Kurzgeschichten von Schreiberliene (Was werden sie sagen, meine Darling?) ================================================================================ Warum eigentlich nicht? ----------------------- Es war nicht das langsame, geradezu aufreizend lahme Tippen, das ihm als erstes auffiel - das kam erst viel später. Auch die dilettantischen Berichte störten in da noch nicht, unter anderem wohl, weil er noch keinen einzigen gelesen hatte; nein, als erstes fiel ihm diese penetrante Ungepflegtheit auf. Alles begann an dem Tag, an dem er aus seinem Urlaub zurückgekam; da Frau Sauder wegen Krankheit wohl länger ausfiel, hatte er Benjamin Nießen in seiner Abwesenheit die Aufgabe übertragen, einen Ersatz für sie zu finden. Keine schwierige Aufgabe, und sein junger, engagierter Assistent mit der phänomenalen Menschenkenntnis war seiner Meinung nach geradezu prädestiniert für sie. Es gab also keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Doch schon vor dem Büro seines neuen Angestellten merkte er, dass nicht alles lief, wie es sollte. Die Musik, die aus dem engen Raum drang, war merkwürdig; ja, sie war, wenn er es sich nun, im nachhinein, genauer überlegt, der erste Hinweis auf die zersetzende Wirkung, die sein neuer Mitarbeiter auf die Belegschaft haben würde. Es war keine Klassik, kein Pop, kein Techno, kein Punk, im Grunde keine Musikrichtung, die er kannte, aber sie war seltsam bedrückend, missklingend, irgendwie sehr unangenehm. Er war immer schon für alles offen gewesen; seine Mitarbeiter durften hören, was sie wollten, solange sie damit niemanden störten. Doch diese Töne störten ihn ab der ersten Minute. Das war kein guter Anfang.. Dennoch klopfte er unvoreingenommen an, bevor er vorsichtig den Raum betrat, um seinen neuen Angestellten zu begutachten. Der war unübersehbar da; unhöflicher Weise hatte er ihm den Rücken zugekehrt und ließ nicht mehr erkennen als sein dunkel gelocktes, fettiges Haar, das mit Pomade in den Nacken gestrichen war. Er konnte auch jetzt nicht leugnen, dass dieser ungepflegt wirkende erste Anblick wohl den Grundstein seines Argwohns bildete. Auch das schmierige Lächeln war ihm von Anfang an unsympathisch, dieses zu weiße Grinsen über den schmalen Lippen, das von Grund auf gestellt und falsch wirkte und fast wäre er zurückgewichen, als der eindeutig türkischstämmige Mann ihm die Hand reichte und als Memmet Hekimoglu vorstellte. Nun schlug ihm auch der betäubende Parfumgestank entgegen, der den ganzen Menschen einhüllte, vermutlich, um andere Gerüche zu überdecken. Und hier entschied es sich schon: Ein Blick in die kleinen, verschlagenen Augen und er wusste, dass Benjamin sich diesmal geirrt, den falschen Menschen ausgesucht hatte. Doch er beschloss, den Beiden noch eine Chance zu geben. Aber auch in den folgenden Wochen änderte Memmet sein Verhalten und seinen Aufzug nicht; im Gegenteil, er schien sogar noch dreister zu werden. Seine Höflichkeit war haargenau berechnet, und er wusste, wie er seine Komplimente, schwer und süß wie türkischer Honig, anbringen musste, um die gewünschte Reaktion zu erhalten; er spielte mit den anderen Mitarbeitern wie mit Marionetten. Außer ihm schien das keiner zu durchschauen, im Gegenteil, viele empfanden Memmet Hekimoglu sogar als angenehmen Zeitgenossen - blanker Hohn für den Chef, der schon längst erkannt hatte, was für einer der Neue war. Er war geschickt. Nie blieb Arbeit liegen, alles schien stets seine Richtigkeit zu haben, doch die Berichte waren schlampiger als die der anderen, viel öfter kam er zu spät oder verließ das Büro früher; mit einem Scherz auf den Lippen lud er seinen Mitarbeitern mehr Arbeit auf, ohne dass diese es merkten. Besonderst dreist ging der Türke mit seiner Mittagspause um. Nach belieben verschob er sie, sodass man nie genau wusste, ob man ihn nun im Büro antreffen würde oder nicht. Eine Kontrolle der tatsächlichen Länge war so natürlich nicht möglich, noch ein Beweis für Memmets Unzuverlässigkeit. Doch außer ihm, der er ja gezwungen war, darauf zu achten, fiel das auch weiterhin keinem auf. Auch Benjamin verbrachte viel Zeit mit dem Türken, er vertraute ihm immer mehr an und schien einfach nichts zu merken. Sicher, Memmet war intelligent, sehr