Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 50: Kapitel 50 ---------------------- Kapitel 50 Nach der langen Nacht gab sich endlich auch für Seth die Möglichkeit des Schlafes. Eines ruhigen Schlafes ohne Nachtwache und dies so lang bis er von selbst erwachte. Wobei es doch eher das laute Pferdetönen war, welches ohrenbetäubend durchs Lager schallte und ihn weckte. Doch Unmut darüber wollte ihm nicht aufkommen. Eher konnte er sich lebhaft daran erinnern, welch erheiternden Szenarien sich abspielten, wenn die Meute versuchte, ihren Boss davon zu überzeugen, dass frisches Fleisch absolut notwendig wäre und der doch immer wieder auf das noch vorhandene Brot verwies. Eine Endlosschleife, welche mittlerweile wohl mehr Ritual als wahres Ärgernis darstellte. Und mit einem Lächeln musste er an das Gesicht des Pharaos denken. Er sah den Räubern gern dabei zu, wie sie ihre ruppigen Späße trieben und wirkte währenddessen so zufrieden. Freude zu finden in den einfachsten Dingen war eines seiner größten Talente. Und sein allerschönster Charakterzug. Einer seiner vielen allerschönsten Züge. Und dabei kam ihm auch die Erinnerung, weshalb er hier war und weshalb er nicht bleiben konnte. Er musste zurück in den Palast und dem Pharao beistehen. Die Kronfamilie hatte er in Sicherheit gebracht, nun galt es, den König zu beschützen. So viel er als unterer Priester und unerfahrener Palastangehöriger überhaupt bewirken konnte. Doch allein sein Herz zu stärken und irgendetwas zu tun, war mehr als gar nichts bewirken zu können. So legte er den nächtens übergezogenen Umhang ab und erleichterte sich auch gleich seines dicken Wollhemdes. Die Nächte waren sehr kalt, doch nun hatte sich das Zelt bereits aufgewärmt. Wie weit der Tag wohl bereits fortgeschritten sein mochte? Die Königin und die Kinder jedenfalls waren nicht mehr anwesend. Nur ein kleines Zicklein leistete ihm Gesellschaft und knabberte an einem Strohballen, der sicher eher für das Feuer als zum Viehfutter gedacht war. „Na los, raus mit dir.“ Er packte das kleine Tier am Bein und zog es vom Stroh weg. Meckernd rammte es den ungehörnten Kopf an seinen Arm und rannte dann eiligen Schrittes vor ihm aus dem Zelt davon. „Kleiner Vielfraß“ schmunzelte er und folgte ihm durch den halboffenen Gang hinaus. Draußen schien ihm bereits die heiße Sonne entgegen, doch Mittagshitze hatten sie noch nicht. Erst streckte er sich weit hinauf, wofür die Größe des Zeltes gar nicht reichte und blickte sich dann um. Im Schatten der Büsche lagen ein paar Räuber dösend und faul herum, ein paar andere vertrieben sich mit Glücksspielen den Tag und wieder andere waren zur Pflege der Pferde kommandiert worden. „Ich hab schon gebetet!“ Ein schmaler, recht kleiner Räubersmann drückte sich an ihm vorbei und verschwand eilig um die Zeltecke. Wahrscheinlich aus Angst, der Priester könne ihn zum Gebet bewegen wollen. Denn so gottestreu waren die Männer hier nicht. Sie beteten nur, wenn der Boss es verlangte. Ansonsten hatten sie wenig Sinn für Religion oder Spiritismus. „Ist recht“ seufzte Seth ihm nach und strich sein zerzaustes Haar zurück. „Seth! Gut, dass du wach bist.“ Da kam ihm auch schon die Königin entgegen, welche selbst in dieser schlichten Kleidung einen eleganten Eindruck machte. Ihr Haar zu einem einfachen Zopf geflochten, ein Kopftuch bis über die Schultern geschwungen und ihr Kleid zeigte freizügig ihre wohlgeformten Unterschenkel, ihre kunstvoll mit Tonfarbe bemalten Füße. Auch ohne Schmuck und schillernde Kleider war sie eine der schönsten Frauen des Reiches. „Ich grüße euch, Hoheit“ lächelte Seth sie an und nahm nach Tagen wieder ihre Hand, um sie ehrerbietig zu küssen. „Ich will Euch nicht schmeicheln, doch Ihr seht wundervoll aus. Diese Schlichtheit tut Eurem Glimmern keinen Abbruch.