From Yesterday
Seinen Schmerz hinter Wut zu verstecken war eine Möglichkeit, sich selbst zu schützen. Eine andere war, sich hinter einer Maske aus Gleichgültigkeit zu verbergen. Keiner konnte sehen, was sich dahinter verschloss, während gleichzeitig auch nichts davon nach außen drang. Niemand konnte hinter der Maske die Selbstvorwürfe und die stille Wut weder hören noch erkennen.
Darüber hinaus gab es einem die Kraft, die man benötigte, um weiter zu machen. Sie ermöglichte es Rei, am Vormittag mit Kai an ein und demselben Tisch zu sitzen und seine Fragen, die allein zur zwanglosen Konversation dienen sollten, zu beantworten. Er spielte die Rolle, die man ihm angedacht hatte, mit einer Überzeugung, die ihm selbst fremd war. Niemand bemerkte, wie er sich wirklich fühlte und letztlich war er bei dieser Art Versteckspiel ja nicht der Einzige. Kais perfektes Pokerface ließ nicht einmal erahnen, was er dachte. Auch er war ganz in seiner Rolle als egozentrischer Kunstkenner aufgegangen.
So kam es, dass der bereits ergraute Mann ihnen mittags lächelnd einen Umschlag mit der Einladung zu Blackworths Vernissage überreichte und sich dann bis zum Abend verabschiedete. Kurz darauf saßen Rei und MingMing auch bereits in ihrer Suite und der Chinese ließ sich von ihr die Grundrisspläne der Villa zeigen, während sie ihr Vorgehen mit ihm besprach. Über den ‚Vorfall’ ließ sie kein Wort verlauten. Ganz im Gegenteil, sie war ungewohnt kurz angebunden und sprach selten mehr als wirklich nötig.
Rei vermutete bereits, dass das Yuriys Verdienst war. Irgendwie hatte er noch in der Nacht erfahren, dass Rei mit Kai geschlafen hatte – vielleicht hatte es ihm der andere sogar erzählt – jedenfalls hatte der Rothaarige seitdem inoffiziell die Kontrolle über ihr Team übernommen. Das führte nicht nur dazu, dass kaum einer der anderen mehr mit ihm sprach, sondern bewirkte auch, dass er für sie fast so etwas wie Luft geworden war. Sie beachteten ihn einfach nicht mehr. Doch am Ende war es ihm eigentlich längst egal. Es mochte zwar wehtun, aber es hatte jegliche Bedeutung verloren. Alles, was noch zählte, war, die Mission zu beenden.
Am Abend holte Yuriy MingMing und ihn schließlich ab und brachte sie zu einem gemieteten Motorboot, in dem Kai bereits saß und mit abwesendem Blick das Treiben auf dem Canale verfolgte. Sie hatten sich alle für die Vernissage herausgeputzt, trugen die teuersten Kleider, denen Rei jedoch keinerlei Beachtung schenkte. Es war nicht mehr als Schein und Trug, was interessierte es ihn jetzt noch?
Das Boot brachte sie nach kurzer Fahrt zum Anlegesteg eines alten Gebäudes im Renaissance-Stil, das mit dutzenden Lampions geschmückt war. Einige Männer in schwarzen Anzügen waren sofort zur Stelle, um sie zu begrüßen und höflich nach ihren Einladungen zu fragen. Nach einem kurzen kontrollierenden Blick halfen sie ihnen aus dem Boot und einer der Angestellten Blackworths führte sie zum prächtigen, mit Steinreliefen verzierten Eingang. Der ganze Weg vom Steg bis zu den polierten Marmorfliesen in der Eingangshalle war mit einem roten Teppich ausgelegt. Kaum hatten sie die schwere Holztür durchschritten, waren auch sofort einige Bedienstete zur Stelle, die ihnen Jacken oder Taschen abnehmen wollten. MingMing übergab mit einem umwerfenden Lächeln einem jungen, vielleicht zwanzigjährigen Mann ihre winzige Tasche, woraufhin jener sofort knallrot anlief.
