Im Himmel ist der Teufel los von Sky- (Apokalypse Reloaded) ================================================================================ Kapitel 19: Spiel mir das Lied vom Mord --------------------------------------- Nachdenklich ging Michael zu seinem Quartier zurück und war mehr als verstimmt. Obwohl sie trotz der ganzen Streiterei eine Lösung für das aktuelle Problem finden konnten, ärgerte er sich trotzdem mehr als darüber. Es passte ihm überhaupt nicht, dass man ihm die Schuld an der ganzen Sache in die Schuhe schieben wollte und er jetzt wie ein Trottel dargestellt wurde. Alles, was er je getan hatte war doch nur, die Regeln und Gesetze des Herrn zu befolgen und ihm ein treuer und ergebener Diener zu sein. Er war derjenige gewesen, der Satan besiegt und aus dem Himmel geworfen hatte. Die ganze Zeit war er immer wie ein Held gefeiert worden und nun war er nur noch ein Stümper, der seine Arbeit nicht vernünftig machen konnte. Warum war es auf einmal falsch, absoluten Gehorsam zu leisten und blind zu vertrauen? Wieso musste man jetzt plötzlich alles hinterfragen, ohne auch nur ein wenig Vertrauen zu haben? Er begriff es einfach nicht. War es denn seine Schuld, dass die Menschen sich immer wieder zum Bösen verleiten ließen? Michael verwarf die kurz aufkeimenden Zweifel und rief sich seinen persönlichen Leitsatz ins Gedächtnis: Gott hat immer Recht und alle Regeln sind unmissverständlich und absolut. Er hatte sein ganzes Leben nach dieser simplen Philosophie gelebt und mit der Gewissheit gehandelt, dass er somit das Richtige tat. Dieses Gerede davon, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gab, war bloß das Gefasel rebellischer Engel, die früher oder später in die Hölle hinabstürzen würden. Und er würde sich von so etwas gewiss nicht verleiten lassen. Was zählte waren bedingungslose Hingabe und absoluter Gehorsam, alles andere war nur eine gefährliche Versuchung. Mit dieser felsenfesten Überzeugung waren alle Unsicherheiten und Zweifel verschwunden und mit neuer Selbstsicherheit stieg Michael die Wendeltreppen in die höheren Etagen des ersten Himmels hinauf. Dort hatte er auch sein Quartier im Wachturm. Es war nicht nur seine Aufgabe, die Seelen der Verstorbenen gerichtlich zu verteidigen, sondern auch das Tor zu bewachen und im Hauptquartier entsprechend Report zu machen. Da er jederzeit darauf vorbereitet sein musste, in einen Kampf verwickelt zu werden, hatte er hier auch all seine Rüstungen und Waffen gelagert. Als Kriegsengel hatte er so einige verschiedene Waffen. Da sie regelmäßig durch Kämpfe verunreinigt wurden, musste er sie danach für eine gewisse Zeit zu den Reinigungskammern gebracht werden, in denen himmlische Waffen und Reliquien geläutert wurden. Normalerweise erinnerte er sich auch daran, welche Waffen er wann benutzt hatte. Aber irgendwie war er wohl in letzter Zeit durch die Krise neben der Spur, denn als er bei seiner Rückkehr den Waffenschrank öffnete und noch mal einen prüfenden Blick durch sein Arsenal schweifen ließ, war es immer noch weg. Sein berühmtes Schwert „Drachenschlächter“, mit dem er einst Satan niedergestreckt hatte, war nicht an seinem Platz. Waffen, die sich nicht an der Stelle befanden wo sie verwahrt wurden, befanden sich für gewöhnlich in der Reinigungskammer. Aber Michael konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, es vor kurzem benutzt zu haben. Etwas verwirrt kratzte er sich am Kopf und begann sich zu wundern, dass er mit einem Mal so vergesslich wurde. Naja, es hatte so