Die Bekenntnisse des Meisters von Inkubus (Niedergeschrieben von John H. Watson, M.D.) ================================================================================ Kapitel 28: ------------ Es tut mir wirklich Leid, das das neue Kapitel so lange auf sich warten ließ, aber ich bin zur Zeit ziemlich im Stress. Umso mehr hoffe ich, dass euch Kapitel 28 gefällt. Außerdem möchte ich die Gelegenheit nutzen, um ein klein wenig Eigenwerbung zu betreiben: Meine Geschichte "Masken" ist zwar sehr kurz, gefällt mir aber trotzdem recht gut. Über Feedback würde ich mich natürlich genauso freuen, wie zu meiner Übersetzung hier. Der Morgen verging in Stille, während ich vor dem Kamin döste. Mein Sohn war ruhig und störte mich nicht. Es war beinahe schon Teezeit, als ich mit einem Zusammenzucken erwachte, weil ich sowohl die Uhr die Stunde schlagen, als auch Josh schnell wie ein Hase die Treppe zur Tür hinunterhoppeln hörte. In meinem nicht gerade wachsamen Zustand, kam ich nicht einmal auf den Gedanken, dass jemand da sein könnte, bis der Junge mit unserem Gast im Schlepptau erschien. „Lestrade?“, fragte ich, immer noch schlaftrunken. „Was führt Sie so schnell hierher?“ Der Inspektor schien aufgeregt, ein absolut erstaunliches Gefühl für einen Yarder. Seine schwarzen Augen leuchteten in ungewohntem Glanz, als er näher kam. „Ich war so interessiert, Doktor, dass ich nicht anders konnte, als mich gleich an die Akten zu machen. Ich wusste, dass mein Vater – das heißt, Superintendent Lestrade – sorgfältige Aufzeichnungen über seine Fälle geführt hat. Als wir umgezogen sind, ist der Großteil der Akten ungeordnet im Keller gestapelt worden. Wenn die Zeit es erlaubt, sende ich gelegentlich einen Neuling hinunter, der so etwas Ähnliches wie Ordnung herstellen soll…und heute, Sir, sehen Sie nur, was gefunden wurde!“ Auch wenn ich es mir denken konnte, hatte er kaum Gelegenheit es mir zu zeigen, denn Josh (die Erregung leuchtete in seinen Augen, die auf die Größe von Rotkehlcheneiern angewachsen waren – ziemlich ermutigend, wenn man seinen Zustand vor erst ein paar Stunden bedachte) sprang ihm vor die Füße und rief: „Es geht um Onkels Fall, nicht wahr, Sir!“ „Seinen Fall, Junge?“ „Er ist heute Morgen aufgebrochen, um eine paar Männer vom Parla“— „Wirklich, Josh, du musst darauf jetzt nicht eingehen. Lass uns hören, weshalb Mr. Lestrade gekommen ist.“ Ich packte seinen Arm und drückte ihn, um meinen Standpunkt zu unterstreichen. Ich hatte ernsthafte Zweifel, dass es Holmes gefallen würde, wenn sein momentaner Aufenthaltsort bekannt werden würde, und sei es auch nur Lestrade gegenüber. Ich hatte beinahe vergessen, dass sich der Inspektor und mein Sohn bereits kannten, aber dann erinnerte ich mich an die Geschichten, die Josh mir von all seinen Besuchen bei New Scotland Yard erzählt hatte. Was auch immer der Inspektor wegen dem Fall, den ich ihm verschafft hatte, besprechen wollte, schien er sich nicht an der Mitarbeit eines Fünfjährigen zu stören. Holmes hatte ihm Joshs außergewöhnliche Natur zweifellos mehr als klar gemacht. „John Sherlock Watson ist ein Name, der eines Tages allbekannt sein wird, mein lieber Doktor“, hatte mir Holmes spät in einer wundervollen Nacht gesagt. „Unser eigener glücklicher Junge…“ Er wirkte in der Tat, als ob