Der liebe Alkohol
Tyson hatte Kais warnenden Blick zur Kenntnis genommen und wollte sich eigentlich auch daran halten. Schließlich wollte er die Stimmung nicht noch mehr verschlechtern. Doch in dem Moment, als er mit Kane die Bar betrat, wusste er, dass es sinnlos war.
Heute war scheinbar Pärchentag...ja heute würde er sich die Kante geben...er seufzte leicht und drängte die Gedanken an Ray zurück. Er wollte jetzt wirklich nicht über ihn nachdenken. Dicht hinter Kane schob er sich zu einem freien Platz und ließ sich nieder, während sein Freund für sie bestellte. Der Alkohol versprach zumindest eine kurze Ablenkung von seinem Leben.
Das Leben war aber auch so was von unfair. Seine große Liebe liebte seinen besten Freund. Er seufzte. Ja, das heute Abend würde ihm gut tun. Etwas vergessen..sich etwas fallen lassen und morgen früh wieder der alte fröhliche Junge zu sein...Diese drei Menschen waren schließlich die einzige Familie, die er hatte, mit seinem Großvater.
Kane trat mit zwei Gläsern zu ihm und ließ sich neben ihm nieder. Ein Glas reichte er dem Blauhaarigen, der es und auch gleich einen kräftigen Schluck nahm. Er hatte völlig abgeschaltet. Kanes Gerede bekam er nur noch am Rande mit. Viel wichtiger war es ihm, mehr Alkohol in sich hineinzuschütten und Ray zu vergessen. Das süße Vergessen lockte ihn. Der Chinese konnte ihn mal. Der wusste nicht, was er verpasste.
An dem Abend bekam er von ein paar Kerlen Drinks spendiert, die er nur zu gerne annahm. Das Kane immer schlecht gelaunter wurde, bemerkte er schon gar nicht mehr. Irgendwann stand er auf. „Lass uns gehen Tyson.“
„Geh schon vor...ich bleib noch...“
„Ich lass dich hier nicht allein...“
„Ich brauch keinen Babysitter.“
„Wenn du meinst...“
Tyson schaute ihm nach, verdrängte die aufkommenden Gedanken gleich wieder. Vergessen, Spaß haben... aber das hatte er nicht...wenn er ehrlich war, interessiert ihm keiner der Kerle...sie waren ganz okay...aber eher langweilte sich...außer sich auf die Kosten von ihnen besaufen, konnte er nicht... sie brachten ihn nicht zum Lachen, sie lenkten ihn nicht ab...sie brachten ihn nicht zum Nachdenken...vielleicht sollte er auch gehen... nach Hause... Langsam stand er auf. Sein Blick glitt über die Massen. War das nicht Tala? Vorsichtig bewegte er sich zu dem Rothaarigen.
„Tala?“
„Was ist?“
„Ähm...nichts...“
Er setzte sich neben ihn und ignorierte die hochgezogene Augenbraue. So was kannte er schon von Kai, dass war nun wirklich nichts Besonderes mehr. Ob noch irgendein blöder Spruch kam? Aber darauf wartete der Blauhaarige vergebens...nicht dass er unbedingt beleidigt werden wollte, aber meistens ließen sie sich die blöden Sprüche nicht nehmen...stattdessen hörte er, wie Tala für ihn ein Getränk mitbestellte. Beschweren würde er sich sicher nicht...
Er nuschelte ein Dankeschön als er das Getränk in den Händen hielt und einen Schluck nahm. Den Blick des anderen konnte er förmlich auf sich spüren... hatte er irgendwas im Gesicht? Vorsichtig schielte er zu dem Rothaarigen, der grinste.
„Was gibt es da zu grinsen?“, kam es vom ihm.
„Och nichts...ich dachte nur, dass du ganz süß sein kannst, wenn du denn Mund hältst.“
„Was soll das denn heißen?“, brauste er auf.
„Was wohl? Wenn du deinen Mund auf machst, dann nervst du, also halt lieber die Klappe.“
„Ich nerve gar nicht! Ich bin lustig und unterhaltsam!“
„Sicher... man kann sich gut über dich lustig machen!“
„Wag dich!“, plusterte er sich auf.
Tala musste Lachen, das sah einfach zu herrlich aus. Wütend starrte Tyson ihn an und kippte dann den Rest seines Getränks über ihn aus.
„Sag mal spinnst du?!“, schrie Tala nun wütend.
„Selbst Schuld.“, murrte der andere nur.
„Das kriegst du zurück.“
„Viel Spaß dabei!“
Sie starrten sich beide böse an. Dann drehte sich Tyson wieder dem Tresen zu und bestellte sich ein neues Getränk...warum hatte er das kostbare Gesöff noch mal über ihn ausgeleert? Auch egal... Tala hatte es ja bezahlt...zufrieden nahm er einen tiefen Schluck aus seinem neuen Getränk. Der andere war auf die Toilette verzogen, um zu retten, was zu retten war. Doch der junge Japaner vermisste ihn nicht. Er konzentrierte sich ganz auf das Trinken...er hatte halt doch nach Hause gehen sollen.
