Anubis Black von Autumn (JadenxChazz, AtticusxZane (Kapitel 22 ist da!!!)) ================================================================================ Kapitel 9: Blutopfer (Teil 2) ----------------------------- Und wie versprochen, gleich das neue Kapitel!^^ Kapitel 9: Blutopfer (Teil 2) Alexis sass in ihrem Einzelzimmer und bürstete sich ihr langes Haar. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und auf der Kommode lagen ihre beiden Dolche, die sie ernst betrachtete. Sie hatte trotz Zanes Weigerung die feste Absicht, um ihren Bruder zu kämpfen, mochte die Herausforderung auch nicht ihr gelten. Sie besah sich das Foto, das in der linken Ecke des Spiegels klemmte und das sie als kleines Mädchen an der Seite ihres Onii-san zeigte. Er hatte beschützend den Arm um sie gelegt und strahlte mit ihr gemeinsam in die Kamera. Ihre Mutter hatte das Bild aufgenommen. Atticus trug eine Schuluniform, er war damals in die erste Klasse gekommen. Seit seiner Entführung war eine ganze Nacht und fast ein weiterer Tag verstrichen und der Schattenreiter machte keinerlei Anstalten, sich ihnen zu enthüllen. Warum nicht? Weshalb zögerte er? Versprach er sich etwas davon? War das eine Art krankes Spielchen? Was konnte ihm diese Warterei nützen? Sie schüttelte den Kopf. Warum versuchte sie überhaupt, einen Gesandten der Schatten zu begreifen? Sie legte die Bürste beiseite und dachte darüber nach, ob sie vor dem Abendessen noch die Zeit hatte, sich mit Mindy und Jasmine zu treffen. Seit sie eine Anubis Black war, war der Kontakt zu ihren Freundinnen geschmälert, auch wenn sie sich während des Unterrichts immer sehen konnten. Mindy hatte sich einen Verehrer angelacht und sie wusste noch gar nichts näheres darüber, weil sie keine Gelegenheit gehabt hatte, privat mit ihnen darüber zu reden - der Kampf gegen Darkness war dazwischengekommen. »Also, auf - es ist noch etwa eine Stunde hell und das Abendessen gibt‘s um acht. Ich gehe sie besuchen! Das wird mich ein wenig von meinen Sorgen ablenken....« Sie verließ das Zimmer, schlüpfte durch die Geheimtüren und machte sich auf den Weg in Richtung des Frauenhauses der Obelisk Blue. Zu ihrer Überraschung begegnete sie auf halber Strecke Chazz, der auf einer der Bänke sass, die die Umgebung der Schule in unregelmäßigen Abständen säumten. Er hatte die Arme im Nacken verschränkt und starrte in die Luft, als erhoffe er dort die Antworten auf seine Fragen zu finden. „Oh, hallo, mein Freund!" „Hm? Ach. Hi, Alexis." „Du siehst ja ungemein begeistert aus. Stimmt etwas nicht?" „Nein, alles in Ordnung." „Und wer soll dir das bei deiner Leichenbittermiene abkaufen?" „Niemand." erwiderte er kurzangebunden. Alexis verdrehte die Augen gen Himmel und setzte sich neben ihn. „Du bist mal wieder überwältigend charmant, Chazz. Dich beschäftigt doch etwas. Oder vielleicht sogar jemand?" „Darf ich dir eine Frage stellen?" erkundigte er sich, ohne auf ihre vorhergehenden Worte zu achten. Bei derartigen Dingen konnte er ganz einfach auf „taub" schalten. „Natürlich. Was möchtest du wissen?" „Nehmen wir einmal an, ich wäre....krank. Die Symptome sind Schweißausbrüche, Trockenheit im Mund, ein dumpfes Gefühl in der Magengrube, Herzklopfen und Hitzewallungen. Sie treten auf, sobald ein bestimmter Faktor in meiner unmittelbaren Nähe ist. Was ist los mit mir?" „Ein bestimmter Faktor löst diese Symptome aus, wenn er in deiner unmittelbaren Nähe ist?" wiederholte sie schmunzelnd. „Ist es ein....hübscher Faktor?" Er errötete bis unter die Haarwurzeln. Mr. Princeton in höchstem Grade verplant zu erleben, war ein ziemlicher seltener Anblick. „Ja", würgte er schließlich hervor. „Es ist ein....sehr hübscher Faktor." „Nur hübsch?" „Wie, nur hübsch?" „Ist das alles, was dich an diesem Faktor....reizt?" „Nein. Da wären noch das Lächeln, die Hilfsbereitschaft, der Mut, die ansteckende Fröhlichkeit und das Herz. Ein warmes, freundliches, starkes Herz." „Ich verstehe. Wenn es so ist, würde ich folgende Diagnose vorschlagen: Du bist verliebt." Er starrte sie erschrocken an. Offenbar hatte er das nicht hören wollen, denn er stand auf und rannte davon, als wäre ein Rudel Wölfe hinter ihm her. Sie sah ihm irritiert hinterdrein und musste unwillkürlich lächeln. Er war wohl mit seinen Gefühlen noch nicht im reinen.... Chazz beendete seinen Dauerlauf erst vor Bastions Zimmertür. Er klopfte an, aber da sich niemand meldete, ging er einfach hinein. Das Geräusch von fließendem Wasser verriet ihm, dass das Genie gerade duschte und so setzte er sich abwartend auf das Bett. Neugierig musterte er den Raum. Entgegen seiner üblichen Gewohnheit hatte der Schwarzhaarige diesmal davon abgesehen, die Wände mit Gleichungen vollzukritzeln, dafür türmten sich auf seinem Schreibtisch etliche Blöcke, die mit Sicherheit die verschiedensten Rechnungen beinhalteten. Auf dem Nachtkästchen lag ein wissenschaftliches Werk über Rückführung und Wiedergeburt sowie ein Ägyptenwälzer. Daneben stand eine gerahmte Fotografie, die den kleinen Bastion in kurzen Hosen und mit einem Riesenteddy im Arm zeigte, hinter ihm lächelten eine schöne Frau mit schwarzen Locken und ein imposanter Mann mit einem Vollbart in die Kamera. »Das sind bestimmt seine Eltern. Wie glücklich sie zusammen aussehen. Solche Bilder gibt es von meiner Familie gar nicht....