Die Bekenntnisse des Meisters von Inkubus (Niedergeschrieben von John H. Watson, M.D.) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- So Kapitel 7! Viel Spaß bei der Suche nach Bruce Bishops Mörder und dem was dabei noch so alles passiert. Holmes war immer noch mit Elizabeth Bishop im Erdgeschoß, als Mrs. Hudson mit dem Frühstückstablett in Händen das Wohnzimmer betrat. Der Teller voller immer noch brutzelnden Würstchen und flaumigem Rührei, war genug, um mich von meinem Ärger über Joshs Beobachtungen abzulenken. Je mehr Zeit Holmes und der Junge miteinander verbrachten, umso mehr Leute würden denken, er sei sein Sohn. Ich erkannte, dass ich mich nicht darüber aufregen sollte. Es war schließlich nicht die Wahrheit. Und doch… „Oh, Dr. Watson“, unterbrach Mrs. Hudson meine Gedankenkette. „Sie wissen gar nicht wie froh ich bin, dass Mr. Holmes einen neuen Fall hat.“ „Wirklich? Warum das?“ „Nun, Sir“, erwiderte sie stirnrunzelnd. „Ich weiß, dass es mich nichts angeht. Aber Sie haben ihn sicherlich in letzter Zeit beobachtet. Ich denke wirklich, dass er etwas Ablenkung gebrauchen könnte. Ich…ich mache mir Sorgen um ihn, wenn er aus Arbeitsmangel in diese Depressionen verfällt.“ Ich bemerkte, wie ich ihr zartes, wettergegerbtes Gesicht anstarrte. Das silberne Haar zu einem dicken Knoten gebunden, die faltige Stirn, die grauen Augen. Aus Selbstsucht war ich nie auf den Gedanken gekommen, auch Mrs. Hudson könnte sich um das Wohlergehen meines Freundes sorgen. Natürlich hatte ich gewusst, dass sie immer ganz erpicht darauf war, ihn jeden Morgen aus den Tiefen seines Bettes auftauchen zu sehen. Aber ich hatte nicht erwartet, dass sie die Änderung seines Verhaltens bemerkt hatte, geschweige denn sich darüber Sorgen machte. Im ersten Moment erklärte er ausgelassen, das Leben sei zu kurz für düstere Stimmungen und im nächsten spielt er herzzerreißende Melodien auf seiner Violine und brach fast zusammen. Ich verstand es einfach nicht. „Sie müssen sich keine Sorgen machen“, sagte ich ihr. „Sie kennen Mr. Holmes. Er hat immer diese…Phasen. Am Boden zerstört zu sein, meine ich. Es besteht kein Grund zur Sorge.“ Gut, ich sollte es zugeben. Sogar in meine eigenen Ohren klangen meine Worte abgedroschen. „Das hoffe ich, Sir. Das hoffe ich wirklich.“ Als ich in einem Versuch, zur Abwechslung einmal nicht an Holmes zu denken, nach meiner Kaffeetasse griff, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Josh mich mit breiverklebtem Gesicht anstarrte. Bevor ich Vater wurde, hätte ich niemals gedacht, ich könnte jemals ein so aufmerksames Kind hervorbringen. Woher hatte er nur diese Gabe? „Hat Mr. Holmes dir gegenüber vielleicht erwähnt, dass er sich über irgendetwas Sorgen macht?“ Josh schürzte die Lippen, allerdings nicht aus Eigensinnigkeit sondern weil es typisch für ihn war, wenn er ernsthaft über etwas nachdachte. „Er spricht nicht gerne über solche Sachen, Papa. Solche Sachen wie traurig sein.“ „Als ob ich das nicht wüsste“, antwortete ich und griff nach der morgendlichen Times. „Außer“— Mein Blick flog hoch. „Außer was?“ „Nun.“ Er zögerte und spielte mit seinem Frühstück. „Ich hab unten mit Mrs. Hudson gekocht. Aber dann bin ich wieder hier rauf gegangen. Onkel hat etwas gelesen. Er sah aus…“ Er sah mir in die Augen. „Wie du als Mama gestorben ist.“ „Äh…du meinst er…was meinst du damit, mein Sohn?“ Er zuckte mit den Achseln und versuchte sich etwas Brei in den Mund zu stecken. Das meiste endete auf seinem Latz. Mittlerweile hatte ich erkannt, warum Kinder normalerweise im Kinderzimmer essen sollten, bis sie neun oder zehn sind. „Weiß nicht, Papa. Richtig traurig eben. Er hat das Buch ganz schnell zugemacht, als er mich gesehn hat und wollte mir nicht sagen, was es ist. Das ist alles.