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Home is where your heart is

von

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Angekommen

"Hallo." sagte ich schwach. Mayumi musterte mich eindringlich. "Anstrengender Flug?" fragte sie schließlich und ich nickte. Diese Ausrede war so gut wie jede andere um zu verbergen wie überrascht ich war. "Dein Gepäck hast du schon wie ich sehe, dann würde ich sagen machen wir uns mal auf den Weg." Sie lächelte mich an, dasselbe Lächeln wie Michiru, und schon wurden mir die Knie weich.

Doch ich riss mich zusammen, hängte mir meine Reisetasche über die Schulter und folgte Mayumi durch die Menschenmenge. Wie hypnotisiert starrte ich auf ihren schmalen Rücken, wie sie sich entschlossen ihren Weg bahnte. Ihre Haare trug Mayumi im Gegensatz zu Michiru kurz, doch das machte auch keinen Unterschied mehr. Das Gefühl vom Regen in die Traufe geraten zu sein breitete sich in mir

aus, so weit war ich vor Michiru geflohen nur um jetzt ihrer Schwester gegenüber zu stehen. Wenn ich gewusst hätte was mich hier erwartete, hätten mich keine zehn Pferde von Tokio hierher bekommen.

Mayumi steuerte auf den Garageneingang zu, sagte kurz "Warte hier!" zu mir und zahlte die Parkgebühren. Ich beobachtete sie und stellte fest dass sie viel energischer und hektischer war als Michiru. Ob das ihre Art war, oder ob es von ihrem stressigen Job abfärbte wusste ich nicht. Mayumi fütterte den Automaten mit Münzen, und als er das Ticket nicht sofort wieder ausspuckte trat sie kurz aber heftig gegen die widerspenstige Maschine. Das Ticket schoss mit einem protestierenden Piepsen heraus, und zufrieden nahm Mayumi es in Empfang. Dann kam sie zurück zu mir und fragte:"Willst du hier warten bis ich dich abhole oder kommst du gleich mit zum Auto?" "Ich komme mit." entschied ich. "Gut. Ich stehe auf..." Mayumi machte große Augen. "Moment..." Sie kratzte sich am Kopf, setzte ein schelmisches Lächeln auf und sagte:"Ich muss gestehen ich habe absolut keine Ahnung wo ich stehe." Ich grinste breit. "Grins nicht so! Ich kann mir doch wohl nicht alles merken!" sagte Mayumi gespielt beleidigt und verpasste mir einen Schlag gegen den Oberarm. "Hey! Werd mal nicht gleich rabiat!" sagte ich und hielt sie am Handgelenk fest. Mayumi zog und zerrte, versuchte mir den Arm zu verdrehen und gab sich schließlich geschlagen. "Pf, du hast nur gewonnen weil ich mit halber Kraft gekämpft habe. Irgendwann machen wir mal Armdrücken, und dann wirst du schon sehen was du davon hast wenn du dich mit mir anlegst!" prahlte sie. Ich lachte. "Oh ja, vor dem Tag hab ich heute schon Angst. Hoffentlich vergisst du den Termin nicht. Schließlich kannst du dir ja nicht alles merken." gab ich zurück. Mayumi wollte gerade antworten als sich ihr Gesicht aufhellte. "B778!!" rief sie triumphierend und lief ohne Rücksicht auf Verluste (also mich!) durch die Garagengänge. Ich hastete ihr hinterher, und siehe da, nach ein paar Minuten hatte sie das Auto tatsächlich gefunden. Es war eine uralte Schrottkiste, die wahrscheinlich mehr Kilometer auf dem verrosteten Buckel hatte als ich in meinem Leben je gefahren war. Mit hochgezogenen Augenbrauen stand ich vor der Rostlaube. "Was ist?" fragte Mayumi unschuldig. "Du bezeichnest das da als Auto??" fragte ich. Mayumi zog einen Flunsch. "Hey, es bringt mich von A nach B, also mach keinen Wind und steig ein." befahl sie. Ich folgte. Meine Reisetasche verstaute ich im Kofferraum und hoffte inständig dass sie nicht durch den Boden brach. Mayumi war inzwischen eingestiegen, und ich platzierte meine müden Knochen auf dem Beifahrersitz. "Also, ich bring dich jetzt zu deiner Wohnung, jedenfalls der Wohnung für das nächste halbe Jahr. Da kannst du dich dann erstmal ausruhen und aklimatisieren, und morgen treffen wir uns mit den Vorständen." erklärte Mayumi während sie umständlich aus der Parklücke manövrierte. Ich nickte nur. Die