viel Ärger gegeben (vor allem mit Gabriel), dass es wohl nicht allzu fern lag, dass er solche Kleinigkeiten vergaß. Der Reinigungsdienst würde es ihm schon zurückliefern, wenn alles fertig war. Bisher konnte er sich immer darauf verlassen. Damit tat der erste Engel das mysteriöse Verschwinden seines Schwertes als eine reine Vergesslichkeit seinerseits ab und hielt sich nicht mehr weiter damit auf. Er beschloss, nach diesem frustrierenden Meeting ein wenig Dampf abzulassen und den Kriegsengeln im Hauptquartier einen Besuch abzustatten. Ein paar Kriegssimulationen heiterten ihn immer auf, vor allem weil er stets mit Bestleistungen glänzen konnte. Wenigstens wurde er dort besser geschätzt als von seinen eigenen Kollegen, die sich entweder über ihn lustig machten oder ihn schamlos erpressten. Er war sich sicher, dass sie noch früh genug feststellen würden, wie sehr sie sich irrten und das er es war, der von Anfang an Recht gehabt hatte. Und dann würde er es umso mehr genießen, sie die nächsten Jahrhunderte daran zu erinnern. Wäre Michael an diesem Morgen nicht nach Shehaqim aufgebrochen um am Übungskampf der Kriegsengel teilzunehmen, hätte das Schwert seinen Platz vermutlich erst viel später verlassen. Was der erste Erzengel nämlich nicht wusste war, dass jemand in sein Quartier eingebrochen war und seine legendäre Waffe gestohlen hatte. Und Uriel seinerseits wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er bei seinem Diebstahl beobachtet wurde. Obwohl er mit äußerster Vorsicht darauf geachtet hatte, dass ihn niemand sah, hatte er eben wegen dieses merkwürdigen Verhaltens Raphaels Aufmerksamkeit erregt. Dieser hatte sich zwar wegen einer Shoppingtour in Deutschland im Himmel abgemeldet, war aber wegen unvorhergesehener Ereignisse auf der Welt früher als geplant zurückgekehrt. Rein zufällig war er beinahe Samael und Uriel über den Weg gelaufen, die sich unterhalten hatten. Zwei Engel die miteinander redeten, waren eigentlich nichts Besonderes. Aber als schnell klar geworden war, dass zwischen den beiden irgendetwas Intimeres lief und Uriel hoffnungslos verliebt war, hatte Raphael genauer hingesehen. Und sein erster Gedanke war, dass da irgendetwas seltsam war weil die beiden so viel gemeinsam hatten wie Feuer und Wasser. Kurz darauf folgte sein zweiter Gedanke darüber, wie er sich diese Entdeckung zunutze machen konnte. Also hatte der dritte Erzengel seinen Kollegen heimlich beschattet um zu sehen, was genau zwischen Uriel und Samael lief. Denn eines stand fest: Samael ließ nur jemanden an sich ran, der Macht hatte. Und Uriel war so ziemlich das genaue Gegenteil davon. Die logische Schlussfolgerung war also, dass Samael mal wieder so eines seiner komischen Psychospiele spielte, das wieder nur Ärger bringen würde. Und wenn er es clever genug anstellte, konnte er vielleicht sogar aus beiden Profit schlagen. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis er Uriel bei etwas beobachtete, das förmlich nach Ärger schrie: den Diebstahl von Michaels Schwert. Zwar hatte Raphael keine Ahnung, was Samael mit diesem Schwert anfangen wollte, aber so wie er ihn kannte, hatte es irgendetwas mit der totalen Ausrottung der Menschheit zu tun. In der Hinsicht war dieser blinde Todesengel etwas eindimensional veranlagt. Seine Beobachtung hatte er erst einmal geheim gehalten, auch wenn das gegen einige Regeln verstieß. Außerdem sprang für ihn nichts dabei heraus, wenn er Uriel als Dieb meldete. Man hätte es als Selbstverständlichkeit behandelt und es würde nicht einmal so etwas wie eine Belohnung dafür geben. Und von nichts konnte er sich auch nichts kaufen. Also hatte er sich während des Meetings größtenteils zurückgehalten und gewartet, bis er nach der Versammlung die perfekte Gelegenheit bekommen würde um Uriel festzunageln. Dem armen Kerl war deutlich anzusehen, wie furchtbar nervös er war. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass man ihm sein Verbrechen an der Stirn ablesen konnte. Nun ja… so paranoid, wie er sich immer umgesehen hatte, hätte es selbst ein Blinder wie Samael bemerkt. Aber da alle so beschäftigt damit gewesen waren, sich gegenseitig die Augen auszukratzen, hatte niemand auf Uriel geachtet. Als sich die Versammlung nach ewigem hin und her endlich aufgelöst hatte, stürmte Uriel als Erster nach draußen als wäre er auf der Flucht. Neugierig darüber, ob der Sternenregent noch etwas Kriminelles vorhatte, folgte Raphael ihm und malte sich schon aus, was er aus seinem Kollegen wohl rausquetschen konnte. Immerhin wollte er sich sein Schweigegeld gut bezahlen lassen. Doch stattdessen ging Uriel direkt zu seinem eigenen Quartier zurück, welches sich in der Nähe der Sternenwarte befand. Von dort aus bewachte Uriel die Sterne und deutete die göttlichen Zeichen aus den Konstellationen. Mit anderen Worten: er war so etwas wie der himmlische Astrologe und machte Horoskope oder spielte das Orakel. Da Gott aber schon vor langer Zeit aufgehört hatte, Sternenkonstellationen als Kommunikationsmittel zu benutzen, bestand Uriels einzige Tätigkeit bloß darin, irgendwelche ungewöhnlichen Entdeckungen zu melden. Auch das geschah so gut wie nie weil die meisten Sterne nur leere Planeten waren und sich die Konstellationen auch nicht großartig änderten. Es blieben immer wieder dieselben Bilder. Im Grunde genommen lag Michael also gar nicht so fern mit seiner Behauptung, dass Uriel ersetzbar war. Sein Job war völlig aus der Mode gekommen weil Astronomie und Astrologie schon seit knapp 800 Jahren kaum noch Anwendung im Himmel fand. Was interessierte es die Engel denn auch bitteschön, ob es Leben auf anderen Sternen gab? Mit so einem Schwachsinn konnten sich die Menschen die Zeit totschlagen. Da es in der Sternenwarte nicht viel von Interesse gab, bezweifelte Raphael, dass sein Schweigegeld hoch ausfallen würde, aber er war kreativ und fand immer einen Weg. Michaels Siegelring hatte sich als ziemlich nützlich erwiesen und er würde sich etwas Zeit lassen, ihn wieder seinem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückzugeben. Vielleicht hatte Uriel auch irgendwelche unerwarteten Schätze in seinen Besitztümern. Man musste halt nur ein Auge fürs Detail haben und einigermaßen mitdenken können. Nachdem Uriel in sein Quartier verschwunden war, wartete Raphael noch einen Augenblick, bevor er an die Tür klopfte. Es sollte nicht so aussehen, als wäre er ihm die ganze Zeit heimlich hinterhergelaufen und wollte ihm auflauern. Also ließ er eine Minute verstreichen und klopfte dann an die Tür der Sternenwarte. Es dauerte eine Weile und er hörte bereits lautes Scheppern als dann endlich ein gedämpftes „Ich komme schon!“ zu hören war und kurz darauf endlich geöffnet wurde. Uriel, der sichtlich durch den Wind war, lugte durch den Türspalt und war so nervös, als hätte er den Leibhaftigen vor sich stehen. Er hatte noch nie wirklich ein gutes Pokerface gehabt. Man konnte ihm schon immer direkt ansehen, dass er irgendetwas auf dem Herzen hatte und es war Raphael wirklich ein Rätsel, wie Samael bloß dazu kam, ausgerechnet so jemanden in seine Machenschaften hineinzuziehen. „Raphael, was… was machst du hier?