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Oh du fröhliche

in Word fast 89 seiten :) viel spaß
von

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Kap. 3

Tore hatte eine wirklich niedliche Art, die Lippen zu verziehen, wenn er ein

wenig unsicher grinste; eine Art, die bei Nathan prompt den Wunsch

hervorrief, sie zu küssen und an der schmolligen Unterlippe zu knabbern.

Doch er verbot sich den Gedanken sofort, kaum dass er gekommen war.

/Niemals, niemals, niemals versuchst du dein Glück bei den Freunden deines

Bruders/, sagte er sich stumm den Vorsatz vor, den er sich schon vor Jahren

auferlegt hatte. Weder hatte er Lust auf Ärger mit Christian, noch darauf,

dass dessen Freunde diesem Ärger machten, weil er einen schwulen Bruder

hatte, noch wollte er sich hoffnungslos in einen Hetero zu verlieben.

Tore bemerkte verwirrt, dass Nathan ihn gemustert hatte. Sein

Gesichtsausdruck dabei wirkte, als ob er etwas sagen wollte und lediglich

keine Chance dazu bekam. Fragend hob Tore den Kopf ein wenig mehr und sah

ihn an, um ihn vielleicht dadurch zum Sprechen zu bringen.

Nathan erwiderte den Blick, nur um festzustellen, dass er die grauen Augen

in direktem Kontakt noch viel aufregender fand. Er lächelte in dem Moment,

in dem er erwartete, dass der andere ihn fragen würde, warum er starrte,

wies dann mit einer kleinen Kopfbewegung auf Tores nahezu leeres Bierglas.

"Ich hole gleich noch ein paar Flaschen aus dem Keller, im Kühlschrank ist

nichts mehr. Magst du was Spezielles? Ich habe gestern noch zwei Kästen

gekauft. Wir haben Pils, Weizen, Dunkles und ein paar Flaschen

Alkoholfreies."

Tore blinzelte einmal. /Starrt er mich an? Das war Starren; das war in die

Augen starren./ Er fing sich dann jedoch gleich wieder und legte den Kopf

schief. /Wie sehr in die Augen starren war das?/ "Ich... komme eben mit,

dann kann ich selber sehen, und wir können den Kühlschrank auffüllen."

Energiegeladen sprang er auf und legte die Serviette neben seinen ohnehin

schon leeren Teller. "Wo geht's lang?"

Die Reaktion überraschte Nathan, doch er ließ es sich nicht anmerken.

Stattdessen beugte er sich zu seiner Großmutter, der er ansehen konnte, dass

sie es nicht mochte, dass sie aufstanden, und küsste sie auf die Wange. "Wir

sind gleich wieder da, Ömchen." Es war unfair von ihm, denn er wusste, dass

sie dem nicht widerstehen konnte, aber das störte ihn im Moment nicht.

"Chris, Weizen? Opa, ein Pils, oder?" Als die beiden nickten, erhob er sich

ebenfalls und nickte Tore zu. "Na, dann komm. Nein, Dunja, du bleibst hier",

fügte er gleich darauf an, als er sah, wie sich sein Hund hoffnungsvoll in

seiner Ecke aufrichtete, nur um dann mit einem Seufzen wieder in sich

zusammenzusinken. Er grinste, als sie das Wohnzimmer verließen und er die

Tür hinter ihnen schloss, damit die Wärme nicht entweichen konnte. "Sie

denkt immer gleich, es geht spazieren."

Tore streckte sich, um mit den Fingern an einen Querbalken zu kommen. "Och,

ich würde gleich mit ihr gehen, holt sie Stöckchen?"

"Liebend gerne. Ausdauernder, als du es dir vorstellen kannst." Nathan

beobachtete Tore aus den Augenwinkeln, als sie gemeinsam zur Treppe liefen,

ehe er dann vorging. Die ausgebeulte Hose und das weite T-Shirt ließen

ohnehin keinen guten Blick auf... /Nathan!/

"Ich gehe nachher ohnehin noch mal mit ihr. Kannst gerne mitkommen, wenn du

magst." Er öffnete die schwere Kellertür und schaltete das Licht an. Durch

den Waschkeller, in dem Waschmaschine und Trockner standen, führte er ihn

weiter nach hinten, in den nächsten Raum, dessen Wände mit Regalen voller

Vorräte verstellt waren.

