Schicksalshafte Begegnungen von sharx ================================================================================ Prolog: -------- -Prolog- Der Schrei eines neugeborenen Kindes ließ den sechsjährigen Linair zusammenfahren. Erneut schrie es und er schloss die Augen. ‚Jetzt ist es also da...’ Er drehte sich langsam in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen war, und sah zur Tür, hinter der seine Mutter lag. Unter normalen Umständen wäre er aufgesprungen um sein Geschwisterchen zu sehen, doch die Umstände waren nicht normal. Dieses Kind wollte er nicht kennen lernen. Seine Tante, die neben ihm in der Wohnstube auf einem Bärenfell vorm Kamin gesessen hatte, legte die Figuren, mit denen sie eben noch zusammen gespielt hatten, beiseite, strich ihm über den Kopf und stand auf. Ihr weiter Rock raschelte und die Absätze ihrer Schuhe klackten auf dem Holzfußboden, als sie auf die Schlafzimmertür zu ging. Linair sah ihr schweigend nach. Der Schein des Feuers spiegelte sich in seinen gelben Augen und warf flackernde Lichtreflexe auf sein kurzes, braunes Haar, als sein Blick zurück auf die Figuren in seinen Händen und vor ihm wanderte. Er wollte nicht hinterher gehen. Es wurde still im Zimmer, nachdem sich die Tür hinter seiner Tante geschlossen hatte. Leise knisterte das Feuer und von draußen hörte er das Prasseln des Regens. Er kam sich allein gelassen vor. So wie auch in den letzten Wochen schon. Alle hatten sich nur noch um seine Mutter gekümmert und ihn kaum beachtet. Für ihn war es kein Grund zur Freude zu wissen, dass dieses Kind da war. Ein Kind, das der Beweis für eine Liebe war, die er nicht akseptieren konnte. Es war der Nachwuchs jenes Mannes, der einfach in sein Leben getreten war und den Platz seines über alles geliebten Vaters eingenommen hatte. Kein gewöhnlicher Mann, sondern ein Mensch! Einer dieser widerlichen, unfähigen Kreaturen, die es in keiner Weise mit den Galmar hätten aufnehmen können. Sein Onkel hatte ihm erzählt, sie seien schwach in Körper und Geist, und er hatte gesehen, dass dieser Mensch in keiner Weise wie sein Vater war. Er hatte ihm mehr als deutlich gezeigt wie wenig er ihn mochte. Freudestrahlend kam Elvar, der Mensch der sein neuer Vater sein wollte, aus dem Zimmer seiner Mutter und trat auf ihn zu. „Linair, komm her und begrüß deinen Bruder.“ ‚Einen Bruder’, dachte er missmutig und erhob sich. Widerwillig folgte er ihm zum Zimmer seiner Mutter. Sie lag erschöpft, jedoch glücklich in den Kissen, das Neugeborene in eine Decke gewickelt auf ihrer Brust. Es schrie nicht mehr, hatte die Augen fest geschlossen und hielt mit seiner kleinen Hand den kleinen Finger der Mutter umklammert. „Der ist ja ganz verschrumpelt“, kam es leise von Linair, der dichter ans Bett herangetreten war. „Das warst du auch, als du gerade geboren warst“, sagte seine Mutter sanft und lächelte. ‚Ist mir doch egal.’ Seine Stirn legte sich in Falten, als er sich das Baby ansah. Kein Zweifel, es war hässlich. Die Haut blass und faltig, überall kleine Fettpolster und den Kopf voller kurzer, krauser Haare. Dass es so aussah musste am Blut des Menschen liegen, daran bestand für ihn kein Zweifel. Wie konnte seine Mutter nur etwas so hässliches in ihrer Nähe ertragen? „Ist er nicht niedlich?“ Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er schüttelte sie ab. Er wollte nicht von diesem Mann berührt werden. „Ist es nicht“, sagte er trotzig und wandte sich ab. Diesen Anblick konnte er nicht länger ertragen. „Wie soll er heißen?“ fragte Elvar, während Linair sich auf den Weg zur Tür machte. „Ich möchte, dass er Viktor heißt.“ Mitten in der Bewegung blieb Linair stehen und drehte sich langsam um. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Sie konnte doch nicht einem so hässlichen Ding den Namen seines Vaters geben. „Wenn du es so möchtest.“ Der Mensch neben seiner Mutter gab ihr einen Kuss und sie schloss glücklich die Augen. ‚Wie kann sie das tun?’ fragte sich der Junge. In ihm flammte der Zorn auf. ‚Das ist doch eine Beleidigung meinem Papa gegenüber, diesem Ding seinen Namen zu geben.’ Er ballte die Fäuste und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. ‚Du wirst es noch bereuen auf die Welt gekommen zu sein, Viktor!’ Schweigend verließ er das Haus und trat hinaus in den strömenden Regen. In Kürze waren seine dünnen Kleider durchnässt und klebten an seiner Haut, doch es störte ihn nicht. Der Wind blies ihm die kühlen Tropfen ins Gesicht und sie vermischten sich mit Tränen die ihm über die Wangen kullerten. Sein Blick war trübe und er wischte sich über die Augen, als er über den Hof lief und das Grundstück verließ. Die Straße, die vorm Elternhaus verlief, war leer und er kam sich sehr einsam vor. Verlassen von allem und jedem. Noch nicht einmal eine Katze oder ein streunender Hund war zu sehen, der ihm hätte Gesellschaft leisten können. Keine Kutsche fuhr durch den sonst so belebten Ort und neben dem Regen, der auf den langsam aufweichenden Boden prasselte, waren seine schnellen Schritte das einzige