Zum Inhalt der Seite

La storia della Vongola I

Das Leben des Vongola Primo
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Diese Fanfiktion beruht auf gesammelten Fakten/Aussagen aus dem Manga, Recherchen, Rechnungen und Vergleichen, kombiniert mit eigenen Erfahrungswerten, eigenem Wissen und eigenen Ideen. Ich erhebe keine Anspruch auf Perfektion oder Richtigkeit, sondern schreibe lediglich meine Gedanken nieder.
Ich behaupte auch nicht, dass meine Ansicht die einzig realistische ist, auch wenn ich versucht habe Amanos Unklarheiten so gut wie möglich zu lösen.

Viel Spaß beim Lesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Im folgenden Kapitel werden wir G zum ersten Mal begegnen.
Hierbei möchte ich ein kleines Danke an  MissLunatic aussprechen, die mein Bild von G recht intensiv beeinflusst hat ;)

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Für das folgende Kapitel habe ich mich zu großen Teilen an die Flashbacks aus dem Manga gehalten. Da ich auch nicht groß wusste, was ich noch zusätzlich einschieben sollte und die Szenen immer recht kurz waren ist auch das Chapter eher kürzer.

Viel Spaß beim Lesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel besteht zu 95% aus meinen Ideen und haben keinen Anspruch auf Perfektion oder Richtigkeit.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Chapter ist eher eine Art Übergangschapter, allerdings wird einiges davon noch relevant werden und ich brauche es für die weitere Entwicklung.
Daher gilt wie immer: Viel Spaß beim Lesen.
:) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

The great sky at his very first

Jahr 1863 [7]
 

„Natürlich ist er merkwürdig!“

Francesca lehnte sich näher zu ihrer Nachbarin hinüber, um zu vermeiden, dass jemand anderer die gewisperten Wort mitverfolgen konnte.

„Schau ihn dir doch nur an, Paola! Seine Haare, seine Augen! Alles an ihm ist so … anders.“

Eigentlich war Francesca kein großer Freund von heimlicher Tuschelei, denn zu oft waren diese Geschichten mehr als wage und deshalb ohnehin nicht Wert darüber zu reden, aber in diesem Fall war es anders. Denn die Person über die sie sprachen war niemand anderes als Giotto Loredano, der vermutlich seltsamste Junge auf dieser Erde. Die Farbe seines Haares glich der Farbe von Stroh, seine Augen waren so blau wie der Sommerhimmel und seine Haut glich eher der einer makellosen Marmorfigur, als der eines italienischen Kindes, obwohl er sich viel in der Sonne aufhielt. Die übrigen Jungen, die sie kannten waren so gänzlich anders als er. Ihr Haar war dunkel wie nasses Holz, ebenso wie ihre Augen und ihre Haut war gebräunt von der brennenden Sonne Siziliens. Doch das war nicht alles, denn auch seine Art war so gänzlich anders. Während die anderen Jungen laut waren und fröhlich über die Wiesen und durch die Straßen der Stadt rannten, schien Giotto ständig mit den Gedanken wo anders zu sein schien. Seine strahlend blauen Augen blickten dann in die Leere als könnte er etwas sehen, was außer ihm jedem verborgen blieb und dabei zierte ein merkwürdiges Lächeln seine Züge. Francesca hatte natürlich schon mit ihm gesprochen, aber seine Art war sehr befremdlich gewesen und seitdem mied sie ein weiteres Gespräch. Sie wusste, dass es auch den meisten anderen Kindern so ging. Wenn man von Giotto angesehen wurde, dann hatte man das Gefühl, als könne er in das Innerste eines Menschen sehen. Selbst die tiefsten Geheimnisse und die verbotensten Wünsche schienen ihm nicht verborgen zu bleiben. Genau genommen machte ihr das am meisten Angst. Es gab einem das Gefühl als wisse der Junge sogar mehr über sich als man selbst und das war äußerst unangenehm. Viele der anderen Kinder hatten Angst, dass er eines ihrer Geheimnisse kannte oder schlimmsten Falls weiter erzählen würde. Und dann gab es da noch die Geschichten, die man sich über ihn erzählte. Sie wusste nicht einmal wer damit angefangen hatte, aber es hatte sich zu einem Brauch entwickelt, seine seltsamen Anwandlungen und Verhaltensweisen sofort mit allen Freunden zu teilen. Genau aus diesem Grund saßen sie nun auch hier, auf dieser Bank und tuschelten, während der Junge noch in Sichtweite war.

„Gestern nach der Kirche ist er noch zurück geblieben,“ erklärte Francesca leise, „Giulia hat ihn gesehen und statt still zu beten und dann zu gehen, hat er dort lange einfach nur da gesessen. Don Camillo ist dann natürlich auf ihn zugegangen und hat ihn gefragt, ob ihn denn irgendetwas belasten würde. Giotto meinte dann aber wohl nur, dass ihn das Leben belasten Er wollte scheinbar auch nicht darüber reden und meinte dann nur, dass er dem Pfarrer nicht vertrauen würde, da er kein ehrlicher Mensch sei. Außerdem hat er ihm vorgeworfen, dass er doch auch selbst seine Geheimnisse habe und man letztlich nur vor Gott Rechenschaft ablegen müsste. Stell dir das vor! Er sagt einem Pfarrer ins Gesicht er wäre ein unehrlicher Mensch!“

Paola sah sie mit großen Augen an, der Unglaube war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hatte schon viele Geschichten über Giotto Loredano gehört, aber das hier übertraf alles bei weitem. Es war eine Unverschämtheit sondergleichen und sie konnte die Empörung ihrer Freundin voll und ganz nachvollziehen.

„Das hat er wirklich gesagt?!“ frage sie ebenfalls empört und Francesca nickte eilig.

„Giulia hat es persönlich mit angehört! Das waren genau seine Worte!“

In diesem Moment wandte der blonde Junge den Blick vom Himmel ab und für einen Moment schien er direkt zu ihnen zu sehen. Francesca blieb beinahe das Herz stehen und ein Schauder lief über ihren Rücken, als sie das plötzliche Gefühl hatte, er hätte ihren Tratsch mit angehört. Natürlich war das unmöglich, sie waren weit genug von ihm entfernt und hatten sich so leise unterhalten, dass sie einander kaum verstanden hatten. Giotto müsste schon ein unglaublich gutes Ohr haben, um auch nur einen Bruchteil ihrer Unterhaltung zu verstehen. Dennoch atmete sie erleichtert auf, als sein Blick sich wieder von ihnen abwand.
 

