Blut und Gold von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 8: TEIL I - KAPITEL VIII: Emilia ---------------------------------------- „Ich sage dir, ich kann gar nicht in Worte fassen, wie erleichtert ich bin, dass der Kaiser die Skizzen abgesegnet hat“, sagte Iulia vom Bett aus, „jetzt können wir endlich mit dem richtigen Fresko beginnen. Meister Iwanov hat schon damit gedroht, dass ich mich beim Ausstellen der Skizzen mit den maßstabsgetreuen Ausschnitten besonders bemühen muss.“ Emilia gab einen unbestimmten Laut von sich zum Zeichen, dass sie zugehört hatte, auch wenn dies nicht unbedingt den Tatsachen entsprach. Iulias Geschnatter wusch über sie hinweg, während sie bei dem Licht ihres Kerzenleuchters über ihrem Dokument saß und die Feder über das Papier kratzen ließ. Es interessierte sie zunehmend weniger, was ihre Geliebte zu sagen hatte, die nur über Fresken sprach, wenn das Land so viel größere Probleme hatte. Leider war Iulia nicht nur schön, sondern auch aufmerksam. Natürlich, ihre Intelligenz und ihr Ehrgeiz waren es gewesen, die Emilia in erster Linie gefesselt hatten. Nun jedoch war es irritierend, besonders, als Iulia einen Stoßseufzer ausstieß und sich erhob, um zu ihr zu kommen, die Bürste vom Tisch aufzuheben und damit durch Emilias Haare zu streichen. „Bist du überhaupt bei mir?“ „Bitte lass das“, sagte Emilia und versuchte nicht so verärgert über die Störung zu sein, wie sie sich fühlte. „Ich kann so nicht arbeiten.“ Iulia hielt in ihren Bewegungen inne. Dann legte sie mit sehr kurzen, präzisen Handgriffen die Bürste beiseite, die deutlich ihren Unmut über diese Antwort verrieten. „Schön. Wenn ich dich so sehr störe, dann gehe ich eben.“ Emilia gab einen tiefen Seufzer von sich, debattierte einen Moment lang stillschweigend mit sich selbst und wandte sich dann um, als Iulia bereits zu der Truhe vor dem Bett gegangen war, um sich die darauf liegende Tunika Interior überzustreifen. „Ich habe nur wichtige Dinge zu erledigen.“ „Du hast immer wichtige Dinge zu erledigen“, sagte Iulia hart, „aber ich bin immer nur ein paar Momente hier, in denen ich dich dann auch gerne für mich hätte.“ Sie hielt inne und sah Emilia an. „Erinnerst du dich nicht an all die guten Gespräche, die wir schon hatten? Ich vermisse das. Es kommt mir vor, als wärst du seit Wochen abwesend.“ „Es gibt viel zu tun“, sagte Emilia so neutral wie möglich. Iulia presste einen Moment lang die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, dann warf sie sich die langen, dunklen Haare über die Schulter und griff nach der Seidendalmatik, um sie über sich zu drapieren. „Ich frage mich, was es auf einmal so viel zu tun gibt“, sagte sie fast schon kalt, auch wenn Iulia zu wirklicher Kälte nicht fähig war. Ihre Kälte war die eines Feuerkerns, wenn er heiß genug wurde, um durch Knochen zu brennen. „Wir haben nicht einmal irgendeinen besonderen Feiertag in den nächsten Wochen.“ Emilia sagte nichts, sondern rieb sich nur die Nasenwurzel. Iulia, so erkannte sie, würde sich nicht mit Schweigen abspeisen lassen. Also ließ sie die Hand sinken und sagte: „Ich kann nicht mit dir darüber sprechen, Iulia.“ „So“, sagte Iulia hart. Sie maßen sich einen Moment lang mit Blicken, dann wandte Iulia sich mit einem verächtlichen Laut, der Emilia unangenehm in der Brust widerhallte, ab und warf den Schleier über ihr Haar. „Nun, nachdem wir den Sex schon abgefeiert haben, werde ich dir nicht mehr zur Last fallen. Das nächste Mal sollte ich Geld für meine Dienste verlangen.