Prolog
Jeder tötet, was er liebt.
Amélie Nothomb - Kosmetik des Bösen
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Um mich herum ist alles schwarz.
Tief und trüb, wie ein Nebel, der mich umschlungen hält.
Solche Situationen sind mir neu, und noch ehe ich begreifen kann, worum es sich bei diesen merkwürdigen, schwarzen Gasen handelt, durchbricht Licht das Dunkel.
Erschrocken kneife ich die Augen zusammen und lausche. Klimpern, hoch und fein. Kaum zu glauben, dass ich solche Geräusche je wieder vernehmen sollte. Niemand wird je nachvollziehen können, wie gut es mir gerade geht, wie warm mein Herz wird, wie leuchtend warm der Himmel ist. Ist es so? Fühlt es sich so an, wenn man stirbt?
Dann war es all die Strapazen der letzten Wochen wert.
Neugierig folge ich Engelsglocken, die mir mit ihrem himmelsgleichen Klimpern den Weg deuteten, doch sie stellen sich lediglich als das jämmerliche und kalte Piepen des EKGs heraus. Wie ernüchternd das doch ist, denn es ist das Einzige, was mir zeigt, dass ich noch am Leben bin. Ich lebe – das ist mir neu. Aber warum?
Schweigend blicke ich mich in dem Raum, in dem ich mich befinde, um und das Gefühl der Vollkommenheit verschwindet. Es entfleucht mir und ich bin nicht fähig, es zu halten. So kalt ist dieser weiß gekachelte, sterile Raum. Aber das Bett hier… das Bett ist weich. So weich, dass ich nie erwartet hätte, jemals wieder in einem zu liegen. Ich fühle wieder. Endlich.
Und mit dem körperlichen Empfinden kehrt auch das Gefühl der Verwirrung in meinen Körper zurück.
Warum zum Teufel bin ich hier? Ich kann mich nicht erinnern, an diesen Ort gebracht worden zu sein. Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist das stumpf gewordene Haar meiner kleinen Schwester zwischen meinen Fingern. Sie… wirkte wie eine Puppe, mit ihren Augen aus Glas, doch ich behütete sie die letzte Zeit im Panic Room. Wo ist sie?
Hat man mir sie weggenommen? Nein. Das kann – darf – nicht sein.
Noch ehe ich mich vollends in diesem Raum orientieren kann, dringt das nächste Übel an mein Ohr.
„Oh, du bist wach.“
Ich zucke zusammen. Meine Augen haben sich nun endlich an das grelle Licht der Lampe gewöhnt und ich öffne sie vollkommen, doch ich erblicke etwas anderes, als ich erwartet hätte. Es ist keine Krankenschwester, die dort mit ihrer angenehmen Sopranstimme vor mir steht und mich umsorgt.
Es ist ein Junge. Wohl eher ein Teenager, aber viel älter als dreizehn scheint er mir nicht zu sein. Hier ist also ein Teenager… vielleicht wird er mir weiterhelfen können? Vielleicht wird er mir sagen können, wo meine Schwester ist. Meine Schwestern… Und meine Cousine.
Der Gedanke an das, was aus ihnen geworden sein könnte, macht mich ganz unruhig, also setze ich mich auf, unsicher und wackelig, doch ich schaffe es. An meinem rechten Arm hängt ein Tropf und farblose Flüssigkeit fließt durch den Schlauch in meine Venen.
Er mustert mich unsicher und zu meiner allgemeinen Verwirrung gesellt sich nun noch die Frage, was dieser Junge hier zu suchen hat, mein Lieber. Frag ihn einfach. So schwach, wie er wirkt, gehört er garantiert nicht hierhin.
Schweigend starre ich ihn an, ganz in Gedanken versunken und er weicht zurück. Mit seinen hellblonden Haaren und den rotgräulichen Augen wirkt er… engelsgleich. Vielleicht erschrecke ich ihn aber auch einfach nur mit meinen klaren, kalten Augen und dem gräulichen Haaransatz in der schwarzen Mähne. Mein klarer Blick – am Schluss war ich der Letzte, der ihn hatte, doch ich habe ihn bewahrt. Ich war stark.
„Wer bist du?“, fragte ich und der kleine zuckt zusammen. Habe ich etwas verbrochen und weiß nichts mehr davon? Irgendeinen Anlass zum Fürchten muss ich ihm doch geben.
Doch er antwortet nicht. So konzentriere ich mich vorerst besser auf meinen Körper. Wer weiß, was sie hier alles mit ihm angestellt haben?
Es tut nichts weh, also ist scheinbar auch nichts kaputt, denke ich mir, nachdem ich Probeweise ein paar Muskeln angespannt habe.
Aber wenn doch alles mit mir stimmt, was mache ich hier? Ich möchte zu meiner Familie. Jetzt, sofort. Ich will wissen, wo sie sind.
Von dem Jungen jedenfalls fällt jegliche Anspannung hinab. Er hat wirklich Angst vor mir. Der Gedanke entlockt mir ein leises Lachen.