Giotto war es mittlerweile gewohnt, er konnte die beiden Mädchen nicht hören, aber so wie sie tuschelten und ihm hin und wieder einen verstohlenen Blick zuwarfen hätte es seiner besonderen Fähigkeiten nicht bedurft, um zu ahnen worüber die beiden sprachen. Einen Moment verweilte sein trauriger Blick bei ihnen, dann wandte er den Blick wieder ab und betrachtete stattdessen wieder den Himmel. Die Mädchen hatten sofort aufgehört zu tuscheln, als er zu ihnen hinüber gesehen hatte und das war die letzte Bestätigung die er gebracht hatte. Obwohl diese Stadt sein Geburtsort war und seine Heimat sein sollte, so fühlte er sich kaum damit verbunden. Alles war chaotisch, hektisch, laut und man schien ihn zu meiden wo es nur ging. Alle Menschen hier hatten ihre Geheimnisse und das schien der Grund für ihr Missbehagen gegenüber ihm zu sein. Er hatte schnell bemerkt, dass eine eigene Meinung und großes Wissen nicht immer erwünscht war, leider war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät gewesen. Es war nicht so, dass er hier je eine Chance gehabt hatte, er war seit jeher anders gewesen und selbst wenn er sich wirklich bemüht hätte zu den anderen zu gehören, dann hätte ihn doch wegen seines Äußeren wieder ausgeschlossen. Er wusste, dass viele der anderen Kinder darüber diskutierten weshalb er so anders aussah, dabei war die Erklärung so einfach und lag auf der Hand. Sein Vater war ein Kaufmann und seine Geschäfte hatten ihn hierhin und dorthin geführt und auf einer Reise in den Norden hatte er eine junge Frau kennen gelernt. Giotto hatte gehört, dass sie sehr schön gewesen war und soweit er wusste, hatten seine Eltern heimlich geheiratet. Da er wegen seiner Geschäfte unmöglich die ganze Zeit bei ihr bleiben konnte, war sein Vater weiter gereist und als er ein Jahr später von einer Reise nach Indien zurückgekommen war, musste er erfahren, dass sie im Kindbett gestorben war. Den kleinen Jungen, dem die Mutter noch den Namen eines italienischen Künstlers verpasst hatte, nahm der Vater daraufhin mit nach Italien. Sein Name war allerdings auch das einzig italienische an ihm, denn in sämtlichen Belangen war er das Kind seiner nordischen Mutter. Ein Grund mehr für seine Stiefmutter ihn nicht leiden zu können, denn Giotto wusste schon lange, dass diese nicht akzeptieren konnte, dass ihr Gatte bereits eine Ehe hinter sich hatte und er war der lebende Beweis eben dieser.

Er seufzte kaum hörbar. Wieso nur waren all diese Menschen nur so zornig und verbittert? Er konnte es fühlen. Die Stimmung all dieser Personen, die er jeden Tag sah. Er konnte fühlen, ob sie ihm freundlich gesinnt waren oder ob sie die Vorurteile teilten und er bemerkte stets, wenn jemand ihn belog. Alle diese Emotionen und Stimmungen drangen einfach auf ihn ein und er hatte bislang keine Möglichkeit gefunden dies zu unterbinden. Es gefiel ihm nicht wirklich, sofort den Missmut aller Menschen um sich herum zu fühlen, obwohl es für ihn nicht anderes war als zu hören, zu fühlen oder zu schmecken. Dennoch gab er sich große Mühe den genauen Umfang seiner Fähigkeiten geheim zu halten.
 

Mit einem letzten Blick auf die Wolken, die langsam über den Himmel zogen, löste er sich von der kleinen Mauer an welche er sich gelehnt hatte und machte sich auf den Heimweg. Sicher wartete sein Vater bereits auf ihn, bei seiner Stiefmutter bezweifelte er das allerdings, denn manchmal hatte er das Gefühl sie war beinahe enttäuscht wenn er am Abend wieder zurück nach Hause kam. Es war nicht so, dass er einen Groll gegen diese Frau hegte, aber ihm war schon lange aufgefallen, dass sie ihm nichts Gutes wollte. Dass ihre eigene Ehe bislang nicht mit Kindern gesegnet gewesen war schien es nur noch schlimmer zu machen. Giotto machte ihr keinen Vorwurf, sie war eben eine einfache Frau mit alltäglichen Problemen.

Rasch schlüpfte er durch das eiserne Tor und legte den kurzen Weg zum Haus zurück. Nach einem kurzen Klopfen öffnete das Hausmädchen der Familie und ließ ihn ein. Er grüßte sie freundlich und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Giotto wusste, dass auch dieses Mädchen nur nett zu ihm war, weil sie unglaublich neugierig war und immer darauf hoffte, dass er ihr eines Tages von Nutzen sein würde, aber es kümmerte ihn nicht.

Als er den Flur entlang lief, hörte er Stimmen aus dem Arbeitszimmer seines Vaters und plötzlich hatte er das unbestimmte Bedürfnis, es wäre besser zu lauschen.

„Er ist uns doch nur eine Last!“ waren die ersten Worte die er vernahm.

Es war die Stimme seiner Stiefmutter und als er näher kam und sich im Schatten des Türrahmens verbarg, konnte er sie auch einen Moment sehen. Eine hübsche junge Italienerin mit fliegenden rabenschwarzen Locken und einer energischen Art.

„Aber was soll ich tun, Sofia? Er ist noch ein Kind, ich kann ihn nicht einfach wegschicken.“ Wandte sein Vater nun ein und versuchte sie zu besänftigen.

Giotto lehnte sich tiefer in die Schatten hinter der Tür, es war nicht schwer zu erraten, dass sie über ihn sprachen. Sein Herz wurde merklich schwerer und er begann kaum merklich zu zittern.

