Es ist Mai von abgemeldet (Als Es Sommer in meinem Herzen wurde... [Update 01-Dezember-2oo7 - EPILOG lädt/ist da!!!]) ================================================================================ Kapitel 31: Die Wahrheit kommt ans Licht ---------------------------------------- Hallo!! Hier ist wieder Mal ein neues Kap von Mai... Und, ich wage es kaum zu sagen: Es ist das vorletzte... Ich weiß garnicht, ob ich überhaupt einen Epilog schreiben werde, das Ende ist beinahe zu schön dafür, aber ein paar Sachen werden doch noch geklärt werden müssen.. Mal sehen! Jedenfalls wünsch eich euch mit diesem Kap viel Spass und kann nur viel, viel Romantik im nächsten versprechen^^ lg Marcella --------------------------------------------------------------------------- Er stand nur da. Im Regen. Hinter ihm wurde die Tür aufgerissen, und Sho und Kanae stürzten nach draußen auf die Straße. Sie waren sofort bei Kyoko, völlig in Panik. Wahrscheinlich lebte sie noch, denn Sho stürmte gleich darauf ins Haus zurück, um einen Krankenwagen zu rufen und Kanae murmelte nur die ganze Zeit „Bitte halt durch“, während sie Kyokos leblose Hand umklammerte. Auch Maria war kurz darauf bei ihnen, genauso hilflos und verzweifelt. Er stand nur da. Das Spiel, das sie zusammen aufgebaut hatten, Stück für Stück und mit jedem Tag ein bisschen näher an ihrer Realität, zerbröckelte um ihn herum. Es war so nicht geplant gewesen. Noch hatte er genug Fassung, nicht zu schreien, aber er fühlte die Angst wie ein schweres, kaltes Gift in seinem Körper. Wie sie langsam seinen rationalen Verstand benebelte und sein Herz mit eisigen Fingern umklammerte, bis er dachte, er würde ersticken. Er konnte nicht atmen, konnte sich nicht bewegen, nicht helfen, nicht eingreifen, während um ihn herum alles wie im Zeitraffer ablief. Warum? Warum? Er hatte sich vorgestellt, wie er nach dem Dreh endlich seine eigenen Gefühle eingestehen würde, sie endlich festhalten. Und jetzt lag sie schwer verletzt auf der Straße und seine Welt zerbrach in tausend Stücke mit jeder Sekunde die verging ohne dass sie lächelnd aufstand und ihm sagte, dass alles nur ein Scherz gewesen war. Seit wann war sie ein so fester Teil seines Lebens, dass er das Gefühl hatte, von einer unsichtbaren Hand erdrückt zu werden, wenn er nur daran dachte, sie zu verlieren? In das verwaschene Stimmengewirr mischte sich das helle Schrillen der Sirenen als der Krankenwagen, den Sho geistesgegenwärtig gerufen hatte, um die Ecke raste und an der Unfallstelle zum Stehen kam. Noch immer fühlte er sich wie benommen, unfähig, sich ihr zu nähern. Er sah zu, wie sie sie kurz untersuchten und auf eine Trage legten, die in den Wagen geschoben wurde, bevor die Türen sich schlossen und der Krankenwagen wieder davonraste. Kanae war mit eingestiegen. Mit einem Mal war alles bitterer Ernst. Er spürte, wie jemand ihm ein Handtuch um die Schultern legte und ihn ins Haus zurückdrängte, während zwei kleine Hände sich um seine legten und seine Finger, die sich zur Faust verkrampft hatten, vorsichtig lösten. Seine Handflächen brannten schmerzhaft und er vermutete, dass er seine Nägel so tief hineingegraben hatte, dass sie bluteten. Erst als er in einer warmen Wohnung auf ein Sofa gedrückt wurde und ihm jemand eine heiße Tasse Tee in die Hände drückte, schienen seine Sinne langsam wieder zurückzukehren und er nahm die Welt um sich herum wieder etwas klarer wahr. Sho Fuwa hatte sich rechts von ihm in die Kissen fallen lassen, während Maria sich von links an ihn lehnte und ihm beruhigend über den Arm streichelte wie eine Mutter, die ihr Kind tröstet. „Ist sie…“, fragte er und seine Stimme brach noch bevor er es aussprechen konnte, aber die beiden hatten ihn auch so verstanden. Sho klang genauso verloren, als er antwortete: „Nein, aber sie war bewusstlos… Sie ist im Zentral… Sobald es dir wieder besser geht, fahren wir hin.