Eisprinz - Ich bringe dein Herz zum schmelzen von abgemeldet
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Kapitel 1:
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Als der junge Otabek Altin an diesem Morgen seinen Dienst im Krankenhaus antrat,
ahnte er noch nicht, was ihn heute erwartete. Seine Ausbilderin kam auf ihn zu
und ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
„Ich habe heute eine Spezialaufgabe für dich.“
„Okay?“
„Phil ist krank geworden, er wird wohl für längere Zeit ausfallen. Wir
mussten seine Patienten aufteilen. Allerdings wollte keiner den jungen Yuri
Plisetsky betreuen. Das übernimmst du.“
„Ach, der Eiskunstläufer? Ich habe schon von der kleinen Diva gehört. Der
soll die anderen wohl ganz schön auf Trab halten.“, grinste Otabek.
„Das kann man laut sagen. Hier, ich habe seine Krankenakte da. Mach dich ein
bisschen mit Phil´s Aufzeichnungen vertraut und in einer Stunde gehst du zu
ihm.“
„Alles klar, dass kriege ich hin.“
Eine Stunde später machte sich Otabek auf den Weg zum Zimmer 335, in dem Yuri
lag. Er hatte ein Privatzimmer und lag alleine darin. Es war der erste Fall, den
Otabek im Rahmen seiner Ausbildung alleine ausführte und er hoffte, dass er
alles richtigmachte. Ein kurzes Durchatmen und dann klopfte er an.
„Ja?“, ertönte ein genervtes Stimmchen.
Mit einem freundlichen Lächeln trat er ein.
„Guten Morgen.“
Doch wenn er auf ein „Guten Morgen“ gehofft hatte, wurde seine Hoffnung
sofort zerstört, denn Yuri sah ziemlich angepisst aus.
„Wer bist du denn? Wo ist dieser andere Stümper?“
„Hi, ich bin Otabek. Phil ist krank geworden und ich vertrete ihn.“
„Ich hab keinen Bock mehr, hier zu versauern. Mach gefälligst, dass ich bald
wieder zum Training gehen kann!“, schnauzte Yuri ihn an.
Innerlich musste Otabek grinsen, sein Ruf als verwöhnte Zicke war wohl nicht
von der Hand zu weisen. Aber was sollte man von einem 15-Jährigen Eislaufgenie
schon erwarten, er war jung, voller Energie und Otabek konnte sehr gut
verstehen, dass er nicht im Bett liegen wollte.
„Wenn du mit mir zusammenarbeitest, kriegen wir das schon hin. Du hast ja
junge Knochen. Eiskunstläufer bist du also?“
„Ja! Ich bin verdammt gut, meine Goldmedaille habe ich mir hart erarbeitet.
Dieses Herumliegen kann ich gar nicht gebrauchen!“
„Das kann ich gut verstehen, deshalb werden wir alles tun, damit du bald
wieder auf Schlittschuhen stehen kannst. Also los.“
Yuri zog die Bettdecke bereitwillig zur Seite und Otabek griff nach dem rechten
Bein.
„Pass doch auf!“, herrschte Yuri ihn an.
„Tut es hier weh?“
„Nee, ich bin zum Stabhochspringen hier!“, knurrte Yuri.
Trotzdem nickte Otabek zufrieden.
„Das Kniegelenk lässt sich ganz gut bewegen, jedenfalls im Liegen. Komm, steh
auf, damit ich sehen kann, wie weit du es belasten kannst.“
Er wollte Yuri beim Aufstehen helfen aber dieser schob die Hand unsanft
beiseite.
„Das kann ich alleine. Ich bin kein kleines Kind!“
Vorsichtig hangelte sich Yuri aus dem Bett aber kaum hatte er den Fuß auf dem
Boden, verzog er das Gesicht.
„Schmerzen?“, fragte Otabek.
„Ja.“
„Auf einer Skala von 1 bis 10, wie schlimm? 1 ist kaum Schmerzen, 10 ist
starke Schmerzen.“
„6“
„Leider müssen wir das Bein etwas belasten, da bleiben die Schmerzen nicht
aus. Wir müssen ein paar Schritte laufen. Willst du das ich dich stütze oder
nimmst du die Krücken?“
„Du fasst mich ganz sicher nicht an, ich will nicht wie ein alter Mann
gestützt werden. Gib mir die Krücken!“
Stolz und unbändiger Lebenswille flammte in Yuris Augen auf und Otabek
lächelte.
„Ich bringe sie dir.“
Es war nicht einfach, alleine auf den Krücken zu laufen aber Yuri schaffte es
und setzte einen Fuß vor den anderen. Doch der junge Physiotherapeut merkte
ganz deutlich, dass Yuri die Zähne zusammenbiss, um nur keinen Mucks von sich
zu geben.
„Du musst dich nicht zurückhalten, es ist keine Schande zu sagen, wenn die
Schmerzen zu groß sind.“
„Dieses verdammte Krankenhaus wird keinen einzigen Schmerzenslaut von mir
hören und wenn es das Letzte ist was ich tue!“, zischte Yuri zwischen den
Zähnen hindurch.
Eine Stunde lang kämpfte sich Yuri tapfer durch die Übungen, bis Otabek dann
ein Einsehen hatte.
„Das reicht für heute. Ich merke, du hast einen Willen, der ziemlich
eindrucksvoll für einen Teenager ist. Aber für heute ist Schluss, ruh dich
aus.“
„Kommst du morgen wieder?“, fragte Yuri.
„Ja, morgen geht’s weiter. Dann werden wir ins Bewegungsbad gehen, das warme
Wasser tut gut. Also, bis morgen.“
Kaum hatte Otabek die Tür geschlossen, atmete er tief durch. Für den ersten
Tag war er anscheinend ganz gut angekommen bei seinem jungen Patienten. Er
freute sich auf den nächsten Tag…nicht ahnend, dass es jetzt erst richtig
losging.
Kapitel 2:
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Am nächsten Morgen trat Otabek seinen Dienst an, schnappte sich die Krankenakte
und wollte sich ans Werk machen. Doch schon von weitem hörte er den Tumult, der
aus dem Zimmer kam. Yuri erinnerte nicht mehr an einen mürrischen Teenager,
sondern eher an einen wildgewordenen Tiger. Es war gerade Visite und eine Menge
Ärzte standen um sein Bett herum. Otabek wartete ab, bis die Delegation der
weißen Kittel an ihm vorbeigezogen war und traute sich dann ins Zimmer. Er traf
auf einen extrem schlechtgelaunten Yuri.
„Guten Mor…“, begann er.
„Wünsch mir ja keinen guten Morgen, der Morgen ist Scheiße! Diese blöden
Penner wollen mich nicht entlassen. Ich muss weiter hier versauern“, kam
Otabek ein Schwall zorniger Worte entgegen.
„Na na, beruhige dich. Du bist noch nicht in der Verfassung schon nach Hause
zu gehen. Du bist der Typ, der sich sofort wieder aufs Eis begibt und was ist,
wenn du dann wieder stürzt? Dann dürfen wir wieder von vorne anfangen.“
„Vorher willst du denn wissen, was für ein Typ ich bin? Du kennst mich erst
seit gestern.“, erwiderte Yuri knurrend aber schon deutlich ruhiger.
„Dafür muss man kein Experte sein, du versprühst eine Energie, die
selbsterklärend ist. Wenn du dieselbe Energie jetzt für den Heilungsprozess
aufwendest, wirst du schneller gesund als du gucken kannst. Auf geht’s ins
Bewegungsbad.“
Ohne einen weiteren Mucks folgte Yuri ihm. Zwei Schwestern, die an der Tür
gelauscht hatten, starrten den beiden mit offenen Mündern hinterher. So schnell
hatte noch niemand Yuri zum Schweigen gebracht.
Misstrauisch sah sich Yuri in dem Raum, wo das Bewegungsbecken lag, um.
„Hier sind ja nur alte Leute!“
Eine ältere Frau und ein alter Mann waren gerade dabei, sich abzutrocknen.
„Die sind gleich weg, ich habe einen Einzeltermin gebucht. Also, runter mit
den Hosen!“
Otabek zwinkerte und Yuri lief rot an. Während Yuri versuchte, sich alleine aus
seiner Trainingshose zu schälen, streifte Otabek sein Shirt ab und stand
plötzlich in Badeshorts da.
„Du…du kommst mit…also mit ins Wasser?“, fragte Yuri stotternd und
versuchte den verdammt durchtrainierten Oberkörper zu ignorieren, schaffte es
aber nicht.
„Natürlich, ich muss doch sehen, ob du es richtigmachst.“
Mit einem Kopfsprung tauchte Otabek in Wasser hinein.
„Komm, versuch mal, ob du es zu mir hineinschaffst. Nimm die Treppe.“
Doch Yuri fiel plötzlich etwas ein.
„Ich habe… keine Badehose mit…“
„Macht nichts, komm einfach in Unterwäsche rein. Oder genierst du dich
etwa?“
Unter Otabek´s Grinsen wurde Yuri wieder rot.
„Natürlich nicht!“
Kurze Zeit später war Yuri dann endlich neben Otabek im Wasser. Er griff
vorsichtig nach Yuris Beinen.
„Mach jetzt ganz langsam Bewegungen, als ob du Rad fährst.“
Yuri spürte die vorsichtigen Hände auf seiner Haut und gegen seinen Willen
fing sein Herz an zu pochen. Hier im Wasser, so leicht bekleidet, war es
ziemlich gefährlich, plötzlich romantische Gefühle zu entwickeln.
„Lass los, ich will das alleine machen!“, herrschte Yuri ihn an.
„Okay, versuch es.“
Yuri war zutiefst erleichtert, als Otabek seine Hände von ihm ließ und machte
eifrig seine Übungen. Zum Glück hatte der junge Therapeut nichts gemerkt.
„Du machst das prima, aber nicht übertreiben. Ich werde veranlassen, dass die
Schmerzmittel reduziert werden und dann sehen wir weiter.“
Nach Feierabend verzichtete Otabek darauf, mit seinem besten Freund und
Mitbewohner, zu zocken. Stattdessen setzte er sich an seinen Laptop und googelte
den Namen „Yuri Plisetsky“ Es gab eine Menge Videos von dem jungen
Goldmedaillengewinner. Otabek wollte sich nur ein paar ansehen, merkte aber
nicht, dass er ein Video nach dem anderen ansah und die Zeit verging. Fasziniert
betrachtete er die eleganten und anmutigen Bewegungen des Jungen. Auf dem Eis
sah er zart und zerbrechlich, doch gleichzeitig auch kraftvoll und energisch
aus. Spätestens ab jetzt wollte er nicht nur seinen Job machen, er wollte Yuri
zur Topform verhelfen. Die kleine Zicke hatte es verdient.
Doch die melancholische Stimmung am Abend war am nächsten Tag schnell wieder
verschwunden, denn Otabek traf auf einen schmollenden und übernächtigten Yuri.
Statt eines „Guten Morgen“, fauchte Yuri ihm ein:
„Deine Idee war ziemlich blöd!“, entgegen.
„Ich wünsche dir auch einen zauberhaften Tag, Mister Plisetsky. Welche Idee
meinst du genau?“
„Na, die Reduzierung der Schmerzmittel. Ich hab die ganze Nacht nicht
geschlafen, weil das Bein gezwickt hat! Ich brauche meinen Schlaf!“
„Schönheitsschlaf kannst du ja nicht meinen, du bist jetzt schon eine
Schönheit.“, erwiderte Otabek relaxt und zwinkerte ihm zu.
Prompt war Yuri ruhig und lief rot an.
„Kr…krieg ich nun mehr Schmerzmittel…bitte?“
„Sooo, du kennst also das Zauberwort, sehr schön. Jetzt bekommst du auch was,
sonst nicht. Denk immer daran, ich bin derjenige zu dem du nett sein solltest,
denn ich bin der Herr über die Medikamente.“
Den Rest der Übungsstunde tat Yuri keinen Mucks mehr, machte brav seine
Übungen und war ein vorbildlicher Patient. Später, als Otabek Pause machte und
in der Cafeteria aß, setzte sich Kollege Pascal zu ihm.
„Na, ich hörte, du bist als Löwenbändiger abberufen worden?“
„Ach ja?“
„Bei dem jungen Russen. Von dem spricht das ganze Krankenhaus.“
„Löwe? Na ja, eher ein kleiner Löwenwelpe. Erwachsene Löwen liegen faul
herum und tun nichts, nur kleine Welpen reißen das Mäulchen zu weit auf.“,
meinte Otabek schmunzelnd.
„Du wirst also fertig mit ihm?“
„Ich denke schon. Über seinen Jähzorn sehe ich hinweg, meistens kommt er
ganz schnell wieder runter. Und, hey, ist er 15…in dem Alter darf man
überreagieren.“
Yuri hatte eine der Schwestern mehr oder weniger nett, dazu überredet, ihn in
den Park zu begleiten. Alleine im Zimmer hatte er das Gefühl, zu ersticken.
Einen Rollstuhl hatte er vehement abgelehnt.
„Ich werde mich nicht in einem verdammten Rollstuhl setzen! Ich werde mit
Krücken gehen!“
Im Park angekommen biss Yuri die Zähne zusammen und humpelte so lange die Wege
entlang, bis er nicht mehr konnte. Plötzlich sah Yuri Otabek, der Feierabend
hatte. In schwarzer Lederbekleidung steuerte er auf einen ziemlich heißen
Feuerstuhl zu, streifte seinen Helm über und unter aufheulen des Motors brauste
er davon. Yuri starrte ihm hinterher. Nie hätte er gedacht, dass der junge
Therapeut etwas von einem Rocker hatte. Ein Schauer der Erregung lief ihm über
den Rücken, wenn er daran dachte, dass seine zarten Hände auch zupacken
konnten. Zupacken an Stellen, von denen Yuri nicht zu träumen wagte.
„Ich will zurück ins Zimmer… sofort!“
Kapitel 3:
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Das Abendessen ließ Yuri unangetastet zurückgehen. Er versuchte sich durch
fernsehen abzulenken aber das klappte nicht lange. Ärgerlich malträtierte er
die Fernbedienung, bis er sie wütend gegen die Wand schleuderte. Galoppierende
Teenagerhormone waren in seiner Situation wohl nicht gerade angebracht. Trotzdem
gingen die schönen braunen Augen, die Lederkluft und das smarte Lächeln ihm
nicht mehr aus dem Kopf. Er wartete auf die Nachtschwester, die ihre erste Runde
machte, löschte das Licht und versteckte sich unter der Decke. Voller Scham und
Wut auf seine Ungezügeltheit verschaffte er sich Erleichterung. Mit
Todesverachtung sank er danach in einen tiefen Schlaf.
Die höhere Dosis der Schmerzmittel, ließ Yuri am nächsten Tag länger
schlafen. Als Otabek in sein Zimmer kam, lag er auf dem Rücken und hatte die
Augen geschlossen. Er kam langsam näher und musste lächeln.
>Diese kleine Schönheit, so hübsch und so kratzbürstig<
Vorsichtig legte er seine Hand auf Yuri´s.
„Hey Dornröschen, aufwachen!“
Yuri öffnete die hübschen blaugrünen Augen und war einen Augenblick lang
völlig schlaftrunken.
„Ist es schon Morgen?“
„Ja, es ist schon neun vorbei. Dein Frühstück steht noch da und der Kakao
ist schon kalt.“
„Kakao? Ich bin doch kein Baby mehr! Ich trinke Kaffee!“, begehrte Yuri
auf.
„Kaffee in deinem Alter und bei den Medikamenten, dass fehlte noch! Du bist
schon aufgedreht genug.“
Yuri setzte sich auf und blickte den Therapeuten vorwurfsvoll an.
„Jetzt nicht mehr und daran bist du schuld!“
„Ich? Warum das denn?“
„Na, du hast dafür gesorgt, dass die Medikation hochgesetzt wird und
gewechselt wurden sie auch noch. Und deshalb fühle ich mich heute total müde
und schlapp.“
„Dann würde ich sagen, dass wir heute die Übungen auslassen und nur etwas
spazieren gehen. Okay?“
„Okay“
Als die beiden in den Park hinausgingen, merkte Otabek sofort, dass sein Patient
ganz gegen seine Natur ruhig und schweigsam war.
„Alles in Ordnung?“
„Nein, gar nichts ist in Ordnung!“
Yuri´s Stimme hatte plötzlich nichts mehr von einer fauchenden Furie, sondern
sie zitterte, hört sich klein und piepsig an.
„Komm, setzen wir uns.“
Energisch führte Otabek ihn zu seiner Bank, die etwas abseits vom Weg, unter
einem riesigen Baum stand.
„Erzähl mir was dich bedrückt.“
„Ich habe Angst. Immer, wenn ich auf meine Beine schaue, habe ich Angst, dass
ich nie wieder auf dem Eis stehen kann. An den meisten Tagen glaube ich, dass
ich es schaffe aber… mittlerweile überkommen mich immer öfter diese Zweifel.
Sie nehmen mir die Luft zum Atmen und ich möchte schreien aber es geht nicht.