« „He, hallo Chazz! Ich habe gar nicht gehört, dass du reingekommen bist. Vermutlich hatte ich zu viel Wasser in den Ohren." Bastion trug lediglich ein Paar gelbe Shorts und seine Haare waren nass, sodass der andere ihn zunächst fast nicht erkannt hätte; so ungewohnt sah er aus ohne seine Gel-Frisur. „Was treibt dich denn zu mir? Hast du ein Problem?" „Du hast mir doch das Angebot gemacht, dass ich mit dir darüber reden könnte, wenn mich irgendetwas beschäftigt....war das ernst gemeint?" „Aber natürlich. Warum hätte ich es dir sonst anbieten sollen? Hast du vielleicht ein bisschen Hunger? Ich hab Sandwiches da. Oder möchtest du was trinken? Saft, Cola? Meine Eltern schicken mir regelmäßig einen Vorrat an Proviant, weil sie immer befürchten, ich bekäme hier keine ausreichende Verpflegung! Da fällt mir ein, um acht ist Abendessen, also vergessen wir die belegten Brote. Hm....wenn du ein Problem hast, ist Süßkram angesagt." Er öffnete die obere Schublade des Nachtkästchens und holte eine Tafel Schokolade daraus hervor, gefolgt von einer Tüte Erdnussflips. „Nein, danke. Das ist nett, aber ich möchte nichts." „Verstehe. Dann ist es was sehr ernstes." Er hockte sich dem Jüngeren gegenüber auf das Bett, rubbelte sich mit seinem Handtuch noch einmal durch die Haare und ließ es anschließend unbeachtet über der Schulter baumeln. „Worum handelt es sich?" „Also....das ist irgendwie....schwer zu erklären...." „Aha. Eine Gefühlssache, wie ich mir dachte. Ist es eine Sie oder ein Er?" „Wie kommst du darauf, dass es auch ein Kerl sein könnte!?" „Na ja, es war ziemlich deutlich, dass du mal was für Alexis übrig hattest, aber das ist ja nun kein Thema mehr." „Wie bitte? Warum nicht?" „Warum wohl? Wegen Jaden! Hör mal, ich selbst bin bi, ich hab ein Gefühl für sowas!" Chazz wurde in Sekundenbruchteilen fast dunkelrot im Gesicht und rief aus: „Ich dachte, Gefühle wären nicht dein Spezialgebiet?!?!" „Sind sie auch nicht", entgegnete der Ältere mit der stoischen Gelassenheit, die für ihn so typisch war. „Aber ich laufe nicht mit Scheuklappen durch die Welt. Wer jetzt noch nicht gemerkt hat, dass du auf unseren süßen Anführer stehst, muss blind, taub oder überirdisch naiv sein! Zane ist zwar emotionsmäßig auch nicht gerade ein Genie, aber er ist schwul, also hat er einen einigermaßen geschulten Blick dafür. Alexis ist eine Frau, die können sowas von Geburt an, das ist eine Tatsache. Bleiben also noch Syrus und Jaden. Sy ist naiv und Jay...." „Um ehrlich zu sein, der ist längst nicht so naiv wie du glaubst!" „Das weiß ich. Er hatte schon mal einen festen Freund, Geoffrey oder so ähnlich, der war sein Nachbar. Jay vermutet es trotzdem nicht. Der heimliche Angebetete ist immer derjenige, der es als letzter erfährt, das liegt in der Natur der Sache." „Jeder hier scheint hundertprozentig davon überzeugt zu sein, dass ich in diese Slifer-Niete verknallt bin!! Alexis, du...." „Lex auch? Kluges Mädchen." Der Dunkelblauhaarige warf ihm einen eisigen Blick zu, der unter normalen Umständen einen Wasserfall hätte einfrieren können, aber Bastion war vollkommen immun gegen derartige Attacken. Chazz begann, in dem Zimmer hastig auf und ab zu gehen, während der andere ihm amüsiert dabei zusah. „Noch dazu ist niemand in meinem Bekanntenkreis normal gepolt! Jaden steht auf Männer, du bist bi und Zane ist deiner Meinung nach auch ein warmer Bruder! Als nächstes erzählt mir dann irgendwer, dass Alexis lesbisch ist, oder was?!" „Solche Bezeichnungen wie ‚warmer Bruder‘ schätze ich nicht besonders. Außerdem, weshalb regst du dich so auf? In unserer modernen Gesellschaft die Homosexualität als Werk Satans zu betrachten, ist nicht nur intolerant, sondern in höchstem Grade lächerlich! Du benimmst dich genau wie die ältere Generation, die das Schwulsein, oder, allgemeiner ausgedrückt, das Nicht-Hetero-sein, als etwas Krankes oder Perverses verurteilt. Ich wette, dass keiner von ihnen sich je mit einem Schwulen oder mit einer Lesbe