Die Bekenntnisse des Meisters von Inkubus (Niedergeschrieben von John H. Watson, M.D.) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- So, dieses Update hat definitiv länger gedauert, als ich es beabsichtigt hatte. Ich habe nämlich während August einen Ferienjob angenommen und der nimmt (wie man sich wohl denken kann ^.~) recht viel Zeit in Anspruch. Vielen Dank für die Kommentare von RedRose, Moonrose (beide von Fanfiktion.de) und Sasuke_Uchiha. (Huch, diese Gesichte scheint Rosen anzuziehen…ist mir noch gar nicht aufgefallen… *grins*) Und um auf die Frage von Moonrose einzugehen: Ja, hierbei handelt es sich um Slash, wenn auch um den bestgeschriebenen über den ich im Internet jemals gestolpert bin. Tja, das ist wohl auch der Grund, weshalb ich beschlossen habe, es zu übersetzen. Kapitel 4 Am nächsten Morgen informierte ich Ivy während des Frühstücks, dass ich sie entlassen würde und dass ich mein Haus in Kensington verkaufen wollte, um näher zu meiner Praxis zu ziehen. Sie wusste natürlich wenig, wenn nicht gar überhaupt nichts über die Identität meines Besuchs in der letzten Nacht und ich fand es nicht notwendig, sie über die wahren Hintergründe meines Umzugs aufzuklären. Ich versprach ihr einen angemessenen Bonus zu ihrem letzten Gehalt und außerdem die besten Referenzen. Sie wirkte nicht besonders überrascht – zumindest bis sie fragte, was ich mit Josh vorhatte. „Werden Sie ein neues Kindermädchen einstellen, Sir?“, fragte sie. „Nein, ich werde mich selbst um ihn kümmern.“ Ihr Blick brachte mich dazu, plötzlich ein reges Interesse an meiner Kaffeetasse und einem Artikel über französische Handelszölle zu zeigen. „Nun, außerdem wird mir noch ein alter Freund dabei helfen.“ Als schuldete ich ihr eine Erklärung. „Ja, Sir.“ Sie begann das Tablett abzuräumen. In jenem Moment wurde mir klar, wozu ich mich da eigentlich verpflichtet hatte. Zwei Junggesellen, die sich eine Wohnung teilten, waren weder ungewöhnlich, noch wurden sie mit schiefen Blicken bedacht. Ein seltsamer, eigenbrötlerischer alter Kauz und eine Witwer mit einem kleinen Sohn, die zusammen lebten ohne ein Kindermädchen und nur mit einer Wirtin, die kochte und putzte, würden es dagegen ganz sicher. Ein Mann mit meinen finanziellen Mitteln, der ein Kind mit…nun ja, eben einem anderen Mann aufzog, würde auf jeden Fall einige hochgezogene Augenbrauen verursachen. Als ich schließlich das Kinderzimmer betrat, hatte Ivy Josh bereits gefüttert und angezogen. Ausgestreckt auf dem Bauch liegend war er gerade, dabei Worte aus seinen Alphabet-Bauklötzen zu bilden. Ich erkannte die Wörter ‚Josh’, ‚Papa’, ‚Mama’ und ‚Baby’. Ich senkte den Kopf und betrachtete scheinbar interessiert das Blumenmuster des Teppichs. Es würde das Beste sein, ihn so schnell wie möglich in sein neues Zuhause zu bringen. Wenn ich schon kaum mit der Situation fertig wurde, wie konnte ich es dann von einem dreijährigen Kind erwarten. Er sah auf, als ich darüber nachsann und schenkte mir ein fröhliches Grinsen. „Hallo, Papa.“ „Hallo, hallo. Hast du gut gefrühstückt?“ „Es gab Speck“, erklärte er, während er nach einem ‚d’ suchte, um das Wort ‚Hund’ zu vervollständigen. „Ich mag Speck.“ „Ach wirklich?“, meinte ich lachend. „Nun, ich habe dir noch etwas zu sagen, von dem ich weiß, dass es dich freuen wird. Wir gehen heute aus. Um eine sehr wichtige Person zu treffen.