“ Rory Takarada riss seinen Blick von dem Monitor los, den er in den letzten zwei Stunden ohne Unterbrechung fixiert hatte und wendete sich langsam seinem Besucher zu. Es war mitten in der Nacht, aber offenbar war er dennoch nicht der einzige, der noch wach war. Yashiro schloss die schwere, hölzerne Tür des extravaganten Büros hinter sich leise und nahm uneingeladen auf einem der Stühle vor dem ebenso großen, schweren und hölzernen – nicht zu vergessen extravaganten – Schreibtisch Platz. „Takarada-san“, sagte er mit einem Nicken. „Yashiro-san“, erwiderte der Angesprochene ebenfalls mit einem Nicken. „Glauben sie wirklich, dass das das Richtige ist?“, fragte Rens Manager und Rory musste innerlich schmunzeln, weil er sofort gewusst hatte, auf was dieser nächtliche Besuch hinauslaufen würde. „Ehrlich gesagt… Nein. Auf persönlicher Ebene. Was allerdings die Einschaltquoten, die wir erwarten, betrifft…. Ja, absolut“, sagte er und lehnte sich zurück. Seine im Yakuza-Stil zusammengebundenen und gegelten Haare waren im teilweise ins Gesicht gefallen, während er vor dem Bildschirm gesessen hatte. Die schwarze Sonnenbrille, die sein Untergrund-Image vervollständigt hatte, zusammen mit dem schwarzen Mantel und der falschen Maschinenpistole auf dem Tisch, hatte er schon lange nicht mehr auf. „Aber ich fürchte, dass unsere Schauspieler über den Schock das Spielen vergessen haben“, setzte er nach einer Pause nachdenklich hinzu. „Dann sollten sie morgen einen entsprechenden Auftrag erhalten“, meinte Yashiro gelassener, als er sich fühlte. Er war von Anfang an gegen die hanebüchene Geschichte gewesen, die der Präsident sich zusammen mit einigen anderen Kollegen ausgedacht hatte. Aber er hätte nicht erwartet, dass sie das Spiel so auf die Spitze treiben würden. Er empfand ehrliches Mitleid mit Ren und den anderen, die nur für einen Film, noch dazu nur ein Experiment des skurrilen LME-Präsidenten, ein solches Gefühlsfiasko durchmachen mussten. Bevor er aufstand, um den Präsidenten, der in seinen Augen während des Projekts zu einem Tyrannen geworden war, wieder allein zu lassen, sagte er noch leise, aber eindringlich: „Ich halte es für einen großen Fehler“, und verschwand ebenso schnell, wie er eingetreten war. Die Tür fiel lautlos hinter ihm ins Schloss und Rory lehnte sich wieder nach vorne, um die Geschehnisse auf dem Bildschirm besser erkennen zu können. Ein leises Seufzen war in der Stille seines Büros über dem kaum hörbaren Summen der Monitore deutlich zu vernehmen. Eine halbe Stunde später standen alle drei vor dem Empfangsschalter des Krankenhauses. Die Frau, die sie mürrisch nach ihrem Anliegen fragte, und aussah, als würde sie es ihnen ziemlich übel nehmen, dass sie so spät in der Nacht noch ankamen, verwies sie zu den Bänken in der Eingangshalle und erklärte, dass sie warten müssten. Kurz darauf kam auch Kanae durch die Glastüren, die zu den langen, leeren, mit Halogenlampen steril beleuchteten Gängen führten und fiel Sho weinend in die Arme. Obwohl er mit seinen eigenen Problemen eigentlich genug zu tun hatte, bemerkte Ren die Interaktion mit dem deutlichen Gefühl, etwas verpasst zu haben. Sho strich ihr sanft über die Haare und wiegte sie solange hin und her bis sie aufgehört hatte, zu weinen. „Sie ist gerade in Behandlung… Die Ärzte haben gesagt, dass es nicht so kritisch ist, wie es aussah. Aber sie ist bis jetzt noch nicht aufgewacht. Wir müssen warten, bis sie sie untersucht haben“, erklärte sie mit unsicherer Stimme. Ren konnte sich der Welle der Erleichterung, die wie warmes