Dunkelheit von Nochnoi ================================================================================ Kapitel 14: Das Buch der Zukunft -------------------------------- So, das neue Kapitel ist endlich da!! ^_____^ Ich will jetzt keine großen Vorreden schwingen, ehrlich gesagt fällt mir auch nichts Tiefsinniges ein ^^' Viel Spaß damit ^^ __________________________________________________________________________ Wie ein Wirbelsturm fegten die Dienstmädchen durch Claires Zimmer. Sie rissen Schränke auf und steckten alles in Beutel, was nicht niet- und nagelfest war. Kleidung, Bücher, Notizen, Badeutensilien – nichts blieb verschont. Schon am frühen Morgen hatten sie Claire aus dem Schlaf gerissen. Hatten irgendwas vor sich hingeträllert, erbarmungslos die Vorhänge zur Seite geschoben, sodass Claire die volle Ladung Sonnenlicht abbekommen hatte, und die junge Magierin schließlich äußerst unsanft aus dem Bett geworfen. Claire war viel zu müde und verwirrt gewesen, um sich irgendwie verteidigen zu können. Nun starrte sie, an eine Wand gelehnt, auf das rege Treiben in ihrem Zimmer und hoffte bloß, dass bei dem Arbeitseifer der Mädge nichts zu Bruch ging. Ein äußerst kostbares Buch war erst vorhin beinahe in einem Wassereimer gefallen, Claire war einem Herzinfarkt nahe gewesen. Glücklicherweise hatte das Stück gerettet werden können, doch nun achtete die junge Frau äußerst genau darauf, was ihre Dienerinnen trieben. Sich ihnen in den Weg stellen wollte sie aber lieber nicht, sie fürchtete um ihr Leben. „Die sind wie die Raubtiere“, sagte Neyo kopfschüttelnd. Er hockte neben ihr auf dem Boden und beobachtete geradezu fasziniert das große Packen. „Man sollte ihnen besser nicht in die Quere kommen. Calvio hat mir erzählt, dass sie erst gestern die ganze Küche auf den Kopf gestellt haben ... und das wegen einer einzelnen Maus.“ Claire hob eine Augenbraue. „Und? Haben sie die Maus erwischt?“ Neyo konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nein. Im allgemeinen Schlachtgetümmel konnte sie offenbar entkommen. Aber Catherine wurde der Schreck ihres Lebens eingejagt. Die Ärmste erholt sich immer noch von diesem Schock.“ Claire schnaubte bloß, sagte daraufhin aber nichts. Ihrer Meinung nach hatte dieses hochnäsige Frauenzimmer auch nichts anderes verdient. Sie merkte kaum, wie sie unwillkürlich lächelte. „Weißt du eigentlich, wo uns Jyliere hinschicken will?“, erkundigte sich Neyo. Schlagartig schien seine kurzweilige gute Laune verschwunden, er wirkte wieder ungewöhnlich ernst. Claire seufzte. „Keine Ahnung. Vielleicht zu seinem alten Freund Baptiste nach Fielle. Möglicherweise will er uns sogar ganz aus Mystica rausschaffen.“ Noch letzte Nacht, auf ihrem Weg zurück zur Villa, hatte Jyliere ihnen eröffnet, dass er es für das Beste hielt, wenn sie für unbestimmte Zeit untertauchten. Er stufte die Situation als viel zu gefährlich ein, als dass er das Risiko eingegangen wäre, die zwei Menschen, die er am meisten liebte, bei sich zu behalten. Besonders Neyo war gefährdet, schließlich wusste Asrim, dass er ein Sa‘onti war. Er würde sicherlich nicht lange ruhen, sondern alles in die Wege leiten, um das zu bekommen, was er wollte. „Ich war noch nie außerhalb von Mystica“, meinte Neyo. „Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie es dort wohl aussieht.“ „Das sind allesamt Hinterweltler“, sagte Claire abschätzend. Sie hatte im Unterricht mehr als genug über die Welt der Gewöhnlichen erfahren. Unzivilisiertes Gebarden und ständige Konflikte gehörten dort zum Alltag, die Menschen führten sich auf wie die wilden Tiere. So etwas wie eine Ordnung suchte man bei diesen Barbaren vergebens. „Ist doch egal“, entgegnete Neyo schulterzuckend. „Ich würde es trotzdem gerne sehen. Dort soll alles so anders sein.