This special night von somsisom (Wie Motten auf Purpur) ================================================================================ Bother ------ Nichts ist vergebens... „Oh bitte, bitte! Bitte geh mit mir aus. Kai~“ „Kai, bitte lass uns was unternehmen, nur du und ich.“ Der Junge lachte nur vergnügt. Seine schwarzen Haare fielen wieder über die Augen, als er sich beruhigte. Sein Grinsen war wieder übermäßig triumphierend. Eins musste man ihm lassen, er wusste es, wie er Menschen um sich scharrte. „Wollt ihr nicht lieber mit dem armen Reiji was unternehmen~?“, höhnte er spöttisch und lehnte sich zufrieden zurück als die Mädchen um ihn die Köpfe schüttelten und tuschelten. „Ich bin sicher, er braucht mal wieder Abwechslung in seinem ‚Nachtleben’“, meinte er und drehte sich zu mir zurück. Die Klasse war fast leer, die Mädchen waren wieder in der Pause hier her gekommen, um Kai anzuhimmeln. Sie waren mindestens zwei Jahre älter. Doch das schien den Jungen vor mir keines Wegs zu stören. Er musterte mich, wollte mich verletzt sehen, doch ich brachte ihm ein ähnlich sicheres Grinsen entgegen. Sein Höhnen konnte mir seit einiger Zeit nichts mehr anhaben. Gelassen richtete ich mich auf, schob den Stuhl zurück und verließ das Klassenzimmer und Kai, dem nur ein Zucken über die Stirn fuhr. Es ließ mich kalt. Eigentlich ein Wunder, nachdem was die letzten Monate alles gelaufen war. Doch ich ging unbeirrt weiter. Auf dem Flur hörte ich später Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehte sah ich Ami. Ein Mädchen aus unserer Klasse, das zufällig auch im Zimmer war, aber nicht um Kai anzuhimmeln. Ganz im Gegenteil. Sie war die Art Mädchen, die alle Lehrer zur Weißglut brachte. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, die Stiefel wie gewohnt schwarz, die Strümpfe der Uniform provokativ weit nach oben gezogen. Allgemein war sie dieses Rebellenmodel: Provozierend und aufmüpfig. Immer frech und auffallend. Sie zog sich eins ihrer schwarzen Haare von der Bluse. Und ließ es verachtend zu Boden fallen, kam dann mit einem Blick zurück zur Tür, auf mich zu. „Er hätte nicht so reden dürfen.“ „Was interessiert dich das?“, meinte ich beiläufig und drehte mich wieder in die Richtung, in die ich gehen wollte. „Die Schnepfen. Ich schäm mich für die dummen Gänse. Die haben nichts Besseres zu tun, als an Sex zu denken.“, meinte sie, als sie neben mir ging. Die Arme wieder verschränkt, spielte sie mit dem geflochtenen Zopf, der von ihrer Schulter nach vorn fiel. „Du solltest dich nicht für andere schämen. Kai ist nicht anders, und ich schäm mich ja auch nicht für ihn.“ „Würdest du es, wenn er ein Mädchen anhimmelt?“ „Das macht er nicht. Er ist mehr die Art Kerl, die Leute zu sich durch den Dreck kriechen sehen will.“ Sie lachte. „Kriecher und Schleimer, meinst du? Aber warum hat er es dann gerade auf dich abgesehen?“ Etwas verwirrt sah ich zu ihrer Seite. Hatte sie was mitgekriegt? Hatte Kai wirklich alles raus posaunt? Oder war das nur die ‚weibliche Intuition’...? „Wie meinst du das?“, versuchte ich mich dumm zu stellen, wurde leicht unruhig. „Na, er hat in letzter Zeit ziemlich auf dir rumgehackt, meinst du das nicht auch?“, sie blieb stehen, stützte die Hände in die Hüften und sah mich ernst an. Scheinbar war sie einer der Menschen, der die Ungerechtigkeit in diesem Leben entdeckt hatte. „Und wenn schon. Mich juckt es nicht...“, ich ging mit einem Schulterzucken weiter. „Aber Yuta. Kai macht ihn schlecht. Ich mein, er ist doch dein bester Freund, also solltet ihr euch mal gegen Kai wenden. Der braucht einen Arschtritt!“, protestierte sie. Ich blieb kurz stehen, sah aus dem Fenster nach draußen auf den Hof. Recht hatte sie ja, trotzdem störte mich etwas. „Warum interessiert dich das überhaupt plötzlich?“ Sie schwieg eine Weile, mied meinen Blick, bis sie scheinbar die Worte gefunden hatte, die sie krampfhaft suchte. „Weil ihr beide eigentlich nicht so schlecht seit, wie immer alle meinen.“, sie verschränkte wieder die Arme. „Ich hab einige Male sehr lange mit Yuta gesprochen und ich glaube, dass du ihm sehr wichtig bist. Ihr klebt wie Pech und Schwefel zusammen und er hat mir oft erzählt, dass ihm dieser Kai zurzeit echt auf die Nerven geht. Yuta ist ein guter Freund und Yuta’s Freunde sind auch meine Freunde, daher gebe ich dir den guten Rat...“, sie stoppte kurz, deutete drohend mit dem Zeigefinger auf mich und fuhr schließlich energischer fort: „Such dir noch ein paar Leute und wir sprechen mal ein ernstes Wörtchen mit Kai.“ Nach einigem verwunderten Blinzeln von mir, kam Lachen und ich schüttelte den Kopf: „Weißt du, wie lächerlich du dich gerade machst? Soll ich mir vielleicht alle ‚Loser’ dieser Schule suchen und einen Putsch planen? Vergiss es!“, ich ging unbeirrt weiter. „Reiji, ich kann bald nicht mehr an mich halten...“, brachte sie jammernd von sich und stampfte hinter mir mit dem Fuß auf. Ehrlich gesagt war sie einer der ersten, die sich für so was einsetzen wollten. Irgendwo hatte ich ein bisschen Respekt vor ihr, sie war energisch, kraftgeladen und hatte sicher keine Scheu, Kai die Meinung zu pauken. Dennoch war der Versuch, an seinem Verhalten etwas zu ändern von Anfang an zum scheitern verurteilt. „Dann tu dir keinen Zwang an...“, meinte ich abwinkend und ging weiter. Ihre letzten Worte verstand ich schon nicht mehr, da die Flure von einem dröhnenden Klingeln durchhallt wurden. Mein Herz wurde schwer, als ich wieder Seite an Seite mit Yuta nach Hause ging und er mich so seltsam musterte. „Du hast mit Ami gesprochen, oder?“ Ein bejahendes Nicken. „Was hat sie dir erzählt?“, fragte er neugierig nach, bemühte sich jedoch um Gleichgültigkeit. Er wirkte nervös und angespannt, etwas was ich von ihm nicht als zu oft sah. „Sie hat mir erzählt, dass du von Kai schlecht gemacht wirst und dass sie will, dass wir uns gegen ihn auflehnen...“, brachte ich gelangweilt hervor. „Das hat aber doch eh alles keinen Sinn.“ „Meinst du...“, er wirkte in Gedanken und sonderlich beunruhigt. „Ihr seit Freunde, sagte sie.“ Er nickte. „Nettes Mädchen. Wenigstens nicht so verrückt wie die anderen.“, eigentlich war ich ganz froh, dass sie mich angesprochen hatte. So wusste ich wenigstens, dass sie nicht so dachte, wie einige andere aus der Klasse. „Magst du sie?“, er drehte seinen Blick zu mir. „Als Menschen. Nicht mehr als einen anderen. Aber vielleicht ist sie gar nicht so übel.“ Ich redete vor mich her, einfach unbedacht, wie sonst auch, aber in Yuta schienen diese Worte größere Wellen zu schlagen als sonst. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. „Wer weiß...“ Ich versuchte das Lächeln zu erwidern doch wir waren bereits am Haus angekommen und ehe ich mich versah, war Yuta wieder in sein Zimmer verschwunden. Seit der Klassenfahrt war einiges nicht mehr so wie damals. Wir versuchten beide noch dieses Bild von heiler Freundschaft, einem Zusammenleben als Brüder zu bewahren, weil es eine zu schöne Erinnerung war. Doch statt wieder in diesen Zustand zurückzufallen, drifteten wir immer weiter auseinander. Den Grund dafür weiß ich immer noch nicht. Entweder war es die Tatsache, dass er jenes von mir wollte, was auch Kai getan hatte, oder ihm war es einfach so peinlich, die Kontrolle verloren zu haben. Doch beides lief auf ein und das Selbe hinaus: Es war dieses Gefühl von Zuneigung, dass alles zerstörte. Jedes Mal kam ich seufzend in mein Zimmer, vermisste die Debatten mit Yuta über gewisse Themen und die spaßigen Gespräche auf dem Heimweg. Immer wieder kam mir ein Kloß in den Hals gekrochen wie ein widerwärtiges Grauen, das einem manchmal nachts den Rücken hinaufkriecht. Nur weil ich in dieser wirklich unangenehmen Situation saß. Unwissend, ob Kai nun aus purem Spaß diese Nacht mit mir verbracht hat und frustriert zu wissen, dass mein bester Freund nun seine Freundschaft für Liebe verpfändet hat. Trotzdem brachte ich es nicht fertig eine Träne zu weinen, wie vor einigen Wochen. Vermutlich war das der Grund, warum Kai mich so triezte. »Du kannst mich kreuzweise...