bloody angel von abgemeldet (Blut. Überall Blut...) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Blut. Überall Blut. Und mittendrin stand ein kleines Mädchen. Ihre schwarzen Haare waren zu zwei niedlichen Zöpfen zusammengebunden, doch das lange Pony überdeckte die linke Gesichtshälfte. Dieses Gesicht kannte ich, mir fiel nur nicht ein, woher. Das Mädchen trug ein langes, weißes Kleid und hinter ihrem Rücken schauten kleine Flügel hervor. Das Mädchen sah aus wie ein Engel. Ein Engel, der weinte. Der Engel passte nicht hierher. Sie schaute auf, sah mich mit ihren braunen Augen erschrocken an, versuchte wegzufliegen. "Nein! Bleib hier! Flieg nicht weg! Lass mich nicht allein." Der Engel blieb, ich ging einige, langsame Schritte auf ihn zu, streckte meine Hand nach ihm aus. Meine Hände waren voller Blut, trotzdem hielt mir der Engel seine Hand entgegen. Doch ich konnte sie nicht berühren, meine Hand ging einfach durch ihre hindurch. Sie schüttelte ihren Kopf und flog auf mich zu, flog in mich hinein. Ich spürte ihre Wärme und wusste nun, woher ich dieses Gesicht kannte. Das kleine Mädchen war ich und doch fürchtete sie sich vor mir, auch wenn wir zwei eins waren. Aber nun würde sie bei mir bleiben, für immer. Schweißgebadet wachte ich auf. Ich hatte Tränen in den Augen. Wieder hatte ich diesen seltsamen Traum gehabt, von diesem kleinen, weinenden Mädchen. Seit einem Monat träumte ich nun schon das Selbe und doch wusste ich immer noch nicht, was es zu bedeuten hatte. Ich war dieser kleine Engel, der sich vor mir fürchtete, das hatte doch alles keinen Sinn. Ich stand auf und zog meine Schuluniform, die aus einer weißen Bluse mit schwarzem Blazer mit dem Zeichen meiner Schule drauf, einem schwarzen Faltenrock, sowie schwarzen Knie-Strümpfen bestand, an, einschlafen würde ich jetzt sowieso nicht mehr. Auf dem Nachttisch lag mein Tagebuch, ich griff es und blätterte einwenig darin. Eigentlich hatte ich mit zwölf, also vor vier Jahren, aufgehört dort etwas hineinzuschreiben, aber nun schrieb ich diesen Traum auf, der so gar nicht in mein Leben passen wollte. Oder etwa doch? Ich musste ihn jedenfalls für heute aus meinem Kopf kriegen. Montags war der Bus immer halbwegs gefüllt, ich hatte mir allerdings noch rechtzeitig einen Zweier gesichert und schaute gelangweilt auf die Straße. In mehr als dreißig Minuten würde ich, wie fast jeden Tag, in der Schule festsitzen und darauf warten, dass dieser Montag sein Ende nahm. Doch zuvor stieg Jane in den Bus ein und setzte sich neben mich. "Na April, schöner Tag heut nich? Hast du schon Mathe gemacht, oder machst du das wieder kurz vorher? Ich glaub wir schreiben heute aber eine Kontrolle. Wie war eigentlich dein Wochenende? Ich muss dir unbedingt erzählen, was mir passiert ist! Also ich war bei ..." Und schon hörte ich ihr nicht mehr zu. Es ist schon erstaunlich, wie viel unsinniges Zeug ein Mensch vor sich her labern konnte. Nach fünf Minuten merkt sie meistens, dass ich ihr scheinbar nicht zuhöre. "Hey April, hörst du mir überhaut zu? Na ja, jedenfalls sagte ich daraufhin, ..." Und so ging es die nächsten fünfzehn Minuten weiter, während ich die Straßen, Häuser und Leute weiter beobachte, bis wir aussteigen mussten. Die nächsten fünf Minuten, die wir zur Schule liefen, wurde es auf einmal still von ihrer Seite. Jane war stehen geblieben. Sie schaute auf den Boden. Ihre braunen, kinnlangen Haare verdeckten ihr Gesicht. "Du kannst mir ruhig sagen, wenn ich dich störe, April. Du hast mir ja gar nicht zugehört! Noch nie hast du mir