„Er ruiniert sogar deine Geschäfte! Ich habe gehört, wie sich deine Geschäftspartner darüber unterhalten haben und wenn das so bleibt, dann werden wir bald niemanden mehr finden, der sich auf einen Handel mit uns einlässt. Außerdem …“ Giotto konnte hören, dass sie zögerte, während bereits eine einzelne Träne über seine Wange rann, „ … ich erwarte ein Kind.“

„Ich … soll ihn deshalb fortschicken?“

Sein Vater klang nicht besonders angetan von der Idee seinen erstgeborenen Sohn fortzusenden.

„Ja, ich will es so! Ich will, dass wir unsere Familie haben, Pietro! Das werden wir aber nie, solange dieser Junge hier ist! Solange wirst du immer an sie denken! Und unser Kind wird ebenso ausgestoßen werden wie er!”

Der Tonfall seiner Stiefmutter war nun beinahe hysterisch.

Es folgte ein kurzes Schweigen und Giotto konnte die Qual seines Vaters spüren, ganz so als wäre es seine eigene.

„Ich … werde ihn zu meinen Eltern schicken.“ Erwiderte sein Vater schließlich zaghaft, „Wäre das in Ordnung?“

Von einem Moment auf den anderen änderte sich die Stimmung im Raum und Giotto konnte die triumphierende Freude seiner Stiefmutter spüren, als sie ihr Ziel erreicht hatte. Rasch wandte sich Giotto ab und lief ohne ein zu Zögern die Treppen hinauf und in sein Zimmer, während er mit dem Handrücken Tränen wegwischte, die nicht enden wollten.

Aber es war an der Zeit zu packen.
 

Die Reise war lang gewesen und Giotto war am Ende seiner Kräfte, als sie am Landhaus seiner Großeltern ankamen. Sein Vater hatte ihn in die Hände eines Bekannten gegeben, der aus geschäftlichen Gründen in diese Gegend gereist war. Es hatte nur wenige Sekunden gedauert, bis Giotto bemerkt hatte, dass es nicht erwünscht war zu sprechen oder sich auch nur irgendwie bemerkbar machte. So hatte er die Fahrt damit verbracht so zu tun als wäre er nicht da und war beinahe erleichtert, als man ihn vor der Tür absetzte, seinen Koffer neben ihm abstellte und sich dann verabschiedete ohne auch nur sicher zu gehen, dass er am richtigen Ort war. Was hatte er auch anderes erwartet, denn selbst seine Eltern hatten ihn nicht wirklich liebevoll verabschiedet. Während sein Vater noch so getan hatte, als würde er ihn vermissen, zeigte seine Stiefmutter offen wie zufrieden sie mit seiner Abreise war. Wenigstens war es ihm dadurch nicht schwer gefallen sie zu verlassen.

Nachdenklich betrachtete Giotto das ländliche Anwesen und die Gegend. Irgendetwas sagte ihm, dass dieser Ort gut für ihn sein würde. Er betrachtete die uralten Bäume und in einiger Entfernung lag ein Dorf oder eine kleine Stadt. Das Anwesen selbst war größer als er erwartet hatte und schien aus einer besseren Zeit zu stammen. Er wusste, dass Sizilien lange Zeit umkämpft war und die Herrschaft der Franzosen erst vor wenigen Jahren geendet hatte, seitdem war die Situation schwerer geworden. Er hatte spüren können, wie viele der Menschen verzweifelt waren oder hungerten. Wenn Giotto es richtig wusste, dann lebten hier nur seine Großeltern und ein paar wenige Angestellte, dabei musste das Anwesen genug Platz für mehrere Familien und deren Angestellten bieten.

Er seufzte leise und betrachtete sein Gepäck. Er hatte nur wenig mitgenommen und dennoch war der Koffer zu groß und zu schwer für ihn. Allerdings brachten ihn all diese Gedanken nicht weiter und so nahm er seine ganze Kraft zusammen und zog den Koffer mühsam über den Weg bis zur schweren Haustür hinter sich her. Etwas außer Atem kam er schließlich dort an und klopfte gegen die schwere alte Haustür. Es dauerte einen Moment bis die Tür geöffnet wurde eine ältere Frau zum Vorschein kam, die ihn einen Moment musterte und ihn dann breit anlächelte.

„Guten Tag. Du musst Giotto sein.“ grüßte sie in einer so freundlichen Art, dass Giottos Herz sofort einen Sprung machte und ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht trat.

„Mein Name ist Angelika. Komm herein, dann zeige ich dir dein Zimmer. Deine Großeltern sind gerade nicht im Haus, aber sie werden sich sehr freuen dich kennen zu lernen.“

Giotto schleifte gerade seinen Koffer über die Türschwelle, als der Blick der Haushälterin auf das Gepäck fiel und sie sofort freundlich aber bestimmt den Kopf schüttelte.

„Lass deinen Koffer hier stehen, Giotto. Ich bitte Adriano ihn dir später hochzubringen.“

Mit einem letzten zaghaften Blick auf den Koffer tat der Junge wie ihm geheißen war und ließ das Gepäckstück direkt neben der Eingangstür stehen. Wenn er ehrlich war, dann war er ziemlich froh, dass er ihn nicht selbst die Treppen hinauftragen musste. Anschließend folgte er der Haushälterin, die ihn zu einem Zimmer am Ende des Flurs im zweiten Stock brachte. Es war ziemlich abgelegen, aber es bot einen wunderschönen Blick auf die Wiesen und Felder, die das Anwesen umgaben. Die hohe Decke war weiß und die Wände waren mit einer lindgrünen Tapete versehen. Das Mobiliar war aus weißem Holz und schien das Zimmer noch heller zu machen, als es durch die großen Fenster ohnehin schon war. Es war schlichtweg wundervoll.

„Wir hatten dich erst für morgen erwartet, aber ich mache dein Zimmer nachher fertig, ja?“ schlug die ältere Dame ihm vor und bezog sich dabei auf das Bett, das noch nicht bezogen war.

Giotto nickte rasch, während er sich noch immer fasziniert umsah. Schon jetzt fühlte er sich hier sehr wohl und obwohl er zunächst Angst davor gehabt hatte, so freute er sich nun darauf endlich seine Großeltern zu treffen.
 