Wasser über ihm zusammenschlug nicht erwehren und seufzte tief bevor er Maria, die trotz ihrer Besorgnis eingeschlafen war, vorsichtig in den Arm nahm und mit seiner Jacke zudeckte. Das Mädchen wachte von der Bewegung auf und blinzelte ihn verschlafen an. „Es geht ihr gut, wir können sie bald sehen“, sagte er beruhigend und sie schloss die Augen wieder. Das Ganze musste sie ziemlich mitgenommen haben. Kein Wunder, dass sie müde war. Er musste wohl selbst auch eingeschlafen sein, denn als er ein wenig unsanft an der Schulter wachgerüttelt wurde, fiel durch die Fenster der Halle bereits blasses Tageslicht und er fühlte sich nicht mehr ganz so verloren wie in der Nacht. Maria lag nicht mehr auf seinem Schoß und Kanae, die ihn aufgerüttelt hatte, erklärte ihm hastig, dass sie Kyoko endlich besuchen konnten, bevor sie mit schnellen Schritten hinter Sho und Maria herlief, die schon an der Tür auf sie warteten. Er stand schnell auf folgte den anderen leicht schlaftrunken ins Treppenhaus. „Sie ist im dritten Stock“, hörte er Sho sagen und schloss gleich darauf zu der kleinen Gruppe auf. Er entschied sich, einfach mitzugehen und sich seine Fragen für später aufzuheben. Das wichtigste war nun erst einmal Kyoko zu sehen und sich zu vergewissern, dass er sie noch nicht verloren hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er gedacht, alles könnte nur ein Traum gewesen sein, als Kanae ihn wachgerüttelt hatte. Aber der Anblick der weißen Böden und Wände und der leichte Geruch nach Putzmittel und Desinfektionsmittel hatten ihn schnell daran erinnert, dass es real war. Als sie endlich an der richtigen Tür angekommen waren, war Maria die erste, die in das kleine Zweierzimmer eilte und das Bett ausmachte, in dem Kyoko lag. Ihr rechter Arm war eingegipst und ein weißer Verband lag um ihren Kopf, außer einem kleinen Kratzer war ihr Gesicht unversehrt und man hätte meinen können, dass sie nur schlief, so entspannt war ihr Ausdruck. „Kyoko-nee-chan!“, rief die Kleine aus und griff nach Kyokos Hand. Natürlich rührte sie sich nicht. Was hatte er auch erwartet? Er setze sich auf einen Stuhl in der Ecke und ermahnte die anderen noch, nicht zu laut zu sein, weil auf der anderen Seite des Zimmers noch jemand lag, der zu schlafen schien, und wartete, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatten, bevor er selbst neben das Krankanhausbett trat und sie lange Zeit einfach nur betrachtete. Sho, Kanae und Maria zogen sich rücksichtsvoll in die Ecke zurück. Mit den Fingerspitzen fuhr er vorsichtig über ihre kühle Wange und flüsterte mit beinahe brechender Stimme: „Es tut mir so leid…. Das war alles meine Schuld.“ Er saß noch eine ganze Weile neben ihrem Bett, bis eine Schwester sie alle hinaus scheuchte und bat, später noch einmal wieder zu kommen, weil Kyoko im Moment vollkommene Ruhe bräuchte. Und so trotteten sie in trister Stimmung nach Hause, wo keiner von ihnen auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendete, seinen Briefkasten zu öffnen oder zu schauspielern. Sie saßen einfach alle zusammen in Kanaes Wohnzimmer auf dem Boden und unterhielten sich zusammenhanglos über alles außer dem Unfall. Es war fast so, als wäre eine Welt voller Farbe mit einem Mal in schwarz-weiß getaucht worden. Am nächsten Tag wachte er in seinem Bett auf und fragte sich, wie er überhaupt dorthin gekommen war. Er erinnerte sich noch daran, mit den anderen geredet zu haben, aber die Worte hatten keine Bedeutung. Wahrscheinlich war er irgendwann nachts nach oben gegangen. Er konnte nicht einmal mehr genau sagen, ob das kleine Mädchen bei Kanae und Sho untergebracht war oder bei ihm. Vielleicht war alles nur ein schlechter Traum. Er würde einfach vor sich