Tore sah sich einmal kurz um. Wie bei seinen Großeltern. Ein Gewusel

nützlicher und einfach nur so aufbewahrter Dinge tummelte sich ordentlich in

Holzregalen an frisch geweißten Wänden. Direkt neben dem Eingang standen die

Bierkästen. "Ich komme gern mit. Diese lange Zugfahrt hat mich ganz hibbelig

gemacht."

Im Geiste notierte Nathan sich, dass er hier mal ausmisten musste, bevor er

abfuhr. "Magst du Hunde?"

Tore lud sich von den Weizenbierflaschen einige auf den Arm und balancierte

noch zwei Flaschen Dunkles dazu. "Mein Vater geht gern jagen, er hat zwei

Weimaraner."

Mit ihrer Ladung gingen sie wieder zu den anderen zurück, wo Tore

feststellte, dass die Großmutter auch in einer weiteren Sache seiner eigenen

Oma glich. Sein Teller war ungefragt noch einmal mit der leckeren Suppe

gefüllt worden. Grinsend nahm er wieder Platz und aß zuende, die

Unterhaltung war durch den Bierausflug zu anderen Themen gewechselt.

Nach dem Essen und Tischabräumen saßen sie gemeinsam mit den Großeltern im

Wohnzimmer, um weitere Fragen zu beantworten, die sich neben dem Studium

natürlich auch um die liebe Verwandtschaft drehten. Nach zwanzig Minuten und

ein paar Blicken zu Tore hin beschloss Nathan, ihn sowohl von den für ihn

vollkommen uninteressanten Themen, wie auch vom ruhigen Sitzen zu erlösen.

Innerlich schmunzelte er in sich hinein. /Ein Energiepotential scheint der

Mann zu haben, das ist unglaublich. Wirkt manchmal wie ein Kind damit./

Er stand auf, was die Hündin in ihrer Ecke hoffnungsvoll den Kopf heben

ließ. "Ich geh noch mit Dunja raus", verkündete er, und allein der Klang des

Namens ließ Dunja fröhlich aufspringen und schon mal zur Tür vorlaufen.

"Tore, willst du noch immer mit? Oder doch lieber verdauen."

"Bin gleich wieder unten, Nathan." Im Geiste notierte Tore sich als erstes

die Frage, wie man den Namen leichter auszusprechen machen konnte. Schon

wenige Minuten später gingen sie mit der bellenden und um sie herspringenden

Hündin in Richtung des nahen Waldstückes vom Haus davon. Christian hatte

nicht mitkommen wollen, sondern sich mit einem Buch auf die dicke Couch zu

der ebenso dicken Katze gelegt.

"Und da soll man ihn etwas anderes als Bücherwurm nennen." Nathan grinste

und schob die Hände tiefer in die Taschen seines dicken Parkas. Immerhin

hatte Christian die Großer-Bruder-Allüren aufgegeben, dass man kleinere

Brüder nicht mit den Freunden weggehen lassen konnte, da kleine Brüder

ohnehin nur nervten. Seitdem sie nicht mehr zusammen wohnten, kamen sie

ohnehin viel besser miteinander aus. "Was studierst du? Auch Soziologie und

Pädagogik wie Chris?"

Tore nickte erst, dann schüttelte er leicht den Kopf. "Ich studiere

Erlebnispädagogik und werde im nächsten Semester noch Psychologie dazu

nehmen. Jugendpsychologie, wenn ich endlich einen Platz bekomme." Er warf

seinem Versprechen folgend schon zum vierten Mal einen knorrigen Ast, damit

die eifrige Hündin ihn zu ihm zurückbringen konnte.

"Das ist ein wenig anders. Man kümmert sich darum, wie Freizeitheime oder

diese Manager-Testzentren aufgebaut und geführt werden sollen. Ich hab

bislang immer am liebsten mit Kindern gearbeitet, auf Überlebenscamps oder

Wandertouren." Er warf einen Seitenblick auf Nathan. "Was machst du noch

mal? Ich weiß gar nicht, ob Chris es erzählt hat." /Er ist nett... netter

als Chris sogar noch, und das ist schwer./

Nathan lachte. "Wenn mein Bruder was davon erzählt hat, dann

höchstwahrscheinlich mit dieser 'Wie kann man nur so viel Grünzeug

mögen'-Miene. Ich bin Landschaftsgärtner. Das heißt, wir machen so etwas wie

Straßenrandbegrünung, Parkanlagen pflegen et cetera. Ich liebe den Job. Und

er hat den Vorteil, dass ich Dunja fast immer dabei haben kann." Er warf

seiner Hündin einen liebevollen Blick zu. "Kleiner Racker. Seitdem muss ich

morgens nicht mehr alleine Joggen."