zugehört! Du magst mich doch genauso wenig, wie alle anderen! Los sag es schon, ich kann damit umgehen." Ich schaute sie völlig verdutzt an. "Jane das verstehst du völlig falsch. Ich mag dich, wir sind doch schließlich beste Freundinnen! Ich höre dir schon zu, zumindest die ersten Sätze, aber so viel Infos auf einmal, das merkt sich doch kein Mensch!" Ihr trauriges Gesicht verwandelte sich wieder langsam in ein fröhliches. "Und ich bin sicher, alle anderen mögen dich genauso, wie ich dich! Jetzt komm," ich griff ihre Hand und zog sie hinter mir her, "wir sind schon wieder spät dran. Und lach doch wieder, denn ohne dein Lachen bist du nicht mehr Jane, die wir alle so lieb haben!" Nun rannten wir beide vergnügt zur Schule. Jane war doch eine merkwürdiges Mädchen. Sie scheint immer so gutgelaunt, schwatzhaft und unbesorgt zu sein, doch eigentlich macht sie sich über so viele Dinge Gedanken und Sorgen wie kein anderer. Sie war so verletzlich und keiner außer mir wusste das. Nur noch zwei Physikstunden und ich würde endlich aus diesem verhassten Gebäude kommen. Nur zwei Physikstunden! "April, sag mal, hast du eigentlich immer noch diesen komischen Traum mit diesem weinenden Engel?", fragte Jane auf einmal. Ich nickte nur. "Und weißt du nun was er bedeutet?" "Nein. Dieses Mal aber war der Traum viel länger als sonst. Ich wollte nach dem Engel greifen, doch ich ging einfach durch ihn hindurch. Und dann ist dieser Engel in mich hineingeflogen! Irgendwoher wusste ich, dass ich dieser kleine Engel war." Ich musste ihr nicht unbedingt sagen, dass meine Hände voller Blut waren, als ich nach dem Mädchen greifen wollte. "Also bist du jetzt der kleine Engel. Man kann also auch sagen, das du weinst oder? Aber ich dachte er hat sich vor dir gefürchtet, das letzte Mal wollte er doch wegfliegen, nich? Also fürchtest du dich sozusagen vor dir selbst. Oh man, das wir mir langsam zu kompliziert! Wie soll man da wissen was er bedeutet? Ich geb's auf." "Ich versteh das genauso wenig wie du, aber mir will das Gesicht von ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Das ist echt zum verrückt werde!" Es klingelte zur Stunde, Jane verschwand an ihren Platz. Mr. Arthur Scott, unser Physiklehrer, kam in den Raum, sofort herrschte Totenstille. Eigentlich waren wir eine Chaotenklasse, aber bei diesem Lehrer nahmen wir uns alle in Acht, niemand konnte es sich leisten ihn als Feind zuhaben. Mr. Scott war vielleicht fünfzig oder älter, so genau wusste das kein Mensch, trug eine Brille, hatte kurze, graue Haare, wenige Falten und machte ein ziemlich strengen Eindruck. Und ein Perfektionist sowie ein Ordnungsfreak war er auch noch. Aber ausgerechnet wir bekamen ihn als Vertretung für den besten Physiklehrer den es überhaupt gab, Mr. Adam Ryan Barton. Alle durften ihn bloß Adam nennen, er war extrem nett, lustig, vielleicht Mitte zwanzig, hatte schwarze, kurze Haare mit blonden Spitzen, manche behaupteten sogar, er habe ein Tatoo, aber wo, wusste keiner genau, und Mädchenschwarm der ganzen Schule war er auch noch! Mich allerdings ausgeschlossen, ich fand ihn nur als Lehrer toll, nicht aber auf andere Art und Weise, wie der Rest der verrückten Schule. Warum wir da ausgerechnet Mr. Scott bekamen? Adam hatte einen Autounfall und lag im Krankenhaus, die gesamte Schule trauerte und schickte jede Woche Blumen. Der arme Kerl, bald war auch noch Valentinstag, da konnte er sich wieder auf etwas gefasst machen. "Ms. April Stone, hören Sie mir überhaupt zu? Ms. Stone? Wiederholen Sie bitte denn letzten Satz!" Ja und