“ „Ich denke sowieso nicht, dass Jyliere uns dorthin schicken wird“, erwiderte Claire. „Er wird wollen, dass wir in Mystica bleiben. Irgendwo in Sicherheit. Und glaub mir, die Welt hinter dem Schwarzgebirge ist alles andere als sicher. Immerhin sind von dort auch die Vampire gekommen.“ Neyo schien zu einem Gegenargument ansetzen zu wollen, doch er kam nicht mehr dazu. Eines der Dienstmädchen, die geschäftig alles zusammensuchten, wäre beinahe über seine ausgestreckten Beine gestolpert. Sie warf ihm daraufhin einen vorwurfsvollen Blick zu, als ob sie ihm sagen wollte, dass er gefälligst nicht im Weg zu stehen habe. „Ich glaube, wir verziehen uns besser“, meinte Neyo, nachdem er das Dienstmädchen mit einem entschuldigendem Lächeln etwas besänftigt hatte. „Sonst werden wir noch vom Hauspersonal massakriert, bevor die Vampire überhaupt ihre Chance dazu erhalten.“ Claire verließ nur äußerst ungern ihr Zimmer. Sie fürchtete, dass die Mägde in ihrem Arbeitseifer noch irgendetwas zerstören würden, doch als Neyo sie bei der Hand packte und mit sich zog, erhob sie keinerlei Einwände. Vielleicht war es sogar besser so, diesen großen Tumult hätte sich die Magierin wahrscheinlich sowieso nicht viel länger anschauen können. Es brach ihr fast das Herz, wenn sie zusehen musste, wie diese Mädchen achtlos mit Wertgegenständen umgingen, die in ihren Augen wohl nur billiger Ramsch zu sein schienen. Neyo führte Claire in die Bibliothek. Ihr war schon früher aufgefallen, dass sich Neyo ausgesprochen gerne dort aufhielt. Er schien sich zwischen all den Büchern und Schriftrollen wirklich wohl zu fühlen. Doch Claire stand im Augenblick der Sinn nach etwas anderem. „Lass und lieber erst was frühstücken gehen“, schlug sie vor. „Ich habe Hunger.“ Aber Neyo schüttelte den Kopf. „Ich wollte erst was mit dir bereden.“ Claire runzelte die Stirn. Er klang wieder so ernst, so völlig untypisch. Irgendwie gefiel ihr das nicht besonders. „Und was?“ Neyo zögerte. Er wich ihrem erwartungsvollen Blick aus, schaute stattdessen hinaus aus dem Fenster hinüber zu Te-Kems Palast. Etwas Trauriges lag in diesem Moment in seinen Augen. „Te-Kem wird sterben, nicht wahr?“, sagte er plötzlich. Claire sah Neyo überrascht an. Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er ausgerechnet mit ihr über dieses Thema sprechen wollte. „Nun“, meinte sie etwas zögernd, „er ist mächtig. Er wird sicher wissen, was zu tun ist.“ „Daran zweifle ich nicht“, sagte Neyo. „Dennoch wird er sterben. Und wir können nichts dagegen tun.“ Claire biss sich auf die Unterlippe. Was hätte sie darauf auch antworten sollen? Selbst Te-Kem und Jyliere schienen diese Tatsache auf gewisse Art und Weise akzeptiert zu haben, auch wenn sie immer noch so taten, als sei alles in bester Ordnung. „Es ist, wie es ist“, meinte die Magierin schulterzuckend. Ein besserer Spruch fiel ihr in dieser Situation nicht ein. „Außerdem wolltest du mit mir gar nicht über Te-Kem sprechen, hab ich Recht? Das war nur ein dummer Vorwand.“ Sie sah ihm fest in die Augen. „Was also wolltest du nun bereden?“ Auf Neyos Lippen breitete sich wieder sein typisches lausbübisches Lächeln aus. „Wir haben unser Gespräch von gestern noch nicht beendet.“ Claire runzelte die Stirn. „Welches Gespräch?“ „Das von Gorsco und den anderen unterbrochen worden ist.