Ziemlich blöd, oder?“
„Blöd, nein, verständlich, ja. Es ist das, was du am besten kannst und
liebst. Ich habe dich gesehen, unzählige Male habe ich mir im Internet Videos
von dir angesehen. Wenn man dann plötzlich ausgeknockt wird, hilflos im Bett
liegt, dann schwimmen einem alle Felle davon. Man möchte aufstehen, sofort
wieder loslegen aber es geht nicht. Und dann sind die Zukunftsängste da und sie
verfolgen dich wie ein Schatten, der immer größer und breiter wird.“
Yuri sah ihn erstaunt an.
„Ja! Genau! Du verstehst es ganz genau. Hast du so was auch schon erlebt?“
Otabek winkte ab.
„Reden wir nicht über mich. Ich möchte dir nur eines sagen, ich habe deine
Krankenakte genau studiert und du machst gute Fortschritte. Es ist noch ein
Stück Weg, den du vor dir hast aber ich verspreche dir, dass du wieder auf dem
Eis stehen wirst.“
„Wirklich?“
„Wirklich!“
„Danke.“
Yuri schenkte ihm ein Lächeln, was den jungen Russen noch schöner machte, als
er ohnehin schon war.
Doch schon zwei Tage später verging ihm das Lachen sehr schnell. Yuri saß am
Fenster und las, als die Tür aufging und Coach Yakov mit dem Chefarzt
hereinkam. Dass sein Coach übers ganze Gesicht strahlte, machte ihn schon
stutzig, bevor er überhaupt etwas gesagt hatte.
„Yuri, ich habe eine sehr gute Nachricht für dich!“
„Aha?“
„Wir werden dich in eine andere Klinik bringen, nach Amerika. Es ist eine
Privatklinik und dort arbeitet man mit modernsten Maschinen und Arbeitsmitteln.
Und die besten Ärzte der Welt arbeiten dort. Es war nicht leicht einen Platz
für dich zu bekommen aber ich habe es geschafft.“
Während er sich diebisch freute, bohrte sich jedes seiner Worte in Yuri´s
Herz.
Die nächsten Minuten erlebte das Krankenhauspersonal noch einmal einen
Wutausbruch vom Feinsten. Yuri tobte und schrie und bedachte seinen Coach mit
den wüstesten Beschimpfungen. Doch Yakov war Einiges von seinem Schützling
gewohnt und ließ es stoisch über sich ergehen. Bis er dann ein Machtwort
sprach.
„Ich habe die Verantwortung für dich und du wirst auf mich hören!“
Otabek, der in der Nähe einen Patienten hatte, hörte den Tumult und sah nach
dem Rechten.
„Was ist denn hier los?“
„Die wollen mich wegschicken!“, kreischte Yuri aus dem Hintergrund.
„Lasst ihr uns bitte einen Augenblick alleine?“, fragte Otabek mit ruhiger
Stimme.
Der Arzt, Couch und die zwei Schwestern, die zur Verstärkung gekommen waren,
verließen den Raum.
„Beruhige dich erstmal und dann erzähl.“
„Die wollen ich von hier wegbringen! Nach Amerika! Ich soll an einer
Privatklinik behandelt werden!“
„Welche Klinik?“
„Woodborrow Clinique.“
„Du wirst mich vielleicht jetzt hassen aber… das ist eine wunderbare
Idee.“
Yuri starrte ihn an.
„…Was?“
„Yuri, die Woodborrow Klinik ist die beste Klinik, die es in New York gibt.
Sie haben die besten Spezialisten der Welt dort und gerade auf Bein- und
Knieverletzungen haben sie sich spezialisiert. Die haben da Gerätschaften,
Prothesen und Behandlungsmöglichkeiten, davon träumen wir hier nur. Glaub mir,
dort behandelt zu werden ist der größte Jackpot, den man haben kann. Nur wer
den richtig gefüllten Geldbeutel hat, wird aufgenommen. Geh hin, ich bitte
dich. Nicht für mich, für dich und deine Zukunft. Okay, wenn ich es mir recht
überlege, tu es doch für mich. Ich will dich noch oft laufen sehen, nicht nur
im Video.“
Yuri rang mich sich und führte einen innerlichen Kampf mit sich und seinen
Teenagerhormonen.
„Aber… okay, ist gut.“
„Ich gebe dir meine Nummer und dann schreiben oder telefonieren wir. Du musst
mir jeden Fortschritt mitteilen und mich auf dem Laufenden halten. Versprichst
du mir das?“
„Ja, versprochen.“
„Wenn du wiederkommst, bin ich noch hier. Und du bist dann gesund und kannst
dein Training wiederaufnehmen. Ich stehe dann in der ersten Reihe.“
Kapitel 4:
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Bereits am nächsten Tag stand Yuri, inklusive seinem Gepäck, bereits zur
Abfahrt. Yakov hatte einen Wagen bestellt, er begleitete ihn
selbstverständlich. Yuri hatte seine Selbstsicherheit wiedergefunden.
„Ich bin froh, dass ich aus diesem Schuppen hier rauskomme. Die waren alle so
plump und dumm.“
>Außer einem<, aber das behielt er für sich.
Yakov legte seine Hand auf seine Schulter.
„Komm, mein Junge, es wird Zeit.“
Ohne sich von Otabek zu verabschieden, es gab einfach nichts mehr zu sagen,
verließ Yuri die Klinik, ohne einen Blick zurück zu werfen.
Doch einer unterbrach seinen Dienst und sah dem Wagen aus dem Fenster hinterher.
„Alles in Ordnung?“, fragte seine Ausbilderin.
„Ja… ich winke nur gerade in Gedanken jemanden hinterher.“, erwiderte er
und lächelte.
Der kleine Russian Tiger würde schon zurechtkommen.
Drei Wochen waren inzwischen vergangen und außer einem „Bin gut
angekommen“, hatte Otabek nichts mehr von Yuri gehört. Doch er war nicht
böse denn es gab sicher viele neue Eindrücke, die er erst einmal verarbeiten
musste. Auch Otabek hatte viel zu tun, denn seine Zwischenprüfung stand vor der
Tür und er wollte gut abschneiden. Also hieß es nach einer anstrengenden
Schicht an die Bücher und lernen. Doch nach einer langen Woche, es war
Freitagabend, leuchtete plötzlich das kleine Skype Icon auf Otabeks Laptop auf.
„Russian Tiger“ rief an.
„Hi Yuri.“
„Hey, wie geht’s?“
„Mir geht’s bestens und selbst?“
„Ich bin geschafft, wenn nicht sogar komplett daneben. Es ist alles so
aufregend hier, es gibt so viel zu sehen. Und die Klinik gleicht echt einem
Weltraumzentrum. Hier ist so viel modernisiert, dass ich mich wundere, dass hier
überhaupt noch Menschen arbeiten.“, plapperte Yuri ungestüm drauflos.
Otabek grinste. War, dass derselbe Junge, der noch vor ein paar Wochen Zeter und
Mordio geschrien hatte, als er wegmusste?
„Was macht deine Reha?“
„Ach, es geht. Die quälen mich noch mehr als du. Aber… du bist mir doch
nicht böse, dass ich mich jetzt erst melde?“
Vom frechen Tiger zum schnurrenden Kätzchen in nur einem Satz, wenn das einer
konnte, dann Yuri.
„Natürlich nicht! Ich habe mir schon gedacht, dass du viel zu verarbeiten
hast. Und? Laufen ein paar hübsche Schwestern bei dir herum?“, fragte Otabek
und zwinkerte in die Kamera.
„Die interessieren mich nicht! Mich interessiert nur…“
„Ja?“
„N…nichts.“
„Du weißt schon, dass ich dich sehen kann? Du wirst ja ganz rot.“
„Quatsch, werde ich nicht!“, protestierte Yuri.
„Denkst du an mich, wenn du abends im Bett liegst?“
„W…was? Wie kommst du denn auf so einen Quatsch?“
„Du hast mich doch vermisst, oder?“
„N…nee…“
„Kamera, Yuri, Kameraaaa!“, säuselte Otabek.
Yuri´s Gesichtsausdrücke wechselten von zartrosa zu leicht errötet und rot
wie eine Tomate.
„Wenn du mich verarschen willst, leg ich sofort auf!“
„Schade, kein Cyber Sex heute für mich. Dann muss ich es mir wohl wieder
selber machen.“
Otabek seufzte theatralisch.
„Du…du darfst gar nicht so mit mir reden. Ich bin dein Patient!“
„Da irrst du dich. Seit du das Entlassungsformular unterschrieben und die
Klinik verlassen hast, bist du nicht mehr mein Patient. Ab jetzt können wir
zusammen jede Unanständigkeit machen, die uns einfällt.“
Einen Augenblick hielt Yuri inne, dann schnellte er nach vorne, hauchte nur ein:
„Ich muss Schluss machen.“, und schon war die Verbindung unterbrochen.
„Oh oh, ich glaube, ich habe übertrieben.“, murmelte Otabek und klappte
seinen Laptop zu.
Die folgenden Wochen verfluchte sich Otabek des Öfteren für seine forsche Art.
Yuri schrieb ihm nur noch sporadisch, war bei Skype offline und ging auch nicht
ans Handy.
„Ich brauche Urlaub.“
Seine Ausbilderin sah ihn erstaunt an.
„Jetzt sofort?“
„Ja! Meinem… Bruder geht es nicht gut, er ist im Krankenhaus und ich muss zu
ihm.“
„Ja gut, unter diesen Umständen kannst du gehen. Reicht eine Woche?“
„Super, danke!“
Er packte seine Sachen und buchte einen Flug in die USA. Erst jetzt merkte er,
dass er den kleinen Tiger ziemlich vermisste und nicht wollte, dass er einen
falschen Eindruck von ihm bekam.
Nach einem langen und anstrengenden Flug musste er sich auch noch eine
Unterkunft suchen. Es schien alles belegt zu sein aber nach zwei Stunden, fand
er dann ein Hotel. Total fertig und müde schlüpfte er nur noch unter die
Dusche und fiel danach ins Bett. Gleich am nächsten Morgen in der Früh machte
er sich dann auf den Weg zur Woodborrow Klinik.
„Hier ist es.“, meinte der Taxifahrer und zeigte lapidar auf ein Gebäude
auf der anderen Seite.
„Das hier? Sind sie sicher?“
„Steht da doch.“
Erst jetzt sah Otabek dass doch recht kleine Schild.
„Okay, danke.“
Otabek kannte die Klinik zwar aber dass es so ein riesiges Gebäude war, wusste
er nicht. Auch das Innere glich eher einem 5-Sterne Hotel als einer Klinik.
„Kann ich ihnen behilflich sein?“
Ein hübsches, junges Mädchen hinter einem hohen Tresen sprach ihn an.
„Ja, ich möchte zu Yuri Plisetsky.“
„Sehr gern. Er liegt in Zimmer 566. Im 5. Stock.“
„Vielen Dank.“
Kapitel 5:
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Im Lift überkamen Otabek dann plötzlich Zweifel. War es wirklich richtig, ihn
so zu überfallen? Wollte er überhaupt noch etwas mit ihm zu tun haben? Oder
war er in Yuri´s Augen nur ein Perverser, der ihm aus dem Weg gehen sollte?
Aber nun war er hier, nun zog er es auch durch. Danach sah er sicher klarer.
Also klopfte er an.
„Ich will nicht gestört werden!“, grölte es unfreundlich von drinnen.
Otabek musste grinsen, Yuri schien immer noch der Alte zu sein. Trotz der
abweisenden Worte öffnete er die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer.
„Auch nicht von mir?“
Yuri´s Kopf ging ruckartig zur Tür und er starrte Otabek an, wie einen Geist.
„Du…“
So schnell wie ihn sein krankes Bein tragen konnte, sprang er auf und ehe Otabek
noch reagieren konnte, war er ihm um den Hals gefallen.
„Oh…“, war das Einzige, was Otabek herausbrachte. Er war verwirrt.
Yuri drückte sich wie ein Ertrinkender an ihn und Otabek war es, als ob er ein
Schluchzen vernahm. Otabek strich ihm durch das Haar.
„Was ist denn los, Kleiner?“, fragte er leise.
Yuri sah ihn an und tatsächlich schimmerten Tränen in seinen Augen.
„Ich wusste nicht ob…ob du mich noch magst. Ich meine… nachdem ich beim
letzten Mal so kindisch war.“
„Hast du dich deshalb etwa nicht mehr so oft gemeldet?“
„Ja…Ich hab mich geschämt.“
„Brauchst du nicht. Ganz im Gegenteil, ich war derjenige, der ziemlich doof
war. Vergessen wir es einfach.“
Otabek lächelte auf ihn herab und in Yuri´s Gesicht sah er die Erleichterung.
„Wollen wir nach draußen gehen? Der Park, der zur Klinik gehört, ist
riesig.“
„Ja, gerne. Hier scheint alles ziemlich überdimensional zu sein.“
Yuri hatte nicht zu viel versprochen, der Park war sehr weitläufig.
„Geht’s dir auch gut hier?“
„Ja, ist cool hier. Die haben hier eine neu entwickelte Behandlung, speziell
für Knieverletzungen. Ich kann schon wieder richtig gut laufen und wenn ich
Glück habe, werde ich in ein paar Wochen entlassen. Und du? Wie lange bleibst
du hier? Bist du nur wegen mir gekommen?“
Yuri´s Augen hingen erwartungsvoll an ihm.
„Ja, ich bin nur wegen dir gekommen. Ich habe eine Woche Urlaub bekommen.“
„Einfach so? Du fliegst so einen langen Weg, nur um Hallo zu sagen?“
Otabek musste schmunzeln.
„Klingt wie der Beginn einer richtig kitschigen Liebesbeziehung, oder?“
„Du… dürftest das wirklich?“, fragte Yuri flüsternd.
„Was?“
„Eine… Beziehung mit mir führen?“
Yuri´ Stimme war nur noch ein Hauch. Verlegen wischte er sich mit dem
Jackenärmel über die Nase.
„Ja, das dürfte ich. Warum auch nicht? Spricht nichts dagegen.“
„Maaan, dann sei doch nicht so unromantisch! Muss ich jetzt betteln oder
was?“
Da war es wieder, der Tiger brach in ihm durch.
Otabek beugte sich zu ihm hinunter und blieb dicht vor seinem Gesicht stehen.
„Scheint so, als müsste ich das Tigerchen noch zähmen.“
„Versuchs doch.“
Die bockig blickenden Augen und der schmollende Mund waren Einladung pur und
Otabek musste sich zügeln, um ihn nicht sofort zu Boden zu reißen. Stattdessen
küsste er ihn sanft auf die Lippen, vorsichtig, dann inniger. Schließlich
wollte er seinen kleinen Tiger nicht sofort verschrecken. Und dass er genau das
Richtige getan hatte, war das wohlige Seufzen Yuri´s.
…
Das frisch gebackene Pärchen verbrachte eine schöne Woche in trauter
Zweisamkeit. Morgens absolvierte Yuri sein Reha Programm, während Otabek die
Zeit damit verbrachte, für seine Ausbildung zu lernen. Mittags aßen sie
zusammen und wenn Yuri wieder trainierte, sah Otabek zu. Hier konnte er einiges
für den praktischen Bereich für seine eigene Arbeit lernen. Nachmittags war
dann Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Sie machten New York unsicher, kauften
die üblichen Touristen Souvenirs, saßen im Central Park und ließen sich die
Sonne auf den Bauch scheinen und ließen sich von einem Straßenkünstler
zeichnen. Yuri war in dieser Zeit ein ganz anderer Mensch. Von einem maulenden
Teenager war nichts zu merken, er lachte und strahlte und war bester Laune. Nur
abends, wenn Otabek sich verabschieden musste, war er am Jammern.
„Ich könnte doch zu dir ins Hotel kommen, dass merken die gar nicht!“
Otabek lachte.
„Du meinst, dein Bodyguard merkt nicht, wenn du morgens nicht im Bett
liegst?“
„Yakov? Der veranstaltet seit Neuestem Wodka Orgien unten in der Hotellobby.
Da sind russische Geschäftsleute angekommen.“
„Gut, dann entführe ich dich einfach, vernasche dich ordentlich bis du nicht
mehr laufen kannst und verlange Lösegeld für dich. So wie ich gehört habe,
bist du ja ein kleines Goldfischchen.“
„Bin ich das?“
„Nun, du hast etliche Preisgelder gewonnen, nicht wahr? Und als
Goldmedaillengewinner hast du auch ordentlich was abgesahnt. Du bist also eine
gute Partie.“
„Du hast recht, unvermögend bin ich nicht. Es wird für ein paar Jahre
reichen. Ich habe genug, um dir das Geld für den Flug zurück zu geben,
wirklich, dass würde ich tun. Du verdienst doch gar nicht so viel.“
Otabek strich ihm sanft über die Wange.