er unser Sohn wäre. Er hatte die Intelligenz, Vernunft und Faszination von Holmes und doch behielt er mehr von meinem Temperament und meiner Liebe zur Sprache. Er würde nie ein gänzlicher Logiker sein. Er verfügte nicht über diese Verachtung gegen Gefühle. Nicht einmal in dem Ausmaß, das Holmes immer noch zueigen war. Ich fragte mich nur, ob sich der Mann dessen bewusst war. Lestrade schob mir eine Akte in meine Hände und lächelte frohlockend. „Vater führte sorgfältige Aufzeichnungen, wie ich sagte, und es gibt beträchtliche Notizen zu jedem Fall. Über den Horseshoe Alley[1] Mord allerdings gibt es besonders ausführliche Notizen.“ „Mord? Wer wurde ermordet? Papa…“ Seine Stimme wurde weicher, als er wieder die Gestalt eines kleinen Jungen annahm. „Wurde jemand ermordet?“ Seine molligen Wangen zitterten in leichter Furcht. Trotz meines immensen Bedauerns für Holmes und für den Tod dieses wunderschönen Wesens, wurde ich plötzlich mit Erleichterung durchflutet. Ich streichelte den Jungen beruhigend. „Ja, aber das ist schon schrecklich lange her.“ „Aber wer wurde ermordet?“ „Die Schwester deines On—äh, ich meine, Holmes’ Schwester.“ „Onkel hatte eine Schwester?“ Ich hielt nach Lestrades Reaktion auf Joshs Titel für Holmes Ausschau, aber sie blieb aus. Was für ein Narr ich doch war, ich hätte erkennen müssen, dass der Inspektor ihn schon vor langer Zeit gehört haben musste. „Ja, das hatte er“— „Und sie ist gestorben? So wie meine Schwester?“ „Nein, nicht ganz…deine Schwester war noch ein Baby und starb, weil sie zu früh geboren wurde. Philippa Holmes war älter als dein Onkel. Tatsächlich war er immer noch sehr jung und sie bereits erwachsen und verheiratet, als der Mord geschah.“ Er dachte einen kurzen Moment darüber nach. „Er muss sie schrecklich vermissen. Sieht er deshalb manchmal so traurig aus?“ „Nun…ich vermute, wir sind alle hin und wieder traurig, mein Lieber. Lestrade?“ „Hmm…oh, ja?“ Für meinen Geschmack war er ein wenig zu tief in Gedanken versunken gewesen. „Sie hatten doch sicher noch keine Gelegenheit, sie sich richtig anzuschauen? Diese Notizen, meine ich?“ „Nein, nein…nicht wirklich genau. Ich dachte, Sie würden sie gerne“— „Über Nacht behalten?“ „Ah – in der Tat. Wenn Sie es wünschen.“ Seine dunklen und hervorstehenden Augen wandten sich ab und ich wusste, dass er in seiner außerordentlichen Neugier den Fall zusammen mit mir hatte untersuchen wollen. Aber ich konnte es nicht ertragen, die persönlichen Details von Holmes Vergangenheit in der Anwesenheit eines anderen durchzugehen. Es stand meinem eigenen Herzen zu nah. Ich würde diese Nach allein mit der traurigen Geschichte brauchen, und wenn der Morgen gekommen war, konnte ich Lestrade leicht informieren. Er war weit objektiver als ich. „In Ordnung, Doktor…ich schätze, dass es sein muss. Dass das das Beste wäre, meine ich.