“ Im ersten Moment verstand Claire nicht wirklich, worauf er eigentlich anspielte, dann jedoch, nachdem sie angestrengt nachgegrübelt hatte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatten über sie, Claire, gesprochen, über das, was sie Neyos Meinung nach vor aller Welt verbarg. Und er war immer näher gekommen ... Unsicherheit befiel Claire. Darüber wollte er sprechen? Sie hatte eigentlich gehofft, dass er die ganze Sache schon wieder vergessen hatte. „Das Gespräch war beendet“, meinte sie. Sie wollte herrisch und entschieden erscheinen, doch ihre Stimme klang bloß zaghaft. Neyos Lächeln wurde sogar noch etwas breiter. „Nun gut, das Gespräch war vielleicht wirklich beendet ...“, gab er zu. „Aber dennoch hat Gorsco uns gestört.“ Claire nagte auf ihrer Unterlippe. Hatte er tatsächlich das vor, was sie befürchtete? Eigentlich hätte er nicht so dumm sein sollen, sich einer Dame aus besserem Hause zu nähern, doch andererseits war Neyo nicht dafür bekannt, dass er besonders besonnen handelte. Er folgte nur seinem Instinkt und tat das, wonach ihm der Sinn stand. Aber warum hatte er ausgerechnet sie zum Objekt seiner Begierde auserkoren? Jahrelang waren sie nicht allzu gut aufeinander zu sprechen gewesen, eine Beleidigung war der nächsten gefolgt. Es hatte sogar so etwas wie eine Art Kleinkrieg zwischen ihnen geherrscht. Zumindest hatte Claire das immer so betrachtet. Herrje, vor ein paar Wochen hatte sie Jyliere sogar vorgeschlagen, Neyo wegen seiner Dreistigkeiten auszupeitschen! Und nun? Nun grinste er sie an und man konnte seinem Blick entnehmen, was gerade in seinem Kopf vorging. Die Verachtung, die er ihr einst entgegengebracht hatte, war verschwunden und hatte überaus sündigen Gedanken Platz gemacht. Claire gefiel diese Situation ganz und gar nicht. Lieber wäre es ihr gewesen, Neyo würde einige unverfrorene Kommentare zum Besten geben und sich wieder wie ein rebellischer Diener benehmen, dem es Spaß bereitete, seine Herrin zu kränken. „Du bist ein Idiot!“, murmelte sie. Sie wich einige Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken gegen ein Bücherregal stieß. Keine Sekunde ließ sie dabei Neyo aus den Augen, der ihr schmunzelnd gefolgt war. „Ich weiß, dass ich ein Idiot bin“, meinte er amüsiert. „Das hast du mir schon oft genug vorgehalten.“ „Dann sollte dir auch klar sein, dass das hier –“, sie sprach es geradezu verächtlich aus, „– der reinste Irrsinn ist! Du brauchst dringend ein kaltes Bad, um wieder zur Vernunft zu kommen.“ Neyo legte seinen Kopf schief und tat so, als würde er ihre Worte tatsächlich in Erwägung ziehen. Dabei machte er sich nur über sie lustig. Claire schnaubte. Wahrscheinlich war ihre Unsicherheit überaus unterhaltsam für ihn. Für ihn war das alles sicherlich nur ein dummer Scherz. „Ich weiß, was du denkst.“ Neyos Augen funkelten kurz auf. „Aber es ist nicht so.“ Claire stutzte. Konnte dieser Kerl etwa Gedanken lesen? „Und ... und was ist es dann?“ Er kam noch ein Stück näher, sodass sich Claire unweigerlich an das Bücherregal presste. Die harten Einbände bohrten sich zwar in ihren Rücken, doch das war es wert. Sie wollte so viel Abstand wie möglich zwischen ihnen wahren, selbst wenn es sich nur um ein paar lausige Zentimeter handelte. Neyo hingegen schien ihr Verhalten zu amüsieren. „Wovor hast du Angst?“, wollte er wissen. Claire knirschte mit den Zähnen. Es ärgerte sie, wie unbesonnen er mit ihr umging. Beinah so, als wäre sie eines dieser Mädchen, die sich ohne große Probleme um den Finger wickeln ließen. Aber noch mehr ärgerte es sie, dass Neyo solch einen Einfluss auf sie ausüben konnte. Zwar war sie stark in Versuchung, ihn in einen Frosch zu verwandeln, doch sie brachte es einfach nicht übers Herz. Denn eine andere Versuchung war noch um einiges größer. „Ich ... ich habe keine Angst.