“ fragte der vierte Erzengel verwundert, denn normalerweise besuchten ihn seine Kollegen so gut wie nie. Außer vielleicht, wenn sie etwas von ihm wollten. Dementsprechend war er ein wenig misstrauisch, als er ausgerechnet den Heiler im Quartett vor sich sah. Doch Raphael lächelte charmant und verstand es wesentlich besser, sich seine Absichten nicht anmerken zu lassen. „Ich dachte mal, ich schaue mal kurz vorbei. Ist das okay für dich?“ Einen Moment lang zögerte der Sternenregent und schien bereits zu ahnen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Da es aber weitaus verdächtiger wirkte, wenn er seinen Kollegen fortschickte, knickte er schnell ein und ließ ihn widerwillig herein. Neugierig schaute sich Raphael um und sah eine Reihe von Büchern, alter Pergamente und Sternenkarten. Ein riesiges Sternenteleskop war in der Mitte des Raumes aufgestellt und bestand aus purem Gold. Von der Decke hingen kleine Modelle von Planeten und Sonnensystemen und in einer kleinen Ecke stand ein ziemlich altes Pult, auf dem einige handgefertigte Skizzen zu den Sternenkonstellationen lagen. Nahe des goldenen Teleskops gab es wiederum einen weitaus moderneren Schreibtisch, auf denen allerhand geschriebene Horoskope und Kristallamulette verstreut herumlagen. Es war immer wieder faszinierend zu sehen, wie das jeweilige Quartier der Erzengel auf ihre Jobs und Eigenschaften zugeschnitten war. Michael hatte seine Soldatenunterkunft und Waffenkammer, Uriel sein Astrologiezimmer, Raphaels Quartier sah wie eine Mischung aus Apotheke, Arztpraxis und Chemielabor aus und Gabriel hatte seine Räumlichkeiten mit Andenken an all die Kinder vollgestopft, die es nicht ins Erwachsenenalter geschafft hatten. Es war schon ziemlich nostalgisch, sich die Sternenwarte nach so langer Zeit wieder mal von innen anzusehen und daran zurückzudenken, wie gefragt diese Jobs damals noch waren. Aber irgendwann hatte man doch erkennen müssen, dass göttliche Kommunikation per Sternenbilder doch nicht so ganz praxistauglich war. Es war schön anzusehen, daran bestand kein Zweifel! Allerdings gab es so viele Sterne, dass selbst das geschulte Astrologenauge oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen konnte und die Botschaft einfach nicht fand. Also hatte man den Astrologiedienst weitestgehend eingestellt und Uriel war der Einzige, der weiterhin pflichtbewusst seiner Tätigkeit nachging weil es das Einzige war, das er tadellos beherrschte. „Hey Uriel“, grüßte ihn Raphael mit einem Lächeln, das zwar höflich aber nicht allzu freundschaftlich war. „Ich weiß es ist ein bisschen kurzfristig aber würdest du mit mir auf einen kleinen Spaziergang gehen? Es gibt da ein paar Dinge, die ich gerne mit dir bereden möchte.“ Es war wesentlich klüger, die Sache nicht in Uriels Räumlichkeiten zu besprechen. Zwar glaubte er nicht, dass sein Kollege ernsthaft den Mut aufbringen könnte, um aus eigenem Antrieb etwas Dummes zu tun. Aber Raphael war nicht jemand, der mit dem Glück spielte. Außerdem hatten seine Taktiken durchaus mehr Effekt, wenn er die Oberhand hatte und das klappte nur, wenn sein „Klient“ sich außerhalb seines Terrains befand. Solange Uriel sich in seiner Sternenwarte befand, würde die geplante Erpressung eventuell nicht die Art von Wirkung erzielen, die er wollte. Also musste er seinen Kollegen aus seinem Versteck hervorlocken. Uriel seinerseits beäugte ihn misstrauisch und war sich nicht ganz sicher, was er von dieser Einladung halten sollte. „Was willst du mit mir bereden?