„Das lässt du schön bleiben. Du hast recht, ich verdiene nicht viel aber ich
habe vor ein paar Jahren eine Erbschaft gemacht. Deshalb kann ich mir hin und
wieder etwas Außergewöhnliches leisten.“
Doch auch die schönste Woche ging einmal zu Ende und Otabek musste
zurückfliegen.
„Ich begleite dich zum Flughafen.“
„Nein, Yuri, dass wäre nicht gut. Ich hasse Abschiede an Flughäfen oder
Bahnhöfen.“
Yuri seufzte.
„Jetzt werden wir uns erst wiedersehen, wenn ich hier fertig bin, was?“
„Wahrscheinlich ja. Aber du musst erst mal wieder ganz gesundwerden. Aber was
meinst du, wenn du erst wieder zu Hause bist? Dann werden wir nicht mehr
getrennt sein.“
„Das dauert noch ewig! Meinst du nicht, du könntest mich einfach mit
rausschmuggeln?“
Mit großen Augen schaute Yuri seinen Liebsten an.
„Jaa genau…du willst mich doch nicht etwa im Knast sehen?“
„Im Knast? Wieso das denn?“, rief Yuri erschrocken.
„Auf Entführung Minderjähriger stehen sicher ein paar Jährchen.“
Ob Yuri nun wollte oder nicht, der Abschied war gekommen.
„Machs gut, Tigerchen und streng dich an.“
Ein letzter Kuss und Otabek stieg ins Taxi zum Flughafen. Ohne noch einen Blick
zurück zu werfen fuhren sie los.
Yuri sah dem Auto hinterher, bis es im dichten Verkehr verschwunden war. Ohne
Freunde war alles doppelt so schwer in Amerika. Nun musste Yakov herhalten. Er
ging zu seinem Zimmer und klopfte an. Ganz schwach kam ein „Herein“ von
drinnen. Yuri rümpfte die Nase, als hereinkam. Es stank nach Wodka. Sein Coach
lag halb wach, halb schnarchend in seinem Bett.
„Steh auf, alter Mann, wie kannst du dich in deinem Alter bloß so gehen
lassen!“, meckerte Yuri ihn in Russisch an.
Mit einem Stöhnen erhob er sich und blinzelte seinen Schützling aus trüben
Augen angestrengt an.
„Sei nicht so frech oder ich hole den Stock!“
„Pfft, wir sind nicht im Training. Ich will wieder nach Hause!“
„Wirst du auch, Yuri, wirst du. Wenn du gesund bist.“
„Ich will jetzt! Sofort!“
Yakov seufzte und stand auf. Er kannte die Wutausbrüche seines Schülers zur
Genüge.
„Hat dieser Junge dir diesen Unsinn in den Kopf gesetzt?“
„Dieser „Junge“ heißt Otabek! Und, nein, hat er nicht. Aber ich will hier
nicht versauern.“
Yakov legte seine Hand auf Yuri´s Schulter und setzte seinen väterlichen Blick
auf, mit dem er nicht oft jemanden bedachte.
„Nur, weil du verliebt bist, kannst du nicht deinen Fortschritt in Gefahr
bringen.“
„Aber mir gefällt es hier nicht!“
„Mir auch nicht und jammere ich herum? Willst du etwa deine Karriere aufs
Spiel setzen? Glaubst du, nur, weil du eine Goldmedaille gewonnen hast, kannst
du dich ausruhen? Es ist schon schlimm genug, dass du dieses Missgeschick
hattest, du fällst damit in deinen Fortschritten fast ein Jahr zurück. Ich
werde nach deiner Genesung ziemlich viel zu tun haben, damit du zurück in deine
Form findest. Es ist noch sehr viel Potenzial in dir, Yuri.“
„Meinetwegen…“, erwiderte Yuri grollend und verschwand in sein Zimmer.
Kapitel 6:
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Obwohl Otabek gerade erst weggefahren war, vermisste Yuri ihn schon schmerzlich.
Die Zeit mit ihm war wunderbar gewesen. Zum Glück hatte er ein Shirt vergessen.
Yuri legte sich aufs Bett und presste das Shirt auf sein Gesicht. Der herbe Duft
seines Freundes tröstete ihn etwas. Insgeheim war er froh, dass sein Coach dem
Wunsch nach Abbruch der Therapie widersprochen hatte. Otabek hätte ihn
wahrscheinlich gleich zum Teufel gejagt, wenn er jetzt schon zu Hause
aufgetaucht wäre. Heute, am Sonntag, waren nur sporadisch Ärzte und
Therapeuten da. Und weil er nichts Besonderes zu tun hatte, ging er zum
Trainingsraum. Hier gab es mehrere Sportgeräte, auf denen die Physiotherapeuten
mit ihren Patienten arbeiteten. Der Raum war jederzeit nutzbar und Yuri ging
hinein. Ehe er herumsaß und Trübsal blies, konnte er auch trainieren.
Wenn er ruhig saß, spürte er keinerlei Schmerzen mehr. Sein Blick huschte zur
Ballettstange, die im hinteren Teil des Raumes angebracht war. Wenn schon keine
Schlittschuhe an seinen Füßen steckten, wollte er wenigstens Ballettschuhe
tragen. Gesagt, getan und schon machte er Aufwärmübungen und drehte seine
Pirouetten. Es funktionierte wunderbar. Allerdings kam er ziemlich schnell aus
der Puste. Verdammt, früher hatte er bis zu vier Stunden trainiert und nun war
er schon nach einer erschöpft. Es war wohl noch viel Arbeit nötig.
Dass er damit Recht hatte, zeigte sich in den nächsten Wochen. Statt der
geplanten drei bis vier Wochen, dauerte es zwei Monate. Acht Wochen voller
Wutausbrüche, Tränen der Verzweiflung, schlafloser Nächte, Schweiß und
Herzblut. Doch alles hatte sich gelohnt, denn letztendlich gab es ein Happy End.
Pünktlich zum 16. Geburtstag erhielt Yuri die lang ersehnte Erlaubnis, nach
Hause zurückzukehren.
„Herzlichen Glückwunsch, Mr. Plisetsky, sie sind wieder fit.“, gratulierte
der Arzt, Dr. Patschuli.
Obwohl es ihm auf den Nägeln brannte, erzählte er Otabek nichts von seiner
Rückkehr. Im Flieger konnte er nicht lange ruhig sitzen und brachte sogar
seinen Coach aus der Fassung.
„Yuri! Zappele doch nicht so herum. Bist du ein kleines Kind?“
„Mir ist langweilig!“
„Dann lies ein Buch oder höre Musik aber lass mich schlafen.“
Als sie endlich gelandet waren, ging es nach Hause. Dort gab es auch ein
Wiedersehen mit Balletttrainerin, Lilia Baranovskaya. Yuri war voller Tatendrang
und wollte mit den beiden seinen neuen Trainingsplan besprechen.
Otabek hatte inzwischen keine Ahnung, dass sein Liebster schon wieder im
gleichen Land war. Es war abends gegen 22 Uhr und er hatte es sich bereits mit
Pizza und Bier auf dem Sofa bequem gemacht. Er döste schon fast, als ihn ein
stürmisches Klingeln aus dem Halbschlaf riss.
>Oh man, welcher Vollpfosten will denn jetzt noch was<
Er öffnete die Tür und ein nasses, triefendes, Häuflein Elend in Form von
Yuri stand vor ihm.
„Yuri? Du bist wieder zurück? Ist was passiert?“
„Die…die wollen mir das Eislaufen verbie…hiiiihiiieten…“
„Was? Komm erstmal rein, du bist ja klitschnass.“
Er zog Yuri in die Wohnung und schloss die Tür.
„Regnet es etwa? Bist du hierher gelaufen oder wie?“
„Ja…“
Otabek strich ihm das nasse Haar aus dem Gesicht.
„Bevor du mir irgendwas erzählst, zieh deine nassen Sachen. Du holst dir ja
den Tod. Geh ins Badezimmer, da hängt auch mein Bademantel.“
Yuri nickte nur schweigend und verschwand.
Otabek machte in der Küche und kippte einen ordentlichen Schuss Rum hinein. Der
wärmte von innen und verhinderte, dass er auskühlte. Nach ein paar Minuten kam
Yuri, in Otabeks Bademantel der ihm zu groß war, zu ihm.
„Hier, trink das.“
Ohne zu fragen, leerte Yuri den Becher.
„Komm, setzen wir uns auf die Couch und du erzählst mir, was passiert
ist.“
Otabek holte die Fleecedecke und breitete sie über Yuri´s Beine.
„Ich habe es nach so langer Zeit endlich geschafft, wieder gesund zu sein. Und
nun wollte ich einen neuen Trainingsplan ausarbeiten und… und nun sagen Yakov
und Lilia, dass es zu früh ist. Das ich warten soll und erst mal nur
Ballettunterricht bekommen soll.“
Innerlich atmete Otabek erleichtert auf. Trotzdem musste er jetzt behutsam
reagieren, um Yuri nicht aufzuregen.
„Und das möchtest du nicht? Ich meine, das ist doch ein vernünftiger
Vorschlag.“
Fassungslos sah Yuri ihn aus seinen grünen Augen an.
„Du…du findest das auch?“
„Na ja, es wäre doch nicht verkehrt, langsam anzufangen. Auf Ballettschuhen
ist es vielleicht sicherer, als auf Schlittschuhen. Sonst läufst du Gefahr,
wieder zu stürzen und dann wird es nur schlimmer. Absolviere doch erst mal ein
paar Wochen ein straffes Balletttraining und wage dich dann wieder auf die
Schlittschuhe.“
Yuri sagte nichts und wischte sich nur müde über die Augen. Otabek rückte
näher und seine Stirn stieß sanft gegen die von seinem Freund.
„Hey du, ich mach dir einen Vorschlag. Ich sage deinem Coach Bescheid, dass du
hier schläfst. Dann ruhst du dich aus, schläfst drüber und morgen sehen wir
weiter. Okay?“
Yuri nickte.
„Okay.“
Otabek leitete alles in die Wege, während Yuri fast im Stehen einschlief. Er
gab ihm ein Shirt zum Schlafen und nahm ihn mit in sein Bett. In dieser Nacht,
die Yuri´s wohl schwerster Kampf war, hatte Otabek keinerlei schmutzige
Gedanken. Ganz im Gegenteil, während Yuri´s blondes Köpfchen vertrauensvoll
an seiner Schulter ruhte, hoffte er einfach nur, er würde die richtige
Entscheidung treffen.
Kapitel 7:
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Der Regen hatte sich in der Nacht zu einem wahren Unwetter entwickelt. Otabek
wachte öfter auf, weil die Tropfen wie Peitschenhiebe gegen die Scheibe
schlugen. Er spürte Yuri an seinem Rücken und hörte seinen regelmäßigen
Atemzug, daher bewegte er sich nicht und blieb ruhig liegen. Der Kleine war
aufgewühlt genug gewesen, er brauchte seinen erholsamen Schlaf. Otabek hatte am
nächsten Tag frei und so konnten beide länger schlafen. Gegen zehn Uhr war er
dann aber doch wach. Vorsichtig drehte er sich um, von Yuri war nur ein Stück
blondes Haar zu sehen, der Rest war unter der Decke versteckt. Doch darunter
bewegte sich etwas und Otabek lüftete die Decke einen Spalt.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“, meinte Otabek und grinste.
Yuri hatte sich zusammengerollt und blinzelte zu ihm nach oben.
„Ist schon Morgen?“
„Ja, es ist schon Morgen. Hast du gut geschlafen?“
„Jaa…sehr gut sogar…musst du heute gar nicht arbeiten?“
„Nein, heute ist mein freier Tag.“
Otabek sprang mit einem Satz aus seinem Hochbett, um auf Toilette zu gehen. Yuri
sah ihm hinterher. Er trug nur Boxershorts, die sich verdammt eng an seinen
Hintern schmiegte. Und er hatte den Streifen feiner Härchen sehr wohl bemerkt,
der in der Shorts verschwand. Von der Beule an der Vorderseite ganz zu
schweigen.
Ob er ihn einfach so anfassen durfte? Oder sollte er vorher fragen? Und wie
sollte er das tun? Hey Otabek, darf ich deinen Schwanz anfassen?
Entsetzt über seine schmutzigen Gedanken, verkroch Yuri sich unter der Decke.
Aber hier konnte er nicht ewig bleiben, schließlich waren sie jetzt zusammen
und irgendwann würde es passieren. Plötzlich erschien Otabeks Gesicht unter
der Decke.
„Hey, alles in Ordnung?“
Yuri´s grüne Augen tauchten in die braunen von Otabek und der samtige Blick
und das sanfte Lächeln brachten Worte über seine Lippen, die er sich sonst nie
getraut hätte auszusprechen.
„Träumst du manchmal davon, mit mir zu schlafen?“
Kaum war es raus, schlug Yuri erschrocken seine Hand vor den Mund, als könnte
er das Gesagte ungeschehen machen. Otabek guckte zuerst erstaunt, dann breitete
sich ein diabolisches Grinsen auf seinem Gesicht aus.
„Na klar, was dachtest du denn? Ich bin kein Mönch. In Gedanken habe ich dich
schon in den einen oder anderen Orgasmus gevögelt.“
Yuri lief so knallrot an, das Otabek schon Angst hatte, er würde gleich
explodieren. Ehe Yuri noch einen klaren Gedanken fassen konnte, rückte Otabek
an ihn heran.
„Ich zeig´s dir mal.“
„W…was? Ich mein…was?“
„Keine Sorge, ich zeig dir erst mal die harmlosere Variante.“
Doch als Otabek ihn küssen wollte, hielt Yuri ihm die Hand vor dem Mund.
„Waff iff?“, nuschelte er.
„Kannst du nicht noch etwas unromantischer sein? Sag doch gleich, Hose runter,
ich stoße zu!“
„Warts ab.“, raunte Otabek ihm ins Ohr.
Seine Spur von sanften Küssen, ließ bei Yuri eine Gänsehaut über den
gesamten Körper ziehen. Otabek lachte leise, die Brustwarzen seines Freundes
waren bereits jetzt kleine harte Kugeln.
„Was ist?“, fragte Yuri unsicher, als Otabek ihn angrinste.
„Du bist jetzt schon ziemlich geil, oder?“
„B…bin ich nicht!“
„Okay.“
Nie hätte Yuri es freiwillig zugegeben, dass er die Lippen seines Freundes und
die großen kräftigen Hände auf seinem Körper in vollen Zügen genoss. Bis
jetzt hatte er so etwas nur im Fernsehen oder Kino gesehen.
Otabek bahnte sich seinen Weg und bei jedem Kuss erzeugte er einen neuen
Schmetterling in Yuri´s Bauch. Dieser konnte seine Erregung nicht mehr länger
verbergen, warum auch, sein gesamter Körper hatte schon viel zu viele Signale
ausgesendet, als das es jetzt noch ein Zurück gab. Auf der anderen Seite war es
Yuri peinlich, sich so gehen zu lassen. Meistens verbarg er seine Unsicherheit
hinter einer großen Klappe, die in dieser Situation aber komplett versagte. Und
dann fiel auch die letzte Hülle, die Yuri noch trug, seine Boxershorts. Er
hielt die Luft an, nun lag er komplett nackt vor den Augen seines Freundes.
„Ich…wachse noch.“, stotterte Yuri und biss sich gleich darauf auf die
Lippen.
Was faselte er denn da für einen Unsinn? Doch Otabek zwinkerte ihm zu.
„Reicht ja, wenn einer von uns reichlich bestückt ist.“
Doch darüber konnte Yuri sich jetzt keine Gedanken machen, denn er bekam den
Blowjob seines Lebens verpasst.
„Stop…hnnng…ha…oh Gott…“
Otabek ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, ganz einfach aus dem Grund, dass
er spürte, das Yuri es genoss. Ab und zu wanderte sein Blick nach oben, wo Yuri
mit hochrotem Kopf und keuchendem Atem in den Kissen lag und sich unter seinen
Händen wand. Yuri´s Aufstöhnen und Keuchen brachte auch Otabek in Erregung.
Während er mit einer Hand über Yuri´s Bauch strich, wanderte seine andere
Hand zwischen seine Beine, wo er seinen eigenen Schwanz packte und sich
befriedigte. Kurz nachdem Yuri dann gekommen war, wich auch Otabeks Druck einer
wohligen Erleichterung. Er ließ sich neben dem erschöpften Yuri sinken.
Eine Weile konnte keiner von beiden etwas sagen, bis Otabeks braune Samtaugen
die smaragdgrünen Yuri´s suchten.
„Hey, alles in Ordnung? War ich zu grob?“, fragte er unsicher, denn Yuri
hatte seinen Kopf zur Seite gedreht und wich seinem Blick aus.
„N…nein… es ist nur…“
„Ja?“
Plötzlich sah er ihn doch an und Sorge war in seinen Augen zu sehen.
„Findest du ihn…zu klein?“
Fast hätte Otabek gelacht aber das wäre fehl am Platz gewesen.