Sie durchquerten mit gemächlichen Schritten die geräumigen Hallen, deren Wände in sorgsam bedachten Abständen mit teuren Gemälden behangen waren. Ab und an standen sogar einige moderne Skulpturen mitten im Raum und wurden von der ausgetüftelten Beleuchtung in Szene gesetzt. Noch war es früh am Abend, so dass sich nur wenige Gäste einzeln oder in kleinen Gruppen vor den Werken scharten und ihre fachkundige Meinung austauschten. Andere wiederum standen an den langen Tischen des Buffets, das in einem etwas abseitigen Raum aufgebaut worden war. Einige der Angestellten, die mit Tabletts immer wieder durch die Räume hasteten, boten ihnen Getränke oder kleine Snacks an.
Doch das, was Rei an diesem Abend als einziges faszinieren konnte, war nicht die glanzvolle Umgebung oder die ihm unverständlichen Bilder, die an den Wänden hingen – es war die Decke in dem größten Saal, die mit einem gewaltigen Bildepos verziert war. Menschen in antiken Gewändern, die Richtung Fensterfront einen griechischen Tempel und überirdisch schöne Götter bewunderten, andererseits aber auch vor dem Fährmann zurückschreckten, der in seiner Barke stand und die Hand fordernd nach ihnen ausstreckte. Nur wenige, die den verlangten Wegzoll, eine Münze, besaßen, wagten sich zu ihm. Doch der Großteil war Teil einer rauschenden Feier. Frauen mit entblößtem Oberkörper, Karaffen voller Wein, Speisen im Überfluss - weshalb nur verwunderte es nicht, dass die Feste damals nicht anders waren als heute?
Es war ein gewaltiges Deckenfresco, das fast jeden Quadratzentimeter bedeckte und, wie Rei fand, wunderbar erhalten war. Die Farben strahlten noch immer und hatten nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Für ihn war es das größte Kunstwerk, das er an diesem Abend zu Gesicht bekommen hatte, auch wenn er scheinbar einer der wenigen war, die es bemerkten.
Unzählige Menschen, jung, alt, reich, ob Künstler, Kurtisane oder Mäzen, stellten sich Kai vor, der jedoch mit seiner brüsken Art schnell wieder alle vertrieb. Stattdessen gab er vor, vollkommen von den Gemälden fasziniert zu sein und ließ sich von Yuriy, der mit einem wachsamen Auge an ihrer Seite stand, Preise diktieren. Was Rei dabei heraushörte war, dass einige Kunststücke wohl in den nächsten Wochen versteigert werden sollten.
MingMing beriet den Graublauhaarigen dabei, sprach immer wieder mit den Künstlern und diskutierte fachmännisch den Einsatz dieser oder jener Farben. Ihr gutes Aussehen war dabei der Bonus, der ihr nicht nur bereitwillige Erklärungen einbrachte, sondern auch die gesamte Aufmerksamkeit von dem Rest ihrer Gesellschaft ablenkte. Kaum jemand würdigte so Rei überhaupt einen zweiten Blick. Sie wussten wohl alle, welche Rolle er an Kais Seite innehatte.
Es dauerte nicht lange, bis ein Streicherquartett auf einer kleinen Bühne damit begann, einige klassische Stücke zu spielen, so dass die wenigen Gespräche sofort unter dem Mantel der dezenten Geräuschkulisse untergingen. Der perfekte Weg um eine gewisse Diskretion aufrecht zu erhalten.
Etwa eine Stunde nach ihrer Ankunft spürte Rei den ersten der Männer aus dem Café auf. Zwar hatte dieser, ebenso wie Blackworth, sein Aussehen verändert und seine langen braunen Haare geschnitten, aber der Chinese erkannte sofort die leicht nasale Stimme. Nachdem er jede Verwechslung ausgeschlossen hatte, beugte er sich in einer vertraulichen Geste zu Kai und berichtete ihm flüsternd von seiner Entdeckung. Nach einer kurzen Beschreibung nickte jener, wich dann einen Schritt zurück.
Dem Schwarzhaarigen fiel es schwer, nach dieser Geste seine gleichgültige Maske aufzubehalten. Es war mehr als deutlich, dass der andere ihn nicht in seiner Nähe haben wollte. Seufzend drehte Rei sich ebenfalls um und ließ den Blick wieder beiläufig über die anderen Gäste gleiten. Es war so einfach, Kais Geruch, den ihn so an die vergangene Nacht erinnerte, und den Duft seines Parfums aus dem Kopf zu bekommen. Zwar bekam er so nicht mit, wie die Information an den Rest des Teams weitergeleitet wurde, aber man hatte ihm schließlich gesagt, dass ihn das nichts mehr angehen würde. Seine Aufgabe bezog sich allein darauf, die Männer zu finden.