“ „Du bist lieb, Seth“ lächelte sie und befühlte ein Mal mehr wie zufällig seinen muskulösen Arm. Sie liebte es einfach, schöne Männer zu berühren. Und Seth nahm es für sich als freundschaftliches Kompliment, dass sie ihn so gern anfasste. Doch dann trat sie einen Schritt zurück und begann zu lachen. „Was ist?“ lachte er mit ihr gemeinsam. „Habe ich Euch belustigt?“ „Nein, nicht du“ kicherte sie. „Jetzt habe ich ganz vergessen, was ich dir sagen wollte.“ „Dann war es sicher auch nicht so dringlich“ lächelte er sie erleichtert an. Erleichtert darüber, dass sie nach Tagen ihr Lachen gefunden hatte. „Ihr seht heiter aus, Majestät. Fühlt Ihr Euch wohl in der Oase?“ „Ja, ich bin wirklich guter Laune heute“ bestätigte sie und setzte sich an die Seite ins plattgetretene Gras. Dort warf das Zelt etwas Schatten und so betrachtete sie Seth mit ihren funkelnden Auge. „So seht Ihr aus.“ Er erlaubte es sich, neben ihr Platz zu nehmen und erlaubte es auch ihr, die Hand fest auf sein Knie zu legen und sich das Gesicht betrachten zu lassen. „Ich bin froh, dass Euch die Dinge heute etwas leichter zu fallen scheinen.“ „Ja, tatsächlich … ich bin heute sehr entspannt erwacht. Der alte Ahmose ist so wundervoll zu meinen Kindern, dass sie gar nicht mehr von ihm weichen wollen. Das gibt mir Gelegenheit, die Gedanken zu ordnen.“ „Das ist sehr gut. Ich habe gehofft, Ihr möget Euch hier wohlfühlen.“ „Ich habe Großes vollbracht“ eröffnete sie ihm mit einem Schmunzeln. „Willst du raten?“ „Ich bin ein schlechter Rater, geliebte Abunami“ lehnte er freundlich ab. „Aber erzählt mir von Euren Heldentaten, auf dass ich Euch noch mehr bewundern darf.“ „Ich habe Rantep entlaust“ löste sie das Rätsel und strahlte ihn an. Lange hatte sie keine so gute Laune mehr gehabt. „Rantep“ wiederholte er verblüfft diesen Namen. „Ihr meint Flohkopf und Lausebart Rantep?“ „Du hast es erraten. Ich konnte es nicht mit ansehen. Ständig hat er sich gekratzt und gejuckt. Außerdem roch er ganz furchtbar nach Pferd. So habe ich mir von Ahmose ein Lausmittel geben lassen, habe mir den Räuber geschnappt und ihn von oben bis unten abgewaschen. Außerdem habe ich ihm den Bart abrasiert und das Haar geschnitten. Du glaubst gar nicht, was für ein hübsches Gesicht sich unter diesem ganzen Gewirr verbarg.“ Jetzt kam er wahrlich dazu, sie zu bewundern. Sie war die Königin in Person. Die höchste Frau des Reiches und Tochter eines gutgestellten Hauses. Und sie scheute sich nicht davor, stinkende und verflohte Räuber zu waschen und zu frisieren? Er wusste, dass sie eine natürliche und aufgeschlossene Frau war. Jedoch dass sie solch eine Freude in solch einer Arbeit entdecken konnte, machte sie zu einem gottgegebenen Wunder. „Hat er sich nicht gewehrt?“ wollte er mit großen Augen wissen. „Oh doch, hat er“ kicherte sie sie fröhlich. „Aber weißt du, es ist erstaunlich wie gut Emenas seine Mannen im Griff hat. Er hat ihm befohlen, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und so durfte ich aus Rantep wieder einen Menschen machen. Auch wenn er jetzt ein wenig den Spott seiner Kumpanen aushalten muss so glaube ich dennoch, dass er sich gefällt. Du wirst ihn nicht wieder erkennen.“ „Ich erkenne Euch nicht wieder“ lächelte er glücklich. „Es freut mich, Euer wundervolles Lächeln wiederzusehen.“ „Ja … mich freut es auch“ seufzte sie, nahm die Hand fort und schlang die Arme um ihre angezogenen Knie. In dieser Haltung wirkte sie wie ein junges Bauernmädchen. Nicht ansatzweise wie die erhabene Mutter des Kronprinzen. Dennoch umgab sie ein Hauch von Königlichkeit, den ihr wohl niemand jemals rauben konnte. „Emenas sagte mir heute Morgen, du planst, mich hier zu verstecken?“ „Er griff vor. Ich wollte es Euch gern selbst anbieten“ entschuldigte er. „Es war von Anfang an mein Ziel, Euch herzubringen. Hier bei den Banditen wird Euch kein Häscher vermuten. Hier seid Ihr sicher vor dem Zugriff von Putschisten.