« Ja, diese Worte waren ihm damals wohl doch wie Wein die Kehle herabgeflossen, seine Augen waren in jenem Moment gefüllt von dieser Glut wie damals. Und doch brachte er es nicht fertig zu sagen, was er dachte, da ich vor ihm geflohen war. Vielleicht war es besser so. Andererseits wollte ich nicht länger vor ihm davon laufen. Ich hatte in all dieser Zeit nie wirklich versucht mich gegen irgendeine Handlung zu wehren. Weder gegen mein mehr als freundschaftliches Verhältnis zu Yuta, noch gegen Kais Berührungen. Gegen nichts. Mein Körper driftete fast leblos, betäubt vom Leben selbst, auf einem vereisten Boden hin und her. Von einem dünnen Eis zum nächsten. Auf der Suche nach festem Grund, in der Angst doch einzubrechen und mich einem der Elemente hingeben zu müssen. Kai, das kalte Wasser, dass mich immer tiefer sog, oder Yuta, der Boden unter den Füßen, der mich auch ohne Eis zum rutschen brachte... Es war die letzte Woche vor den Ferien. Das war für manche die große Erleichterung nach dem langen Schuljahr, doch mir bereitete es erst recht Bedenken. Ferien hieß tagelang zu Hause, diese gespielte Freude und Glücklichkeit, denn auch wenn wir uns zu einem Ausflug durchringen würden, wären wir immer noch mit diesem Lächeln bestückt, dass versucht diese peinliche Stille zu unterdrücken. Ja, ich sah in dieser Zeit einen großen Feind, mehr als je zuvor. Es war wieder so, dass die Tage endlos schienen, weil man in seinem Zimmer saß, hinter einem - auf der anderen Seite der Wand - saß der Bruder und dachte genau das Gleiche. Solche Zeiten verabscheute ich, und dennoch konnte ich es nicht verhindern, dass Yuta und ich wieder Seite an Seite am letzten Schultag nach Hause gingen. Beide mit geneigtem Kopf. Wie sollte das Leben nun weiter gehen? Immer dieses Verstellen und die Heimlichtuerein? Das würde halt doch kein Mensch auf die Dauer aushalten. „Hör auf dir solche Sorgen zu machen.“ „Ich mach mir keine Sorgen.“ „Tu nicht so, ich kenn das Gesicht. Yuta macht genau das Gleiche.“, ein freundliches Lächeln lag auf ihren Lippen. Yuta, Yuta, immer zu sprach sie von ihm. „Ami, sag mir eins: Warum vergleichst du mich immer mit ihm?“, fragte ich sie schließlich im ernsten Ton. Es war Yutas Idee gewesen, mich mit ihr zu treffen, er meinte vor ein paar Tagen, dass ich mich mit ihr anfreunden sollte. Doch irgendwas lag zwischen den beiden, was ich nicht definieren konnte. Ein feines Band, das ich grundsätzlich als Verschwörung ansah. Dieses Getue, das Gerede, das Auflehnen gegen Kai. All das war mir zuwider. Es war mit Energie und Mut verbunden, beides Eigenschaften, die ich nicht aufbringen wollte... „Er ist ein Freund, das sagte ich doch schon.“ „Das beantwortet nicht meine Frage!“, ich erhob mich von der Mauer, auf der wir bis eben gesessen hatten und ging den Weg wieder zurück. Wir hatten uns hier im Park getroffen. Keine Ahnung, warum ich mich dazu überreden ließ. „Du bist so engstirnig, Reiji. Du siehst nichts! Absolut gar nichts.“ Etwas genervt wand ich mich zu ihr um und sah schließlich ihr Gesicht. Die Augen gefüllt mit Unverständnis und gezügeltem Temperament. „Was soll ich sehen?“ „Das was vor dir liegt. Die Menschen um dich rum!“, sie zögerte. Ein flüchtiger Blick zur Seite, sie konnte mir nicht in die Augen schauen, als sie die darauffolgenden Worte sprach. „Du siehst nicht, wie Kai dein Leben beeinflusst. Du siehst nicht, wie sich andere um dich Sorgen, du siehst nicht, dass Yuta sich den Hintern für dich aufreißt!“ „Hör auf mit Yuta! Was willst du überhaupt.“ Sie Schüttelte den Kopf. „Ich bin zu Yuta gegangen um mit ihm über dich zu sprechen, ich wollte mit dir reden, was über dich wissen. Kai macht dich immer zu nieder, aber ich sehe keinen Grund dafür, was hast du ihm dafür getan...!? Ich hatte einfach Interesse alles zu erfahren.“ „Was zwischen Kai und mir läuft und vorgefallen ist, geht dich gar nichts an.“ „Das weiß ja Yuta noch nicht einmal!“, sie wurde energischer, in ihrer Stimme lag nun mehr Wut als Unverständnis, die zuvor aus ihren Augen sprach. „Ach, und was zwischen dir und Yuta ist, dass soll ich nicht wissen? Also ich habe keinen Grund dir irgendwas zu erzählen.“, ich drehte mich wieder und ging ein paar Schritte. „Ich bin zu Yuta gegangen um etwas über dich zu erfahren. Du selbst sprichst ja nicht über dich. Er wollte mir nichts sagen, aber später sind wir halt Freunde geworden. Was willst du nun dagegen tun?“ „Gar nichts, ich hoffe ihr werdet glücklich~“, wank ich ab. Ami seufzte, kam hinter mir her, fasste mich an der Schulter und zwang mich dazu ihr zuzuhören. „Mein Interesse lag immer nur bei dir. Auch wenn ich oft gegen Yutas Willen nachgebohrt habe um von ihm etwas zu erfahren, weiß ich, wie wichtig du ihm bist. Aber du bist zu dumm, um das zu sehen!“. Mit einem finsteren Blick nahm ich ihre Hand von meiner Schulter. „Wenn du so interessiert warst, hättest du auch gleich zu mir kommen können.“ „Dann hätte ich euch beiden nur geschadet.“, brachte sie dumpf von sich. Ließ von mir ab und sah zu Boden. „Er mag dich zu sehr, als dass er eine Frau oder Kai noch weiter an dich lassen würde.“ Irgendwie überraschten mich ihre Worte nicht. Ich ließ Ami zurück und ging wieder nach Hause. Das alles hatte nichts gebracht. Jetzt wusste ich nur, dass das Mädchen vernarrt in mich war, sich nebenbei angeblich mit Yuta angefreundet hatte und dass sie der Meinung ist, dass Kai von seinem Thron gestürzt werden musste. Mir kam es eher so vor, dass sie auf Yuta ein Auge geworfen hatte. Und da war wieder dieser Faktor, der mich zum Grübeln brachte. Das kleine Hirngespinst was sich jedes Mal aufs Neue einschlich. Eifersucht. Es war mir selbst noch nicht mal geheuer, dass ich nicht wollte, dass sich gerade das Frauenzimmer an Yuta zuschaffen machte. Es war vielleicht ein Beschützerinstinkt. Zumindest versuchte ich mir das einzureden, als ich wieder nach Hause kam und wieder Yuta in der Küche sah. Ein Lächeln von beiden Seiten. „Wie war’s?“ „Hoffnungslos.“ Er lachte, seit langen mal wieder ein ernstes, fröhliches Lachen. „Warum?“ „Sie ist stur und vernarrt.“, ich ließ mich mit einem Seufzen auf den Stuhl, ihm gegenüber, nieder. „Sie mag dich nur.“ „Und dann redet sie immer nur von dir.“, wank ich scherzend mit der Hand ab, die Augen geschlossen, das Glas an die Lippen setzend um endlich wieder was zu trinken. Wieder lachte er, faltete bedrückt die Hände auf dem Tisch und starrte auf das Glas vor ihm. „Sie mag dich wirklich.