Geräusch. Sein Zorn wich einer tiefen Trauer. Er war allein. Es gab niemanden, der ihn nun haben wollte. Seine Mutter hatte den Menschen und dieses hässliche Kind. In seinen nassen Kleidern wurde ihm kalt und er sehnte sich nach ein wenig Wärme, wollte jedoch nicht zurück. Nicht zu dem Menschen und Viktor... Allein der Gedanke an ihn trieb ihm weiteres Wasser in die Augen und brachte ihn dazu schneller zu laufen. Er wollte nur noch weg. Fort von dem Menschen und vor allem von dem Baby... Durch die Regenwolken war es relativ dunkel und selbst wenn irgendwer aus dem Fenster gesehen hätte, wäre ihm der Junge nicht aufgefallen, der schnell das Dorf verließ. Er rannte ohne sich umzusehen in den nahen Wald hinein, wo er sein Versteck hatte. Einen großen, alten Baum, in den vor Ewigkeiten ein Blitz eingeschlagen hatte und in dem seither ein großes Loch war, in das er hinein passte. In dieser Baumhöhle, versteckt durch Efeuranken, die den halb toten Baum überwucherten, hatte er viel Zeit verbracht in den letzten Wochen, wo ihn eh niemand beachtet hatte. Ein wenig außer Atem kam er bei dem Baum an, sah sich kurz um, ob er wirklich allein war, schob die Ranken beiseite und schlüpfte hinein. Hier war er vorm Regen geschützt und niemand wusste wo er war. Drinnen war es noch dunkler, doch seine Augen waren dazu in der Lage selbst bei schwachem Licht noch genug zu sehen. Die alte Decke, die er vor einem Monat mit hierher genommen hatte, legte er sich um die Schultern und setzte sich auf das untere Ende. Dann zog er die Beine an und schloss die Augen. Jetzt war es also soweit. Ab dem heutigen Tag stand er nur noch auf Platz zwei für seine Mutter. Sie hatte jetzt Viktor und er musste um Aufmerksamkeit betteln. Aus seinen Haaren tropfte das Regenwasser auf die Decke. Er tastete seine Hosentasche ab und zog die drei Würfel heraus, die er vor zwei Wochen von seinem Onkel geschenkt bekommen hatte. Sie waren aus Elfenbein geschnitzt und besaßen unterschiedlich viele Seiten. „Gehe vorsichtig mit ihnen um“, hatte er ihm gesagt, „Diese Würfel sind etwas Besonderes, wie du sicher bald merken wirst. Gib gut auf sie acht.“ Ja, sein Onkel hatte trotz der Aufregung wegen dem Kind immer Zeit für ihn gehabt. Er war es, der ihm von den Menschen und ihren Fehlern erzählt hatte. Der Einzige, der gegen die Beziehung seiner Schwägerin zu diesem Menschen war. Der Einzige, der auf seiner Seite stand. ‚Onkel Nordy hatte recht’, dachte er. ‚Die Menschen machen alles kaputt, was uns wichtig ist.’ In Gedanken versunken begann er zu würfeln. Er hatte Konkurrenz bekommen, was ihm ganz und gar nicht gefiel. Und dann auch noch mit menschlichem Blut... Für sein neues Geschwisterchen empfand er daher nur eines: Hass! Kapitel 1: Die Uhr ------------------ Sorry das es so lange gedauert hat aber der erste Versuch dieses Kaps wurde von meiner Betaleserin verweigert und ich musste noch mal von vorn anfangen. Hiermit konnte ich sie zufrieden stellen. Hoffe das es euch auch gefällt. ------------------------------------------------------------------------------- Kapitel I Die Uhr Das einzige Geräusch in der kleinen Werkstatt war ein leises Ticken, das aus so gut wie jeder Richtung kam. Durch leicht schmutzige Fenster drang das Tageslicht in den gut aufgeräumten Raum und brach sich im Glas der Vitrienen, hinter derren Scheiben, auf wieche Polster gebettet, prachtvolle Uhren lagen. Einige von ihnen waren an Ketten befestigt die um den Hals getragen werden konnten, andere an Lederriemen fürs Handgelenk. Hinter einer Werkbank, die aus drei zu einem Halbkreis zusammengestellten Teilen bestand, saß ein junger Mann der einen dünnen Draht mit einer kleinen Zange bearbeitete. Geschickt bog er gleichmäßige Windungen und trennte mit einem ‚Klipp’ die fertige Feder vom restlichen Draht ab. Er atmete einmal tief durch bevor er eine Pinzette zur Hand nahm mit der er sie aufnahm und sich ein Lupenglas vors rechte Auge klemmte. Mit der freien Hand zog er die Uhr dichter an sich heran. Ohne das leiseste Zittern legte er die Feder in ihre Position und drückte sie hinunter. Kurz bevor sie ihre Endposition erreichte entglitt sie der Pinzette und sprang aus dem Uhrwerk. Resigniert legte er die Pinzette beiseite und nahm das in Metall gefasste Lupenglas vom Auge. Das war schon das fünfte Mal, dass ihm die kleine Feder weggerutscht und durch den Raum geflogen war. Dieses Mal sorgte es dafür das er sich eine Pause gönnte. Immerhin lag er gut in der Zeit und würde in spätestens zwei Stunden mit der Reparatur fertig sein. Er streckte sich und sah sich um, ob er wirklich allein war, bevor er die Klappe, die sein linkes Auge verbarg, nach oben schob. Der Schein der Gaslampe blendete ihn und er hielt sich schützend die Hand vor das Gesicht. Fast drei Jahre lang wohnte er nun schon in dieser Stadt, weit entfernt von seiner Heimat und hatte es die ganze Zeit über versteckt gehalten, aus Angst er könnte erkannt werden. Obwohl die Zeiten der Verfolgungen noch vor seiner Geburt ihr Ende gefunden hatten, lebten noch immer viele