“ „Ich wollte mal in Ruhe mit jedem Einzelnen über die aktuelle Situation reden“, antwortete Raphael und ging damit geschickt der Wahrheit aus dem Weg, ohne gleich lügen zu müssen. „Weißt du, es gibt da so einige Dinge, die mich beschäftigen und da wollte ich auch mal deine Meinung dazu hören. Also was ist? Kommst du mit?“ Wieder zögerte der Sternenregent und war sich immer noch nicht sicher, ob er dem Braten wirklich trauen konnte. Aber da er sonst immer nur von oben herab behandelt wurde, konnte er einer solchen Einladung nicht widerstehen und nickte. Gemeinsam spazierten sie durch die Ebenen des ersten Himmels und unterhielten sich anfangs über das Meeting und die einzelnen Gesprächsinhalte. Sie tauschten Meinungen über die Krisenlösung aus und brachten eigene Ideen und Lösungsansätze ein, die sie bislang für sich behalten hatten. Im Großen und Ganzen reichten sie nicht unbedingt an das heran, was sich Metatron und Malachiel zusammengesponnen hatten, aber er wollte auch keine politische Debatte halten. Er wollte bloß sicherstellen, dass Uriel keinen Verdacht schöpfte und gar nicht merkte, wie sie einen kleinen Umweg zu Raphaels Räumlichkeiten machten. Das machte nämlich die ganze Sache einfacher. Außerdem war es ohnehin nicht sonderlich schwer, andere an der Nase herumzuführen wenn man wusste, wie man es richtig anstellte. „Weißt du Raphael, ich denke es war ein gewaltiger Fehler, ausgerechnet Michael zum Verteidiger der Menschen zu wählen“, sagte Uriel schließlich mit einem verzagten Seufzer. „Wir wissen doch alle, dass jemand wie er kaum eine Chance gegen jemanden wie Samael hat.“ „Ja das stimmt“, pflichtete Raphael bei während er die Richtung ihres Spaziergangs vorgab. „Und ich glaube auch nicht, dass er noch lange in dieser Position bleiben wird. Nicht nach dem Schlamassel, der sich ereignet hat. Zwar trägt er nicht die gesamte Schuld daran, aber er fällt durch seine Inkompetenz auf. Da hätte man den Menschen gleich einen Fahrschein zur Hölle geben können.“ „Stellt sich nur die Frage, wer besser geeignet wäre“, murmelte Uriel nachdenklich und merkte immer noch nicht, dass sie in eine sehr vertraute Richtung steuerten. Er war zu sehr in seinen Gedanken versunken, als dass er auf die Umgebung hätte achten können. „Ehrlich gesagt weiß ich da nicht so wirklich, wer sonst den Job machen könnte.“ „Mir würde allerhöchstens Gabriel einfallen“, meinte der Heiler schulterzuckend und tat so, als wäre er genauso in dieses Gespräch vertieft wie sein Begleiter. „Er hat ja viel mit Menschen zu tun und ist absolut vernarrt in Kinder. Außerdem hat er sich ja schon bei unserem ersten Meeting so lautstark gegen Michael und Samael durchgesetzt. Problem ist aber, dass Gabi viel zu sehr mit seinen Komplexen beschäftigt ist und das bremst ihn jedes Mal aus. Glücklicherweise ist es nicht unsere Aufgabe, ein Urteil darüber zu fällen. Darum muss sich Metatron kümmern und der darf es mit Gott ausdiskutieren. In seiner Haut will ich nicht unbedingt stecken…“ Schließlich erreichten sie die oberen Terrassen der Westseite und war damit fast an seinem Zuhause angekommen. So langsam schien Uriel zu begreifen, wohin sie eigentlich gelaufen waren und blieb einen Augenblick stehen und schaute seinen Kollegen verwundert an. Doch Raphael behielt sein professionelles Lächeln und bot ihm an, auf einen Drink mitzukommen. Das reichte aus, um den vierten Erzengel zu überzeugen