“, seine Stimme war rau, seine Hände festigten sich um einander und sein Blick blieb am Glas haften. Noch schrecklicher als Ferien waren zwei Wochen ohne Eltern und ein schlechtes Gewissen. Wir verbrachten die meiste Zeit mit sinnlosem Umhergehen und ein paar Kinobesuchen, Videospielen und all solchem Zeug, was man macht, um die Zeit tot zuschlagen, auf Freundschaft zu spielen und doch den anderen irgendwo zu ignorieren. Ignorieren, um dann Nachts, vor Sorgen um ihn, jedes Mal wach zu liegen, weil man sich zu viele Gedanken und Vorwürfe machte. Aber irgendwann kam Yuta wieder an, still und jammernd. Es regnete nicht, es donnerte nicht. Einfach so. Und ich nahm ihn wieder in mein Bett auf. Wieder schwiegen wir, aber dieses Mal war die Stille, die alt bekannte. Im ersten Moment stieg in mir der Gedanke auf, dass er es wieder versuchen würde, doch eigentlich war Yuta nicht diese Art Mensch. Er bereute es. Auch wenn ich ihn nicht dabei sah, war ich mir sicher, dass er nachts vor Bedauern im Bett zitterte, so wie die letzten Tage der Klassenfahrt. Auch als es gewitterte kam er nicht zu mir. Er blieb die Nacht über wach, schlief morgens beim Frühstück fast ein und döste in der Mittagssonne um nachts wach zu bleiben. „Reiji?“ „Hmm.“ Er drehte sich zu mir um, richtete sich leicht auf. „Es tut mir leid.“ „Dir braucht nichts Leid zu tun.“, meinte ich tonlos. Der Junge neben mir schwieg eine ganze Weile, bis er den Kopf gegen meinen Rücken und dann auf meine Schulter legte. „Doch, alles.“ Auf seine Worte hin wand ich mich zu ihm um. „Und warum meinst du, dass dir alles Leid tun müsste?“, kam es gereizt aus mir. Eigentlich war es verständlich aber dann wollte ich wieder nicht, dass sich Yuta so niedergeschlagen mir gegenüber verhielt. Wieder Schweigen. Dann richtete er sich ganz auf, saß neben mir auf dem Bett und stützte den Kopf in die Hand. „Weil alles den Bach runter geht.“ Ich schüttelte mich. „Gar nichts geht den Bach runter, jetzt leg dich wieder hin.“ Doch Yuta tat nichts, er seufzte nur. „Hör auf dir solche Sorgen zu machen. Es ist ja nicht so, als ob für mich eine Welt zusammengestürzt wäre...“, versuchte ich ihn aufzuheitern, obwohl ich mir selbst diese Lüge aufzwang. Wieder rührte er sich nicht. Also setzte auch ich mich auf, sah ihn ernst an und musste feststellen, dass sich seine Augen mit einem erschreckenden Glanz gefüllt hatten. Er sah zu mir. In jenem Augenblick fuhr mir ein Schauer über den Rücken, sekundenlang hatte ich das Bild von Kai vor mir. Als ob er direkt vor mir saß... Unheimlich, ich wich seinem Blick aus und krampfte meine Hände in die Bettdecke. Wie kam ich zu solchen Gedanken? Doch ehe ich weiter denken konnte, begriff ich erst die Art, wie seine Augen glänzten, es war dasselbe Glänzen wie damals bei Kai. So unterschiedlich waren sie gar nicht. Ich wollte etwas sagen, doch in jenem Moment lehnte sich Yuta nach vorn, drückte meine Hände an die Wand hinter mir, legte seine Lippen auf meinen Hals. „Es tut mir so leid. So leid.“, brachte er erstickt hervor. „Ich mag dich...“ „Ich weiß...“, kam es dumpf von mir, leicht überrascht schnappte ich nach Luft, da er noch immer meine Hände zurückhielt und seinen Kopf nicht aus meiner Halsbeuge nahm. „Nein, Ami. Ami meinte sie mag dich, ich war so dumm, naiv... eifersüchtig.“, er hob wieder den Kopf an, sah mir in die Augen und er wirkte sonderlich entschlossen. Dann könnte ich nur noch mein Herz schlagen hören, als er seine Lippen auf die meinen legte. Seltsam, dass ich so ruhig blieb. Aber es lag vermutlich daran, dass ich bereits wusste, was er empfand, auch wenn er es nicht gesagt hatte. „Yuta, sag es einfach.“, kam es dann von mir, nach dem er von mir abließ, diesmal mied ich seinen Blick jedoch nicht. Er nickte leicht, ließ meine Hände los und legte mir die Arme um den Hals. „Ja, ja verdammt, ich liebe dich...“, kam es schwer von ihm, den Kopf wieder auf meiner Schulter, die Wörter leicht resignierend in einem Atemzug herausstoßend. Es wirkte so natürlich und doch so falsch. Es war seit Wochen klar, aber es wollte keiner von uns zugeben. Er wusste was ich darüber dachte, schließlich hatte ich ihn eiskalt vor den Kopf gestoßen, als er sich auf der Klassenfahrt nicht halten konnte. Eigentlich hätte ich mich von ihm drücken müssen, eigentlich hätte ich ihm keine Hoffnung machen dürfen, aber es war mir in jenem Moment einfach egal. Meine Arme legten sich um ihn und ich merkte, wie er zitterte. Jedes Mal von einem leichten Zucken durchfahren wurde und bei jedem neuen Atemzug Angst hatte, dass ich ihn loslasse. Es war mein Name gewesen, den er damals genannt hatte, als ich ihn in dieser peinlichen Situation gesehen hatte. Dennoch blieb ich ruhig. Ich hatte alles geahnt oder gewusst, auch wenn niemand mir etwas gestanden hatte. Yuta war mir zu wichtig, als dass ich ihn an dieses Gefühl verlieren wollte. Aber es war zu spät. Gerade das war es was mich momentan flauste und mich fast in den Wahnsinn trieb. Zu spät hatte ich gemerkt, was sich zwischen uns aufgebaut hatte. Und Ami war es wahrscheinlich auch bewusst gewesen, als Yuta damals wirklich nichts verraten wollte. Sie wusste was er fühlte. Und Kais Schindereien machten sie nur wütend, nein eher traurig, weil sie wusste, dass Yuta es nicht ertragen konnte. Wenn er jetzt wüsste, was ich für Kai übrig hatte, was Kai mit mir getan hatte... Wenn er wüsste, dass ich eigentlich nur wehrlos dasaß und jeden tun ließ, was er wollte, würde es ihm das Herz zerreißen... Über die Wochen hatte ich mir einen Ferienjob gesucht. In einem kleinen Bistro in der Nähe. Es war in der Nähe der Schule, viele von den Oberstufenschülern suchten es in den Pausen auf, um dort ein zweites Frühstück zu essen oder einen Kaffee zu kriegen. Aber jetzt wo Ferien waren herrschte geregelter Andrang. Keine Schülermassen, statt dessen ein ruhiges Hin und Her. Friedlich und man hatte genug Zeit zum nachdenken. Es waren kaum zwei Tage vergangen, da kamen morgens immer wieder bekannte Gesichter in das Bistro. Ich machte mir nichts draus, tat so als ob ich sie nicht kannte und bediente sie höflich. Jeden Tag brachte ich einigen Stammkunden ihre Bestellungen und das Gebäck. Ohne mir etwas Schlechtes zu denken tat ich es auch diesmal, ich sah nicht hoch, lächelte nur wie gewohnt, als ich die Tasse abstellte. Ein Rascheln, ein amüsiertes Lächeln. „Du solltest mich mal öfter bedienen, das gefällt mir.“ Verstört blickte ich auf. Kai. Es war Kai. Er lehnte sich lächelnd in dem Stuhl zurück, hatte die Zeitung zur Seite gelegt und musterte mich nun mit gerunzelter Stirn. Aus meinem Mund floh ein kleiner Ton und ich verschwand wieder zu Theke. Danach versuchte ich ihn zu ignorieren, aber was suchte der Kerl hier? Und warum sah er immer wieder zu mir hinüber, wenn ich den nächsten Kunden die bestellte Ware brachte? Scheinbar war er wieder voll in seinem Element. Über Menschen herzuziehen, sie lächerlich zu machen, sie in peinlichen Situationen zu sehen und sich in Schadenfreude zu suhlen waren seine liebsten Tätigkeiten. Keiner kannte ihn anders. Zumindest ich nicht, schließlich erlebte ich es ständig am eigenen Leib. Stunden später verließ ich das Bistro, machte mich auf den Heimweg, die Hände in den Taschen. Wie gewohnt ging ich die schmale Straße und später durch die Gassen hinter den Wohnblocks, bis ich an einer Straßenecke wieder Kai sah. Nicht mal vier Straßen von zu Hause. Mir war mulmig zumute, aber nicht weil er vielleicht wieder dumme Sprüche reißen würde. Eher, weil er wie ein Geier da stand und nur darauf wartete, dass ich an ihm vorbei ging. Er drückte eine Zigarette aus, stieß sich von der Wand ab, an der er eben noch gelehnt hatte und warf mir ein Lächeln zu. „Versuchs das nächste Mal in der Schulkantine, vielleicht hast du dann mehr Glück mit deinen Freunden. Es gibt bestimmt Leute, die sich aus Mitleid mit dir abgeben...“ „Wer zum Beispiel?