seiner Art in einer gewissen Angst. Die Menschen trauten ihnen einfach nicht und wollten sie nicht in ihrer Nähe haben. Vor vier Jahren, als er sich gerade von seiner Familie losgesagt hatte, hatte er durch Unvorsichtigkeit seine Existenz aufs Spiel gesetzt und fliehen müssen um am Leben zu bleiben. Seine schlanken Finger wanderten über das linke Augenlid und ertasteten die Narben, die zurück geblieben waren. Warum hatte ihn auch ein solches Schicksal treffen müssen? Er nahm den Deckel der Uhr zur Hand und betrachtete in der polierten Oberfläche sein Gesicht. Klar und deutlich sah er mit beiden Augen die schwefelfarbene Iris links, mit der geschlitzten Pupille, und die braune Iris rechts, die so normal war wie die eines jeden Menschen. Sein Blick rutschte höher zu dem rotbraunen Haar das sich strähnenweise aus dem langen Zopf gelöst hatte und ihm unordentlich ins Gesicht hing, dann zu dem struppigen Bart, den er seit zwei Wochen nicht mehr gestutzt hatte. Sein Gesicht glich eher dem eines Straßenräubers, denn dem eines Uhrmachers. Die ersten Falten machten sich auf der Stirn bemerkbar und ihm wurde wieder einmal bewusst, dass das Blut seines Vaters stärker war als das seiner Mutter. Im Gegensatz zu seiner Mutter, die auch mit 40 noch jung und hübsch ausgesehen hatte oder seinem Onkel, der mit 50 das perfekte Aussehen eines Jünglings besaß, hatte sein Vater schon recht früh zurückweichendes, ergrauendes Haar und leichte Falten gehabt. Wann würde sich auch das bei ihm zeigen? Er lehnte sich auf dem Holzstuhl zurück und seufzte. Waren wirklich schon vier Jahre vergangen seit er von zu Hause fort gegangen war? Noch immer erinnerte er sich an die Wochen, in denen er auf der Suche nach einem ruhigen Ort gewesen war, an dem er arbeiten und leben konnte. Wie man ihn fortgejagt hatte wegen seiner Herkunft und wie er versucht hatte sich von diesem Fluch zu befreien der ihm in die Wiege gelegt worden war. Kurz zuckte der Schmerz jener Nächte erneut durch das vernarbte Gewebe und seine Hand schnellte hoch. Doch so schnell der Schmerz auch gekommen war, war er wieder verschwunden. Langsam ließ er die Hand sinken und betrachtete einen Moment den silbernen Ring am linken Ringfinger. Ein Erbsstück, dass ihm nicht wirklich zu stand, das wusste er, doch solange er sich erinnern konnte hatte er ihn gehabt. Es war ein recht schlichter Ring der nur eine Gravur auf der Vorderseite hatte. Drei Tropfen die zur Mitte liefen über einenem symetrischen Kreuz. Viele Jahre hatte es gebraucht um zu begreifen wie wertvoll dieses einfache Schmuckstück für jemanden wie ihn war, auch wenn er sich noch immer nicht ganz im klaren darüber war wie weit seine Macht reichte. Das Läuten der Türglocke riss ihn aus seinen Gedanken. Schnell schob er die Augenklappe wieder zurück und nahm das Lupenglas in die Hand, so als hätte er es gerade noch getragen und wolle es zur Seite legen. Eine sehr attraktive junge Frau betrat seine Werkstatt und kam auf ihn zu. Er musste unwillkürlich schlucken als er sie sah. Ihr knielanger, dunkelroter Rock war an einer Seite offen und zeigte ihr langes Bein, das in einem dünnen, halbdurchsichtigen Strumpf mit Spitzenrand steckte. Die Korsage an der Taille war so eng geschnürt, dass ihre Oberweite, die halb zu sehen war, und die Hüften noch deutlicher hervortraten. Ihre Haare waren lang und offen und rahmten mit dunkler Mähne das nahezu perfekte Gesicht ein. Ein weiteres Mal schluckte er, als er ihre Augen sah. Ein helles Violett mit einer geschlitzten Pupille... Sofort war ihm klar, was da vor ihm stand, und konnte es nicht glauben. Ein waschechter, weiblicher Galmar. Was ihn besonders erstaunte war, dass sie ganz offen zeigte was sie war. „Sind Sie Viktor Verlaines, der Uhrmacher?“ fragte sie in einem Tonfall als könne sie nicht glauben, dass dieser verwahrlost aussehende Mann der sei, den sie suchte. „Was kann ich für Sie tun?“ Seiner Stimme war deutlich anzumerken, dass er von ihrem Aussehen überrascht, wenn nicht sogar fasziniert war. „Ich habe gehört, das Sie ein Spezialist für Uhren sein sollen“, säuselte sie auf einmal und sein Herz begann zu rasen. Er musste sich zusammenreißen, als er antwortete: „Das kommt ganz auf die Uhr an.“ Langsam zog sie an einer Kette, die sie um den Hals trug, eine goldene Uhr zwischen ihren Brüsten hervor und beugte sich zu ihm, damit er sie sehen konnte ohne das sie diese hätte abnehmen müssen. Erst fiel sein Blick auf die helle, glatte Haut ihres Dekoltees, wo die Uhr noch kurz zuvor geruht hatte, bevor ihn eine Wolke aus Parfüm einhüllte. Ein sehr angenehmer Geruch, der ihn leicht benebelte, und er zwang sich, sich auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. „Sie ist einfach stehen geblieben“, sagte sie in einem so unschuldigen Tonfall, dass er das Gefühl bekam, dass sie ihn auf den Arm nahm. Dennoch war er von dieser Frau fasziniert und nahm nur ungern seinen Blick von ihrer Oberweite. Den Deckel der Uhr zierte eine kunstvolle Gravur, die deutlich zeigte, dass ein Meister am Werk gewesen war. Als er sie aufklappte, bestätigte sich seine Vermutung. Ein zierlich gestaltetes Ziffernblatt mit geschwungenen Zahlen. Um sie genauer unter die Lupe nehmen zu können, löste er sie von der Kette. Er wollte sich auf die Arbeit konzentrieren, was in der vorherigen Position unmöglich gewesen war. Das Dekoltee war doch verlockender als die schönste Uhr... „Seit wann steht sie schon?