“ Er blickte auf und ich sah das Interesse, das in seinen saphirblauen Augen aufleuchtete. „Ist es die Queen?“, fragte er. Ich lachte. „Oh, nicht ganz so wichtig.“ „Der Premierminister?“ „Nein, nein. Du kannst es gar nicht erraten, weil du noch nie von ihm gehört hast. Und trotzdem ist er in der Tat dein Taufpate.“ „Ich habe einen Taufpaten?“ „Oh ja, das hast du.“ Er nahm sich einige Zeit, um das zu überdenken und krabbelte dabei mit seinem Stoffhund im Mund auf meinen Schoß. Er war genau so schlimm wie Holmes mit seinen Pfeifen und Zigaretten, nicht zufrieden, ehe er nicht an etwas kauen konnte. „Was ist ein Taufpate?“, wollte er wissen, als ich Blackie befreit hatte. Ich wusste, dass er es nicht wissen konnte. „Nun ja…es ist jemand, der auf dich aufpassen wird, wenn mir etwas zustoßen sollte.“ Ich machte mir erst gar nicht die Mühe, ihm den religiösen Aspekt zu seiner Zufriedenheit erklären zu wollen. „Sein Name ist Mr. Sherlock Holmes.“ „Oh, ich kenne ihn“, erklärte Josh. „Er ist der Mann aus deinen Geschichten. Der so gerne Rätsel löst.“ „Ganz genau, das ist er. Aber er ist auch dein Taufpate und Namensvetter.“ „Aber du hast gesagt, er ist tot.“ Er sagte es so unbewegt, dass mir mulmig wurde. Er verstand nicht, was das Wort ‚tot’ bedeutete. Zweifellos meine Schuld. Meine Erklärungen hatten sich widersprochen, denn ich gab ihm einen gefühlvollen Bericht über seine Mutter und seine Schwester, die eine Reise in den Himmel machten, aber als ich von Sherlock Holmes sprach, hieß es einfach, er sei tot. Kein Wunder, dass Joshs Worte so mitleidlos waren. „Das war es, was ich jahrelang gedacht hatte“, erklärte ich. „Allerdings habe ich vor kurzem erfahren, dass ich mich geirrt hatte. Mr. Holmes ist in Wirklichkeit am Leben und wir werden ihn noch heute treffen.“ Er zuckte die Achseln. „Ist gut, Papa. Vermutlich wäre es nett, meinen Taufpaten zu treffen.“ Ich musste an all jene Leute denken, die ich im Laufe meiner Jahre mit Holmes gesehen hatte, die von seinem wohl verdienten Ruf gehört hatten und ganz versessen darauf waren, endlich seine Bekanntschaft zu machen. Es erschien mir belustigend, dass für meinen eigener Sohn etwas, das viele Leute als Wendepunkt in ihrem Leben ansahen nicht mehr war, als ein gewöhnlicher Tagesausflug. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, dass er irgendwie Holmes’ typisch skurrilen, sarkastischen Humor geerbt hatte. Wie, wusste ich nicht, aber… „Ich denke, du wirst ihn sehr interessant finden, Josh. Also, komm her. Wir wollen doch nicht zu spät kommen.“ „Nehmen wir eine Kutsche?“, fragte er. „Natürlich.“ Er grinste breit, während ich ihm Mantel, Hut und Fäustlinge anzog. Er liebte das Fahren in einer Kutsche, mehr als alles andere natürlich wegen der Pferde. Ich konnte sehen, dass er nun dachte, die Fahrt würde der Höhepunkt des Tages werden. Damit sollte er sich allerdings sehr irren. Ich war in diesen letzten Jahren natürlich mehrmals an der 221B vorbeigekommen, aber es schien immer eine solch abweisende Kälte von ihr auszugehen. Ich dachte stets daran, anzuhalten und der guten, alten Mrs. Hudson einen Besuch abzustatten, aber schlussendlich konnte ich es nicht. Das Wohnzimmer wieder zu sehen, von Mycroft Holmes ganz genau so bewahrt, wie es gewesen war, wäre mehr gewesen, als ich ertragen hätte. Den persischen Tabak-Pantoffel…die verstreuten Chemikalien…den alten gepolsterten Lehnstuhl…die Violine…nein, ich konnte es nicht ertragen, dieses leere Haus zu sehen. „Lebt hier mein Taufpate?