“ „Ich kann es noch immer nicht glauben, dass mein Ephrab mir nach dem Leben trachtet“ seufzte sie und blickte verloren in die Ferne. „Aber ich habe viel nachgedacht. Als er begann, sich politisch zu engagieren, glaubte ich noch, er tue dies mir zuliebe. Spätestens jedoch, als er sich als Berater in den Ministerrat drängte, hätte ich stutzen sollen. Was bin ich für eine Königin, die so naiv einem Mann verfällt?“ „Ihr seid nicht naiv. Ihr ward verliebt und habt ihm vertraut“ tröstete er, rutschte auf und fragte respektvoll: „Darf ich meinen Arm um Euch legen?“ „Ich bitte darum“ seufzte sie und lehnte sich an ihn, als er seinen Arm um ihren Rücken schlang und sie an seiner Schulter bettete. „Ich danke dir, Seth. Du hast dich in den letzten Tagen ganz selbstlos um mich und meine Kinder bemüht. Das werde ich dir nicht vergessen.“ „Dennoch möchte ich noch heute zurückreisen“ antwortete er sanft. „Ich muss noch ein Mal mit Emenas sprechen und Euch dann hier zurücklassen. Wenn es Euch nicht vollkommen widerstrebt.“ „Aber nein. Ich denke, ich kann es hier schon eine Weile aushalten“ versprach sie und ließ sich schwer an seine Seite halten. „Die Räubersleute sind so ganz anders als die Menschen, die ich bisher kannte. Ahmose und Emenas dagegen wirken sehr gebildet und vernünftig auf mich. Diese gemischte Gesellschaft ist neu für mich, aber ich fühle, dass mir hier niemand etwas Böses will. Allein wie wohl sich meine Kinder hier fühlen, zeigt mir, dass dies gute Menschen sind. Und sonst würdest du nicht entscheiden, uns hier zu verbergen.“ „Ich kann Euch einen der Soldaten hierlassen, wenn Ihr es wünscht“ schlug er ihr fürsorglich vor. „Dann fühlt Ihr Euch vielleicht nicht so verloren.“ „Ich fühle mich nicht verloren. Es klingt mir selbst ungewöhnlich, jedoch fühle ich mich hier frei und ungezwungen. Sicher habe ich großen Respekt vor den Trieben der Männer hier. Ich sehe ja, wie mich ihre Blicke entkleiden, aber ich denke nicht, dass Emenas solch einem Drängen nachgibt. Trotz der schroffen Männer hier fühle ich mich auf eine merkwürdige Weise sicher. Kannst du das verstehen?“ „Ich freue mich darüber und bin erleichtert, dass Ihr so empfindet“ antwortete er und legte seinen Kopf an ihren. „Ihr seid eine wundervolle Frau und eine gute Mutter. Ich würde es mir niemals verzeihen, Euch einem Leid auszusetzen.“ „Ich wünschte, Ephrab hätte so etwas je ernst gesagt“ seufzte sie schwer und schloss einen Moment ihre traurige Augen. Auch wenn sie sich heute besser fühlte, so würde ihr gebrochenes Herz mehr Zeit brauchen, um den Schmerz zu heilen. „Ihr werdet einen anderen Mann finden. Einen besseren Mann“ bestärkte er ihren kleinen Hoffnungsschimmer. „Er wird Euch auf Händen tragen und Euch über alles andere stellen. Krone, Adel und Macht werden ihm nichts bedeuten. Nur Ihr werdet sein Kleinod sein. Hierfür bete ich.“ „Bete lieber für meinen Gemahl“ bat sie mit beschwerter Stimme. „Ich sorge mich um ihn. Man trachtet sicher auch nach seinem Leben und dazu noch die Kämpfe an den Reichsgrenzen zu Libyen und Tschad. Er machte einen angespannten und überreizten Eindruck. Hoffentlich geht er als Sieger aus dieser Krise hervor.“ „Das wird er sicher. Und ich schwöre Euch, dass ich alles tun werde, um ihn und die Krone zu schützen. Und wenn es mich mein Leben kostet, ich werde für ihn streiten so weit meine Kraft reicht.“ „Du bist ein Segen für unseren Palast“ dankte sie, drückte ihn fort und blickte ihn mit verführerischen Augen an. Sie war eine so edelmütige und reinherzige Frau. Dem Pharao würdig. „Ich möchte dich noch etwas fragen, bevor du dich auf den Rückweg begibst.