“ Es war eine Routinefrage, die nicht viel mit der Analyse zu tun hatte. Er wollte nur die eintretende Stille überbrücken. „Seit zwei Tagen. Ich habe nur nirgendwo einen vertrauenswürdigen Uhrmacher gefunden, dem ich mein Schmuckstück anvertrauen kann.“ Die Aussage schmeichelte ihm und eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht. Zwar war er hier und in den benachbarten Ortschaften für seine Arbeit bekannt, ein solches Lob war ihm jedoch noch nicht zu Ohren gekommen. Vorsichtig drückte er den Deckel wieder zu und sah sich die Rückseite an. Klein waren die Initialen in das blankpolierte Metall gedruckt und ließen ihn Lächeln. Diesen Stempel mit den geschwungenen Buchstaben hatte er schon oft gesehen. „Diese Uhr wurde von Icee Manril gefertigt“, kam bewundernd von ihm und die Dame lächelte. „Sie kennen ihn?“ - „Er war mein...“ Er sah zu ihr auf und sein Herz begann zu rasen. Die Galmar vor ihm erwiderte seinen Blick so, als habe sie ihm die ganze Zeit über ins Auge geschaut. Nur langsam und etwas leiser kam das letzte Wort über seine Lippen „...Lehr-meis-ter.“ Er war nicht fähig weiter zu sprechen, starrte sie unentwegt an, als gäbe es nur noch sie und ihn auf der Welt. Eine dunkle Strähne glitt ihr über die Wange und er sah in Zeitlupe wie ihre zierliche Hand diese wieder zurück schob, dabei schloss sie für kurze Zeit die Augen. Er spürte, wie er sich mehr und mehr zu ihr hingezogen fühlte und seine ganze Aufmerksamkeit nur noch auf ihrem Gesicht lag. Die hellen Augen, die glatte Haut und die vollen Lippen, die irgendwelche Worte formten. Doch er verstand sie nicht. „Bitte?“ er musste kurz das Auge schließen und sich leicht schütteln um sich wieder einigermaßen konzentrieren zu können. „Wie lange wird es dauern?“ Er senkte den Kopf und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Warum hatte er sie auch so anstarren müssen? Um weiteren Peinlichkeiten möglichst zu entgehen öffnete er die Uhr erneut. „Das kann ich noch nicht genau sagen.“ Seine Stimme war belegt und er musste sich räuspern. „Manrils Uhren bleiben für gewöhnlich nicht stehen. Können Sie ihre Uhr für ein oder zwei Tage entbehren?“ – „Ich bin nur noch bis heute Abend hier und würde sie gerne dann wieder mitnehmen.“ Er wurde ein wenig unsicher. Die Uhren, die er selber herstellte, waren denen seines Lehrmeisters zwar ähnlich, doch Manril hatte ihm ein paar Kleinigkeiten, die seine Uhren so einmalig machten, verschwiegen. „Ich werde mein Möglichstes tun. Wo kann ich Sie finden?“ Erst jetzt sah er sie wieder an. Ihre violetten Augen leuchteten ihn förmlich an als sie zur Antwort gab. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Heute Abend komme ich wieder vorbei.“ Sie klimperte einmal langsam mit ihren langen Wimpern und drehte sich dann zum Gehen. Ihr Hüftschwung war etwas ausholender als beim Eintreten. Mit leicht offenem Mund starrte er ihr hinterher und als sie sich beim verlassen der kleinen Werkstatt noch einmal zu ihm drehte und ihre Hand hob, klappte sein Unterkiefer noch etwas weiter auf. Erst als die Türglocke anzeigte, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte merkte er, dass auch er seine Hand leicht gehoben hatte. Er schüttelte sich und sah auf die Uhr vor sich. Sie lag wirklich vor ihm. Also hatte er es nicht geträumt. Sein Blick fiel auf die Innenseite des Deckels, wo eine Widmung eingraviert war. Für Anael von Icee. Die Duftwolke ihres Parfüms schwebte noch immer in der Luft. Dann war also wirklich ein Galmar in seine Werkstatt gekommen. So weit im Süden, wo es für gewöhnlich keine gab. Und dazu hatte sie noch nicht einmal den Versuch gemacht ihre Herkunft zu verbergen. Ganz im Gegenteil. Sie zeigte es jedem als sei sie stolz darauf. Er verstand überhaupt nichts mehr. ------------------------------------------------------------------ Kurz vor Feierabend wurde Viktor immer nervöser. Den Fehler in der Uhr hatte er schnell beheben können und auch die andere Uhr war schneller fertig geworden als er gedacht hatte. Danach war er in seine geräumige Wohnung über der Werksatt verschwunden, um sich ein wenig zurecht zu machen. Die Haare hatte er neu geflochten und die kürzeren Strähnen, die ihm ins Gesicht fielen soweit gestutzt und frisiert, dass seine Ohren nicht ganz zu sehen waren. Immerhin waren sie spitzer, als es für Menschen üblich war. Den vorher struppigen und verwachsenen Bart hatte er ordentlich auf seinen üblichen Kinnbart reduziert und geglättet. Die Arbeitskleidung war einer sauberen Garderobe mit weißem Hemd und brauner Weste gewichen und die Hände waren sorgfältig von Öl und Schmutz befreit. Nun konnte sie wiederkommen. Doch sie kam nicht. Hatte