"Klingt auch nicht schlecht, der Job." Tore streckte sich und gähnte

verhalten. Das andere Klima nahm ihn doch ein wenig mit. "Aber da würden mir

die kreischenden, nervtötenden Kinder fehlen. Ich weiß, ich bin verrückt,

brauchste nicht noch sagen." Er grinste frech und hob dann den Kopf, als er

eben genau das hörte. Kreischende, lärmende Kinder beim Spielen.

Als sie um eine Kurve bogen, gelangten sie zu einem See, auf dem etliche

Kinder und Jugendliche Schlittschuh liefen oder sich bei einem kleinen

Hockeyspiel austobten. Er deutete zum See hin. "Siehste? So was. Hey, kann

man hier irgendwo Schlittschuhe leihen? Mist, hab meine natürlich nicht mit.

Hm, aber vielleicht..." Im Geiste planend lief Tore auf eine Gruppe Kids zu.
 

Es kostete ihn nur wenig Verhandlungen. Mit einem Augenbrauenpiercing war

man zur Zeit ziemlich hipp, sehr offensichtlich auch auf dem Dorf. Nur wenig

später hatte Tore einen der durchgefrorenen Jungs überredet, ihm das Paar

Schlittschuhe für die Zeit eines Hockeyspiels zu leihen. "Wenn du schon

zurückgehen willst, ich finde den Weg, Nat!" Prüfend schlug Tore mit dem

Hockeystock auf das Eis, dann zischte er los, zu den anderen. Herrlich.

Bewegung, austoben, ein schneller Sport, der seine Konzentration verlangte,

so dass er sich nicht zu fragen begann, wie attraktiv Nathan noch werden

musste, damit er ihn anbaggerte.

"Nat? Nat klingt ziemlich bescheuert", erklärte Nathan Dunja grinsend,

während er die Hündin davon abhielt, Tore begeistert zu folgen. "Nee, nee,

Mädel, da schlitterst du mir noch in einen Hockeyschläger. Außerdem kannst

du auf dem Eis kaum laufen. Aber andererseits..." Er hockte neben ihr nieder

und legte einen Arm um den warmen, schlanken Körper. "Wenn er das sagt, ist

es irgendwie... niedlich."

Gedankenverloren streichelte er Dunjas Brustfell, während er Tore mit den

Blicken verfolgte, wie er über das Eis fegte, auch nicht größer als viele

der Kinder, geschmeidig und wendig. /Ich wette, er hat kein Gramm Fett zu

viel./ Ärgerlich ertappte er sich dabei, wie er begann, sich den nackten

Körper auszumalen, ein wenig sehnig, sehr schlank, wenn man nach den

schmalen Handgelenken ging und dem, was man durch die weite Kleidung erahnen

konnte. /Wenn er behaart ist, dann nicht allzu viel. - Nathan! Hör auf!/

Doch er erinnerte sich an den Blick beim Essen zurück, die Art, wie Tore den

Kopf schief gelegt hatte. /Was wäre, wenn in all den Jahren mein holder

Bruder mal nicht an einen Hetero-Kumpel geraten wäre?/

Das Was-wäre begann sich festzusetzen, während er dem Wirbelwind auf dem

zugefrorenen See zusah. /Keine Freunde deines Bruders! Aber wenn... was

wäre, wenn er... Nur, weil er ein Freund von Chris ist, heißt es ja nicht,

dass ich... Was wäre, wenn Tore quasi meine Lydia wäre? Da könnte er nichts

dagegen sagen. Und wenn.../ Unwillkürlich musste er lachen. "Dunja, gerade

werde ich sehr albern." Dennoch konnte er sich nicht von dem Anblick lösen

und weitergehen. Und nicht einmal er glaubte sich die Ausrede, dass es

unhöflich wäre, einen Gast allein zu lassen.

Verwundert sah Tore, dass Nathan es doch tatsächlich ausgehalten hatte, die

halbe Stunde, zwei Spielzeiten, am Rand des Sees zu warten. Er winkte und

lachte ihn fröhlich an, während er Verabredungen mit den Kids für den

nächsten Tag abwehrte, weil er nicht wusste, was Chris geplant hatte.

