Kurzgeschichten von Schreiberliene (Was werden sie sagen, meine Darling?) ================================================================================ Nacht im Schützengraben ----------------------- Zusammen mit der Kälte zog auch die Feuchtigkeit aus der dunklen Erde zu mir hinauf. Kugeln flogen schon seit Stunden über meinen Kopf hinweg und würden dies wohl auch noch einige Zeit lang fortsetzen. Plötzlich aber verstummten die Gewehre und kein Mündungsfeuer erhellte mehr die nun tiefschwarze Nacht. Ein Unheil verkündendes Grollen begann, und die Erde bröckelte von den Wänden auf mich herab. Als die Kugeln aber weiterhin schwiegen, verließ mich ein Teil der lähmenden Angst und ich konnte mich nicht zurückhalten und warf einen vorsichtigen Blick über den Erdwall, um hinter das Geheimnis des Geräusches zu kommen. Und beschloss prompt, mich so schnell wie möglich zurückzuziehen, denn ein Panzerregiment nahm unbeirrbar Kurs auf unsere Stellung. Es war nicht mein Krieg; also wollte ich dort auch nicht sterben. Während ich mit schlotternden Knien davon kroch, hoffte ich, dass kein Schütze meine Flucht entdecken würde, und schaffte es tatsächlich in die wie ausgestorben scheinende Versorgungsstation, ein weiteres Loch im Erdboden. Es war erschreckend; dort, wo sonst stets eine grausige Emsigkeit herrschte, gab es nun nur Stille... Fast nur Stille. Ein dunkles Stöhnen lies mich herumfahren, und im selben Moment ertönte erneut der Klang der Mordmaschinerie. Ich schluckte schwer und erkannte im aufblitzenden Leuchtfeuer den Schatten eines jungen Mannes, der auf der Erde lag. Ich betrachtete ihn argwöhnisch, bis mein Blick an dem rotgefleckten Stoff hängen blieb. Der Krieg war einer harte Schule gewesen und nur diesem grausigen Lehrmeister war es zu verdanken, dass ich sofort verstand, was mit dem blutigen, leeren Verband an seiner linken Hand geschehen musste. Vorsichtig kroch ich auf ihn zu, einfach wegzusehen schaffte mein Gewissen selbst nach so vielen Leichen nicht, und band den blutenden Unterarmstumpf sorgfältig ab. Eine Splitterbombe habe dem Fremden die Hand zerrissen und gleichzeitig sein linkes Bein verletzt, erzählte er mir heiser, doch das sei nicht so schlimm, wie er mir versicherte. Er hieß Kurt, und wäre er nicht eingezogen worden, hätte er inzwischen wohl einen Roman über den Kampf herausgebracht. Nun würde er ihn nicht einmal beginnen; Gedichte, so erklärte er mir, könnten diesen Krieg viel treffender beschreiben. Seine Blutung war fast vollständig gestillt, doch die Schüsse über unseren Köpfen steigerten sich weiter, bis hin zu einem unbeschreiblichen Crescendo. Es war eine lange Nacht, wahrscheinlich die längste, die ich je erlebt habe, doch nicht für eine Sekunde ließ ich seine unversehrte Hand los. Auch er dachte nicht daran. Als gegen Morgen die Schreie und Schüsse immer seltener wurden, war ich trotz der durchwachten Nacht wacher als je zuvor, und mir wurde klar, dass nun die Zeit der Flucht gekommen war. Ich warf Kurt einen Blick zu. Im fahlen Morgenlicht wirkte sein Gesicht aschgrau und eingefallen, gealtert durch diesen unmenschlichen Krieg. Sein Arm zitterte, blutete aber schon lange nicht mehr. Es war die Zeit für die Flucht; doch Kurt konnte nicht fliehen, ohne zu sterben. Noch konnte ich entkommen, noch blieb Zeit – doch ich wartete. Ich wartete, bis gegen Mittag die Soldaten kamen und uns in Kriegsgefangenschaft nahmen. Kurt und mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)