Inflagranti von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Von Zuneigung und Verachtung --------------------------------------- ------------------------------------------------------------------- "Sag mal...hast du noch so ´n paar Überraschungen auf Lager?" fragte Michiru, als die Beiden die Strandpromenade entlang fuhren. "Was meinst du?" war Haruka etwas ratlos. "Naja", sagte die Künstlerin ganz ohne Scheu, "Du hast scheinbar Privilegien beim Direktor, die niemand sonst an der Schule hat - wenn selbst der Okudera dir nicht beikommen kann, du hast ein Motorrad und fährst dieses wunderschöne Cabrio. Entweder bist du ständig sitzengeblieben und sehr viel älter, als wir alle glauben, oder..." "Oder was?" lachte Haruka. "Ich weiß nicht", gab Michiru zu, "Selbst wenn du schon volljährig sein solltest - das erklärt noch längst nicht, wie du das alles bezahlen kannst. Hast du so reiche Eltern?" "Hab ich nicht", grinste Haruka, "Genau genommen habe ich gar keine Eltern mehr. Für mich sind sie gestorben. Und um deine andere Frage auch gleich zu beantworten - ich bin 18. Meinen Führerschein habe ich in Amerika gemacht, wo ich auch meine Ausbildung als Rennfahrerin gemacht habe. Damit verdiene ich auch mein Geld. Ich fahre Rennen. Mit dem Motorrad und auch Autorennen." Michiru sagte plötzlich gar nichts mehr. Sie sah Haruka nur mit großen Augen an. Diese sah kurz zu ihr rüber und konzentrierte sich dann wieder grinsend auf die Straße. Der Fahrtwind zerrte an ihren Haaren und Michiru glaubte, plötzlich einen ganz anderen Menschen neben sich zu haben. Sie konnte nicht das geringste negative Gefühl für die androgyne Blondine empfinden. Haruka schien auf einmal so frei und ungebunden. Irgendwie wild und endlos glücklich. >Sie ist hübsch<, schoss es durch Michiru´s Kopf, >Warum nur versteckt sie ihre Weiblichkeit so?< Sie lehnte sich in ihren Sitz zurück, schloss die Augen und genoß den Wind, welcher um ihre Nase wehte. Haruka blickte immer wieder verstohlen zu ihr rüber. >Was ist an ihr so anders, als an anderen Mädchen?< fragte sie sich, >Gut, sie ist außergewöhnlich schön, aber das allein ist es nicht. Was hat sie an sich, daß ich sie so begehre?< Keine fünf Minuten später brachte Haruka den Wagen vor Michiru´s Haus zum stehen. "Da wären wir also", sagte sie und stellte den Motor ab. "Ja...", flüsterte die Türkishaarige, "...da wären wir also." Sie zögerte noch kurz, dann sah sie Haruka schüchtern an und sagte: "Danke fürs fahren. Wir sehen uns dann morgen in der Schule." Haruka nickte und Michiru wollte aussteigen, doch urplötzlich sprang die Blondine mit einem `warte´ aus dem Wagen. Sie lief ums Auto herum und öffnete Michiru galant die Wagentür. Diese sah sie erstaunt an. "Mylady", lächelte Haruka und machte eine leichte Verbeugung. Die junge Künstlerin errötete leicht und stieg dann elegant aus dem Auto. "Haruka bitte...", presste sie beschämt hervor, "Wenn das nun jemand sieht." "Na und?", meinte die Blondine keck, "Ich hab einiges wieder gut zu machen und außerdem geht es Niemanden etwas an!" Sie ging wieder zur Fahrerseite und sprang geschmeidig auf den Sitz. "Bis morgen, Süße", lachte sie und zwinkerte. Dann startete sie den Motor und fuhr lachend davon. Michiru hatte den Reflext, sich wieder über die `Süße´ aufzuregen, doch dann lächelte sie nur. "Du bist ein unmöglicher Mensch", flüsterte sie und ging Richtung Haus. "Schau sie dir an", flüsterte Mr. Kaioh, "Sie scheint richtig aufzublühen." "Ein hübscher, junger Mann", nickte seine Frau, "Und so elegant." "Siehst du?" seufzte er, "Da hast du den Grund für den Liebeskummer