er konnte kein Spanisch, aber erstens kam man mit Englisch und Herumgefuchtel meist überall durch, und zweitens hatte er schon immer mal die Sagrada Familia besichtigen wollen. Andererseits hielt er sich von kirchlichen Gebäuden meist fern. Im Winter ging das Tageslicht so schnell aus. Allmählich konnte er Itachis Miene nicht mehr erkennen. Rom war klasse, sehr künstlerisch. Allerdings noch mehr Kirche als in Barcelona. Die Heizung wärmte pflichtschuldig seine Beine an. Die Dunkelheit und die schleichende Wärme machten ihn schläfrig. Athen ließ viel mehr Platz zur Interpretation. Obwohl Deidara wirklich nicht vorhatte, eine Vase zu bekritzeln oder Steinchen für ein Mosaik zusammenzubasteln. Wie es sich anfühlte, zu schlafen und plötzlich mit schwerem, beißendem Schnee übergossen zu werden? Das stieß an die Grenzen von Deidaras Vorstellungskraft, schließlich hatte er bereits sein 'Kindheitstrauma' zu verarbeiten, und da war es nur eine Handvoll Schnee in den Kragen gewesen. Seitdem mied er sorgfältig sämtliche Orte und Personen, die das wiederholen könnten. Sasori würde niemandem eine Handvoll Schnee in den Kragen stopfen, nicht mal, wenn er nur noch dreißig Sekunden zu leben hätte. Alles in allem war er offensichtlich zum Süden hingezogen. Venedig zählte auch als Süden. Das Neonlicht machte den Schnee noch unfreundlicher. Deidara wollte nicht raus, er hatte seine Jacke an der Garderobe gelassen, und obwohl er die Kälte im Kunstraum auf gewisse Weise vermisste – er vermisste es nicht, sich der Kälte der Witterung auszusetzen, die zum selben Resultat führte. Er versuchte, wieder an Barcelona zu denken, seinetwegen sogar an Venedig. Aber der Gedanke an grässlichen, pappigen Schnee, der überall war, alles durchnässte und kalt war... Scheiß Kindheitstrauma. Deidara wandte sich zur Tür und starrte sie an. Über den Flur mit dem Neonlicht, den Pfützen, die etwas von Tränen hatten, den vereisten Hof, auf dem man sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit langlegen würde, und durch den Schnee... Er war im Erdgeschoss. Er konnte genauso gut aus dem Fenster klettern. Die Äste ächzten leise unter der erstickenden Last. Deidara warf einen zweifelnden Blick auf die bedrohlich herabstürzenden Flocken. Dann öffnete er das Fenster und konnte nicht glauben, dass er so auf Itachis kindische Erpressung ansprang. Und sich das nicht mal eingestand, sondern sich etwas von einem Kindheitstrauma erzählte. Eine Schraube hatte er gut und gerne locker, traumatisiert war er nicht. Seine Stiefel – Gott sei dank keine Schuhe, seine Paranoia gegen Schnee verbot ihm das in den Wintermonaten – sanken tief in weiße, klebrige Masse ein, deren vereiste Kruste leise krachte. Die Luft war kalt und formte kleine Wolken, und seine Haut prickelte protestierend, als die Außentemperatur so plötzlich sank. "Itachi, hm." Keine Reaktion. Natürlich. Warum auch aufwachen, wenn da ein paar Zentner Schnee bloß darauf warteten, dieses zu übernehmen? "Itachi, hm!" Schlief er überhaupt? Wer schief denn im Stehen, und das draußen, falls er nicht völlig übermüdet war? Und dabei sah er noch so... chromatisch aus. Fahle Neonstrahlen überall. Deidara streckte die Hand aus und lehnte sich vor, so weit es ging. Er wollte nicht unter die Kiefer. Absolut nicht, er würde alles abkriegen und das lag nicht in seiner