“, meinte ich abwertend und drehte mich zu ihm, die Hände noch immer in den Hosentaschen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und sein kalter Blick verschwand. „Hinterhältige Biester, wie manche Mädchen mit denen du dich in letzter Zeit abgibst.“ „Du meinst Ami? Sag bloß du bist eifersüchtig...“ „Ich? Auf die Schlange? Niemals.“, er winkte mit einer Hand gelangweilt ab. „Ich will nur nicht, dass das Biest mir mein Schäfchen klaut...“ Ich legte die Stirn in Falten. Sein Schäfchen? „War das nicht ein Wolf der Schafe frisst? Und außerdem, es waren Geißlein.“ „Und wenn schon~“, machte er, drehte sich in meine Richtung und musterte mich. Ein Schaudern lief mir über den Rücken. Sein Schäfchen...!? Dann legte er mir die Hand auf die Schulter, lehnte sich vor und hauchte mir wieder diese toten, fast emotionslosen Worte ins Ohr, die einen innerlich zerrissen: „Vergiss nicht, wenn ein Wolf einmal Blut geleckt hat, dann giert es ihm nach mehr...“ Ein hartes Schlucken, ein nervöses Grinsen. Irgendwo hatte er Recht. Es war eine gelungene Überleitung von jenem Augenblick und mir lief wieder ein eiskalter Schauer über den Rücken. Kurzerhand schüttelte ich mich, drehte langsam den Kopf in die andere Richtung, um mich zum Heimweg auf zu machen. Es war dringend nötig eine kalte Dusche zu nehmen, um diese widerwärtigen Gedanken weg zu spülen. In dem Moment, in dem ich mich herum drehte ließ Kai seine Hand von meiner Schulter gleiten, verschränkte stur die Arme vor der Brust und setzte wieder einen ernsten Blick auf. „Nimm dich vor dem Weib wirklich in Acht“, meinte er diesmal ohne Scherz, ohne mordlüsternes Süßholzgeraspel und trotzdem blitze in seinen Augen wieder dieses seltsame Funkeln auf. Zu Hause angekommen schnaufte ich erleichtert, ging an Yuta vorbei, der vor dem Sofa auf dem Boden saß und durch die Programme schaltete und duschte. Sehr gründlich. Und trotzdem schauderte es mir danach noch. Zum Glück war Freitag und das Wochenende war für mich die Zeit, wo ich versuchen konnte mit Yuta wieder ins Reine zu kommen. So weit, wie es eben möglich war. Nach dem Duschen ließ ich mich auf das Sofa hinter Yuta fallen, legte mir den Arm über die Augen und schnaufte noch einmal. Der Junge neben mir sah auf und drehte sich zu mir. Er schaltete den Fernseher aus und lehnte sich zurück. „Was ist los? Warum so schwermütig?“ „Wenn dir Kai was von Schäfchen und Wölfen erzählt und nebenbei noch eine Schlange die Schafe fressen will... Dann hast du auch so ein komisches Pochen im Kopf.“ „Auch genannt ‚leichte Verwirrung’ bis ‚Kopfschmerzen’.“ „Richtig.“ Yuta lachte, legte den Arm auf das Sofa und legte die Stirn auf den Arm. Eine ganze Weile verbrachten wir wieder mit Schweigen. Unsere neue Art zu kommunizieren. „Hat er sonst noch etwas gesagt oder gemacht?“ Ich runzelte die Stirn. Warum plötzlich das Interesse? „Nein, er hat mich nur gewarnt, dass ich mich vor Ami in Acht nehmen soll.“ „Stimmt doch auch.“ „Was hast du plötzlich gegen sie!?“, ich drehte den Kopf in seine Richtung und schob den Arm weiter auf die Stirn. „Sie gibt sich teilweise mit sehr üblen Gestalten ab.“ „Üble Gestalten?“ „Ja. Schlimmer als Kai.“, seine Stimme wurde eindringlicher. „Viel schlimmer als du können sie ja nicht sein...“ Notgedrungen mussten wir beide schmunzeln. „Ja, hast Recht. Viel schlimmer nicht, aber gewalttätiger.“ Auf seine Worte hin, richtete ich mich auf. „So so. Du meinst also diese Leute, die mit Kapuzenpullis in dunklen Ecken auf einen lauern, dann auf die Straße springen, dir alte Socken in die Schnauze stopfen und dich zwingen, alte Arztzeitschriften und schlechte Zeitungsartikel über Pediküre zu lesen. Oder nein, warte! Noch schlimmer. Es wird dir alles auf Tonband vorgesprochen~...“ Wieder lachte Yuta. Ich zog seine Besorgnis zwar ins Lächerliche, aber es war es doch wert, um sein bedrücktes Gesicht für einen Moment zu verdrängen. „Hör auf dir Sorgen zu machen. Das ist alles nur Dummwäscherei.“ „Wenn du das sagst...“, meinte Yuta darauf, erhob sich und lehnte sich über mich, legte mir die Hand auf die Stirn. „Du solltest dem Kerl echt aus dem Weg gehen. Dein Hirn kocht schon fast.“ Kurz huschte ein Lächeln über meine Lippen. Gut, dass er nicht wusste, warum mein Kopf so pochte und mein Hirn ‚kochte’. Dann sah er mich noch eine Weile an, ließ die Hand auf meiner Stirn. Währenddessen hatte ich kurz wieder die Augen zum Nachdenken geschlossen, nahm fast gar nichts mehr wahr und döste leicht weg. Ich wusste nicht, wie lange das so ging, aber nach einiger Zeit riss mich Yuta wieder aus diesem Sekundenschlaf. „Reiji. Ich mag dich wirklich...“, kam es von ihm erst schwach. Dann: „Ich liebe dich...“, noch etwas leiser. „Ich weiß.“ Die Augen noch immer geschlossen, merkte ich nur wie seine Lippen über meine Stirn strichen, dann sanft nur bruchteilhaftig die Lippen berührten, um abrupt zu stoppen. Als ich meine Augen öffnete, nahm er ruckartig die Hand von meiner Stirn und setzte sich wieder auf den Boden, den Rücken am Sofa gelehnt. Scheinbar war er noch immer so seltsam zurückhaltend. Besser für mich. Ganz ehrlich: Ich wüsste nicht, was ich hätte tun sollen, wenn er weiter gehen würde, wenn er sich so auf mich stürzen würde, wie Kai in jener Nacht. Aber ich schätzte Yuta nicht als diese Art Mensch ein, absolut nicht. Es wunderte mich schon, dass er den Mut hatte, mich so zu küssen. Mitleid überkam mich. Einfach so. Keine Ahnung warum, aber ich glaube es war, weil ich Yuta so viele Sorgen bereitete. Unnötige Sorgen. Kurzerhand legte ich ihm von hinten die Arme auf die Schultern, legte meinen Kopf auf seinen, den er eh hängen ließ - wie immer. Sein Anblick machte mich immer wieder aufs Neue traurig und sog mich förmlich in dieses Gefühl, Bedauern, Schuld und eine Mischung aus Bedenken. Noch immer wusste ich nicht recht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Es war einfach zu kompliziert und mir lag der Junge zu sehr am Herzen, als dass ich ihm wehtun wollte. Egal wie ich es auch drehte, ich kam immer wieder zu diesem Punkt, wo Schweigen zwischen uns trat, egal ob nach einem Lachen, einer ernsthaften Diskussion oder einfach nach dem wir so über andere Themen sprachen, wie Mädchen oder einfach Schule. Diese peinliche Stille, in der man immer darauf horcht, dass der andere endlich die Schlucht überschreitet und zu einem kommt, endlich ein Wort, eine Geste, irgendetwas äußert. Manchmal wünschte ich mir in diesen Momenten einfach, dass das alles nie geschehen wäre, manchmal ließ es mich eiskalt. Ich versuchte alles zu ignorieren. Aber es überrannte mich immer wieder neu und immer stärker. Und manchmal, manchmal hatte ich das Verlangen ihn an mich zu reißen, in den Armen zu halten, nicht mehr gehen zu lassen, egal was es kostete. Die nächsten Tage verliefen jedes Mal ähnlich: Wir waren allein, wenn ich nach der Arbeit im Bistro nach Hause kam. Yuta war frustriert und las immer öfter in einem Buch, es war selten, dass ich ihn so sah. Zumal er eine Lesebrille tragen musste, wirkte er mir immer fremder und abweisender. Dennoch hatte ich das ungute Gefühl, dass ich, wenn ich so still neben ihm saß beziehungsweise lag - den Arm über den Augen, um ein bisschen Ruhe zu kriegen – mich immer weiter zu ihm gezogen fühlte. Diese Stille war reines Gift. Sie leitete mich dazu darüber nach zu denken, was alles hätte sein können, wenn wir nicht auf Distanz wären. Die lustigen Abende, an denen wir lachend vor dem Fernseher gesessen hatten und uns irgendwelche Filme ansahen. Späße und anderes