“, fragte Josh, während er das Haus mit großen Augen betrachtete. Er war ein wenig vorsichtig und schüchtern Leuten gegenüber, die er zum ersten Mal traf, und mir war klar, es würde, wenn auch sonst nichts, eine ungewöhnliches Treffen zwischen dem Kind und dem Mann werden, die sich in manchen Punkten so sehr glichen und in anderen völlig verschieden waren. „Ja, in der Tat. Und wir werden…“ Aber dann fiel mir ein, dass ich ihm noch nichts von meinen Plänen, wieder hier einzuziehen, erzählt hatte. Es wäre besser, auf einen passenderen Moment zu warten. Ich war mir nicht sicher, was er darüber denken würde. Er hatte niemals ein anderes Zuhause als unsere Unterkunft in Kensington gekannt und nun sollte er das Haus verlassen, in dem so vieles an Mary erinnerte…nun, es würde wohl für uns beide einigen Zeit brauchen, eher wir uns daran gewöhnt hatten. „Wir werden was, Papa?“ „Mach dir keine Gedanken. Gib mir die Hand und denk daran, so höflich wie möglich zu sein.“ Mrs. Hudson reagiert sofort auf mein Läuten und für eine Sekunde – aber wirklich nur eine Sekunde – traf mich das seltsame Gefühl, nicht zu wissen, was ich sagen oder tun sollte und dass Holmes’ Aussage, sie wäre über die ganze Situation überglücklich, nichts weiter sei als…bloße Erfindung. Doch mein Glaube wurde wiederhergestellt, als ich das gute alte Gesicht von einem unbeschreiblich strahlenden Lächeln erleuchtet sah. „Oh, Dr. Watson. Es ist so schön, sie wieder zu sehen.“ Sie umklammerte meine freie Hand mit den ihren und ich konnte fühlen, wie der Londoner Smog bei diesem Anblick in einem erleichterten Aufatmen aus meinen Lungen entwich. Der bloße Gedanke, mir würde hier in der Baker Street 221B so etwas widerfahren, war absurd. Hier war…und ich vermute wird auch immer – mein wahres Zuhause sein. Mit einem offenen Lächeln beugte ich mich zu ihr und küsste sie auf die Wange. „Es ist auch schön Sie zu sehen, Mrs. Hudson. Es ist wirklich lange her.“ „Oh ja, das war es wirklich, Sir. Der Gedanke daran, Sie beide wieder hier in diesem Haus zu haben. Oh, es wird genau wie in der guten, alten Zeit, Doktor Watson.“ Ich nickte, auch wenn ich wünschte, sie hätte den letzten Teil mit dem wieder hier im Haus haben weggelassen. Ich hoffte, dass Josh es nicht verstanden hatte. „Mrs. Hudson, das ist mein Sohn Josh. Josh, das ist Mrs. Hudson, mit der du dich hoffentlich gut verstehen wirst.“ „Hallo“, sagte der Junge. „Machst du guten Kuchen?“ Ich erstickte fast vor Lachen und es war klar, dass meine alte Wirtin bereits jetzt seinen Pauspacken und erdbeer-blonden Locken verfallen war. „Dr. Watson, er ist Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten, in diesem Alter! Allerliebst…einfach allerliebst. Und ja, mein Schatz, wenn du Kuchen möchtest, sollst du welchen bekommen!“ „Sie sollten aufpassen, dass Sie ihm nicht zu viel versprechen. Er wird es auch von Ihnen einfordern.“ „Ach Unsinn“, sagte sie und streichelte seinen großen Kopf. „Es wird mir ein Vergnügen sein, für jemanden zu kochen, der es auch zu schätzen weiß.“ Sie hob ihre Augen in Richtung Zimmerdecke und ich wusste ganz genau, von wem sie sprach. Josh ertrug solche Aufdringlichkeiten besser als die meisten kleinen Jungen. Er erinnerte mich an Holmes in der Beziehung, gewissermaßen immer bereit, gestreichelt zu werden. Ihre Freundschaft war mit dem Versprechen von Kuchen und Süßigkeiten besiegelt. „Ich muss jetzt hinaufgehen und Mr. Holmes besuchen“, erklärte ich ihr. „Ich werde Ihnen einen Kanne Tee hinaufbringen, Sir. Und etwas Kuchen für den kleinen Gauner hier.