Absicht. Eine leichte Brise strich über den Hof und brachte ein paar Eiskristalle mit sich. Die Kiefer knarzte. Deidaras Mund wurde trocken. Er hatte nicht wirklich die phobieähnliche Panik-Angst vor dem pappigen Schnee, er war sich nicht mal sicher, ob er Angst hatte. Seine Mundhöhle war immer noch trocken, und er hätte sich räuspern müssen, bevor er etwas herausbekam. Dennoch, seine Knie zitterten nicht – doch, bloß wegen der Kälte –, sein Herz raste nicht – doch, das war in letzter Zeit etwas öfter so gewesen, er würde das im Auge behalten müssen –, und sein Kopf war nicht leer. Doch, irgendwie. Seit sein rastloser Schöpfungsdrang einer neuen Phase gewichen war, dem sehnsüchtigen Streben nach dem, was nur er wahrnehmen konnte. Vermutlich hatte Itachis Stil der schönen, nichtssagenden Bilder das ausgelöst. Deidara streckte sich noch ein wenig mehr und versuchte gleichzeitig, Balance zu halten. Er hatte keine Angst, aber er war fühlte sich... bedroht. Wie in einem Alienfilm, wo weiße Chemikalien auf jemanden nieder regneten und ihn zersetzten oder sich zu einem Wesen formten, das seine Fangarme- Also gut, jetzt hatte er Angst. Je länger er mit dem Schnee allein war und je länger er sich Gedanken darüber machen konnte, was er alles mit Schnee identifizieren konnte, desto mehr wurde ihm klar, dass er eine durchaus bleibende Angst entwickelte. Itachis Lider schoben sich ein Stück auf. Sie waren verklebt und schwer, er hatte zumindest gedöst. Es war unbegreiflich, wie er das hatte tun können. Nachdem er ausgiebig geblinzelt hatte, machte er Anstalten, sich vom Stamm der Kiefer abzustoßen und eventuell erfrorene Gliedmaßen zu bewegen. Deidara war schneller. Er machte einen großen Schritt vorwärts und packte Itachis Schulter, womit er ihn effektiv daran hinderte, sich überhaupt zu bewegen. Der Schwarzhaarige belohnte ihn mit einem befremdeten Blick – ob er nun damit meinte, dass Deidara hier draußen war, dass er ihn festhielt oder dass er aussah, als empfände er persönliches Grauen. Deidara starrte demonstrativ nach oben. Gott sie Dank fiel der Groschen, denn er war nicht sicher, ob seine Stimme bereits wieder so leistungsfähig war. Er stand jetzt noch weiter unter der Kiefer, eine Schneeentladung würde also sicherlich auf ihn prasseln, wenn sie stattfand. Es war nicht nur kein beruhigender, sondern ein erstickender Gedanke. Itachis Augen wanderten von der Hand, die seine Schulter wie ein Schraubstock umklammerte, zu dem bedrohlichen Baldachin aus Weiß. Er zog einen Fuß aus der Schneewehe unter der Kiefer, wie um einen sehr, sehr vorsichtigen Schritt aus der Gefahrenzone zu machen. Gleichzeitig legte seine Hand sich wie ein kaltes, kleines Gitter über Deidaras. Deidara war drauf und dran, ihm mit seiner vermutlich schwachen und piepsigen Stimme deutlich zu sagen, dass jetzt kein Moment für romantische Anwandelungen war. Er sprach die Worte nie aus. Itachis Fuß, der zuvor ein Stück über dem Boden verharrt hatte, holte Schwung und trat mit voller Wucht rückwärts gegen den Baumstamm. Tonnen massiven Weißes lösten sich aus den Ästen und begruben alles unter sich. Deidara hatte Schnee in den Augen, in den Ohren, im Mund, in der Nase. Und im Kragen. Der einzige schneefreie Fleck war seine Hand, die nach wie vor Itachis Schulter hielt wie einen Rettungsanker. Prustend schüttelte er