“ „Weißt du noch, welches Buch es war?“ Er schüttelte den Kopf. „Es war rot und dick. Mehr weiß ich nicht mehr.“ Im selben Moment flog die Wohnzimmertür auf, Holmes kam hereingerauscht und warf sich auf einen leeren Stuhl am Tisch. Ihm lag etwas an dramatischen Auftritten, wie meine Leser zweifellos schon bemerkt haben. „Dieser Fall!“, rief er. „Dieser Fall ist schrecklich durcheinander! Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll. Was denkst du darüber, Watson?“ „Ich denke, dass ich jetzt mein Frühstück beenden werde. Was denkst du darüber?“ Er schnaubte, starrte mich an und schob den vollen Teller von sich. „Ich denke, dass wir, bevor wir nach Black Bishop aufbrechen, diesem Solicitor, Ambrose Bullard, einen unangekündigten Besuch abstatten sollten. Unserer Klientin zufolge unterhält er ein Büro hier in der Stadt. Es gibt Fragen, die mir nur er und nicht Miss Bishop beantworten kann.“ „Was ist Black Bishop?“, fragte Josh. „Das ist der Ort, an dem Elizabeth Bishop wohnt. Mr. Holmes und ich gehen dort heute hin, um ihr mit ihrem Fall zu helfen.“ Seine Augen leuchteten auf. „Kann ich mit?“ „Es heißt ‚Darf ich mit’. Und nein, du darfst nicht.“ „Warum nicht?“ „Weil du noch ein Kind bist und tun musst, was ich sage. Wenn du ein…äh, inoffizieller beratender Detektiv werden willst, musst du schon warten, bis du volljährig bist. Fürs Erste wirst du hier bei Mrs. Hudson bleiben und mit deinem Spielzeug spielen und ein Nickerchen machen und Dinge tun, die normale Dreijährige tun.“ „Eine sehr gründliche Erklärung, Doktor“, bemerkte Holmes lächelnd. „Ich wäre dir sehr dankbar, Holmes, wenn du in dieser Sache freundlicherweise auf meiner Seite wärst.“ „Aber das bin ich, das bin ich! Mein lieber John Sherlock, dein Vater hat Recht. Es gibt noch so vieles, was du zu lernen hast, bevor du auch nur an Feldstudien denken kannst!“ Ich stöhnte tief und herzergreifend. Das verstand er unter ‚auf meiner Seite’? „Aber Onkel“—jammerte der Junge. „Das ist nicht…ähm, logisch. Ich würde besser im Edduzieren sein, wenn ich gleich anfinge. Bring Papa dazu, dass er mich mitkommen lässt! Du würdest mich lassen!“ Zum mindestens dritten Mal in ebenso vielen Tagen, war ich an dem Punkt, an dem ich meine Befürchtungen, meine Verwirrung und vor allem meinen Zorn Oberhand gewinnen ließ. Ohne mir überhaupt klar zu sein, was ich tat, schlug ich mit der Faust so fest auf die Tischplatte, dass das Silber klirrte. „Hör auf!“, rief ich. „Josh, das ist genug! Ich habe bereits gesagt, dass du nicht mit uns kommst! Und dabei bleibt es, Junge, hast du verstanden?“ Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Ja, Sir“, flüsterte er. „Ich glaube, du warst etwas zu grob“, sagte Holmes, als wir eine Kutsche zu Bullards Büro bestiegen. Beinahe hätte ich darüber gelacht. Ich weiß nicht, wie oft ich in der Vergangenheit diesen Satz benutzt habe, um zu beschreiben, wie er mit anderen umging. Erst heute morgen bei Elizabeth Bishop. „Holmes, du musst das verstehen“, sagte ich. „Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Josh ordentlich erzogen wird“— „Und nicht so wird wie ich.“ „Das hab ich nicht gesagt!“ Er lächelte wieder, aber diesmal war es wehmütiger und währte länger als sein normales blitzschnelles Grinsen. „Hast du nicht?“ „Nein, hab ich nicht – oh, um Himmels Willen, Mann, wir haben mehr als genug zum Nachdenken – du diesen Fall und ich zahllose andere Dinge. Lassen wir das erstmal. Was meinst du?