unterhalten hat, um herauszufinden, wie sich diese Menschen fühlen, wenn sie feststellen, dass sie nicht ‚normal‘ sind! Die meisten sind nur Zuschauer mit abgegriffenen Moralideen, die der gültigen Norm entsprechen! Du kannst doch selbst denken, oder nicht? Musst du dich immer nach dem richten, was andere sagen?" Der ehemalige Obelisk Blue schwieg und unterbrach sein unruhiges Hin und Her. Obwohl Bastion nur ein paar Monate älter war als er, hatte er den Eindruck, im direkten Vergleich wesentlich unreifer abzuschneiden. Er war noch nicht lange sechzehn und die Frage nach seiner Sexualität hatte er sich nie gestellt, weil er einfach darauf vertraut hatte, hetero zu sein - doch seit er Jaden halbnackt im Thermalbad der Akademie gesehen und Erregung verspürt hatte, war sein Weltbild ins Wanken geraten; ein Weltbild übrigens, das er seiner konservativen Familie zu verdanken hatte. Er konnte es nicht leugnen, er mochte Jaden. Er mochte ihn sogar sehr. Konnte das wahr sein? Dass er genauso fühlte wie Shezar vor viertausend Jahren? „Und was soll ich tun?" „Erst einmal musst du dir über deine Empfindungen klar werden, ob es dir ernst ist oder nur eine vorübergehende Schwärmerei, so wie im Fall von Alexis. Wenn du dir sicher bist, musst du es ihm gestehen." „Bist du verrückt?!" „He, du wolltest einen Rat und du bekommst ihn! Was würde dir dein Schweigen bringen? Was nützt es, seine Gefühle zu verstecken, wenn du sie doch nicht auslöschen kannst?" Er hielt verwirrt inne. „Mir ist gerade, als hätte ich so etwas ähnliches schon einmal zu dir gesagt. Aber wie dem auch sei - du hast eine Menge übrig für Jaden, und wenn du dich auf den Kopf stellst!" Chazz streckte ihm schmollend die Zunge heraus und seufzte. Hätte ihm jemand vor einem Monat erzählt, dass er eines Tages eine Schwäche für die Slifer-Niete entwickeln würde, hätte er ihn in die geschlossene Abteilung einweisen lassen. Und heute? „Bastion?" „Ja?" „Gib mir mal die Tüte mit den Erdnussflips...." Die Sonne war vor einigen Stunden am Horizont versunken und die Gruppe der Anubis Black war von gespannter Erwartung erfüllt. Sie waren nur zu fünft, denn Jaden war auf der Krankenstation geblieben. Die Nacht war die Zeit der Schattenreiter, und die starke Aura von Bedrohung und Gefahr, welche die Schule und ihre Umgebung einhüllte, hatte sie zu dem Schluss kommen lassen, dass der Entführer sich endlich zeigen würde. Sie standen bewaffnet vor dem Eingangstor und tatsächlich mussten sie nicht lange auf ihren Widersacher warten. Eine Fledermaus flog aus einem Baum direkt auf sie zu und verwandelte sich vor ihren Augen in eine Frau. Sie war schön, aber ihre spitzen Zähne und ihr grausames Lächeln ließen keinen Zweifel daran, dass sie ein Vampir war. Syrus wurde ein wenig flau im Magen, aber sein Bruder war vollkommen unbeeindruckt. „Wer bist du?" „Oh, hast du mich wirklich vergessen, mein geliebter Anares? Ich bin Camilla, der Zweite Schattenreiter. Ich fordere dich zu einem Duell heraus....und wenn ich gewinne, wirst du mir gehören, mit Haut und Haaren!" „Niemals!" Er musterte sie voller Abscheu und in seinem Kopf tauchten Bilder seiner Vergangenheit auf. Er kannte sie. Ja, er kannte sie....und plötzlich erinnerte er sich auch daran, wie er Hiron zum ersten Mal begegnet war.... ~~ RÜCKBLENDE ~~ Anares wand sich im Griff seines Vorarbeiters. Der Mann hielt ihn fest und seine Hand wanderte unter den verschlissenen Gehrock seines Opfers. „Ich werde dir deinen Widerwillen und deinen Stolz schon noch austreiben", raunte der Kerl nahe an seinem Ohr und der Geruch nach Schweiß und Alkohol verursachte dem Grünhaarigen Übelkeit. „Einem Bauarbeiter wie dir steht es nicht zu, aufmüpfig zu sein!" Obwohl ihm die Angst vor seiner Schändung die Kehle zuschnürte, bäumte er sich auf. Er würde sich nicht nehmen lassen wie ein Liebessklave aus dem Vergnügungsviertel! Sein Knie schnellte nach oben und traf seinen Angreifer zwischen den Beinen. Der Vorarbeiter stöhnte auf vor Schmerz und ließ von ihm ab, um seine Männlichkeit zu schützen. Anares sprang über ihn hinweg und rannte davon, zurück zur Baustelle. Er war der erste Sohn eines armen Dieners und zusammen mit seinem jüngeren Bruder Sokat hatte man ihn zum Bau der Pyramide abkommandiert, die später das Grabmal von Pharao Tutangaton sein sollte. Es war Mittag und die Hitze fast unerträglich. Er hasste es, von den Vorarbeitern ausgepeitscht zu werden, wenn er nicht spurte oder von ihren lüsternen Blicken verfolgt zu werden. Ein Vorfall wie vorhin war keine Seltenheit, aber bisher hatte er es vermeiden können, dass ihm tatsächlich Gewalt angetan wurde. Doch jeder seiner