“ „Fragt nur“ lächelte er und nahm seinen Arm von ihr, um ihr nicht unnötig nahe zu treten. „Die Frage ist mir etwas unangenehm“ schickte sie zurückhaltend voraus. „Du kennst Emenas recht gut, oder?“ „Der Begriff gut ist fast übereilt“ musste er einschränken. „Wir haben uns für Jahre aus den Augen verloren und erst vor kurzer Zeit wiedergefunden. Ihr wollt sicher fragen, weshalb ich freundschaftliche Bande zu Gesetzlosen pflege.“ „Dies wäre meine fortführende Frage gewesen“ verneinte sie und senkte ihre Stimme in einen vertraulichen Ton. „Seth, bitte sag mir … ist Emenas ein Sklave?“ Er bemühte sich, nicht erschrocken zu wirken. Dennoch sandte ihm dieses Wort einen unangenehmen Schmerz durch den Rücken. „Wie kommt Ihr zu dieser Vermutung?“ tastete er sich zaghaft weiter. Sie war eine intelligente Frau und er wollte nicht, dass sie Dinge erfuhr, die er geheim zu halten suchte. Auch wenn sie sicher nicht auf ihn oder Emenas herabblicken würde … die Menschen waren schwer einzuschätzen. Lustsklaven waren niedriger noch als herkömmliche Sklaven. Ein Unterschied wie Haustier und Seuchenratte. „Ich habe seine Hände geschaut“ antwortete sie leise und achtete, dass nur Seth ihre Stimme hörte. „Mir ist aufgefallen, dass er sie stets unter langer Kleidung zu verdecken sucht. Und wenn er Gesten beschreibt, so dreht er seine Handrücken aus dem Blickfeld anderer. Ich habe ihn beobachtet und gesehen, dass er Narben in Form von Sklavenkreuzen trägt. Deshalb … weißt du etwas über seine Vergangenheit?“ „Und wenn es so wäre?“ fragte er mit gedämpfter, betont ruhiger Stimme. „Wenn er ein Sklave wäre, würdet Ihr ihn dann anders sehen? Dabei hatte ich das Gefühl, Ihr wäret ihm durchaus wohl gewogen.“ „Ich glaube, niemand wird freiwillig als Sklave geboren. Die Meinung des Pharao ist ebenso die meinige. Ich gestattete Dienerschaften, aber die Versklavung sehe ich als Schande für Ägypten. Ich denke, Sklaven sind gleichwertige Menschen. Sicher hat unser Reich noch einen langen Weg zu gehen, um das Denken der Menschen zu ändern. Doch ich hoffe, dass es eines Tages keine stigmatisierten Ägypter mehr geben mag. Und deshalb wäre Emenas für mich kein geminderter Mensch. Selbst wenn er das Kind von Sklaven sein sollte.“ „Ihr seid eine gütige Frau“ dankte er und senkte ehrungsvoll seinen Kopf. „Dann ist es wahr?“ schlussfolgerte sie vorsichtig. „Ist er ein Sklave? Hat es ihn deshalb in die Wüste verschlagen? Weil er geflohen ist?“ „Ich mag Euch nicht mehr erzählen als das, was er Euch selbst sagen möge. Bitte versteht das. Das Leben eines Sklaven kann viel Schande und schamhafte Erinnerungen mit sich bringen. Bitte fragt mich nicht weiter nach seiner Vergangenheit. Die Antworten sucht bei allem Respekt vor Eurer Frage bei ihm selbst.“ „Ich danke dir dennoch für deine Antwort“ nickte sie und sah ihm tief in die Augen. Sehr tief, forschend. „Dann magst du mir auch nicht beantworten, woher du ihn kennst? Weshalb ein Priester einen Ausgestoßenen seinen Bruder nennt?“ „Majestät … bitte fragt mich nicht weiter. Bitte wendet Euch mit Eurem Interesse an ihn. Er soll selbst von sich offenbaren, was er offenbaren möchte.“ „Ich frage mehr nach dir als nach ihm“ antwortete sie in einem vorsichtigen Ton und senkte unbedrohlich ihren Kopf. „Seth, so sehr ich deine Lauterkeit schätze …“ „Sprecht nicht weiter.“ Er konnte dem nichts entgegenwirken, als sich seine Augen mit Tränen füllten. Sie durfte es nicht wissen. Alles, aber nicht das. Sie sollte nicht an der Geschichte zweifeln, welche Atemu ihm gegeben hatte. Er könnte es nicht ertragen, wenn sie es erfuhr. „Bitte, geliebte Königin … dringt nicht weiter in mich.“ „Ist gut. Ich frage nicht weiter.“ Sie griff nach seiner Hand und blickte ihn traurig an, tröstend und liebevoll. „Ich werde nicht mehr darüber sprechen. Du bist ein Waisenjunge aus dem annektierten Grenzgebiet. Und ich werde nichts anderes gelten lassen. Das verspreche ich dir.