“ Ich hob meinen Sohn auf, um die siebzehn Stufen zum Wohnzimmer zu überqueren, da er, was Gefälle anging, noch recht wackelig auf den Beinen war. Das erste, was ich bemerkte, war ein höchst ungewöhnlicher Geruch, der aus dem Wohnzimmer kam. Holmes spielte zweifellos wieder mit seinen Chemikalien. Das Zimmer allerdings war genau, wie es mir von den Jahre, die wir beide es uns geteilt hatten, in Erinnerung geblieben war. Mein alter Stuhl stand allein nahe dem Feuer und wirkte so einladend. Da war mein Schreibtisch, an dem ich so viel Zeit verbracht hatte, um die Abenteuer meines gefeierten Kameraden in Worte zu fassen. Und auch der Humidor, den Holmes stets großzügig mit meinen Lieblingszigarren gefüllt hatte. Aber der Großteil des Raumes gehörte ihm. Besonders in solchen Momenten mit dem scharfen, verstaubten Geruch einer bläulichen, in einem Reagenzglas vor sich hin köchelnden Chemikalie. Ich hatte nicht die geringste Ahnung was er tat oder was er benutzte, aber der Geruch nach Chemikalien an sich, vermischt mit einer dichten Tabakwolke war mir vertraut und willkommen. „Hör mal, Holmes, was machst du da?“ Er hatte sich tief über den Tisch gebeugt und sah nun auf, als hätte er uns erst in jenem Moment bemerkt. „Holla, Dr. Watson! Dann ist es also schon halb? Nun, tatsächlich, tatsächlich!“ Er war sofort auf die Füße gesprungen und stand nun direkt vor uns mit einem breiten, sehr holmesischen Grinsen. Ein Grinsen, das Glück eine Lüge strafte und jenen berüchtigten, messerscharfen Verstand enthüllte, auch wenn ich nicht sagen konnte, mit welchem Problem er sich gerade beschäftigte. Er hatte meine Frage schlichtweg übergangen. „Na ja, wie auch immer, welchen Trank du auch zusammenbraust, es wird dir wohl nichts ausmachen, ihn für einen Moment sich selbst zu überlassen, damit ich euch ordentlich vorstellen kann. Holmes, das ist mein Sohn John Sherlock Watson. Josh, das ist mein alter Freund und dein Taufpate, Mr. Sherlock Holmes.“ „Es ist mir eine Freude, deine Bekanntschaft zu machen, Josh. Falls du Äpfel magst, ich habe in der Schüssel dort drüben ein paar frische. Und auch Weintrauben.“ „Woher weißt du, dass er Äpfel liebt?“, fragte ich ihn. Ich konnte mich nicht erinnern, ihm etwas in der Richtung erzählt zu haben. „Ach, Watson…Watson, Deduktionen, Deduktionen! Es ist so offensichtlich wie die Nase in deinem Gesicht.“ Aber ich konnte nichts tun, außer mit den Achseln zu zucken. „Ich kann nichts deduzieren.“ Holmes streckte einen seiner langen Finger aus und deutete auf den spitzenbesetzten Kragen am Kleid meines Sohnes. Als ich ihn näher betrachtete, sah ich einen sehr schwachen Fleck von goldbrauner Farbe. Da der Kragen ansonsten in jungfräulichem Weiß erstrahlte, erkannte ich, dass es genau die Sorte von Fleck war, die ein unachtsames Kind beim Essen eines saftigen Apfels bekommen würde. „Aha, ich verstehe.“ „Nein, danke“, meldete sich Josh zu Wort. „Ich mag Äpfel, aber die Lady unten bringt mir Kuchen. Außerdem riechst du komisch.“ „Josh“, rief ich und wrang beschämt meine Hände. „Ich habe doch gesagt, du sollst höflich sein.