Es drängt mir, meine Arme zu betrachten, doch ich kann meine Augen nicht von dem Knaben abwenden. So etwas wie ihn habe ich noch nie gesehen. So hübsch in seiner Erscheinung, wohl proportioniert. Zierlich und zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe.
Auch ihm geht es nicht anders, sein Blick fixiert mich und lässt mich nicht los.
„Soll ich einen Arzt rufen?“, fragt er leise und legt die Mappe, welche er in der Hand hält, auf mein Bett. Joshua Miller steht darauf.
Joshua. Miller. Das ist mein Name.
Was soll ich mit einem Arzt? zischt es in meinem Kopf, aber ich spreche es nicht aus. Mir geht es gut. Es gibt wichtigeres zu erledigen.
„Wer bist du?“, frage ich erneut und kralle meine Finger in das gräuliche Bettlaken. Der Kleine schweigt. Darf er es mir nicht sagen?
„Wer bist du, verdammt noch mal?!“, fauche ich nun doch und merke sofort, dass mir dieser Gemütsausbruch nicht gut getan hat.
Ein gleißender Blitz blitzt in meinem Kopf auf und ich drehe den Blick nach unten. Meine Arme sind blass, blasser als sonst. Dünn. Sie sehen kränklich aus und an einem hat man eine Kanüle befestigt, von der ich eben erzählt habe. So dünn bin ich? Ein Schatten meiner selbst.
„Mein Name ist Shoji Watanabe“, antwortet er nun endlich und seine Stimme ist noch immer so sanft wie zuvor. „Bitte verzeih, wenn ich unhöflich war – ich war noch nie dabei, wenn jemand aufwachte, ich sollte lediglich eine Akte holen. Kann ich dir helfen?“
Shoji Watanabe… ein Japaner also?
Okay, in anbetracht dessen, in welchem Land ich mich befinde, eigentlich kein Wunder, aber seine Züge sind europäisch. Eindeutig… Dummheit war noch nie ein Charakterzug, der mich besonders prägte. Die Augen sind groß und rund, das Gesicht schmal. Vielleicht mag er in Japan geboren sein, doch seine Wurzeln liegen woanders.
„Du bist kein Japaner“, meine ich kalt und mustere ihn kritisch von oben bis unten. Er fühlt sich unter meinem Blick nicht wohl, windet sich unmerklich und seufzt dann.
„Doch bin ich.“
„Ah. Und warum hast du dann so einen hellen… Teint? Gott“, lache ich und fahre mir mit der einen Hand durch das Haar.
„Was interessiert mich das eigentlich… wo sind wir hier?“
„Ich leide an Albinismus“, antwortet der Kleine mit einem lautlosen Knurren und deutet auf die Akte. „Da sind die Haare so hell. Du bist im Krankenhaus, mach dir keine Sorgen. Vor einer knappen Woche hat man dich aus dem Raum in eurer Wohnung herausgeholt. Der Tropf ernährt dich künstlich und-“
„Halt die Klappe.“
Er ist ruhig, aber mich wühlt es auf. Bruchstückchenartig dringen die Erinnerungen zurück zu mir und entlocken ein leises Stöhnen aus den Untiefen meiner Lungen.
Lucy… die Frage nach ihrem Aufenthaltsort erübrigt sich.
„Mary! Wo ist Mary? Und Emily! Meine Cousine und meine Schwester, sie haben noch gelebt! Ich bin mir sicher, also, wo sind sie? Wann kann ich zu ihnen?“, frage ich ihn und meine Stimme überschlägt sich, der Schmerz in meinem Kopf zuckt erneut und fängt an zu pulsieren. Ich schwanke. Oder ist es der Raum, der sich so dreht? Erneut frage ich Shoji, doch seine Antwort dringt nicht mehr zu mir durch. Antwortet er überhaupt? Ich meine, sein Mund bewegt sich, aber ehrlich gesagt hat es keine Relevanz. Alles bewegt sich und auch wenn ich in meiner Verzweiflung ankämpfe, nicht wieder in dieses schwarze Loch zu fallen, aus dem ich eben aufgewacht bin, habe ich keine Chance. Es greift nach mir und wenige Sekunden später dämmere ich wieder vor mich hin, ohne Kontrolle über meinen Körper oder über meinen Verstand.
Ich werde ihn erneut durchleben, den Tod meiner Geschwister.
Immer wieder, denn im Schlaf träumt man.
Und ein Träumer war ich schon immer.
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Und nochmal überarbeitet. Jetzt Inhaltlich - Qualitativ dem Rest angeglichen.
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So das wäre nun also die bearbeitete Version des Prologs(Luftiger ;))
Hm... ein paar von euch mögen die Geschichte eventuell noch in ihrer ursprünglichen Fassung kennen, denn anfangs handelte es sich hierbei um eine Yugioh-FF. Da ich die Copyright an den Charakteren allerdings für mich haben wollte, wurde einiges umgekrempelt, unter anderem die Namen der Charaktere und deren familiäre Bindung zueinander.
Achja... ich hab es nochmal komplett neu geschrieben, das kommt noch hinzu.
LG - Johnny