und so traten sie in Raphaels Unterkunft ein. Alles war absolut sauber und perfekt aufgeräumt. In den hohen Regalen befanden sich allerhand Tinkturen, Kräuter und Wurzeln, Bücher über Heilkunde und Auflistungen aller Krankheiten der Welt, Salben und noch vieles mehr. Obwohl Raphael sich in letzter Zeit mehr auf seine persönliche Bereicherung fokussiert hatte, nahm er seine Kernaufgabe als wichtigster Heiler immer noch sehr ernst. Nachdem sie es sich etwas bequemer gemacht hatten, schenkte Raphael sich und seinem Kollegen ein Glas Wein ein und ließ die Falle zuschnappen. „Also Uriel, erzähl mal was da eigentlich zwischen dir und Samael läuft. Zwischen euch scheint’s ja gefunkt zu haben.“ Entsetzt weiteten sich Uriels Augen als diese Bemerkung fiel und beinahe wäre ihm das Glas aus der Hand geglitten. Es war wirklich so furchtbar einfach, ihm Geheimnisse zu entlocken und es war ihm ein absolutes Rätsel, warum ausgerechnet er in irgendwelche Verschwörungen hineingezogen wurde. „Wovon redest du da?“ fragte der vierte Erzengel und merkte gar nicht, dass seine Reaktion ihn bereits verraten hatte. „Ach Uriel, du weißt genau wovon ich rede“, seufzte Raphael und trank einen Schluck aus seinem Glas. „Ich habe euch zwei rein zufällig gesehen als ich gerade von meiner Shoppingtour zurückkam. War ehrlich gesagt schlecht zu übersehen, so wie du dich an ihn geklammert und wie ein kleines Hündchen angebettelt hast.“ Augenblicklich schwand jegliche Gesichtsfarbe aus Uriels Gesicht und wie zur Salzsäule erstarrt saß er da und war wie weggetreten. Natürlich war das erst mal ein großer Schock für ihn, aber was hatte er denn bitteschön erwartet? Ihm müsste doch eigentlich klar sein, dass er und sein Lover jederzeit gesehen werden könnten, wenn sie genau dort miteinander flirten oder weiß der Teufel sonst was machten, wo jederzeit jemand vorbeikommen konnte. Da Uriel nichts sagte und immer noch wie hypnotisiert ins Leere starrte, fuhr Raphael unbeirrt fort. „Was mich ja echt wundert ist, was du an ihm so anziehend findest. Schon klar, er ist stark und einflussreich, aber vom Charakter her gesehen nicht unbedingt der beste Einfluss. Ein bisschen arg misanthropisch, wenn du mich fragst.“ „Er hat auch andere Qualitäten“, warf der Sternenregent ein, nachdem er sich einigermaßen von seinem ersten Schock erholt hatte. „Er lässt sich zumindest nicht von seiner Blindheit unterkriegen und ist trotz allem der zweitmächtigste Engel im gesamten Himmelreich. Außerdem hat er eine unglaubliche Ausstrahlung.“ Ausstrahlung schön und gut. Hilft aber auch nichts, wenn sein liebstes Hobby Massenmord an Menschen ist, dachte sich Raphael, sprach es aber lieber nicht laut aus. Er wollte sich nicht mehr als nötig in diese Beziehung einmischen und seine Meinung größtenteils lieber für sich behalten. Ansonsten handelte er sich nur Ärger ein und das konnte er so gar nicht gebrauchen. „Ja er kann die Leute echt gut um den Finger wickeln“, stimmte er zu, um eine geschickte Überleitung zum Hauptthema zu machen. „Vor allem wenn es darum geht, sie zu Verbrechen anzustiften.“ Sein Kollege presste die Lippen zusammen und fühlte sich eindeutig ertappt. Es war so furchtbar einfach, ihm solche Dinge zu entlocken, dass es schon fast traurig war. Man wollte am liebsten Mitleid mit ihm haben. „Samael würde so etwas nicht tun“, versuchte der vierte Erzengel zu protestieren, doch es war schon längst zu spät. Aus diesem Schlamassel kam er nicht mehr wieder raus. Raphael hatte auch nicht unbedingt die Geduld für eine weitere Diskussion an diesem Tag und trank noch einen Schluck Rotwein. „Ich bitte dich, Uriel. Jeder im Himmel weiß, dass Samael mit äußerster Vorsicht zu genießen ist. Eines würde mich aber schon interessieren: warum hat er ausgerechnet dich mit hineingezogen und dich dazu gebracht, Michaels Schwert zu stehlen?