abgewiesenen „Verehrer" würde es ihn büßen lassen - weitere Peitschenschläge, kein Essen, kein Wasser, zusätzliche Aufgaben, keine Ruhepause mehr....Er fluchte und ließ sich von einem seiner Vorgesetzten einen Korb mit Ziegeln auf den Rücken laden, die für den Bau der Grabkammer verwendet werden sollten. Mit schweren Schritten transportierte er sie in Richtung Pyramide, während die Sonne gnadenlos auf ihn herniederbrannte. Vor sich erkannte er Sokat, der angestrengt nach Luft rang und schließlich unter seiner Last zusammenbrach. Sofort war einer der Vorarbeiter da und ließ seine Peitsche knallen. „In die Höhe mit dir, du Stück Dreck! Los, weiter! Wofür glaubst du, dass du bezahlt wirst?!" Er holte erneut aus, doch in diesem Moment warf Anares den Korb ab und fing den Schlag mit seinem Arm ab. Die Peitsche wickelte sich um sein Handgelenk und er entriss sie dem Peiniger mit einer schwungvollen Bewegung. „Wagt es nicht noch einmal, meinen Bruder zu bestrafen! Er hat Euch nichts getan! Er ist nur erschöpft und muss sich ausruhen!" „Soso, muss er das?" höhnte der andere. „Dann hast du sicher keine Probleme damit, seinen Korb ebenfalls mitzunehmen, oder?" Anares biss sich auf die Lippen. Sokat war halb bewusstlos und lechzte nach einem Tropfen Wasser. So packte er die beiden Tragekörbe, lud sie sich rechts und links auf die Schultern und setzte seinen Weg fort, während man seinen Bruder in den Schatten legte, wo Amphoren mit dem kostbaren Nass standen. Eine alte Dienerin erfrischte den Jüngling. Stunden später schleppte der Grünhaarige noch immer Ziegel hin und her, obwohl schon längst Essenszeit war. Er konnte sich allerdings denken, warum er nicht abgelöst wurde. Er erlebte alles nur noch in einem merkwürdigen Dämmerzustand; der Schweiß rann ihm in Strömen vom Körper, seine Glieder schmerzten höllisch, seine Kehle war rau und trocken und die Riemen des Korbes schnitten ihm ins Fleisch. Er sackte in die Knie, verlor seine Last und stürzte zu Boden. Durch einen Nebel aus Qual hörte er das Klappern von Hufen und das Wiehern von Pferden. Dann erhob sich eine Stimme über den Tumult: „Was geht hier vor?! Die Vorarbeiter zu mir, alle! Meine Schwester Nefretaria und ich sind gekommen, um im Namen des Pharaos die Baustelle zu überprüfen! Habt Ihr noch nicht begriffen, dass das Auspeitschen Eurer Untergebenen per Gesetz verboten ist!? Was ist mit diesem Arbeiter? Wollt Ihr ihn da liegenlassen? Bringt mir eine Schale Wasser, sofort!" Anares merkte, wie Schritte sich näherten und sein Körper angehoben wurde, damit er trinken konnte. Seine Lider flatterten, als der Unbekannte ihm die Schale an die Lippen setzte und er trank gierig, in langen Schlucken. Als es ihm gelang, die Augen zu öffnen, blickte er in das Antlitz, das er niemals mehr vergessen sollte. Er trug ein schwarzes Gewand, gerafft mit einer goldenen Schärpe, dazu einen schwarzen Umhang und eine Kette mit einem eigenartig geformten Anhänger. Sein Goldschmuck funkelte in der Sonne und ein prachtvolles Langschwert war auf seinen Rücken gegurtet. Er besass ein edel geschnittenes, schönes Gesicht mit ausdrucksstarken braunen Augen, einer geraden Nase und sinnlichen Lippen, umrahmt von einer Flut braunen Haares, das auf seine breiten Schultern fiel. Er lächelte ihn an und sagte freundlich: „Ich habe sie beauftragt, dir die Essensration zu geben, die jedem Arbeiter zusteht. Wie ist dein Name?" „Ich....ich heiße Anares, Herr. Und darf ich fragen, wer Ihr seid?" „Ich bin Hiron, der Wächter des Ersten Tores, einer der Krieger des Anubis. Unser Pharao sucht noch immer nach fähigen Rekruten für die freien Posten bei uns. Momentan sind wir zu viert, es fehlen also noch drei Mitglieder. Wenn du etwas Besseres mit deinem Leben anfangen willst, kannst du dich bewerben. Die Ausbildung ist kurz, aber sehr hart. Würdest du dir das zutrauen?" „Warum....macht Ihr mir dieses Angebot?" Hiron strich ihm sanft über die Wange und er erschauerte bei dieser Berührung. „Ich weiß nicht genau....vielleicht, weil deine Augen mich verzaubert haben und ich mir wünsche, dich wiederzusehen? Ich habe wirklich noch nie solche Augen gesehen....tief und bestechend und grün wie die Wasser des Nils....Ich erkenne den Stolz in ihnen. Diese schlechte Arbeit ist deiner nicht würdig. Sehen wir uns wieder?" „Ich möchte Euch wiedersehen." „Dann wirst du erreichen, was du dir vorgenommen hast...." Er war damals neunzehn Jahre alt gewesen und Sokat siebzehn. Es war ihnen beiden gelungen, die Ausbildung zu meistern und die abschließende Prüfung - einen Kampf gegen Kail, den Anführer der Krieger - zu bestehen. In einer feierlichen Zeremonie erhielten