Nach Ewigkeiten trat Tala wieder an die Bar, nur um festzustellen, dass der Kleine immer noch trank... inzwischen waren seine Augen leicht glasig. „Noch alles okay?“ Der Angesprochene nickte leicht und nahm einen neuen Schluck. Kurz überlegte der Rothaarige so sauer er auch auf den Kleinen war... er konnte ihn hier schlecht alleine lassen in diesen Zustand... irgendwie musste er ja noch wieder nach Hause kommen.
Kaum hatte er sich gesetzt, begann der andere, ihm auch gleich das Herz auszuschütten. Es war nicht leicht, den Erzählungen zu folgen...denn inzwischen war der Junge nicht nur leicht angetrunken. Auch wenn er sich heute früh noch darüber lustig gemacht hatte. So wusste er, wie es war, eine unerwiderte Liebe zu spüren, und ein ganz kleinwenig hatte er Mitleid mit Tyson...aber nur minimal...
Er seufzte und machte sich daran, den anderen nach Hause zu bringen. Wenigstens wehrte sich dieser nicht, sondern folgte ihm brav. Sie nahmen sich ein Taxi, da laufen mit dem Blauhaarigen keine so gute Idee war, wie Tala fand. Aber so ging es alles. Er half ihm aus dem Auto und begann, in den Taschen nach dem Schlüssel zu suchen. Schließlich war er selbst nur zu Besuch und hatte natürlich keinen...
Zum Glück wurde er schnell fündig und schloss die Haustür auf und verfluchte Kai, dass sie in einer Wohnung im fünften Stock wohnten und es keinen verdammten Fahrstuhl gab. Dachte der eigentlich nur ans Training? Also musste er Tyson so da hochkriegen und scheinbar würde er ihn tragen müssen. Da dieser Idiot es doch glatt gewagt hatte einzuschlafen. Aus Erzählungen wusste er, dass so gut wie gar nichts ihn jetzt wecken konnte. Heute war doch ein echt verfluchter Tag... grummelnd hob er Tyson an und trug ihn die Treppen hoch.
Er war froh, als er endlich die Wohnungstür erreichte, und schloss auf. Vorsichtig legte er den anderen auf der Coach ab und entledigte sich erstmal seiner Sachen, bevor er wieder abschloss. Kurz atmete er durch und wand sich wieder dem Problemkind zu. Nicht unbedingt vorsichtig begann er, ihn zu entkleiden, doch dieser schlief trotzdem ruhig weiter. Nachdem er ihn von seinen Sachen entledigt hatte, trug er ihn in sein Zimmer und legte ihn aufs Bett.
Dann trat er wieder in die Küche, nahm sich was zu trinken. Bevor er endlich ins erlösende Bett oder in seinem Fall Coach fallen konnte, musste er erstmal duschen. Schließlich musste er noch das Zeug von der ach so lustigen Aktion des Blauhaarigen loswerden. Nach einer Weile erhob er sich schwerfällig und begann, sich fertig zu machen. Als er endlich die Augen schloss, verkündeten die Vögel und die Sonne, dass bald der Erste der WG aufstehen würde. Grummelnd machte er es sich bequem und schlief auch gleich ein.
Kai gehörte wie immer zu den Ersten, die aufwachten. Statt wie er eigentlich gewollt hatte, sich laut fertig zu machen, entschloss er sich ausnahmsweise mal, nett zu sein. Leise machte er sich fertig und ging erstmal raus, etwas Frühsport machen.
Die Luft war so früh morgens immer noch so schön frisch. Es gab keine störenden Autos oder sonst irgendwas. Einfach nur er und die Natur. Der Sport machte den Kopf klar und ließ ihn gleich munterer werden.
Als er wieder die Wohnung betrat, war das Frühstück bereits fertig und die anderen setzte sich gerade. Tala sah etwas übernächtigt aus und Tyson sah aus, wie einmal ausgekotzt. Scheinbar hatte es der Junge ordentlich übertrieben, was man schon daran merkte, dass er ruhig war und kaum etwas aß. Sondern eher versuchte, das wenige auch noch drinne zu halten. Warum hörte eigentlich nie jemand auf ihn?
Er setzte sich zu ihnen und begann ebenfalls zu essen, dazu würde er sich nicht äußern. Aber er konnte es sich nicht verkneifen, ihm einen Blick zuwerfen, der so viel sagte, ich hab's dir ja gesagt. Der Blauhaarige stöhnte gequält auf, als er den Blick bemerkte. Kai würde ihn genauso quälen wie jeden anderen.