Rasch gab er die geliehenen Schlittschuhe zurück und zog seine kalten Schuhe

wieder an, um zu Nathan zu laufen. "Whoohoo, wir haben gesiegt. Ha!" Er

hüpfte einmal. "Danke, dass du gewartet hast." /Hat er meinetwegen gewartet

oder aus Höflichkeit? Hat er mich beobachtet? Vorhin schien es mir so. Er

starrt mich an, beobachtet mich. Hm. Das kann ich auch. Er ist ja auch gut

anzustarren... netter Körper, trotz der schrecklichen Hose./ Mit

schiefgelegtem Kopf sah Tore zu Nathan auf und fragte "Sind deine Großeltern

eigentlich auch so Leute, die viel vom Kaffeetrinken und Kuchenessen

halten?" /Oh, Apfelstrudel mit Vanillesoße, ich würde sterben dafür!/

"So viel, dass du binnen drei Tagen kugelrund bist, wenn du alles isst, was

meine Oma dir auf den Teller legen will. Pflaumenkuchen hat sie für heute

geplant, wenn ich mich nicht irre." Nathan grinste, spürte noch das kleine,

nicht wirklich willkommene Kribbeln im Magen, weil Tore ihm zugewinkt hatte,

während gleichzeitig ein neues erwachte, da er mit schiefgelegtem Kopf

einfach niedlich aussah. Er pfiff nach Dunja, die abseits an ein paar Bäumen

schnupperte, um ihr zu sagen, dass sie weiter gingen und sah Tore noch

einmal kurz direkt in die grauen Augen. "Du läufst gut."

Tore grinste nur und beschloss, dass sie flirteten. Definitiv. Der Weg zum

Haus zurück wurde ihnen kurz, weil sie es über das Schlittschuhlaufen

irgendwie geschafft hatten, das Gespräch auf Sommerurlaube zu bringen und

sich gegenseitig die netten Wanderwege erzählten, auf denen man sich

herrlich austoben konnte, auf denen wunderbare kleine Hütten lagen, vor

denen man am Abend sitzen und den Tieren zusehen konnte.

Das Kaffeetrinken über redeten Tore und Christian über die nächsten

Projekte. Nathan schwieg dazu nur, was sollte er auch groß erzählen. Doch

Tore hatte nicht den Eindruck, dass es ihn störte. Vielmehr schien es Nathan

und auch ihm selber nur um so mehr Gelegenheiten zu diesen Blicken zu geben,

eine Spur zu direkt, aber dennoch nicht direkt genug, um aufzufallen.

Sie gingen nach dem Kaffee dazu über, Monopoly zu spielen, was Tore eher

langweilte und dazu brachte, seine Müdigkeit von dem Tag im Schnee zu

bemerken. Und so verabschiedete er sich an dem Abend recht bald nach dem

Abendbrot, nachdem sie besprochen hatten, was sie am nächsten Tag, dem Tag

vor Weihnachten, alles machen wollten.

"Shoppen gehen, dann mit der Gondel auf den Berg und rodeln, dann zu euren

Freunden und mit denen noch in die Disco", zählte Tore gähnend auf. "Ich

glaub, dafür werde ich meinen Schlaf brauchen. Gute Nacht zusammen." Er

gönnte sich noch einen Blick in Nathans Gesicht und befand, dass es ihm

wirklich gut gefiel, vor allen Dingen, wenn dieses kleine Halblächeln darin

stand. "Bis morgen früh. Weckt mich wer?", fragte er schon eine Spur zu

direkt an Nathan gerichtet, aber bekam von Chris eine entsprechende Zusage.

Sehr zufrieden kuschelte Tore sich in das Bett, den Troll neben sich und

sein Psychologiebuch vor der Nase. Er schlief allerdings ein, bevor er das

Licht ausschalten konnte.
 

Nathan verabschiedete sich knapp eine Stunde später. Seine Großeltern ließen

sich von Christian alles über Lydia erzählen, ob sie nicht endlich

Heiratspläne hatten, wie es bei dem letzten Besuch bei ihren Eltern gewesen

war, und, und, und. Er hatte keine Lust auf die fünfhundertste

Lydia-Geschichte, auch wenn er es nachvollziehen konnte. Denn es war sehr

wahrscheinlich, dass Christian der einzige der Familie war, der Nachkommen

in die Welt setzen würde.

Zwar hatte er mit seinen Großeltern nie darüber gesprochen, aber er

vermutete, dass sie im Gegensatz zu seinen Eltern ahnten, dass er schwul

war. Sie würden deswegen mit ihm aber nicht den Kontakt abbrechen, wie er es

von seinen eigenen Eltern vermutete. Immerhin hatten diese, als sie von der

Homosexualität seines Onkels erfahren hatten, diesen für nicht mehr zur

Familie gehörig erklärt.