“ „Iulia“, sagte Emilia. Etwas in Iulias Stimme brachte sie dazu, die Feder beiseite zu legen und sich zu erheben. Da war etwas ehrlich Verletztes, das für den Bruchteil einer Sekunde über Iulias Gesicht huschte. Dann wurde es von Ärger verschluckt, den Iulia immer vorschob, wenn sie nicht weiter wusste. Erneut zog sich ein unangenehmer Stich durch Emilias Brust. Es war nicht befriedigend, den Stolz einer Frau wie Iulia zu verletzen. Sie griff nach ihr, legte die Hand sachte auf ihren Arm und sah sie an. „Es ist nur noch ein bisschen länger. Bald wird alles anders sein.“ Iulia sagte einen Moment lang nichts. Dann schloss sie die Augen und atmete langsam aus, sichtlich darum bemüht, nicht in die Luft zu gehen. „Du sprichst immer nur in Rätseln zu mir, weil du mir nicht vertraust.“ „Ich vertraue dir mehr als anderen“, sagte Emilia ehrlich. „Das heißt nicht viel“, sagte Iulia trocken. Sie öffnete die Augen wieder, diese unendlich grünen Augen, die nur heller wurden, je mehr ihr Feuer aufloderte. „Ich weiß wirklich nicht, ob wir hier noch auf der gleichen Linie sind, Emilia. Wenn ich mich als Spielzeug benutzen lassen will, das man nach Belieben benutzt und dann ignoriert, dann brauche ich dich nicht dazu - dann könnte ich mich einfach dieser Gesellschaft ergeben und demütig das Haupt neigen. Ich könnte es verschmerzen, wenn es ein Abend wäre. Aber das geht jetzt schon seit Wochen. Und ich bin es leid, in deinem Körper nach einer Verbindung zu suchen, die ich von deiner Seele haben will. Und deine Seele sind deine Gedanken.“ Ihre Worte waren wie Peitschenschläge, aber die Art, wie sie mit den Fingerspitzen über Emilias Handgelenk strich, waren sanft genug, dass Emilia wusste, dass dies hier nicht die Endstation war. „Gerade deine Seele. Bitte mich erst wieder zu dir, wenn du bereit bist, sie wieder mit mir zu teilen.“ Emilias Mund war trocken. Es war seltsam, dachte sie, dass sie vor wenigen Minuten noch auf genau dies gehofft hatte - auf Ruhe ohne Ablenkungen. Jetzt erkannte sie, dass Iulia so viel mehr als nur eine Ablenkung war. Und dennoch war alles, was sie sagen konnte: „Wenn du das für richtig hältst.“ Iulias brennender Blick glitt über ihr Gesicht, suchend, ehe sie einsah, dass sie nicht finden konnte, was sie suchte. Sie nickte abrupt, ein zersplitterter, verwundeter Ausdruck in ihren Augen, ehe sie sich die Palla überstreifte, die Kapuze über den Kopf warf und lautlos ohne ein weiteres Wort des Abschieds durch den geheimen Gang verschwand, der sie auch hergeführt hatte. Einen Moment lang stand Emilia reglos in der Mitte ihres Zimmers. Natürlich, es gab immer einen Preis zu bezahlen, und das Wohl und Ansehen von Byzanz hatte immer an oberster Stelle der Prioritäten zu liegen. Aber Iulia war die eine Sache, die nur für sie selbst war und nun musste sie erkennen, dass es wehtat, sie aufs Spiel zu setzten. Es half nichts. Wenn man nicht dafür bluten und büßen musste, war es eine Sache nicht wert. Sie atmete tief durch, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann setzte sie sich zurück an den Schreibtisch und versuchte zu ignorieren, wie still es plötzlich um sie herum war. Iulia stand zu ihrem Wort, was zu erwarten gewesen war, und ließ die ganze nächste Woche nicht von sich hören oder sehen. Emilia redete sich ein, dass ihr das nur recht war, denn sie hatte anderweitig zu tun. Langsam, unbeobachtet von den Augen der Welt, spitzten sich die Dinge zu. Tagsüber gab sie die dienstbeflissene Äbtissin, die in der Ausübung ihrer Pflichten weder nach links noch nach rechts blickte und dem Kaiserpaar treu ergeben