Müdigkeit erschlug mich von einem Moment auf den anderen wie mit einem Holzhammer. Mayumi steuerte aus der Garage hinauf ins Tageslicht, und fädelte sich in den Verkehr ein. Ich musterte sie verstohlen von der Seite. Ihr Profil war härter als Michirus, ihr Blick stechender. Trotzdem hätte ich sie anders eingeschätzt als sie tatsächlich war. Am Telefon klang sie immer forsch, praktisch veranlagt und pragmatisch. In Persona erinnerte sie mich eher an Minako. Mayumi konzentrierte sich auf den Verkehr und fluchte lautstark als ein

BMW sie von links schnitt. "Wichser!" rief sie entrüstet. Ich grinste in mich hinein. So ein Wort hätte Michiru NIE in den Mund genommen. Niemals. "Warum lachst du?" fragte Mayumi fröhlich. Ihre Stimmungsschwankungen waren sensationell. "Ach nichts, nur so." gab ich zurück und hoffte dass sie es auf sich beruhen ließ. Sie wechselte tatsächlich das Thema, deutete auf verschiedene Häuser und erklärte mir welche Firmen darin ihren Sitz hatten, oder welche Bedeutung die Bauwerke hatten. Ich versuchte mir alles so gut es ging zu merken, doch das meiste ging an mir vorbei.
 

Auf einmal hielt Mayumi vor einem Hochhaus. "So, wir sind da." sagte sie und machte sich daran auszusteigen. Ich blieb sitzen und starrte das Haus an. Das war mein Zuhause für die nächsten sechs Monate. Ob das alles so toll war wie es vor ein paar Tagen in Tokyo noch geklungen hatte wusste ich nicht. Mayumi saß immernoch neben mir, die Hände in den Schoß gelegt und spielte mit ihrem

Autoschlüssel. Sie atmete tief durch und sagte:"Es tut mir leid." Ich runzelte die Stirn. "Was tut dir leid??" "Dass ich so aufgelöst war, und mich so aufgeführt habe am Flughafen. Ich wollte eigentlich ganz cool sein, aber es hat nicht so geklappt wie ich es geplant habe." erklärte sie und zuckte mit den Schultern. "Du hattest etwas geplant?" fragte ich. Was denn bitte geplant?? Sie nickte. "Ja, ich wollte einen guten Eindruck auf dich machen, nicht als fussliges Kleinkind auftreten, aber es ist total in die Hose gegangen. Was musst du jetzt von mir denken?" Sie sah mich an, und ich legte meine Hand auf ihre. "Du hast einen guten Eindruck gemacht, das denke ich." sagte ich.

Mayumi lief rot an. "Sollen wir raufgehen??" fragte sie und stieg aus ohne eine Antwort abzuwarten. Ich folgte ihr, holte meine Tasche aus dem Kofferraum und ließ mich von Mayumi in die Wohnung bringen. Sie lag im siebten Stock des Hochhauses und sie war winzig. Ein Zimmer, Küche, Bad, das war´s. Wenn ich von einem Ende der Wohnung zum anderen gelaufen wäre hätte ich nicht länger als fünf Sekunden gebraucht, so klein war sie. Ich muss wohl ziemlich fassungslos aus der Wäsche geschaut haben, denn Mayumi sah mich fragend an. "Stimmt was nicht?" Ich wollte schon losschimpfen von wegen zur Wohnung ausgebauten Legebatterie, doch im letzten Augenblick hielt ich mich zurück. Ich wollte nicht in der ersten Sekunde als Primadonna auftreten die ihre Starallüren ausleben musste. Deshalb schüttelte ich den Kopf und fügte mich in mein Schicksal. "Nein, alles okay." Mayumi nickte. "Gut, dann lasse ich dich jetzt allein. Morgen früh um neun hole ich dich ab, dann regeln wir alles weitere."

