Dejá Vu
Die Sommerferien neigten sich dem Ende immer bedrohlicher, aber Miku fühlte
sich alles andere als entspannt. In den letzten Wochen war alles drunter und
drüber gegangen, was zum Glück aber zu 100% positiver Natur war. Bou hatte Miku
angefleht in seiner Band mitspielen zu dürfen und obwohl er noch nicht wieder
in Top Form war, merkte man wie viel mühe er sich gab und zum ersten mal
konnten sie anfangen ernsthaft Musik zu machen. Aber um so mehr sie sich
reinsteigerten um so deutlicher wurde klar, dass sie aus der Lagerhalle raus
mussten und nach ein paar Erkundigungen hatten sie ein Tonstudio gefunden,
welches seine Räume billig vermietete. Trotz der recht billigen Miete war es zu
viel um es vom Taschengeld zu bezahlen, also suchten sich auch noch Kanon und
Teruki einen Sommerjob. Tagsüber wurde geschuftet und Abends bis spät gespielt
und obwohl die 4 eigentlich hätten tot umfallen müssen, fühlten sie sich so
glücklich wie selten zuvor."Sagt mal…wie heisst eure Band eigentlich?" Sie
waren grade dabei aufzuräumen, als Bou die Stille durchbrochen hatte und nun 3
große Fragezeichen im Raum stehen sah. "Darüber haben wir uns noch keine
Gedanken gemacht." Teruki kratzte sich verlegen an der Nase."Ich weiss was.
Antique Café. Teruki und ich sind antik und Bou und Miku der Café."
Wahrscheinlich sollte es ein Witz sein, aber Kanons Witze waren selten
verständlich und so wunderte es keinen mehr, das niemand lachte. "Antique Café?
Wir wollen doch keine Teezeremonie abhalten." Teruki war zu recht misstrauisch,
doch bevor noch einer etwas sagen konnte, mischte sich Bou ins Gespräch ein.
"Wie wär's mit An Café?" Miku legte den kopf schief. "Können wir nicht das
Antique behalten und das Café weg kürzen?"
"Wie denn du Schlaumeier? Antique Ca. Da glaubt doch jeder wir wären aus dem
Altersheim entlaufen. Also ich find An Café gut." Miku musste sich geschlagen
geben, denn auch Kanon stimmte Teruki nickend zu und Bou machte ein paar
Freudensprünge.
Obwohl noch eine komplette Woche Ferien auf ihn zu kamen, war Miku überzeugt
das nichts auf der Welt die momentane Bestlaune ruinieren konnte, doch dann, es
war ein paar Tage, nachdem sich für ihren Bandnamen entschieden hatten, geschah
es. Miku hatte seinen freien Tag und schmachtete voller Sehnsucht dem Abend
entgegen, denn anders als er musste sein geliebter Bou arbeiten und so wunderte
es ihn auch nicht wirklich, als er überpünktlich das Haus verliess um sich auf
den Weg zum Studio zu machen.
Bou schloss die schwere Tür hinter sich und liess sich auf das Podest nieder,
auf dem ihre Instrumente standen. Eigentlich sollte er ja nach hause gehen, da
er sich nicht wohl fühlte, aber er konnte die Band nicht im Stich lassen. Es
würde noch eine gute Stunde dauern, bis die anderen herkamen und so konnte
er noch etwas üben. Er zog die Gitarre zu sich, wusste aber nichts mit ihr
anzufangen. Was war bloss los mit ihm? Seine Finger wollten sich nicht bewegen,
er konnte seine Hände nichtmehr bewegen. Panik kroch dem Blonden den Rücken
hoch. Er stiess die Gitarre weg von sich und rollte sich auf dem Boden
zusammen. Diese scheiss Hitze…ja daran musste es liegen, an der Hitze. Bou
schloss seine Augen und versuchte seine Gedanken zu kontrollieren, aber es
klappte nicht. Er hörte plötzlich die Tür auf gehen und Stimmen, dann wurde sie
wieder geschlossen und Stille trat ein. War das Teruki gewesen? Er hörte
Schritte, schwere, schlurfende Schritte die sich Quer durch seine Gedanken
zogen und ein Geruch nach Lack und Tabak legte sich wie eine schwere Decke über
ihn. Bou fuhr sich mit den Fingern über den Hals. Er hatte das Gefühl zu
ersticken und dieser unangenehme Geruch wurde immer stärker. Als er die Augen
öffnete, um zu sehen, wer dort war, war alles Dunkel. Er sah die Umrisse eines
großen Mannes, der sich neben ihn kniete, hörte das wimmern eines kleinen
Mädchens, welches sich in einer Ecke versteckte. Als er die rauen Hände auf
seinen Beinen spürte schloss er die Augen und leise Tränen rannen über sein
Gesicht. Was war er bloss für ein Schwächling. Seine Schwester saß dort und
weinte, aber anstatt sich zu wehren lies er alles über sich ergehen. Er war so
schwach. Er konnte ihm nicht entkommen. Nie…Der rasselnde Atem des Mannes
wurde lauter und Bou schrie vor Schmerz auf. Nein das durfte nicht passieren.