sie etwa vergessen, wo sie ihre Uhr abgegeben hatte? Unruhig ging er in seiner Werkstatt auf und ab, zog an einer Kette eine goldene Uhr aus der Westentasche und sah auf das Zifferblatt. Noch vier Minuten, dann musste er die Tür abschließen. Er trat an eine der Vitrienen heran und entfernte mit dem Hemdärmel einen Fingerabdruck vom Glas, sah dann wieder auf die Uhr. Drei Minuten. Sie hatte doch gesagt das sie wiederkommen wollte. Sein Gesicht spiegelte sich leicht im Vitrienenglas und er kontrollierte den Sitz seiner Haare und des Hemdkragens. Erneut nahm er die Uhr in die Hand. Zwei Minuten... Wo blieb sie nur? Eine der Wanduhren begann zu schlagen, kurz darauf setzte eine weitere ein, dann eine dritte. Ihm war dieses Geräusch noch nie so laut vorgekommen. Nach dem siebten schlag der dritten Uhr trat wieder Ruhe ein und nur das stetige Ticken der vielen Uhren blieb zurück. Wieder warf er einen Blick auf seine Taschenuhr. Eine Minute nach. Er konnte nicht länger warten. Als er sich schon auf den Weg zur Tür machte um sie zu verschließen, wurde sie von Außen aufgedrückt. Bevor er etwas hatte sagen können hüllte ihn wieder dieser angenehme Geruch ein und tiefe Glückseligkeit füllte sein Inneres. „Guten Abend“, hauchte die bekannte Stimme und er war nicht sicher ob er wirklich antwortete oder nicht. „Haben sie die Uhr reparieren können?“ Leicht benommen ging er zum Verkaufstresen, wo er in gepolsterten Schubladen die unterschiedlichen reparierten und selbstgefertigten Uhren aufbewahrte. Jede bekam eine eigene Lade, damit sie nicht beschädigt wurde. Behutsam zog er eine in der Mitte auf, die ein rotes Futter hatte und entnahm ihr Manrils Uhr. „Jetzt dürfte sie nicht wieder stehen bleiben.“ Mit leicht zitternder Hand hielt er ihr die Uhr entgegen und sie nahm sie an. „Ich bin Ihnen sehr dankbar. Wie gut, das ich Sie gefunden habe.“ – „Es war eine Ehre eins dieser Kunstwerke reparieren zu dürfen.“ – „Was bin ich ihnen schuldig?“ Ihre violetten Augen ruhten auf seinem und es kam ihm vor als versuche sie ihn zu hypnotisieren. Viktor wehrte sich innerlich gegen diesen Gedanken und nahm den Zettel der unter der Uhr gelegen hatte, aus der Lade und hielt ihn ihr hin. „Nur das Ersatzteil.“ Er vermied es ihr noch einmal in die Augen zu sehen. Immerhin kannte er die Galmar und ihre Fähigkeiten gut genug und hatte nicht vor, ihr zum Opfer zu fallen. Zwar wusste er nicht welche Gabe ihr in den Schoß gelegt worden war, war sich jedoch sicher, dass sie im Begriff war diese gegen ihn zu nutzen. „Sie sehen so anders aus als heute früh.“ Allein der warme Ton ihrer Stimme brachte ihn dazu sie wieder anzusehen. „Haben sie sich etwa für mich so hübsch gemacht?“ Wieder stieg ihm die Röte ins Gesicht und sie lächelte. „Nicht doch. Das ist kein Grund rot zu werden.“ Sie sah auf den Zettel, den er ihr gereicht hatte, und ihr Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Aus einem kleinen Beutel, den sie am Gürtel trug, nahm sie ein paar Münzen und reichte sie ihm. „Stimmt so mein Lieber“, sagte sie augenklimpernd und sein Herz begann wieder zu rasen. Konnte es sein, dass diese Frau ein Interesse an ihm hatte? Eine Galmar, die ein Interesse an einem Menschen zeigte war äußerst selten. Hatte sie ihn etwa durchschaut? „Ich glaube hier werde ich wieder herkommen wenn eine Uhr stehen bleibt. Ich habe mehrere zu Hause.“ „Aus welchem Ort kommen Sie, wenn mir die Frage erlaubt ist?“ Viktor konnte es nicht auf sich beruhen lassen. Er wollte Klarheit. Es war möglich, dass sie gleich nach dem Betreten seiner Werkstatt gewusst hatte, was er war. „Aus Pare. Nicht sehr weit von hier. Warum fragen sie?“ – „Nun...“ Er wurde verlegen. Immerhin wollte er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. „Es ist selten in dieser Gegend einen... eine Galmar anzutreffen.“ – „Nur weil es Ammenmärchen über uns gibt, heißt das nicht, dass wir nicht unter Menschen leben können. Ihnen müsste das doch bekannt sein.“ Er sah sie erschrocken an. Dann hatte sie ihn wirklich durchschaut? „Wie... wie meinen sie das?“ Doch anstatt zu antworten wandte sie sich zum Gehen. Er wollte nicht das sie ging. Vier Jahre lang hatte er nicht einen Galmar gesehen und es war fraglich ob sie wirklich wieder kommen würde. Die Möglichkeit, die sich ihm heute bot, musste er nutzen. Sie war schon fast bei der Tür, als er rief. „Bitte warten Sie.“ Er kam hinter dem Tresen hervor und trat auf sie zu. Elegant drehte sie sich zu ihm um und sah ihn erwartungsvoll an. „Es tut mir leid, sollte ich Sie beleidigt haben. Ich wollte nicht unhöflich werden. Es ist nur... wie soll ich sagen...“ Ihm fielen keine passenden Worte ein. „Aber, aber. Sie haben mich nicht beleidigt, mein Lieber.“ Ihm fiel ein kleiner Stein vom Herzen. Dann war es noch nicht zu spät. Es konnte noch immer dazu führen, dass er sie wieder sah. „Ich weiß, dass es mir nicht zusteht sie das zu fragen, doch ich würde Sie gerne wieder sehen. Nicht als Kundin, sondern...“ Ihm schlug erneut ihr Parfüm entgegen und begann erneut ihn zu benebeln. „Liebend gerne, mein Guter.