unserer Kleinen. Und scheinbar war er völlig unbegründet." Sie traten schnell vom Fenster zurück und nahmen auf dem Sofa platz. Grade rechtzeitig, denn Michiru schloss in diesem Moment die Haustür auf und trat ein. "Hallo Ma, hallo Pa", trällerte sie und setzte sich zu ihnen. "Du bist ja so gut gelaunt", stellte ihre Mutter fest, "Hat das einen bestimmten Grund?" "Ich fühl mich einfach nur gut", gab Michiru zurück. "Soso, einfach nur gut...", wiederholte Michiru´s Mutter mit seltsam klingendem Unterton. "Mum", mahnte Michiru grinsend, "Was immer du jetzt auch denkst - du liegst falsch!" "Ich denke gar nichts", fing nun auch die Mutter an zu grinsen. "Wann willst du uns deinen Kavalier denn mal vorstellen?" mischte sich der Vater jetzt ebenfalls ein. Michiru holte hörbar tief Luft und spielte die Entsetzte. "Ihr habt mich beobachtet? Schämt euch!" Alle drei lachten los. Als sie sich wieder beruhigten, erhob Michiru sich und sagte: "Aber mal im Ernst. Ihr täuscht euch. Haruka geht in meine Klasse und hat mir freundlicherweise angeboten, mich nach Hause zu fahren. Mehr nicht!" "So fängt es immer an", schmunzelte Mrs. Kaioh, "Zuerst sind sie nur freundlich - fahren einen heim oder tragen einem die Bücher, dann laden sie einen ins Kino oder zum Tee ein und schließlich, eher du dich versiehst, liegst du unter ihnen..." "Aber Mama!" Dieses Mal war Michiru wirklich entsetzt. Ihre Mutter jedoch lachte nur. "Unmöglich", murmelte Michiru kopfschüttelnd, jedoch mit einem breiten Grinsen, "Und sowas will mein Vorbild sein." "So ist sie halt", lachte Michiru´s Vater, "Und anders möchte ich sie auch gar nicht haben. Sie ist genau richtig, wie sie ist!" Michiru nickte. "Solange sie solche Sprüche nicht in der Öffentlichkeit macht." Dann verschwand sie lachend nach oben. Haruka saß mit angezogenen Beinen, das Kinn auf die Knie gestützt, am Strand und starrte ins Nichts. Die Sonne ging langsam unter und malte wunderbare Farb-und Lichtreflexe auf die leicht bewegte Oberfläche des Ozeans. Möwen zogen ihre Kreise, stießen ursplötzlich aufs Wasser hinab, um sich dann mit einem erjagten Fisch wieder gen Himmel zu erheben. Eine Krabbe bahnte sich ihren Weg durch den feinen Sand, ganz dicht an Haruka´s Fuß vorbei. Diese jedoch nahm nichts von alledem wahr. Ihre Gedanken kreisten um das geschehene der letzten zwei Stunden. "Michiru", murmelte sie. Was geschah da bloß mit ihr? Wieso verhielt sie sich so wider ihrer Natur? Haruka schüttelte sich. Warum um alles in der Welt, hatte sie sich bei Michiru bedankt? Nur, weil diese sie nicht bei Direktor Tomoe angeschwärzt hatte? Das konnte doch nicht der Grund sein. Haruka hatte sich noch nie für irgendetwas bedankt. Abwesend fuhren ihre Fingerspitzen über die Schrammen auf ihrer Wange. "Ich müßte sauer auf sie sein, aber ich bin es nicht", redete sie leise vor sich hin, "Warum nicht? Warum möchte ich einerseits aufgeben, obwohl ich dich andererseits noch immer besitzen will?" Ihr Blick schweifte zum Horizont. >Will ich sie wirklich nur besitzen?< Michiru saß an ihrem Schreibtich und erledigte ihre Hausaufgaben. Keines der Fächer stellte eine wirkliche Herausforderung für sie dar. Sie war eine sehr gute Schülerin und hatte meist alles schon begriffen, bevor der Lehrer es zu Ende erklärt hatte. Selbst an der Mugen Gakuen fiel ihr nichts wirklich schwer. Plötzlich kam Michiru ein Gedanke. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und kaute versonnen auf ihrem Bleistift herum. Wie war Haruka an die Mugen Gakuen gekommen? Sie war nichtmal eine durchschnittliche Schülerin. Obendrein war sie aufmüpfig und in einigen Fächern sogar mehr als faul. Die Mugen Gakuen war eine Elite - Schule, welche nur die besten Schüler Japans aufnahm. >Ich frage mich, wie sie die Aufnahmeprüfung geschafft hat.