Mit ausdruckslosem Gesicht erinnerte Nathan sich an die bösen Worte, die

sowohl sein Vater wie auch seine Mutter für den Weg seines Onkels übrig

gehabt hatten, an die religiösen Begründungen, die sie aufgezählt hatten.

Nur wenig später hatte er herausgefunden, dass er selber schwul war und nur

noch das Ziel gehabt, so schnell wie möglich auszuziehen. Statt des von ihm

erwarteten Abiturs hatte er die mittlere Reife gemacht, dann die Ausbildung,

und direkt nach seinem Wehrdienst war er vollkommen ausgezogen. Er hatte es

nicht bereut.

Langsam stieg er die Treppe hoch, in Gedanken noch immer bei den

unerfreulichen Wochen, die dem Outing seines Onkels gefolgt waren, als er

den schmalen Lichtstreifen bemerkte, der unter Tores Tür hervorkam. Noch

bevor er darüber hatte nachdenken können, hatte er angeklopft, ohne auch nur

zu wissen, was er überhaupt sagen wollte.

Aber mit einem Mal hatte er das Bedürfnis, die großen, grauen Augen zu

sehen, die den Abend über immer wieder seinen Blick erwidert hatten. Das

Lächeln, das über Nathans Gesicht huschte, verdrängte die unangenehmen

Erinnerungen. Tore hatte mit ihm geflirtet, direkt im Wohnzimmer seiner

Großeltern. Doch es kam keine Antwort. Nathan klopfte erneut. "Tore? Noch

wach?"

Als wieder keine Antwort kam, öffnete er einfach die Tür. Das Bild, das ihn

empfing, ließ sein Lächeln tiefer werden. Der junge Mann lag auf dem Bett,

ein buntes Stofftier im Arm und halb auf einem dicken Buch, und war ganz

offensichtlich am Schlafen. Seine weichen Lippen standen ein wenig offen,

und seine Miene war entspannt, wenn auch leicht erschöpft. Endlich verbargen

weder das Tuch, noch ein Übermaß an Stylinggel den Blick auf seine blonden

Haare, die ihn, zerzaust wie sie waren, kindlicher wirken ließen.

Nathan spürte bei dem Anblick das Verlangen, sich dazu zu legen, den Arm um

die schmale Gestalt zu schlingen und ihn einfach festzuhalten.

/Beschützenswert... Dabei ist er bestimmt älter als ich./ Mit einer Gebärde

und einem leisen Wort verwehrte er Dunja den Zugang, ehe er selber eintrat.

Er zog ihm vorsichtig das Buch unter dem Kopf hervor, klappte es zusammen

und legte es auf den Nachttisch, ohne den Blick von dem anderen Mann zu

lassen. Nahezu selbstständig streckte Nathan die Hand nach dem

faszinierenden Gesicht aus, wollte ihm über die Wange streicheln, doch bevor

er ihn berühren konnte, seufzte Tore leise im Schlaf, und Nathan zuckte

erschrocken zurück. /Dummkopf, tu doch so was nicht./

Lautlos machte er einen Schritt zurück, löschte das Licht und ging dann in

sein eigenes Zimmer, wo Dunja in ihrer Ecke verschwand. /Dummkopf/, dachte

er erneut. /Nur, weil er ein wenig mit dir geflirtet hat... Er hat mit mir

geflirtet. Er hat wunderschöne Augen, und er hat mit mir geflirtet./

Unwillkürlich musste er lachen. "Und das im Wohnzimmer meiner Großeltern.

Dunja, wenn er so weitermacht, kann ich ihm nicht mehr wiederstehen. Wer

hätte das gedacht. Einer von Christians Freunden ist schwul."

Rasch zog er sich um, ehe er noch einmal im Bad verschwand, um dann

ebenfalls ins Bett zu gehen. Dass er Tore wieder vor sich sah, kaum dass er

die Augen geschlossen hatte, verwunderte ihn nicht.

Tore wachte im Dunkeln auf und streckte sich gähnend, bevor er sich aus dem

Bett schwang und das Fenster öffnete. Die Sterne funkelten noch, wenn auch

schon blasser, aber den Anblick war er gewohnt. Er war noch nie ein

Langschläfer gewesen und bemerkte auch nun nach einem Blick auf seine Uhr,

dass es erst halb sieben war. Dennoch beeilte er sich, um vor den anderen

beiden in die Dusche zu kommen, vor allem, weil er ein wenig länger

brauchte.