intelligent, wenn man bedachte, mit welchem Geschick er seine Kollegen hinter das Licht führte, doch er war nicht im geringsten vertrauenswürdig. Aber sprach er es an, schien ihm zwar niemand widersprechren zu wollen, doch Zustimmung bekam er ebenfalls nicht, trotz der offensichtlichen Schwächen des neuen Mitarbeiters. Als er die Störung durch diese unsägliche Musik anmerkte, die ihm jede freie Sekunde raubte, meinte Benjamin sogar, dass er sie interessant fände. Interessant! Der Assistent wollte nur seinen Mitarbeiter schützen, soviel war klar, doch durch seine höfliche und diplomatische Art, auf die er bei seinen Angestellten großen Wert legte, kam ihm nie eine Beschwerde zu Ohren; im Gegenteil, Memmets Teamfähigkeit und sein analytischer Verstand wurden mehrfach gelobt. Alles Schuld der Firmenpolitik, die vorschrieb, auch positive Eigenschaften des Einzelnen ausdrücklich zu loben, und fand man, wie bei Memmet Hekimoglu, keine, so versuchte man, aus der Not eine Tugend zu machen, aus den offensichtlichen Schwächen eine Stärke. Es war absurd; das selbe Vorgehen, auf dass man in der Vergangenheit so stolz gewesen war, führte nun dazu, dass er keinen handfesten Grund sah, die Probezeit durch eine Entlassung zu beenden. Zwar hätte es eines solchen auch nicht bedurft, war die Probezeit im Vertrag doch einwandfrei geregelt, doch es gehörte sich nicht, jemanden ohne Begründung auf die Straße zu setzen. Zudem wollte er noch ein wenig abwarten, niemand sollte ihm vorwerfen sollen, er habe der Integration in die Arbeitsgemeinschaft nicht genug Zeit geschenkt. Doch auf Dauer konnte es so nicht bleiben. Die Situation zehrte an seinen Kräften, dieser eine Arbeiter schaffte es, die ganze Firma zu beschweren. Zwar schien auch weiterhin kaum einer Augen für die Schwächen des Türken zu haben, doch er selbst wusste instinktiv, wer Schuld an den vielen kleinen Pannen hatte; wenn nicht direkt, dann zumindest aus dem Hintergrund. Lag die Arbeit brach und war partout nichts zu tun, so konnte man davon ausgehen, dass Memmet den ganzen Tag an seinem Schreibtisch saß. War dagegen die Hölle los, wusste man nicht mehr, wo einem der Kopf stand, so verließ er das Büro vorzeitig, um einen Termin wahrzunehmen. Benjamin entschuldigte dies damit, dass der Türke eine große Familie habe und in der Verwaltung eben an anderen Tagen Hochkonjunktur war als im unmittelbaren Service, doch er wusste vermutlich selber, dass das keine plausible Erklärung war. Gab es viel zu tun, so hatten alle da zu sein, und wer sich stets verdrückte, bürdete seinen Kollegen noch mehr Arbeit auf. Dennoch musste man diese Ausreden annehmen, schließlich konnte man keinem das Gegenteil beweisen; was man dagegen zum Glück nicht annehmen musste, war das immer wildere Zuspätkommen. Am Anfang waren es nur wenige Augenblicke gewesen, doch inzwischen kam der junge Ausländer manchmal erst zehn Minuten nach Arbeitsbeginn an; wo sollte das noch enden? Memmet behauptete, er müsse den Bus nehmen, und dieser führe sehr knapp, sodass es häufiger zu Verspätungen käme, doch er durchschaute ihn. Auch seine Beteuerungen, er würde die verlorene Arbeitszeit nachholen, glaubte er nicht. Memmet Hekimoglu war einfach faul. Der Höhepunkt des Konfliktes wurde im Winter erreicht. Es war ein verschneiter Novembertag, und als er um viertel vor Neun Memmet aufsuchen wollte, um über sein Verhalten zu reden, war dieser noch nicht in seinem Büro; um genau zu sein, hastete er gerade die Treppe herauf und meinte, die Straßen wären vereist. Eine dreiste Lüge, nur um wieder ein wenig Zeit zu schinden, wieder Anderen die Schuld zu geben - was genug war, war genug. Und so entließ er Memmet Hekimoglu umgehend. Eine Kündigungsfrist von vier Wochen räumte er dem Anderen noch ein, schließlich mussten die Beurteilungen für die Empfehlung noch einholt werden; außerdem war er ja kein Unmensch. Er bestand nur auf Ehrlichkeit und Anstand. Doch Benjamin fand seine Reaktion vollkommen übertrieben; auch andere verstanden diesen Schritt nicht, obwohl sie es nicht so deutlich zum Ausdruck brachten wie sein Assisten. Sie verstanden nicht, dass es auch zu ihrem Besten war, Memmet hatte sie erfolgreich getäuscht, ihnen den freundlichen, fleißigen