“ Er klopfte mit seinem Stock an die Decke der Kutsche und sprang aus der Tür, noch bevor die Pferde tatsächlich anhielten. Dem Fahrer das Geld zuwerfend drehte er sich zu mir um „Du hast Recht, Watson. John Sherlock ist dein Kind. Du musst ihn erziehen, wie du es für richtig hältst. Und was das erstmal angeht – damit hast du auch Recht. Der Fall erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Und von dir Stift und Notizbuch. Wir sollten uns beide auf die Fakten konzentrieren und nicht auf diese familiären Hypothesen.“ Er drehte sich um und floh ins Gebäude, ohne meine Antwort abzuwarten. Wofür ich ihm ohne Zweifel ausgesprochen dankbar war, denn alles was ich tun konnte, war im hektischer werdendem Londoner Morgenverkehr zu stehen und den Kopf zu schütteln. Entweder hatte er nicht verstanden, oder er wollte es nicht. Aber was sollte ich tun? Ich verstand es doch selbst nicht. Mr. Ambrose Bullards Arbeitsplatz war in Kensington und er musste zumindest einigermaßen erfolgreich als Solicitor gewesen sein, denn sein Büro war privat und geräumig, übersäht von teuren Gemälden des letzten Jahrhunderts und elisabethanischen Möbeln. Tatsächlich glich es viel eher einem Museum als einem Büro und ich fragte mich kurz, wie er sich das wohl alles leisten konnte. Ich hatte gedacht, dass er uns vielleicht nicht empfangen würde, da wir keinen Termin hatten und ich bezweifelte, dass Elizabeth Bishop ihm von uns berichtet hatte. Ein Portier schickte uns allerdings direkt und ohne irgendwelche Einwände hinein. „Kommen Sie nur herein, meine Herren“, sagte er und deutete auf einige Stühle. „Und bitte setzen Sie sich. Wenn Sie Freunde von Elizabeth Bishop sind, sind Sie mit Sicherheit auch meine Freunde.“ Bullard war ein großer Mann, besonders im Gesicht und um die Mitte herum. Gerade erst aus seinen besten Jahren heraus, würde ich sagen. Sein Kopf zeichnete sich durch einen bemerkenswerten Mangel an Haaren und einen dichten Schnurrbart aus. Seine Augen ließen auf Intelligenz und Sinn für Humor schließen, sein eleganter, mit Samt und Seide gefütterter Anzug auf Erfolg. Auch wenn dieser schon durch das teure Büro offensichtlich war. Alles in allem wirkte er wie ein normaler Gentleman der Oberschicht, auf dessen Wort man vertrauen konnte. Aber andererseits sollte ich solche Überlegungen wohl meinem Freund überlassen, dessen scharfer Verstand zweifellos viel mehr entdeckte. „Ich werde mich kurz fassen, Mr. Bullard“, sagte Holmes, während er sich auf einen ledernen Sessel setzte und sich ohne zu fragen eine Zigarette anzündete. „Da Ihnen Ihre Zeit mit Sicherheit ebenso kostbar ist, wie mir die meine. Ich bin Sherlock Holmes und ich wurde von Miss Elizabeth Bishop engagiert, um den Mord an ihrem Vater aufzuklären. Oh, und das ist mein Kollege, Dr. Watson.“ In Situationen wie dieser bin ich oft ratlos, wen ich beobachten soll – Holmes oder die Person, die er befragt. Beide zeigen faszinierende Reaktionen – nur zu oft auf die unschuldigsten Fragen oder Erwiderungen. Damals allerdings hatte ich mich für Mr. Bullard entschieden. Zuerst saß er ruhig an seinem Schreibtisch, die dicken Finger lässig auf der Tischplatte gefaltet. Aber seine Reaktion auf Holmes Worte war eine der bemerkenswertesten, die ich jemals gesehen hatte. Sein Gesicht verlor augenblicklich alle Farbe und jene fahlen Augen, die mich auf Intelligenz schließen ließen, wurden so groß wie Melonen. Ein unerfindliches Geräusch entkam seiner Kehle. Für einen Moment dachte ich wirklich, er würde eine Art Anfall oder sogar einen Herzinfarkt bekommen. Ja, ich sprang sogar auf die Füße, um ihm zu helfen. Holmes jedoch packte mich am Arm, um mich zurückzuhalten. Ich war mir nicht sicher, ob ihm die Tatsache, dass Bruce Bishops Tod aufgeklärt werden sollte, oder die bloße Erwähnung des Namens Sherlock Holmes, diese Reaktion entlockt hatte. „Stimmt etwas nicht, Mr. Bullard?