sich. Pappiges Nass überall, und er hasste es. Seine Zähne schlugen vor Kälte aufeinander, und er fühlte sich miserabel. Und unangenehm wach. Itachi kämmte Schneebrocken aus seinem Haar, und nach einem kurzen Überlegen und einem kaum sichtbaren Lächeln auch aus Deidaras. Der Ausdruck in seinen Augen ähnelte dem, den er von den alten, französischen Gemälden von entblößten Kurtisanen kannte – überlegen, amüsiert, und fast beiläufig, als wäre ihnen nicht aufgefallen, dass sie unbekleidet waren. Und in diesem Fall, dass er vollends Schuld an der plötzlichen Lawine war. Klamme Kälte kroch seinen Rücken herunter. Deidara fror, und er fühlte sich nicht gerade wohl in seiner schneeverseuchten Kleidung. "Du... du spinnst doch, hm!" Die Beiläufigkeit schwand ein Stück aus Itachis Blick und machte überlegenem Amüsement Platz – so, wie man ein Lächeln manchmal nicht unterdrücken kann, selbst wenn es besser wäre. "Der Abgabetermin ist morgen." Der Themenwechsel war schon beinahe dreist. Deidara spürte, wie allzu vertraute Wut seine Gedanken flutete und zumindest auf seinen Wangen die Kälte vertrieb. "Weißt du, wie egal mir das ist, hm?!" In Wirklichkeit hasste er den Abgabetermin. Er hatte sich Mühe gegeben bei 'Des Teufels Traum', es beinhaltete neuartige Erfahrungen und er war auf gewisse Weise stolz auf das Werk – auf das Ganze, nicht bloß auf seinen Anteil. Die Ausstellung würde völlig vermasselt sein, wenn er wusste, dass das Bild nicht zählte. Er war raus. Itachi sah ihn unfassbar ruhig an. Ein feines Zittern rüttelte ihn stetig. "Das sollte es nicht." Die Zurechtweisung traf Deidara unvorbereitet. Für einen Sekundenbruchteil wollte er Itachi nur gegen den Stamm der Kiefer rammen und erleben, wie seine beschissenen Puppenaugen überrascht aufklappten. "Es betrifft mich ja nicht mehr, hm." Natürlich, rein theoretisch konnte er einen Mäzenen finden und ein Stipendium bekommen, aber das würde seine Selbstachtung mehr als alles Andere untergraben. Und wenn er Tag für Tag mit seinem Stolz haderte, würde er auch nichts Nennenswertes schaffen können. Itachi, der immer noch seine Hand hielt, fixierte flüchtig einen Punkt irgendwo rechts von ihm, als sei das für ihn nicht von Belang. Was es letztendlich nicht war, natürlich. Selbst Sasori hätte bei der gesammelten Ironie der Situation gegrinst. Schließlich zuckte Itachi schlicht mit den Schultern und zog ihn endlich aus der fadenscheinigen Überdachung der Kiefer. Keine Ahnung, wie viel Zeit sie hier verplempert hatten. Itachi steuerte unbeirrbar das Fenster an und blieb davor stehen. Dann drehte er sich um, küsste Deidara auf die blau angelaufenen Lippen, und kletterte erstaunlich behände hinein. Als hätte er gerade etwas bekommen, was er haben wollte. Deidara hatte ein faules Gefühl, als er Itachi am nächsten Morgen nicht fand. Sein Zimmer war chaotisch wie immer, und doch herrschte eine dezente Ordnung, die vorher nicht da gewesen war. Das Bett war zerwühlt, und Itachi weg. Es war ein so ungewohntes Wissen gewesen, eine Ahnung, sein Bett nicht für sich allein zu haben, darüber nachdenken zu müssen, wenn man sich auf die andere Seite rollte, den Sex zu resümieren, halbherzig ein paar hohle, künstlerische Gedanken vorbeiflattern zu lassen und sich schließlich ohne Nachdenken auf die andere Seite zu rollen und warme, atmende, bei zu viel