Im Laufe der nächsten drei Stunden entdeckte er so weitere der Männer, inklusive Blackworth, die aber alle glücklicherweise mehr von MingMings Reizen fasziniert waren, als dass sie ihn erkannten. Am Ende fehlte nur noch einer, ein bulliger, älterer Mann mit Glatze, dessen hervorstehende Augen sich am besten in Reis Gedächtnis gebrannt hatten. Nur noch er, und dann konnte das Team losschlagen. Es war ihm durchaus bewusst, dass dies die letzten Minuten mit dessen Mitgliedern sein konnten.
Die Hallen hatten sich inzwischen merklich gefüllt, ebenso wie der Geräuschpegel nun doch deutlich zugenommen hatte. Nachdem die Sonne untergegangen war, hatte man noch mehr Lampen herangeschafft, die zusätzlich zu den luxuriösen Kronleuchtern für genügend Helligkeit sorgten. Auch hatte man, nachdem die Hitze des Tages abgeklungen war, die großen Flügeltüren geöffnet, so dass der Sommerwind eine kleine Abkühlung in die Räume brachte.
Rei stand gerade am Buffet und probierte einige der Meeresfrüchte, die MingMing ihm empfohlen hatte, als er eine abgehackte Bewegung aus den Augenwinkeln mitbekam. Verwundert blickte er unauffällig zur Seite. In einigen Metern Entfernung stand dort ein dunkelhaariger Mann Mitte zwanzig, dessen Spitzbart seinem Gesicht eine merkwürdig lange Form gab. Er war in einen weißen Anzug mit schwarzem Hemd gekleidet, hielt in der rechten Hand ein langstieliges Sektglas. Es sah so aus, als würde er im Moment interessiert eine Skulptur aus schwarzem Ebenholz betrachten, doch für Reis Geschmack war er dafür viel zu angespannt. Zudem war da etwas an seiner Art, wie er da stand, die freie Hand in der Hosentasche vergraben, die Rei an jemanden erinnerte. Wenn ihm nur einfallen würde, wer!
Das Gesicht kam ihm jedenfalls, und da war er sich sicher, nicht bekannt vor. Der Schwarzhaarige runzelte konzentriert die Stirn, versuchte die Statur des Mannes in den steifen Stoffen auszumachen, als dieser plötzlich zu ihm herüber sah und ihn ebenfalls kurz musterte. Dann zog er fragend die rechte Augenbraue hoch, ein Kunststück, das Rei bisher selten gesehen hatte, bevor er sich abwandte und sich zurück in den großen Saal begab.
MingMing, die die Szene beobachtete hatte, näherte sich dem Chinesen und fragte ihn dann leise: „Einer der Männer?“ Doch Rei schüttelte den Kopf. „Nur ein Déjà-vu.“
Er hatte gerade noch genug Zeit, um den Gedanken an den eigenartigen Fremden zu verdrängen, als dann auf einmal der Mann, auf den er noch gewartet hatte, vor ihm stand. Rei erkannte ihn sofort und es bedurfte dann nur noch eines Blickes, um es Kai und Yuriy, die etwas abseits von ihnen standen, mitzuteilen.
Da sich neben dem Team nur noch wenige Menschen in der Halle aufhielten, war der Blickwechsel dem Mann natürlich nicht entgangen, weshalb er sich nun, misstrauisch geworden, daran machte, den Schwarzhaarigen genauer zu besehen. Es dauerte auch nicht lange, bis er entsetzt die Augen aufriss, als er ihn erkannte. Er wollte gerade den Mund öffnen, wohl um Alarm zu schlagen, aber ihr Teamführer stand bereits hinter dem Glatzköpfigen und hielt ihm den Lauf einer Pistole gegen den Rücken, der ihn sofort erstarren ließ.
Zwei Atemzüge später ging der Feueralarm los und eine Stimme schrie laut „Fuoco! Fire!“.
Wie auch damals auf der Party in Paris ging augenblicklich ein Ruck durch die Menschen, einige Frauen schrieen laut und sorgten dafür, dass sofort alles fluchtartig aus den Räumen strömte. Unterstützt wurde die Dramatik von einigen Rauchbomben, die innerhalb kürzester Zeit die gesamten Räume in dichte Schwaden gehüllt, hatten. Rei gestand sich fast amüsiert ein, dass Takao wirklich ein Händchen für solche Dinge hatte.