„Darüber machst du dir Gedanken? Du bist frische sechzehn Jahre alt, glaubst
du, in diesem Alter hätte ich schon einen Riesenprügel gehabt? Nein, für dein
Alter groß genug.“
Jetzt sah Yuri erleichtert aus. Und Otabek konnte sich nun auch eine weitere
Verlegenheit nicht verkneifen.
„Außerdem brauchst du dir darüber keine Sorgen zu machen. In dieser
Beziehung bin ich der aktive Part und in Zukunft wirst du so ordentlich
rangenommen, dass du meinen Namen nicht nur einmal schreist.“
Yuri zog eine Flunsch.
„Und das entscheidest du so einfach?“
Plötzlich machte Otabek eine Drehung und sein Gesicht war dicht vor dem von
Yuri.
„Das Vorrecht des Älteren! Und wehe du widersprichst mir, dann gibt es Haue
auf den hübschen Po.“
Otabek begann ihn zu kitzeln und Yuri gluckste vor sich hin und versuchte sich
aus dem Griff zu befreien.
„Du hast ziemlich grobe Hände.“, hauchte er.
„Mit denen wirst du noch oft Bekanntschaft machen. Ob grob oder zärtlich,
dass hängt von deinem Verhalten ab. Aber eins versprech ich dir, ich werde dich
mit ihnen in so manchen Höhepunkt treiben. Dazu brauche ich nicht unbedingt
meinen Schwanz. Ab heute entscheide ich, welches Tier ich neben mir im Bett
befriedige, das Kätzchen oder den Tiger.“
„Pfft glaub ja nicht, dass ich nach deiner Pfeife tanze!“
„Ha, das glaubst du!“
Zur Bekräftigung seiner Aussage bis Otabek ihm spielerisch in den Nacken und
plötzlich war aus dem Tiger wieder das Kätzchen geworden, dass kichernd
schnurrte.
Doch in den Albernheiten hinein schrillte plötzlich Yuri´s Handy. Es war Yakov
und urplötzlich wurde er wieder in die Wirklichkeit gerissen. Es folgte eine
hitzige Diskussion auf Russisch, bis Yuri genervt auflegte.
„Yakov! Er war ziemlich angepisst und fragte, ob ich mich nicht langsam nach
Hause bewegen will. Blödmann!“
„Ich bring dich nach Hause.“
„Auf dem Motorrad?“, fragte Yuri eifrig.
„Wenn du willst, meine kleine Motorradbraut.“
Wohl oder übel mussten die beiden das warme, gemütliche, Bett verlassen und
sich anziehen. Yuri konnte seinen Blick gar nicht abwenden, als Otabek in seine
Lederkluft stieg. Verdammt, war die Hose eng! Und schmiegte sich so perfekt an
seine Pobacken. Er wollte jede Minute, die ihnen noch blieb, genießen und
drängte sich fest an Otabeks Rücken beim Fahren. Der herbe Duft des Leders und
der Patschuli Duft seines After Shaves, dazu die vibrierenden Bewegungen des
Motorrades, ließen in Yuri eine neue Erregung wachsen. Dabei sollte er
eigentlich gerade jetzt einen klaren Gedanken fassen, denn die folgende
Diskussion zwischen ihm und seinem Coach verlangte sicher seine ganze
Aufmerksamkeit. Er wollte sich nicht durch rosarote Gedanken überrumpeln
lassen. Schließlich stand seine Zukunft auf dem Spiel und die wollte er selbst
entscheiden. Er war wieder gesund, beflügelt von der Liebe und dem was noch
kommen sollte und jung genug, um an seine vergangenen Erfolge anzuknüpfen.
Kapitel 8:
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Leider musste Yuri fürs Erste Abschied von seinem Liebsten nehmen. Am liebsten
wäre er sofort wieder aufs Motorrad gesprungen, als Otabek wieder aufstieg.
„Soll ich nicht mitkommen?“
„Nein, das muss ich alleine machen. Bist du später zu Hause?“
„Ja, ich gehe heute nicht mehr aus.“
„Ich ruf dich an, wenn ich hier fertig bin.“
Yuri schlang seine Arme noch einmal um seinen Hals, küsste ihn und atmete noch
einmal tief seinen vertrauten Duft ein, ehe er losließ. Er sah dem knatternden
Motorrad hinterher, bis es verschwunden war. Yuri ging hinein, wo Coach und
Trainerin schon auf ihn warteten.
Lilia Baranovskaya, sonst immer sehr streng, kam auf Yuri zu und nahm ihn bei
den Schultern. Besorgt musterte sie ihn.
„Yuri! Wie kannst du einfach so in die Nacht hinauslaufen! Wir haben uns
Sorgen gemacht!“
„Ihr habt selber Schuld! Wie könnt ihr mir das Eislaufen verbieten.“
„Keine hat es dir verboten! Du sollst nur langsam anfangen. Außerdem sollst
du wissen, dass ich dagegen war, dass du bei diesem Jungen über Nacht
warst.“
Yakov, der bis jetzt in der Ecke gesessen hatte, kam zu den beiden.
„Dieser Junge hat auch einen Namen, er heißt Otabek. Außerdem ist er nicht
Irgendjemand, sondern mein Freund.“
„Wie alt ist er denn? Weiß er, dass du erst sechzehn bist?“
„Er ist achtzehn, macht eine Ausbildung im Krankenhaus und er hat mich
beruhigt, als ich gestern vor seiner Tür stand. Ich kann auf mich alleine
aufpassen.“
„Schluss jetzt, streitet euch nicht. Über diesen Otabek können wir später
reden. Jetzt haben wir Wichtigeres zu tun!“, sprach Lilia ein Machtwort.
In solchen Augenblicken sehnte sich Yuri nach der Gegenwart seines Großvaters.
Der alte Mann strahlte immer eine Ruhe aus, bei der er sich geborgen und sicher
fühlte. Manchmal war es schon schwer, alles alleine entscheiden zu müssen.
Aber nun gab es erst einmal was zu essen. Jetzt erst merkte Yuri, dass sein
Magen knurrte. Trotzdem mampfte er mit grimmiger Miene sein Essen, denn er
wusste ganz genau was die Zwei vorhatten, ihn zu besänftigen. Klappte mit Essen
bei einem Teenager eigentlich immer. Kaum hatte er den letzten Bissen
runtergeschluckt, legte Lilia auch schon los.
„Yuri, wir müssen besprechen, wie es weitergeht“
„Ich höre.“
„Du kennst unseren Standpunkt, Yakov und ich sind uns da einig. Glaube mir,
wir haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht. Darüber haben wir auch
schon mit dir gesprochen. Natürlich werden wir nicht über deinen Kopf hinweg
entscheiden aber wir sind für dich verantwortlich. Dein Großvater wird uns
teeren und federn, wenn dir wieder etwas passiert.“
Lilia zwinkerte und ließ kurz einen gewissen Schalk in ihren Augen aufblitzen.
Yuri wusste, dass nicht viele Menschen in den Genuss der wahren ehemaligen
Primaballerina kamen. In manchen Augenblicken brachen ihre nie ausgelebten
Mutterinstinkte aus ihr heraus, wenn auch selten.
„Ich soll mich also erst einmal auf das Ballettraining konzentrieren statt
Eislaufen?“
„Ja. Deinen Trainingsplan habe ich schon fertig, wir könnten morgen gleich
beginnen. Du bekommst ein straffes Einzeltraining von mir, zu der Musik von
Agape, Eros und anderen Musikstücken, von denen ich dir noch die Liste gebe. Du
weißt ja selber, dass Ballett und Eiskunstlauf sehr ähnlich sind. Einmal die
Woche werden wir dann auch auf die Eisbahn gehen und paar leichte Übungen
machen, damit du das Gefühl nicht verlierst. Okay?“
„Okay! Aber unter einer Bedingung, ich darf Otabek treffen, wann ich
möchte.“
Lilia und Yakov wechselten einen vielsagenden Blick und etwas widerwillig nickte
er.
„Aber nur, wenn du das Training und auch die Schule nicht
vernachlässigst.“
„Nein, tu ich nicht.“
„Wunderbar, dann sind wir uns ja einig.“, rief Lilia und sah ziemlich
erleichtert aus.
Otabek war den ganzen Tag zu Hause gewesen und lernte für seine Ausbildung aber
richtig konzentrieren konnte er sich nicht. Seine Gedanken schweiften immer
wieder zu Yuri hinüber. Alle zehn Minuten schaute er auf sein Handy, um zu
sehen ob eine Nachricht gekommen war. Am späten Nachmittag klingelte es
plötzlich Sturm an seiner Haustür, Yuri stand davor und war guter Laune.
„Hey, da bist du ja wieder. Und anscheinend nicht gerade unglücklich. Komm
rein.“
„Ja, es war gar nicht so schlecht. Ich habe nun Balletttraining und einmal in
der Woche geht’s in die Eishalle. Und was das Beste ist, ich darf dich treffen
so oft ich will.“
Otabek lachte.
„Das ist ja auch die Hauptsache. Und zuerst warst du davon gar nicht
begeistert.“
„Ach, ich war ziemlich dumm. Bin ja froh, dass es überhaupt weitergeht. Darf
ich hier schlafen?“
„Sicher darfst du.“
Auf dem Tisch lagen überall Unterlagen verstreut.
„Hausaufgaben?“, fragte Yuri.
Otabek nickte.
„Ja, ich habe bald Zwischenprüfung, da will ich fit sein. Du hast doch sicher
auch Schulaufgaben auf, oder?“
Yuri rümpfte das Näschen.
„Soll ich jetzt etwa lernen?“
„Wieso nicht? Oder bist du so eine Leuchte in der Schule, dass du nichts tun
musst?“
„…Nee.“
„Profisport ist nicht alles, Yuri, Bildung gehört auch zum Leben dazu. Mit
einem dummen Eiskunstläufer will ich nicht zusammen sein!“
Yuri´s missbilligender Blick über die Strenge seines Freundes sagte alles aber
er wagte auch nicht zu wiedersprechen. Stöhnend holte er seine Schulsachen
raus.
Doch der Fleiß Otabeks spornte auch Yuri an und schon bald waren beide in ihre
Bücher vertieft. Erst als sich Yuri´s knurrender Magen zwei Stunden später
meldete, gab es eine Pause.
„Geht das jetzt immer so, dass wir abends hier sitzen und Lernstoff
durchgehen?“
„Ich lerne auch nur länger, wenn ich frei habe. Wenn ich einen harten
Arbeitstag hinter mir habe, bin ich auch zu müde. Nur habe ich ab morgen wieder
Blockunterricht und muss acht Wochen zur Schule, da muss ich schon etwas
vorbereitet sein. Aber jetzt ist Schluss.“
„Ich muss unter die Dusche.“
„Du weißt ja, wo das Bad ist. Handtücher sind auch da.“
Yuri schloss die Tür und zog sich aus. Er drehte das warme Wasser an und
stellte sich unter den Strahl. Langsam machte er die Augen zu und ließ es auf
sich einprasseln. Daher merkte er zuerst nicht, dass die Badezimmertür leise
geöffnet wurde. Erst als der nackte Otabek in der Duschkabine auftauchte,
zuckte er zusammen.
„Darf ich reinkommen? Ich fühle mich ganz furchtbar schmutzig.“, grinste er
schelmisch.
„K…klar.“
Er kam Yuri immer näher und dieser wich so lange zurück, bis sein nackter
Rücken gegen die kalte Wand drückte. Als Otabeks Gesicht seinem schließlich
so nah war, dass er ihn küsste, machte Yuri die Augen zu. Geküsst hatte sich
die beiden schon öfter, doch dieses Mal war es anders. Nach einem neckischen
Kuss auf die Lippen, öffnete Otabek Yuri´s Lippen und seine Zunge forderte
Einlass. Yuri erlaubte es und kurz darauf waren sie in einem innigen Zungenkuss
verbunden. Yuri warf seine Arme um seinen Hals und drückte ihn so fest an
seinen Körper, dass kein einziger Zentimeter mehr Platz war. Seine Finger
glitten über Otabeks kräftige Rückenmuskeln bis zu seinem festen Hintern. Als
er seine Hände in den Po krallte, entfuhr Otabek ein unterdrücktes Stöhnen
und Yuri spürte, dass sein Freund hart wurde.
Otabek merkte, dass er dabei war, die Kontrolle zu verlieren. Die Nähe von Yuri
und seine verlangenden Lippen ließen seine Lenden brennen und der unterdrückte
Wunsch, ihn hier und jetzt wild und gierig zu vögeln, musste er unbedingt
zügeln. Es war noch zu früh, zu früh für Yuri. Er löste sich von ihm und
ging in die Knie. Yuri atmete schwer und als er Otabeks Mund und Zunge zwischen
seinen Beinen spürte, hielt er sich nicht mehr zurück.
„Verdammt, ist das gut…nimm ihn fester…bitte!“
Otabek erfüllte ihm gerne den Wunsch und es durchfuhr Yuri wie ein Stromschlag.
Er versenkte seine Finger in seinen schwarzen Haaren und zerwühlte sie und die
kalten Fliesen der Duschwand in seinem Rücken, verhinderte, dass er vollkommen
in Flammen aufging. So lange es ging, hielt er sich zurück. Als Otabek ihn dann
zum Orgasmus trieb, brach es mit einem langgezogenen Schrei aus ihm heraus.
Yuri´s Beine fühlten sich wie Pudding an und während er versuchte, seine
Fassung wiederzubekommen, schaltete Otabek das Wasser aus. Danach strich er das
tropfende Haar seines Freundes zur Seite.
„Du bist verdammt süß, wenn du verlegen bist.“, flüsterte Otabek und
küsste ihn in den Nacken.
Doch er spürte, dass Yuri zitterte. Jetzt, wo das Wasser aus war, wurde es
kalt.
„Komm, wir brauchen jetzt was Warmes.“
Sie verließen die Duschkabine und Otabek wickelte Yuri in seinen Bademantel,
während er sich ein Handtuch um die Hüften band.
„Ich fühle mich jetzt komischerweise schmutziger, als vor der Dusche.“,
grinste Otabek.
„Ich auch.“, kicherte Yuri.
Von wohliger Ruhe übermannt, gingen die beiden ins Bett und nach ein paar
innigen Küssen, schliefen beide nebeneinander schließlich ein.
Am nächsten Morgen wachte Yuri alleine auf, die andere Seite des Bettes war
leer. In der Wohnung war es völlig leise. Klar, Otabek musste heute zur Schule.
Die Zeiger des Weckers zeigten sieben Uhr, Zeit auch für ihn sich fertig zu
machen. Doch er entdeckte ein Kästchen neben sich, mit einem Zettel.
>Guten Morgen, kleine Schlafmütze. Ich hoffe du hast gut geschlafen. Ich musste
leider schon los. Essen ist im Kühlschrank, bedien dich ruhig. Ach ja, das
Kästchen ist für dich. Wir sehen uns heute Abend, dein Otabek ❤<
Neugierig machte Yuri es auf, ein Schlüssel lag darin. Ein Anhänger hing
daran, mit einem Foto von Otabek.
>Nicht nur der Schlüssel zu meinem Herzen, es ist auch dein eigener
Wohnungsschlüssel<
Yuri´s Herz machte einen Sprung, dieser Vertrauensbeweis machte ihm zum
glücklichsten Jungen der ganzen Welt.
Kapitel 9:
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Yuri´s Klassenkameraden kannten ihn eigentlich nur als muffelige Diva, der den
einen oder anderen derben Spruch raushaute und sich auch nicht vor Jungs
einschüchtern ließ, die größer waren als er. An diesem Montag war er
allerdings wie verwandelt.
„Guck mal, Plisetsky kann auch lächeln.“, war nicht der einzige erstaunte
Kommentar.
Grund war der kleine metallene Gegenstand in seiner Tasche. Und auch wenn er es
nie zugegeben hätte, er freute sich endlich wieder zu trainieren. Im
Krankenhaus zu sein, war die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen. Dass er die
Schlittschuhe für eine gewisse Zeit gegen Ballettschuhe tauschen musste, konnte
er verschmerzen. Sofort nach der Schule fuhr er zur Ballettschule, in der Lilia
unterrichtete. Es war nicht selbstverständlich, bei ihr Unterricht zu bekommen.
Es hatte sich herumgesprochen, dass Yuri wieder hier trainierte und prompt wurde
er beim Betreten der Schule von seinem Fanclub „Yuri´s Angels“, empfangen.
„Yuriiii-chaaaan!“
„Oh Gott, bitte nicht.“, murmelte er entsetzt.
Aus Erfahrung wusste er, dass die Mädchen ziemlich aufdringlich sein konnten
und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Plötzlich griff eine Hand ihn an der
Schulter und zog ihn mit sich.
„Komm, ich bringe dich in Sicherheit.“
Yuri wurde in einen Seiteneingang gezogen, die Tür ging zu und er war gerettet.
Er sah hoch und blickte in die freundlichen Augen eines jungen Mannes.
„Danke, dass war knapp.“
„Dein Fanclub, Yuri?“, fragte er schmunzelnd.