“ Aber Holmes brach in schallendes Gelächter aus. „Nein, Watson. Schelte ihn nicht, weil er die Wahrheit gesagt hat. Ach, wenn wir Erwachsenen doch nicht unsere kindlichen Tugenden verlören, um den Konventionen der Gesellschaft zu entsprechen. Und doch versuchen wir sie ihnen ab incunabulis auszutreiben.[1]“ Er hockte sich hin, um mit Josh auf Augenhöhe zu sein und seine stahlgrauen Augen betrachteten Joshs unschuldig blaue. „Weißt du, warum ich komisch rieche, mein Junge?“ „Weil du mit dem blauen Zeug da drüben gespielt hast.“ „Sehr gut! Und wie riecht dieses blaue Zeug?“ „Es riecht sehr schlecht.“ „Ja, aber wonach riecht es? Denk nach, mein Junge, denk.“ Josh ließ sich das Problem einige Sekunden lang durch den Kopf gehen. „Es riecht wie ein Buch. Ich lese gerne Bücher.“ „Großartig! Großartig, Josh! Ich wusste, dass meine Einschätzung von dir richtig war!“ Ich war mehr als nur überrascht, als Holmes den Jungen in seine Arme hob, was dieser mit einem überraschten Jauchzen quittierte. „Weißt du“, begann er mir zu erklären. „Ich habe gerade mit Rhodamin gearbeitet. Das ist ein Farbstoff, er durch die Verbindung eines Aminoderivats mit alkoholhaltigem Phenol und Phthalsäureanhydrid erzeugt wird. Ich habe meine Gründe anzunehmen, dass es die essentielle Zutat für ein neues Puder ist, das ich gerade entwickle. Damit soll das Aufnehmen von Fingerabdrücken sehr viel leichter werden. Aber außerdem – wie dein Sohn bemerkt hat – wird Rhodamin auch bei der Papierherstellung verwendet.“ „Ah, ja, gut…es ist schon länger her…seit ich das letzte Mal Chemieunterricht hatte.“ „Ich schlage vor, dass du nicht zu lange warten solltest, bis du mir erlaubst Josh in diesem Fach zu unterrichten. Je früher jemand anfängt, desto mehr wird er im Endeffekt lernen.“ Er setzte den Jungen zurück auf den Boden und streichelte seinen Kopf. „Nun, Junge. Was deduzierst du außerdem noch über mich?“ „Was heißt deduzieren?“ Nun war ich an der Reihe, zu lachen. „Siehst du, Holmes! Er ist noch nicht so weit, wie du es gerne hättest!“ „Eine Lappalie.“ Er unterstrich seine Antwort mit einer abweisenden Handbewegung. „Die Kunst der Deduktion, mein junger Freund, ist das Wichtigste, was du jemals lernen wirst. Deduzieren heißt zu erkennen, zu schlussfolgern und zu verstehen. Es bedeutet, deinen Geist zu nutzen, um das logisch zu erschließen, was nicht offensichtlich ist, sondern geheim gehalten wird.“ Ich saß gemütlich ein Ship[2] rauchend in meinem Sessel und wollte Holmes gerade erklären, dass seine Definition, wenn auch exakt und kunstvoll, für meinen Sohn etwa genauso verständlich war, wie es seine Ausführung über den Nutzen des Rhodamin für mich gewesen war, als Josh plötzlich mit dem Kopf nickte. „Ist gut. Ich verstehe gerne Dinge. Ich edduziere…“ „Deduziere“, korrigierte ihn Holmes den Zeigefinger erwartungsvoll auf die Lippen gelegt. „Ich deduziere, dass du zu viel rauchst.“ Ich war so schockiert, dass ich beinahe meine Zigarette in meinen Schoß fallen ließ. Und auch wenn das nicht der Fall war, sprang ich doch auf meine Füße, als wäre ein brennendes Loch in meinem Sitz. „Woher um Himmels willen weißt du das?“ „Das war leicht, Papa“, erklärte Josh und kletterte auf meinen Schoß. „Ich schlussfolgere von seinen Pfeifen dort drüben. Keiner hat so viele Pfeifen, wenn er nicht viel raucht.“ „Ah, aber woher willst du wissen, dass ich sie wirklich rauche? Vielleicht dienen sie nur zur Dekoration.