“ Ihm wurde leicht ums Herz und er hatte das Gefühl abzuheben. „Besuchen Sie mich doch einmal, in Pare. Ich freue mich immer über Besucher. Fragen Sie einfach nach Anael Antaris.“ Er hatte noch etwas sagen wollen, doch bevor ein Wort über seine Lippen kam hatte die Glocke über der Tür zwei mal geläutet. ------------------------------------------------------------------------------- So, geschafft. Wer mehr hier von haben möchte muss mich treten damit ich mich beeil mit dem schreiben ^^. Ihr könnt (solltet) vielleicht auch mal bei Artas_Kainblut vorbei schauen. Ihr gehören die Chara Pics und die Uridee für die FF. Ich setze das alles für sie um. Sorry Artas falls Anael nicht ganz so geworden ist wie du sie dir vorgestellt hast. *sich versteckt* nicht hauen... Kapitel 2: Versuchungen ----------------------- Kapitel II Versuchungen Kurz vor neun verließ Viktor seine Wohnung über den Hinterausgang, um nicht durch den Laden zu müssen, und verschloss sorgfältig die Tür. Es war Pokerabend und den verpasste er nur ungern, da er nur ein Mal die Woche stattfand. Anfangs war es ihm etwas unangenehm gewesen unter so vielen Menschen zu sein, doch er hatte dort ein paar Bekanntschaften knüpfen können, die ihm ein wenig das Gefühl gaben willkommen zu sein. Für ihn stand fest, dass sie es nie erfahren durften, dass er doch anders war. Das würde das bisherige Vertrauen in seine Person erheblich mindern und er wollte nicht wieder fliehen müssen. Er kontrollierte kurz seine Kleidung und ob der kleine Dolch, den er zur eigenen Sicherheit immer bei sich trug, gut verborgen war, bevor er aufbrach. Sein Weg war nicht lang und er schaffte es pünktlich am üblichen Tisch auf seinem Platz zu sitzen, wo einer der Spielkameraden schon auf ihn wartete. Ein großer, breiter Mann mit leichtem Bauch und dünnem schwarzem Haar. Weißes Hemd, glänzende dunkelgrüne Weste und schwarze Hosen zeigten jedem deutlich, dass er wusste wie man zu Geld kam. Er hatte sich so gesetzt, dass er sehen konnte wer den Schankraum betrat. Zwar gab es in der Kneipe keine feste Regel wer wo saß, doch im Laufe der Zeit hatte sich jeder einen Lieblingsplatz zugelegt. Der von Viktor war am hintersten Tisch auf der linken Seite, mit dem Rücken zur Wand. Von dort hatte er einen Großteil des Raumes im Blick und niemand konnte sich ihm unbemerkt nähern. „Hast du heute noch was anderes vor?“ fragte Carlo und musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Abende davor hatte Viktor sich nicht zurecht gemacht, bevor er losgegangen war, und daher war die Frage verständlich. „Nur das übliche“, gab er lächelnd zurück und ließ sich auf dem Holzstuhl nieder. „Wo steckt Joéll?“ - „Vermutlich lässt seine Alte ihn nicht aus dem Haus, weil er immer so viel trinken muss“, witzelte der andere und stieß Viktor den Ellenbogen in die Seite. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie nur zu zweit spielten, doch es war schade die Runde nicht komplett zu haben. „Vielleicht kommt er ja doch noch.“ Carlo nahm sein halbvolles Glas und leerte es in einem Zug, wischte sich dann mit dem Handrücken den Schaum vom Mund. ‚Du trinkst auch ganz schön viel’, dachte Viktor schmunzelnd und begann das Kartenspiel, das auf dem Tisch lag, zu mischen. Zehn Minuten später betrat auch Joéll die Kneipe und schlurfte mit hängenden Schultern durch die verrauchte Luft zu ihrem Tisch. Es wunderte Viktor immer wieder aufs Neue, was eine Frau an so einem Mann finden konnte. Dünn, blass und mit einer krummen Nase, die in einer Schlägerei gebrochen worden war. Sein dichtes, blondes Haar war zerzaust und ihm hing hinten das Hemd aus der Hose. Zwar war er manchmal auch nicht gerade perfekt gekleidet oder schlecht rasiert, aber Joéll sah immer so aus als würde er gerade aus dem Bett kommen. „Habt’a schon anjefangen?“ kam es langsam von ihm, als er sich auf den noch freien Platz zwischen ihnen fallen ließ und sich durch die Haare fuhr. „Nein“, nuschelte Carlo, der sich eben eine Pfeife in den Mund gesteckt hatte. „Wir haben gehofft das du noch kommst.“ Er entzündete die Pfeife mit einem Streichholz und stieß dann eine Wolke dichten Qualmes aus. „Was hat dich aufgehalten?“ fragte Viktor, der begann die Karten zu verteilen. „Hatte Krach mit meiner Alten.“ Joéll nahm die ersten beiden Karten in die Hand und schniefte. „Warum muss se auch immer gleich so ausrasten?“ – „Was hatte sie dieses Mal?“ Carlo sah ebenfalls auf die Karten die Viktor ihm gegeben hatte und begann zu sortieren. Bevor Joéll antworten konnte, kam die Bedienung an ihren Tisch geschwebt. Viktor fragte sich jedes Mal auf neue wie sie das machte, denn mit ihrer Art sich zu Bewegen zog sie die Aufmerksamkeit aller auf sich. Mit Absicht natürlich. Kathrin war die Tochter des Wirts und noch nicht verheiratet. Obwohl sie viele Verehrer hatte ließ sie jeden Abblitzen. „Wie üblich, die Herren?