“, erkundigte er sich mit offensichtlichem Misstrauen. „Ähm…“ Bullards Blick wand seinen Blick direkt auf meinen Freund. Die Farbe kehrte langsam in sein Gesicht zurück und färbte es hochrot. „Ich…Sie müssen mich entschuldigen, meine Herren. Es ist nur…nun, ich dachte Lizzie…Miss Bishop…hätte endlich akzeptiert, dass Tom Kingston der Täter ist.“ „Dann halten sogar Sie Kingston für schuldig?“, fragte ich. „Nun, ich will es nicht glauben. Ich stehe der Familie Bishop seit Jahren sehr nah, wie Elizabeth Ihnen zweifellos erzählt hat. Ich hielt Kingston immer für einen vorbildlichen Arbeiter, gutherzig, höflich…sogar charmant. Aber dieser Polizist – Clayton, wenn ich mich nicht irre – hat ihn verhaftet. Und dafür muss es doch sicherlich einen Grund geben.“ „Ja. Natürlich“ Sein Tonfall sagte mir sofort, dass er Bullard nicht glaubte. Vielleicht traf das, was er früher gesagt hatte, eben doch genau den Punkt. Dieser Mann war wirklich ungewöhnlich. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr. Bullard, erzählen Sie mir doch bitte, wie Sie mit der Bishopfamilie in Kontakt kamen.“ „Nun, Mr. Holmes…ich kannte Bruce Bishop schon mein ganzes Leben lang. Sehen Sie, unsere Väter waren Kindheitsfreunde, auch wenn seiner ein Fischer war und meiner ein erfolgreicher Solicitor. Ihre beiden Söhne schlugen jeweils denselben Berufsweg ein. Unsere Väter blieben auch als Erwachsen noch befreundet und Bruce und ich lernten uns bereits sehr früh kennen. Er ist…war mein engster Freund. Und auch als die ganze Welt ihn für tot hielt, brach ich den Kontakt zu Catherine, äh…Lady Hilton-Bishop, und den Kindern nicht ab. Als Bruces Freund hielt ich es für meine Pflicht für sie zu sorgen. Wir waren für einander schon immer der Bruder, den weder er noch ich jemals hatte.“ „Es kommt mir“, sagte Holmes und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Doch recht seltsam vor, dass er selbst ihnen als seinem Bruder niemals ein Lebenszeichen gab. Finden Sie nicht auch?“ „Aber er tat es nicht, Sir!“, rief Bullard. „Nur Bruce weiß warum. Trotzdem kann ich Ihnen versichern, dass auch mir diese ganze…Situation grotesk und verwirrend vorkommt.“ „Und Sie haben ihm nie die Frage gestellt, warum er zurückkehrte? Oder überhaupt gegangen ist?“ Bullard begann sich auf seinem Stuhl zu winden. Sein Blick ließ vermuten, dass er seine Einladung am liebsten zurückgenommen hätte. „Ich werde Ihnen dies erzählen, meine Herren, weil ich sicher bin, auf Ihre Verschwiegenheit zählen zu können. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn eines seiner Kinder davon wüsste.“ „Sie können sich auf mein Wort verlassen“, antwortete Holmes. „Und auf das von Dr. Watson ebenfalls.“ „Gut“, sagte er und lehnte sich vor. „Sie sollten wissen, dass Bruce in jeder Hinsicht ein guter Mann war, der seine Frau und seine Kinder wirklich liebte. Eine Sache jedoch liebte er noch mehr. Und das war seine Freiheit. Als er Catherine kennen lernte, dachte er, ihre Liebe wäre stark genug, um den Schmerz über den Verlust seiner Freiheit wieder aufzuwiegen. Aber schlussendlich reichte es nicht. Seine Liebe für das Meer und ein Leben, ohne jemandem Rechenschaft zu schulden, war stärker. Ich hoffe Sie verstehen, warum ich nicht will, dass Lizzie oder Dicky davon erfahren. Sie haben sehr viel durchgemacht und ich will nicht, dass sie glauben, ihr Vater hätte sie aus irgendwelchen fragwürdigen Gründen verlassen. In Wahrheit liebte er die beiden sehr.“ „Aber die plötzliche Rückkehr? Wollen Sie mir erzählen, es sei ein bloßer Zufall, dass er genau im günstigsten Moment zurückkehrte – schließlich hätte er, wenn er nicht ein vorzeitiges Ende gefunden hätte, schon bald den gesamten Hiltonbesitz geerbt, nicht wahr?