kitschiges Zeug. Jene Erinnerung brachte mich um den Verstand. Auch wenn Erinnerung mehr Illusion war... Es war etwa wieder ein paar Tage bevor unsere Eltern von ihrem Urlaub wiederkommen sollten. Da brach scheinbar auch in Yuta dieser unangenehme Gedanke aus. Wenn ich nach Hause kam passierte es immer öfter, dass er mich länger beobachtete. Ich wollte nicht wissen was in seinem Kopf vorging. Es war vermutlich auch besser so. Als ich einmal nach dem Duschen aus dem Bad kam, das Handtuch wieder um die Hüfte geschlungen, die Wechselwäsche natürlich wieder vergessen, stand Yuta vor mir im Flur. Eigentlich wollte er ein Zimmer weiter die Sachen, die er in der Hand hatte wieder zurückstellen. Meine schlechte Angewohnheit würde mir in jenem Moment vielleicht zum Verhängnis werden, dachte ich und ging den Kopf gesenkt an ihm vorbei. Doch er drehte sich zu mir, seine Blicke, die mich verfolgten. Ein gruseliges Gefühl... Kai war nach einigen Tagen wieder im Bistro gewesen, hatte mich wieder mit irgendwelchem dummen Zeug zugeredet. Diesmal redete er aber nicht mehr von Schäfchen und Wölfen. Er hatte mir immer wieder gesagt, dass die Schürze doch zu schlicht wäre. Seiner Meinung nach, hätte sie pink sein müssen, mit mehr Kitsch und Rüschen wohlmöglich. Er lachte mich förmlich aus und machte sich einen Spaß draus immer wieder zu kommen. Und jedes Mal verdrehte ich die Augen, als er mir nach meinem Feierabend an der Straßenecke sagte, dass ich endlich vernünftig werden sollte. Erwachsen! Zur Besinnung kommen solle... Ständig eine Moralpredigt, dass ich mich damals nicht gewehrt habe und ich selbst schuld sei, dass er mich so triezt. „Du kannst mich kreuzweise~“, hatte ich wieder einmal zu ihm gesagt. Doch dieses Mal war er nicht so leicht abzuwimmeln, wie damals im Duschraum auf der Klassenfahrt. Er fasste meine Hand, mit der ich eben noch gelangweilt rumgefuchtelt hatte, zog mich zu sich, drückte die andere Hand gegen meinen Rücken, lächelte wieder sadistisch. „Diesmal muss ich aber fragen, da ich es mir beim letzten Mal schon verkniffen habe: Wo willst du’s denn?“, er legte sein Gesicht an meins, hauchte wieder gegen meinen Hals. „Hier? Oder doch lieber...“, seine Hand vom Rücken wanderte herum und drückte nun gegen meinen Bauch. „Weißt du, es gibt viel, dass wir beim letzten Mal ausgelassen haben. Wir haben viel nach zu holen~“ „Kein Bedarf.“, meinte ich drehte mich weg, versuchte die Röte aus meinem Gesicht zu schütteln, in dem ich Kai fortdrückte. Warum musste er mich so erniedrigen? Jetzt wo er wusste, dass ich ihn doch ‚etwas’ mochte, quälte er mich mit wachsender Begeisterung, noch lieber und grausamer als zu vor. Die gespielte Nähe, die er mir aufdrückte brachte mich nicht nur in Verlegenheit, sie widerte mich irgendwie an. Ich mochte seine abweisende, gelangweilte Seite, die mir keine Beachtung schenkte. Aber wenn er mich so berührte, kam wieder Abneigung auf. So wie damals. „Sag bloß du hast schon wen für diese Arbeit.“ „Das sag ich dir doch nicht.“ „So, so... Lass mich raten: Für deinen Bruder würdest du die Schürze tragen, richtig?“, er verschränkte die Arme und grinste triumphierend. Währenddessen war ich schon ein paar Schritte weitergegangen - Sicherheitsabstand. „Die Schürze gehört gesetzlich verboten! Genauso wie deine Redereien und Annäherungsversuche!“, ich fuchtelte mit den Armen, strich immer wieder an meinem Bauch herab, irgendwie hatte ich wieder das Gefühl, dass etwas überaus Ekeliges an mir klebte. „Was kann ich dafür, wenn du so empfindlich bist!?“ „Wer ist empfindlich!? Ich doch nicht!“, giftete ich zurück, zeigte ihm die kalte Schulter, ging weiter. „Denk dran: Je mehr sich das Schäfchen versteckt, desto hungriger wird der Wolf.“, meinte er noch zum Schluss. „Werd Vegetarier!“ Wieder kam ich nach Hause, schmiss mich einfach lang aufs Sofa, mit dem Gesicht voran. Yuta saß vor dem Sofa, der Fernseher aus, aber auf dem Tisch lag ein weiteres dickes Buch. Er setzte grad seine Brille ab. Die Gläser waren nicht dick, das Gestell schmal und schlicht. Man bemerkte es kaum und es wirkte natürlich. Kurz gesagt: Es sah nicht schlecht aus, sie stand ihm. „Böööh...“ „Wieder Schafe?“ „So in etwa.“ „Was hat er diesmal gesagt?“ „Gemacht, mein Lieber, gemacht!“, ich hob und senkte den Zeigefinger, deutete gen Himmel, als ob ich mich - wie ein über eifriger Schüler - melden würde. Den Kopf hob ich erst gar nicht aus dem Kissen, brummte vor mich hin. Yuta gab mir ein bestätigendes Brummen zurück. Er stand neben mir auf, klopfte mir auf die Schultern. „Armes Schwein.“ „Schaf!“ „Okay, armes Schaf.“, verbesserte er sich. Seine Stimme klang heiter und ich ließ beruhigt die Schultern hängen. Kurzer Moment der Entspannung. Herzhaftes Seufzen. Scheinbar wollte Yuta keine Einzelheiten hören, besser so. Es war lächerlich und peinlich. Außerdem hätte ich ihm dann noch die Vorgeschichte erzählen müssen. Er ging an mir vorbei, stellte das Buch wieder weg, legte die Brille wieder an ihren Ort. Als er fort war, auch wenn er nur die Treppe hoch gegangen und in sein Zimmer gleich daneben verschwunden war, hatte ich ein Gefühl von Einsamkeit in mir. Schon krankhaft, oder? Aber ich kam einfach nicht davon ab. Ich starrte die Treppe hinauf, bis mir der Schmerz im Nacken saß. Als er dann am Kopf der Treppe erschien, ließ ich schnaufend, erleichtert und befreit vom Schmerz, den Kopf wieder auf Kissen sinken. Yuta setzte sich auf die Sofalehne, schwieg mich wieder an. „Warum ließt du neuerdings Bücher?“, ich hob wieder den Kopf. Es musste ungefähr der Schmerz sein, den Besucher des Kinos erleiden, wenn sie in der aller ersten Reihe sitzen und versuchen die Leinwand anzustarren ohne einen steifen Hals zu bekommen. „Bildung, mein Lieber, Bildung.“, amte er mich nach und deutete mit dem genau anderen Zeigefinger nach oben. Darauf hin musste ich nur lächeln. Ja, eigentlich war es wie immer. Das einzige Problem war nur: das ganze war gespielte Fassade. Traurig aber wahr. Wir versuchten uns gegenseitig zu Täuschen und hielten uns falsche Masken vor. „Ich denke nicht, dass du noch Bildung brauchst.“, meinte ich dann. „Man lernt nie aus.“ „Du und lernen. Seit wann das?“ „Eine Laune.“ „Ziemlich schlechte Laune.“ „Ja. Miese Laune.“ „Tu was dagegen.“, brummte ich ließ wieder den Kopf fallen. Neben mir rührte er sich, stand auf und setzte sich neben mich vor das Sofa. Wieder Stille. „Mach was! Mir ist langweilig.“ „Ich denk du bist ausgepowert...“ Dann drehte ich den Kopf zu ihm, verzog meine Miene und legte die Stirn in Falten. „Wenn ich sag ‚Mach was!’ dann mach doch was und stell nich dumme Gegenfragen. Ich bin schließlich dein Bruder“, klopfte ich frustriert auf das Sofa. Kurz darauf mussten wir wieder beide nur lächeln, zum laut lachen traute sich keiner von uns. „Ami hat sich heute mit Kai getroffen.“ „Hast du sie gesehen?“ „Jopp, als ich dich heute Morgen bis zum Bistro begleitet habe, bin ich weiter gegangen, da hab ich die beiden auf dem Rückweg im Park gesehen. Schienen sich gut unterhalten zu haben. Haben sich beide fast kaputt gelacht. Idioten.“ In dem Moment wollte ich ihm eine ernstgemeinte Frage stellen. Eine Frage, die auch mich seit langen beschäftigte. „Gibt es eigentlich noch Menschen, die du nicht als so minderwertig abstempelst?“, ich versuchte die Frage möglichst neutral zu stellen, schließlich versuchte ich sie mir seit Tagen selbst zu beantworten. Trotzdem zuckte Yuta leicht zusammen, sah kurz zur Seite und überlegte einiges. „Ich mein, Freunde haben wir nun wirklich nicht. Liegt das daran, dass wir zu wählerisch sind, oder weil wir wirklich so vom Glück verlassen sind?