< Michiru erhob sich und trat ans Fenster. Ihr Blick fiel auf die Oberfläche des Ozeans, auf welchem sich die untergehende Sonne spiegelte. Und ohne das Michiru es steuern konnte, waren die Gedanken an Haruka wieder da. >Du wirst immer geheimnisvoller. Ich wüßte zu gern, was mich bei dir noch alles erwartet...< Da öffnete sich leise die Tür und Michiru´s Mutter trat ins Zimmer. Michiru bemerkte es im ersten Moment gar nicht. Erst als Ihre Mutter sich räusperte, drehte sie sich herum. "Mum", stieß sie hervor, "Ist irgendetwas?" Mrs. Kaioh setzte sich auf das Bett ihrer Tochter und lächelte sie an. "Ich dachte, du wolltest vielleicht mit mir reden, mein Schatz", sagte sie. Michiru verdrehte kurz die Augen und ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. "Mum...", seufzte sie, "...ich habe doch vorhin schon gesagt, daß Haruka mich nur nach Hause gefahren hat." "Und da bist du dir ganz sicher, mein Kind?" fragte Mrs. Kaioh, "Ich meine, offensichtlich mag er dich. Sonst hätte er wohl ein anderes Mädchen heimgefahren." "Selbst wenn", entgegnete Michiru, "Das hat doch nichts zu sagen. Elza und ich mögen uns auch, aber deswegen sind wir doch nicht gleich ein Liebespaar!" "Das ist doch etwas ganz anderes", erklärte ihre Mutter, "Ihr seid schließlich beide Mädchen. Zwischen Mädchen und Jungen ist das etwas anderes!" "Aber Haruka ist..." "Ein gutaussehender, junger Mann", unterbrach die Mutter sie, "Warum willst du das nicht wahrhaben, Kind? Es ist doch etwas schönes, verliebt zu sein." "Mum", schüttelte Michiru den Kopf, "Ich bin wirklich nicht verliebt. Haruka ist..." "Ich will doch nur nicht, daß du plötzlich schwanger wirst und dir die ganze Zukunft verbaust", ließ ihre Mutter sie wieder nicht ausreden. Jetzt wurde Michiru ein wenig ärgerlich. Sie stand auf und machte einige Schritte auf ihre Mutter zu. "Mum", sagte sie in festem Tonfall, "Erstens bin ich 17 Jahre alt - demnach also sehrwohl aufgeklärt, zweitens bin ich NICHT verliebt und drittens ist Haruka ein Mädchen!" Mrs. Kaioh sah sie überrascht an. "Ein Mädchen?" fragte sie mit erstickter Stimme, "Soll das etwa heißen..." Sie sprach nicht weiter. Michiru seufzte und setzte sich neben ihre Mutter. "Nein, Mum. Das heißt es nicht. Haruka ist nur eine Freundin - wie Elza. Und selbst diese Freundschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Um ehrlich zu sein, haben wir zwei bis gestern nur gestritten." "Warst du darum so traurig?" fragte ihre Mutter. Michiru zuckte zusammen. Nicht die Streitereien waren der Grund, warum sie gestern so sehr hatte weinen müssen, das wußte sie. Aber sie konnte ihrer Mutter doch unmöglich den wahren Grund dafür nennen. "Ja", sagte sie, "Es gab da gestern ein kleines Mißverständnis und ich habe mich ziemlich darüber aufgeregt. Aber alles hat sich geklärt." "Wenn das so ist...", war Michiru´s Mutter ein wenig enttäuscht, "Und ich dachte, mein kleines Mädchen hätte sich endlich verliebt." Sie stand auf, ging zur Tür, lächelte ihrer Tochter nochmals kurz zu und verließ dann deren Zimmer. Michiru starrte abwesend auf die, mittlerweile wieder geschlossene,Tür. "Vielleicht...", murmelte sie, verwarf dann aber gleich wieder, was sie hatte sagen wollen. Nervös stand Elza am Schultor. Es war fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn und sie hatte bisher weder Michiru, noch Haruka gesehen. "Hätte ich dich gestern bloß nicht mit ihr allein