Bewegung und Schubsen knurrende Haut zu spüren. Pieksendes, knisterndes Haar auf dem Kopfkissen, hin und wieder ein unbestimmter Ruck der Decke, und noch etwas öfter hin und wieder ein schlecht gezielter Kuss. Deidara wusste nicht, warum Itachi zur Universität gegangen sein sollte, ohne ihn zu wecken. Aber letztendlich musste es so sein, die Ausstellung war ein nicht zu versäumender Termin... aus welchem Grund auch immer. Murrend wälzte Deidara sich aus dem Bett. Draußen schneite es schon wieder. Itachi war weg und blieb weg. Deidara suchte im Raum 128, sogar auf dem ganzen Flur. 'Des Teufels Traum' hing bereits hinter einer verräterischen Glasscheibe in der Ausstellungshalle, die sich allmählich füllte. Außer Itachi konnte es niemand dort deponiert haben, er hatte den Schlüssel zu dem Schrank, in dem sie es aufbewahrt hatten. Deidara begriff es nach wie vor nicht, und zum ersten Mal wünschte er sich, er hätte etwas eher Privates getan, wie zum Beispiel, Itachi nach seiner Handynummer zu fragen. Also gut, er hatte nicht geplant, ihn mit ins Studentenwohnheim zu nehmen, geschweige denn mit auf sein Zimmer, aber so ein großer Fehler war das auch nicht gewesen. Schließlich war es ja ein so schönes Klischee, dass Künstler sexuell für fast alles offen waren. Und, stellte Deidara mit einer gewissen Genugtuung fest, ein Mann war eh nicht so großartig anders als eine Frau. Äußerlich. Er hatte wirklich nicht vorgehabt, das zu tun, doch es ließ sich wohl nicht vermeiden. Er musste ins Sekretariat gehen. Der Gedanke ließ ein nervöses Prickeln in Deidaras Magengrube entstehen – weniger, weil er dort ohnehin seinen obligatorischen Rauswurf bestätigt bekommen würde, und mehr, weil es ihn einfach ärgerte. Wenn er sich ein einziges Mal beherrscht hätte, könnte er sein wie alle anderen, die hier voller Stolz umherschlenderten oder ihre Vitrinen bewachten. Er hatte einen Schritt weiter in die Richtung zu dem gemacht, was er seit der letzten Nacht die Perfektion der Antiperfektion nannte – und es nahm so ein Ende. Hätte das nicht Itachis Arbeit genauso ruiniert, hätte er die Leinwand abgenommen. Er wollte nicht, dass jemand das betrachtete, was dieser Jemand nicht verdiente. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Sasoris mittlerweile etwas weniger kurzes Haar. Sasori hatte ihn fraglos gesehen, doch Deidara wollte auf keinen Fall mit ihm reden, sich nicht so unruhig zeigen, wie er war. Er täuschte Nichtbemerken vor und schob sich rasch durch eine Gruppe interessierter Zuschauer zur Treppe. Als er endlich die braun lackierte Tür des Sekretariats erreichte, hämmerte sein Herz, und seine Handflächen waren glitschig. Der Kragen seiner Jacke klebte lästig. Deidara atmete tief ein um den leichten, steten Druck um seine Brust loszuwerden, und drückte die Klinke herunter. Erst klopfen. Na gut, schon passiert. Eine ältliche Dame hob den Kopf, als er eintrat. Wegen der Ausstellung war der Raum, in dem es nach Kaffee und Papier roch, ansonsten leer, und Deidara war froh darüber. "Was kann ich für dich tun?" Sekretärinnen duzten immer alles und jeden, das hatte Deidara früher lustig gefunden. Diese war freundlich, wenn auch leicht angespannt, als erwartete sie eine dümmliche Frage, die sie schon mehrmals an diesem Morgen beantwortet hatte. Deidara hoffte, dass dem nicht so war. "Ich... suche