“ „Danke.“ Er wischte sich die aufsteigende Feuchtigkeit fort und ärgerte sich über seine Unvorsicht. Sie hatte sein Herz in einem offenen Moment ertappt. Und er war mitunter ein so schlechter Schauspieler. Eine Schande. Vor allem eine Gefahr. Er musste lernen, damit umzugehen. „Nur eines noch, Seth. Weiß mein Gemahl davon?“ Er nickte nur zur Antwort und fühlte wie sie seine Hand drückten und ihm sanft den Arm berührte. „Ist in Ordnung“ flüsterte sie sanft. „Man merkt es dir wirklich nicht an. Ich habe einen schwachen Augenblick abgepasst. Nicht wahr?“ „Majestät …“ „Ist gut. Ich wechsle das Thema.“ Sie ließ ihn los und schenkte ihm klares, ehrliches und zärtliches Lächeln. „Hast du schon etwas gegessen? Ich habe heute Morgen den ersten Fisch meines Lebens gefangen. Vielleicht ist noch etwas davon übrig.“ „Bei dieser hungrigen Meute?“ Er bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen, selbst wenn sein Herz noch immer zu schnell schlug und die Unruhe seine Hände zittern machte. Sie wusste es. Er konnte nicht kombinieren, wodurch er sich verraten hatte, aber sie vermochte er nicht zu narren. Sie besaß eine scharfe Beobachtungsgabe. Eine Intelligenz ebenso groß wie ihre Schönheit. Es war ein gottgleiches Glück, dass der Königin ein so gütiges Herz zu eigen war. „Der Fisch einer Königin ist heilig“ scherzte sie und strich sich mit roten Wangen eine Strähne aus dem Haar. „Außerdem glaube ich, ist mir die Kunst der Zubereitung von Speisen nicht gegeben.“ „Ihr meint, Eure Gerichte schmecken scheußlich“ übersetzte er mit ein wenig mehr Heiterkeit. „Wenn du es so ausdrücken willst, widerspreche ich nicht“ „Und weil die Räuber es nicht wollen, bietet Ihr es mir an?“ „Du bist mit deinem Urteil vielleicht freundlicher“ hoffte sie, stand auf und hielt ihm voll der Freundschaft ihre feine Hand hin. „Die Räuber lachen nur über mich. Vielleicht sagst du mir, was mit dem Fisch nicht stimmt.“ „Wenn es Euch hilft, werde ich mich bemühen“ lächelte er, nahm ihre Hand und ließ sich ungewöhnlicher Weise von ihr aufhelfen. Ein wenig wunderte es, dass sie nicht einen Hauch von Befangenheit oder Abscheu vermerken ließ. Wenn sie nun wusste und vorher vielleicht sogar geahnt hatte, was vor seiner Priesterzeit gewesen war, wäre es nicht verwunderlich, hätte sie ihr herzliches Wesen zurückgezogen. Doch nichts war der Fall. Es schien sie nicht abzuschrecken, ihm weiterhin mit Freundschaft und Scherz zu begegnen. Zwar wusste sie nicht, welch unwürdige und schmutzige Sklavenarbeit er getan hatte, doch schien sie seine Bitte zu akzeptieren und ihr zu entsprechen. Sie sah in ihm einen Priester und den Geliebten des Pharao. Sie mochte ihn als Menschen und fragte nach nichts anderem. So grübelte er in seine Gedanken vertieft darüber, woher sie ein solch gütiges und offenherziges Wesen schöpfte, als er sie mit einem Mal stoppen spürte und selbst keinen Schritt mehr vorwärts tat. „Majestät?“ wunderte er sich und blickte zu ihr herab. „Ist etwas nicht …?“ Doch sie ließ ihn gar nicht aussprechen, sondern lockerte ihre Hand und schlug eine andere Richtung ein. „Emenas! Was denkst du, was du da tust?“ „Majestät?“ Seth folgte ihr vorsichtig als sie wild aufstampfte und schimpfend in eine andere Richtung verschwand. Als er ein paar Schritte um das Zelt herumtrat, offenbarte sich ihm, was die Königin bereits sorgenvoll erblickte. Dort saß Emenas in sein schwarzes Wüstengewand gekleidet, gelassen auf dem aufgestapelten Sattelzeug, hatte sich herabgelehnt und hielt eine Schlange fest am Kopf. Das allein war nicht schlimm, jedoch stand ihm der kleine Prinz zur Seite, welcher sich dieses Tier mit einer Mischung aus Ekel und Faszination zeigen ließ und es sogar zögerlich mit dem Finger berührte. Und das beunruhigte natürlich seine Mutter. „Mutter!