“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, bereute sie es schon. Dieses Gestammel musste ihn ja unweigerlich vom Gegenteil überzeugen. Und so schien es dann auch wirklich zu sein, Neyos Lächeln sprach Bände. Er wusste ganz genau, was in ihr vorging. Schon immer hatte er sie durchschauen können. „Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich schon nicht auffressen“, meinte er belustigt. Als er seine Hand hob und ihr sanft durchs Haar strich, verkrampfte sich Claires Magen. Kurz dachte sie darüber nach, ihn einfach wegzustoßen, aber wie schon zuvor schaffte sie es nicht, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und zwar aus einem vollkommen simplen Grund: Es gefiel ihr! Verdammt, sie gab es wirklich ungern zu, aber im Grunde hatte sie nichts gegen Neyos Annäherungsversuche einzuwenden. Zwar versuchte ihr Verstand ihr einzureden, wie dumm das Ganze doch war, doch nach und nach verlor er an Überzeugungskraft. Aber trotzdem wollte sie standhaft bleiben. Neyo nicht bedingungslos verfallen, wie es sicherlich viele Frauen getan hätten, allen voran natürlich Catherine. Immerhin besaß Claire noch so etwas wie Stolz. „Du warst einst ein Straßenjunge“, sagte sie. „Ein Dieb. Ein Niemand. Und ich stamme aus der gehobenen Gesellschaft. Wir sollten nicht –“ „Red nicht solchen Schwachsinn!“, unterbrach Neyo sie. Er schien zornig, dass sie auf den Ständeunterschied zu sprechen gekommen war. Bei diesem Thema hatte er schon immer ziemlich empfindlich reagiert. „Aus welcher Schicht wir auch immer kommen, wir sind doch alle noch Menschen, oder sehe ich das etwa falsch? Was unterscheidet dich denn sosehr von mir?“ „Nun, ich ...“ Claire nagte unsicher auf ihrer Unterlippe. Ihr fiel keine passende Antwort ein. Wahrscheinlich gab es auch gar keine. „Bin ich deiner Meinung nach unwürdig?“, fragte er. „Bin ich weniger wert? Wenn du das wirklich so siehst, dann lass ich dich wohl besser in Ruhe.“ Claire erkannte, dass er es tatsächlich ernst meinte. Es war keiner seiner dummen Scherze, es war ihm ungemein wichtig. Für ihn war es schon immer ungerecht gewesen, dass Menschen danach beurteilt wurden, wie groß ihr Landbesitz und prachtvoll ihre Häuser waren. Neyo wollte sich von ihr zurückziehen, aber Claire packte ihn am Arm und hinderte ihn so daran. Sie wusste selbst nicht, was sie dazu bewogen hatte, aber zu ihrem eigenen Erstaunen fühlte sie sich gut dabei. „Tut mir leid“, entschuldigte sie sich. Sie fühlte sich fast wie ein kleines Mädchen, das bei seinem Lehrer wegen einer dummen Bemerkung um Verzeihung bitten musste. „Ich werde so etwas bestimmt nie wieder sagen. Versprochen.“ Neyos darauffolgendes Lächeln zeigte ihr, dass er mit nichts anderem gerechnet hatte. Offenbar hatte er sie nur dazu bringen wollen, es sich selbst einzugestehen. „Du willst mich bloß ärgern, hab ich Recht?“, meinte Claire mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Dieser beleidigte Gesichtsausdruck schien Neyo nur noch mehr zu amüsieren. „Ich tue nichts lieber als das, das müsstest du doch eigentlich wissen“, sagte er lachend. Er kam noch ein bisschen näher, ihre Nasenspitzen berührten sich leicht. Durch Claires Körper lief ein Schauer, den sie nicht zu unterbinden vermochte. Und den sie im Grunde auch gar nicht unterbinden wollte. „Hast du Angst?