jemanden, hm." Zumindest dieses Anliegen schien ihr neu zu sein, zumal sich sicher nicht oft erwachsene Menschen hierher verliefen, die jemanden in der Universität verloren hatten. Sie zog ihre Hände ein wenig von der Tastatur ihres Computers zurück und musterte ihn. Ihre Augen waren schön sanft geformt, obwohl ein Netz von Fältchen sie umrahmte, und diese Augen nahmen seine Verwirrung, die schon an Verstörtheit grenzte, auf. Etwas hinderte Deidara daran, direkt nach Itachi zu fragen. Etwas, das Angst hatte, er würde den Namen nun anders aussprechen, die Sekretärin könnte das merken, sie könnte ihn durchschauen. "Ich finde meinen Partner nicht, aber er muss hier sein, hm." Die Sekretärin nickte mit einem winzigen Lächeln und nahm die Schutzhülle vom Mikrofon der Freisprechanlage. "Der Name?" Deidara verscheuchte das nervtötende 'Etwas' aus seinen Gedanken. "Itachi Uchiha, hm." Die Frau legte den Zeigefinger auf den Knopf, drückte ihn jedoch nicht herunter. "Und du bist sicher, dass er hier ist?" An ihrem Ton hatte sich etwas verändert. Deidara meinte, in seine Grundschulzeit zurückversetzt zu sein. Lehrer stellten eine solche Frage, wenn man wiederum ihre Frage falsch beantwortet hatte, und einen selbst in Richtung der Lösung schieben wollten. "Natürlich, hm." Deidara kam zum ersten Mal auf die Idee, dass seine Unruhe vom Nikotinmangel verursacht wurde. Er hatte seit gestern nicht mehr geraucht. Die Sekretärin las die Irritation auf seinem Gesicht und nahm den Finger vom Knopf. Sie machte einen netten Eindruck, eine nette Stimme, nette Züge, selbst die Primeln in dem weißen Tontopf auf ihrem Schreibtisch waren nett. Nur was sie sagte, war nicht nett. "Itachi Uchiha ist der Einrichtung verwiesen." Deidara, der in diesem Moment eingeatmet hatte, hielt inne. Erst, als seine Lungen zu schmerzen begannen, fiel ihm das auf. Die Sekretärin stülpte sorgfältig die Schutzhülle zurück auf den Kopf des Mikrofons. Sie war nett genug, seine offene Fassungslosigkeit nicht anzustarren. "Er ist wegen Beleidigung suspendiert worden, deshalb wird seine Arbeit nicht anerkannt." Der Blick, den sie Deidara zuwarf, war ruhig und fast mitfühlend. Deidara war zu keiner Reaktion fähig, und sie schien auch keine zu erwarten. Als wüsste sie schon, was er erwidern würde, wenn er die Worte so schnell zusammenbauen könnte. "Das ist bei vielen der Fall, deren Väter ihre Wahl nicht billigen. Es wird ein Abkommen geschlossen, und deshalb ist die erste unangenehme Auffälligkeit die Letzte. Die Formalitäten wurden bereits erledigt." Seine Ohren waren wieder frei, als hätte er Wasser im Gehörgang gehabt und es nun herausgeschüttelt. Die Sekretärin neigte als Zeichen ihrer Anteilnahme den Kopf, es war nett von ihr, nicht mehr zu sagen. "Gibt es noch etwas, bei dem ich dir helfen kann?" "Nein. Danke. Auf Wiedersehen." Deshalb war er manchmal verschwunden. Die Formalitäten. Alles so sang- und klanglos, wie es wohl nur Itachi konnte. Deidara wusste nicht wirklich, was er denken sollte. Stattdessen wusste er, was er tun sollte. Als die Tür des Sekretariats hinter ihm ins Schloss fiel, marschierte er mit weit ausgreifenden Schritten über den Flur, die Treppe herunter, in die Ausstellungshalle. Inzwischen war es recht voll, und ihre ganzen höflich interessierten, heuchlerischen Gesichter erzeugten für