war. Nachts jedoch widmete sie sich der Sache, der sie sich verschrieben hatte: Die Rettung des Landes. Und wer hätte erahnen können, dass sich diese Rettung so unverhofft ergeben würde. Sie waren unvorbereitet gekommen, diese Informationen, mit denen sie nun arbeitete und die ihr Handeln maßgeblich beschleunigt hatten. Es war nicht damit zu rechnen gewesen, dass die Totgeglaubten sich aus dem Nichts des Vergessens erhoben, doch gleichzeitig bestärkten sie diese neuesten Entwicklungen darin, dass sie Recht hatte. Byzanz brauchte einen anderen Herrscher, seinen rechtmäßigen, der nicht zögerte noch zauderte und den Feinden des Reiches den Kampf ansagte, anstatt Bündnisse anzustreben, die ohnehin so fragil waren wie frisch gewobene Seidenfäden. Es war ein Zeichen Gottes, dieser Weg, der sich ihr und ihren Verbündeten erst vor wenigen Tagen offenbart hatte. Ein neuer Kaiser musste her, jemand mit Kampfgeist und Entscheidungskraft, jemand, der gewillt war, den harten Weg zu beschreiten. Das war der Wunsch, der sie mitten in der Nacht mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und der Palla voller darin vernähter Informationen in die Nähe des Goldenen Tors hasten ließ, wo ihr Kontakt bereits auf sie wartete. Sie hielt sich in den Schatten und bewegte sich mit äußerster Vorsicht - wenn man sie hier erwischte, würde es schwer werden, sich zu erklären. Das Goldene Tor selbst war bewacht, aber sie ließ es zu ihrer Rechten zurück und schlüpfte in eine schmale Seitengasse, wo eine einzige Person an die schäbige Hauswand gelehnt stand und im Schein einer Fackel auf sie wartete. Ein Rabe saß auf seiner Schulter und hob verschlafen den Kopf, als Emilia sich näherte. Die Kapuze war ihrem Kontakt etwas heruntergerutscht und legte ein paar bronzefarbene, im Fackellicht fast orangefarben wirkende Haarsträhnen frei. Er war dunkel und simpel gekleidet, aber an seiner Hüfte glitzerte eine reich verzierte Schwertscheide, in der ein deutlich oft benutzter Griff darauf vermuten ließ, womit ihr Kontakt sein Brot verdiente. Aquamarinfarbene Augen sahen ihr geradezu ausdruckslos entgegen; dann, wie als ob man ihn aufgezogen hatte, lächelte er plötzlich und trat einen Schritt nach vorne. „Ehrwürdige Mutter“, sagte er leise, „schön, dass Ihr es geschafft habt.“ Emilia unterdrückte das leise Gefühl des Unbehagens, das der Mann immer noch in ihr auslöste - er hatte etwas an sich, das falsch wirkte, ohne dass sie sagen konnte, was es war. Sie nickte ihm zu. „General Zenon.“ „Habt Ihr die Informationen?“ Sie nickte erneut und holte ein kleines Messer heraus, mit dem sie rasch die Fäden löste, die die Papiere in der Innenseite ihrer Palla gehalten hatten. Als sich ihre Finger bei der Übergabe streiften, konnte sie erneut nicht anders, als ein Gefühl des Unbehagens zu verspüren. General Zenons Haut war eiskalt. „Habt keine Angst“, sagte General Zenon leise mit seiner sanften Stimme, sichtlich ihre Körperspannung und ihren Gesichtsausdruck missinterpretierend, „Eure Mithilfe ist von unfassbarem Wert für die Vorbereitung der Rückkehr des wahren Kaisers.“ Er lächelte und da lag ein seltsamer Glanz auf seinem Gesicht, der Emilia einen Moment lang fast in ihrem Tun zaudern ließ, doch sie weigerte sich, tatsächlich so etwas wie Nervenflattern zu verspüren. Stattdessen reckte sie das Kinn. „Alles, was ich tue, tue ich für das Wohl von Byzanz“, sagte sie ruhig. „Glaubt mir“, sagte General Zenon weiterhin lächelnd, „Basileus Irenéos sieht das genauso wie Ihr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)