sie von Kardasch, dem Hohepriester des Anubis und Kails Vater, den Schlüssel der Freiheit und den Schlüssel der Hoffnung, um jeweils ein Tor zu bewachen. Ein Jahr später trat Shezar der Gruppe bei und die Siebenzahl wurde komplett. Während dieser Zeit entwickelte sich zwischen Anares und Hiron eine enge Freundschaft, die letztendlich zu einer tiefen Liebe heranreifte. Sie waren glücklich zusammen....bis.... Bis Onuris, der zweitmächtigste Mann Ägyptens, seinen Pharao verriet und die Schattenreiter um sich sammelte. Viele leidvolle Kämpfe wurden ausgefochten, um die Kräfte der Heiligen Ungeheuer zu beschützen, die in drei alten Steintafeln ruhten (damals gab es ja noch keine Spielkarten), verborgen im Inneren der großen Pyramide, die den Heiligen Bezirk dominierte. So kam es auch zu der Schlacht, die Anares bis an sein Lebensende in Alpträumen verfolgen sollte - die Schlacht, in der er seinen Geliebten verlor. Hiron kämpfte verbissen gegen die Vampirin Camilla, die genau wie Kail mit zwei Schwertern angriff, obwohl sie in ihrer Handhabung nicht ganz so perfekt war. Sie drängte ihn immer weiter zurück, bis er eine Hauswand im Rücken spürte und nicht mehr ausweichen konnte. Durch den Tumult der übrigen Gefechte, die sich um ihn herum abspielten, hörte er Anares‘ Stimme, die seinen Namen rief. „Endlich ist es soweit....ich werde dir die Kehle durchschneiden und mich an deinem Ende weiden, du verfluchter Bastard! Wenn es dich nicht gäbe, wäre der schöne Hüter des Dritten Tores schon längst mein Gefährte! In jener Nacht, da ist erstmals meinen Blick auf ihn richtete, wusste ich es sofort: Dieser Mann war würdig, mein Begleiter durch die Jahrtausende zu sein! Aber du....du warst an seiner Seite! Du warst derjenige, dem er sein Herz schenkte! Für mich hatte er nichts als Verachtung!" Ihre ebenmäßigen Züge verzerrten sich in blindem Hass und sie hob eine ihrer Klingen. „Also wirst du sterben....und Anares und ich werden gemeinsam die Ewigkeit erleben!" „Wage es nicht!!" Ein Wurfmesser verletzte ihr die Hand und sie ließ das rechte Schwert fallen. Der junge Mann hatte sich vor Hiron aufgebaut und fixierte sie mit seinen grünen Augen. Im Gegensatz zu den anderen Anubiskriegern (außer seines Anführers, denn Kail hatte sie ausgebildet und beherrschte demzufolge mehrere Kampfstile hervorragend, auch wenn er die Zwei-Schwerter-Technik bevorzugte) hatte er sich nicht nur auf eine, sondern auf zwei Waffen spezialisiert, von denen er die eine, die zweischneidige Lanze, jedoch nur selten benutzte. Diesmal hatte er sie aber bei sich und er schwang sie drohend im Kreis, um Camilla einzuschüchtern. Sie lächelte. „Glaubst du denn wirklich, du hättest eine Chance gegen mich? Warum zögerst du unsere Verbindung hinaus? Sobald ich dich gebissen habe, bist du mein - und niemand wird deine Verwandlung in einen Vampir verhindern können." Er antwortete nicht, sondern stürzte sich auf sie. Er verabreichte ihr mit der Lanze, die er geschickt und schnell einsetzte, klaffende Schnittwunden an Armen und Oberkörper, doch die gewalttätige Konfrontation schien sie eher zu begeistern denn zu ängstigen. Erneut schlug er zu - doch zu seiner Verblüffung löste sich Camilla ins Nichts auf, als sein Hieb sie traf. Eine Illusion! „Dummer Junge....du musst noch eine Menge lernen", bemerkte sie geringschätzig, sie, die in Wahrheit hinter ihm war, nicht vor ihm. Sie hatte Hiron am Hals gepackt und würgte ihn. Als Anares herumfuhr, blitzte ihr Schwert im fahlen Mondlicht und drang tief bis in die Eingeweide ihres Opfers. „HIRON!!!" Er stieß sie grob beiseite und kniete sich zu dem Brünetten hinunter, der zitternd eine Hand auf die Wunde gepresst hatte. Der Sandboden wurde nass von seinem Blut. „So endet es also....Verzeih, dass ich dich in so einer schweren Stunde allein lasse, mein Liebster...." „Sag das nicht! Die Blutung muss nur gestoppt werden und dann...." „Nein. Das genügt nicht. Sie hat meinen Körper durchstoßen. Richte meiner Schwester aus, dass sie nicht zu traurig sein soll....sie schafft es auch ohne mich. Und du....du weinst ja....Das habe ich bei dir noch nie gesehen....sei jetzt tapfer....Geliebter...." Sein Kopf kippte nach hinten, ein dünner Faden Blut quoll ihm aus dem Mund. Er war tot. Anares umklammerte ihn in einer wilden, fassungslosen Geste des Schmerzes, während heiße Tränen über seine Wangen liefen. „Nein....NEIN!!!!" ~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~ In Zane wallte mit plötzlicher Wucht eine Woge glühenden Zorns nach oben, die ihm fast den Atem abschnürte. Atticus war zwar praktisch ein Fremder für ihn, aber die Gefühle in dieser Erinnerung