gelassen", flüsterte sie. Gerade, als sie sich auf den Weg zum Klassenzimmer machen wollte, entdeckte sie Michiru, welche völlig abgehetzt angerannt kam. Direkt vor Elza blieb sie stehen, stützte sich auf die Freundin und schnappte wild nach Luft. Die Rothaarige blickte sie erstaunt an. "Puh", japste Michiru, "Gerade noch so geschafft." "Hast du verschlafen?" fragte Elza und Michiru nickte, um nicht sprechen zu müssen. "Soetwas kenne ich ja gar nicht von dir", fuhr Elza fort, als die Beiden sich in Bewegung setzten. "Ich war gestern spät im Bett", sagte Michiru, "Da hab ich heute morgen den Wecker überhört. Zum Glück hat meine Mum mich geweckt." Nun nickte Elza. "Und was war gestern noch?" fragte sie dann direkt weiter. Michiru blickte sie an. "Was soll gewesen sein?" Elza verdrehte die Augen. "Stellst du dich jetzt dumm oder was? Willst du mir nicht erzählen, was mit Haruka war?" "Ach so", grinste Michiru, "Nichts besonderes. Wir haben uns ausgesprochen, die Fronten geklärt, sie hat mich heim gefahren und jetzt können wir Freunde werden." Elza blieb abrupt stehen,was Michiru dazu veranlasste, langsamer zu werden und sich zu ihr umzudrehen. "Was ist?" fragte die türkishaarige Künstlerin unschuldig. "Das fragst du noch?" pustete Elza los und schloss wieder mit Michiru auf, "Gestern hast du dir wegen ihr die Augen aus dem Kopf geheult und wärst froh gewesen, sie nie getroffen zu haben und heute willst du mit ihr Freundschaft schließen! Also, langsam werd ich echt nicht mehr schlau aus dir." Michiru grinste nur und betrat das Klassenzimmer. Sie setzte sich ohne ein Wort an ihr Pult und holte ihre Mathematiksachen heraus. Elza setzte sich ebenfalls und blickte ihre Freundin auffordernd an. Diese jedoch schwieg weiterhin. Elza´s Blick wanderte kurz zu Haruka´s leerem Pult, dann sagte sie: "Entweder hat sie auch verschlafen oder sie erscheint heute gar nicht." "Soll das eine Anspielung sein?" fragte Michiru. Elza atmete tief durch. "Was soll ich denn auch denken, wenn du so geheimnisvoll tust?" nörgelte sie, "Du hast noch nie verschlafen und heute kommst du fast zu spät zum Unterricht und Haruka ist auch nicht da. Ihr wart gestern Abend zusammen, also denke ich mir meinen Teil." "Und was wäre das für ein Teil?" wurde Michiru leicht zickig, "Glaubst du jetzt etwa, ICH hätte ihr etwas getan? Sozusagen aus Rache für alles, was sie verbockt hat?" "Ich kenn dich, Michiru", blieb Elza eisern, "Du lässt es nicht einfach so auf dir sitzen, wenn dir jemand in deine Prinzipien reinpfuscht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder, du hast es ihr heimgezahlt und sie hat die Stadt wieder verlassen, oder..." Sie verstummte plötzlich. "Oder was?" wollte Michiru wissen. Elza jedoch sah sie nur fassungslos an und schüttelte leicht den Kopf. Zu ihrem Glück betrat Mr. Okudera gerade das Klassenzimmer und so konnte Michiru nicht weiter fragen. Bereits nach wenigen Minuten Unterricht aber, steckte Elza ihr einen Zettel zu. Michiru öffnete ihn, wurde sichtlich rot und zerknüllte ihn wütend. So leicht jedoch gab Elza nicht auf. Eine Minute später schob sie Michiru einen weiteren Zettel zu. >>Verdammt Michiru. Mir kannst du es doch sagen. Wir sind doch Freundinnen!<< >>Da gibt es nichts zu sagen. Du bist schon genauso schlimm, wie meine Eltern!