Er wollte doch nur Miku gehören und nur Miku durfte ihn so tief berühren. Bou
verkrampfte mit dem ganzen Körper. Er wollte endlich stark sein. Er liess seine
Finger über den Boden gleiten, bis er etwas hartes ertastete. Bou riss seine
Augen auf und lies den Gegenstand in seiner Hand auf den rothaarigen sausen.
Teruki wich in letzter Sekunde zurück und schaute den blonden fassungslos an.
Bou war mindestens genauso fassungslos. Teruki? Nein…nein das durfte nicht war
sein. Ihm wurde schlecht und auf einmal spürte er eine seltsame, warme
Flüssigkeit über seine Beine laufen. Oh Gott, es war also doch kein Traum
gewesen. Das grade war wirklich geschehen. Bou raffte sich auf, seine Beine
zitterten und Übelkeit schnürte ihm die Kehle zu. Er konnte nicht hier bleiben,
er musste weg rennen. Seine Beine liessen sich erst nur schwer dazu bewegen,
einen Schritt zu tun, doch als die Tür aufging und Miku herein kam, ergriff der
kleine die Flucht.
Miku, der sich grade noch mit Kanon unterhalten hatte, sah dem blonden nach und
schaute dann zu Teruki, der sein Hemd vom Boden aufhob und wieder anzog.
"Was ist passiert?" Kanon fand als erster seine Stimme zurück und beobachtete
Teruki nun genau. "Nichts. Ich bin rein, Bou hat geschlafen, dann hab ich mich
umgezogen, auf einmal hat er genuschelt und angefangen zu Zittern und ich
wollte ihn Wecken und dann wollte er mit der Metallstange auf mich
einschlagen." Teruki zeigte Demonstrativ auf das silberne Rohr, welches auf dem
Boden lag, doch das beruhigte Miku nicht, ganz im Gegenteil. Er glaubte Teruki
nicht. Er wusste selbst nicht wieso, aber was er eindeutig wusste, war das er
Bou suchen musste. "Ich geh ihn suchen. Üben können wir eh nicht." Der
braunhaarige wollte sich grade davon machen, wurde aber von Kanon Aufgehalten.
"Wir helfen dir. Wer ihn findet schickt den anderen ne SMS." Die 3 machten noch
einen Ort fest, wo sie sich in 2 Stunden wieder treffen wollten und gingen dann
in verschiedene Richtungen. Miku schaute unaufhörlich auf sein Handy,
kontrollierte ob es auch wirklich an war und bildete sich sogar ein, es
Vibrieren spüren zu können. Die 2 Stunden waren fast vorbei und keiner hatte
Bou gefunden. Eigentlich wäre Miku noch weiter gegangen, aber er musste zum
Treffpunkt. Schweren Herzens drehte er sich um und sein Herz blieb stehen.
Diesmal klingelte sein Handy wirklich. Er zog es so schnell aus der Tasche, das
es auf den Boden fiel und er hatte Schwierigkeiten, den richtigen Knopf zu
treffen, so sehr zitterten seine Finger. "Miku? Miku du musst sofort kommen.