ausgerechnet ich war sein Lieblingsopfer. Dieser Montag war wieder für mich gelaufen. "Tut mir leid Mr. Scott, ich war in Gedanken." "So, so, Sie waren in Gedanken. Dann können Sie sich sicherlich auch denken, dass Sie sich damit zwei Stunden Nachsitzen eingehandelt haben. Und jetzt wiederholen Sie bitte Ihren letzten Satz Mario. Und dieses Mal möchte ich Sie bitten, Ms. Stone, zuzuhören, denn noch einmal wiederholen wir nicht alles!" Mit diesen Worten ging er zum Lehrerpult, um mich ins Klassenbuch einzutragen. Das war schon der fünfzehnte Tag, an dem ich bei ihm nachsitzen musste. Und jedes Mal wegen solchen kleinen Sachen. Vor genau zwei Monaten hatte das alles angefangen. Ich hasste Montage! Meine Mutter würde mich wieder grün und blau schlagen, damit ich endlich Vernunft annahm und mich zusammenreißen würde. Und mein Vater würde mich wieder eine Woche lang in meinem Zimmer einsperren. Ein echt tolles Leben, was ich da führte, aber ich konnte nichts dagegen tun, es war aussichtslos. Beklagen wollte ich mich allerdings auch nicht, manche Kinder lebten viel schlechter als ich, also hatte ich gar kein Recht rumzujammern. Es klingelte zur Pause und Jane kam zu mir. "Man, du kannst einem aber auch echt leid tun! Der hat dich echt auf'm Kicker. Und jedes Mal musst du wegen so was nachsitzen, echt mies! Ich möchte echt nicht in deiner Haut stecken!" "Wem sagst du das. Ich hasse ihn so! Kann er mich nicht einmal in Ruhe lassen? Jedes Mal krieg ich riesigen Stress zu Hause, wegen ihm. Ich hab Angst, ich will nicht nachsitzen." "Angst? Aber du musst doch nur nachsitzen. Jetzt übertreibst du aber echt!" "Schön wär's." Jane schaute mich komisch an. "Ach, das mein ich nicht so.", sagte ich, um sie wieder zu beruhigen. Aber eigentlich meinte ich es so, wie ich es gesagt hatte. Die zweite Stunde verging schneller, als die Erste. Und schon ertönte wieder die Schulglocke. Alle schnappten ihre Sachen und rannten fröhlich aus dem Zimmer, für sie begann jetzt der schönere Teil des Tages. Doch für mich begann jetzt das Grauen. "April, komm bitte zu mir. Da dies nun schon unser fünfzehnter gemeinsamer Nachmittag ist, können wir doch Du zueinander sagen, nicht war?" "Ja, Mr. Scott." Ich stand immernoch neben meinem Tisch. Er stand auf, ging zur Tür, schloss sie ab, ging zurück zum Lehrerpult und setzte sich wieder in seinen schwarzen Sessel. "So als erstes müssten wir klären, was ich dir als Extraaufgaben für zu Hause gebe." Er griff nach einem Zettel und schrieb einige Zeilen. "So das hätten wir. Jetzt komm schon her April, du kennst den üblichen Teil doch! Oder muss ich dich an die Bilder von dir erinnern, die deine Eltern bestimmt brennend interessieren würden?" Wie war er bloß an diese Bilder gekommen? Sie waren das einzigste Mittel, mit dem er mich festhalten konnte. Ich dachte, mich würde niemand sehen, als ich mir den Fünfzig-Dollarschein von der alten Dame nahm, doch dabei hatte mich dieser Mistkerl fotografiert! Aber das war nicht das einzigste Bild von mir, es gab noch drei weitere. Ich war einfach zu blöd und hab mich von ihm erwischen lassen, würden diese Fotos an meine Eltern kommen, ich wäre tot und im Gefängnis. Dann wären meine schönen Pläne für die Zukunft kaputt. Aber dafür durfte ich das hier durchmachen, was nicht wirklich besser war. "Nun?" Er schaute leicht fragend zu mir, stand auf und ging langsam zu mir. "Du kleines Biest, willst du mich verärgern? Willst du dir deine Zukunft verbauen, mit solchen blöden Dingern? Ich weiß, das du mich hinter Gitter bringen kannst, aber