<< stand als Antwort drunter, als Elza den Zettel zurück bekam. Nun war die Sportlerin vollends verwirrt. Was hatten Michiru´s Eltern mit dieser Sache zu tun? "Miss Elza. Nur weil sie eine der hoffnungsvollsten Nachwuchssportlerinnen dieser Schule sind, entbindet sie das nicht automatisch von der Teilnahme am Unterricht", zog der Lehrer die Aufmerksamkeit der Rothaarigen auf sich. "Tut mir leid", murmelte sie schuldbewußt und senkte beschämt den Blick. Mr. Okudera seufzte tief. "Sie und Miss Michiru waren einmal meine besten Schülerinnen. Aber seit Ten´ou Haruka in diese Klasse geht, sind sie ständig unaufmerksam oder stören sogar den Unterricht. Wenn sich das nicht ändert, werde ich sie Beide bei Direktor Tomoe melden müssen." "Was hat Haruka damit zu tun?" sprang Michiru erbost auf, "Sie ist doch nichtmal hier!" "Richtig", bemerkte der Lehrer nachdenklich, "Wo ist Miss Haruka eigentlich? Weiß das jemand? Vielleicht sie, Miss Michiru?" Der letzten Frage hatte er eine besondere Betonung beigedacht und sofort wich Michiru´s Wut der Unsicherheit. "Natürlich nicht", presste sie hervor, "Woher soll gerade ich wissen, warum Haruka heute nicht in der Schule ist?" "Nun...", begann der Lehrer, "Sie scheinen sich sehr mit ihr angefreundet zu haben. Auf jeden Fall sehe ich sie ständig zusammen." "Was?" kreischte Michiru, "Ich? Befreundet? Mit diesem...", sie suchte nach Worten in ihrer überrumpelten Unsicherheit und fand in der selbstauferlegten Hast nur ein passendes Wort, Haruka´s gesamte Erscheinung zu beschreiben, ...Freak?" Sie wurde sich bewußt, daß Alle sie anstarrten und wollte etwas zu ihrer Verteidigung sagen. "Seh ich aus, als würde ich mich mit Loosern abgeben?" Schon in dieser Sekunde bereute Michiru alles, was sie gerade gesagt hatte. Und eine weiter Sekunde später, wäre sie am liebsten gestorben. Von der Klassenzimmertür her, war ein dumpfes Geräusch zu vernehmen. Sämtliche Blicke wanderten in besagte Richtung. Dort stand Haruka. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung und glich einer Maske. Auch ihr Körper war stocksteif, nur ihre Trainingstasche hatte sie fallenlassen. Ihr Blick war finster, kälter noch, als am ersten Tag. "Haruka...", presste Michiru leise hervor und als hätte diese nur darauf gewartet, drehte sie sich um und ging. "Haruka, bitte...", rief Michiru und lief ihr nach. "Miss Michiru", brachte Sensei Okudera verärgert hervor, doch diese reagierte gar nicht und warf die Klassentür hinter sich ins Schloß. "Haruka. Bitte warte!" rief sie der Blondine zu, während sie den Gang hinunter lief, doch diese ging einfach weiter. Als sie sie endlich eingeholt hatte, fasste sie nach deren Arm. "Es tut mir leid", sagte die junge Künstlerin, als sie Haruka zu sich herumzog. Doch sofort verstummte sie. Mit kalten Augen und glanzlosem Blick sah Haruka sie an. Sofort ließ Michiru ihren Arm los. Einen Moment lang starrten sie sich an, dann drehte Haruka sich wieder um und ging. "Haruka, bitte...", versuchte Michiru es noch einmal, "Ich meinte es nicht so. Der Okudera hat mich vor der ganzen Klasse bloßgestellt - da ist es mir so rausgerutscht. Ich wollte das nicht sagen!" Haruka blieb stehen. "Aber du hast es gesagt", meinte sie tonlos, ohne sich umzudrehen. Michiru sah, wie sie ihre Fäuste ballte und dann sah Haruka sie über die Schulter hinweg an. "Ich dachte, du wärst anders, aber das bist du nicht. Verstehst du jetzt, warum mir die Gefühle der Menschen egal sind?" Dann ging sie. Michiru hatte nicht mehr den Mut, ihr zu folgen. Nun war Haruka schon stundenlang mit dem Motorrad herumgefahren und ihre Wut war noch immer nicht verraucht. Wie hatte sie nur so dumm sein können zu glauben, daß Michiru sie aufeinmal mochte? Nur, weil sie sich gestern für wenige Augenblicke wie Freunde behandelt hatten? An den Klippen brachte Haruka das Motorrad zum stehen. Sie nahm den Helm ab und trat bis an den Rand des