Er suchte sich eine neue Shorts heraus. Ebenfalls eng, dieses Mal in schwarz

mit neckischen Netzteilen an den Seiten. Ein Geschenk von Schulfreunden, die

ihn hatten ärgern wollen, ohne zu ahnen, dass er diese Art Wäsche gern

anzog.

Die Dusche tat ihm gut. Er hatte einen leichten Muskelkater von der noch

ungewohnten Bewegung beim Schlittschuhlaufen, aber der ließ sich mit ein

wenig heißem Wasser wegmassieren. Anschließend zog er sich die Shorts an und

begann, sich dann für das Rasieren einzuseifen, während er mit der Handkante

den Spiegel frei wischte.

Grinsend freute er sich schon auf den Tag. Mit Chris, aber vor allem auch

mit Nathan. /Mit ihm kann man gut flirten. Ob er das, was wir tun, auch als

Flirt auffasst? Vielleicht bewerte ich das übermäßig?/ Doch dann schüttelte

er leicht den Kopf und spülte den Rasierer mit Wasser ab. /Nein. Er hat mir

direkt in die Augen gesehen. Das machen Heteros nicht, jedenfalls nicht mehr

als einmal./

Erneut erinnerte Tore sich an den Körper, dem man die körperliche Arbeit

ansah; der öfter mal ein wenig nachdenkliche Ausdruck in dem runden Gesicht

mochte gar nicht so recht dazu passen. /Bücherwurm sagt er zu Chris, aber

liest er selber wirklich nicht gern?/ Grübelnd ließ Tore den Rasierer

sinken. /Warum zum Teufel denke ich so viel über ihn nach? Ich werde ihn

noch eine Woche lang sehen, zu Silvester bin ich doch schon längst wieder

daheim. Silvester ziehe ich endlich meinen Plan durch!/ Auch wenn der

Gedanke ihm ein wenig Angst machte.

Als Nathan erwachte und das Licht einschaltete, saß Dunja bereits

erwartungsvoll vor seinem Bett und sah ihn an. In der Helligkeit blinzelnd

grinste er und rieb sich erst einmal die Augen, ehe er aufstand. "Na, Lady,

dir kann es auch nicht früh genug losgehen, hm?"

Gähnend streckte er sich, entledigte sich dann rasch seines Schlafanzugs, um

in der kalten Luft fröstelnd zu seinem Schrank zu laufen. Doch als er ihn

öffnete, fiel ihm ein, dass er den dicken Trainingsanzug am Morgen davor im

Badezimmer hatte liegen lassen, um ihn später wegzuräumen. Später hatte sich

ziemlich offensichtlich auf jetzt verzögert, denn er hatte ihn vollkommen

vergessen. Und da seine Oma es sich abgewöhnt hatte, für ihn aufzuräumen,

nachdem er ihr erklärt hatte, dass er das gar nicht leiden konnte, egal wie

gut sie es meinte, musste er noch immer dort auf dem Hocker auf ihn warten.

Als er auf den Flur trat, sah er den Lichtstreifen unter der Tür vom

Badezimmer schimmern. Unwillkürlich musste er grinsen. /Hat Chris schon

wieder vergessen, das Licht auszuschalten. Da kann er nur hoffen, dass Opa

das nicht gesehen hat, sonst geht er wieder die Wände hoch ob der

Stromverschwendung./

Er öffnete die Tür, nur um dann erst einmal für einen Moment innezuhalten.

Es war nicht Christians Schuld. Stattdessen wurde er mit einem wirklich

atemberaubenden Anblick konfrontiert, der lediglich von dem Rasierschaum im

Gesicht etwas getrübt wurde. Tore stand bis auf eine enge, schwarze Shorts,

die seinen knackigen Hintern deutlich betonte, nackt vorm Spiegel; durch die

seitlichen Netzeinsätze konnte man die blasse Haut sehen, was Nathan mehr

als sexy fand. Und dass, obwohl Tore ihm fast ein wenig zu dünn schien.

Nathans Blick glitt über die leicht abgebildeten Muskeln des Bauches und der

Oberschenkel, ehe ihm bewusst wurde, dass er starrte. /Großartig, Mann! Reiß

dich zusammen! Gott, sieht der gut aus!/



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