“ Der junge Thronfolger blickte mit glänzenden Auge zu ihr auf und zeigte ein breites Lächeln. „Emenas hat eine Schlange gefangen! Er ist schneller als eine Schlange!“ „Und wohl auch unvorsichtiger“ vermutete sie und stemmte ihre Hände in die Hüften. Seth konnte beim Näherkommen nur darüber schmunzeln. Selbst die Königin konnte schimpfen wie ein Waschweib. „Mutter!“ Aber der Kleine war begeistert. „Emenas hat sie so gepackt und …“ „Mein Sohn, Ihr kommt an meine Seite“ beschloss sie nahm ihn unter den Armen und hievte ihn auf ihren Arm in Sicherheit. „Und du, Emenas“ blickte sie tadelnd zu ihm hinab, der ihr nur mit gleichtoniger Miene zu Füßen saß. „Was erlaubst du dir, meinem Sohn eine Schlange vorzuhalten? Wenn sie ihn nun beißt! Da wäre die Gefahr im Palast ja noch geringer gewesen.“ „Abunami“ seufzte er und stützte seine Arme auf die Knie, wobei er die zappelnde Schlange jedoch nicht losließ. „Diese Schlange besitzt kein Gift. Du kennst dich mit Tieren wohl ebenso wenig aus wie deine Kinder.“ „Werde nicht anmaßend“ warnte sie verstimmt. „Und du sei nicht überbehütend“ entgegnete er ruhig. „Der Prinz berichtete mir, er habe noch nie eine Schlange gefangen.“ „Muss er auch nicht. Wir haben Gefolgschaft, welche uns vor Kriechtieren bewahrt.“ „Hier draußen aber nicht.“ Er zog seine dunkle Augenbraue in die Höhe und musterte sie abschätzig von unten herauf. „Er ist ein Junge und Schlangen sind eine spannende Sache. In der Not kann man sie sogar essen. Geräuchert schmecken sie vorzüglich.“ „Wirklich?!“ Der Prinz schien die Sorge und die Zurechtweisungen seiner Mutter kaum zu hören. Viel zu fasziniert war er von Emenas und seinem unglaublichen Können. „Dein Sohn ist nicht nur ein Prinz, sondern wird auch irgendwann ein Mann sein“ lächelte er sie neckisch an. „Seine zukünftige Königin wäre sicher entzückt, wenn er sie vor solchen Tieren zu schützen vermag.“ „Auf dein Selbstlob gehe ich nicht weiter ein“ erwiderte sie trocken. „Aber Mutter! Ich möchte herunter!“ bettelte der Kleine und als Emenas seine Hand nach ihm ausstreckte, musste die Königin seufzen. Sie setzte den kleinen Jungen auf den Boden zurück und schon stand er wieder im Arm des Räubers, der viel spannender war als alle Männer, die er je getroffen hatte. Sogleich streckte er wieder seinen Finger aus und fuhr über den filigranen Kopf des hellbraunen Tieres, welches sich in dem starken Griff wand. Ja, er war eben auch nur ein Kind, welches gern mit Kriechtieren spielte. „Sie ist ganz warm“ bewunderte er das für ihn so seltsame Tier. „Willst du sie halten?“ bot er schmunzelnd an. „Emenas!“ „Mutter!“ Da drehte er sich schon zu ihr herum und seine großen Augen hielten ein Strahlen, welches Seinesgleichen niemals finden würde. „Darf ich?“ „Abunami“ lächelte Emenas sie schmeichelnd an. „Lass ihn doch seine Erfahrungen machen.“ „Wenn sie ihn beißt, werde ich mich persönlich rächen“ drohte sie, jedoch hörte man den Scherz heraus. „Sie beißt nicht. Das ist keine Giftschlange“ erklärte ihr Sohn, welcher sich erwartungsfroh zu Emenas hindrehte und begeistert anlächelte. „Stimmt doch. Nicht wahr, Emenas?“ „Selbst wenn sie eine Giftschlange wäre, so musst du jede Schlange immer am Kopf packen. Dann bist du vor jedem Biss sicher. Denn auch ungiftige Bisse können sehr schmerzhaft sein. Also gib Acht.“ Bei ihm hörte es sich so leicht an. Aber im Gegensatz zum Palastvolk lebte er mit diesen gefährlichen Tiere schon seit Jahren zusammen und kannte ihre Eigenheiten. „Am Kopf packen“ wiederholte der Prinz voller Gelehrigkeit und stand ganz steif vor Spannung. Diese für andere Kinder so selbstverständlichen Dinge, gestalteten sich für ihn als wahres Abenteuer. „Hier. Halte sie ganz fest. Ich hoffe, du hast Kraft in den Armen.“ „Kraft?