Während sie auf die Rückkehr seiner Großeltern warten musste, führte Angelika den Jungen durch das Anwesen und zeigte ihm alle Räume, von der Küche bis zur Bibliothek und sogar die Zimmer, die zurzeit unbewohnt waren. Jeder von ihnen war auf seine Weise faszinierend und dennoch war Giotto überglücklich mit seinem Zimmer. Er erfuhr, dass neben der Haushälterin noch ein junger Mann namens Adriano, ein rundlicher Koch mittleren Alters namens Antonio und ein junges Dienstmädchen namens Giorgia im Haus beschäftigt waren. Das riesige Anwesen wurde somit von lediglich 6 Personen bewohnte, ab heute waren es sieben. Auf dem Gelände lebten außerdem noch zwei große Wachhunde und ein paar Pferde.

Giotto war gerade auf einem neuen Streifzug durch das Haus, als er hören konnte wie unten die Tür geöffnet wurde. Rasch versteckte er sich zunächst hinter dem Geländer der Treppe und lauschte. Er wusste nicht viel über seine Großeltern und wenn er ehrlich war, dann hatte er noch immer Angst davor sie zu treffen, wenn auch die Hoffnung, dass sie ihn mögen würden bestand.

„Sei so gut und bring den Jungen in den Salon, Angelika. Ich möchte ihn wirklich gerne kennen lernen. Pietro hat uns nicht viel von ihm erzählt, außer dass er sich in der Stadt wohl nicht wohlfühlt. Er scheint in dieser Sache wohl nach seiner Mutter zu kommen.“ Erklang eine tiefe aber angenehme Stimme aus dem Eingangsbereich. Sie schien zu seinem Großvater zu gehören.

„Ich denke nicht, dass dies der einzige Grund ist, Signore. Sie werden es bemerken, sobald sie ihn sehen, er ist wirklich ein sehr interessanter Junge und ein sehr außergewöhnlicher noch dazu.“ Erwiderte nun die feste freundliche Stimme von Angelika, während Giotto weiterhin versuchte die Stimmung abzuschätzen.

„Giorgia, sei so gut und bring einen Tee in den Salon.“

Diesmal war es die Stimme einer Frau, es musste die seiner Großmutter sein.

„Natürlich, Signora.“ Eine höfliche Stimme, die zum Hausmädchen gehörte, erklang und er hörte das leise Klappern ihrer Schuhe auf dem glatten Boden.

Giotto spürte wie sich eine angenehme Wärme in ihm ausbreitete als er dem Gespräch weiter folgte, man hatte ihn interessant genannt, außergewöhnlich, nicht aber seltsam. Er atmete kurz tief durch, dann stand er auf und ging langsam die Treppen hinunter in den Eingangsbereich. Ein nervöses Lächeln auf seinem Gesicht.

Sein Großvater bemerkte ihn schnell und warf ihm einen abschätzenden Blick zu, während auf seinem Gesicht ein leichtes Lächeln lag. Er war ein älterer Herr mit bereits grauen Haaren, aber einer tadellosen Haltung, welche eine große Autorität ausstrahlte. Seine Großmutter besaß eine ähnliche Haltung, allerdings war ihr Lächeln weitaus breiter.

„Guten Abend Signore und Signora.“ Grüßte er höflich und versuchte die besten Manieren an den Tag zu legen.

„Guten Abend, Giotto.“ grüßte seine Großmutter mit einem gutmütigen Tonfall und betrachtete ihn interessiert.

Sein Großvater schien ihn erst noch einen Moment zu mustern, dann nickte er leicht.

„Komm mit, mein Junge. Wir haben über vieles zu sprechen.“
 

Ab diesem Tag veränderte sich sein Leben schlagartig. Seine Großeltern erwiesen sich als streng, aber auch als freundlich und vor allem sehr interessiert. Seine Großmutter erzählte ihm häufig Geschichten und Märchen aus fernen Ländern und las ihm dann und wann vor, während sein Großvater begann ihn zu unterrichten. Er bestand darauf, dass sein Enkel tadellose Manieren an den Tag legte und sich intensiv seinen Studien widmete. Giotto lernte eine Menge über den Handel, aber auch über Politik und die Geschichte von Sizilien. Über die Streitigkeiten zwischen Italien und Frankreich und die sizilianische Revolution, sowie den endgültigen Anschluss an das Königreich Italien im Jahr 1861. Sein Großvater hatte selbst an diesen Kämpfen teilgenommen und es war nicht schwer zu bemerken, dass er kein besonderer Freund von Frankreich war. Ja, manchmal schien es gar so, als hegte er etwas wie Hass gegenüber jeglichen Franzosen. Giotto registrierte diese Einstellung zwar, aber er übernahm sie nicht. Er war fest der Ansicht, dass man nicht jeden Bürger eines Landes für dessen Führung verantwortlich machen konnte. Vermutlich gab es auch nette Franzosen, so wie es auch unfreundliche Italiener gab. Als er 9 Jahre alt gewesen war, hatten sie Besuch von einem Geschäftspartner seines Großvaters aus Japan bekommen, der seinen 14 Jahre alten Sohn mit auf die Reise genommen hatte. Giotto hatte von den Verhandlungen der Beiden nicht viel mitbekommen, dafür aber einige Zeit mit dem jungen Japaner verbracht und ihn etwas herumgeführt. Es war ihm schwer gefallen, seinen neu gefundenen Freund wieder in dessen Heimat zurückreisen zu lassen, aber sie hatten einander versprochen in Kontakt zu bleiben.

Was das Thema Politik anging erwies sich Giotto trotz seines Alters als äußerst talentiert. Es fiel ihm nicht einmal sonderlich schwer die zahlreichen Namen, Familien und Organisationen zu behalten, welche einen Machtpol der Insel darstellten. Hin und wieder war es Giotto erlaubt, auch Partner seines Großvaters kennen zu lernen, bei denen es sich größtenteils um einflussreiche Persönlichkeiten des Landes handelte und dank seiner tadellosen Manieren und seines Talents andere Menschen zu verstehen, brachte man ihm schon bald einen außergewöhnlichen Respekt entgegen. Giotto bemerkte schon früh, dass dieses Thema für ihn wichtig sein würde und begann schnell damit auch eigene Standpunkte zu entwickeln und zu vertreten und sich über die zahlreichen Probleme den Kopf zu zerbrechen.