„Woher kennst du mich?“
„Ich habe dich schon öfter hier gesehen und auch deinen Werdegang in Bezug
aufs Eislaufen verfolgt. Mein Name ist Vasily Orlow, ich bin der Neffe von Lilia
Baranovskaya.“
„Aha. Danke nochmal aber ich muss jetzt los.“
„Kein Problem. Auf Wiedersehen.“
Yuri zog sich um und erschien im Trainingsraum. Allerdings war seine Trainerin
nicht mehr so fürsorglich wie gestern. Mit verschränkten Armen und ihrem
strengen Gesichtsausdruck, mit dem sie sogar gestandenen Männern wie ihrem
Exmann Yakov Angst einjagte, durchbohrte sie ihn mit ihrem Blick.
„Du kommst zu spät, Yuri!“
„Ich weiß aber…“
„Schweig! Ich will keine fadenscheinigen Ausreden hören! Die Zeiten der
Schludrigkeit sind ab heute vorbei, ich verlange, dass du von nun an pünktlich
erscheinst. Nimm Position ein und folge meinen Anweisungen!“
Yuri wusste aus Erfahrung, dass es nicht ratsam war, Wiederworte zu geben und
stellte sich auf. In den nächsten drei Stunden wurde er durch die
verschiedensten Übungen und Drehungen gescheucht und Lilia musste oft den Kopf
schütteln.
„Du bist total aus der Form, Yuri. Die letzten Monate sind nicht spurlos an
dir vorbeigegangen. Aber gut, damit musste ich rechnen. Wir haben viel Arbeit
vor uns. Für heute machen wir Schluss, sei morgen pünktlich.“
Yuri war sauer, sauer auf sich selbst und sauer auf Lilia. Was glaubte sie denn?
Natürlich war er aus der Form, musste sie ihm das auch noch unter die Nase
reiben? Er stopfte seine Sachen in die Tasche, rauschte wie ein wilder Tiger aus
dem Umkleideraum und… knallte genau gegen die Brust von Vasily.
„Holla Yuri, nicht so stürmisch.“
„´Tschuldigung.“
Yuri war sein Schlüsselbund auf den Boden gefallen und Vasily hob es auf. Er
wollte es Yuri reichen aber dann stutzte er.
„Das Foto…das ist doch Otabek Altin, nicht wahr?“
„Ja, ist er, wieso?“
„Woher kennst du ihn?“
„Er ist mein Freund!“
Vasily stutzte.
„Dein…Freund?“
„Ja, was ist daran so verwunderlich?“
„Nichts, Entschuldige bitte. Wie geht es ihm denn inzwischen? Ist er wieder
gesund?“
Yuri starrte ihn verwirrt an.
„Gesund? Wieso, war er krank?“
„Oh…da war ich wohl etwas zu vorschnell. Ich will nicht vorgreifen aber....
such mal im Internet seinen Namen. Bis bald.“
Yuri´s Ärger war verflogen. Otabek verheimlichte ihm etwas? Jetzt war er
neugierig geworden und fuhr zu ihm nach Hause. Die Wohnung war leer und Yuri
setzte sich an den Laptop. Nachdem er Otabeks Namen gegoogelt hatte, traf ihn
fast der Schlag. Er fand jede Menge Videos wo er wundervolle Pirouetten auf dem
Eis drehte. Otabek musste ungefähr in seinem Alter gewesen sein oder vielleicht
auch schon früher. Yuri war fassungslos, warum hatte er es mit keinem Wort
erwähnt?
Wenig später klickte der Schlüssel im Schloss und Otabek kam nach Hause. Ein
stressiger Schultag lag hinter ihm und er wollte nur noch ins Bett. Doch er
hatte nicht mit seinem vor Wut schnaubenden Freund gerechnet, der plötzlich vor
ihm stand.
„Warum hast du Geheimnisse vor mir?“
„Ääh…ich freue mich auch dich zu sehen. Du hast also meine kleine
Überraschung gefunden.“
Allerdings hatte Yuri gerade keine romantischen Gefühle für seinen Freund.
„Lenk nicht ab, du verheimlichst mir etwas. Ich habe heute Vasily kennen
gelernt.“
„Vasily?“
„Vasily Orlow.“
„Oh…“
Otabek wich Yuri´s Blick aus und löste sich von ihm. Yuri ließ nicht locker.
„Er fragte mich, ob du wieder gesund bist. Bist du krank? Was hast du? Rede
mit mir!“
„Ich will nicht darüber reden!“, brach es plötzlich aus dem sonst so
besonnenen Otabek heraus.
„Aber… warum denn nicht? Ich habe dich Eislaufen sehen, in zig Videos. Du
musst so alt wie ich gewesen sein oder jünger. Du warst wunderbar, so begabt.
Was ist passiert? Bitte Otabek!“
Dieser hatte sich ans Fenster gestellt und sah nach draußen. Yuri wartete, er
spürte, dass sein Freund mit sich kämpfte. Nach einer halben Ewigkeit, fing
Otabek an.
„Ich war wie du, Yuri. Ich liebte das Eislaufen. Schon mit fünf Jahren bekam
ich meine ersten Schlittschuhe und ich übte jede freie Minute. Mein Talent
wurde bald erkannt und ein berühmter ehemaliger Eiskunstläufer nahm sich
meiner an. Es dauerte nicht mehr lange und ich nahm an Wettbewerben teil, die
ich auch gewann. Die Kritiker prophezeiten mir eine glänzende Profikarriere und
ich trainierte für meine erste Meisterschaft. In meinem jugendlichen Eifer
übertrieb ich und anstatt mich an den Trainingsplan zu halten, übte ich auch
alleine weiter. Den Sieg und den Ruhm vor Augen mutete ich mir zu viel zu und…
stürzte. Aber in meinem verblendeten Kopf konnte und wollte ich mir meinen
Fehler nicht eingestehen und trainierte weiter. Die erste Zeit konnte ich meine
Schmerzen noch verheimlichen aber dann stürzte ich beim doppelten Rittberger
abermals. Das war mein Ende.“
Eine lähmende Stille legte sich über die Wohnung, beide waren wie erstarrt.
Otabek war der Erste der sich rührte und sich auf die Couch setzte. Er
versuchte ein Lächeln, was ihm deutlich misslang.
„Jetzt weißt du es. Ich habe mich davon nie ganz erholt. Genau wie du, musste
ich mich einer langwierigen Therapie unterziehen, Operationen, Klinikaufenthalt,
Reha. Das alles hat fast zwei Jahre gedauert aber aufs Eis konnte ich nicht
mehr. Mein Trainer hatte mich schon lange im Stich gelassen und sich einen
anderen Schüler gesucht. Aber noch schlimmer war, dass ich meine Familie
enttäuschen musste. Sie hatten mich gefeiert und unterstützt und durch meinen
Leichtsinn und Verbohrtheit habe ich alles kaputt gemacht. Deshalb begann ich
meine Ausbildung als Physiotherapeut, ich wollte genau den Menschen helfen, die
sich solche oder ähnliche Verletzungen zugezogen hatten, wie ich. Und ihnen
vielleicht ihre Träume wiedergeben.“
„Es tut mir so leid.“, flüsterte Yuri getroffen.
„Muss es nicht, ich war selber schuld.“
Yuri schlief in dieser Nacht bei ihm und wachte irgendwann auf. Beim Umdrehen
merkte er, dass die Seite neben ihm, leer war. Das Licht knipste er nicht an und
nach einer Weile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Durch die
Lichter von draußen sah er Otabek vor dem Fenster stehen. Doch dann brach es
Yuri fast das Herz denn er vernahm ein unterdrücktes Schluchzen. Er kletterte
aus dem Bett und näherte sich vorsichtig seinem Freund. Vielleicht war es ihm
peinlich, in seinem schwachen Moment ertappt zu werden und daher berührte Yuri
ihn behutsam. Otabek zuckte trotzdem zusammen und fuhr herum.
„Yuri… es… tut mir leid, dass du mich so sehen musst.“
„Das muss dir nicht leidtun, mir tut es leid dass ich alles wieder aufwühlen
musste.“
Er nahm ihn in den Arm und Otabeks Kopf fiel gegen seine Schulter. Nun konnte er
seine unterdrückten Tränen nicht mehr zurückhalten. Es brach aus ihm heraus
und das Einzige was Yuri tun konnte, war ihm durchs Haar streichen.
„Ich habe mir alles verbaut, Yuri, dabei war es mein großer Traum. Ich
dachte, ich wäre darüber hinweg aber ich bin es nicht. Mach es nicht so wie
ich. Halte dich nur an das Training und übertreibe es nicht. Du sollst nicht
das Gleiche durchmachen wie ich. Versprichst du es mir? Bitte!“
„Ich verspreche es!“
In dieser Nacht war es Yuri, der seinen Freund Halt geben musste. Otabek schlief
schließlich in seinem Arm ein, während Yuri über seinen Schlaf wachte.
Kapitel 10:
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Man merkte Yuri nach der fast durchwachten Nacht nicht an, dass er müde war.
Ganz im Gegenteil, er weckte seinen Freund mit einem Frühstück. Der Duft nach
Kaffee, Rühreiern mit Schinken und frischen Brötchen zog durch die ganze
Wohnung, inklusive einem strahlenden Yuri.
„Guten Morgen!“
Otabek blinzelte und lächelte über die freudig roten Wangen Yuri´s.
„Guten Morgen. Das riecht herrlich, ich wusste gar nicht, dass du kochen
kannst.“
„Kann ich auch nicht aber ein paar Eier braten und Kaffee kochen kriege ich
noch hin.“
Beim gemeinsamen Frühstück war Otabek wieder guter Laune aber trotzdem konnte
er Yuri nicht täuschen.
„Geht es dir auch wirklich wieder gut?“
Otabek öffnete den Mund um zu antworten aber ein Blick in Yuri´s Augen und er
wusste, dass lügen zwecklos war.
„Nun, es ging mir schon besser aber ich kann das Vergangene nun mal nicht
rückgängig machen. Aber ich habe nun einen anderen Weg gefunden, zufrieden zu
sein, und das ist die Hauptsache. Komm, ich fahre dich zum Training“
Yuri liebte es, hinter Otabek auf dem heißen Ofen zu sitzen. Er schlang seine
Arme um seine Taille und schmiegte sich dichter als nötig an ihn. Der Duft des
Leders, seine Nähe, das Knattern des Motorrades und der Fahrtwind in seinem
Gesicht gab ihm das Gefühl, einfach alles zu schaffen. Eigentlich hätte er
heute, am Samstag, den Tag lieber mit seinem Freund verbracht aber Lilias
Programm war straff und sah als Ruhetag nur den Sonntag vor. Vor der
Ballettschule wollte sich Yuri ungern von Otabek trennen.
„Komm doch noch mit rein, du darfst sicher zugucken.“
Unschlüssig kratzte Otabek sich am Kopf.
„Ich weiß nicht recht, ich glaube nicht, dass…“
Doch plötzlich schallte eine Stimme zu ihnen hinüber.
„Otabek, bist du es?“
„Vasily? Man, so lange her!“
Die beiden begrüßten sich wie alte Freunde, Yuri war abgeschrieben.
„Hast du Zeit? Dann komm doch auf einen Sprung mit rein.“
„Ach ja…warum eigentlich nicht.“
Lachend betraten die beiden das Gebäude und Yuri trabte schmollend hinterher.
Dass die beiden sich sofort wieder bestens verstanden, passte Yuri gar nicht.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es höchste Zeit war, denn ansonsten kam
er wieder zu spät. Aber die beiden alten Freunde alleine zu lassen, wollte er
auch nicht. Die Gestalt Lilias, die plötzlich um die Ecke kam und einen
alarmierenden Blick auf Yuri warf, nahm ihm die Entscheidung ab.
„Yuri!“
„Jaa…ich komm schon.“, zischte er zwischen den Zähnen hindurch.
„Geh ruhig, Yuri. Vasily und ich unterhalten uns über alte Zeiten. Ich hole
dich später wieder ab.“, meinte Otabek.
„Pfft…“
Das Yuri tödlich beleidigt war, merkte er gar nicht.
„Ich kenne ein nettes Café, ganz in der Nähe. Lass uns doch dort
plaudern.“, schlug Vasily vor.
„Ja, warum nicht.“, nickte Otabek.
Während Yuri mit Todesverachtung sein Training vollzog, saßen sich die alten
Freunde vor einem Kaffee gegenüber.
„Ich bin übrigens böse auf dich, Otabek Altin.“, begann Vasily.
„So? Warum?“
„Du bist damals Hals über Kopf verschwunden, ohne irgendeine Kontaktadresse
zu hinterlassen. Keiner wusste wo du abgeblieben bist. Ich habe mir verdammte
Sorgen gemacht!“
Otabek rührte verlegen in seinem Kaffee herum.
„Ja… es war nicht richtig von mir, dass weiß ich heute auch. Damals
allerdings musste es sein, ich brauchte Abstand von allem. Wenn deine Zukunft,
die du dir so rosig ausgemalt hast, plötzlich in tausend Scherben zerbricht und
dir das Leben den Stinkefinger zeigt, dann muss man das erst einmal verdauen.
Nimm es mir nicht übel, Vasily, aber gerade deinen Anblick konnte ich zu diesem
Zeitpunkt nicht ertragen.“
Die bernsteinfarbenen Augen Vasilys wurden traurig.
„Wirklich Otabek? Ich dachte, wir wären Freunde.“
„Es war nicht deine Schuld, Vasily, es war meine! Du hast nichts falsch
gemacht, ganz im Gegenteil, du warst immer da für mich und hast mich aufgebaut.
Aber nach der Diagnose, dass meine Eislaufkarriere vorbei war, war mir jeder,
der es noch konnte, ein Feind. Du warst der aufgehende Stern im Profisport, alle
Blitzlichter der Presse waren auf dich gerichtet, in jeder Zeitung prangte dein
strahlendes Bild. Ich wollte mich für dich freuen, doch ich konnte es nicht.
Mein Frust stand mir dabei im Weg. Da wusste ich, ich musste fort und zwar
schnell. Denn dich zu hassen, hätte ich mir nie verziehen. Nicht, nachdem du
immer für mich da warst. Da kam das Angebot meines Onkels in Kasachstan, eine
Weile bei ihm zu wohnen, mir sehr gelegen. Außerdem musste ich mir klar
darüber werden, was ich nun machen sollte. Sollte ich weiter zur Schule gehen?
Vielleicht studieren? Eine Ausbildung? Zeit und Abstand waren zwei Dinge, die
ich brauchte, kein Mitleid. Und genau das hatte ich in deinen Augen gesehen,
Vasily, Mitleid. Ganz verständlich natürlich aber mir tat es weh…verdammt
weh. Ab da konnte ich mich nicht mehr mit dir messen, kein Konkurrenzkampf mehr,
den ich so geliebt hatte. Und ganz ehrlich Vasily, hättest du gewusst wo ich
bin, du wärst mir gefolgt und das hätte ich nicht ertragen. Ich hoffe, du
verstehst das.“
Der junge Russe, mit den Augen aus reinem Bernstein, nickte, traurig lächelnd.
„Ja, ich verstehe es. Recht hast du übrigens auch, ich wäre dir gefolgt. Du
hast mir sehr viel bedeutet Otabek.“
„Du mir auch, Vasily. Aber vielleicht können wir dort anknüpfen, wo wir
aufgehört haben.“
Vasilys Augen tauchten tief in die von Otabek.
„Das würde mich sehr freuen!“
Doch Vasily hatte noch etwas Anderes auf dem Herzen.
„Und was läuft da zwischen dir und Yuri Plisetsky?“
„Das, was in einer Beziehung so läuft.“, schmunzelte Otabek.
„Wirklich Otabek? Einen fünfzehnjährigen Teenager?“
Vasily grinste und Otabek hörte einen deutlichen amüsierten Unterton in seiner
Stimme.
„Was soll das denn heißen? Ich bin ja nun auch nicht gerade steinalt.
Außerdem ist Yuri bereits sechzehn.“, protestierte Otabek.
Vasilys Blick ging träumerisch in die Ferne.
„Früher standest du noch auf reifere Männer…“
„Auf dich, willst du damit sagen, nicht wahr?“
Nun sah Vasily ihn wieder voll an.
„Es war doch so oder? Ich habe mich doch nicht getäuscht, es war eine
bestimmte Chemie zwischen uns. Und wenn du nicht gegangen wärst…dann…“
„Lass es gut sein, Vasily!“
Yuri hatte in der Zwischenzeit sein Training beendet. Die Eifersucht und Wut
über Vasilys Auftauchen hatte dazu geführt, dass er wie der Teufel übers
Parkett getanzt war. Lilia war beeindruckt.
„Du kommst langsam in deine alte Form zurück. Ich sehe gute Fortschritte. Wir
sehen uns Montag. Ach, kommst du eigentlich auch mal wieder nach Hause?“
„Ich mache schon keine Dummheiten!“
„Das will ich dir auch raten, Yuri. Yakov und ich stehen in engen Kontakt mit
deinen Lehrern, wenn deine Noten schlechter werden oder dein Verhalten,
alarmieren sie uns sofort. In deinem Alter ist es sicher ganz normal, einen
Freund zu haben aber wenn ich herausfinde, dass dieser Otabek dir nicht guttut,
werde ich entsprechende Maßnahmen ergreifen!“
Yuri öffnete den Mund, um etwas Flapsiges zu erwidern, aber dann überlegte er
es sich anders. Lilia und Yakov konnten ihm Probleme bereiten, sie waren für
ihn verantwortlich.