Während sich die Vernissage leerte, erklärte MingMing ihm, dass es Zeit sei, zu verschwinden. Der Chinese nickte und nahm dann die Rauchmaske, die sie unter der weißen Tischdecke einer der Tische hervorgeholt hatte, entgegen. Obwohl er wusste, dass die Zeit drängte, konnte er aber nicht verhindern, dass sein Blick ein letztes Mal zu Kai wanderte. Dieser hatte Blackworths Helfer bereits gefesselt und Yuriy übergeben. Und obwohl er seiner Teamkollegin noch einige Anweisungen gab, würdigte er Rei keines Blickes mehr. Nicht einmal, als MingMing den Schwarzhaarigen mit einer kurzen Umarmung und einem „Leb wohl!“ verabschiedete, wanderten seine Augen auch nur wenig in seine Richtung.
Dann waren sie alle verschwunden und Rei stand allein in der leeren Seitenhalle.
Das war also der Abschied?
Das war es?
Jetzt konnte er heim?
Er konnte es kaum fassen, noch schien er es zu Anfang akzeptieren zu wollen. Widerstand, den er selbst nicht nachvollziehen konnte, regte sich bei diesen Gedanken in ihm. Er wollte, konnte nicht. Etwas, das er nicht benennen konnte, hielt ihn auf, legte seinen Füßen Fesseln an. Da war etwas, was er noch längst nicht verstanden hatte. Da war etwas.
Aber Yuriy hatte es verlangt.
Mit zusammengebissenen Zähnen machte sich Rei auch endlich daran, sich durch die verrauchten wie verlassenen Hallen und Gänge zu kämpfen. Auf seinem Weg zu den Anlegestellen traf er, sofern er es sehen und beurteilen konnte, keine Menschenseele, auch wenn er ab und an das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Schließlich erwarteten ihn an seinem Ziel noch Dutzende von Gästen, die sich alle auf den engen Stegen drängten und versuchten, sich in die wenigen Boote zu quetschen. Zwischen all der Hektik und dem Chaos wirkte Boris, der unbehelligt in einem kleinen Motorboot saß und bereits auf ihn wartete, fast unnatürlich. Jeder, der es wagte, sich ihm auch nur zu nähern, wurde von einem finsteren Blick oder barschen Worten vertrieben; es war nicht verwunderlich, dass die Menschen selbst in ihrer Panik einen großen Bogen um ihm machten.
Der Russe wartete, bis sein Passagier mit an Bord war, bevor er den Motor startete und ihn auf dem schnellsten Weg zu dem auf Land gebauten Teil Venedigs brachte. Dort erwartete Rei bereits ein Taxi.
„Flugtickets und Ausweise sind da drin.“ Mit diesen letzten Worten drückte ihm der Lavendelhaarfarbene den Rucksack, den sie ihm damals in Amerika auch bereits gegeben hatten, in die Hand. Er war, wie nicht anders zu erwarten, bereits verschwunden, als Rei sich im Taxi ein letztes Mal nach ihm umdrehen wollte.
War das nicht, was er sich von Anfang an gewünscht hatte? Dass er zurückkehren konnte, dass sie ihm sein altes Leben wiedergaben und ihn danach in Ruhe ließen? Verwundert drückte Rei eine Hand gegen die warme Autoscheibe, hinter der die Stadt Venedig an ihm vorbei zog und fragte sich, woher die plötzliche Schwermut kam.
Sowohl während der Fahrt zu dem kleinen Flughafen, als auch auf dem Flug nach Rom hatte Rei das Gefühl, aus einem schrecklichen Albtraum aufgewacht zu sein. Als wären die ganzen letzten Tage nie geschehen, befand er sich nun wieder mitten im normalen Leben mit seinen Sorgen, Problemen und Freuden wieder. All die Dinge, die er erlebt hatte, erschienen ihm jetzt nur noch wie eine ferne Erzählung, eine Erinnerung, die nicht recht zu ihm gehören wollte. So etwas passierte nur in Filmen, hätte er noch vor einer Woche gedacht. So etwas konnte kaum real sein, keiner würde es ihm glauben. Er seufzte, lehnte sich dann in die Lederpolster des Sitzes zurück.