Zu anderen Kindern seines Alters hatte Giotto kaum noch Kontakt, aber es kümmerte ihn auch nicht sonderlich. Wenn sich die Gelegenheit bot, dann spielten die Angestellten mit ihm und wenn dem nicht so war, dann ging er meist allein spazieren. Das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint und ihm endlich einen Ort gegeben, an dem er glücklich leben konnte.

Eine Familie und eine Heimat.

Nicht einmal der frühe Tod seiner Großmutter konnte dieses Gefühl von Heimat zerstören.

A storm draws close

Jahre 1866-1868 [10-12]
 

Es waren drei Jahre vergangen seitdem Giotto aufs Land geschickt worden war, als sich eine weitere Gelegenheit ergeben sollte. Es war ein heißer Sommertag gewesen, als er mit Adriano an die Küste gefahren war, um in einer der zahllosen Buchten spazieren zu gehen. Giotto war selten direkt am Meer und dennoch barg es eine gewisse Faszination. Da er nicht schwimmen konnte, wagte er sich natürlich nie weiter hinein als bis zu den Knien, vermutlich hätte sein Begleiter mehr als das ohnehin nicht zugelassen. Von seinem Großvater hatte er von den fernen Ländern auf der anderen Seite des Meeres gehört und er wusste dass hinter dem Meer auch das von seinem Großvater so gehasste Frankreich lag. Obwohl sein Großvater nicht sonderlich begeistert zu sein schien, so wollte er doch gerne einmal über das Meer fahren, um dieses Land einmal mit eigenen Augen sehen. Sein Großvater mochte der Ansicht sein, dass alle Franzosen zu nichts taugten, aber Giotto war der Ansicht, dass es in jedem Volk Leute dieser Art gab. Da er selbst nur selten von Leuten so akzeptiert wurde, wie er war, hatte er entschieden, dass er selbst Fremden nie mit irgendwelchen Vorurteilen gegenüber treten wollte. Für ihn zählte allein der Charakter der Person selbst.

Giotto war gerade den kleinen Pfad hinunter zum Stand gegangen und hatte sich seinen Tagträumen hingegeben, als er etwas entdeckte, dass sein Herz einen Moment stillstehen ließ. Unten zwischen den Felsen am Strand lag etwas oder besser gesagt jemand, denn es war offensichtlich ein Mensch und als Giotto näher kam erkannte er, dass der Junge nicht besonders viel älter sein konnte als er selbst. Vielleicht zwei oder drei Jahre. Sein rotes Haar verdeckte einen Teil seines Gesichts und als Giotto neben ihm auf die Knie ging und ihn leicht schüttelte reagierte er nicht. War er Tod? Nein, seine Brust schien sich leicht zu heben und zu senken, ein unverkennbares Zeichen, dass er leben musste. Ohne zu Zögern rannte Giotto zurück zum Pfad.

„Adriano! Bitte komm schnell, da liegt ein Junge am Strand! Er ist verletzt!“ rief er beinahe panisch und führte seinen Begleiter zielstrebig durch die Felsen zu dem Jungen.

Gequält beobachtete er, wie Adriano den Jungen zu untersuchen begann und biss etwas ungeduldig auf seiner Unterlippe herum, da er es kaum abwarten konnte eine fachkundigere Meinung zu hören, als die seine. Der junge Mann sah sich nicht jedoch nicht einmal nach ihm um, während er den fremden Jungen in eine andere Position brachte.

„Er ist schwer verletzt.“ Erklärte er dann ruhig und seine Hände tasteten den Körper des Fremden ab, während er versuchte einzuschätzen wie schwer er verletzt war. „Wir könnten ihn zum Anwesen bringen, allerdings kann ich nicht versprechen, dass er es überleben wird.“

Giotto nickte hastig.

„Wir nehmen ihn mit.“

Auf die Anweisung seines jungen Herren hin nahm Adriano den Bewusstlosen hoch und trug ihn den Weg zurück bis zu ihrer Kutsche um dann so schnell wie es ihnen möglich war zurück zum Anwesen zu gelangen.

Kaum waren sie dort angekommen und Adriano hatte den Jungen über die Türschwelle gebracht, standen auch schon Giorgia und Angelika vor ihnen, die sich vermutlich über die schnelle Rückkehr der Beiden wunderte. Während Adriano den Fremden die Treppen hinauftrug um ihn in eines der Gästezimmer zu bringen und Angelika sich auf den Weg in die Küche machte, um frisches Wasser, Salben und Umschläge zu besorgen, wurde Giotto vom Hausmädchen der Familie zurückgehalten.

„Tut mir Leid, Giotto, aber du wirst ihm nicht helfen können, wenn du möchtest mache ich dir solange einen Tee. Angelika wird uns sicher mitteilen, wenn sich etwas Neues ergibt.“

Giotto sah einen Moment gequält in Richtung der Treppe. Er wollte bei dem Jungen sein, ihm helfen wieder gesund zu werden, um ihn dann zu fragen woher er kam und wer er war. Vielleicht war dieser Junge ja aus einem der fremden Länder von denen er nicht nur nachts träumte. Giotto könnte ihm helfen zu seiner Familie zurückzukommen oder vielleicht könnten sie sogar Freunde werden.

„Sie werden ihr Bestes tun …“ versicherte ihm Giorgia erneut und strich ihm sanft über den Kopf.

Mit einem leisen Seufzen nickte Giotto. Er konnte dem Fremden im Moment wirklich nicht helfen und vermutlich wäre es eigensüchtig darauf zu bestehen, dass sie ihn zu ihm ließen. Adriano und Angelika waren erfahren mit Verletzungen und Krankheiten, denn da der nächste Arzt zu weit entfernt wohnte übernahmen sie die Aufgabe sich um Kranke und Verletzte zu kümmern. Er würde den beiden eher im Weg sein, als dass er eine Hilfe war. Resignierend folgte er darum der jungen Frau in den Salon und ließ sich einen Tee servieren. Nachdem er ihn getrunken hatte und es noch immer keine neuen Nachrichten gab, beschloss er in die kleine Kapelle des Anwesens zu gehen und dort um das Leben und die Gesundheit des unbekannten Jungen zu beten.
 