das willst du doch sicher nicht, solang ich die Negative davon besitze, nicht wahr April?" Er widerte mich an. "Und solange du schweigen kannst, wird auch niemand etwas davon erfahren. Du wirst doch schweigen oder?" Mir blieb nichts anderes übrig. "Ja, Mr. Scott." Meine Stimme zitterte und versagte letztendlich. "Braves Mädchen und jetzt stell dich nicht so an!" Ich wisch einige Schritte zurück, bis ich an der Wand nicht mehr weiter konnte. "Du kannst nicht weg und die Tür ist verschlossen. Wehr dich also nicht, du kommst hier sowieso nicht raus." Ein grausames und amüsantes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Er kam immer näher, ich schloss die Augen und konnte seinem Atem auf meiner Stirn spüren. Seine Hand strich an meiner Wange entlang, an meinem Hals hinunter und immer weiter herunter. Er lehnte sich gegen mich, küsste meinen Hals. Langsam knöpfte er meine Bluse auf. Eine Träne lief an meiner Wange herunter. Ich wollte das nicht, er sollte aufhören, mich endlich in Ruhe lassen. Doch er hörte nicht auf. Ich war wie gelähmt, konnte mich nicht gegen ihn wehren. Wann würde das alles nur ein Ende haben? "Mom, Dad, ich bin wieder zu Hause!" Ich schloss die Haustür hinter mir. Es war schon um sechs, obwohl ich mich so sehr beeilt hatte, und das war eindeutig zu spät. Meine Mutter kam aus der kleinen Küche und schaute mich verärgert an. "Wo warst du so lange? Du solltest mir im Haushalt helfen! Musstest du wieder nachsitzen?" Ich schüttelt den Kopf. "Mr. Scott hat mir heute nur das neue Thema erklärt und mit mir noch einmal über mein Verhalten gesprochen. Ich habe versprochen, dass ich mich nun benehmen werde." Der Tag war schon genug für mich, da brauchte ich nicht noch die Predigt von ihr. "Ich geh hoch auf mein Zimmer Hausaufgaben machen, ruf mich wenn ich das Essen machen soll." Mit diesen Worten verschwand ich nach oben. Meine Mutter brüllte noch: "Fräulein! Bleib gefälligst hier, wenn ich mit dir rede! Das ist ja nicht zufassen, komm sofort wieder runter und mach die Wohnung sauber! Denkst du, ich mache das immer für euch?! Ich habe auch noch anderes zutun! April!" Ich wollte jetzt nicht wirklich die Wohnung sauber machen und erst mal müsste ich auch duschen. Also schloss ich meine Zimmertür und machte mich noch an die Hausaufgaben, die mir dank Mr. Scott ganze drei Stunden raubten. Ich ging wieder nach unten, in die Küche, doch als ich am Wohnzimmer vorbei kam, sah ich meinen Vater, wieder mit einer Bierflasche in der Hand auf der Couch vor dem Fernseher. Es war jeden Abend das selbe Bild. Ich konnte nur hoffen, das er mich heute in Ruhe lassen würde. Der Bluterguss am Rücken war immer noch nicht weggegangen. Aber er konnte ja nichts dafür, das er arbeitslos war und sich nur besaufen konnte, und was er dann betrunken tat, wusste er am nächsten Tag sowieso nicht mehr. Eigentlich war er ein netter Mensch, wenn er nicht trinken würde. Mom hatte nur eine kleine Stelle im Supermarkt um die Ecke, wir waren froh, dass wir uns diese Wohnung noch leisten konnten. Aber deswegen musste ich den Haushalt schmeißen. Was auch nicht wirklich toll war, neben den vielen Extraaufgaben von Mr. Scott. Ich machte mich daran, das Essen zu machen und den Tisch zudecken, nebenbei machte ich noch die Küche sauber. Zusammen essen würden wir nicht, da mein Dad betrunken war, also aß ich schnell einen Happen und ging wieder nach oben, um mich endlich duschen zukönnen. Dann legte ich mich schlafen, diese Nacht würde der kleine Engel wieder weinen. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Überall war Blut und mittendrin wieder dieses kleine Mädchen mit den zwei Zöpfen, das weinte. Es schaute mich erschrocken an, wollte wegfliegen. "Nein! Bleib hier! Flieg nicht weg! Lass mich nicht allein!", rief ich. Sie blieb, ich streckte meine Hand, die voller Blut war, nach ihr aus und ging durch ihre hindurch. Sie schüttelte den Kopf, flog in mich hinein. Diese Wärme, sie war angenehm. Plötzlich waren da Schritte und ein grausames, aber vertrautes Lachen. Ich drehte mich um und da stand er vor mir, Mr. Scott! "Nein! Lassen Sie mich endlich in Frieden! Ich will nicht mehr!" Dann rannte ich, ich rannte um mein Leben. Er durfte mich nicht kriegen, er durfte einfach nicht! Das Mädchen weinte wieder in mir, sie hatte Angst, schreckliche Angst, ich konnte sie spüren. "April! Wach doch auf. April!" Ich öffnete meine Augen. Mein Herz raste und ich war wieder schweißgebadet und mit Tränen aufgewacht. Doch meine Mutter saß auf meinem Bett und sah mich besorgt an. "Was ist passiert? Wieso bist du hier?", fragte ich sie. "Du hast im Schlaf geschrien. Ist alles in Ordnung mit dir?" Ich nickte nur. "Okay, ich hol dir noch ein Glas Wasser und dann kannst du weiter schlafen." "Danke Mom." Sie ging aus dem Zimmer. Langsam beruhigte ich mich wieder. Mein Traum entwickelte sich allmählich zu einem Alptraum. Aber nun wusste ich, dass der kleine Engel nicht vor mir Angst hatte, sondern vor Mr. Scott. Meine Mutter brachte mir das Glas Wasser und setzte sich wieder neben mich auf mein Bett. So hatte sie sich noch nie um mich gekümmert, sie schien sich richtig Sorgen um mich zu machen. "Ist auch wirklich alles in Ordnung?" Wieder konnte ich nur nicken. Ich konnte ihr unmöglich all das erzählen, ich konnte ihr doch nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten. Sie musste sich doch schon um Dad kümmern. Das konnte ich ihr unmöglich noch zumuten. Aber was sollte ich dann machen? Wie lange würde ich das noch aushalten? Dienstage waren nicht wirklich besser als Montage, zwar hatten wir kein Physik, so musste ich wenigstens nicht Mr. Scott in die Augen sehen, allerdings hatten wir bei unserem Direktor Mr. Edmund Nolan Unterricht. Seit dem ich in Physik das erste Mal nachsitzen musste, war ich ihm nicht mehr besonders wohlgesonnen. Ständig musterte er mich komisch. Er dachte, ich hätte Mr. Scott schon ziemlich Probleme bereitet, denn er kannte ihn nur als netten Menschen. Die Wahrheit würde er sowieso nicht glauben. Am Abend wollten sich alle auf einer Party treffen. Jane fragte mich, ob ich nicht mitkommen wollte. Sie meinte, dass ich mal wieder einen Tapetenwechsel vertragen könnte. Letztendlich sagte ich zu. Sie hatte wie immer Recht, ich könnte wirklich mal wieder Ablenkung vertragen. Vielleicht würde es mir danach auch etwas besser gehen, wer wusste das schon? Und wenn ich nicht hingehen würde, würde ich es auch nie herausfinden. Also beeilte mich, um nach Hause zukommen, erledigte meine Aufgaben und zog mich für die Party um. Ich legte einen Zettel für meine Mutter auf den Küchentisch, auf dem stand, dass ich spätestens um Mitternacht wieder zu Hause wäre und ging aus dem Haus. Draußen war es schon dunkel, ich ging auf irgendeiner Straße entlang, nicht weit von dem Haus, in dem die Party steigen sollte, entfernt. Ich wohnte vielleicht nur fünfzehn Minuten weit weg von hier, trotzdem kam mir der Weg viel länger vor. Es wurde einwenig kühl, ich fror etwas in meinem dünnen, schwarzen Kleid. Man konnte schon von weitem die Musik hören, es war vielleicht nicht mein Geschmack, es konnte schließlich nicht jeder auf eher düstere Texte stehen, aber man konnte es aushalten. Jane sah ich gleich an der Haustür, sie knutschte mit irgendeinem blondhaarigen Typen rum, ließ ihn allerdings links liegen, als sie mich kommen sah. "Hey, du bist ja doch noch gekommen! Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben." Ihr relativ buntes Kleid, was sie über einer Jeans trug, schlug im Wind Falten. Sie hatte ihre Haare kunstvoll hochgesteckt, so das ihr keine noch so kleine Strähne ins Gesicht fallen konnte. Jane schleppte mich ins Haus, wo noch mehr Pärchen sich in irgendwelche Ecke verzogen hatten. Ich schaute mich um, weg von ihnen, dieser Anblick deprimierte mich irgendwie. Sie schienen alle glücklich auszusehen. Jane führte mich weiter, durch einen Raum und hielt schließlich im nächsten an. Dieser Raum war größer als alle anderen, durch die ich gerade gekommen war, und weiter hinten, hinter der tanzenden Menschmaße, konnte man eine kleine Bühne, wo sich eine Möchtegernrockband versuchte, erkennen. Jane verschwand schon in der Maße und war auch nicht wieder zufinden. Vielleicht war sie wieder raus zu ihrem Freund gegangen. Ich setzte mich in einen Sessel, der gerade frei geworden war, nach dem mir jemand einen Plastikbecher mit Bier in die Hand gedrückt hatte. Zögerlich nippte ich einpaar Male, was schadet es, wenn ich einfach meine Probleme ertränken würde? Würde das überhaupt helfen? Für heute würde es mir zu mindestens reichen, doch was würde morgen sein? Ach, ich sollte wirklich nicht so viel nachdenken, das wäre auf jeden Fall besser. Und ehe ich mich versah, war der Becher auch schon leer, ich stand auf und schmiss ihn bei der nächst besten Gelegenheit weg. Doch kaum war dies geschehen, hatte ich auch schon den nächsten Becher in der Hand. Ach was soll's, dachte ich mir, und kippte ihn hinter. Das ging vielleicht noch fünfmal so weiter, genau zählte ich nicht, war ja auch eigentlich egal. Die Party zog sich weiter hin, irgendwann befand ich mich in der tanzenden, oder besser gesagt, herumspringenden Menschenmaße, ohne eigentlich zu wissen, wie ich dort hinein geraten war. Ich versuchte wieder nach draußen zukommen, auch wenn das nicht all zu leicht war, da ich ständig über Körperteile stolperte und weggedrängt wurde. Als ich endlich im Garten angelangt war, blies mir der kalte, frische Wind ins Gesicht und durch meine langen Haare. Es war angenehm, ich fühlte mich wie befreit und als ob ich durch die Luft fliegen könnte. Mir war etwas schwindlig und so setzte ich mich auf die kleine Treppe, die von der Terrasse auf die kleine Wiese führte. Der Garten war auch einigermaßen überfüllt, viele hatten sich in kleinen Gruppen um den Pool zusammengesetzt. Ach ja, der Pool, wenn ich mich nun hineinlegen würde, würde ich ertrinken. Das Schwindelgefühl nahm zu, jetzt würde ich nicht mehr schwimmen können. Ich würde einfach auf den Boden sinken und wahrscheinlich bewusstlos werden. Irgendwie gefiel mir diese Vorstellung. Meine Probleme würden sich einfach lösen, es würde alles ein Ende haben. Aber wollte ich sterben? Sicher war ich mir nicht, doch was sollte ich sonst noch machen? Mr. Scott entkam ich nicht einfach so, nur wenn ich sterben würde. Und dann würde er sich vielleicht schuldig für meinen Tod fühlen. Oder nicht? Er würde sich sein Leben lang schuldig fühlen, wenn er überhaupt noch lange genug lebte. Aber das konnte ich meiner Mutter nicht antun, sie würde doch mit Dad nicht mehr fertig werden. Aber vielleicht würde Dad dann auch