In Rom rief er aufgrund einer Verspätung seines Fluges nach Philadelphia, seine Eltern an und bat sie darum, ihn zu Hause vom Flughafen abzuholen. Es war eine ganz natürliche Reaktion. Erst später fiel ihm ein, dass es vielleicht besser gewesen wäre, er hätte sich ein Taxi genommen, doch einmal ins alte Denkschema zurückgekehrt, fielen einem solche unpraktischen Gedanken schwer. Seine Eltern hatten ihn doch schon öfter irgendwo abgeholt.
Zwar waren sie erst erstaunt darüber, dass Rei schon so bald wieder nach Hause kommen wollte, da er doch gerade einmal eine knappe Woche weg gewesen war, aber schließlich versicherten sie ihm, wie sehr sie sich darauf freuten, ihn wieder zu sehen. „Mao vermisst dich auch schon!“, hatte seine Mutter lachend angemerkt. „Sie hat schon geglaubt, man hätte ihren zukünftigen Ehemann entführt!“
Glücklicherweise hatte sie in diesem Moment nicht den entsetzten Gesichtsausdruck ihres Sohnes sehen können. Noch wusste sie von dem Konflikt, den er noch immer in seinem Inneren auskämpfte. Auch wenn er die letzte Nacht vergaß, so wusste er dennoch immer noch, dass er Mao nicht genug liebte, um sie zu heiraten. Und das, obwohl er es ihr versprochen hatte. Was sollte er nur tun? Sein Wort brechen?
Den gesamten Flug über starrte er gedankenverloren aus dem Fenster und dachte über diese Frage nach. Nur einmal verschwand er kurz auf die Bordtoilette, um seine teuren Klamotten gegen eine einfache Jeans, T-Shirt und Jacke einzutauschen. Verwundert stellte er dabei fest, dass es sich um seine eigenen Kleider handelte, die er noch im Café getragen hatte. Offenbar Scheinbar hatte man sie für ihn aufgehoben und dann gewaschen und gebügelt in den Rucksack gepackt. Die teuren Sachen, mit denen er nur aufgefallen war, entsorgte Rei im Müll – er wollte nichts mehr damit zu tun haben.
Fortuna war ihm Hold, als er in Philadelphia landete und kurze Zeit später in der Ankunftshalle nur seine Eltern, die ihm aufgeregt zuwinkten, sah. Er war kaum durch die Sicherheitskontrollen, als seine Mutter auch schon auf ihn zukam, umarmte und meinte, dass Mao arbeiten müsse. Sie war es dann auch, die ihm auf der Heimfahrt erzählte, was man ihnen über sein plötzliches Verschwinden gesagt hatte.
„Du kannst dir den Schock nicht vorstellen, als wir erfahren haben, dass das Café überfallen worden ist. Oder dass sie dich als Geisel genommen haben! Mao war am Boden zerstört. Ich frage mich wirklich, wann sie die Bande endlich kriegen. Die Polizei sagt schon seit Tagen, dass die Ermittlungen noch andauern und dass sie kurz vor dem Durchbruch stehen.“ Bei dem Gedanken daran, dass die Schuldigen wohl nie wieder Amerika sehen würden, zierte Reis Lippen ein grimmiges Lächeln.
„Einer der Polizisten hat uns dann aber von deiner Heldentat erzählt, mein Schatz.“ Mit stolz geschwellter Brust sah sie ihren Sohn an. „Dass du dich selbstständig befreit hast und einen Teil des erbeuteten Geldes zurückgebracht hast!“ Rei konnte sich zwar an kein Geld erinnern, aber wenn es Teil seiner Deckungsgeschichte war, wollte er sicherlich nicht widersprechen.
„Er hat auch erzählt, dass du ihm Krankenhaus mit einem der Seelsorger von der Opferbetreuung gesprochen hast und dass er dir geraten hat, eine Auszeit zu nehmen. Dass du so durch den Wind warst und nicht wolltest, dass Mao dich in diesem Zustand sehen kann. Aber wie du nur auf diese Ideen kommst? Sie ist vor Sorge fast umgekommen und du flüchtest einfach aus dem Krankenhaus und fliegst zu diesem alten Freund von dir in Seattle ohne uns Bescheid zu geben.“ Seine Mutter schüttelte verständnislos den Kopf.