waren zu machtvoll, zu intensiv, um ihnen zu widerstehen. „Wo ist mein Bruder?!" rief Alexis aus und richtete einen ihrer Dolche auf die Vampirin. „Du lässt ihn auf der Stelle frei oder ich töte dich!!" „Starke Worte für eine so unbedarfte Sterbliche wie dich. Du hast Mut, das muss ich dir neidlos zugestehen. Unglücklicherweise hast du nicht ebensoviel Verstand, sonst wüsstest du, dass man einen Vampir nicht einfach so umbringen kann. Deine Waffen können mich verletzen, mich aber nicht töten. Wenn du deinen teuren Bruder unbedingt wiedersehen willst, bitte!" Sie schnippte einmal mit den Fingern und in der nächsten Sekunde befanden sie sich in dem unterirdischen Kerker, wo Atticus noch immer an das Gerüst gekettet war. Sein regungsloser Zustand und die scheußliche Wunde fachten die Wut des Mädchens und des Grünhaarigen noch mehr an. Auf seiner linken Wange war ebenfalls eine Verletzung - sie hatte ihm ein Pentagramm in die Haut eingeritzt. In ihren Händen materialisierten sich zwei Schwerter und Zane umfasste den Schlüssel um seinen Hals. Er begann zu leuchten. „Lanze!" befahl er und wunschgemäß erschien die Waffe, ordentlich auf seinen Rücken geschnallt. Er entfernte die schützenden Scheiden von den Klingen und kreuzte eine davon mit den Schwertern. Sie schnippte ein weiteres Mal und aus einem Korridor des Kerkers kam ein Rudel Werwölfe herein marschiert. Einer von ihnen trug eine Fackel. „Aus eurem Duell mit Darkness dürftet ihr eins gelernt haben: Ihr bekommt immer ein Handicap!" Die Kreatur entzündete das Benzin in dem Becken, über dem das Gerüst schwebte und die Flammen hüllten Atticus ein wie in einem Inferno. Alexis schrie verzweifelt auf. „Und jetzt zeig, was du kannst, mein irregeleiteter Gefährte!" „Ich bin nicht dein Gefährte!!" Hart klirrten die Waffen aufeinander, während Chazz und Co. sich mit den Werwölfen auseinander setzen mussten. Es war ein erschreckend ausgeglichener Kampf, denn Camilla wurde von ihrem jahrtausendealten Verlangen getrieben und Zane von seiner Wut. In der Regel gab er seinen Emotionen nie so bewusst nach, aber das hier war eine Ausnahme. Die Lanze beschrieb tödliche Bögen, denen sie immer wieder elegant auswich. Sie wehrte seine Attacken erfolgreich ab und blockte seine Finten, wobei sie nicht darauf verzichtete, ihr höhnisches, aufreizendes Lachen erklingen zu lassen. Bastion war unterdessen damit beschäftigt, einem der Werwölfe den Schädel mit seinem sichelförmigen Schwert zu spalten und Syrus streckte mit seinen Pfeilen nacheinander ihre Angreifer nieder. Chazz wirbelte mit seinen beiden Spießen durch die Luft, als hätte er nie etwas anderes getan und schlitzte dabei seinen Gegnern die Kehlen auf. Alexis bohrte ihren Dolch gerade in einen zottigen Unterschenkel und schlug den zweiten in den Bauch der Bestie, ehe die brutalen Krallen sie erwischten. Ihre Augen flirrten zu den grässlichen Flammen hinüber, denen das Leben ihres Bruders ausgeliefert war. Was konnte sie nur tun, um ihn zu retten? Sie sah sich um. Die Kerzen an den Wänden boten nur ein dämmriges Licht, leblose Körper mit schmutzigem Fell türmten sich auf dem mit Blut besudelten Steinboden, und ihre Freunde wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Horde von Werwölfen, die ihnen zahlenmäßig überlegen waren. Das Feuer ließ die Luft stickig werden und der Rauch kratzte im Hals. Zane drehte sich gerade um die eigene Achse, um die Vampirin in der Magengegend zu verwunden, als dieser fledermausartige Flügel aus dem Rücken wuchsen und es ihr erlaubten, sich in die Höhe zu erheben. Sein Schlag ging ins Leere. Camilla flog zu Atticus hinüber und zückte eines ihrer Schwerter. Ihr Gesicht war zu einer grausamen Fratze verzerrt und sie lächelte boshaft, als sie ihm vorsichtig die linke Pulsader anschnitt. Blut floss in einem dicken Strahl in das brennende Becken hinunter und sie hielt das Handgelenk an ihre Lippen, um zu trinken. Dann murmelte sie eine Zauberformel in irgendeiner alten Sprache und mit einem lauten Getöse aus Blitzen und Donner manifestierte sich das Phantom-Tor im Raum. Es tat sich auf und ein gigantischer Sog drohte, sie alle hineinzuziehen. Die Blonde verfolgte entsetzt, wie die Seelen der Werwölfe sich von ihren Körpern lösten und im Inneren des Tores verschwanden. Die hässlichen Leiber der Kreaturen verwandelten sich in Voodoopüppchen. Die magischen Schlüssel reagierten prompt und hüllten ihre Träger in ein goldenes Licht ein, das Seele und Körper zusammenhielt. Nichtsdestotrotz machte es ihnen der Sog unmöglich, sich zu bewegen. Zane stemmte sich gegen den tosenden Wind und stand nun dicht vor der Flammenwand, hinter