Giotto erfuhr noch am selben Tag, dass der Junge vermutlich überleben würde. Er hatte einiges an Wasser geschluckt und hatte die eine oder andere Prellung, aber da er bislang überlebt hatte, standen seine Chancen gut. Dagegen war Giottos Großvater zunächst wenig begeistert, aber da er seinen Enkel nicht enttäuschen wollte und einen bewusstlosen Jungen wohl kaum auf die Straße werfen konnte, genehmigte er dessen Aufenthalt. Dabei machte er allerdings auch klar, dass Giotto allein die Verantwortung für ihn übernehmen musste. Schon am nächsten Tag war ihm daher erlaubt worden das Zimmer zu betreten und nach dem Patienten zu sehen. Zunächst hatte sich Giotto Hoffnungen gemacht, dass der Junge sicher aufwachen würde, sobald er nur da war, aber schnell hatte er festgestellt, dass das allein wohl eher nicht ausreichte. Meist saß er daher nur auf einem Schemel neben dem Bett und betrachtete den Rotschopf, der sich noch fast eine Woche Zeit ließ ehe er das erste Mal die Augen öffnete.
 

Als Giotto an diesem Tag in das Zimmer seines Patienten trat, um sich wie gewohnt auf den Schemel neben dem Bett zu setzen und ihn zu beobachten, saß der Junge schon aufrecht im Bett. Zunächst war sein Blick aus dem Fenster gerichtet, aber als er ihn bemerkte wandte sich sein Blick ihm zu und er betrachtete ihn äußerst argwöhnisch.

„Wo bin ich?“ fragte er dann. Seine Stimme klang eher rau und sein Tonfall war schroff, aber Giotto schob das auf die Tatsache, dass der Junge verletzt war und beinahe eine Woche überhaupt nicht gesprochen hatte. Viel faszinierender fand Giotto dagegen die Augen seines Patienten, die ein äußerst ungewöhnliches braun zu haben schienen und erst als sein Patient den Kopf leicht drehte war er sich sicher, dass dies kein braun war, sondern tatsächlich ein dunkles Rot. Auf den ersten Blick wirkte dieser Junge abweisend, aber Giotto war sich sicher, dass sich das schnell ändern würde. Dennoch zögerte er einen Moment. Er hatte schon lange nicht mehr mit Gleichaltrigen zu tun gehabt und es fiel ihm schwer die richtigen Worte zu finden.

„Mein Name ist Giotto.“ Erklärte er, darum bemüht höflich zu freundlich zu klingen und setzte dabei ein Lächeln auf. „Das hier ist das Anwesen meines Großvaters. Darf ich nach deinem Namen fragen?“

Der Rothaarige zögerte einen Moment und strich sich kräftig über seine Schläfe, als müsse er angestrengt nachdenken.

„Ich … weiß nicht …“ murmelte er schließlich und betrachtete äußerst konzentriert die sandfarbene Wand ihm gegenüber. Seine Gedanken schienen noch immer zu rasen.

Giotto betrachtete ihn dagegen überrascht.

„Ich … weiß gar nichts.“ setzte der Junge hinzu und sein Blick wandte sich wieder an Giotto. Dessen Blick war nachdenklicher geworden. Sein Großvater hatte ihm einmal davon erzählt, dass einer seiner Bekannten bei einem Unfall das Gedächtnis verloren hatte, nachdem ihn ein Holzbalken am Kopf verletzt hatte. Konnte es sein, dass dem Jungen etwas Ähnliches passiert war? Noch einen Moment dachte Giotto über das nach, was sie damals gesprochen hatten und wenn er sich recht entsann, dann hatte sein Großvater das eine Amnesie genannt.

„Bist du dir sicher, dass du dich an gar nichts erinnerst?” fragte er dennoch leise und in der Hoffnung, dass sich sein Patient doch noch erinnern mochte. Dieser jedoch sah noch immer konzentriert und nachdenklich aus, dann tastete er über sein zerschlissenes Hemd und zog eine kleine Kette heraus. Sie war grob und der Anhänger bestand nur aus einem flachen Stück Metall in dessen Oberfläche etwas eingraviert war.

„G.“ murmelte der Junge dann sehr leise.

Giotto legte den Kopf leicht schief und sah ihn fragend an.

„Bitte?”

“Ich glaube so nennt man mich … G.” wiederholte der Rotschopf dann etwas sicherer und schloss die Hand um den Anhänger der Kette. Sein Blick wanderte zurück zu Giotto. Dieser blinzelte einen Moment etwas verwirrt, dann jedoch nickte er.

„Dann weißt du auch nicht, wo du herkommst, G?”

Der rothaarige Junge schüttelte rasch den Kopf, allerdings erwiderte er nichts auf diese Frage.

„Möchtest du dann vorderhand hier bleiben?“ Giottos Stimme klang zaghaft.

G dagegen schien einen Moment zu zögern und betrachtete nachdenklich die blauen Augen seines Gastgebers. Er schien abzuwägen.

“Hier?” fragte er etwas argwöhnisch. Trotz allem schien er nicht besonders überzeugt von dieser Lösung, wusste aber auch keine bessere Alternative.

„Ja. Wir haben genug Platz hier und ich würde mich sehr freuen. Ich denke es wäre kein Problem und wenn du möchtest, dann würde ich mit meinem Großvater sprechen.“

G schwieg zunächst und Giotto befürchtete für einen Moment, er würde das Angebot ablehnen, dann jedoch nickte er wortlos.

„Wenn du dich wieder erinnerst oder dich nicht wohl fühlst, dann kannst du jederzeit gehen.“ Fügte Giotto noch hinzu, in der Hoffnung dies würde seinem neuen Bekannten die Wahl erträglicher machen.

„Du bist ziemlich komisch, weißt du das.“ Murrte G zur Antwort und ließ sich wieder in die weichen Kissen sinken. Offensichtlich hatte ihn das Gespräch mehr mitgenommen, als er sich eingestehen wollte.

„Ja, das weiß ich.“ Erwiderte Giotto mit einem unglaublich sanften Lächeln.
 