Abgrunds. Der Wind wehte durch ihr Haar, blies ihr einzelne Strähnen ins Gesicht und trug den salzigen Geruch des Meeres bis hier herauf. Das Rauschen der Brandung klang wie eine schöne Melodie. All das hier, schien sie endlich etwas zu beruhigen. Sie atmete tief durch und schließlich lächelte sie ein wenig. "Was solls?" sagte sie zu sich selbst, "Sie ist sowieso nur eine von Vielen. Kann mir doch egal sein, ob ich sie nun ins Bett bekomme oder nicht." Sie ging zurück zu ihrer Maschine, setzte den Helm wieder auf und gab Gas. Michiru war nicht wieder in die Klasse zurückgegangen. Sie fühlte sich einfach schrecklich. Wie hatte sie soetwas nur sagen können? Es stimmte zwar, daß Haruka keine besonders gute Schülerin war und sie Michiru anfänglich wie ein Stück Fleisch behandelt hatte, aber hatte die zierliche Künstlerin deswegen das Recht, sie als Looser zu bezeichnen? Außerdem hatte sie sich doch gestern mehr oder weniger bei ihr entschuldigt für ihr machohaftes Verhalten. Nicht nur das - sie hatte Michiru sogar gezeigt, wie charmant sie sein konnte, ihr einen winzigen Eindruck, der wirklichen Haruka gegeben. Und nun war dieser kleine Anfang wieder zunichte gemacht. "Ich bin ja so blöd", fluchte Michiru leise, "Wieso konnte ich nicht einfach meinen Mund halten?" Ohne es zu merken, war sie zum Sportplatz gegangen. Erst jetzt wurde ihr bewußt, wo sie sich befand. Ihr Blick schweifte über die Rasenfläche inmitten der Aschebahnen und sie seufzte. Ohne es verhindern zu können, sah sie wieder Haruka in ihrem kurzen Trainingsoutfit vor sich, wie sie lasziv lächelte und hauchte: "Erregender Gedanke, nicht wahr?" Dann sah sie sie wie den Wind über die Bahn fegen. Das Spiel der Muskeln ihres durchtrainierten Körpers. Und dann der Vorfall im Klassenzimmer... Die elektrisierenden Berührungen, der heiße Atem, die Erotik, welche in dieser tiefen, sinnlichen Stimme lag... Michiru schüttelte sich. Im Grunde konnte Haruka ihr doch egal sein. Sie kannten sich kaum und die Blondine hatte sie ständig nur aufs dreisteste angebaggert. Warum also, war sie ihr nicht egal? Nur, weil sie ein einziges Mal nett zu ihr gewesen war? "Nein", sagte Michiru fest, "Ich mag sie einfach." Warum, das wußte sie selbst nicht so genau, aber sie konnte nicht leugnen, daß es ihr auch irgendwie geschmeichelt hatte, daß Haruka sie wollte. Es war eine völlig neue Erfahrung und machte auch ein wenig stolz, daß nicht nur die Männer scharf auf sie waren, sondern auch eine Frau sie begehrte. Und das gerade Haruka diese Frau war, bereitete ihr sogar ein wenig Herzklopfen. "Ich muß mich bei ihr entschuldigen", murmelte Michiru, "Irgendwie muß ich das Alles wieder hinbekommen." Entschlossen verließ sie das Schulgelände und begann, nach Haruka zu suchen. Elza stand total neben sich. Wieso war Michiru nicht zurück in den Unterricht gekommen? Den ganzen restlichen Schultag war die junge Künstlerin nicht mehr aufgetaucht und Elza sorgte sich um sie. "Warum liegt ihr plötzlich so viel an Haruka?" fragte sie sich selbst, "Erst sagt sie, sie könne sie nicht ausstehen und nun rennt sie ihr blindlinks hinterher. Wer weiß, was dieser weibliche Casanova mit ihr angestellt hat." Sie sah auf die Uhr. Es war kurz nach 18 Uhr. Das Training hatte doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als sie gedacht hatte. Ohne lange zu überlegen schlug sie den Weg zu Michiru ein. Als sie gegen 18.30 Uhr dort ankam und läutete, öffnete Mrs. Kaioh ihr die Tür. "Elza", lächelte sie freundlich, "Das ist ja nett, daß du uns auch mal wieder besuchen kommst. Wie geht es dir?" "Danke gut", lächelte das