der sich Camilla mit ihrem Opfer verschanzt hatte. Atticus würde verbluten, wenn er nicht bald etwas unternahm! Er hörte die Schreie seiner Kameraden, hörte seinen kleinen Bruder, starrte ins Feuer, starrte in das spöttische, selbstzufriedene Antlitz der Vampirin - und entschied sich. Ohne sich um seine eigene Person zu kümmern, stieg er in das Becken und watete durch die Feuersbrunst auf sein Ziel zu. Das Licht des Schlüssels schütze ihn, aber dennoch konnte er die sengende Hitze des Infernos spüren. „Lass ihn frei." sagte er mit kalter Stimme. „Du kannst nichts mehr für ihn tun, er ist so gut wie tot. Wirklich bedauerlich, dass eure Liebesgeschichte so frühzeitig enden muss!" Sie neigte sich vor und küsste ihn auf den Mund. Zane wurde schlecht, ein ungeahnter Ekel kroch in ihm hoch und lähmende Angst bemächtigte sich seiner. Er fühlte, wie sie ihre Arme in die richtige Position brachte, um ihn zu halten, damit sie ihre Zähne in seinen Hals graben konnte. Ihr eisiger Atem streifte sein Ohr....jede Sekunde würde es vorbei sein.... Sie kreischte auf und ließ von ihm ab. In ihre linke Schulter war ein Pfeil eingedrungen und als Zane sich umdrehte, gewahrte er in ein paar Metern Entfernung von dem Feuer die Gestalt seines Ototo. Syrus stand dort mit erhobenem Bogen, eine Entschlossenheit im Gesicht, die ihm völlig neu war. Die Brüder nickten sich gegenseitig zu und der Wächter des Dritten Tores zögerte nicht länger. Er schwang seine Lanze und schlitzte Camilla den Bauch auf. Sie fiel zuckend in die Flammen und ihre mentale Verbindung mit dem Phantom-Tor wurde unterbrochen, sodass die Beschwörung in einem grellen Lichtblitz erlosch. Er achtete nicht darauf, sondern nahm ihr den Schlüssel für die Ketten ab, den sie um den Hals trug. Hastig befreite er Atticus von seinen eisernen Fesseln und schleppte ihn auf seinen Armen nach draußen. Der Körper des Braunhaarigen wies Brandwunden auf und war auch sonst schlimm zugerichtet, aber er lebte. Die fünf Anubis Black ergriffen die Flucht und fanden die Treppe, die aus dem Kerker nach oben führte. Sie stolperten ins Freie und schöpften frischen Atem, als Camilla hinter ihnen erschien. Ihre Verletzungen heilten bereits von selbst und sie grinste teuflisch. „Du hast noch nicht gesiegt, Anares! Ich bin ein anderes Kaliber als dieser beschämende Darkness-Verschnitt, der für die Schattenreiter eine einzige Schande war! Der wahre Darkness würde sich im Grabe umdrehen, wenn er miterlebt hätte, wie Hiron seinen berühmten Namen in den Dreck zieht! Ich habe mir geschworen, dass ich dich kriege, dass du mein Geliebter wirst....und ich lasse mich....nicht aufhalten!" „Da muss ich dich leider enttäuschen. Es ist aus mit dir!" entgegnete Chazz und zeigte zum Horizont, wo die ersten Strahlen der Morgensonne über den Himmel spitzten. Sie loderten mit grausamer Reinheit auf Camillas Haut und sie stieß unartikulierte Flüche aus, während ihr Körper sich langsam in Staub auflöste. „Nein, so darf es nicht enden! Ich will das nicht! Ich will das nicht!!!" Aber es war zu spät. Alles, was von ihr übrig blieb, war ein formloser Haufen Asche - und ihr Schattentalisman, ein goldener Halsreif. Bastion, das Haar zerzaust und Schmutzflecken sowie blutige Kratzer im Gesicht, hob ihn auf und flüsterte: „Gott sei Dank....es ist vorbei." Alexis betrachtete schluchzend ihren Bruder, der in Zanes Armen lag. „Er ist schwer verwundet. Wir brauchen einen Notarzt. Er hat viel Blut verloren. Hoffentlich schafft er es....ach Nii-san, das ist einfach nicht fair...." Princeton holte sein Kommunikationsgerät aus der Tasche und schickte eine Nachricht an die Krankenstation. Auf dem kleinen Bildschirm tauchte wenig später das Konterfei von Doktor Ishida auf, dem Oberarzt, der heute Nachtschicht hatte. „Guten Abend, Sir. Oder besser: Guten Morgen. Wir haben hier einen Notfall...." ~~***~~ Atticus lag in der Intensivabteilung der schulischen Krankenstation. Man hatte ihn fachmännisch versorgt, seine Verletzungen gereinigt und verbunden und vor allem die Blutung der angeschnittenen Pulsader gestoppt. Doktor Ishida hielt sich nicht groß mit Fragen auf, wie das dem armen Burschen hatte passieren können, er machte einfach seinen Job, gut, sicher und schnell. Die Schwestern kümmerten sich um die leichten Wunden der übrigen Patienten. Direktor Sheppard war mit von der Partie; er sah äußerst besorgt aus. „Wie geht es meinem Schüler, Ishida-san? Er wird doch wieder gesund?" „Er hat ein paar Verbrennungen ersten Grades an den Beinen, aber die heilen ohne Probleme aus. Die anderen Verletzungen sind risikoreicher, doch der Junge hat eine Rossnatur. Trotzdem braucht