“ Besorgt blickte er zu dem schwarzen Räuber hinauf und legte seine junge Stirn in Falten. „Ich bin noch ein Kind.“ „Aber du bist der zukünftige Pharao“ tadelte Emenas. „Natürlich hast du Kraft. Drücke lieber ein bisschen fester zu als zu lasch. Sonst nimmt dich als König nachher niemand ernst.“ „Ich werde lieber Räuber“ beschloss er und streckte seine Hand aus. „Ich drücke fest. Du lehrst es mich, ja?“ „Pass auf, es ist ganz leicht.“ Es war ein sonderliches Bild, dass der zukünftige Herrscher Ägyptens sich von einem gesetzlosen Ausgestoßenen so folgsam unterrichten ließ. Aber da Seth die Königin lächeln sah, fand auch er selbst ein warmes Gefühl um sein Herz. Der junge Prinz und der schroffe Räuber kümmerten sich kaum um die Umstehenden und schienen in ihrer eigenen Welt versunken. Was den Prinzen an ihm so begeisterte, war verständlich. Emenas besaß eine starke Stimme, sprach so gebildet, dass er ihn gut verstehen konnte, aber dennoch gebrauchte er Worte, welche ihn wild und fremd wirken ließen. Er war so aufregend wie eine Schlange. Mysteriös vertraut. Nur was der Räuber an dem Prinzen so verlockend fand, wusste er wohl selbst kaum. Vielleicht war es diese unverdorbene Unschuld, die er an sich selbst vermisste. „Jaaaaaaaa! Jaaaaaaa! Mutter! Mutter, sieh mal!“ Es war ein seltenfroher Jubelruf, welcher durch das Lager tönte. Der Prinz hielt ganz eigenständig seine erste Schlange zwischen den Fingern und strahlte weite als nur über sein Herz hinaus. Er war stolz auf sich und so aufgeregt, dass er ganz still stand und das zuckende Tier fixierte. Er spürte Furcht, aber gleichzeitig auch diesen erregenden Erfolg. Vorbei waren Sorgen und Bedenken. In diesem Moment spürte er einfach nur Freude. „Großartig“ lobte seine Mutter ihn gutmütig und blickte mit schimmernden Augen zu Emenas, welcher seinen kleinen Freund nicht aus den Augen ließ und selbst einen stolzen Eindruck machte. Jetzt war Seth sich sicher. Er konnte die Liebsten des Pharaos hier zurücklassen und sie wohl behütet wissen. Emenas würde für sie sorgen wie für die Familie, welche er niemals besaß. Und wenn er seinen Blick und den der Königin beschaute, war er sich gewiss, dass sich zwei Menschen fanden, welche einander viel zu geben vermochten. Die Königin würde im Räuberlager von ihrem gebrochenen Herzen abgelenkt werden. Und auch Emenas hatte weniger Gelegenheit, sich in Schwermut zu verlieren. „Aaaah! Sie zischt! Sie zischt!“ Und der Prinz würde die Welt außerhalb goldener Gitterstäbe entdecken. „Boss?“ Einer der Räuber war herangekommen. Ein hoch gewachsener Mann mit zu einem Zopf gebundenen, schwarzgrauen Haar und einer dunkelgelben Wüstenklufft, welche ihn vor Sonne und Sand schützte. Sein Gesicht war von vielen, kleinen Brandnarben übersäht und eines seiner Augen zeigte eine milchige Verfärbung. Seth wusste, dass man ihm das halbe Augenlicht ausgebrannt hatte. Soldaten des Königs, weshalb er den Palast ebenso hasste wie ein jeder hier. Aber er wusste auch, dass er Emenas ebenso treu war wie ein jeder hier. Er kniete sich neben ihn in den Sand und legte ihm die Hand aufs Bein. „Hoshptah“ sprach Emenas ruhig und wand deutlich seinen Kopf zu ihm um, damit der Räuber wusste, dass er ihn ansprach. „Schön, dass ihr sicher zurück seid. Sind alle unverletzt?“ „Ja. Danke“ nickte er und blickte besorgt zurück. „Bitte gib den Befehl zum Aufbruch.“ „Weshalb?“ Er kehrte keine Besorgnis heraus, aber er zeigte seinen Ernst aufgrund dieser Bitte. „Werden wir bedroht?“ „Noch nicht“ erklärte sein Kundschafter ruhig. „Aber nicht weit entfernt von hier in Doashreph Ankhnaph rastet eine fremde Armee.“ „Eine Armee?“ mischte Seth sich sogleich hellhörig ein. „Was für eine Armee?“ „Hunderte von Männern“ antwortete der Halbblinde mit rauer Stimme. „Vorwiegend in gelb und rot gekleidete Männer mit schweren Waffen und vielen Pferden. Mit Streitwagen und Nutztieren. So viele, dass sie zum Teil außerhalb der Stadt rasten. Söldner des Palastes sind diese Truppen nicht. Mehr wissen wir nicht.