“ „Ich weiß nicht.“ „Was ist dir denn überhaupt wichtig?“ Wieder Stille. Nebenbei drehte ich mich auf den Rücken. Warum stellte ich ihm die Fragen, die auch mich diese Weile über schon so zerrissen haben? Dann drehte sich Yuta wieder zu mir, sah ernst zu mir. „Was mir wichtig ist? Ich weiß es nicht wirklich, aber ich glaube das alles hier ist das einzige woran ich mich momentan klammern kann.“ Während er so sprach drehte ich den Kopf wieder zurück zur Decke, starrte einige Augenblicke nach oben ehe ich wieder fragte. „Das hier?“ „Das Leben mit dir und deiner Mutter. Denke ich.“ „Denkst du...?“, ich wand mich wieder mit dem Kopf zu ihm, runzelte die Stirn und hob eine Braue. Warum konnte er keine klaren Antworten geben? Alles was ich von ihm wollte waren Antworten auf die Fragen, die ich hatte. Yuta biss sich auf die Lippe, sah kurz zur Uhr, dann wieder zu mir. Dann schüttelte er den Kopf, stand auf, setzte sich auf die Kante des Sofas neben mich, lehnte sich zu mir herunter. „Nur du!“ Auch wenn das alles ziemlich kitschig war, stieg mir keines Wegs Scham in den Kopf, kein Bedauern, nichts. Wieder dieses eiskalte, reaktionslose. Wie ich diese Seite hasste. Auch als er sich weiter über mich lehnte, mir die Lippen mit den seinen versiegelte, schloss ich gelassen die Augen und ließ ihn gewähren. War ich grausam, dass ich ihm Hoffnung machte? War ich brutal, weil ich ihn immer wieder an mich ranließ? Ich war einfach nur dumm und naiv. Wie ein Schaf. Dass ich ihm nichts sagte, war allein schon dumm. Einerseits vielleicht Selbstschutz, dann aber doch ein zu großes Geheimnis, als dass ich es allein auf den Schultern tragen konnte. Trotzdem wollte ich sein Gefühl nicht missen. Seine Wärme und Nähe. Kai würde mich nun sicher fragen was besser wäre: Von dem flachgelegt zu werden, der einen hasst, den man selbst jedoch mehr als vergöttert. Oder ob es besser ist mit dem zu schlafen, der einen liebt, den man selbst aber nicht liebt. Eigentlich dieselbe Situation. Vorwärts wie auch Rückwärts bringt es keine Veränderung in der Zwickmühle. Doch ich war ja selbst schuld, also musste ich es auch allein wieder ausbaden. Sein Kuss war süßlich. Und ich öffnete die Augen, als er wieder abließ. Sein Lächeln darauf war ungewohnt nervös. Dennoch übermannte mich wieder dieses Mitleid, ich fasste hinter seinen Kopf und zog Yuta so zu mir runter, legte seinen Kopf auf meine Schulter. Er versuchte noch etwas zu sagen, doch nichts drang aus seinem Mund an die Luft in diesem Raum. „Ich weiß...“, entgegnete ich auch ohne etwas gehört zu haben. Er schloss für eine Zeit die Augen, atmete ruhig und blieb so verharren. Aber war es eigentlich wirklich richtig dem Armen durch das alles Hoffnung zu machen? War es überhaupt Hoffnung? Ehe ich mich versah hatte ich keine Zeit mehr um über diesen Gedanken zu grübeln. Seine Lippen legten sich wieder auf meine Haut, fuhren den Hals herab. Aber immer wieder kam ein leises Bedauern von ihm: „Es tut mir leid, so leid.“ Doch ich fühlte nichts, rein gar nichts. Weder geschockt noch positiv überrascht. Nichts, nur dieses Verlangen ihn zu halten, sein Bedauern in bloßer Stille zu ertränken und wieder den alten Menschen vor mir zu haben. Doch es blieb bei den einfachen Küssen, dann ließ er wieder von mir ab, schüttelte den Kopf und wir beide schwiegen wieder. Das Wochenende verlief wieder so. Immer wieder küsste er mich, lehnte sich über mich, machte mich immer nervöser mit seinen Blicken. Doch er brach immer wieder ab, als ihm die Luft zu knapp wurde. Immer wieder verführte er einen und dann wieder dieses abrupte Stoppen. Ein Spiel? Wohl kaum, seine Augen waren immer getränkt von Gier und Verlangen, trotzdem war seine Zurückhaltung nur noch mehr ein Grund, dass ich dieses ‚Mitleidsgefühl’ verspürte. Aber war es wirklich Mitleid? Zuneigung und Liebe war doch etwas eindeutig anderes. Auch nicht diese Sucht, die mich zu Kai getrieben hatte. Ja, ich kann es Sucht nennen. Schließlich wollte ich eigentlich immer nur in seiner Nähe sein, seine ignorante, kalte Seite kennen und immer wieder, wenn ich ihn ansah, seinen Rücken sehen. Mehr nicht. Warum Kai sich mit mir so abgab verstand ich noch immer nicht. Immer wieder aufs Neue kam Yuta in den merkwürdigsten Situationen zu mir, überrumpelte mich, drückte mich an ihn. Ob nach dem Duschen, dass er mich an die Wand drückte, mir das kalte Wasser mit den Küssen von der Haut stahl. Oder einfach nachts sich plötzlich an mich lehnte, ein Bein über meine Beine legte und still dem Herzschlag horchte. Warum tat er das alles? Die letzten Tage war ich nicht mehr ins Bistro gegangen. Mir war seltsam zu mute, es fehlte die Regelmäßigkeit, von Kai genervt zu werden. Zu meinem Pech kam noch dazu, dass Yuta mich fast jeden Tag neu überraschte und mich langsam in den Wahnsinn trieb. Nicht, dass es mir nicht gefiel. Ganz im Gegenteil - Seine zärtlichen Berührungen, dieses Überhäufen mit Gefühlen brachte mich in Verlegenheit und verwirrte mich. Es war das erste Mal, dass ich erlebte, dass mich wirklich jemand so von Herzen ‚liebte’. Etwas in mir sträubte sich aber immer noch dagegen, dieses ganze ‚Liebe’ zu nennen. Ich hasste dieses Wort. Der Grund dafür war mir unklar. Es endete wirklich so, dass ich irgendwann nach dem Duschen wieder auf Yuta stieß. Warum musste ich immer so regelmäßig aus dem Bad kommen, wenn er die Putzsachen zurückstellte. Oder war das nun seine Taktik mich ganz bescheuert zu machen? Langsam war ich misstrauisch, betrachtete ihn aus den Augenwinkeln, ging ein paar Schritte, ehe ich seine Hand auf meiner Schulter bemerkte. Er zog mich zu ihm zurück, hielt mich von hinten umarmt, drückte plötzlich seine Lippen auf meinen Nacken. Ein heftiges Schaudern durchfuhr mich. Angestachelt von meiner Reaktion legte er weiter die Hände um mich, strich erst nur den Hals herab, zeichnete dann die Schultern nach. Die eine Hand auf meinem Rücken, die andere strich bereits meinen Arm herab, umfasste meine Hand, die ich verkrampfte. Er legte mir wieder den Kopf auf die Schulter, fuhr nun mit der Hand, die bis eben auf dem Rücken verharrt hatte wieder nach vorn, streichelte die noch nasse Haut auf dem Bauch. Ich wollte endlich wissen warum er mich immer wieder so berührte, wenn er doch eh nie auf den Punkt kam. Doch es war immer wieder so, dass ich die ungute Ahnung hatte, dass mir die Hutschnur platzen würde. Irgendwann würde ich nicht mehr an mich halten können. Immer öfter hatte ich ein unangenehmes Drücken in mir selbst, es rauschte in meinen Ohren und ich wollte ihn wieder an mich reißen, ihn fest halten und drücken. Auch dieses Mal kam es wieder in mir auf. Seine leichten Finger, die über die Haut huschten und mir immer wieder eine Gänsehaut bereiteten. Warum machte er mich so nervös, verrückt und warum ließ ich mir alles gefallen? Kurzerhand drehte ich mich zu ihm herum, es musste sein, ehe mich der Mut wieder verlassen würde. Meine Hände stemmten ihn zurück, drückten ihn an den Türrahmen des Bads. Ich sah ihn einige Zeit an, näherte mich dann seinem Gesicht. Anfangs war sein Blick zittrig und verunsichert, ein roter Schimmer lag auf seinen Wangen. Seltsam warum hatte er plötzlich Scham, da er es doch zuvor selbst so wollte. Ohne weiter Zeit zu verschwenden, legte ich meine Lippen fordernd auf die seinen, drückte ihn weiter, trat näher an ihn heran, nebenbei tropfte immer wieder Wasser aus meinem Haar. Sekunden später schnappte er nach Luft, brachte erstickt ein Japsen hervor, sah von unten her zu mir, noch immer war sein Gesicht gerötet. Als ich noch einen weiteren Schritt an ihn heran trat, meine Hand auf seine Brust legte und seinen Pullover nach oben schieben wollte, leistete er abrupt Wiederstand. Sofort ließ ich von ihm ab, was mir nur einen enttäuschten Blick von Yuta brachte. Er sah mich verwundert an, er hatte scheinbar damit gerechnet, dass ich trotzdem weiter mache. Doch das war nicht mein Ziel. „Wenn du es nicht willst, warum treibst du mich dann immer wieder in den Wahnsinn?