aufhören zutrinken. Ich schüttelte meinen Kopf, so konnte es doch nicht weiter gehen! Ich hatte mich doch sonst auch nicht unterkriegen lassen, wieso sollte ich jetzt nachgeben? Ich durfte nicht aufgeben, irgendwo gab es die Lösung für mein Problem, ich musste sie nur finden. Und wenn nun Selbstmord die einzigste Lösung war? Ich hatte damals nie gedacht, das ich jemals an Selbstmord denken würde. Aber damals war mir auch nicht bewusst, dass man so leicht auf diesen Gedanken kommen konnte. Wieder schüttelte ich meinen Kopf. Irgendwie musste ich diesen Gedanken wieder los kriegen. Ich entschloss mich nach Hause zugehen, vorher aber noch Jane zu suchen, also zwängte ich mich wieder durch die Menschenmaße und gelangte schließlich zur Haustür. Und dort saß Jane wieder mit diesem blonden Typen. Ich sagte ihr noch im Vorbeigehen tschüs und ging nach Hause. Es war vielleicht kurz nach zwölf, als ich nach Hause kam. Ich hatte mich zwischendurch noch verlaufen, passiert halt, wenn man sich nicht mehr auf den Weg konzentrieren konnte. Leise schloss ich die Haustür auf, ich fürchtete, dass mein Dad wach werden könnte. Doch dann gäbe es ziemlichen Ärger. Dad mochte es nicht, wenn man ihn noch so spät weckte. Ich ging ins Haus, schloss vorsichtig die Tür hinter mir und wollte gerade die Treppe rauf in mein Zimmer gehen, als meine Mutter aus der Küche kam. "Hi Mom. Ich geh sofort schlafen. Ich habe auch alle Aufgaben gemacht. Es war wirklich nur eine Ausnahme heute!" Sie schaute mich einwenig traurig an. Es war nicht das gewesen, was sie hören wollte. Sie nahm mich in den Arm. Ich stand völlig überrumpelt da, was hatte sie nur? "Ach April, was soll ich noch alles machen? Hast du irgendwelche Probleme, dass du dich so verhalten musst?" Sie ließ mich los und sah mich fragend an. Ich schüttelte meinen Kopf. Was wollte sie nur von mir? Hatte ich irgendwas falsch gemacht? "Deine Schule hat heute Nachmittag angerufen. Man sagte mir, dass du gestern wieder nachsitzen musstest. Warum hast du mir erzählt, dass dein Physiklehrer dir das neue Thema erklärt hat? Wieso hast du mich angelogen? Ich mache mir langsam Sorgen. Kannst du mir dein Verhalten erklären, wieso du ständig bei Mr. Scott nachsitzen musst?" "Ich ... ich kann es dir nicht erklären. Ich kann nicht. Versteh doch, ich geb mir ja schon aller größte Mühe, aber bei jedem noch so kleinen Fehler von mir, lässt er mich nachsitzen! Ich kann doch nichts dafür!" Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich wollte doch auch, dass das ein Ende hatte. Ich musste an morgen denken, wenn wir wieder Physik hatten, ich müsste wieder nachsitzen. Meine Mutter schaute mich komisch an. Das hielt ich nicht mehr aus, wie konnte sie nur einfach dastehen und mich so ansehen? Ich rannte hoch in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Wenn ich noch mehr gesagte hätte, wäre ich aufgeflogen. Ich durfte mich nicht noch einmal verplappern, das hätte schlimmere Folgen. Mr. Scott würde auffliegen und ich im Gefängnis landen. Wie kam ich dort nur wieder raus? Wie sollte ich das alles beenden? Wie? Es klopfte an meiner Zimmertür. "April?" Es war meine Mutter, hatte sie irgendwie Verdacht geschöpft? "Nein! Lass mich in Ruhe, ich will nicht darüber reden!" Sie rüttelte an der Türklinke. "Bitte mach auf! Ich muss doch wissen, was mit dir los ist! April, bitte, mach auf!" "NEIN!!", schrie ich, danach war nichts mehr von ihr zu hören. Ich legte mich auf mein Bett. Warum ich? Warum ausgerechnet ich? Warum nicht jemand anderes, jemand, der damit zurecht