“ „Nein…du raucht sie. Sie sind innen ganz schwarz vor Rauch.“ „Nun, ich hätte niemals…“, murmelte ich in meinen Bart, während ich meinem Jungen über den Kopf streichelte. „Scheint so, als müsse ich mich jetzt mit zwei von der Sorte rumschlagen.“ „Erschließendes, logisches Denken, Watson“, sagte Holms und klopfte sich auf den Kopf. „Der kleine Josh, hat Unmengen davon. Wir müssen aufpassen, dass er es nicht verliert.“ „Ja, in der Tat. Josh“, sagte ich. „Warum läufst du nicht hinunter zu Mrs. Hudson und siehst nach Tee und Kuchen?“ Ich setzte ihn auf die Füße und klopfte ihm auf den Hintern. „Ist gut, Papa“, sagte er und rannte durch die Tür. Aber dann drehte er sich um und warf Holmes den seltsamsten Blick zu, denn ich auf seinem jungen Gesicht jemals gesehen hatte. Seine Gesichtszüge waren verzerrt, die Brauen gefurcht und seine Lippen geschürzt. Dieser Blick konnte mich an nur eines erinnern. An einen ganz bestimmten Mann vor dem Kamin der 221B mit seiner Church Warden[3] zwischen den dünnen Lippen. Ich erwartete vollauf, etwas wirklich Philosophisches von den Lippen meines Sohnes zu hören. Aber wie auch immer, ich war auf eine seltsame Art unglaublich erleichtert, als das nicht der Fall war. „Wie soll ich dich nennen?“, fragte er meinen Freund. „Du nennst ihn Mr. Holmes, Josh“, sagte ich, aber irgendwie wusste ich, dass Holmes, der scheinbar eine verwandte Seele im Körper eines Dreijährigen entdeckte hatte, das nicht zulassen würde. „Nein, nein, Watson, das geht nicht. Das geht einfach nicht. Nun, mein Junge, wie würdest du mich denn gern nennen?“ „Onkel“, erwiderte Josh, als hätte er bereits stundenlang ernsthaft darüber nachgedacht. „Aber er ist doch nicht dein Onkel“, sagte ich lachend. „Das macht wenig aus. Wenn du mich gerne so nennen willst, dann soll es so sein.“ Und die beiden lächelten sich an, ein Lächeln voller Sicherheit und Ähnlichkeit, ein Lächeln der Vergangenheit und der Zukunft. Und schließlich öffnete Josh die Türe und ich konnte seine langsamen, wackeligen Schritte auf der Treppe hören. Ich drehte mich zu meinem Freund, nur um zu bemerkten, dass er mich bereits ansah. „Er ist ein recht bemerkenswertes Kind.“ „Das denke ich auch. Allerdings, ich muss zugeben, Holmes, ich habe niemals zuvor gesehen, wie du dich für eine so…häusliche Angelegenheit begeisterst.“ „Nun, bis jetzt kam es auch noch nie dazu. Aber wie auch immer, heben wir uns dieses Thema für ein anders Mal auf. Wir, mein Freund, haben wichtige Dinge zu besprechen. Dinge, die die Frage betreffen, ob du dieses leere Zimmer direkt über uns noch einmal in Besitz nehmen wirst. Das wirst du doch, nicht wahr?“ Ich hätte über seine Unverschämtheit wütend sein können. Von den Dingen, die ich als seine Fehler ansah, lag, zu viel von anderen (besonders von mir selbst) mit größter Selbstverständlichkeit zu fordern, ganz oben auf der Liste. Aber ich hatte mich schon so lange damit abgefunden, dass ich vermutlich irgendwann den Punkt verpasst hatte, da dieser Teil von ihm immer ausschweifender wurde. Kein anderer Mann kannte mich so gründlich. „Nun, Holmes, du hattest dir vermutlich bereits ausgerechnet, dass ich nicht nein sagen kann, bevor du das Thema überhaupt ansprachst. Deshalb würde ich mich natürlich freuen, wieder hier einzuziehen.“ „Du musst nichts tun, was du nicht auch willst, Watson. Dein Ton deutet an…nun, ich hatte natürlich darauf gehofft, aber ich will nicht, dass du gegen deinen eigenen Willen handelst.