“ Teilweise konnte ich den Eifer des Mannes verstehen. Auch ich wollte in meiner Faszination und meinem Übereifer direkt in die Horseshoe Alley eilen und sofort Hand an den Bösewicht legen, der zweifellos immer noch dort stehen würde, nachdem er etwa drei Jahrzehnte seit der Tat gewartet hatte. Ich konnte nur daran denken, wie glücklich er sein würde, wenn ich, der bescheidene Assistent, diesen Fall für Holmes lösen könnte. Um alles wieder gutzumachen, was er für mich getan hatte, einschließlich meinen Sohn aus den Fängen meiner Schwester errettet zu haben. Ich wusste, dass ein verzweifeltes Bedürfnis danach empfand, das abschließen zu können, was ihn nun den Großteil seines Lebens heimgesucht hatte. Lestrade blieb zum Tee und wir plauderten durchaus herzlich miteinander, wenn auch über andere Dinge. Wir ließen den Tod Philippas dort, wo er hingehörte – dem morgigen Tag. Als er uns mit dem Versprechen verließ, nach dem nächsten Frühstück wiederzukommen, blieb er ziemlich unbehaglich in der Eingangshalle stehen, wobei er seinen Hut ziemlich steif umklammerte. Nach einem Räuspern fragte er: „Dr. Watson, ich hoffe, Sie empfinden das nicht als seltsam oder aufdringlich, aber denken Sie…ich will damit sagen…“ In dieser einzelnen Sekunde durchquerten eine Million Gedanken mein Herz und meinen Verstand. Ich begann zwanzig verschiedene Formen des Leugnens – in Ärger, in Entsetzten in Verwirrung. Was auch immer die überzeugendste sein würde. Ich öffnete sogar den Mund, um irgendein Gebrabbel hervorzubringen, dass ihn überzeugen würde, dass, was immer er auch sagen wollte, nicht so war. Doch alles was er sagte, war: „Sie denken doch nicht, dass Mr. Holmes sich daran stören wird, oder?“ Ich war so erleichtert, dass die Luft, die aus meinen Lungen strömte, mit Sicherheit genug war, um dem Inspektor seinen Hut aus der Hand zu schlagen. Vor lauter Eifer, ihm zu Antworten, wäre ich beinahe über meine eigenen Worte gestolpert. „Das denke ich nicht. Ich meine, er wünscht sich mit Sicherheit ein Ende für diese abscheuliche Tat. So viel hat er mir immerhin erzählt. Zufälligerweise ist mir bekannt, dass ihn der Tod dieser jungen Lady vernichtend getroffen hat.“ Lestrade nickte unsicher. „Das hat es sicherlich. Aber ich kenne diesen Mann jetzt schon lange genug, um sagen zu können, dass er übermäßig zurückgezogen ist. Vielleicht wird er es nicht schätzen, wenn sich ein Außenseiter in seinen familiären Kummer einmischt.“ „Sie sind wohl kaum ein Außenseiter, Lestrade.“ „In seinem öffentlichen Leben nicht. Aber bei allem andern, doch, das bin ich.“ Ich hatte für einen kurzen Moment vergessen, wie wenig die allgemeine Öffentlichkeit tatsächlich über diesen Mann wusste. Sogar Männer wie Lestrade, die ihn nun schon jahrelang kannten, wussten in Wahrheit so wenig. Sie konnten nur durch meine eigenen privilegierten Berichte einen flüchtigen Blick in seine Welt erhaschen. Ich gab dem Mann jede Zusicherung, die ich konnte und zwang zugegebenermaßen alle Gedanken daran aus meinem Kopf. Es gab so viel zu erfahren, so viel zu tun. Ich konnte mir Holmes’ Reaktion einfach nicht anders vorstellen als so, wie ich sie plante. In jener Nacht saß ich in meinem Bett, umgeben von Papieren beschrieben mit verschiedenen, verblassten Tinten, und las die Details über Autopsie, Zeugenaussagen, geografische Begebenheiten, mögliche Verdächtige und Motive. Lestrade der Ältere war eine Rarität unter den Regulären, die sogar Holmes beeindruckt hätte, wenn er in der Lage gewesen wäre, ihn objektiv zu betrachten. Inspektor Lestrade übertrieb ganz offensichtlich nicht, was die Beschreibung seines Vaters anging. Zuerst las ich die Details über die Autopsie. Ich hatte gänzlich erwartet, einen recht