“ „Bruce wollte nicht darüber reden“, behauptete Bullard. „Aber es ist wirklich nicht möglich, dass er von Lady Catherines Testament wusste. Es muss einfach ein Zufall sein, nicht wahr, Mr. Holmes?“ „Mr. Holmes glaubt nicht an Zufälle“, sagte ich. Holmes Blick verriet mir sofort, dass meine Worte ein Fehler gewesen waren. „Aber welche andere Erklärung kann es dafür geben?“, fragte der Solicitor. „Wir werden sehen. Alles zu seiner Zeit, würde ich sagen. Nur noch eine letzte Frage, Mr. Bullard. Wenn Bishop wirklich verschwand ohne jemanden einzuweihen, und das auch sechs Jahre lang so blieb, wovon hat er Ihrer Meinung dann gelebt?“ „Nun ja…das ist einfach zu beantworten. Als Bruces Vater vor ungefähr zehn Jahren starb, hinterließ er seinem einzigen Kind etwas Geld. Nicht viel, aber Bruce hatte wenige Laster. Selbst als Hausherr von Black Bishop blieb er ein einfacher Mann. Ich habe das Testament damals bearbeitet und denke, die Summe hätte für meinen Freund einige Jahre lang gereicht.“ Holmes’ Gesicht erhellte sich. „Haben Sie eine Kopie des Testaments?“ „Nun…irgendwo sicherlich. Es wäre eine ziemliche Arbeit, es zu finden. Ist es notwendig für Sie es zu sehen?“ „Oh, nein, nein…Ich bin sicher, das hat alles seine Richtigkeit“ Er sprang auf die Füße. „Das wird fürs erste genug sein, Mr. Bullard. Sie stehen mir bei weiteren Fragen doch sicher wieder zur Verfügung?“ „Oh, aber natürlich, Mr. Holmes. Entweder hier oder in Black Bishop.“ Er streckte seine Hand aus. Doch Holmes würdigte ihn kaum eines zweiten Blickes, sondern zerrte mich kurz am Ärmel und hastete zur Tür. „Dann wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag. Komm, Watson, wir müssen einen Zug erwischen!“ Es war eine dreistündige Zugfahrt von Charing Cross nach Dartmoor Station und ich muss zugeben, mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, eine so lange Zeit in dem Zugabteil zu verbringen…allein mit Holmes. Früher hätte ich mir über so etwas, niemals den Kopf zerbrochen. Wir hätten uns während der Fahrt in Schweigen gehüllt: ich vertieft in eine Zeitung oder in die vorbeiziehende Landschaft und er versunken in der Welt seiner Gedanken – einer Welt, die selbst mir verschlossen war. Aber das störte mich nie. Zwei Männer, die so viel Zeit miteinander verbrachten wie wir, sollten nicht auf unbedeutendes Geschwätz angewiesen sein, und das waren wir auch nicht. Aber diesmal war es anders. Anders wegen allem, was geschehen war. Mein Gespräch mit Parks…mein entsetzlicher Traum…Holms Violinenspiel. Herrgott, wie sollte ich das nur aushalten? Und dann zu allem Überfluss auch noch diesen außergewöhnlichen Fall? Dazu kam noch die Tatsache, dass ich ihn in den letzten Wochen kaum gesehen hatte. Er hatte wesentlich mehr Zeit mit Josh verbracht als ich. Und das war meiner Meinung nach das Verwirrendste von allem. Es beschäftigte mich mehr, als es sollte. Fürchtete ich tief im Inneren, dass Parks vielleicht doch Recht haben sollte mit dem, was er über Holmes gesagt hatte? Oder lag es daran, dass ich das Bild dieser kleinen pummeligen Hände übersäht mit gelben und roten Flecken nicht mehr vergessen konnte? Ich hatte Holmes sehr gern, aber er war einzigartig; ein Phänomen. Und so sollte es auch sein. Ich wollte nicht, dass mein Sohn manche seiner Weltanschauungen übernahm. Er war mein Sohn. Mein Protegé. „Holmes“, begann ich, als der Zug an Geschwindigkeit gewann und unter vollem Dampf nach Südosten brauste. „Ich weiß, dass wir gerade viel über den Fall erfahren haben und dass du Ruhe benötigst, um dieses Durcheinander von Informationen zu ordnen, aber es gibt etwas, über das ich mit dir sprechen will und nun da wir allein sind…“ Seine Augen öffneten sich und er wand sich mir verärgert zu. „Was ist es?