“ „Nein, nein“, sagte ich mit einem Lächeln. „So hab ich es nicht gemeint. Vergib mir. Ich habe nur gemeint...Nun, ich schätze, ich mache mir etwas Sorgen, wie sich das alles auf meinen Sohn auswirken wird.“ Holmes beschäftigte sich gerade damit, seine Pfeife anzuzünden, aber ich hatte keinen Zweifel, dass er sich über dieses spezielle Thema keine Sorgen machte. Er warf das Streichholz ins Feuer. „Du machst dir Sorgen über…lass mich sehen…meinen Einfluss auf das Kind?“ „Überhaupt nicht!“, rief ich aus, bevor ich mich daran hindern konnte. Aber er war der Wahrheit näher gekommen, als mir lieb war. Und das seltsame Grinsen trotz des langen Griffs der Pfeife zeigte mir, dass auch er das erkannt hatte. „Es ist nur…Holmes, ich kenne mein Kind besser als du. Er ist sehr eifrig. Und es braucht nicht erst deinen Verstand, um zu sehen, dass er bald ziemlich an dir hängen wird. Und ich habe ein paar Vorbehalte gegen deine…Lebensart. Ich denke du weißt, was ich meine.“ Er kaute nun auf dem Stiel und rollte ihn in seinem Mund herum, wie er das Problem in seinem Geiste herumrollte. „Was forderst du von mir?“ Ich hatte seit der vergangenen Nacht überlegt, wie ich mich diesem heiklen Thema am besten annähern sollte. Aber bis jetzt hatte ich keinen günstigen Weg gefunden. „Nun, wir müssen – zumindest in gewissem Maße – darauf achten, wen wir hier alles hereinlassen. Ich will nicht, dass er mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten in Berührung kommt.“ „Ah-hmm…gut, zwielichtige Gestalten. Ich werde mein Bestes tun. Was noch?“ „Holmes“, sagte ich und umklammert meine Knie mit verschwitzten Händen. „Du weißt was noch. Deine Abhängigkeit.“ Eigentlich sah er fast amüsiert aus. Ich hasste es, aber er hörte mir niemals zu, wenn es um dieses verdammte Kokain ging. „Was ist damit? Willst du mir befehlen damit aufzuhören, Doktor?“ „Dazu habe ich kein Recht. Auch wenn du meine Ansicht zu diesem Thema kennst. Wie auch immer, wenn Josh hier zusammen mit dir und mir leben soll, will ich nicht, dass er mit deinen…sagen wir, düstereren Stimmungen in Berührung kommt. Es wäre ihm gegenüber nicht gerecht, denn du weißt so gut wie ich, dass er es nicht verstehen würde. Er darf nichts wissen, von dieser…Einrichtung.“ Ich zeigte in Richtung der verschlossenen Schublade in seinem Schreibtisch. Darin war seine Spritze und mindestens eine Flasche siebenprozentige Kokainlösung. Drei Jahre hatten mich das nicht vergessen lassen. „Dann gebe ich dir mein Wort, Doktor, dass Josh niemals Zeuge einer meiner kleinen Schwächen sein soll. Die Nadel eingeschlossen.“ „Vielen Dank“, sage ich ratlos, was ich noch hinzufügen könnte. „Ach, Watson, das wird wieder so wie in den alten Zeiten.“ Er war nun wieder auf seinen Füßen und schlenderte wie ein ruheloses Tier im Zimmer auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Du, mein Freund, bist das einzig Konstante in einer sich immer verändernden Zeit. Ich fürchte, Watson, das ich deine Gesellschaft in diesen kommenden Jahren brauchen werde. Das ist der Grund, warum ich so sehr darauf bestanden habe, dass du wieder hier einziehst. Eine dunkle Wolke hat sich über diese große Stadt gesenkt und es wird unsere Pflicht sein sie mit hellem Licht zu durchbrechen. Wir sind Pilger in einem unbezähmten Land.“ „Pilger? Dunkle Wolken? Ist das nicht alles etwas zu philosophisch für dich, alter Junge?