"Okay." sagte ich. Mayumi umarmte mich, lächelte mich an und verließ die Wohnung. Da stand ich nun, mutterseelenallein in meiner Zelle. Ich legte meine Tasche auf die Couch die wohl gleichzeitig Bett war, und ging zum Fenster. Unten auf der Straße tobte der Verkehr, es wurde langsam dämmrig.

In jedem Kitschroman hätte die Hauptfigur jetzt Heimweh bekommen, oder wäre sich zumindest der eigenen, natürlich traurigen Lage bewusst geworden - verlassen, ohne Freunde oder Bekannte in einer völlig fremden Stadt. Klein wäre der Protagonist sich vorgekommen, klein und unbedeutend, betrogen, entwurzelt, wie auch immer.

Zum Glück war mein Leben kein Kitschroman, und so fühlte ich etwas völlig anderes - Freiheit. Ich konnte mit meinem Leben tun und lassen was ich wollte, alle Türen standen mir hier offen. Niemand war an meiner Seite der mich bremste, niemand auf den ich Rücksicht nehmen musste, niemand der sagte "Aber Haruka, denk doch erstmal nach!" Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, ich packte den Schlüssel zu diesem Loch, und machte mich auf den Weg meine Nachbarschaft unter die Lupe zu nehmen.

Nach einer dreiviertel Stunde gab ich auf. Eines war mir jetzt klar - in horrende Kosten hatte sich Miller Inc. bei meiner Unterbringung sicher nicht gestürzt. Wahrscheinlich war Mayumi deshalb so schnell verschwunden. Sie wollte einfach aus der Schussrichtung sein wenn ich herausbekam in welchem Drecksloch ich von nun an wohnen sollte. Der Hausflur roch gelinde gesagt wie ein Katzenklo. Und zwar eines der übelsten Sorte. Wahrscheinlich war der Flur an sich das Klo, ob es allerdings nur von Katzen benutzt wurde war die andere Frage. Schnell lief ich die Treppen hinunter, und hinaus auf die Straße. Ich weiß nicht warum mir nicht schon bei der Ankunft aufgefallen war wie schäbig das Haus von aussen aussah. Ein neuer Anstrich wäre das mindeste was hier getan werden müsste. Auf der Straße sah es nicht besser aus. Als ich noch mit Michiru zusammen war, lebten wir am Rand der Stadt in einem großen Haus. Michiru war

von ihrem Elternhaus ein gewisses Maß an Luxus gewöhnt, und den wollte sie natürlich so gut wie möglich halten. Ich war auch nicht gerade von schlechten Eltern, so war der Sprung für mich nicht groß. Dann, nach unserer Trennung, war der Abstieg dann umso größer. Elzas Zwei-Zimmerwohnung lag näher am Stadtzentrum, und so auch näher an Verkehr, Lärm und Smog. Ich hatte mich daran gewöhnt, und meine Ansprüche erheblich heruntergeschraubt. Mit der Zeit war ich vom Luxusleben komplett abgefallen, passte mein Leben meinem Geldbeutel an und freute mich wenn am Ende des Monats noch genug Geld übrig war um es in einer langen Nacht auf den Kopf zu hauen. Doch das hier, das kam einem weiteren Abstieg gleich, und das wurde langsam aber sicher wirklich zuviel. Als ich durch die Straßen schlich, kam ich mir vor wie im Ghetto, direkt aus einem 2Pac Song entsprungen. Kinder lungerten auf den Stufen zu den Hauseingängen herum, alle in viel zu weiten Hosen und TShirts, und sahen mich mit stechendem Blick an als wollten sie sich gleich alle auf einmal auf mich stürzen. Dunkle Typen in schwarzen Klamotten saßen auf der Bank an der Bushaltestelle, rauchten und unterhielten sich. Sie hatten einen derartig fiesen Slang drauf dass ich kein Wort von dem verstand was sie sagten. Schnell ging ich weiter, vergrub die Hände in den Jackentaschen und machte dass ich vom Acker kam. Vor meinem Haus ging eine relativ breite Straße lang, und auf dieser Straße hatte mich eben zum vierten Mal ein Polizeiwagen mit heulender Sirene überholt. Und das obwohl ich erst seit zehn Minuten draussen war!! Ich kam mir vor wie einem schlechten Film. Eine Gruppe Kinder schlich hinter mir her, weiß der Geier was sie von mir