käme? Gibt es überhaupt Mensch, die so etwas verkraften konnten? Ich wollte nicht wirklich weiter darüber nachdenken, meine Situation würde ich selbst meinen schlimmsten Feinden nicht wünschen, das stand fest. Aber es musste doch einen Weg geben, wie ich mich, wenigstens für morgen, vor ihm retten konnte, das ich nicht nachsitzen musste. Und wenn ich ihm einfach keine Chance gab, mich nachsitzen zulassen? Wenn ich mich wirklich wie ein perfekter Streber benahm? Wie sollte er dann einen Grund haben? Er hätte keinen Grund, er konnte auch keinen erfinden, dafür waren zu viele Schüler anwesend, die meine Unschuld beweisen konnten. Das war perfekt. Nur einen kleinen Hacken erkannte ich wenig später: ich musste mich wie ein Streber verhalten, dementsprechend auch auf jede Frage eine passende Antwort haben. Wie sollte ich das nur wieder anstellen? Mein Blick wanderte über mein vollgestopftes Bücherregal, um ein Physikbuch oder ähnliches ausfindig zu machen. Und wenige Sekunden später hatte ich auch eins gefunden. Ich stand auf und holte es, um mich dann gleich darüber herzumachen. Ich durchblätterte es erst, dann suchte ich das Thema ,mechanische Wellen', blätterte es etwas durch und bemerkte, dass es mehr Seiten umfasste, als ich für möglich gehalten hatte. Wie sollte ich das nur alle bis morgen auswendig können? Noch dazu verstehen? Ich blätterte also wieder zum Anfang zurück und begann alles durchzulesen. Es würde eine lange, schlaflose Nacht für mich werden, wenigstens träumte ich aber nicht, was wirklich nur ein sehr geringer Trost war. Die Stunden wollten nicht vergehen und nach nur einer Stunde hatte ich alle Seiten durchgelesen, doch kaum etwas behalten. Also fing ich wieder von vorne an und wieder und wieder. Letztendlich gab ich es auf, auswendig konnte ich es vielleicht, aber verstanden hatte ich es nicht. Ich ging zu meinem Schreibtisch, schaltete meinen PC an, in der Hoffnung, er würde funktionieren. Er brauchte zwar drei Anläufe, doch dann lief er einwandfrei. Ich begab mich im Internet auf die Suche und wurde auch fündig. Es gab einige Beispiele im alltäglichen Leben für Wellen, die Wellen im Wasser waren natürlich mehrfach vertreten, aber auch die Schallwellen waren vorhanden. Und je mehr ich darüber las, desto mehr verstand ich es auch, zwar langsam, aber es war ein Fortschritt. Ich lernte innerhalb kürzester Zeit etwas über ihre Eigenschaften, ihre Entstehung, ihre Reflexion, ihre Brechung, ihre Beugung, ihre Ausbreitung und ihre Interferenz. Im Nachhinein fand ich alles sogar einfacher, als ich gedacht hatte, was mich wirklich verblüffte. Mich interessierten allerdings mehr die Wellen auf dem Wasser, schließlich waren sie etwas Romantisches und ich fand, dass sie etwas Beruhigendes hatten, wenn man ihnen zuschaute. Ich war schon immer eine Träumerin. Die Stunden vergingen nun rasend schnell und ehe ich mich versah, strahlte mir auch schon die Sonne ins Gesicht und mein Wecker klingelte drauflos. Ich schaltete meinen PC aus, dann endlich meinen Wecker, schnappte meine Schulkleidung und verschwand im Bad, um dann zwanzig Minuten später fertig für die Schule wieder heraus zukommen. Schließlich packte ich meinen Schultasche, da ich ja die Bücher fürs Lernen mit nach Hause genommen hatte, ging nach unten in die Küche, machte mir etwas zu Essen zum Mitnehmen und lief zur Haltestelle meines Busses. Bis Jane einstieg befasste ich mich wieder mit meiner Lieblingsbeschäftigung im Bus, dem Betrachten der Häuser und Straßen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)