“ „Also, ich will nicht, dass du mich für undankbar hältst, aber…nun ja“, meine Stimme versagte. Ich konnte es ihm nicht sagen. Der Anblick, wie er da saß mit diesem arroganten Gesichtsausdruck, den ich geduldiger ertrug, als es wohl die meisten getan hätten, tja…ich machte mir immer noch Sorgen über die ganze Situation. Diese offenen Gefühlsausbrüche, die er seit seiner Rückkehr hin und wieder hatte. Mein Verstand – ganz zu schweigen von meinen Nerven – konnten einfach nicht noch einen davon ertragen. Alles was ich sagen konnte war: „Ich…äh, ich überlege, ob ich mir ein paar Monate frei nehmen soll. Von meiner Praxis, meine ich. Ich habe es schon mit James Parks besprochen und er stimmte zu, mich zu vertreten.“ „Und was genau lässt dich vermuten, ich würde dich deshalb für undankbar halten?“ Seine Augen verengten sich misstrauisch und verstanden zweifellos besser, was ich mit meinen Worten meinte, als ich selbst. „Nun…so habe ich das nicht gemeint“, Ich räusperte mich und wünschte, ich wäre nicht hier mit ihm gefangen. Ich sah aus dem Fenster und tat so, als entwickle ich plötzliches Interesse an dem näher rückenden Moor. Holmes’ Augen schlossen sich wieder und er ließ sein Kinn auf die Brust sinken. Für einige Momente blieb er still. Dann plötzlich kehrte wie durch einen plötzlichen Stoß geistiger Energie das Leben in ihn zurück. „Das ist wirklich eine gute Idee, weißt du.“ „Was meinst du?“ „Deine Praxis zu verkaufen, alter Junge! Es trifft sich, dass ich einen Kerl kenne, der auf der Suche nach einer recht erfolgreichen und etablierten Praxis ist. Es hatte den Anschein, als wäre er zu einem großzügigen Angebot bereit.“ Es schien ihm so ernst zu sein, dass ich sicher war, er sei nicht bei Sinnen. „Hast du den Verstand verloren?“, fühlte ich mich gezwungen zu fragen. „Ich kann meine Praxis nicht verkaufen! Wovon soll ich dann bitte leben? Sicher nicht von meiner Kriegsrente. Damit könnte ich mir kaum die Miete der Baker Street leisten! Und was ist mit James Parks? Erwartest du wirklich, dass ich ihn einfach rauswerfe nach allem, was er für mich getan hat?” Ich kannte das seltsam durchdringende Glühen auf seinem farblosen Gesicht, ebenso den fest geschlossenen Mund, die verschränkten Finger, den ruckartig wechselnden Gesichtsausdruck…es war ein vertrauter Anblick. Dieser Ausdruck von Endgültigkeit. Für ihn hatte ich bereits zugestimmt, denn er konnte keinen Fehler in seinen Folgerungen finden. „Mein lieber Freund“, begann er sein Argument. „Es ist lächerlich einfach. Die Tatsache, dass ich so viel Zeit mit dem kleinen John Sherlock verbringe, setzt dir zu. Aber, aber, es ist zwecklos, das Offensichtliche zu leugnen! Hältst du mich wirklich für so naiv, dass ich nichts von dem Klatsch über uns wüsste? Komm schon, Watson!“ „Ich kümmere mich nicht um dieses leere Geschwätz. Sollen sie doch sagen, was sie wollen…und wenn ich Lust dazu haben, verklage ich sie wegen Verleumdung und Rufmord. Aber das alles hat nichts mit dem Verkauf meiner Praxis zu tun. Du hast noch nicht einmal begonnen, mich davon zu überzeugen, dass es die einzig…logische Schlussfolgerung ist.“ Meine Worte wurden mit der Andeutung eines Lächelns belohnt. Er glühte vor Vorfreude darauf, mich zu überzeugen, während er sich weiter nach vorn lehnte und die Fingerspitzen vor seinem Gesicht aneinanderlegte. „Mir ist klar“, sagte er. „Dass dein Hauptargument die Tatsache ist, dass du dir ohne den Profit aus deiner Praxis deinen Lebensunterhalt nicht mehr leisten kannst, korrekt?