einen Moment einen richtigen Hass in ihm. Alles Heuchler. Mit energischen Ellbogenstößen schob er ein paar Besucher zur Seite und blieb vor 'Des Teufels Traum' stehen. Es hing da in aller Unschuld hinter der Glasscheibe, auf der bereits schmierige Fingerabdrücke prangten. Sie machten den Moment des Hasses etwas länger. Deidara spürte einige vorwurfsvolle Blicke im Nacken. Seine Augen suchten fieberhaft die Glasscheibe ab. Der Abstand zwischen ihr und der Wand war zu gering, um das Bild irgendwie durch Schieben und Ziehen darunter hervor zu bekommen, und die Scheibe selbst war verankert. Er konnte es nicht wegnehmen. Inzwischen räusperte sich jemand mahnend. Deidara stellte fest, dass Itachi seinen Namen nicht auf die Plakette der Künstler geschrieben hatte. Er war der größte Heuchler von allen. In hilfloser Wut starrte Deidara das Bild an, das ihm wichtig gewesen war. Dass ihnen beiden wichtig gewesen war, irgendwie. "Ich habe es mich nicht getraut." Warum hatte er es überhaupt getan? Gefiel er sich so gut in der Rolle des edlen Retters, des stillen Helden? "Liebst du mich?" Das war keine Begründung. Und Deidara hatte das dumpfe Gefühl, dass es etwas Entgültiges war. "Du hältst mich für vorhersehbar und festgelegt, und weil du dich als das genaue Gegenteil betrachtest, erträgst du mich nicht." Er ertrug keine Heuchelei. Er hatte es einfach nicht gewusst. "Ist nicht vergeben können dasselbe wie Hassen?" Jetzt schon. Jetzt ergaben Itachis konfuse, obskur angeordnete Sätze so etwas wie Sinn. Das Räuspern wurde lauter. Deidara wirbelte herum und wollte zornig sein, doch er kam sich nur verloren vor. Sasori tauchte auf wie ein Dschinn, ungerufen, lautlos, geduldig. Er hielt etwas unter dem Arm. Sein in verschlissenes Leder verpacktes Werkzeugset. Von einem Dschinn durfte man sich etwas wünschen. "Kann ich mal, hm?" Sein Satzanhängsel war wieder da, obwohl seine Stimme krächzend klang. Sasori neigte den Kopf, ähnlich wie die Sekretärin, und nahm das Set. Er legte es auf seinem Unterarm ab und klappte es auf. Das Räuspern war irritiert. Deidara schloss seine Finger um den glatten Griff des Meißels. Dann holte er aus, hörte noch ein paar mal jemanden erschrocken aufatmen (vielleicht war es auch immer derselbe) und schlug mit voller Wucht zu. Das Glas barst, die Bespannung der Leinwand riss klagend, und jemand schrie. Scherben prasselten nach unten. Deidara sah ihnen mit grimmiger Genugtuung dabei zu, ebenso, wie sie seinen Handrücken zerkratzten und vereinzelt ein Tropfen Blut hervorquoll. "Müsste ich dich dann etwa mitnehmen, hm?" Er hatte gar nichts getroffen. Nicht die Scherbe, nicht das Auge, nicht die Seerose, gar nichts. Mitten in die Mitte, wo nichts war, sozusagen. Deidara riss seine Hand zurück, ließ den Meißel aber stecken. Es schien, als hätte er das Bild erstochen. Anstatt Bilderblut floss seines. 