Bou ist krank. Er liegt im Krankenhaus, beeil dich." Miku starrte nur auf den
Tutenden Hörer. Bou war im Krankenhaus? Aber warum? Der Kleine fing an so
bitterlich zu weinen, wie er es noch nie getan hatte. Er war so unfähig. Er
hätte merken müssen, wenn Bou krank war, aber er hatte sich nur auf sich
Konzentriert und die Band konzentriert und alles andere vergessen. Miku konnte
sich nicht mehr daran erinnern, wie Kanon und Teruki ihn gefunden hatten, oder
woher sie wussten, in welches Krankenhaus sie mussten. Er kam erst langsam in
die Realität zurück, da saß er schon lange an Bous Bett, hielt seine Hand und
wartete, das der kleine aufwachen würde. Als die Tür auf ging, drehte Miku
seine Kopf um, um zu sehen, wer rein kam. Sachiko brachte ihm ein Glas Wasser
und Dr.Karuma sah nach Bou. "Sie sind also Kazuhikos bester Freund?" Die Stimme
des ältere Mannes klang wie die eines dieser Märchenerzähler von den
Kinderkassetten, aber sie hatte etwas an sich, was Miku das Gefühl gab, als
könne er diesem Fremden alles erzählen. "Hai…Was ist mit Bou?" Miku nahm ein
schluck und das kalte Wasser tat gut, da er vom weinen Kopfschmerzen hatte und
seine Kehle trocken war. "Wussten sie das Bou seit 3 Wochen kaum noch und seit
4 Tagen überhaupt keine Medikamente mehr genommen hat?" Miku sah den Doc
fassungslos an. "Nani?" Dr.Karuma nickte und reichte Miku das rote Büchlein.
Etwas unwohl zumute schlug er die letzten Seiten auf und tatsächlich hatte Bou
seine Medizin auf eigene Faust und radikal abgesetzt. "Ich bin hier her
gekommen, weil ich mir Sorgen gemacht habe und da er nicht im Café war, sind
wir zu den Saitous gefahren, weil ich dieses Buch sehen wollte. Kurz danach kam
Kazuhiko völlig aufgelöst nach hause und hat sich sofort unter die Dusche
gestellt mit Anziehsachen und ist dort zusammen gebrochen."
Miku nahm noch einen Schluck Wasser. "Wir haben eine Band. Bou war schon im
Studio und hat geschlafen. Teruki, der rothaarige, hat ihn geweckt. Als Kanon
und ich dazu kamen, ist Bou weg gerannt." Der Psychoonkel sah Miku kurz etwas
schockiert an, ging dann aber raus um sich Teruki vor zu knöpfen. Miku wurde
wieder mulmig zumute. Die anderen beiden wussten nichts über Bous Situation und
jetzt so was. "Miku…verzeih mir…" Der angesprochene sah auf und bemerkte, dass
es Bou war, der ihn mit heiserer Stimme angesprochen hatte. "Wofür denn
verzeihen? Es ist doch nichts passiert." Miku strich dem blonden über die
Wange, dem jetzt Tränen übers Gesicht kullerten. Es war Miku jetzt egal ob Bous
Eltern es sahen oder nicht, er beugte sich hinunter und küsste ihm erst die
Tränen weg, bevor er kurz, aber sanft seine Lippen küsste. "Ich liebe dich Bou
und werde es immer tun, egal was in der Vergangenheit passiert ist. Aber heute
ist nichts passiert. Du hast nur geträumt." Bou schüttelte den Kopf. "Ich kann
sie einfach nicht vor ihm beschützen und jetzt ist er zurück gekommen, um mich
zu bestrafen." Miku sah ein, das es sinnlos war. Bou war viel zu durcheinander
um die Wahrheit zu verstehen, also versuchte er erstmal, ihn wieder zu
beruhigen, was aber auch fast unmöglich war. "Wo warst du bitte als Gott die
Gehirne verteilt hat? Meine Eltern haben so schon genug sorgen, jetzt müssen
sie auch noch unter diesen Umständen erfahren, das ihr Sohn schwul ist…oder wie
Dr.Karuma gesagt hat: glaubt Schwul zu seinen." Miku warf der aufgebrachten
Sachiko einen Blick der übelsten Sorte zu. "Du weisst es doch auch schon ewig
und Bou bildet es sich nicht ein, er liebt mich wirklich." Das hoffte Miku
jedenfalls. Aber wenigstens hielt Sachiko die Klappe, jetzt wo sie daran
erinnert wurde, das sie die 2 auch noch unterstützt hatte. Das einzigste was in
der Stille zu hören war, war ein Rascheln und dann das Geräusch, von nackten
Füßen, die über den Parkettboden tapsten. Der Braunhaarige spürte plötzlich wie
sich eine kalte Hand um die seine schloss und bemerkte Bou, der zitternd neben
ihm stand. "Bou du musst doch liegen bleiben." Er wollte den blonden grade hoch
heben, als die Tür erneut aufgerissen wurde. Plötzlich standen alle in dem
kleinen Raum. Kanon und Teruki, immer noch verwirrt wegen dem offensichtlichen
Informationsmangel, Dr.Karuma, ausser sich, weil Bou aufgestanden war, und Bous
Eltern, die Mutter ein nervliches Frack, der Vater unentschlossen ob er stark
sein sollte, oder ob er sich schwach zeigen sollte und Sachiko die
schuldbewusst an der Wand lehnte. "Ich liebe Miku…wirklich. Ich liebe ihn, ich
liebe ihn." Bou zitterte so doll, das Miku ihn festhalten musste und der kleine
klammerte sich fest an ihn und schluchzte bitterlich. "Kazuhiko das ist doch
Schwachsinn. Das bildest du dir nur ein." Der Doktor packte Bou und riss ihn
von Miku los, doch Bou war alles andere als gewillt, seinen Schatz los zu
lassen und als schlagen und treten nichts brachte, versengte er seine Zähne in
den Arm des älteren. Dr.Karuma lies Bou fallen und Miku stürzte sich sofort zu
ihm und zog ihn zu sich hin. "Aber Bou, bist du dir sicher?" Seine Mutter hatte
sich zu Wort gemeldet, immer noch erschüttert über diese Neuigkeit. Bou sah auf
und nickte nur knapp, verbarg sein Gesicht dann wieder in Mikus Brust.