Arbeiter vorgespielt. Doch das Unverständnis der Anderen war ihm egal; er wollte nur das Richtige tun. Ohne die Einwände anzuhören, forderte er jeden, unter dem Memmet Hekimoglu gearbeitet hatte, dazu auf, eine Beurteilung abzugeben, die dann auch in das Gesamturteil einfließen sollte - eine ehrliche Beurteilung. Die Betroffenen verstanden, was er meinte, und ließen ihm bald ihre Beschwerden zukommen. Einige enthielten sich, konnten sich einfach nicht dazu entschließen, die Wahrheit zu sagen, doch er nahm es ihnen nicht übel. Er war kein nachtragender Mensch, noch nie gewesen. Doch alles musste seine Richigkeit haben. Deswegen erstaunte ihn der Beitrag seines Assistenten umso mehr. Herr Memmet Hekimoglu kann stets gewissenhaft, ordentlich und kreativ im Team arbeiten. Er verrichtet alle Arbeiten wie gewünscht und übertrifft dabei häufig die an ihn gestellten Erfahrungen, immer bestrebt, die bestmöglichsten Resultate zu erzielen. In allem, was er bei uns tut, ist er sehr gut. Erst konnte er nicht glauben, was er las; dann rief er Benjamin, um ihn zur Rede zu stellen. Dieser schien das schon erwartet zu haben, war sich dabei aber keines Fehltittes bewusst - kaum auf die Bewertung angesprochen, meinte er schon, dass er dabei bleiben würde, er habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Und als wäre das nicht genug, behauptete er gleich, die Entlassung sein ungerechtfertigt und basiere auf Vorurteilen, die er Memmet gegenüber habe! Dabei hatte er dem Türken so viele, zu viele Chancen gegeben... Natürlich wies er seinen Assistenten damals zurecht. Er sagte ihm, dass er sich aus Dingen heraushalten sollte, wenn er nicht in der Lage war, sie objektiv zu sehen. Ja, er versuchte sogar, ihm klar zu machen, dass er ihm die Fehlbesetzung nicht übel nahm, denn die Angst vor diesem Vorwurf schien ihm der wahre Grund für diese Schönfärberei der Wahrheit. Er schätzte Benjamin sehr; ein vitaler, engagierter Bursche mit Plänen und Idealen, eine Mischung, aus der noch viel werden konnte. Irren war menschlich, und das sagte er seinem Assistenten auch, in der Hoffnung, dieser möge sich besinnen. Doch das schien dieser nicht vozuhaben, im Gegenteil, er sträubte sich noch mehr dagegen, seinen unpassend positiven Beitrag zum Zeugnis zu ändern. Zu selbstsicher, zu stolz war Benjamin, der im Verlauf ihrer Unterredung kindestrotzig den Rotstift griff und ein "mehr als" über sein 'sehr gut' kritzelte. Das war wohl der Moment, in dem seinem Vorgesetzten klar wurde, dass er seinen liebsten Mitarbeiter verzogen hatte, wie einen Hund, dem man zuviele Freiheiten lässt. Egal, wie man dachte, die Wahrheit blieb nun einmal die Wahrheit, und das bedeutete, dass Memmet Hekimoglu ein Zeugnis bekommen musste, das späteren Arbeitgebern schon im Voraus eine Warnung schickte. Doch Benjamin schien nicht seiner Meinung zu sein; im Gegenteil, sein Widerspruch wuchs mit jeder Sekunde, die ihr Gespräche anhielt. Das konnte er nicht zulassen; immerhin war er hier noch der Chef, er hatte das letzte Wort und mit Sicherheit die größere Lebenserfahrung. Wenn Benjamin nicht Willens war, seine Beurteilung zu ändern, dann konnte er ebenfalls seine Kündigung einreichen, postwendet, und sich eine neue Arbeitstelle suchen - eine, die mit Sicherheit nicht halb so gut bezahlt wurde. Er mochte seinen Assistenten sehr, doch ein Streit wie dieser musste Konsequenzen haben. Doch das schien den jungen Mann nicht im geringsten zu stören; im Gegenteil. Obwohl er ihn die ganze Zeit ohne Vorbehalte unterstützt und gefördert worden war, besaß der Bengel die Frechheit, ihn anzustarren und dann, grimmig lächelnd, zu nicken. "Warum eigentlich nicht?" Genau das hatte er gesagt; wortwörtlich. Danach war er aus dem Büro gestürmt und hatte es am nächsten Tag nur noch einmal, zum letzten Mal, betreten, um seine Kündigung zu bringen. Die Zeugnisse des Memmet Hekimoglu wurden notgedrungen gelassen, wie sie waren, und von einem Tag auf den anderen war eine seiner besten Mitarbeiter fort, einfach so. Das verstand er immer noch nicht, denn auch wenn sein Assistent ein Hitzkopf gewesen war, hatte es dafür nun wirklich keinen Grund gegeben, oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)