er viel Ruhe und Zeit, damit sein Körper sich regenerieren kann. Was den Schnitt über seine Brust und seinen Bauch betrifft - es war ein gerader Schnitt, daher glaube ich, dass keine Narbe zurückbleiben wird. In eineinhalb bis zwei Monaten ist er so gut wie neu." Alexis seufzte erleichtert, als sie die Diagnose hörte und erkundigte sich: „Kann ich kurz zu ihm? Er ist mein Bruder, wissen Sie." „Gern, junge Dame." „Dürfte ich auch....?" „Sind Sie mit ihm befreundet, Mr. Truesdale?" „Das ist schon in Ordnung. Er darf mitkommen." erklärte das Mädchen lächelnd. Sie verschwanden im Zimmer von Atticus und Chazz stahl sich heimlich davon, in die Abteilung der weniger kritischen Fälle, wo Jaden untergebracht war. Er war wirklich froh, dass der vergnügte Sechzehnjährige diesen abscheulichen Kampf nicht hatte miterleben müssen - die erdrückende nervliche Anspannung, die um vieles anstrengender gewesen war als bei ihrem ersten Duell der Schatten, Camillas Grausamkeit, das Blut und die furchterfüllte Atmosphäre, die Aura von Hass und Tod....Dennoch hatte er neue Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel....ja. Syrus, der „Gartenzwerg", hatte sich in seinen Augen bewiesen. Natürlich prägte ihn dieses Ereignis, doch er schien weitaus selbstbewusster damit fertig zu werden, seit er Zane vor dem Vampirbiss gerettet hatte. So viel Mumm hätte er dem Kleinen niemals zugetraut! Er hielt vor der Tür, neben der das Schild mit dem Namen „Jaden Yuki" hing. Er klopfte an und wurde hereingebeten. Der Brünette sass aufrecht in seinem Bett und hatte einen Skizzenblock auf den Knien. Auf dem Nachtkästchen lag eine Schachtel mit Kohle- und Bleistiften und dazwischen ein Radiergummi, ein Spitzer und ein paar Pastellkreiden. „Du bist schon wach? Um diese Uhrzeit?" „Hallo Chazz. Wie schön, dass du mich besuchen kommst. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe die Aura eines Schattenreiters gespürt und fragte mich die ganze Zeit, wie es euch wohl ergangen ist. Die Aura ist erloschen, also habt ihr gewonnen, nicht wahr?" „Ja. Unser Feind war diesmal eine Vampirfrau, sie hieß Camilla. Ihr schien es gar nicht so sehr um die Schlüssel als vielmehr um Zane zu gehen. Er sollte ihr Gefährte werden." „Oho. Und sonst? Ist Atticus wieder zurück? Was ist alles passiert, erzähl doch!" „Könnten wir damit noch warten? Ich muss das alles selbst erst einmal verdauen. Nanu, ein Block? Ich wusste gar nicht, dass du zeichnen kannst. Darf ich das Bild mal sehen?" „Es ist nichts besonderes...." wehrte Jaden verlegen ab und wurde rot. Der Dunkelblauhaarige runzelte die Stirn. Er hatte noch nie gesehen, dass der andere errötete, aber es war irgendwie reizend. Er wirkte plötzlich so schüchtern und süß.... „Möchtest du nicht, dass ich es mir anschaue?" „Ich weiß nicht recht....es ist noch nicht fertig...." Schließlich drehte er es um, damit sein Freund sehen konnte, woran er gerade malte. Von dem Papier lächelte Chazz Princeton in die Welt; es war ein Porträt in zarten Farbtönen, nur die Augen waren noch nicht koloriert. „Ich scheitere immer an deinen Augen....Es gelingt mir nie, ihre Einzigartigkeit einzufangen. Ihre Schönheit lässt sich von meinen Händen einfach nicht fassen." „Eh? Aber....aber, ich....Jaden....das Bild ist wunderschön...." »Mist, warum werde ich rot?! Diese Komplimente entnerven mich echt! Ich hätte nie gedacht, dass er so ein Talent hat! Das Porträt strahlt förmlich, es ist richtig lebendig! Wie konnte er mich nur so malen, so....so voller Gefühl?« „Findest du das im Ernst?" „Natürlich. Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht ohne weiteres was Nettes sage - es sei denn, ich habe einen akzeptablen Grund dafür!" „Es gefällt dir also? Das freut mich sehr, ehrlich! Vielen Dank, Chazz!" Er drückte ihm einen Kuss auf die Wange und wäre in diesem Moment nicht Schwester Carmichael hereingekommen, um nach ihrem Patienten zu sehen, wäre der Hüter des Sechsten Tores wohl in Konkurrenz mit einer Tomate getreten. Zwar hatte sich sein Gesicht deutlich erhitzt, doch aufgrund der Anwesenheit einer dritten Person schaffte er es, seinen letzten Rest an Selbstbeherrschung zusammenzukratzen und auf butterweichen Beinen das Zimmer zu verlassen. „Ich besuche dich morgen noch einmal und erzähle dir alles", würgte er mühsam hervor und wurde mit einem umwerfenden Lächeln belohnt. Draußen berührte er diese Wange, auf die Jaden seine sanften, warmen Lippen gepresst hatte und erschauerte. Sein Herz begann zu rasen. »Scheiße....verdammte Scheiße! Ich bin....verliebt....in den Kerl....! Ich bin verliebt in ihn!!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)