“, zischte ich ihm nur noch zu, ehe ich mich umdrehte um in meinem Zimmer zu verschwinden. Dann herrschte zwischen uns am Samstag ziemliche Ruhe, Distanz und scheinbar war Yuta noch nachdenklicher als zuvor. Wenn ich versuchte mit ihm zu reden, war er oft verwirrt und geistig abwesend. Die Konversationen bestanden aus Brummen, Murren und schlichtem ‚Ja’ oder ‚Nein’. Er kam diese Nacht nicht zu mir ins Zimmer, genauso wenig wie er den Tag zu vorgekommen war. Ich machte mir Vorwürfe ihm so eiskalt die Wahrheit gesagt zu haben. Aber ich bezweifelte, dass es überhaupt die Wahrheit war, da ich sie, wie so oft, selbst nicht wusste. Vielleicht war es Einbildung oder einfach nur ein purer Hormonstau. Er fehlte mir. Auch wenn er die ganze Zeit um mich war, dachte ich, dass er dennoch so weit entfernt war. Ich wollte wieder seinen Körper neben mir haben. Nur Sonntagabend, kurz bevor unsere Eltern am Montagmorgen wieder kommen sollten, brach etwas in ihm zusammen. Er klopfte an meine Zimmertür und öffnete sie zugleich. Ich hatte noch im Bett gesessen, nach draußen gesehen und ihn gar nicht bemerkt. Als ich meinen Blick herum wandte und ihn erblickte war ich überrascht, als er verlegen sein Kissen in der einen Hand halb auf dem Boden schleifen hatte und mit der anderen sich am Kopf kratzte. „Kann ich zu dir kommen?“ Ich nickte nur, legte mich auf den Rücken ins Bett und machte ihm Platz. Reine Routine, aber ich war trotzdem froh, dass er da war. Wir lagen einige Zeit nebeneinander im Bett. Yuta war einfach so zu mir gekommen, obwohl ich so gemein zu ihm war. Beide auf dem Rücken, beide den Blick gen Decke gerichtet, wieder Schweigen. Wie lange sollte das noch so gehen? Wie lange wollte ich mich noch so verhalten, dass ich ihn wohlmöglich jedes Mal aufs Neue verletze, ohne es zu merken? Neben mir wandte sich Yuta zu mir herum, stützte seinen Kopf in die Hand, seufzte. „Was meinst du? Wann kommen sie wieder?“ „Sie sagten doch: In der Nacht von Sonntag auf Montag.“, meinte ich, die Augen geschlossen. Eine sinnlose Frage. Was bezweckte er? „Bald fängt die Schule wieder an.“, meinte er genauso trocken. „Stimmt...“ „Reiji?“, wieder dieses Wort. Wieder ein Lächeln auf seinen Lippen und ein ungewohnt freudiger Ton. Zustimmend brummte ich vor mich hin. „Was gibt’s?“ Doch von ihm kam keine Frage, sein Gesicht veränderte sich nur leicht zu einem besorgteren Lächeln, bis er wieder seinen Kopf auf meine Schulter legte, seine Hand unter das Shirt schob und so verharrte. War es wirklich das was er wollte? Wenn es so war, wie würde er reagieren, wenn ich den Arm um ihn legen würde? Ohne weiter darüber nachzudenken, tat ich es einfach. Neugierde auf seine Reaktion war nicht das Einzige, was mich in jener Nacht dazu trieb so etwas zu tun, viel mehr eine bereits erlebte Situation ungewollt widerzuspiegeln. In der letzten Zeit fehlte etwas um mich. Der Alltag, Kais Triezen, Yutas Nähe. Nach unserer letzten Begegnung dieser Art, hatte ich den Wunsch ihn wirklich zu Berühren. So wie Kai damals. Pure Neugier war es bestimmt nicht. Eher wieder dieser Gefühlsmischmasch aus Mitleid und Bedauern. Vielleicht benannte ich es auch falsch. Vielleicht war genau das ‚Liebe’. Bei dem Gedanken musste ich mich unweigerlich schütteln. Yuta lehnte sich über mich, sah mir ernst in die Augen, ehe er wieder seine Lippen auf die meinen legte. Wieder rührte ich mich nicht, ließ ihn gewähren. Auch als seine Hand das Oberteil weiter nach oben schob, brachte ich nichts aus mir heraus. Seine Küsse und Streichelein wanderten den Hals und Schultern herab, sprangen sacht über den Stoff, auf die Haut, die nun mehr unangenehm warm den Oberkörper umspannte. Mein Blick war immer noch gen Decke gerichtet, meine Hand, die bis vorhin noch hinter meinem Kopf lag, hatte ich reflexiv auf den noch vom Stoff bedeckten Teil meiner Brust gelegt. Was auch immer er vorhatte, etwas in mir hatte keine Kraft um sich dagegen zu wehren. So wie damals. Wirklich anders war es wirklich nicht... Aber irgendwie kam in mir wieder die Lust auf, ihn zu berühren... » Was ist besser? Von jemanden gevögelt zu werden, der dich hasst, für den du jedoch in Flammen stehst? Oder mit jemandem schlafen, der dich über alles liebt, dem du jedoch nicht mal deine Unterwäsche zum waschen geben würdest...? « Für einen Moment lang klangen diese Worte wie echt, sie hallten in meinem Kopf immer wider. Durchdrangen jeden Fetzen meiner Haut und schafften es in die dunkelsten Winkel meiner Seele. Auf mir lag eine Gänsehaut und als ich wieder die Augen öffnete hatte ich für eine Sekunde wirklich Kais Gesicht vor Augen. Nach dem nächsten verstörten Blinzeln sah ich wieder Yuta. Er saß auf meinen Beinen, die Decke lag am äußersten Fußende. Seine Hände auf meinem Körper, sein bedrücktes Gesicht zu einem nervösen Lächeln verzogen. Ruckartig setzte ich mich auf, riss ihn zu mir, legte die Arme um ihn. „Warum? Warum willst du das nur?“ Doch er schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“, brachte er still hervor, lehnte sich gegen mich. Seine Haut war kühl, benetzt von Schweiß, er trug kein T-Shirt mehr. Ein Schaudern durchfuhr ihn, als ich einen Kuss auf seinen Hals legte. Was nur, was bewegte ihn dazu? Warum wollte er das alles, obwohl ich so ein schlechter Mensch zu ihm war? Er legte seine Hände auf meine Schulter, zog sich leicht nach oben. Als ich in seine Augen sah erkannte ich erst den Schimmer auf seinen Wangen und den Ausdruck der mir alles und doch nichts sagen wollte. Seine Finger strichen die Haarsträhnen aus meinem Gesicht und ich legte meinen Kopf gegen ihn. Warum...? Diesmal genoss ich seltsamerweise diese Stille zwischen uns. Ihn in den Armen, seine Haut an der meinen und trotzdem war es ihm und leider auch mir nicht genug. Yuta legte wieder die Arme um meinen Hals, wisperte ein paar leise Worte zu mir und von mir kam nur ein Nicken. „Bitte.