“ „Vermutlich, aber“— „Nun ja, diesem Problem kann leicht Abhilfe geschaffen werden! Du verkaufst deine Praxis und kannst mich dadurch ständig begleiten, wann immer ich dich brauche, machst natürlich weiterhin deine Aufzeichnungen über die Fälle und dafür geht die Hälfte der Honorare unserer Klienten an dich“ Was mich dabei am meisten überraschte – und es sei Ihnen versichert, dass ich bei fast jedem seiner Worte unwillkürlich scharf Luft einsog – war das er unsere Klienten gesagt hatte. Nein, das konnte nicht stimmen. Sie waren seine Klienten. Er war der einzige inoffizielle beratende Detektiv. Der Meister. Ich war nur James Boswell[1]. Dr. John Watson, der Biograph von Sherlock Holmes. Und plötzlich redete er, als seien wir ein Team. Selbst dann ein Team wenn es zu den eigentlichen Geheimnissen kam. Ein Teil von mir war tief berührt von dieser Gefühlsseligkeit, aber ein anderer Teil… „Hast du gerade wirklich gesagt, du würdest mich bezahlen, damit ich meine Praxis verkaufe? Und dir assistiere? Habe ich dich das tatsächlich gerade sagen hören?“ Da war wieder dieses Grinsen. „Wenn nicht, kann ich dir einen guten Audiologen empfehlen, mein Freund.“ „Aber warum solltest du so etwas tun?“ „Um mir deine Kooperation zu sichern natürlich. Du weißt, ich bin angewiesen auf deine…“ Er brach ab und für einen Moment hatte ich keine Vorstellung, was er nun sagen würde. „Moralische Unterstützung. Geschweige denn deine Kameradschaft. Diese Fälle scheinen mir wirklich leichter zu fallen, wenn ich dich habe, um mit dir meine Schlussfolgerungen zu besprechen.“ Er musste den Ausdruck auf meinem Gesicht bemerkt haben, denn er fügte eilig hinzu: „Das ist lediglich eine geschäftliche Vereinbarung zu unserer beider Nutzen, Watson, sonst nichts.“ „Ach, wirklich?“ „Natürlich…was hast du denn gedacht?“ Er wollte nicht wissen, was ich gedacht hatte. „Holmes…“, begann ich. „Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist ein wirklich großzügiges Angebot…und lukrativ obendrein. Aber ich weiß wirklich nicht, wie ich das annehmen könnte. Außerdem gibt es da zunächst noch etwas anderes zu bedenken. Ich darf Parks in dieser Sache nicht vergessen. Das bin ich ihm schuldig.“ „Dein Kollege wird bleiben dürfen, für ihn wird sich nichts ändern.“ „Aber…woher willst du das wissen?“ Er warf die Arme in die Luft und rief: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich an alles gedacht habe, auch an deinen Assistenten Doktor Parks. Es wäre völlig unlogisch, wenn du dieses Angebot ausschlagen würdest. Das Geld, das du für die Ordination bekommen würdest, zusammen mit dem, was ich dir zahlen würde – wenn auch nicht regelmäßig – würde einen beträchtlichen Anstieg deines Jahreseinkommen bedeuten. Und da ist natürlich noch der Bonus, dass du mehr Zeit mit deinem Sohn verbringen könntest und…mich im Auge behalten.“ Der erste Gedanke, der mir nach dieser letzten Aussage durch den Kopf schoss, war, dass dies die Gerüchte über uns mit Sicherheit noch verstärken würde. Ich konnte beinahe schon die Schlagzeile sehen. John Watson gibt Praxis auf, um mehr Zeit mit dem seltsamen alten Detektiv Sherlock Holmes zu verbringen. Nun, ich schätze, das zeigt, wie irrational meine Gedanken damals waren. Aber es war nicht einmal so sehr der Klatsch, der mich beschäftigte. Es war die Tatsache, dass ich mein ganzes Leben gelernt hatte ein Doktor zu sein. Ich war ziemlich jung gewesen, als ich entschied, mein Leben dem Heilen zu widmen. Ich hatte einen Krieg erlebt, zahlreiche Epidemien, hatte den Tod in beinahe jeder möglichen Form gesehen und zahllose Leben gerettet, wenn ich das sagen darf. Konnte ich wirklich das alles für diesen Mann aufgeben? Einfach für mehr Geld und mehr Zeit? Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich mein Gekritzel nur als kleines Hobby gesehen, sonst nichts. Konnte ich wirklich in Erwägung ziehen, einen Beruf daraus zu machen? „Ich…ich bin mir nicht sicher, alter Freund. Halte mich nicht für undankbar, aber das kann ich wirklich nicht sofort entscheiden, so von einem Augenblick auf den nächsten. Lass uns bis nach dem Fall warten, wenn wir nicht mehr so…abgelenkt sind, und dann werde ich dir meine Antwort geben. Außerdem glaube ich, dass du auch noch mal darüber nachdenken solltest. Ich meine, die Hälfte deines Einkommens…“ „Ach, Watson, aber ‚die Anmaßung des Reichtums wird hervorquellen’[2]. Aber ich neige eher zu Matthäus: ‚Denn euer Herz wird immer dort sein, wo ihr eure Schätze habt’[3]. Der garantierte Erfolg mit meinem Biographen und Kollegen, bringt mir wesentlich mehr Profit als das Risiko, das zu verlieren, was mir so behaglich und vertraut ist.“ „Nun…“ Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Und er offensichtlich auch nicht. Also saßen wir wieder einmal in Schweigen, während das trostlose Moor immer näher rückte. Es war so viel gesagt worden. Aber da war noch viel mehr, was verschwiegen worden war. Nach mehreren schrecklichen Momenten brach mein alter Freund das Schweigen. „Denkst du, dass du jemals wieder heiraten wirst?“, fragte er völlig unerwartet. „Ich…wie zum Teufel kommst du plötzlich auf so was?“ Er musste erkannt haben, wie seltsam seine Frage geklungen hatte oder er hatte zumindest die Überraschung auf meinem Gesicht gesehen. Ich konnte fühlen, wie sich meine Augen weiteten. Warum sollte er mich so etwas fragen? Er könnte kein…ganzer Mann sein…in dieser Hinsicht. Nein, das konnte nicht der Grund dafür sein. „Ich wollte lediglich das Gespräch am Laufen halten…und wissen, ob ich mich nach einem neuen Mieter für dein Zimmer umsehen sollte.“ Schnaubend wand ich meinen Blick wieder aus dem Fenster. Er mochte mit Leichtigkeit lügen und betrügen, wenn es ihm gefiel und wenn es notwendig für einen Fall war. Aber nicht mir gegenüber. Nicht wenn es um so etwas ging. Dazu kannte ich seine Gedankengänge zu gut. Zumindest hoffte ich das. Aber da ich nicht in Stimmung für solche Überlegungen war, entschied ich mich im Zweifel für den Angeklagten. „Nein“, sagte ich. „Das werde ich nicht. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen – über mein …Zimmer“ Er nickte und beließ es dabei. Ich war ihm unglaublich dankbar, dass er mich nicht fragte, warum ich niemals wieder heiraten würde. Das war ein Thema, für das ich noch nicht bereit war. Etwas drückte auf meine Kehle und ich fühlte mich, als müsste ich ersticken. Wie könnte er so etwas fragen? Und wie könnte ich ihm verraten, warum ich es niemals könnte? Es war nicht so sehr, dass ich mich Mary untreu fühlen würde, wenn ich es täte…nein, es war etwas anderes. Schuld, denke ich. Schuld über die Tatsache, dass ich sie getötet hatte. Der Grund, warum sie in jenem Bett lag, verblutete, ohne dass ich ihr auch nur beigestanden hatte, war, weil ich sie geschwängert hatte. Logik spielte damals in meinen Gedanken keine Rolle. Das einzige, woran ich denken konnte, als der Zug langsam in Dartmoor Station einlief, war, dass ich Schuld am Tod meiner Frau hatte. Warum hatte er mich daran erinnern müssen? ___________________________________________________________________________ [1] In „Skandal in Böhmen“ erklärt Holmes Watson, ohne seinen Boswell sei er verloren. James Boswell war der Biograph von Samuel Johnson. [2] Ironischerweise Samuel Johnson in Boswells ‚Life of Johnson’ (Original: “The Insolence of Wealth will creep out”) [3] Matthäus 6:21 (Original: “Where your treasure is, there will your heart be also”) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)