“ Viktor, der sich sonst für sie interessiert hatte, fand sie zwar noch immer attraktiv, war aber gedanklich bei einer ganz anderen Frau. So schenkte er ihr nicht das übliche Lächeln und sah, dass auch Joéll sie eher abwesend betrachtete. „Wie üblich“, gab Carlo zur Antwort und zwinkerte ihr zu, während Joéll und Viktor nur nickten. „Kommt sofort.“ Sie nahm das leere Glas vom Tisch und ging mit einem etwas übertriebenen Hüftschwung zurück zum Tresen. „Ist schon ´ne klasse Frau.“ Joéll sah ihr kurz nach und kratzte sich das stoppelige Kinn. „Bei Kathrin hast du eh keine Chance. Außerdem würde deine Frau dir die Hölle heiß machen“, lachte Carlo und legte zwei Karten verdeckt aus der Hand. „Aber jetzt erzähl. Worum ging es?“ – „Eifersucht.“ Auch er legte zwei Karten auf den Tisch, „Dabei hab ich ihr nur hinterher jesehen.“ Viktor warf drei Karten von der Hand und verteilte kopfschüttelnd neue. Wie oft hatte Joéll schon Ärger mit seiner Frau gehabt, weil er anderen Damen hinterher gesehen hatte? 30 Mal, 40 Mal oder noch öfter? „Du lernst es echt nicht mehr.“ – „Du hättet se sehen sollen, Viktor. Da wär selbst dir nischt anderes übrig jeblieben als se anzusehen. Alle ham se ihr nachjeschaut, sogar die Frauen.“ In Viktor kam eine leise Ahnung hoch. Konnte es sein, dass er von ‚ihr’ sprach? „Was war den so besonders an ihr?“ Er ließ sich nicht anmerken, dass er innerlich betete, es möge sich nicht um Anael handeln, als Joéll auch schon mit einem Schniefen antwortete: „Sie war ´ne Galmar.“ Carlo fiel die Pfeife aus dem Mund und landete auf seinem Schoß. Die Glut im Pfeifenkopf verteilte sich auf der feinen Hose und er sprang vom Stuhl. Seine Karten landeten offen auf dem Tisch, doch es interessierte keinen, was er auf der Hand gehabt hatte. „Willst du mich veralbern?“ kam es säuerlich von Carlo, der Tabak und Asche von seiner Hose klopfte. „Die Galmar sind doch längst ausgerottet.“ – „Das sind sie nicht.“ Viktor biss sich auf die Zunge. ‚Dummkopf!’ dachte er, ‚Warum kannst du nicht einfach deinen Mund halten?’ Die Folge seiner Unvorsichtigkeit war, dass nicht nur Carlo und Joéll ihn überrascht ansahen. Auch am Nachbartisch drehte sich einer zu ihm. „Ach! Und woher weißt du das?“ Carlos Blick bohrte sich förmlich in sein Inneres. ‚Lass dir was einfallen Viktor...’ Um ein klein wenig Zeit zu bekommen, legte er die Karten beiseite und strich sich über den Bart. „Ich hab sie auch gesehen, diese Frau. Sie war ganz eindeutig eine von ihnen.“ – „Dann verstehst de mich, oder?“ Joéll griff nach seinem Arm, was Viktor mehr als unangenehm war. „Wenn du sie jesehen hast, dann weißt du, warum ich nich anders konnte als ihr nachzusehen.“ „Wo hast du sie gesehen?“ Carlo war kühl wie noch nie zuvor und Viktor verstand sofort warum. Eine Abneigung gegen die Galmar war nichts Neues und sein Bekannter konnte sie ganz offensichtlich nicht leiden. Warum es so war, musste er überhaupt nicht wissen. Er musste ihm gegenüber nun mehr als vorsichtig sein und durfte sich nicht verplappern. Immerhin war es möglich, dass Carlo auch etwas gegen die hatte, die mit den Galmar zurecht kamen. Auf ihn würde dann wohl beides zutreffen. Gerade als er etwas sagen wollte, zersplitterte ein Glas zwei Tische von ihnen entfernt, gefolgt von einem Schrei. Sofort wurde es merklich ruhiger und Viktor drehte sich zur Seite. Ihm kam diese Ablenkung sehr gelegen, musste er durch sie nicht auf Carlos Frage antworten. Ein fülliger Mann stand mit dem Rücken zu ihnen mit noch ausgestrecktem Arm über den Tisch gebeugt, auf dem Karten verstreut lagen. Ihm gegenüber saß ein etwas untersetzt wirkender älterer Herr, der sich die Nase hielt. Blut sickerte langsam über das bleiche Gesicht. „Elender Falschspieler!“ schrie der Füllige und holte zu einem weiteren Schlag aus. „Das reicht!“ ging ein anderer Mann dazwischen und hinderte ihn daran erneut zuzuschlagen. Die Ruhe, die eingekehrt war, schwand unter einem Gemurmel, das von allen Seiten kam. „Falschspieler?“ – „Nicht möglich!“ – „Kaum zu glauben, das der...“ waren nur ein paar der Worte, die Viktor aufschnappen konnte. Es war wirklich selten, dass irgend jemand falsch spielte, besonders, da es hier nur um den Spaß und nicht um Geld ging. Wäre dies eine richtige Spielhölle gewesen, er hätte es verstehen können das jemand es riskierte zu schummeln, doch hier lohnte es sich nicht. Daher wunderte es ihn um so mehr, dass der Rundliche so überreagierte. Einen Falschspieler konnte man einfach vom Tisch verweisen, wenn er ertappt wurde. Der Schläger begann sich zu wehren und an den Nachbartischen standen die ersten auf. Verständlicherweise wollte niemand gerne einen Schlag abbekommen und es war mehr als deutlich, dass es noch nicht zu Ende war. In der Zwischenzeit machte sich der Kleinere daran außer Reichweite zu kommen. Noch immer sickerte ihm Blut aus der Nase und in Viktor wurde der Drang geweckt ihm zu helfen. Jedes Mal wenn er Blut sah oder merkte, dass jemand verletzt war, wurde der Wunsch geweckt seine Gabe zu nutzen. Doch er durfte das nicht tun. Besonders nachdem Carlo deutlich gemacht hatte, dass er die Galmar nicht mochte, konnte er es nicht. Beim Letzten Mal, als er in der Öffentlichkeit jemandem auf diese Weise geholfen hatte, war seine Wohnung später verwüstet worden. Daher ignorierte er das leichte Kribbeln an seiner linken Hand, dort wo der Ring saß. „Ich habe nicht falsch gespielt“, kam es von dem Kleineren der sich nun ein Taschentuch aus der Hosentasche zog und sich die Nase wischte. „Wenn man verliert, sollte man die Schuld dafür nicht beim anderen suchen.