hin leben, vergessen, dass er einen Job zu erledigen hatte, vergessen, wozu und wen er spielte. Und dann, eines Morgens würde er aufwachen und sich zu Hause wieder finden, in seiner großen, leeren Wohnung und sich an nichts mehr erinnern bis auf den leichten Hauch von Verzweiflung, der aus dem Alptraum heraus für ein paar Minuten seines realen Lebens an ihm haften würde. Der Film, diese ganze verrückte Geschichte, die ihm im Rückblick sowieso viel zu absurd vorkam, als dass man sie verfilmen könnte, Kyokos Unfall und die nagende Ungewissheit, all das wäre nur ein wirres Gebilde seines eigenen Geistes gewesen. Vielleicht arbeitete er wirklich zuviel und hatte deshalb so schlimme Träume… Ein paar Tage Urlaub würden ihm wohl wirklich gut tun. Auch der Urlaub wäre nur ein Hirngespinst gewesen, flüsterte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf und bei diesem Gedanken zog sich in seinem Inneren etwas schmerzhaft zusammen. Er hätte sie nie im Arm gehalten, sie nie geküsst, ihr nie seine wahre Identität verraten, nie mit ihr so viele Stunden geteilt… Nein. Dass alles in Wirklichkeit passiert war, war ihm tausendmal lieber als diese kostbaren Augenblicke dafür zu opfern, die Realität als schlechten Traum verdrängen zu können. Er würde sich nicht unterkriegen lassen! Mit entschlossenen Schritten durchquerte Ren die Wohnung und trat ins Treppenhaus. Er hatte ganz automatisch ein paar anständige Kleider übergeworfen und den Hausschlüssel in die Tasche gesteckt. Im Bus auf dem Weg zum Krankenhaus beobachtete er gedankenverloren die vorbeiziehenden Häuser und überlegte sogar für einen Moment, ob der Film vielleicht noch im Gange war. Er verwarf den Gedanken. Diesmal musste er sich nicht erklären lassen, wo ihr Zimmer lag. Er öffnete die Tür leise und trat mit dem unterschwelligen unangenehmen Gefühl, das ihn in Krankhäusern immer befiel, langsam ein. Kyokos Zimmernachbar schien nicht da zu sein, zumindest war sein Bett leer und er atmete innerlich erleichtert auf. So konnte er ein paar Augenblicke mit ihr allein verbringen. Er hatte die Schwestern, denen er auf dem Gang begegnet war, nicht gefragt, ob sie inzwischen aufgewacht war. Vermutlich, weil er sie kaum bemerkt hatte. Er zog seine dünne Jacke aus und hängte sie über den Stuhl in der Ecke, bevor er wie selbstverständlich auf dem neben ihrem Bett Platz nahm und ihr schlafendes Gesicht betrachtete. Die Verbände waren offensichtlich gewechselt worden. Wie gerne hätte er ihr nach dem Filmprojekt jede einzelne Nacht beim Schlafen zugesehen. Er selbst kam selten zum Schlafen, und wenn, dass war es ein leichter Schlaf, der oft von den gewöhnlichsten Geräuschen gestört wurde, sodass er die restliche Nacht nicht mehr zur Ruhe kam. Er hätte ihr unmissverständlich klar gemacht, was er für sie empfand, sie in die Arme geschlossen, und zitternd auf ihre Antwort gewartet. Oder vielleicht hätte er sie einfach geküsst und ihre Reaktion als Ja gewertet… An eine Zurückweisung wollte er nicht einmal denken. Aber jetzt war selbst der kläglichste Anfang einer Beziehung undenkbar. Solange sie nicht aufwachte und es ihr besser ging, konnte er ja nicht einmal mit ihr reden und das neu gewonnene Vertrauen weiter ausbauen. Kam die stetige Leere in seinem Innern davon, dass er ihre Stimme vermisste? Ihr Lachen? Die freche Bewegung, mit der sie dann und wann ihr Haar aus dem Gesicht schnickte? Himmel… Seine Gedanken liefen im Kreis. Er musste unbedingt aufhören, darüber nachzudenken, was wäre wenn. Ablenkung war vielleicht eine Lösung. Er stand auf, holte seine Jacke und kam zum Bett zurück. Während er mit der linken Hand sanft ihre Bettdecke ein Stück nach oben zog, strich er ihr mit der Rechten zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und folgte mit dem Fingerspitzen dem Verlauf ihrer Wangenknochen, bevor er sich zu ihr herunterbeugte und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte. „Werd bald wieder gesund“, flüsterte er und drehte sich hastig um, beinahe so, als könne er ihr nicht ins Gesicht sehen. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, murmelte er mit einem leisen Seufzen zu sich selbst: „Gott… Ich glaube, ich sollte wirklich mehr schlafen… Jetzt bilde ich mir schon ein, sie hätte gelächelt.“ Eigentlich wäre es für keinen der verbleibenden Schauspieler ein Problem gewesen, täglich seine Post abzuholen. Dann hätten sie auch gesehen, dass es tatsächlich neue Anweisungen aus der Regie gab. Aber Kanae war die einzige, die ihren Briefkasten am zweiten Tag nach Kyokos Unfall öffnete und die beiden gelben Zettel herausholte, die eingeworfen worden waren. Auf beiden stand nur, dass Maria so schnell wie möglich „nach Hause“ geschickt werden sollte und so fuhr sie mit Sho und der Kleinen noch am selben Tag zum Bahnhof und übergab sie der freundlichen, ältlichen Begleitung, die sie telefonisch für die Fahrt bestellt hatten. Das Mädchen hatte ihre Lebensfreude vollkommen verloren, sie wirkte fast wie eine Porzellanpuppe, als sie ihnen noch aus dem Fenster des anfahrenden Zuges zuwinkte, bis sie den Blickkontakt verloren. Allerdings fand Kanae es seltsam, dass Kyokos Unfall in den Anweisungen mit keinem Wort erwähnt wurde. Man tat gerade so, als sei nie etwas passiert. Insgesamt hatte sie sowieso das Gefühl, dass das Projekt sich seit dieser Nacht im Sand verlaufen hatte. Sie verbrachte ihr Zeit größtenteils mit Sho, besuchte Kyoko zweimal am Tag im Krankenhaus und zählte die Stunden bis zum Ende des Woche. Eine verquere kleine Hoffnung in ihrem Herzen, die ihr weiszumachen versuchte, dass auch der Unfall inszeniert gewesen war, bestand noch, aber mit jedem Tag, den sie in dem grauen Wohnblock verbrachte, schwand sie weiter dahin. Es ergab einfach keinen Sinn! Warum würde man einen Unfall inszenieren? Sie fand einfach den roten Faden des Projekts nicht mehr. Noch dazu hatte sie die Befürchtung, dass Ren der Belastung nicht mehr lange standhalten würde. Sein Verhalten sprach mehr als tausend Worte und sie vermutete, dass er nicht einmal regelmäßig essen würde, wenn sie ihm nicht jeden Abend etwas aus dem Supermarkt mitbrächte. Offensichtlich bedeutete ihm ihre Freundin weit mehr als er, oder vielleicht auch sie beide, sich bisher eingestanden hatten. Und so beschloss sie am dritten Tag, Yashiro anzurufen und einen Abbruch des Projekts zu verlangen. Sie wusste ja nicht einmal genau, wer überhaupt für das Ganze zuständig war, aber obwohl jeder Mitspieler am Anfang alle Privatgegenstände hatte abgeben müssen, wusste sie alle Telefonnummern, die in ihrem Handy gespeichert waren, auswendig. Nicht umsonst war sie für ihr außergewöhnliches Gedächtnis bekannt. Sobald Sho also an diesem Morgen die Wohnung verlassen hatte, um nachzusehen, ob Ren noch bei Sinnen war, hackte sie die Nummer in das veraltete Telfon in ihrer Wohnung und wartete angespannt, bis nach schier endlos langer Wartezeit endlich jemand abnahm. „Yashiro?“, klang es ihr aus dem Apparat entgegen und sie hätte am liebsten laut aufgeseufzt. „Hallo, Yashiro-san, hier spricht Kotonami, ich möchte gerne aus dem Projekt aussteigen“, erklärte sie, bevor er sie unterbrechen oder nach ihrem Anliegen fragen konnte. „Oh“, meinet Rens Manager nur. Dann überraschte er sie völlig mit seinem erleichterten Ausruf: „Endlich kommt ihr zur Vernunft! Am besten, ihr fahrt alle zusammen ins LME-Hauptquartier, du, Fuwa und Ren! Dann klären wir alles!