„So überstürzt, hast du denn deinen Freund nicht gestört? Du hast zwar in deinem Brief geschrieben, dass er dir angeboten hat, ein oder zwei Wochen bei ihm zu bleiben, aber ich weiß ja nicht. Na ja, jetzt bist du ja wieder da und ich glaube ja noch immer, dass das einfach nur Panik vor der Hochzeit war. Habe ich dir mal erzählt, dass dein Vater vor unserer Hochzeit mit dem Auto deines Großvaters in die nächste Stadt gefahren ist und…“
Die Geschichte hatte zwar ihre Makel, erklärte aber eigentlich ganz gut seine ganze Situation. Die Abreise, dass er sich nicht viel gemeldet hatte (Rei wollte nicht wissen, wer seine Handschrift so perfekt fälschen konnte, dass er sogar seine Eltern täuschen konnte) und die Sache mit dem Flughafen. Seine Eltern hatten in dem Durcheinander der ganzen ankommenden Flüge gar nicht gemerkt, mit welchem Flug ihr Sohn gekommen war.
Während seine Mutter noch eine ihrer vielen peinlichen Geschichten über seinen Vater erzählte und dieser verzweifelt versuchte, sie davon abzubringen, erkannte Rei auf einmal, dass er wirklich zurück war. Dass alles so war, wie es sein sollte, wie er es gewohnt war.
„Es ist vorbei“, murmelte er leise und sah dann aus dem Fenster auf die ihm so bekannte Umgebung. Er hatte im Flugzeug beschlossen, dass es nicht mehr war als ein Traum, aus dem er erwacht war. Dass das hier sein Leben war.
Das allein.
Anmerkung:
Tja, eine Anmerkung ist nach diesem Ende wohl mehr als angebracht... aufmerksamen Lesern mag vielleicht aufgefallen sein, dass noch einige Dinge ungeklärt sind (und ich meine hier nicht die Beziehung von Kai und Rei) und laut Prozentangabe sind wir gerade einmal bei der Hälfte... wie nur mag es weitergehen? Ich bin gespannt auf eure Vermutungen! ^-^
Vielen lieben Dank noch einmal an ShiraLinh, die sowohl dieses Kapitel korrigiert hat, als auch schon über dem Folgenden sitzt, mit dem ich mir aber erst einmal Zeit. Inzwischen ist der Abstand zu denen, an denen ich gerade schreibe, doch etwas eng geworden.
Was übrigens Kais Reaktion auf bestimmte Mutmaßungen angeht, so wird dieses Geheimnis noch gelüftet, keine Sorge! Haltet ab jetzt einfach etwas die Augen auf, vielleicht kommt ihr darauf! ^.~ Auch die Sache mit Yuriys Loyalität wird noch früh genug erklärt... sehr früh sogar. xD
@Firefox_Takara: Ich freue mich wirklich ungemein über das Kompliment, vielen lieben Dank! ^~^ Und, Sad End so eingetreten, wie du vermutet hast?
@azure_sea: Dein langer Kommentar hat mich wirklich fast ungehauen, vielen Dank dafür! *muffin reicht* Tut mir leid, wenn ich auf viele Dinge jetzt noch nichts sage, aber ihr werdet schon früh genug merken, dass sich einiges im nächsten Kapitel von selbst klären wird! >.< Und ich möchte nicht unbedingt vorher spoilern...
@BlackSilverLady: Ich wäre dir für diesen Kommentar am liebsten um den Hals gefallen! Du hast es erkannt! Du hast genau gewusst, was ich eigentlich mit Reis recht seltsam wirkender Aussage bezwecken wollte. ;-; Ich bin dir so dankbar... Ja, ich habe mich auf das Bild dieser "Tunte" bezogen, das jeder automatisch vor Augen hat, aber Rei ist meiner Meinung nach dahingehend viel zu höflich, als dass er es ausgesprochen hätte.
Die ff wurde dahin gehend gekürzt, das nach diesem Part das eigentliche Getaway abgeschlossen wäre. Ich hätte die ganze Sache noch sehr viel mehr in die Länge ziehen wollen, aber da ich wusste, dass ich das Sequel auch schreiben muss und ich Angst habe, bei einer zu langen Geschichte vorher abzubrechen, habe ich beide Inhalte gekürzt um sie in eine einzige Geschichte zu schreiben - mit einem vielleicht etwas anderem Ende. ^^ Natürlich sag ich dir Bescheid, wenn ich das vorherige Kapitel überarbeitet habe.
Auch an alle anderen, vielen lieben Dank für eure Kommentare! ^-^