„Schon gut, ich mache keinen Ärger.“
„Gut, dann geh jetzt und… pass auf dich auf.“
Ihr Ton wurde wieder eine Spur sanfter und Yuri wusste, dass wieder alles in
Ordnung war.
Otabek wartete vor der Tür, ohne Vasily. Erleichtert atmete Yuri auf.
„Hallo mein Hübscher, kann ich dich mitnehmen?“, fragte Otabek mit einem
umwerfend charmanten Lächeln.
„Ich weiß nicht genau, eigentlich haben mich meine Eltern immer vor fremden
Männern auf Motorrädern gewarnt.“
„Und sie hatten Recht. Ich werde dich in meine Wohnung entführen, dich nackt
auf mein Bett werfen und dich verwöhnen, bis du vor Wonne schreist.“
„Mach Platz, ich komme mit.“, rief Yuri und kicherte.
„Schwing dich hinten rauf, hinten ist gut.“, meinte Otabek und lachte ein
ziemlich dreckiges Lachen.
Yuri setzte den Helm auf und nahm auf dem hinteren Sitz Platz. Wieder brausten
sie durch die Stadt und fuhren nach Hause. Und dort machte Otabek seine
Ankündigung wahr, für den Rest des Tages bescherte er Yuri einen Orgasmus nach
dem anderen.
„Ich liebe junge Männer, sie können immer und überall.“, seufzte Otabek
in einer Pause.
„Du bist unmöglich.“, murmelte Yuri verlegen und zog sich die Decke über
den Kopf.
Als Yuri schließlich in seinem Arm eingeschlafen war und Otabek seinem
gleichmäßigen Atem lauschte, drängte sich das Bild Vasilys in seine Gedanken.
Er freute sich, seinen alten Freund wiederzusehen, auch wenn gewisse
Erinnerungen immer noch weh taten. Was ihm allerdings nicht behagte, war, dass
Vasily ihn auf ihre Romanze angesprochen hatte. Obwohl, eine richtige Romanze
hatte es gar nicht gegeben, dazu war es nicht mehr gekommen. Otabek konnte nicht
leugnen, dass es zwischen ihnen geknistert hatte, reichlich geknistert sogar.
Nur sein damaliger Trainer hatte ihn so gut es ging von Vasily ferngehalten. Er
sah es nicht gern, dass eine Liaison seinen Schüler vom Training ablenkte. Was
dann folgte, war Otabeks Unfall und alles Weitere danach verhinderte die
endgültige Beziehung zu Vasily.
Otabek wusste nicht genau, wie sich alles entwickeln würde. Doch er war nicht
dumm, die Augen seines Freundes hatten heute eine deutliche Sprache gesprochen,
das Thema Vasily war noch nicht vorbei.
Kapitel 11:
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Ein paar Tage hörte Otabek nichts mehr von Vasily und war auch irgendwie froh
darüber. Am Freitagabend, nach dem Training, war Yuri bei ihm und quälte sich
mit seinen Schularbeiten herum. Plötzlich vibrierte das Smartphone neben ihm.
Otabek war in der Küche am Kochen.
„Ota, dein Handy klingelt.“
„Bringst du es mir kurz?“
„Klar.“
Yuri nahm es und ging in die Küche. Er warf einen kurzen Blick auf das Display,
der Name Vasily war darauf zu lesen. Er wollte gerade einen flapsigen Kommentar
ablassen, ließ es aber doch. Wenn Otabek ihm von der Nachricht erzählen
wollte, würde er es tun.
„Hier.“
Er drückte es ihm in die Hand und ging wieder ins Wohnzimmer.
Als Otabek den Namen auf dem Display sah, seufzte er. Allerdings kannte er
seinen alten Freund gut genug, um zu wissen, dass er keine Ruhe gab, wenn er es
ignorieren würde.
>Treffen wir uns morgen? Ich möchte dir etwas zeigen<
>Ich habe keine Zeit, sorry<
>Bitte Otabek, es dauert nicht lange<
>Also schön, wann und wo<
>An der Eishalle, um 11 Uhr<
Otabek seufzte wieder, was sollte er nur Yuri erzählen? Sollte er lügen? Oder
die Wahrheit sagen?
„Sag mal Yuri, hast du morgen Training?“
„Ja, um zehn Uhr bis ca. dreizehn Uhr, wieso?“
„Ach, ich dachte, ich hole dich danach ab und wir essen in der Stadt
Mittag.“
„Ja, find ich cool.“
Otabek atmete auf, Yuri schien keinen Verdacht zu schöpfen.
Trotzdem hatte er ein ziemlich schlechtes Gewissen, als er am nächsten Tag zur
Eishalle fuhr. Yuri´s Kuss, den er ihm gegeben hatte, als er ihn bei der
Ballettschule abgesetzt hatte, brannte wie Feuer. Fing es jetzt schon an, dass
er Geheimnisse vor seinem Freund hatte? Allerdings traf er sich nur mit einem
alten Freund. Vielleicht war alles ganz harmlos.
Als Otabek die Halle betrat, sah er Vasily schon auf dem Eis seine Runden
drehen. Er sah ihn noch nicht und auf Otabeks Gesicht breitete sich ein Lächeln
aus. Genauso kannte er ihn, hochkonzentriert, völlig in der Bewegung vertieft,
in sich versunken und geschmeidig gleitend. Wehmut mischte sich mit Bewunderung,
denn er erkannte sich selbst wieder. Otabek dachte, sein Karriereaus überwunden
zu haben, doch es tat immer noch weh. Jetzt winkte Vasily ihm zu und kam an die
Bande.
„Du bist tatsächlich gekommen. Hat dein Dompteur dich gehen lassen?“
Vasily lächelte und zwinkerte ihm zu. Otabek wusste, dass es scherzhaft gemeint
war aber es wurmte ihn.
„Streite dich nicht mit mir!“
„Natürlich nicht, entschuldige.“
„Was wolltest du mir denn jetzt zeigen?“
„Kannst du dich noch daran erinnern, dass ich immer Schwierigkeiten hatte, den
dreifachen Rittberger zu schaffen? Entweder bin ich gestürzt oder unsauber
aufgekommen.“
„Ich erinnere mich. Du warst mehr als einmal sehr betrübt darüber.“
„Betrübt ist gut, ich war am Boden zerstört. Aber schau, ich kann es
jetzt.“
Vasily drehte elegant ein paar Runden, wurde dann schneller und sprang den
Dreifachsprung. Federnd kam er auf und Otabek nickte. Ein sehr sauberer und
sicherer Sprung.
Strahlend kam Vasily wieder an die Bande. In seinen Augen lag ein Leuchten, dass
Otabek nur zu gut kannte. Es hatte bei Vasily immer nur zwei Ausdrücke gegeben,
der des puren Verzweifelns oder der des grenzenlosen Glücks.
„Was sagt dein Fachmann Auge?“
„Du scheinst die Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, sehr gut genutzt zu
haben. Sehr sichere Schrittführung, schöne Bögen und du wirkst im Ganzen
entspannter.“
„Nicht wahr? Genau das sagt mein Trainer auch. Er wollte mich nicht eher zur
Meisterschaft anmelden, ehe ich es nicht hundertprozentig draufhabe. Jetzt steht
dem nichts mehr im Weg. Komm, ich will mich umziehen.“
Otabek folgte ihm zu den Umkleidekabinen. Vasily zog seinen Trainingsanzug aus
und packte ihn in seine Tasche. Er stand nun in Boxershorts vor ihm und Otabek
wunderte sich etwas. Wenn er Vasily früher halbnackt gesehen hatte, war ein
Kribbeln durch seinen Bauch gewandert. Auch heute hatte sich sein Körper nicht
verändert, war immer noch schlank, biegsam und doch muskulös. Und doch war es
heute anders, das sexuelle Verlangen von früher war wie weggeblasen. Otabek war
so vertieft in seinen Gedanken, dass er Vasilys heißen Atem erst bemerkte, als
es schon zu spät war, sich von seinem Gesicht zu lösen. Vasily hatte sein
Schweigen und die Blicke ganz anders gedeutet.
„Die Anziehungskraft… sie ist immer noch da und deutlich zu merken. Nicht
wahr? Du kannst es nicht mehr leugnen.“, hauchte Vasily.
„Was zum… Vasily, lass es!“
Otabek drehte den Kopf zur Seite und entging dem Kuss. Ein leises Lachen drang
an sein Ohr.
„Früher haben öffentliche Orte dich mehr angemacht. Hast du Angst, dass man
uns erwischt?“
„Ja, aber aus einem anderen Grund als du jetzt denkst.“
Vasily war ihm immer noch viel zu nahe, doch noch zögerte Otabek, ihn zur Seite
zu stoßen. Gab es nicht noch eine andere Möglichkeit, ihn zur Vernunft zu
bringen? Vasily deutete sein Schweigen leider falsch.
„Es kann nicht vorbei sein, ich akzeptiere es nicht. Wir haben so viel erlebt,
zusammen durchgemacht, geweint, gelacht. Und dein Zögern gibt mir Recht.“
„Vasily…“
Jetzt war es zu spät, Vasilys Kuss traf seine Lippen. Sie waren anders als
Yuri´s. Seine waren süß und unschuldig, während Vasilys fordernd und mit
einiger Erfahrung war. Jetzt spürte er, wie Vasilys Finger sich langsam den Weg
in seine Hose bahnten. Erst vorsichtig, dann fester umschlossen sie seinen
Penis. Otabek verfluchte sich dafür, dass er sofort hart wurde. Vasily lachte
leise.
„Deine Reaktion sagt mehr als tausend Worte, Ota.“
Es durchfuhr Otabek wie ein Schock. Verdammt, er hätte diese Nähe sofort
unterbinden müssen. Was hatte er sich denn bloß beweisen wollen?
>Ich bin schwach und gerade dabei, Yuri zu betrügen<
Mit einem Ruck stieß er Vasily endlich beiseite.
„Das, was wir hier tun, ist jetzt zu Ende! Du hast recht, für dich muss es so
ausgesehen haben, als wäre ich im Zweifel. Dafür entschuldige ich mich, ich
hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Vasily, versteh mich nicht
falsch, unsere Zeit war toll, ich werde mich immer sehr gern daran erinnern.
Und, ja, vielleicht wären wir doch ein Paar geworden. Aber früher war früher
und heute ist heute. Heute bin ich mit Yuri zusammen und unsere Liebe muss noch
wachsen. Daran werde ich arbeiten, daran, und an meiner Ausbildung. Es ist für
alle besser, wenn sich unsere Wege trennen. Ich werde dich immer in guter
Erinnerung behalten, zerstöre es nicht. Machs gut, alter Freund.“
Otabek verschwand und war sehr erleichtert, dass Vasily ihn nicht zurückhielt.
Dass dieser die Fäuste vor Wut und Enttäuschung so sehr ballte, dass sie
bluteten, sah Otabek nicht mehr.
Yuri wartete schon ungeduldig auf seinen Freund.
„Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du versetzt mich.“, begrüßte er
ihn schmollend.
Die leicht nach vorn geschobene Unterlippe und der säuerliche Blick brachten
Otabek widerwillig zum Lachen. Er zerstrubbelte die Haare seines Freundes.
„Naaa, ist der kleine Tiger etwa sauer?“
„Pfft, wenn du noch später gekommen wärst, hätten wir auch gleich Abendbrot
essen können!“
„Jetzt gibst du es mir aber richtig, pass auf, dass ich dich nicht übers Knie
lege und dir deinen süßen Po versohle!“
„Erst kommst du zu spät und dann kriege ich auch noch Schläge angedroht?
Man, dass Mittagessen wird bombastisch sein müssen, um mich zu
besänftigen.“
Doch die zuckenden Mundwinkel verrieten Otabek, dass Yuri nicht mehr böse war.
Lachend legte er einen Arm um Yuri´s Schultern und drückte ihn.
„Komm mit, es gibt ein königliches Mahl für das Raubtierchen.“
Im Restaurant wollte er nur in die hübschen grünen Augen Yuri´s gucken.
„Wie war das Training?“
„Wie immer, die alte Vettel ist mit nichts zufrieden.“, muffelte Yuri hinter
einer großen Portion Reis hervor.
„Machst du Fortschritte?“
„Nein, es ist immer die gleiche Schrittfolge. Wenn ich nicht wüsste, dass es
nicht für immer ist, hätte ich das Ganze schon hingeschmissen.“
„Hast du Schmerzen danach?“
„Nein, gar nicht. Nächste Woche geht es wieder für eine Stunde aufs Eis.
Danach will ich endlich eine Entscheidung. Der Grand Prix steht an, ich will
daran teilnehmen.“
Plötzlich spürte Otabek sein Handy vibrieren.
>Sag deinem Freund, dass wir uns heute getroffen haben oder ich tus!<
Otabek seufzte, er brauchte gar nicht auf den Absender zu gucken, wusste genau,
wer es war. Warum konnte der Idiot es nicht gut sei lassen.
„Ist was?“, fragte Yuri, der gemerkt hatte, dass sich Otabeks Stimmung
plötzlich verschlechterte.
„Ja… ich muss dir etwas beichten.“
„Aha…und was?“
„Ich habe mich vorhin mit Vasily getroffen.“
Yuri blieb im wahrsten Sinne des Wortes das Wort im Hals stecken und er hustete.
Danach sah er Otabek an, die grünen Augen voller Entsetzen.
„Wieso tust du so was?“
„Ich verfluche mich selbst deswegen, ich hätte wissen müssen, dass er mich
hereinlegt.“
„Was ist passiert?“
Yuris Stimme war voller Angst und die Tränen, die in den Augenwinkeln
schimmerten, brachen Otabek fast das Herz. Doch die Wahrheit musste jetzt auf
den Tisch.
„Er wollte mir den dreifachen Rittberger zeigen, mit dem er immer Probleme
hatte. Ich ahnte nichts Böses und bin zur Eishalle. Es fing alles ganz harmlos
an aber dann… küsste er mich und…“
Doch er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn plötzlich sprang Yuri auf und
lief aus dem Restaurant.
„Yuri…“
Otabek wollte hinterher, doch dann überlegte er es sich anders. Yuri´s
Reaktion war verständlich und er kannte seinen Freund mittlerweile so gut, um
zu wissen, dass er sich in dieser Situation nicht beruhigen lassen würde. Er
ließ ihn gehen, bezahlte und verließ den Laden.
>Diesen Tag verzeihe ich dir nie, Vasily<
Kapitel 12:
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Drei Tage lang versuchte Otabek, Yuri zu erreichen. Aber entweder antwortete er
nicht oder er drückte ihn weg.
„Verdammt Yuri, sei doch nicht so ein Sturkopf.“, murmelte Otabek mit
zusammen gebissenen Zähnen.
Es nützte nichts, er musste zur Ballettschule und ihn anfangen. Otabek hasste
nichts mehr als dramatische Szenen aber er konnte die Sache nicht einfach im
Raum stehen lassen. Also schwang er sich auf sein Motorrad und machte sich auf
den Weg. Voller Kampfeslust stiefelte er hinein, fest entschlossen, Yuri
notfalls unter den Arm zu klemmen und zu entführen. Und er hatte Glück, Yuri
trainierte tatsächlich. Vor der Tür auf und ab laufend, erweckte er den
Eindruck eines Löwen im Käfig.
Yuri war zuerst traurig, dann wütend gewesen. Es war Gefühlschaos pur. Sollte
er doch mit diesem Vasily glücklich werden! Pöh, er war doch nicht auf ihn
angewiesen. Es gab so viele Fangirls, die auf ihn standen, suchte er sich
einfach eine aus und Basta. Wenn er ehrlich war, passte Otabek viel besser zu
Vasily, mit dem er anscheinend viele Erinnerungen teilte. Leider wirkte sich
seine unkonzentrierte Art aufs Training aus.
„Yuri! Würdest du bitte nicht wie ein nasser Sack herum hüpfen. Geh mir für
heute aus den Augen!“, rief Lilia auch prompt.
Wütend über sich selbst, packte Yuri seine Sachen und rauschte aus dem Raum.
Er öffnete die Tür so schwungvoll, dass er gegen Otabeks Brust knallte.
„Autsch…was machst du denn hier?“
„Du antwortest ja nicht auf meine Anrufe und Nachrichten. Also musste ich
herkommen.“
„Dann kannst du gleich wieder gehen. Ich habe dir nichts mehr zu sagen.“
Yuri wollte sich abwenden, doch plötzlich wurde er am Arm gepackt und sehr
unsanft gegen die Wand gedrückt.
„Auaa…“
Otabek packte ihn am Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen.