"Frau Saitou, ich bitte sie. Diese Gefühle sind echt. Ich möchte Bou beschützen
und ihn Lieben." Miku standen die Tränen in den Augen. Warum musste alles immer
so kompliziert sein? Aber zum grübeln blieb keine Zeit mehr. Der zuständige
Arzt kam in den Raum und schmiss alle erbarmungslos raus und packte Bou wieder
ins Bett. Miku wurde von Kanon und Teruki hinausgezogen und dort erstmal zur
Rede gestellte. Er antwortete auf jede Frage und erzählte ihnen alles über Bou,
auch wenn es ihm nicht ganz geheuer war. Kanon und Teruki standen nur da und
hörten zu und je mehr Miku erzählte um so entsetzter und blasser wurden sie.
Teruki ergriff irgendwann die Flucht und Kanon stand nur da, zu schockiert
zum rauchen, und schwieg. Als dann Bous Eltern das Krankenhaus verliessen,
verabschiedete der schwarzhaarige sich knapp und machte sich langsam auf den
Weg. Miku bekam leichte Bammel, als er von den Saitous aufgefordert wurde, in
ihr Auto einzusteigen, tat es aber ohne Protest. Die Fahrt nach hause war still
und unangenehm und als Miku ausstieg und eigentlich zu sich wollte, hielt Bous
Mutter ihn zurück. "Ich habe Bou schon lange nichtmehr so glücklich gesehen,
wie in der letzten Zeit. Er redet viel über dich und…wenn eure Gefühle für
einander wirklich so stark sind, dann muss ich es akzeptieren. Aber bitte…bitte
tu meim Baby nicht weh!" Dem braunhaarigen rutschte das Herz in die Hose, als
sie vor ihm auf die Knie sank und wieder anfing zu weinen. "Das werde ich
nicht. Ich verspreche es." Er war ein wenig heiser und hatte das Gefühl als
käme sein Versprechen nicht glaubwürdig genug rüber, aber da Frau Saitou sich
wieder etwas beruhigte, nahm er an, dass sie ihm glaubte. "Aber bitte sagen sie
meiner Mutter nichts. Ich will es ihr selbst sagen…geben sie mir nur 4 Tage
Zeit." Sie nickte knapp, stand dann auf und ging zu ihrem Ehemann, der nach ihr
rief. Der Weg von einem Haus zum nächsten schien noch nie so mühsam und lang
gewesen zu sein und dann waren seine Eltern auch noch kurzfristig zu einer
Feier gefahren, dabei war alleine sein jetzt genau das, worauf Miku keine Lust
hatte. Er schlich ins Bad, liess sich Wasser in die Wanne laufen und ging dann
in sein Zimmer, um sich aus zu ziehen.
Als er in der Wanne saß, zog er seine Beine an, schlang die Arme darum und
verbarg sein Gesicht halb hinter den Knien. Es fühlte sich alles so unreell, so
falsch. Vor ein paar Tagen noch hatten sie sich hier in dieser Wanne heiß
geliebt und jetzt schien dieses Gefühl verloren und ein großes Loch klaffte
dort und schmerzte.