“, er hatte wieder diesen Blick, den ich einfach nicht ertragen konnte. Er tat das nur um mich zu quälen, zumindest dachte ich das. Wenig später lag Yuta auf dem Rücken, biss sich auf die Lippen, mein Kopf in seiner Halsbeuge. Er hatte die Arme um mich gelegt, mich förmlich darum gebeten mit ihm so weit zu gehen. Er unterdrückte die Stimme in Angst, dass jemand uns hören könnte, wenn unsere Eltern nach Hause kommen würden. Doch es änderte nichts an der Situation. Zwar kam in mir immer mehr der Wille auf ihn zu küssen, meine Hände über seinen Körper streifen zu lassen, dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen. Und ich tat es ohne Rücksicht auf anderes. Alles, alles was auch Kai damals getan hatte. Es war kein Unterschied. Nur ein Perspektivenwechsel. Mir war noch immer nicht klar, was dieses Empfinden war. Undefinierbar. Ein ewiges hin und her zwischen diesem Gefühl, was Mütter für ihre Söhne haben mussten, wenn sie sich beim Spielen das Knie aufgeschürft hatten und weinend zu ihnen kamen. Und dem Gefühl von brüderlicher Freundschaft, das Bedauern, dass diese Freundschaft an dieser scheinbar trügerischen Zuneigung und dem vorrübergehendem Verlangen zerbersten könnte. Kurz aufgeflammte Leidenschaft, die ein Leben so drastisch, dramatisch herumreißt und die heile Welt zerstört. Meinesteils hatte dieses krankhafte Bedürfnis - die Fleischeslust - schon einmal erlebt, aber unter wesendlich anderem Aspekt. Dennoch fühlte ich mich immer tiefer in die Rolle von Kai gesogen. Vielleicht wusste ich nicht was ich tun sollte und nahm deshalb für eine Zeit lang seine Persönlichkeit an, zumindest Teile davon. Kalt und fast emotionslos brachte ich es fertig ihm die Shorts vom Körper zu ziehen und weiter jede Sekunde die verging an damals zu denken. Yuta weckte in jener Situation dieses Verlangen, was auch Kai getrieben haben muss. Ihn dazu gebracht hatte, so wie ich jetzt gerade, so sicher über die angespannte Haut zu küssen, jeden möglichen Muskel mit den Fingern zu umfahren, um den Jungen unter mir in den Wahnsinn zu treiben, sein leises jammern zu hören, den unregelmäßigen Atem, der einem entgegen strömte und der Duft, der von ihm kam. Nebenher wusste ich dennoch welchen Schmerz es mich damals in der Dunkelheit der Regennacht gekostet hatte und es grauste mir davor ihm dies anzutun. Diesmal war ich es, der es nicht fertig brachte weiter zu gehen, wich im Augenblick der Besinnung zurück und war drauf und dran ihn wieder allein im Zimmer zu lassen, doch mein Körper rührte sich nicht. Über ihn gelehnt verharrte ich eine ganze Zeit, ehe ich es wirklich schaffte mich wieder aufrecht zusetzen. Seine Blicke verfolgten mich, seine Hände ließen mich gehen. Warum hielt er mich nicht fest? Viel mehr als alles andere hatte ich mir dies nun gewünscht - dass er sich an mich lehnte, seine Arme um mich legte und einfach nur da war. Dieses Leid, dass mich die letzten Tage durchfuhr, dass schlechte Gewissen, als ob wir uns schlimm gestritten hätten und eine Art von brennender Sehnsucht. Doch auch er setzte sich auf, kam zu mir und lächelte. Gerade dieses verständnisvolle Lächeln schmerzte mehr als manche Worte die mir Kai schon um die Ohren gehauen hatte. Mein eigener Bruder war wirklich ein besserer Folterer als Kai. Aber Kai war auch selbstquälerisch und sadistisch zu gleich. Er liebte es mich in diesen verzwickten Situationen zu testen, mir immer wieder aufs neue eine Last auf zu erlegen, nur um mich im Moment in dem ich am schwächsten bin aufzufangen. In scheinbarer Freundlichkeit, um mich dann doch wieder heimlich in die Dunkelheit zu führen. Und er hatte Gefallen daran meine Antworten zu hören. Immer wieder redete er mit mir, nur um mit mir zu diskutieren, heimtückische und fiese Bemerkungen, Beleidigungen und Abwertungen zu bekommen. Sein schelmisches Lächeln schwand jedoch nie, da er wusste, dass ich mit jedem Wort, jeder Bemerkung mir nur selbst ein weiteres Stück Last und Sorge auferlegte. Wieder küsste jener Junge in meinen Armen mich, inniger als zu vor. Scheinbar konnte ich ihn einfach nicht von seinem Plan abbringen. Absolut nicht. „Mach dir keine Sorgen. Achte nicht darauf.“, klangen seine Worte in meinen Ohren wieder, ehe er mich zurückdrückte und den Hals mit der Zunge liebkoste. Wie tief musste er gesunken sein um so weit gehen zu wollen? Kai hatte mich in jener Nacht zu den selben Gedanken getrieben und doch brachte Yuta mich jetzt dazu, dass ich ihn zu mir hob, ihm sanft über den Rücken strich, mit einem weiteren Kuss seinen Mund versiegelte um seinen möglichen Schmerz zu lindern. Für uns beide war es seltsam und doch einzigartig. Jeder weiterer Kuss rann mir bitter die Kehle herab, weil mir immer wieder der Schmerz in den Kopf stieg, den ich damals verspürt hatte, als wir in der Nacht vereint diese honigsüße Illusion lebten. Nur für wenige Stunden, wenn es denn so lange war. Dieses Winden in der Dunkelheit, die einem die Luft mit drahtigen Schlingen abdrosselte. Die zarten Berührungen, das unterdrückte Keuchen, der kalte, nasse Körper, den ich versuchte zu halten, ohne ihn zu zerdrücken. Unbeschreiblich. Und ähnlich erging es auch mir jetzt danach, auch wenn Yuta erschöpft seinen Kopf auf meine Schultern presste und fast schon drohte zu schlafen, fing erst jetzt mein Herz an wie wild zu schlagen. Jetzt wo alles vorbei war, bemerkte ich eigentlich was ich wirklich getan hatte. Wieder überrannte mich mein Verstand. Drückte mich wieder in die Ecke, so dass ich zweifeln musste, ob ich noch lebte, oder doch schon tot war. Wie ein Phönix aus der Asche auferstanden? Von dem Jungen in meinen Armen wieder neu ins Leben gerufen...? Nichts davon. Mein Herz raste, weil ich zu Kai wollte. Ich sehnte mich nach dem Augenblick in dem ich das fühlen durfte, was Yuta jetzt so glücklich machte. Sein Lächeln, das unregelmäßige Heben und Senken der Brust, einfach das Verspüren der Schwerelosigkeit, Leichtigkeit. Das Sehnen nach diesem Verbotenen, Anstößigen, nach dem Sündigen in der Nacht. Und doch wollte ich Yuta in meinen Armen nicht missen, ihn für immer bei mir behalten. Mehr noch als Kai in jenem Moment. Keiner von beiden war für mich entbehrlich. Das schwarze Schaf wird selbst zum Wolf, wenn man ihm reines Blut zu trinken gibt... Noch Minuten danach, als Yuta wieder in meinen Armen lag, längst geduscht und neu gekleidet, hatte ich die Ahnung, dass ich ihn in Stücke zerrissen hätte, dass er still im inneren vor Schmerzen und Glück schrie und unzählige Tränen vergoss. Seine Augen waren geschlossen, er schlief und gerade aus Angst, fuhr ich immer wieder mit dem Finger über seine Wange. Keine seiner Tränen sollte je dieses Lacken mit Salz durchsetzen. Ja, ich habe mich meinem besten Freund hingegeben und für einen Moment wieder einem fiktivem Tod in die Augen gesehen, für eine Weile vergessen, dass sich die Welt weiterdreht und nur das Leben zwischen uns erlebt. Und ich wünschte mir, dass ich mich noch mehr darum mühen würde. Wenn es mich auch nur ansatzweise berühren würde. Ich wollte weinen, weinen weil ich nicht wusste, warum mich dieses Erlebnis so kalt ließ... Jetzt weiß ich, dass ich Yuta nicht nur wie ein Tier in Stücke gerissen hätte, wenn ich es ihm damals gestanden hätte, doch auch ohne es ihm zu sagen, macht mich der Hauch von Schuld zu einem der Menschen, die in solch einem leid- und doch glückerfüllten Bruchteil der Zeit, doch lieber gestorben wäre. Wie oft schon hat mich Kai aufgezogen und mir mit dummen Gerüchten und Bloßstellungen das Leben erschwert. Und es verletzte mich mehr als zu wissen, dass ich meinen eigenen Bruder, meinen besten Freund hintergangen hatte. Falsche Hoffnung gegeben, um dann doch tagsüber wieder die Maske zu tragen, die Zeit um Zeit, Tag um Tag, immer wieder diese scheinbar heile Welt aufrechterhalten sollte. Und doch wollte ich nie einen der Momente daheim hergeben um mit Kai vereint zu sein. Niemals. Es sollten zwei Welten sein. Getrennt voneinander. Und keine von beiden sollte dem anderen je nahe sein um etwas zu erfahren. Ein neues Spiel beginnt und die Masken aufs Neue gewachst um sie glänzend für den neuen Auftritt zu machen. Dieses Spiel um die heile Welt, das tägliche Verdrängen der Tatsachen und die immer wiederkehrenden Erlebnisse des Alltags. Das Märchen um das schwarze Schaf, die Geschichte um den bösen Wolf und die dummen Geschwister. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)