“, fragte Neyo erneut. Er umschlang mit den Armen ihre Taille und drückte sie an sich. „Ein bisschen“, sagte Claire wahrheitsgemäß. Neyo nahm dies mit einem Nicken zur Kenntnis, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Claire war dankbar dafür, ihr wäre es äußerst schwer gefallen, ihre jetztigen Gefühle zu beschreiben. Ihr war nicht mal klar, was sie eigentlich genau empfand. „Und denkst du, es ist falsch, was wir tun?“, wollte er wissen. „Ich denke, dass Catherine schrecklich eifersüchtig sein wird“, erwiderte Claire mit einem Grinsen. „Und ehrlich gesagt freue ich mich darauf, sie vor Wut herumspringen zu sehen.“ Neyo lachte auf. „Du bist immer noch die Alte“, meinte er. Doch als sich seine Lippen auf die ihren legten und sie zum ersten Mal solch ein aufwühlendes Gefühlschaos erlebte, da wusste sie, dass von nun an alles anders sein würde. * * * * * Sharif schaute schon seit geraumer Zeit aus dem Fenster hinaus. Voller Ungeduld beobachtete er die Sonne, wie sie langsam aber sicher hinter dem Horizont verschwand. Der Himmel hatte sich bereits blutrot gefärbt. Fast wie ein Omen schien es zu sein. „Endlich zeigen wir es diesen arroganten Magiern.“ Lasgo hatte sich zu dem Ägypter gesellt und starrte die Sonne dermaßen intensiv an, als wollte er sie irgendwie beschwören, schneller unterzugehen. „Ich kann es kaum noch erwarten, ihnen ihre blassen, dünnen Hälse umzudrehen.“ „Und ihr köstliches, magisches Blut zu trinken“, fügte Sharif grinsend hinzu. „Das wird ein großes Festmahl.“ Lasgo nickte zustimmend. Seine unbändige Vorfreude hatte ihn offenbar vergessen lassen, dass er Sharif eigentlich nicht leiden konnte. „In der Tat. Wann kommt eigentlich Alec?“ „Den treffen wir im Palast“, antwortete Sharif. Lasgo wandte seinen Blick von der Sonne ab und sah den Vampir überrascht an. „Ach, Alec ist schon hier?“ Sharif gestattete sich ein amüsiertes Lächeln. „Ehrlich gesagt ist er schon länger hier. Ich habe dir bloß nichts gesagt.“ „Und warum nicht?“, fragte Lasgo ein wenig schroff. Nun schien er sich plötzlich wieder daran zu entsinnen, dass er den Ägypter nicht mochte. „Vertraust du mir etwa nicht?“ Sharif lag bereits ein spöttischer Kommentar auf der Zunge, doch diesen schluckte er herunter, als plötzlich Asrim wie aus dem Nichts erschien und sich zu ihnen gesellte. Lasgo zuckte bei seinem unerwarteten Auftauchen erschrocken zusammen und auch Sharif war ein wenig überrascht. Normalerweise war es Vampiren nicht möglich, sich unbemerkt an ihre Artgenossen heranzuschleichen, ganz gleich, wie begabt man auch war. Nur Asrim schaffte es immer wieder. „Natürlich vertrauen wir dir.“ Die Stimme des alten Vampirs schien emotionslos, doch Sharif erkannte einen unterschwelligen Hohn. Asrim hatte nicht allzu viel für Lasgo übrig, im Grunde war er nur Mittel zum Zweck. Bloß ein Werkzeug. „Aber hätte es etwas geändert, wenn wir es dir erzählt hätten? Was für einen Unterschied macht es schon?“ Lasgo biss sich auf die Unterlippe. Jeden anderen hätte er spätestens ab diesem Zeitpunkt eine leidenschaftliche Strafpredigt zukommen lassen, doch Asrim gegenüber wagte er es nicht, die Stimme zu erheben. Man merkte, dass die schier grenzenlose Macht des uralten Vampirs diesen vorlauten Untoten ziemlich einschüchterte. Lasgo wandte sich wieder dem Fenster zu und suchte ausgiebig die Stadt ab. Offenbar schien er zu glauben, auf diese Art und Weise irgendwie Alec aufspüren zu können. Idiot! Er würde Alec niemals im Leben finden. „Und was ist mit diesem Jungen?“, wollte Lasgo wissen. „Diesem Neyo?“ Asrims Lippen umspielte ein schwaches Lächeln. „Ich habe ihm eine Belohnung versprochen. Und die wird er auch bekommen.