“ Deutlich war ihm anzusehen, dass er wütend war. Wer wäre das nicht gewesen? „Ich hab doch gesehen, wie die Karte aus dem Ärmel gerutscht ist!“ rief der andere und stieß den Mann beiseite, der ihn festgehalten hatte. „Versuch nicht mich zu verarschen. Ich habe schon ganz andere bei ihren Tricks ertappt und die haben sich um einiges klüger angestellt.“ Nun kam der Wirt hinterm Tresen hervor und näherte sich dem Streit. „Keine Schlägereien!“ rief er und stellte sich zwischen die Beiden, „Ich dulde hier keine Schlägereien.“ Doch dem Dicken platzte der Kragen. Ohne Vorwarnung schug er dem Wirt in den Bauch und stürzte an ihm vorbei auf den Kleineren, der nach etwas auf dem Tisch griff. Zu spät erkannte er die Gefahr, in der er schwebte, und ging unter der Last des anderen zu Boden. Jetzt erkannte Viktor den Grund für das Falschspiel wenn es wirklich statt gefunden hatte. Zwischen den Karten lag noch etwas anderes. Er hatte es vorher nicht sehen können, da ihm die Sicht versperrte gewesen war. Es war kein Geld, sondern ein Zettel, um den sie wohl gespielt hatten. Eine Urkunde... Mehr konnte er nicht erkennen, da sie vom Tisch fiel, als der Dicke auf den anderen los ging. Er wollte etwas tun, die beiden irgendwie auseinander bringen, doch ihm fiel nichts ein, das er hätte machen können. Der kleine Mann war hoffnungslos unterlegen und versuchte nur sein Gesicht zu schützen. Endlich griffen ein paar Stärkere ein und brachten sie auseinander. Stark blutete der eine aus der Nase und einer geplatzten Lippe. Das rechte Auge schwoll langsam an und ganz offensichtlich war er in eine Scherbe des zuvor zersplitterten Glases gestürzt, denn die linke Hand was blutverschmiert und ein tiefer Einschnitt ließ weiteres Blut hervortreten. Viktor konnte nicht hinsehen. Er spürte die aufkommende Wärme in der linken Hand, die bislang jede Wunde hatte verschließen können, doch presste er die Finger fest zu Fäusten um nicht in Versuchung zu kommen und starrte auf die Karten auf dem Tisch. ‚Nicht hinsehen’, ermahnte er sich, ‚nur nicht hinsehen.’ „Is alles Okay mit dir?“ Joéll sah ihn leicht besorgt an und Viktor vermied es ihm in die Augen zu sehen. „Ja, es ist nur...“ Kurz glitt sein Blick zur Seite wo der Wirt nun den Zettel aufhob der vom Tisch gefallen war und laut zu schimpfen begann, dass er so etwas in seinem Hause nicht haben wollte und wenn sie um etwas spielen wollten, das doch zu Hause tun sollten oder in einem Casino. Viktor schob die Karten von sich weg. „Vielleicht sollten wir heute besser nicht spielen.“ „Lass dir doch nicht von solchen Leuten die Laune verderben.“ Carlos Laune hatte sich gebessert und er hatte wohl vergessen, dass Viktor ihm noch eine Antwort schuldig war. „Außerdem hast du bestellt und ich lasse dich nicht eher gehen, bis wir wenigstens eine Runde hinter uns gebracht haben.“ Auch Joéll versuchte ihn aufzumuntern. „Du bist extra wegen der Karten her jekommen und hast sogar noch auf mich jewartet. Das muss sich doch auch ´n bischen lohnen. Du kannst doch nich schon wieder in deine Werkstatt verschwinden, sonst vereinsamst de noch.“ Viel Lust hatte er zwar nicht, doch er blieb. Bevor sie jedoch ihre Karten wieder aufnahmen, verfolgten sie das Ende der Schlägerei. Der Kleine wurde notdürftig versorgt und der andere hinausgeworfen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er einen Fehler gemacht hatte. Was wenn die Wunde sich entzündete oder nicht von selber verheilte? Er hatte sehr stark geblutet. Es war möglich, dass der Mann auf dem Weg nach Hause verblutete... Den ganzen Abend über konnte Viktor sich nicht wirklich auf das Spiel konzentrieren und ging früher als gewöhnlich. Das Thema Galmar war nicht noch einmal gefallen und er war froh, dass es vorerst beendet war. Sicher würde es noch einmal zur Sprache kommen. Spätestens wenn Anael wieder auftauchte oder ein anderer seiner Art. Er hatte sich ihr zwar nicht zu erkennen gegeben, doch war er sich fast sicher das sie mehr über ihn wusste als gut war. Zu Hause angekommen ging er noch einmal durch die dunkle Werkstatt. Die Uhren tickten leise hinter den Glastüren und an den Wänden. Das Geräusch beruhigte sein Inneres. Schon als Kind hatte er gemerkt, dass ihn das Ticken der Wohnzimmeruhr beruhigte und hatte sich immer wieder eine eigene Uhr gewünscht, die er nie bekommen hatte. Allein aus dem Wunsch eine Uhr zu besitzen war er immer, wenn er die Zeit dazu hatte, zum Uhrmacher des Dorfes gegangen und hatte ihm bei der Arbeit zugesehen. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen den Beiden eine Freundschaft entwickelt. Dieser Uhrmacher war Icee Manril. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)