“ „Ephrabs Armee“ schlussfolgerte Seth und blickte die Königin besorgt an. „Sein Bruder Anhay auf dem Weg nach Pe-Amun.“ „Was macht dich da so sicher?“ Sie blickte ihn beunruhigt an und trat wohl eher unbewusst einen Schritt näher an Emenas heran, um ihre Hand auf seine Schulter zu legen. Er war jetzt ihr Beschützer … wobei jener dieses Vertrauen jedoch mit einem eher verwunderten Blick zur Kenntnis nahm, was die Königin nicht bemerkte. Sie sorgte sich nun um andere Dinge. „Die Armee von Libyen trägt farbig dunkle Uniformen mit roten Tüchern und Bändern. Also ist dies nicht die reisende Ras Lanuf“ erklärte Seth bedacht. „Selbst wenn Tschad hier einmarschieren würde, so trüge das Heer weiße Kleidung mit gelbem Besatz. Also muss es Anhay sein, welcher sich bereits angekündigt hat.“ „Woher diese Streitkräfte kommen, soll uns egal sein“ ergänzte der Halbblinde und blickte Emenas respektvoll an. „Mit ihrer Mannstärke und den schweren Waffen können wir es nicht aufnehmen. Wenn sie uns aufgreifen …“ „Ist gut, ich habe deinen Rat verstanden“ unterbrach Emenas ihn, bevor er Mutmaßungen anstellte, welche die Königin beunruhigen konnten. „Geh zu Rantep, damit er das Gesindel antreibt. Nach der Mittagshitze brechen wir gen Norden auf.“ „Warum gen Norden?“ wollte die Königin erfahren. Sie wirkte mit einem Mal recht nervös und besorgt über diese Nachricht. „Im Norden liegen keine fremden Reiche. Von dort wird uns denkbar keine Armee begegnen. Solang du mir Folge leistest, werden weder du noch deine Kinder Schaden nehmen. Also fürchte dich nicht“ erklärte Emenas und hob seine Hand. Er legte sie auf die der Königin, welche ihre auf seiner Schulter hielt. Seth bemerkte nun zum ersten Mal bewusst, dass er nach angenommener Gewohnheit seinen Handrücken bedeckte, damit niemand seine Sklavenkreuze erblickte. Er mochte dies durch seine helle Haut und die daraus folgende Sonnenscheu begründen. Aber er mochte nicht ahnen, dass die Königin dieses Verhalten bereits durchblickt hatte. Und er hoffte, sie möge ihn noch eine Weile in diesem Glauben belassen. „Ich fürchte mich nicht um uns. Ich vertraue darauf, dass die Götter dich in gutem Segen zu uns schickten. Emenas.“ Sie lächelte ihn an und blickte ihm einen ganzen Moment tief in die Augen, um ihren Worten Nachklang zu verleihen. Dann erst wand sie sich an Seth und tränkte ihre Stimme in Sorge. „Ich bete dafür, dass mein Gemahl der Gefahr ebenso entkommt wie wir. Wenn nicht nur Ephrabs Bruder, sondern auch noch Ras Lanuf den Palast belagern … ich will mir nichts ausmalen.“ „Dann werde ich mit Faari und Penu noch heute den Rückweg anschicken“ beschloss Seth mit einem Nicken. „Ich schwöre Euch, geliebte Königin, ich werde den Pharao mit meinem Leben schützen. So befreit Euch bitte von Eurer Sorge. Denn nicht nur ich, sondern ganz Ägypten steht hinter der Krone. Die Götter werden uns beistehen und unser Reich gestärkt aus dieser Krise leiten.“ „Und solang die Götter sich nicht bequemen, müssen wir uns selbst aufraffen“ meinte Emenas und erhob sich voll Tatendrang. Er griff nach der müde gewordenen Schlange, hielt sie ganz fest und blickte sie nachdenklich an. „Ich vertraue dir, Emenas“ sprach Seth mit gesenkter Stimme. „Im Zweifel hältst du Ägyptens Zukunft in den Händen.“ „Mit Ägypten und Zukunft habe ich nichts zu schaffen“ widersprach er und erwiderte Seths Vertrauen mit einem funkelnden Blick aus nachtdunklen Augen. „Mit Schlangen vermag ich leichter zu verfahren. Und auch du solltest im Zweifel auf das zählen, was du vermagst.“ Wie viel Wahrheit diese Worte bargen, würde Seth nicht weit später erfahren … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)