“ „Vielleicht“, sagte er und hielt inne, um den Londoner Verkehr unter uns zu betrachten. Sein Schatten schien sich vage und schillernd an der flimmernden Wand abzuzeichnen. Es war als spräche jemand zu mir, der sich nur als Holmes verkleidet hatte. „Aber ich war am Abgrund des Todes. An jenem Punkt, an dem man nicht nur sehen kann, was war, sondern auch was sein wird. ‚Es ist das Schicksal, das uns befehligt und die Zukunft die unsere Gegenwart lenkt.’[4] Und düster ist die Zukunft in der Tat“ „Holmes“, sagte ich und bewegte mich leise neben ihn. „Ich weiß, dass du eine Tendenz zum Zynismus hast. Aber niemals zuvor habe ich solche seltsamen Worte des Zornes von dir gehört.“ „‚Eine Miene, mehr des Leidens als des Zorns’[5], mein lieber Watson. Nein, es ist nur, dass wir an der Schwelle zu einem neuen Jahrhundert stehen. Dem zwanzigste Jahrhundert. Denk nur, Watson! Dies wird das großartigste Jahrhundert in der ganzen Geschichte des modernen Menschen. Ein neues Jahrhundert und ein neuer krimineller Geist. Und es kann gut sein, dass ich erkennen muss, dass ich selbst mit allen meinen Kräften, die bevorstehenden Herausforderungen nicht werde meistern können.“ „Ach, komm schon, Holmes. Wenn überhaupt jemand würdig dazu ist, dieses neue Zeitalter zu beraten, dann bist du es.“ Er lächelte und tätschelte meinen Arm. „Wir werden sehen, Doktor. Ja, wir werden sehen. Wie auch immer, der Gedanke, dass ich dich an meiner Seite haben werde, erfüllt mich mit neuer Hoffnung.“ Ich kann hier nur anmerken, dass die jüngsten Erlebnisse meines Freundes mit Professor Moriaty in Reichenbach wohl doch einen größeren Effekt auf ihn gehabt haben mussten, als ich zuerst angenommen hatte. Er hatte niemals von der Zukunft gesprochen, und wenn doch dann sicherlich nicht in verworrenen Voraussagen, dass er nicht fähig sei, ihr entgegenzutreten. Und trotzdem würde er in den kommenden Monaten der Zukunft in einem Fall entgegentreten, den ich niemals zuvor zu Papier gebracht habe. Aber nun habe ich mich dazu entschlossen, um zu zeigen, warum Holmes das Unbekannte fürchtete. Diese kommenden Jahre würden eine der größten Veränderungen in meinem Leben mit sich bringen und einige der größten Enthüllungen über meinen teuren Freund. Vielleicht hatte er eine Art von Vorahnung. Oder vielleicht erkannte er schlussendlich, dass unsere Beziehung nie mehr dieselbe sein würde. Und all das nahm seinen Anfang in einem Fall, einem Fall der begann wie jeder andere, aber völlig anders endete. _______________________________________________________________________________ [1] Latein: „von frühster Kindheit an“ [2] Umgangssprachlich für Marinetabak. Watson erzählt Holmes in „Studie in Scharlachrot“, das er immer „Ships“ raucht. Es scheint ein wenig ungewöhnlich für einen alten Soldaten, aber wie ihr seht, bleibe ich dem Canon treu. [3] Eine langstielig Tonpfeife [4] Holmes zitiert oder besser gesagt zerstückelt Nietzsche. Das ganze Zitat lautet: „Unser Schicksal befehligt uns selbst dann, wenn wir es noch nicht kennen, es ist die Zukunft, die unsere Gegenwart beherrscht.“ (Original: “Our destiny commands us even when we do not yet know what it is, it is the future which guides the rule to out present.”) [5] Zitat von Horatio aus Hamlet. (Original: “A countenance more in sorrow than in anger.”) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)