rothaarige Mädchen, während sie Mrs. Kaioh´s Geste folgte und das Haus betrat. "Ist Michiru zu Hause? Ich wollte mit ihr reden." Mrs. Kaioh sah sie erstaunt an. "Sie ist nach der Schule noch nicht nach Hause gekommen. Hat sie dir denn nicht gesagt, ob sie noch etwas vorhätte?" Elza ließ den Kopf sinken. "Verdammt", fluchte sie kaum hörbar, doch ihr Gegenüber hatte es dennoch verstanden. "Ist etwas passiert?" fragte sie gleich, "Hattet ihr etwas Streit?" "Nein", seufzte Elza, "Wir nicht, aber sie und Haruka..." "Haruka?" unterbrach Mrs. Kaioh sie, "Dieses große, blonde Mädchen, das aussieht wie ein Junge?" Elza blickte sie erstaunt an. "Sie kennen Haruka?" "Naja, kennen wäre wohl zuviel gesagt", entgegnete Michiru´s Mutter, "Ich habe sie gestern kurz gesehen, als sie Mi-chan nach Hause gebracht hat. Wieso haben die beiden denn gestritten? Michiru meinte gestern, sie wären befreundet." Jetzt war Elza noch erstaunter. "Das hat Michi wirklich gesagt?" Mrs. Kaioh nickte. "Sie strahlte übers ganze Gesicht, nachdem Haruka sie heimgebracht hatte. Einen Moment lang hatte ich sogar den Eindruck, sie wäre verliebt. Aber dann sagte sie mir, daß Haruka ein Mädchen sei." Elza zuckte zusammen. Das also hatte Michiru heute Morgen gemeint. Sie schien tatsächlich nicht allein mit der Vermutung, daß ihre beste Freundin in ein Mädchen verliebt war. "Warum haben die Zwei sich denn gestritten?" riss Michiru´s Mutter Elza aus ihren Gedanken. "Nunja...", begann sie zögerlich zu sprechen, "Haruka kam heute Morgen zu spät zum Unterricht und als Sensei Okudera Michi fragte, ob sie wüßte, was mit Haruka wäre, weil er sie ständig zusammen sehen würde, da wurde Michi plötzlich ziemlich böse. Sie fragte, ob der Sensei allen Ernstes glauben würde, daß sie mit einem Losser wie Haruka befreundet wäre. Leider kam Haruka genau in diesem Moment in die Klasse. Sie hat es gehört und ist daraufhin ohne ein Wort wieder verschwunden. Michi ist ihr nachgelaufen und seit dem, habe ich Beide nicht mehr gesehen." Mrs. Kaioh war fassungslos. "Das hat Michi-chan wirklich gesagt? Aber warum tut sie soetwas? Sie schien Haruka doch wirklich gern zu haben." "Das hat sie auch", murmelte Elza, "Wahrscheinlich viel zu sehr..." Mrs. Kaioh sank auf einen Sessel und legte die Hände in den Schoß. "Elza?" fragte sie und als diese sie ansah, fuhr sie fort: "Ist...ist meine kleine Michiru in dieses Mädchen...verliebt?" Elza wurde nervös. Sie fühlte sich unwohl und wußte nicht, was sie sagen sollte. "Du kannst ruhig ehrlich zu mir sein", sagte Mrs. Kaioh sanft, "Ich bin meiner Kleinen nicht böse. Auch, wenn ich gestehen muß, daß ich gerne einmal Enkel gehabt hätte, aber wichtiger für mich ist, daß mein Mädchen glücklich ist." Elza holte einmal tief Luft. "Ich weiß es nicht", sagte sie dann wahrheitsgemäß, "Manchmal denke ich, es ist so, dann wieder glaube ich, sie kann Haruka nicht ausstehen. Das einzige, was ich sicher weiß ist, daß Haruka lesbisch ist und Michiru es ihr scheinbar sehr angetan hat." Mrs. Kaioh nickte und lehnte sich zurück. "Dann ist Michiru wirklich verliebt." Elza sah Mrs. Kaioh erstaunt an. Diese lächelte. "Warum sonst, sollte Michiru erst soetwas sagen und diesem Mädchen dann hinterherlaufen? Sie ist wahrscheinlich verwirrt über ihre eigenen Gefühle und weiß nicht, wie sie sich verhalten oder es Haruka sagen soll." Elza wußte nicht mehr, was sie noch sagen sollte. So locker wie Michiru´s Mutter konnte sie das Alles nicht verarbeiten. "Ich werde besser langsam nach Hause gehen. Meine Mum wartet sicher schon auf mich", sagte sie, verbeugte sich höflich und verließ das