“ „Äh… Na gut, ich sag den anderen Bescheid…“, antwortete sie verwirrt und das darauf folgende metallische Klicken verriet ihr, dass Yashiro wohl aufgelegt hatte. In der Tat eine seltsame Wendung. Kanae wartete danach nicht einmal mehr bis Sho zurückkam, sondern rannte die Treppen nach oben, um die beiden Männer zum Mitkommen zu überreden. Im Notfall würde sie sie am Kragen mitschleifen, aber dieses Verwirrspiel musste ein Ende haben. Und sie würde ein paar ernste Worte mit dem Präsidenten wechseln. Oder vielleicht besser nicht. Immerhin wollte sie ihren Job nicht verlieren. Es brauchte zu ihrer anfänglichen Überraschung nicht einmal drei Sätze bevor Ren und Sho mit ihr zusammen in der U-bahn in Richtung Innenstadt saßen. Die beiden hatten sich als Yankees getarnt und ihre Gesichter mit Mundschutz und Sonnenbrille verdeckt. Ansonsten wäre eine Fahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln bei ihrer Berühmtheit unmöglich gewesen. Sie selbst war zu ihrem eigenen Unmut noch nicht bekannt genug, auf der Straße aufzufallen. Eine halbe Stunde später stapften die drei dann mit entschlossenen Gesichtern durch die große, gläserne Flügeltür des Haupteinganges, die sich wie immer automatisch öffneten und wurden prompt vom Sicherheitsdienst aufgehalten. „Einen Augenblick bitte“, meinte der erste Beamte, der eben noch etwas in sein Funkgerät gesprochen hatte, während sein Kollege Ren und Sho nur abschätzig musterte. „Was wollen sie hier?“, fragte der erste wieder, fast schon unhöflich. Kanae konnte sich dem Gedanken nicht erwehren, dass die Welt wirklich unerhört voller Vorurteile war, wenn man nicht einmal mehr mit Sonnenbrille und Mundschutz irgendwohin gehen konnte, ohne sofort als potenzieller Verbrecher ins Auge gefasst zu werden. Aber in diesem speziellen Fall war sie sehr gespannt, wie die beiden Kerle reagieren würden, wenn Sho und Ren ihre Verkleidung fallen ließen, was sie in diesem Moment taten. Die beiden Wachleute traten entsetzt oder eher schrecklich verschüchtert zurück und fielen fast gleichzeitig auf die Knie um sich tausendfach dafür zu entschuldigen, dass sie den Star der Agentur und das Goldstück der Gegneragentur so beleidigt hatten. Das meiste bekamen die drei allerdings kaum noch mit, da sie schon auf dem Weg zum Aufzug in den siebten Stock waren, um den Präsidenten aufzusuchen. Sho konnte inzwischen schon fast wieder normal laufen. Sobald sie an der exquisiten, hölzernen Tür angekommen waren, klopfte Kanae mehrmals an, so ungeduldig war sie. Zu ihrer Überraschung öffnete der Präsident fast augenblicklich und musterte sie erst überrascht, dann mit wachsender Nervosität, bevor er schnell wie der Blitz zurück in sein Büro flitzte und sich hinter seinem Schreibtisch versteckte. Sho prustete trotz einfach nur los, während Ren und Kanae, die die Eskapaden des verrückten Kerls schon gewohnt waren, nur die Stirn runzelten und sich fragend ansahen. „Ich denke, er hat etwas ausgefressen“, meinte Kanae. „Etwas, das schlimmer ist, als uns zwei Wochen lang diesen wirren Film spielen zu lassen“, setze Ren hinzu und sie traten ein, Sho mit sich ziehend. Noch während sie ihren Arbeitgeber möglichst freundlich begrüßten, klopfte es noch einmal, und ein ziemlich atemloser Yashiro stolperte durch die Tür. „Ah, da seid ihr ja! Ich dachte schon, ich hätte euch verpasst“, rief er erleichtert aus und ließ sich in einen der hohen Ledersessel auf ihrer Seite des massiven Holztischs fallen, um sich die Stirn mit einem Taschentuch abzutupfen. „Ich denke“, setze er wieder an, als niemand etwas sagte und er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, „sie haben einiges zu erklären, Herr Präsident.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)