wollten. Ich machte kehrt, und trat den Rückzug an. Vor meinem Haus stand eine ältere Frau, die mich mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte. "Was willst du?" fragte sie mich, und ich blieb stehen. "Ich wohne hier." antwortete ich wahrheitsgemäß. "Ich kenne jeden der hier wohnt, und dich kenn ich nicht. Was willst du hier?" wiederholte sie. "Seit heute nachmittag wohne ich im zweiten

Appartment im siebten Stock, und genau da werd ich jetzt auch hingehen." giftete ich. Die Frau ging mir auf die Nerven. "Im siebten Stock, hä?" sagte sie, mehr Feststellung als Frage. Ich nickte. "Pass auf. Da hat vorher so´n Typ gewohnt, dem haben die Bullen alle zwei Tage die Tür eingetreten. Kann sein dass das nochmal passiert, vielleicht wissen sie noch nicht dass er abgehaun is." Die Alte lachte, und ich verzog mich ins Haus. Morgen würde ich Mayumi die Ohren langziehen, soviel war klar. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben, der jetzt seltsamerweise ebenfalls nach Katzenklo roch. Vorhin, als ich mit Mayumi nach oben gefahren war, hatte er das noch nicht getan, da war ich mir ganz sicher. Ich schwor mir von nun an nurnoch Treppen zu steigen.

In meiner Wohnung klappte ich die Couch aus, und durchsuchte die Schränke nach einer brauchbaren Decke. Zum Glück hatte Mayumi vorgesorgt. Im Kleiderschrank fand ich eine in Plastik eingeschweisste Bettdecke, an der ein Post-it klebte. "Schlaf gut! Mayumi" stand darauf. Ich lächelte, zog den Zettel ab, faltete ihn zusammen und legte ihn auf den Tisch. Dann packte ich die Decke aus, stellte fest dass es dazu auch ein Kopfkissen gab und machte es mir auf der Couch gemütlich. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet war die Wohnung

garnicht so schlimm. Ich war allein, wieviel Platz konnte ein einzelner Mensch schon brauchen? An der Wand gegenüber stand ein Fernseher auf einem Regal, die Fernbedienung fand ich auf dem Tisch. So zappte ich mich durch die Programme, und dachte nach. Von allen Menschen auf der Welt musste ich ausgerechnet Michirus Schwester hier treffen. Sie sahen sich sehr ähnlich, dieselbe Haarfarbe, dieselben Augen, derselbe Mund. Derselbe Nachname. Trotzdem war Mayumi nicht mit Michiru zu vergleichen. Michiru tat alles mit einer

gewissen Eleganz, sie war ein Mensch mit vielen Schnörkeln. Mayumi dagegen war direkt und sehr geradlinig. Sie sagte was sie dachte, und das gefiel mir irgendwie. Ich mochte Mayumi, auch wenn sie mich in jeder Sekunde an Michiru erinnerte, die ich lieber heute als morgen vergessen hätte. Im Fernseher liefen Cartoons, und ich ließ mich von Spongebob Squarepants in den Schlaf lullen.



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