“ Lasgo beäugte den Vampir mit leicht gerunzelter Stirn, war aber klug genug, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. Sharif musste ihm zugute halten, dass, auch wenn er daran gewohnt war, herrisch Befehle durch die Gegend zu brüllen, so wusste er dennoch, wann es Zeit war, sich zurückzuhalten und jemand anderem das Kommando zu überlassen. Sharif hätte es zwar nie für möglich gehalten, dass Lasgo so etwas wie Demut zeigen konnte, aber offenbar war er wirklich dazu fähig, wenn die Situation es erforderte. „Und das Buch?“, hakte Lasgo nach. „Das Buch?“ Asrim sah ihm im ersten Augenblick verwundert an, dann jedoch verstand er. „Ach, du meinst das Buch der Zukunft? Was soll damit sein?“ Lasgo schnaubte leicht verärgert. „Diese verfluchten Magier haben es!“, sagte er. Seinem Tonfall war nicht zu entnehmen, wie sehr es ihn grämte, dass Asrim ihn wie ein Kind behandelte. Sein funkelnder Blick hingegen sprach Bände. „Wir sollten es ihnen nicht so ohne weiteres überlassen.“ Asrim lächelte matt, beinahe gelangweilt. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was es mit diesem Buch auf sich hat? Woher es kommt, wer es geschrieben hat?“ Lasgo war im ersten Moment vor den Kopf gestoßen, außer unverständlichem Gemurmel brachte er nichts zustande. „Ähm, also ... nun ja, nicht so wirklich“, gab er kleinlaut zu. „Und wieso bestehst du so darauf, dass wir es uns zurückholen?“, fragte Asrim. „Die Zukunft ist ein Fluch, mein junger Freund. Bis jetzt hat dieses Buch jeden ins Verderben gestürzt. Willst du etwa auch dazu gehören?“ Sharif betrachtete voller Genugtuung, wie Lasgo nach Worten rang. Er schien mit allem möglichen gerechnet zu haben, aber nicht mit solch einer Antwort. Asrim hatte ihn damit völlig aus dem Konzept gebracht. Er brauchte eine Weile, bis er endlich seine Sprache wiederfand. „Und ... wer hat es denn geschrieben?“ Asrim grinste. „Ich!“, meinte er vollkommen gelassen. „Zumindest glaube ich das.“ Noch größere Verwirrung schien Lasgo zu befallen. „Du?“, stieß er hervor. „Aber ...? Du glaubst?“ Im Kopf des Vampirs schien alles verrückt zu spielen. Asrim zuckte nur belanglos mit den Schultern. „Ich bin mir nicht ganz sicher. Es ist meine Handschrift, also muss ich es wohl gewesen sein.“ Sharif grinste fröhlich vor sich hin. Lasgos geradezu verzweifelter Gesichtsausdruck war wirklich überaus amüsant. Allerdings konnte er den Vampirführer durchaus verstehen. Auch für Sharif selbst war es anfangs sehr irritierend gewesen, als Asrim ihm die Wahrheit über dieses ominöse Buch offenbart hatte. Er hatte eine Weile gebraucht, bis er diese merkwürdigen Informationen hatte verdauen können. „Was ... was soll das heißen?“, stammelte Lasgo perplex. Ihn stottern zu hören, versetzte Sharif in Hochstimmung. Asrim seufzte schwer. Im ersten Augenblick machte er den Anschein, als wollte er Lasgos Frage nicht beantworten, schließlich aber sagte er: „Du hast das Buch doch gelesen, nicht wahr? Hast du dich nie gewundert, wieso es in der Vergangenheitsform geschrieben ist?“ Lasgo blinzelte verdutzt. „Ich dachte, es wäre einfach ein besonderer Erzählstil“, murmelte er. „Oh Nein, mein kleiner Freund.“ Asrim lächelte süffisant. „Es steht in der Vergangenheitsform, weil zu dem Zeitpunkt, als dieses Buch geschrieben worden ist, alles längst geschehen war. Es ist im Grunde nichts weiter als ein simples Geschichtsbuch.“ „Es ... es kommt aus der Zukunft?“, hakte Lasgo vorsichtig nach. Trotz seiner Verwirrung schien er noch einigermaßen kombinieren zu können. Asrim hob hierauf seine Schultern. „Offenbar“, meinte er gelassen. „Ich weiß es selber nicht. Das Buch hat seinen ganz eigenen Kopf, es taucht auf und verschwindet wieder. Es wird vor einem starken Zauber beherrscht, den ich vielleicht sogar selbst ausgesprochen habe. Oder besser gesagt: irgendwann aussprechen werde.