“ Hieraufhin entgleisten dem armen Sternenregent endgültig die Gesichtszüge und er stand kurz vor einer Panik. Er hatte Samael doch versprochen, sich nicht erwischen zu lassen. Und jetzt hatte ihn ausgerechnet Raphael bei seinem Diebstahl beobachtet und nutzte das jetzt natürlich schamlos aus. Und um der ganzen Sache noch mehr Würze zu verleihen, ermahnte ihn der dritte Erzengel „Weißt du eigentlich was passiert, wenn jemand von deinem kleinen Verbrechen Wind bekommt? Du wirst zum gefallenen Engel werden. Vielleicht hast du ja Glück und du kommst lediglich nach Mathey und musst an diesem Resozialisierungskurs teilnehmen. Ich weiß ja nicht wie der aussieht, aber man hat sich schon Geschichten erzählt, dass manche Teilnehmer freiwillig in die Hölle gegangen sind, damit sie ihrem Leid ein Ende setzen konnten.“ „Warum erzählst du mir das?“ rief Uriel panisch und seine Hände begannen schon nervös zu zittern. „Sag schon, was willst du haben damit du das für dich behältst?“ „Tja…“, begann Raphael zu murmeln und dachte nach. Um ehrlich zu sein wusste er selbst nicht, was er seinem Kollegen aus dem Kreuz leiern konnte, weil dieser in recht bescheidenen Verhältnissen lebte. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass er ihn so leicht von der Angel ließ. Nein, der würde schön berappen damit sein kleines Geheimnis auch geheim blieb. „Das überlasse ich ganz dir, mein Lieber. Überlege du dir, wie viel dir mein Schweigen wert ist und ich überlege dann, ob ich dein Angebot annehmen werde.“ Siegessicher stand Raphael auf und durchwanderte langsam den Raum. Er wusste, dass er in diesem Spiel die Oberhand hatte und Uriel gar nicht den Mut besaß, es auf ein Risiko ankommen zu lassen. Der würde schön brav das tun, was man ihm sagte und wie immer klein bei geben. Es war ja schon fast zu einfach. Es war aber auch so verdammt einfach, die eigenen Kollegen abzuzocken, wenn sie eine derart einfache Schwäche hatten, die man sich zunutze machen konnte. „Nichts für ungut, Uriel. Aber ein kleiner, gut gemeinter Ratschlag am Rande: vielleicht solltest du dir noch mal ernsthaft Gedanken machen, ob du dich wirklich auf jemanden wie Samael einlassen solltest. Seien wir doch mal ehrlich, er benutzt dich doch nur für eine seiner üblichen Ma…“ Weiter kam Raphael nicht als er plötzlich einen rasenden Schmerz spürte, der sich durch seinen Rücken direkt in seinen Brustkorb hineinbohrte. Ein ersticktes Keuchen entwich ihm und als er verwirrt über den plötzlichen Schmerz auf seine Brust schaute, sah er eine blutverschmierte Klinge herausragen. Er versuchte etwas zu sagen, doch alles was er zustande brachte, was ein verzweifeltes Röcheln. Dann sank er kraftlos in die Knie und brach auf dem Boden zusammen. Uriel, der in einer Kurzschlussreaktion sein eigenes Schwert herausbeschworen und Raphael damit angegriffen hatte ohne nachzudenken, stand fassungslos da und konnte nicht glauben, was er da getan hatte. Noch nie in seinem langen Leben hatte er die Waffe auf seine eigenen Kollegen gerichtet, geschweige denn jemanden ernsthaft verletzt. Und nun hatte er Raphael wie ein feiger Attentäter von hinten mit dem Schwert durchbohrt. Als er sah, dass der dritte Erzengel sich nicht bewegte, wich er entsetzt zurück und Panik überkam ihn. „Ra-Ra-Raphael?