'Des Teufels Traum' löste sich durch den Ruck von einem seiner Haken, und der Dschinn, der eigentlich Sasori war, trat vor und hängte es behutsam ab, bevor es fiel. Er zog den Meißel heraus und betrachtete es nachdenklich, als würde er ernsthaft darüber nachdenken, ob der Schaden noch zu reparieren war, ob man das Loch nicht einfach flicken konnte, die Blutspritzer abwischen, die winzigen Risse in der Farbe restaurieren. Deidara wirbelte herum und stürmte aus der Halle. Heuchler! Deidara hatte sich noch nie so gefühlt. Seine Lungen schmerzten, als wäre er zu lange gerannt, und die kalte Luft ließ ihn innerlich auskühlen, gleichzeitig brannte etwas. Seine Hand, natürlich. Die Blutung hatte bereits nachgelassen und tröpfelte einzelne Punkte in den scheußlichen, knirschenden Schnee. Noch etwas? Ja, seine Augen brannten. Und nicht nur wegen der Kälte. War die Zerstörung der Schöpfung nicht das Größte, weil sie einem ersparte, den Verfall seiner Mühe zu erleben? Hatte er 'Des Teufels Traum' nicht nach allen Regeln der Kunst zerstört, auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes, der Schaumkrone ihrer Glorie, mit der ultimativen Explosion, die plötzlich kam und in einem Lidschlag vorbei war? Die Inszenierung war brillant, die Scherbe auf dem Bild und die Scherben der Glasscheibe, das ruhige Auge und seine eigenen, aufgewühlten Augen, das leise Reißen der Leinwand und... das passte nicht zu der Seerose, das war in Ordnung so. Es durfte ja nicht perfekt sein. Und dennoch fühlte es sich falsch an. Nicht die Explosion selbst, sondern die Art, wie sie vonstatten gegangen war. Ohne Itachi. Deidara wusste mit einer absonderlichen Sicherheit, dass Itachi weg war. Weg, einfach weg eben. Nicht weggenommen, weggegangen. Krachende Schritte näherten sich durch den körnigen Schnee. Durch den Dunst seines eigenen, stoßweisen Atems sah Deidara ihn zuerst gar nicht. Der Dschinn war wieder da, aber er erfüllte nicht die Wünsche, um die man ihn bat. Sasori hielt respektvollen, unpersönlichen Abstand und reichte ihm ein Blatt Papier. Erster Wunsch. Er trat näher und hob Deidaras Hand an. Mit geschickten, rauen Fingern entfernte er Glassplitter und wischte mit einem Taschentuch behutsam Blut ab. Zweiter Wunsch. Einer noch. Verständnislos beäugte Deidara das Blatt. Er musste blinzeln, um überhaupt zu erkennen, was da stand. Es war eine Seite, die jemand aus einem Buch herausgerissen hatte. I could tell from your eyes you fell from the skies out of the blue there were you but I knew it wasn't true and away you flew (© Ronald D. Laing) Deidara starrte das Papier an. Sasori wickelte das Taschentuch nicht weniger geschickt um den verletzten Handrücken und ließ wieder los. "Es hat ihnen sehr gefallen.", sagte er leise. Deidara hörte ihm kaum zu und erinnerte sich trotzdem. "Die Stipendien hier werden von Privatpersonen übernommen. Du musst sie nur begeistern." "Das Bild ist ruiniert, aber das ist in Ordnung. Du kannst ein Neues machen." Es fing schon wieder an zu schneien. "Er möchte sich mit dir unterhalten." Es waren zaghafte, sanfte Flocken. Deidara hielt seine verbundene Hand waagerecht vor der Brust und ließ den Schnee darauf schweben. "Es ist wahrscheinlich, dass du ein Stipendium bekommst.", fügte Sasori hinzu und klang beinahe stolz. Dritter Wunsch. Es waren lautlose, schwerelose Flocken. Puderiger Schnee, den er sich gewünscht hatte, die ganze Zeit. Vor dem er sich nicht ekelte. "Dann lerne ich fliegen, hm.", murmelte Deidara und steckte die ausgerissene Seite in die Hosentasche. Sasori, der so anders war als Itachi, lächelte nicht und kommentierte nicht. Er sagte nur: "Ich habe das Cello mitgebracht." Der Schnee hatte etwas Erhebendes, Einhüllendes und war dabei kühl-warm und traurig-fröhlich. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)