Haus. Seufzend starrte Michiru auf ihren Tee. Stundenlang war sie durch die Stadt geirrt in der Hoffnung, Haruka irgendwo zu finden. Erst um 17 Uhr hatte sie aufgegeben und war in ein Café gegangen. Die Stadt war viel zu groß, um einen einzelnen Menschen zu finden, von welchem man absolut nicht wußte, wo er sich aufhielt. "Vielleicht ist sie ja auch nach Hause gefahren", murmelte Michiru traurig, "Warum hab ich sie gestern bloß nicht gefragt, wo sie wohnt?" Plötzlich blickte sie auf. Was, wenn Haruka die Stadt nun wieder verlassen würde? Dann würde Michiru sie nie wiedersehen und wohl auch nie Klarheit über ihre Gefühle bekommen. Das durfte nicht geschehen. Hastig legte sie etwas Geld neben ihre halb ausgetrunkene Tasse Tee und verließ das Lokal. Sie steuerte die nächste Telefonzelle an und griff sich das dicke Telefonbuch. Sehr schnell jedoch mußte sie feststellen, daß Haruka´s Nr. und Adresse darin nicht verzeichnet war. "Verdammt", flüsterte sie, "Wie soll sie denn auch da drinnen verzeichnet sein? Sie wohnt ja noch nicht lange in Tokyo." Da hatte Michiru eine Idee. Sie wählte die Nummer vom Sekreteriat der Mugen Gakuen. Nachdem es einige Male geläutet hatte, hob am anderen Ende eine junge Frau ab. "Kaioh Michiru", brabbelte selbige gleich drauf los, "Ich möchte gern mit Direktor Tomoe sprechen." "Einen Moment bitte", kam es vom anderen Ende, "Ich verbinde." Mehr oder weniger geduldig wartete Michiru. Endlich meldete sich Direktor Tomoe. "Hier ist Kaioh Michiru", sagte diese erleichtert in den Hörer. "Miss Michiru", entgegnete der Direktor freudig überrascht, "Die größte Hoffnung unserer Schule. Was gibt es denn? Kann ich ihnen bei irgendetwas behilflich sein?" "Das können sie in der Tat", gab Michiru zurück, "Eine meiner Mitschülerinnen hat heute ihr Aufgabenheft liegen lassen. Und weil sie jetzt wohl ihre Hausaufgaben nicht erledigen kann, wollte ich es ihr gerne bringen. Leider weiß ich nicht, wo sie wohnt." Michiru biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte noch niemals gelogen und sie hatte kein gutes Gefühl dabei, einen Erwachsenen - und dann auch noch den Direktor - dermaßen anzuflunkern. "Das ist wieder typisch für sie, Miss Michiru", lachte Dr. Tomoe, "Wie immer hilfsbereit. Um welche Schülerin handelt es sich denn?" Michiru schluckte ihr schlechtes Gewissen runter und sagte: "Ten´ou Haruka. Sie ist erst seit kurzem auf unserer Schule." "Miss Haruka?" stieß der Direktor überrascht hervor, "Sie war mir als Einzelgänger bekannt. Es erfreut mich zu hören, daß sie an meiner Schule scheinbar schnell Freundschaften geschlossen hat." "Naja...", fing Michiru an, doch Direktor Tomoe schien gar nicht zuzuhören. "Sie wohnt ganz in der Nähe der Schule", sprudelte es geradezu aus ihm heraus, "Der dritte Wohnturm im Poldern." "Ich danke ihnen", entgegnete Michiru höflich. "Keine Ursache", bekam sie als Antwort, "Richten sie Miss Haruka meine besten Wünsche aus und sagen sie ihr, daß sie für die japanische Meisterschaft in acht Wochen unsere größte Hoffnung ist." "Das mache ich", gab Michiru noch zurück, bevor sie sich verabschiedete und das Telefonat beendete. Nun stand sie in der kleinen Zelle, als wüßte sie nicht, was sie tun sollte. Sie holte einmal tief Luft, um wieder zu sich zu finden. "Ich habe ihre Adresse", wurde sie sich schließlich bewußt, "Ich hab es tatsächlich geschafft!" Ohne noch weiter lange nachzudenken, verließ Michiru die Telefonzelle und schlug schnurstracks den Weg zum Mugen Poldern ein. --------------------------------------------------------- Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)