“ brachte er stammelnd hervor. „Hey… sag doch was…“ Doch es kam keine Antwort. Nichts regte sich. Scheiße Mann, was mache ich denn jetzt?, fuhr es dem Sternenregent durch den Kopf und er konnte nur mit extremer Selbstbeherrschung einen Schrei unterdrücken. Das hier war bitterernst und er musste sich schleunigst etwas einfallen lassen. Das hier war eine ganz andere Hausnummer als bloß ein Diebstahl, der ihm ein Besserungsseminar einbrocken würde. Nein, das hier war Hochverrat und dafür würde er zweifelsohne in die Hölle verbannt werden. Und wenn er sich nicht schleunigst etwas einfallen ließ, dann würde er schneller unten landen als ihm lieb war. Als er Raphael regungslos mit dem Schwert im Körper auf dem Boden liegen sah, kam ihm eine Idee. Eigentlich hatte Samaels Plan ja ganz anders ausgesehen, aber wenn er den Mord einfach Michael in die Schuhe schob, sollte es doch auch funktionieren. Alles was er tun musste war, das Schwert zu holen, ein bisschen Verwüstung anzurichten um es wie einen Kampf aussehen zu lassen und dann das Schwert neben der Leiche liegen lassen. Dann würde Michael verhaftet werden und der selbst war aus dem Schneider. Ja, so würde er es machen! Schnell zog Uriel sein Schwert aus dem Rücken seines leblosen Kollegen und ließ es schnell wieder verschwinden. Stattdessen beschwor er nun das gestohlene Schwert „Drachenschlächter“ herauf, welches er zuvor aus der Waffenkammer gestohlen hatte. Das Beschwören von Objekten war leider immer nur dann möglich, wenn man genau wusste, wo es sich befand. Das machte Diebstähle nicht sonderlich einfach, wenn die Besitzer ihr Eigentum gut versteckt hatten. Ganz zu schweigen davon, dass es entsprechende Schutzmaßnahmen gab, die es unmöglich machten, Gegenstände aus fremden Unterkünften auf diese Art und Weise zu stehlen. Aber da sich das Schwert nun in Uriels momentanem Besitz befand, konnte er es jetzt problemlos materialisieren. Das machte die ganze Sache deutlich einfacher. Mit dem „Drachenschlächter“ in der Hand begann Uriel nun wild um sich zu schlagen. Er ließ die Klinge auf das Regal niedersausen und zerstörte dabei mehrere Gläser mit gelbbraunen Tinkturen, die einen strengen Geruch absonderten. Papier flog umher als er eines der vielen Bücher erwischte und mit einem Streich zerfetzte. Zu guter Letzt stieß er das Schwert in die blutende Wunde hinein und schaute sich ein letztes Mal prüfend um. Es sah wirklich so aus, als hätte ein Kampf stattgefunden. Na hoffentlich war es überzeugend genug, damit niemand ihn verdächtigte. Verdammt noch mal. Das brachte alles komplett durcheinander und er konnte nur hoffen, dass Samael ihm nicht allzu böse sein würde. Das war nämlich ganz und gar nicht vorgesehen gewesen. Aber vielleicht klappte es ja auch so und Michael würde verhaftet werden. Wenn man sich im Himmel auf eines verlassen konnte, dann mit großer Sicherheit auf schlampige Detektivarbeit. Jetzt musste er nur noch schnell Samael warnen gehen und schnellstmöglich vom Tatort verschwinden, bevor ihn noch jemand dabei beobachtete. Er hatte nämlich nicht sonderlich Lust dazu, die Lage noch komplizierter zu machen. Also flüchtete er schnell aus dem Raum, ohne auch nur ein zweites Mal auf die Leiche seines Kollegen zu werfen und machte sich direkt auf den Weg hinauf in den siebten Himmel, um Samael zu informieren. Na hoffentlich war dieser ihm nicht allzu böse… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)