“ Lasgo fuhr sich durch das lange Haar und atmete tief durch. Langsam aber sicher schien er seine Selbstbeherrschung zurückzuerlangen. „Und wieso ist es hier? Warum jetzt?“ „Weil es an der Zeit ist.“ Asrim grinste. „Es hat einen Auftrag zu erfüllen.“ „Und welchen, wenn ich fragen darf?“, wollte der Vampirführer wissen. Er hatte eine Augenbraue hochgezogen und musterte Asrim skeptisch. Er konnte sich anscheinend nur schwerlich vorstellen, dass ein Buch eigene Entscheidungen traf oder gar Aufträge ausführen konnte. Und in dieser Hinsicht musste Sharif ihm zustimmen. Es war in der Tat durch und durch verrückt, doch Asrim war felsenfest davon überzeugt. Und Sharif wagte nicht, seinem Schöpfer zu widersprechen. „Das Buch ist hier, um Te-Kem seine Zukunft zu offenbaren“, erklärte Asrim. „Er soll sehen, was ihm blüht. Was Alec mit ihm anstellen wird.“ Lasgo legte seinen Kopf schief. „Aber was hat das für einen Zweck?“, wunderte er sich. „Wieso soll Te-Kem erfahren, was wir mit ihm vorhaben? So ist er vorbereitet.“ Asrim lächelte dermaßen teuflisch, dass Lasgo unweigerlich einen Schritt zurückwich. „Er soll Angst bekommen!“, meinte der Älteste voller Genugtuung. „Todesangst! Panik! Er wird die Kontrolle verlieren, Fehler machen. Und genau darauf warten wir.“ Lasgo machte zwar nicht wirklich den Anschein, als hätte er alles verstanden, doch er fragte nicht weiter nach. Asrims übermenschlich funkelnde Augen hatten ihm offenbar gehörigen Respekt eingeflößt, sodass er es für das Beste hielt, zu schweigen. Doch Lasgo würde es schon sehr bald begreifen, dessen war sich Sharif sicher. Schon bald würde er miterleben, warum allerorts behauptet wurde, das Buch der Zukunft brächte seinem Besitzer nur Unglück und Verderben. Schon bald würde er begreifen, weshalb das Buch sich ausgerechnet Te-Kem ausgesucht hatte. Asrim warf noch einen letzten, leicht herablassenden Blick auf Lasgo, dann wandte er sich ins Innere des Raumes, in dem bereits einige von Lasgos Leuten ungeduldig darauf warteten, dass es endlich losging. Sie hockten auf Sesseln oder auf dem Teppich und diskutierten leise miteinander. Als sie merkten, dass Asrims Aufmerksamkeit auf ihnen lastete, verstummten sie abrupt. Die Augen des uralten Vampirs ruhten auf einem ganz bestimmten Mann. Auf demjenigen Spion, der vor gar nicht allzu langer Zeit Asrim durch Zufall in Mystica aufgespürt hatte. Seinen intensiven Recherchen war es zu verdanken, dass der große Vampirfürst nicht mehr in seinem finsteren Verlies ausharren musste. „Ich will, dass der Junge und die Magierin dabei sind“, sagte Asrim. „Sie sollen es mit eigenen Augen sehen.“ „Und wieso?“, fragte der Angesprochene verdutzt. „Wenn Neyo das Ganze miterlebt, wird er nicht allzu gut auf Euch zu sprechen sein. Ihm wird es dann sicherlich nicht sonderlich gefallen, dass ihr ihn zu Euch holen wollt.“ „Tu einfach, was ich dir sage“, befahl Asrim, ohne eine Miene zu verziehen. Der Vampirspion namens Calvio nickte untergeben. „Wie Ihr wünscht.“ ____________________________________________________________________ So, das war's schon wieder ^^ Ich hoffe, es hat einigermaßen gefallen ^^ Und wie man merkt, geht es langsam aber sicher aufs Ende zu. Es wird wahrscheinlich noch 3 Kapitel plus Epilog geben, das war's dann aber auch ... Ich hoffe, ich kann eure Erwartungen erfüllen ^^ Liebe Grüße Nochnoi Hosted by Animexx e.V. 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