„Das ist nicht fair, Yuri. Ich kann es verstehen, dass es dich schockiert hat,
was ich letztens gesagt habe aber du gibst mir keine Chance, es zu
erklären.“
„Was gibt es da zu erklären? Ihr scheint euch ja bestens zu verstehen, was
habe ich da noch zu suchen.“
„Hast du mir eigentlich zugehört? Oder spreche ich undeutlich? Er hat mich
geküsst, nicht umgekehrt. Ich hatte es nicht kommen sehen. Gleich danach habe
ich gesagt, dass ich ihn nie wiedersehen will und bin gegangen.“
Von Vasilys Griff an sein Allerheiligstes erwähnte er lieber nichts.
„Warum sollte ich dir das glauben?“
Otabeks Griff am Kinn wurde fester aber dieses Mal kam kein Schmerzenslaut über
Yuris Lippen.
„Sag nochmal, dass du mir misstraust und ich verschwinde…für immer!“
Seine braunen Augen tauchten tief in die grünen Yuris und plötzlich begann
seine Unterlippe zu zittern und die Augen fingen an verdächtig zu flimmern.
„Ich…ich weiß doch auch nicht…ich hab das Gefühl das Vasily viel besser
zu dir passt.“, schluchzte Yuri.
„Du kleiner Dummkopf! Wenn ich Vasily gewollt hätte, wäre das schon lange
passiert. Aber jetzt liebe ich ein süßes kleines Kätzchen, dass gern mal
seine Krallen ausfährt.“
„Wirklich?“
„Ja, wirklich! Das hätten wir schon viel früher klären können aber du
musstest ja stur sein.“
„Entschuldige.“, murmelte Yuri.
Sein blonder Haarschopf kippte gegen Otabeks Brust und dieser drückte einen
zärtlichen Kuss darauf. Otabek war immer wieder erstaunt, wie schnell Yuris
Stimmungen wechselten. Erst stur wie ein Ziegenbock und plötzlich wieder
einsichtig und reuevoll.
„Du kostest mich ziemlich viele Nerven, Mr. Plisetsky.“, wisperte er ihm ins
Ohr.
„Ich weiß.“, murmelte Yuri in sein Hemd hinein.
„Kommst du jetzt wieder mit mir nach Hause? Es ist leer ohne dich.“
„Wenn ich darf…“
„Jederzeit!“
Otabek griff seine Hand und zog ihn mit sich nach draußen. Als die beiden sich
auf sein Motorrad setzten und davonbrausten, stand Lilia am Fenster und
lächelte erleichtert. Sie wusste, wie sich junge Liebe anfühlte.
Auf dem Weg zu Otabeks Wohnung, schwirrte Yuri der Fahrtwind um die Nase. Da war
es wieder, das Gefühl von Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Drei Tage
verschwendete Lebenszeit, in denen seine bockigen Pubertätshormone ihm mal
wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Wie viel Ärger und Unmut
hätte er sich ersparen können. Er seufzte, drückte sich fester an die Taille
seines Liebsten und sog seinen herben Duft ein. Yuri durchflutete eine Welle der
Erregung. Ob nun Otabeks Nähe daran schuld war oder die Vibrationen des
Motorrades, wusste er nicht, aber die Sehnsucht nach seiner warmen Haut
steigerte sich. Doch es dauerte nicht mehr lange und der Feuerstuhl kam zum
Stehen. In der Wohnung angekommen, legte Otabek Helm und Schlüssel auf den
Tisch.
„Möchtest du was essen? Ich hab…“
Doch weiter kam er nicht, denn nun ergriff Yuri seine Hand und zog ihn mit
sich.
„Nein, Schlafzimmer!“
„O…kay.“
Yuri schubste ihn aufs Bett und setzte sich auf seinen Schoß. Dann beugte er
sich vor und küsste ihn. Doch beim Küssen blieb es nicht, er nestelte es erst
an Otabeks Hemd herum und arbeitete sich zu seiner Hose vor.
„Was hast du denn…. ohoo…“
Otabek kam nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen denn Yuri rutschte weiter
nach unten und öffnete seine Hose. Yuri war fest entschlossen, sich bei seinem
Freund zu revanchieren.
Schließlich lag er nackt vor ihm und Yuri fragte sich, ob er in seinen Mund
passte. Wie ein Kätzchen vor der Milchschüssel, leckte er mit seiner
Zungenspitze vorsichtig über seine Eichel. Als er merkte, dass Otabek scharf
die Luft einsog, machte er weiter bis zu dem Punkt, wo es ins leise Stöhnen
überging. Todesmutig nahm er ihn in den Mund und lutschte an ihm herum. Warm
und weich fühlte es sich in seinem Mund an. Allerdings blieb es nicht lange
weich, wie Yuri innerlich kichernd, feststellte. Um ja nichts zu verschwenden,
löste er sich von ihm und rutschte wieder nach oben.
„Tun wirs!“
Otabek hatte die zaghaften Blasversuchen seines Freundes ziemlich genossen aber
jetzt war er etwas raus.
„W…was?“
„Ich will Sex! Ich bin erregt, dein Schwanz ist klasse, ich bin so weit, tun
wirs!“
„Bist du sicher?“
„Willst du etwa nicht? Turne ich dich nicht an?“
„Wie könnte mich dein süßer Knackarsch nicht anturnen? Wir brauchen aber
nichts zu überstürzen…“
„Hast du Kondome?“, unterbrach Yuri ihn.
„Ja, aber…“
„Hol sie.“
Otabek grinste.
„Okay, du bist ja anscheinend wild entschlossen heute deine Unschuld zu
verlieren.“
„Rede nicht so viel.“
„Alles klar, hinlegen.“
Otabek fischte ein Kondom aus dem Nachtkästchen, während Yuri sich auf den
Bauch legte und etwas verschämt die Decke über seinen Po zog.
„Den Hübschen hier brauche ich aber.“
„Willst du etwa? Ich dachte…“
Doch Yuris Protest wurde im Keim erstickt, als Otabek sich über seine
Rückseite beugte und in sein Ohr hauchte:
„Ich habs dir schon mal gesagt, der Seme bin ich!“
Yuri lief ein Schauer über den Rücken, als er ihn in den Nacken küsste und
leicht hineinbiss. Otabek arbeitete sich weiter über die nackte Haut, die nach
Honig und Milch schmeckte, vor. Von dem Nackenbereich, über die Rückenbeuge,
bis zum süßen, leicht geschwungenen Po von Yuri. Hier wurde der Druck seiner
Küsse fester. Hach, wie weich die Haut hier war, fast noch kindlich unschuldig.
Otabek knetete und küsste abwechselnd die Hinterbacken und spürte, dass Yuris
Atem schneller ging.
Yuri hatte sein Gesicht in den Kissen vergraben, was aber nicht davor schützte,
dass seine Wangen heiß wurden und ein heftiges Kribbeln sich in seinem Bauch
ausbreitete. Doch als Otabek ihn zwischen den Pobacken verwöhnte, löste das
eine wahre Explosion der Gefühle aus.
„Bist du bereit?“
„Jaha…“
„Dreh dich zu mir um.“
„Wird…es weh tun?“
„Entspann dich einfach. Wenn dir etwas nicht gefällt, sag es mir.“
Otabek streifte das Kondom über, beugte sich über Yuri und begann.
Wie ein Stich durchfuhr es Yuri, denn die Schmetterlinge der freudigen Erwartung
verwandelte sich in Schmerz. Er biss die Zähne zusammen und war furchtbar
enttäuscht. Das sollte nun Sex sein, von dem jeder so begeistert sprach.
„Autsch! Das tut weh. Geh raus!“, schimpfte Yuri schließlich.
Otabek kam seiner Aufforderung sofort nach und Yuri atmete auf.
„War ich zu grob?“, fragte Otabek besorgt.
„Nein aber… es war alles so schön aber… tut es immer so weh?“
„Das erste Mal ist es immer unangenehm, aber es wird besser, versprochen.“
Otabek lächelte aber Yuri zog einen Schmollmund.
„Ich habe alles vermasselt.“
Yuri drehte sich auf den Bauch und zog sich die Decke über den Kopf. Otabek sah
das Ganze entspannter.
„Hey Yuri, mein erstes Mal war auch katastrophal. Kein Grund aufzugeben.“
Er lüftete die Decke und strich seinem Freund die verschwitzen Strähnen aus
dem Gesicht. Die grünen Augen blickten ihn traurig an.
„Kein Grund unglücklich zu sein. Denkst du etwa, ich bin nur scharf dich zu
vögeln? Dann musst du mich aber für einen schlechten Freund halten. War heute
einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Ich hab Hunger, du auch?“
„Ja.“
Yuri sah erleichtert aus, wenn auch ein letzter Zweifel blieb.
„Vasily hätte sicher bis zum Ende mitgemacht, nicht wahr?“
Otabek zuckte mit den Schultern.
„Kann sein, aber darauf kommt es ja nicht an. Was interessiert mich Vasily?
Das erste Mal sollte etwas ganz Besonderes sein und nicht ein achtloses
Rein-und-Raus-Spiel.“
Nach einer Pizza und Cola Mahlzeit schlummerte Yuri an Otabeks Brust ein. Sein
Freund war nicht böse oder beleidigt und er war froh, dass Otabek über seinen
Sturkopf hinwegsah und ihm nichts übelnahm.
Kapitel 13:
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Ein paar Tage später hatte Yuri allerdings wieder mehr Zeit zum Jubeln.
„Ich darf zum Grand Prix!“
Obwohl es Höhen und Tiefen beim Training gegeben hatte, erkannte Lilia, dass es
an der Zeit war, ihn wieder aus Eis zu lassen. Der große Grand Prix war in acht
Wochen und die Anmeldefrist war fast vorbei. Zuerst hatte sie gezögert aber
Yuri hatte junge Knochen und seine Mobilität war wiederhergestellt. Ein kurzes
Gespräch mit dem Arzt, der Yuri behandelte, und dann war es entschieden, er war
dabei. Endlich durfte er seine eigenen, fast verstaubten, Schlittschuhe wieder
überstreifen und die Ballettschuhe in die Ecke feuern. Zeit zum Üben blieb
noch genug und der Trainingsplan wurde straff erneuert.
„Meine Güte, das ist wirklich nicht ohne. Gleich nach der Schule musst du in
die Halle und kommst erst abends nach Hause.“, meinte Otabek nach einem Blick
auf den Plan.
„Ich bin heiß, ich bin bereit, ich bin motiviert! Man hat mich lange genug
ausgebremst, jetzt geht’s wieder los.“
Yuris Augen strahlten wie nie, Otabek merkte, er wäre am liebsten sofort in die
Eishalle gezogen.
„Dann darf ich dich nur noch auf dem Eis bewundern oder abends beim
Schlafen.“
„Bist du etwa nicht einverstanden?“
Yuri blickte ihn mit einem waidwunden Rehblick an und Otabek wuschelte ihm
lachend durchs Haar.
„Natürlich nicht! Ich wollte nur ein bisschen im Selbstmitleid baden.“
Wie Otabek erfuhr, nahm auch Vasily am Grand Prix teil. Ob Yuri sich
konzentrieren konnte, wenn er auf Vasily traf? Lilia hatte sich geweigert, eine
andere Eishalle zu mieten.
„Papperlapapp, nur weil du Probleme mit einem Mitstreiter hast, sehe ich nicht
ein, das Training ans andere Ende der Stadt zu verlegen. Lerne damit zu leben,
das deine Konkurrenz groß ist und ignoriere es. Du konzentrierst dich auf dein
Training, alles andere existiert nicht für dich.“
Lilia übergab ihre Verantwortung wieder Yakov, auch wenn sie es nicht gerne
tat.
„Mach meine Fortschritte nicht wieder kaputt, ich schaue dir genau auf die
Finger!“, warnte sie ihren Ex-Mann.
„Was sollte ich kaputt machen? Jetzt wird genauso hart trainiert, wie früher
auch. Ich hoffe, du hast ihn nicht verweichlicht!“, schoss er knurrend
zurück.
„Als ob! Sieh lieber zu, dass er sich nicht wieder die Beine bricht!“
„Schon gut, schon gut.“
Doch bevor das Training begann, wurden neue Anzüge für Yuri angefertigt. Wie
bei fast jedem Eiskunstläufer wurden diese ihnen direkt auf den Leib
geschneidert und waren einzigartig.
„Die gleichen Maße wie beim letzten Mal. Ich freue mich, dass deine Pause
nicht zur Gewichtszunahme geführt hat.“, lobte Schneiderin Koyoshi.
„Fett werden ist was für Leute ohne Disziplin.“, meinte Yuri schnippisch.
Yakov hoch nur eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Lilia grinste in sich
hinein.
„Muss ich unbedingt dabei sein?“, fragte er grummelnd.
„Ja, du musst bezahlen.“
„Aha, dafür bin ich also gut genug.“
„Ich schicke ihnen eine Rechnung, wenn sie möchten.“, mischte sich die
Schneiderin ein.
„Eine sehr gute Idee! Ich verschwinde.“
Sprach´s und spazierte aus dem Geschäft. Lilia nickte zufrieden, dieser Kerl
hatte eh keinen Sinn für Mode.
„Also, etwas Aufwändiges für den Wettkampf?“
„Ja, ich will Gelb, Weiß, Silber und Gold und vielleicht etwas Rotes
dabei.“, mischte Yuri sich ein.
„Gut, dann schauen wir mal, ich hole die Muster.“
Otabek hatte sich die Anprobe erspart, er wollte seine kleine Diva nicht
unbedingt in Action sehen, wenn ihm etwas nicht passte. Er hatte den Vormittag
in der Stadt verbracht, seinem Feuerstuhl eine ausgiebige Wäsche gegönnt und
fuhr danach schon mal vor zur Halle, um beim Training zuzugucken. Verträumt
stützte er sich auf die Bande und sein Blick glitt über die Eisfläche. Wie
oft hatte er auch seine Runden gedreht, immer und immer wieder die gleichen
Bewegungen und Übungen absolviert und trotz Blasen an den Füßen und
höllischen Schmerzen, weitergemacht, bis er nicht mehr konnte. Ein Tropfen
Melancholie mischte sich bei diesen Gedanken immer noch dazwischen, aber
mittlerweile tat es nicht mehr weh. Doch plötzlich wurde er unsanft aus seinen
Träumen gerissen.
„Na, bist du ohne dein kleines Hündchen gekommen?“
Hinter Otabek tauchte Vasily auf und ohne seinen sonst so freundlichen Blick,
sah er ihn an. Hart und kalt waren seine Augen auf ihn gerichtet, bösartig
klangen seine Worte. Otabek seufzte innerlich.
„Wenn du Yuri meinst, der kommt bald. Was tust du hier?“
„Keine Sorge, ich habe nur eine kurze Pause gemacht. Mein Training geht noch
eine halbe Stunde und die werde ich nutzen.“
Die Musik erklang und Otabek konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Vasily
lief immer noch nach seinem Lieblingsstück, dem Requiem in D minor von Wolfgang
Amadeus Mozart.
Es schmerzte ihn sehr, dass Vasily seine Freundschaft nicht wollte und ihm als
Feind gegenübertrat. Doch das war seine Entscheidung, er konnte ihm immer noch
die Hand der Versöhnung reichen. Anmutig und doch kraftvoll glitt Vasily über
das Eis, Otabek kannte jeden seiner Schritte, jede Hüftbewegung, jede
schwungvolle Beinbewegung und das federnde Aufkommen nach jedem Sprung. Es war
ein wahrer Augenschmaus, ihm zuzusehen und doch war er erleichtert, als Yuri die
Tribüne betrat.
„Was macht der Idiot hier?“
Yuris hübsches Gesicht verzerrte sich zu einer zornigen Grimasse.
„Sei lieb Yuri, Vasily trainiert nur. Er ist gleich weg.“
„Bist du etwa mit ihm verabredet gewesen?“
Yuri war schon wieder in Rage und seine Augen schleuderten Giftpfeile in Vasilys
Richtung.
„Tigerchen, sitz! Ich war früher hier um auf dich zu warten und er war
bereits da. Behalte deine Energie lieber fürs Training.“
Otabek drückte ihn an seine Brust und küsste ihn auf die Stirn.
Vasily war zwar allem Anschein nach, gedankenverloren in seine Choreographie
versunken, aber er sah Otabek und Yuri sehr wohl. Auch der Kuss entging ihm
nicht. Heiß loderte die Eifersucht in ihm auf aber mit aller Macht beherrschte
er sich. Er wolltet weder Otabek noch diesem blonden Bastard die Genugtuung
geben, vor ihren Augen auszurasten. Als seine Trainingszeit um war, verließ er
das Eis.
„Viel Glück für den Grand Prix, Yuri Plisetsky, du wirst es brauchen.“
„Danke, gleichfalls…Vollidiot“
Yuri hatte keine Lust auf eine Szene, er wollte trainieren.
„Macht der Idiot auch beim Grand Prix mit?“, fragte er Otabek.