In den folgenden Wochen und Monaten besserte sich Gs Gesundheit zunehmend und die beiden Jungen verstanden sich auch immer besser. G motivierte Giotto sogar dazu regelmäßig mit ihm in eine kleine Stadt in der Nähe zu laufen, obwohl Giotto aus seiner schlechten Erfahrung heraus den Kontakt zu anderen Menschen lange vermieden hatte. Vermutlich war G im Anwesen der Familie schon nach einer Woche die Decke auf den Kopf gefallen, denn er schien im Gegensatz zu Giotto ein Mensch zu sein, der einen gewissen Trubel sehr wohl zu schätzen wusste. Und das war nicht der einzige Punkt in dem sich zeigen sollte, dass die Beiden sich charakterlich nicht unähnlicher hätten sein können. Wo Giotto gelassen war, da war G temperamentvoll. Wenn Giotto bei einem Buch in der Bibliothek saß um zu lesen, da versuchte ihn G zu Ausflügen in die Umgebung zu verleiten. Mehr als einmal kam Giotto darum mit Schlamm und Staub bedeckt und mit Schürfwunden an Händen und Knien nach Hause. Als er sich den Arm brach, weil ein Stück aus der felsigen Wand brach an der sie hinaufgeklettert waren, war sein Großvater wenig begeistert und ermahnte sie sich zu mäßigen. Allerdings gab es auch viele Dinge in denen sie sich ähnlich waren. So wirkten Gs rotes Haar, seine Augen und sein Temperament auf andere ebenso befremdlich, wie es Giottos Intuition und Art tat.
 

So saßen sie eines Tages unter einem der großen Bäume im Garten des Anwesens und hielten nach Bildern in den Wolken Ausschau. Giotto war mittlerweile 12 Jahre alt und nach anfänglicher Unsicherheit hatte er seinem Freund das ein oder andere Geheimnis über sich erzählt. Über seine ungewöhnliche Intuition und die merkwürdigen Veränderungen, die mit ihm vorgingen. Erst vor wenigen Wochen hatte er plötzlich und ohne Anlass angefangen zu brennen. Zunächst hatte er gedacht, dass er an einer Kerze gestreift haben musste, aber da es am Tag gewesen war und die Kerzen noch nicht entzündet worden waren, konnte es das nicht gewesen sein. Etwas ähnliches war ihm vor wenigen Tagen erneut passiert und obwohl sich bislang niemand verletzt hatte, so machte es ihm dennoch Sorgen.

„Hast du dich je gefragt, wozu du diese Fähigkeiten hast, Giotto?“ fragte G nachdem sie wieder bei diesem höchst unerfreulichen Thema angelangt waren

„Du meinst es könnte einen Grund haben?“ fragte dieser deutlich nachdenklicher und betrachtete weiter die Wolken, die über den Himmel zogen.

„Du weißt doch, dass das nicht normal ist. Selbst dein Opa sagt, dass er sowas noch nie erlebt hat und der ist wirklich schon viel herumgekommen. Vielleicht solltest du das trainieren, dann könntest du es so einsetzen, wie du es brauchst.“ G grinste ihn begeistert an, während Giotto seinen Blick nur etwas irritiert erwiderte.

Im Gegensatz zu G konnte er diesen Erfahrungen nicht sonderlich viel abgewinnen. Es war seltsam, wenn er plötzlich anfing zu brennen. Dieses merkwürdige Kribbeln in seinen Fingern und die Flammen, die ihn nicht verbrannten und nur für einen Moment anzuhalten schienen. G mochte das interessant finden, er selbst aber fand es gruselig und ziemlich bedenklich.

„Hey, was ist denn los?“ Fragte der Rotschopf übermütig und boxte Giotto leicht gegen die Schulter, „Du hast doch nicht etwa Angst davor?“

Rasch schüttelte Giotto den Kopf, auch wenn das nicht der Wahrheit entsprach. Er ließ kaum noch jemanden an sich heran aus der Angst plötzlich Feuer zu fangen und damit jemanden zu verletzen.

„Nein, das ist es nicht…“ murmelte er darum wenig überzeugend.

„Na also!“ Unterbrach ihn G unsanft, “Komm, lass es uns ausprobieren.”

Innerhalb weniger Augenblicke stand G auch schon auf den Beinen und zog ihn ebenfalls unsanft in die Höhe. Mit einem leisen Seufzen fügte sich Giotto in sein Schicksal und versuchte den zahlreichen Ideen Gs nachzukommen, um seinen Körper zu weiteren außergewöhnlichen Aktionen zu verleiten. Das Ergebnis war für G eine Enttäuschung, denn was auch immer er von Giotto verlangte, es tat sich absolut nichts. Anschließend begannen sie dieses Training jeden Tag durchzuführen und verbrachten Wochen damit, jeden Nachmittag im Garten zu stehen, um eine Reaktion zu erreichen.
 

Selbst G war schon kurz davor aufzugeben, als sich bei einem ihrer Versuche etwas ergeben sollte. Wie immer verbrachten sie ihren Nachmittag unter der großen Buche im Garten und Giotto versuchte sich mühsam auf seine Fähigkeiten zu konzentrieren, als sich wieder die Flammen an seinen Händen zeigten. Das war allerdings nicht alles, denn innerhalb von Sekunden breiteten sich die Flammen über seinen ganzen Körper aus und Giotto sank gequält auf die Knie. Rasch hob er die brennenden Hände über sein Gesicht und schrie vor Schmerz. G spürte nichts als blankes Entsetzen und nicht in der Lage sich zu bewegen haftete sein schockierter Blick auf seinem Freund, der offensichtlich Höllenqualen litt.