wertlose Arbeit vorzufinden, da mir selbst einige der Abkürzungen bekannt waren, die Männer bei dieser Sache nur zu oft einschlugen, aber erkannte überrascht, dass eine einigermaßen anständige Autopsie stattgefunden hatte. Die Kugel, von der nur ein Teilstück wiederhergestellt werden konnte, war aus der Lungenarterie des Opfers entfernt worden, nachdem sie den Bogen der Aorta durchstoßen hatte. Die Spur der Wunde legte einen Einschusswinkel von oben nahe, den Lestrade, wie ich mich erinnerte, erwähnt hatte, doch der Chirurg konnte sich nicht sicher sein. Sie war extrem schnell ausgeblutet, wie es bei so schweren Verletzungen der Fall war. Ich konnte die Anmerkungen über die Entfernung des Fötus und anderer Organe nicht lesen. Ich sprang zu den frühesten Beobachtungen, die von Lestrade aufgezeichnet worden waren und las: Das Opfer, identifiziert als Philippa Davies, 20 Jahre, weiblich und schwanger, ging gerade die Horseshoe Alley in nördlicher Richtung entlang, begleitet wurde sie von einem Bruder, 10 Jahre alt. Ihre Ehemann, mit dem Namen James Davies, suchte gerade Waren in Wimboley’s Dry Goods Shop aus. Das Opfer war von dem Bruder in der Straße neben jenem Geschäft von etwa 10 Yard getrennt, als ein einzelner Schuss aus ähnlicher Entfernung das Opfer in die Brust traf. Sie blutete rasch aus und der Tod trat unmittelbar ein – innerhalb von 20 Sekunden nach der Verletzung. Das Opfer lag auf dem Rücken ausgestreckt, mit dem Kopf nach Westen und den Füßen nach Osten, in einer großen Blutlache. Der Bruder wurde neben dem Opfer gefunden und musste mit Gewalt von der Leiche entfernt werden. Der Ehemann erschien etwa dreißig Sekunden nach der Tat und beide wurden zur Befragung mitgenommen. Keine Waffen sichergestellt. Für den Anfang keine Verdächtigen mit Motiv. Scheinbar kein Raub. Danach gab es seitenweise Zeugenaussage, aber selbst indem ich sie nur oberflächlich überflog, erkannte ich, dass sie größtenteils dasselbe aussagten – sie hätten nichts gesehen. Schreiende, rufende, stoßende, rempelnde Mensche waren so alltägliche Erscheinungen, dass niemand daran gedacht hatte, sie mit so etwas wie Mord in Verbindung zu bringen. Mehrere Personen berichteten, einen Schuss gehört zu haben, aber niemand scheint den Verantwortlichen gesehen zu haben. Es war seltsam, dachte ich, sehr seltsam. Ein Mann, der mitten in einer Menschenmenge eine Waffe abfeuerte, müsste gesehen worden sein. Eben jene Waffe müsste gesehen werden. Ich machte eilig weiter, versuchte etwas zu finden, das merkwürdig und einzigartig erschien. Holmes sagte oft, dass es die Kleinigkeiten eines Falles waren, die sich die wichtigsten Hinweise erwiesen. Der Hund der nicht bellte; die Petersilie, die nicht in die Butter einsank. [2] Oder die Tätowierung von Bruce Bishop. Es musste eine solche Sache in diesem Fall geben. Ich musste sie nur finden. Es gab ein Protokoll über das Verhör zwischen dem Bruder des Opfers und Inspektor Lestrade sr. Ich las es langsam und ziemlich traurig. Vielleicht hatte ich nicht genügend Objektivität, um in diesem Fall etwas zu erkennen. L: Wie ist dein Name? SH: Holmes. Wo ist meine Schwester? L: Und dein Taufname? SH: Sherlock. L: Wie alt bist du? SH: Ist das wichtig? Ist es relevant? L: Du wirst meine Fragen bitte beantworten. SH: Zehn Jahre, neun Monate und vierzehn Tage. L: Genießt du es, halsstarrig zu sein? SH: Ich genieße spezifische Tatsachen, Sir. Das war eine spezifische Tatsache mein Alter betreffend. L: Warum warst du mit deiner Schwester und deinem Schwager in der Horseshoe Alley? SH: Muss ich Ihre Fragen beantworten, während Sie meine so offenkundig ignorieren? L: Das musst du. Wir brauchen Tatsachen, Master Holmes. SH: Philipa, Davies und ich spazierten von Victoria Station dorthin, damit Davies ein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter kaufen konnte. Er sagte nicht was und ich machte mir auch nicht die Mühe, danach zu fragen. Er war in Wimboley’s gegangen, als ich mich…von ihr getrennt hatte und— L: Dann war er nicht bei euch, als der…Unfall geschah. SH: Nein. Wo ist Philippa denn im Moment? L: Wir werden später darauf— SH: Ich will es jetzt wissen! Jetzt! An diesem Punkt wurde Holmes beinah schon aggressiv und die Befragung wurde eingestellt. Davies und er mussten einander gesehen haben und der Ältere erklärte dem Jüngeren, dass die Einzige, die sie beide mehr als jeden anderen liebten, tot war. Ich versuchte mir vorzustellen, wie das sein würde. Wie ein Ereignis von vor dreißig Jahren immer noch sein Bewusstsein bedrängte, sich immer noch auf seinen Manierismus und die täglichen Ereignisse seines Lebens auswirkte. Wenn sie nicht getötet worden wäre, ist es leicht genug zu vermuten, dass er sich niemals entschieden hätte, sein Leben den Ermittlungen zu widmen. Er könnte eine ähnliche Position wie die seines Bruders eingenommen haben, würde ein Leben leben, das für ihn gänzlich unbefriedigend war. Die Drogen, die sein Gehirn stimulierten, könnten schließlich seinen Herzschlag zum versiegen gebracht haben. Mit Sicherheit wären er und ich uns niemals begegnet. Ich wäre heute in einer völlig anderen Position. So war es, dass ich dieser jungen Lady viel verdankte. Selbst ihrem Tod. Ich schuldete ihr und ihrem Bruder eine Erklärung, weshalb sie hatte sterben müssen. Sie verdiente die Gerechtigkeit und das Leben, dass ein anderer nun dreißig Jahre lang genossen hatte. Ich schob die verschiedenen Papierstücke mit einem lauten Gähnen beiseite. Ich hatte absolut nichts zu Stande gebracht. Alles was ich gelesen hatte, war offensichtlich gewesen, ohne irgendetwas, das in meinem Gehirn eine Reaktion auslöste. Ich konnte nur hoffen, dass sich morgen durch meine Beratung mit Lestrade und unseren Besuch am Tatort von selbst eine Spur anbieten würde. Mein Bett fühlte sich in jener Nacht schrecklich kalt und leer an und ich driftete in jenen typisch unbehaglichen Schlaf eines Mannes, dessen Nerven ihm niemals eine ungestörte Nachtruhe erlauben konnten. Ich träumte in jener Nacht. Es ist einer jener wenigen, an die ich mich selbst bis heute noch erinnern kann. Seine Lebendigkeit ist einzigartig. Seine komplette Bedeutung würde mir erst später in meinem Leben klar werden. Ich saß in einem ziemlich großen und geschmackvoll eingerichtetem Salon und entspannte mich in einem Lehnstuhl aus schönem Leder. In meinen Händen war die Abendausgabe der Times. Eine glänzende orange Flamme flackerte gegen die kleinen schwarzen Druckbuchstaben und ich konnte nichts genau lesen. Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals so völlig…normal gefühlt zu haben. Ich blickte mit einem Lächeln über den Rand meiner Zeitung, aber auch wenn jemand in dem ähnlichen Sessel mir gegenüber saß, wusste ich nicht, wer es war. Es war eine Frau. Das Gesicht und der Körper hatten keine richtigen Umrisse und waren eher ätherisch und schimmernd. Ich fühlte mehr, dass sie dort war, als dass ich sie dort sah und auch wenn ich sie nicht benennen konnte, denn wer auch immer sie war, sie blieb völlig geheimnisvoll, schien ich froh zu sein, dass sie hier bei mir war. Das andere Gefühl, das ich empfand, war nicht wirklich ein Gefühl der Liebe für dieses schattenhafte Wesen sondern eher Dankbarkeit und Frieden. Zu unseren Füßen und um uns herum waren mehrere Kinder, zumindest fünf und alle in verschiedenen Alterstadien, angefangen vom Kleinkind bis beinahe schon zum Jugendlichen. Ich sah zu ihnen hinunter und genau im selben Moment sahen sie zu mir auf, mit strahlenden Lächeln voller Liebe und Zuneigung. Ihre Augen glänzten blau, braun und grau. Mein Herz schwebte. Das war es, was ich mir immer gewünscht hatte. Bis ich an all dem vorüber blickte. Ein Fenster, ein Loch, vielleicht sogar eine Tür oder ein Spiegel, ich kann es nicht sagen, erschien in der gegenüberliegenden Wand. Und da war noch jemand, der in der Dunkelheit stand, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Nur zwei graue Lichter, die Augen sein sollten, sahen mich an, bewegten sich langsam weiter und weiter von mir fort. Ich erhob mich aus meinem Stuhl, mitten im Protest der Kinder und der Ehefrau, um zu ihm zu gehen. ‚Halt’…schienen sie alle zu sagen. ‚Geh nicht’…‚Verlass uns nicht’… Ich tat es. Ich ging weiter zu dem anderen, dessen Augen mich hypnotisiert hatten und der mit seinem ganzen Wesen nach mir rief. Auch er bat mich, nicht zu gehen. Seine Worte schienen nicht aus seinem Mund sondern aus jenen Augen zu kommen. Jenen Augen, so traurig, so voller Bedürfnis. Und er brauchte mich mehr. Ich griff nach seiner Hand, aber es war wie ein Vakuum, dass ich weder berühren noch festhalten konnte. ___________________________________________________________________________ [1] Es gab tatsächlich eine Horseshoe Alley, falls sich jemand darüber Gedanken gemacht hat, aber das war in Winchester im 18. Jahrhundert. Ich brauchte einen Namen für die Straße, in der Philippa getötet wurde und ich wollte keine echte benutzen, weil ich eine bestimmte Geografie dafür brauchte, die erfunden sein musste. Ich dachte dieser Name klingt gut – und passend. Der Name Philippa heißt schließlich auch ‚Pferdeliebhaberin’. [2] Der Hund, der in der Nacht nicht bellte, ist aus Silberstern. Ich habe vergessen, wo die Bemerkung mit der Petersilie ist, aber sie wird ziemlich nebenbei abgegeben. Ich bin mir sicher, dass schon einige Leute versucht haben, so eine seltsame Bemerkung in einen Fall zu verwandeln… (Anm. d. Übersetzers: Die Bemerkung mit der Petersilie war in den ‚sechs Napoleons’. Angesichts Lestrades eher bizarr klingender Beschreibung des Falles erklärt Holmes, einmal habe ihn die Tiefe, die die Petersilie in die warme Butter gesunken war, auf ein schreckliches Geheimnis aufmerksam gemacht und deshalb dürfe er auch diese Umstände nicht auf die leicht Schulter nehmen.) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)