„Was glaubst du wohl. Solche Chance lässt er sich nicht entgehen.“
„Whatever!“
Yuri schwang sich aufs Eis und beim Gleiten über die Oberfläche fiel ihm ein
riesengroßer Stein vom Herzen. Er konnte es immer noch, es war, als hätte sich
nichts geändert. Der Gedanke, nicht mehr nur einmal in der Woche aufs Eis zu
dürfen, sondern für länger, beflügelte ihn. Otabek genoss es, ihm zuzusehen,
denn er merkte die Freude und Erleichterung, die Yuri stumm hinaus schrie.
Jetzt wurde trainiert, bis zum schieren Wahnsinn. Yuri verlangte sich und seinem
Körper einiges ab und konnte abends kaum noch laufen, denn die Schlittschuhe
waren alles, nur nicht bequem. Otabek schüttelte oft nur den Kopf aber er sagte
nichts, sondern bereitete das tägliche Fußbad vor, cremte die Füße ein,
behandelte die Blasen und wechselte die Pflaster.
„Wenn du nicht wenigstens eine Bronzemedaille mit nach Hause bringst, melde
ich Protest an.“, war sein einziger Kommentar dazu.
Doch Yuri biss die Zähne zusammen, kein Laut des Schmerzes kam über seine
Lippen, dazu war er viel zu euphorisch. Das seine Schulnoten etwas darunter
litten, wurde mit einem Auge zudrücken, hingenommen.
Und dann war der große Tag da, der Grand Prix. Achtzehn Nationen traten
gegeneinander an. Yuri für die russische Seite, Vasily für die Kasachen. Schon
früh morgens wimmelte es vor Neugierigen, Schaulustigen und der Presse vor dem
Eingang. Die Choreografien fingen nachmittags an und erstreckten sich auf drei
Tage. Die Stadt war voll, die Hotels bis auf das kleinste Zimmer ausgebucht.
Yuri war vorübergehend bei Otabek ausgezogen und wohnte wieder im Haus von
Lilia und Yakov. Die Ex-Eheleute teilten sich ihr gemeinsam gekauftes Haus auch
heute noch miteinander. Am Vormittag schlüpfte Yuri noch in seine normalen
Kleider, sein Anzug war fertig verpackt in einem Kleidersack. Lilia flocht ihm
die blonden Haare ein und nach einem kurzen Imbiss, ging es zur Halle. Otabek
wollte später vorbeikommen, er würde als Zuschauer auf der Tribüne sitzen.
Yuri hatte sich Kopfhörer ins Ohr gesteckt und schien völlig relaxt, doch in
seinem Inneren pochte das Herz auf Hochtouren. Doch es war keine Panik, Angst
oder Unsicherheit, die er fühlte, nein, es war die freudige Erwartung. Endlich
durfte er wieder zeigen, was in ihm steckte und konnte der Presse, die seine
Karriere schon zum Tode verurteilt hatte, die Stirn bieten. Yuri Plisetsky
gehörte noch lange nicht zum alten Eisen.
Die Halle war schon gut gefüllt. Die Zuschauer durften zwar noch nicht hinein
aber auch so gab es genug Personal und Veranstalter, die hin und her liefen.
Yuri ging in die Umkleidekabinen, in denen seine Mitstreiter sich bereits
vorbereiteten.
„Soll ich mitkommen?“, fragte Lilia.
„Glaubst du, ich kann mich nicht alleine anziehen?“
„Schon gut, dann geh.“
Yuri schnappte sich seinen Anzug und verschwand. Er wusste, dass er gleich am
ersten Tag dran war, an vierter Stelle stand er. Normalerweise hätte er im
Umkleideraum bleiben können aber er wollte sehen, wie die Vorläufer ihre Kür
meisterten. Musik erklang und der erste Teilnehmer trat auf die Fläche.
Während Yuri sich an die Bande stellte und zusah, wanderte sein Blick die
Tribüne entlang aber Otabek sah er nicht. Yuri hatte immer noch sein Handy
dabei und ließ sich mit Musik ablenken. Doch plötzlich kündigte sich mit
einem Piepsen eine SMS an.
„Lieber Yuri, dein Großvater liegt im Krankenhaus. Er hatte einen
Herzanfall.“
Yuri starrte auf den Bildschirm und alles um ihn herum versank im Nirgendwo.
Doch dann löste sich die Erstarrung und er lief zu Lilia und Yakov,
„Ich muss weg!“
„Was?“
„Ich muss weg!! Mein Großvater liegt im Krankenhaus!“
„Beruhige dich, Yuri. Geh nach hinten und telefoniere in Ruhe.“
Lilia schob ihn nach draußen. Doch auch das Telefonat mit seiner Tante
beruhigte ihn nicht, ganz im Gegenteil. Seinem Großvater ging es sehr schlecht,
er lag auf der Intensivstation.
„Ich fliege sofort zu ihm, scheiß auf den Grand Prix!“
Lilia seufzte.
„Ich werde dich begleiten.“
Otabek ahnte nichts von der Tragödie, die unten stattfand. Bis sein Handy
klingelte und Lilia mit ihm sprach.
„Komm vor die Halle, schnell bitte.“
Bevor Otabek noch etwas sagen konnte, klickte es und die Verbindung war
unterbrochen. Trotzdem verließ er seinen Platz und kam Lilias Bitte nach. Er
stutzte, als er Yuri in Alltagsklamotten sah.
„Was ist denn hier los?“, fragte er.
„Wir fliegen nach Russland. Yuris Großvater ist schwer erkrankt.“,
erklärte Lilia.
„Was ist passiert?“
Yuri kam auf ihn zu und drückte sein Gesicht in Otabeks Lederjacke. Als seine
Arme sich um seine Schultern legten, schluchzte er und Otabek spürte, wie sein
Körper zitterte.
„Er hatte einen Herzanfall. Ich muss ihn besuchen. Sei nicht böse auf
mich…bitte!“
„Böse? Wie könnte ich böse sein, ich weiß doch, was dein Opa dir bedeutet.
Einen Grand Prix gibt es immer wieder. Pass auf dich auf und melde dich sofort,
wenn du da bist, hörst du?“
„Mach ich.“
Das Taxi kam und die beiden verschwanden. Otabek konnte ihnen nur hinterher
winken und seinem Freund in Gedanken alles Glück der Welt wünschen.
Kapitel 14:
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Otabeks Gedanken waren in den nächsten Tagen nur bei seinem Freund. Auch bei
der Arbeit merkte man es, dass er unkonzentriert war.
„Möchtest du nicht lieber ein paar Tage frei nehmen?“, fragte seine
Ausbilderin.
Doch Otabek schüttelte den Kopf.
„Nein, ich muss mich ablenken. Zu Hause würde ich die Wände hoch laufen!“
Mehr als einmal wollte er zum Handy greifen, um ihn anzurufen aber dann legte er
es beiseite. Es erreichte ihn allerdings auch keine Nachricht.
>Tigerchen, gib doch wenigstens einmal Laut<, schickte er Stoßgebete zum
Himmel.
Doch das Handy schwieg, auch Lilia meldete sich nicht. Als die dritte Woche zu
Ende ging und es immer noch kein Lebenszeichen gab, ließ Otabek das Telefon
heiß klingeln. Doch die ersehnte Stimme des Liebsten erklang nicht, das
Klingeln verlief ins Leere. Otabek war drauf und dran, nach Russland zu fliegen.
Er setzte Yuri ein letztes Ultimatum, wenn er sich bis Sonntagabend nicht
gemeldet hatte, setzte er sich Montag in den ersten Flieger.
Otabek hatte es sich am Samstagabend auf der Couch gemütlich gemacht, als
plötzlich das Handy piepste. Ruckartig griff er danach.
„Ja?“
„Otabek, hier ist Lilia. Kannst du bitte zu mir kommen jetzt?“
Er hatte tausend Fragen auf den Lippen, doch etwas sagte ihm, dass er seine
Antworten schon bald bekommen würde.
„Ich komme!“, erwiderte er knapp und legte auf.
Sofort schmiss er sich in seine Motorradklamotten und schwang sich auf seinen
Feuerstuhl. Und zu diesem wurde sein Motorrad tatsächlich, denn Otabek heizte
wie ein Irrer durch die Straßen. Er schaffte den Weg, der sonst gut und gerne
eine halbe Stunde dauerte, in der Hälfte der Zeit. In Lilias Haus brannte nur
ein gedämpftes Licht. Sie empfing ihn an der Tür und Otabek suchte in ihrem
Gesicht nach Hinweisen. Aber ihre Miene war undurchdringlich wie immer.
„Guten Abend, Otabek. Ich wusste mir keinen Rat mehr, dich zu holen.“
„Verdammt, was ist denn passiert? Wie lange seid ihr schon wieder hier?“,
rief er.
„Seit drei Tagen aber…“
„Seit drei Tagen??! Und ich erfahre erst jetzt davon?“, rief Otabek
aufgebracht.
„Er möchte niemanden sehen…doch jetzt weiß ich mir keinen Rat mehr.“,
hauchte Lilia traurig.
„Wo ist er?“
„Oben…dritte Tür links.“
Otabek stürmte nach oben, er wollte Yuri nun endlich wieder in die Arme
schließen und hören was los war.
„Yuri? Ich bin´s, Otabek!“
Aus dem Zimmer kam keine Antwort und er trat ein. Yuri saß am Fenster und
starrte hinaus, er schien völlig abwesend zu sein.
„Yuri?“, fragte Otabek leise.
Als Yuri den Kopf zu ihm drehte, war er mehr als erschrocken. Es war, als wäre
sein Tigerchen um Jahre gealtert. Dunkle Ringe lagen um seine Augen, der Blick
leer und ohne Feuer. Die sonst so straffen Schultern hingen ohne Kraft herunter
und das Gesicht aufgequollen vom Weinen. Otabek ahnte Schlimmes.
„Yuri, was ist geschehen?“
„Er ist tot…“
Es war nur ein Hauch, der aus seinem Mund kam. Otabek hatte es fast geahnt, es
war also tatsächlich geschehen, Yuri geliebter Großvater lebte nicht mehr. Er
wollte etwas sagen aber dann ließ er es, kein noch so liebevolles Wort dieser
Welt hätte ihn jetzt trösten können. Stattdessen breiteten Otabek die Arme
aus und Yuri rutschte vom Fensterbrett hinunter. Kaum hatten sich seine Arme um
seine schmalen Schultern geschlossen, fiel Yuris Blondschopf gegen seine Brust.
Zuerst geschah nichts, bis Otabek ihn innig an sich drückte.
Plötzlich brach die angestaute Trauer aus ihm heraus und er klammerte sich wie
ein Ertrinkender an seinen Freund. Wie Sturzbäche schossen die Tränen aus
seinen Augen und kurze Zeit später war Otabeks Shirt nass. Yuri krallte seine
Finger so sehr in seine Oberarme, dass wahrscheinlich blaue Flecke als Andenken
blieben. Doch all das war Otabek völlig egal, er hielt Yuri einfach nur fest
und wartete, bis der erste Sturm vorüber war. Eine halbe Stunde später
verebbten seine Tränen langsam und das Schluchzen wurde weniger, bis es ganz
erstarb. Alle Anspannung war von ihm abgefallen und er war nur noch ein
schlaffer Körper, der langsam aber sicher zu neuem Leben erwachte. Otabek
führte ihn zu einem großen Ohrensessel und drückte ihn hinein.
„Möchtest du was trinken?“
Yuri nickte.
Aus dem Bad nebenan besorgte er ihm ein Glas Wasser, dass Yuri in einem Zug leer
trank.
„Ich bin so müde…so müde…“, hauchte er.
„Möchtest du dich hinlegen? Es ist vielleicht besser, wenn du versuchst zu
schlafen.“
Yuri nickte und ließ sich ins Bett bringen. Doch als Otabek aus dem Zimmer
gehen wollte, griff Yuri nach seiner Hand.
„Bitte…bleib bei mir. Ich habe solche Angst.“
„Natürlich Yuri, ich bin da.“
Er setzte sich auf die Bettkante, decke Yuri zu und strich ihm sanft durchs Haar
bis er eingeschlafen war. Doch sein Schlaf war unruhig und voller gemurmelter,
unverständlicher, Worte. Es hat Otabek in der Seele weh, ihn so zu sehen und
nichts tun zu können, um ihm Linderung zu verschaffen. Oder vielleicht konnte
er es doch? Ein kurzes Gespräch mit Lilia, die geduldig unten gewartet hatte,
und er durfte hier übernachten. Aber auch wenn sie es nicht erlaubt hätte,
keine Macht der Welt hätte ihn davon abgehalten, über Yuri zu wachen. Er zog
sich aus und legte sich neben Yuri unter die Decke. Sofort rutschte dieser an
seine Seite und Otabek umschloss seine Schultern, so als wollte er ihn vor allem
Bösen beschützen. Ein kleiner Erfolg schlich sich auch sogleich ein, denn
Yuris Atemzüge wurden ruhiger, gleichmäßiger, und statt des unruhigen
Dämmerschlafs übermannte ihn der tiefe, feste und erholsame Tiefschlaf. Erst
jetzt erlaubte Otabek es sich, ebenfalls zu schlafen.
Yuri schlief geschlagene zwölf Stunden tief und fest. Otabek war schon lange
aufgestanden und hatte Kriegsrat mit Lilia und Yakov gehalten.
„Was geschieht nun mit ihm?“
„Yuri hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Sein Großvater war alles
für ihn, sein Lebensmittelpunkt. Der Verlust wiegt schwer, sicher, aber der
alte Mann wurde würdig zu Grabe getragen und nun muss Yuri sein Leben
wiederaufnehmen. Am besten ist es, wenn er wieder zur Schule geht und sein
Training weiterführt. Er kann sich jetzt keinen weiteren Rückstand erlauben,
nicht schon wieder.“
Otabek gefiel Yakov´s Vorschlag nicht besonders und auch Lilia sah etwas
skeptisch drein.
„Lass den Jungen doch etwas zur Ruhe kommen!“
Yakov schüttelt den Kopf.
„Ruhe bedeutet grübeln und das bedeutet wiederum Stillstand. Nicolai
Plisetsky hätte nicht gewollt, dass Yuri sich verkriecht und vor Trauer krank
wird.“
„Ich glaube, wir fragen ihn einfach selbst, was er möchte.“, meinte Lilia
seufzend.
In der Zwischenzeit war Yuri aufgewacht. Seit drei Wochen fühlte er sich zum
ersten Mal richtig ausgeschlafen. Der Druck auf seiner Brust war zwar noch nicht
verschwunden aber er war weniger geworden und schnürte ihm nicht mehr komplett
den Atem zu. Das Liebste, was er besessen hatte, war ihm genommen worden.
Trotzdem hatte sein Großvater ein erfülltes und gutes Leben gehabt, Yuri hatte
gewusst, dass dieser Moment kommen würde, wo er Abschied nehmen musste. Er
dankte Gott, dass er noch rechtzeitig eingetroffen war, als sein Großvater noch
einen klaren Moment erlebte. Die letzten Worte, die der alte Mann zu ihm gesagt
hatte, würde Yuri für immer im Herzen tragen.
„Hey, du bist ja wach. Wie geht’s dir, mein Hübscher?“
Yuri hatte gar nicht gemerkt, dass Otabek in Zimmer gekommen war.
„Otabek!“
Genau wie in der letzten Nacht, verstand es Otabek nur allein durch seine starke
Präsenz, Yuri zu beruhigen. Er kam auf ihn zu und lehnte seine Stirn gegen
Yuri´s, ihre Blicke trafen sich und verschmolzen ineinander.
„Lass mich nie wieder so lange im Unklaren, hörst du? Ich habe mir solche
Sorgen gemacht, wusste nicht was passiert war. Es tut mir so leid, was mit
deinem Opa geschehen ist. Aber du musst das nicht allein durchstehen, ich bin
immer da für dich!“
Zum ersten Mal seit Wochen lächelte Yuri. Dieses Lächeln ließ auch den
letzten Rest des Drucks von seiner Brust sprengen.
„Glaubst du, ich bin schon so weit, eine neue Choreographie auf die Beine zu
stellen? Damit ich den nächsten Wettkampf gewinne? Ich will meinen Großvater
stolz machen, auch wenn er nicht mehr dabei sein kann. Vielleicht sieht er mir
trotzdem zu.“
„Tja, du hast dich lange genug ausgeruht, ich würde sagen, tu es! Wir werden
eine Choreographie erarbeiten, die alle Vasilys dieser Welt in den Schatten
stellt.“
Otabek grinste und zwinkerte ihm zu.
„Wirst du mir in den Hintern treten, wenn ich mal wieder mit dem Kopf durch
die Wand will?“, fragte Yuri leise.
„Nur, wenn du deine Träume weiterhin mit mir teilst!“
„Ist versprochen!“
Ein weiterer Blick in Yuri´s Augen und Otabek konnte sehen, wie der
verschollene Tiger wieder auftauchte und das hilflose Kätzchen gnadenlos
vertrieb. Yuri Plisetsky war wieder da und Otabek Altin würde ihm zur Seite
stehen, komme was wolle!
Ende
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