Es war seine Schuld, schoss es ihm durch den Kopf. Er war es gewesen, der Giotto dazu genötigt hatte sich mit seinen Fähigkeiten zu befassen, der ihn genötigt hatte jeden Tag wieder und wieder zu versuchen etwas zu erreichen. Wenn Giotto etwas passierte, dann …

Rasch versuchte er den Kopf frei zu bekommen um eine Lösung zu finden, er musste etwas unternehmen. Jetzt. Sein gehetzter Blick fiel auf den kleinen Teich nur wenige Meter entfernt, dann sah er zurück zu Giotto. Er atmete einen Moment tief durch, dann schloss er die Arme um seinen besten Freund. Die Schmerzen der Flammen auf seiner Haut bemerkte er kaum, während er Giotto an sich drückte, die wenigen Meter überwand und sich mit Giotto in den Teich fallen ließ. Das Wasser begann sofort Blasen zu schlagen und einen Moment befürchtete er, dass es nichts bringen würde, aber kaum waren sie unter Wasser, da erloschen die Flammen und Giotto hing bewegungslos in seinen Armen. Rasch zog G ihn wieder über Wasser und schnappte nach, anschließend versuchte er ihn schnellstmöglich wieder auf den Rasen zu zerren. Panisch schüttelte er den leblosen Körper, aber Giotto regte sich nicht. Er musste etwas tun und zwar schnell. Er verdankte Giotto sein eigenes Leben, wie sollte er weiterleben, wenn er nun Giottos Leben auf dem Gewissen haben würde? Mit letzter Kraft hob er den schmalen Jungen wieder vom Boden und so schnell es sein Zustand zuließ, trug er ihn durch den Garten zurück zum Haus. Er schwankte merklich und kaum war er über die Türschwelle getreten, brach er zusammen. Noch immer klammerte er Giotto fest an sich, als könne ihm das helfen. Er wollte schreien, aber seine Stimme verweigerte ihren Dienst und ebenso ließ sein Körper nicht zu, dass er sich regte. So konnte er nichts tun als dort zu sitzen, Giotto in seinen Armen zu halten und Tränen zu vergießen, bis Giorgia mit einem Tablett aus der Küche kam und sie auf dem Weg zum Salon dort am Boden entdeckte. Vor Entsetzen ließ sie das Tablett fallen und mit einem spitzen Schrei rannte sie die letzten Meter zu den beiden Jungen. Von dem plötzlichen Lärm aufgeschreckt standen innerhalb von Sekunden auch Giottos Großvater, Adriano und Antonio in der Eingangshalle. Sie brauchten einige Zeit um G zu überzeugen Giotto überhaupt nur loszulassen, aber nachdem sie es geschafft hatten brachten sie die beiden Jungen auf ihre Zimmer. Giorgia wurde sofort losgeschickt, um den Arzt zu holen, während sie der Rest des Haushalts damit beschäftigte die beiden Jungen zu versorgen. Sie waren in einem furchtbaren Zustand.

G hatte schwere Brandverletzungen an den Armen, dem Oberkörper und im Gesicht und der Arzt konnte nur nicht mehr für ihn tun, als seine Schmerzen lindern und eine Salbe auf die verbrannte Haut aufzutragen. Er stellte sofort klar, dass mit Sicherheit Narben zurückbleiben würden, aber G schien das kaum zu kümmern, denn er nickte nur und fügte sich in dieses Schicksal.

Giotto dagegen schien zumindest auf den ersten Blick unverletzt, allerdings schienen seine Verletzungen eher seelischer Art zu sein. Selbst der Arzt konnte sich nicht erklären was mit ihm war und obwohl mehrere Tage vergingen, wachte er nicht auf. Nur seine Augenlider schienen immer wieder leicht zu flimmern, als wollte er ihnen versichern, dass er noch am Leben war. Während all dieser Zeit sprach G kein einziges Wort. Er beantwortete keine der vielen Fragen ganz gleich wer sie ihm stellte und verbrachte den ganzen Tag an Giottos Seite. Zunächst verweigerte er auch das essen und trinken, aber schließlich schaffte es Adriano ihn davon zu überzeugen, dass es nichts brachte, wenn er sich herunterhungerte. Giotto würde es nicht gefallen. Daraufhin begann G wenigstens ein wenig zu trinken und zu essen, auch wenn er noch immer nicht von der Seite seines Freundes wich, kaum schlief und sich weigerte zu sprechen.
 

Es dauerte eine ganze Woche, bis sich Giotto zum ersten Mal wirklich bewegte. G bemerkte es sofort.

„G-Giotto…?“ Fragte er mit unsicherer Stimme und griff nach der schmalen Hand seines Freundes. Es waren seine ersten Worte seit dem Unfall und seine Stimme klang rau und fremd, aber es kümmerte ihn nicht. Sein besorgter und schuldbewusster Blick blieb auf Giotto gerichtet, als dieser langsam die Augen öffnete. G spürte einen schmerzhaften Stich in seiner Brust und einen Moment war er zu schockiert um zu sprechen, denn wo die Augen seines Freundes einst in einem warmen blau gestrahlt hatten, glommen sie jetzt in einem unheimlichen orange. Dieser Blick schien kaum noch etwas Menschliches zu haben.

Der Rotschopf verkrampfte sich ein wenig, zwang sich jedoch den Blick nicht abzuwenden. Es war nicht nur die unglaubliche Intensität der neuen Farbe, die ihn so schockiert hatte, es war auch der Ausdruck, der sich so geändert hatte. Giottos Augen waren stets liebevoll und sanft gewesen, so wie der Himmel an einem Sommertag, den nichts trüben konnte. Diese neuen Augen jedoch zeugten von unglaublicher Kraft, als wären sie aus dem Feuer gemacht, dass Giotto beinahe verschlungen hätte und dennoch schienen sie ohne Emotion zu sein.

„G…?“ Fragte Giotto schwach und seine Augen wanderten suchend zum Gesicht seines Freundes.

„Ich bin hier.“ Beruhigte ihn G und strich ihm sanft über die Schulter, “willst du etwas trinken?”

„Ist … das meine Schuld?“

Giottos Blick war auf die zerschundene Haut im Gesicht seines Freundes gerichtet, wo das Feuer die Haut zerfressen hatte und Tränen standen in seinen ungewöhnlichen Augen.

„Es ist nicht deine Schuld, Giotto.”

Es schmerzte G, dass sein Freund sich selbst die Schuld zusprach, immerhin war das alles nur passiert, weil er ihn gedrängt hatte. Sanft strich er daher über die Stirn und die Haare seines leidenden Freundes und während Giotto still weinte schwor er sich, dass er immer für ihn da sein würde. Als Freund und als Beschützer. Was passiert war, mochte seine Schuld sein, aber von nun an würde er dafür sorgen, dass Giotto nie wieder etwas so tragisches geschehen würde.

Keeping earth in balance

Jahr 1870 [14]
 

Es dauerte ein paar Monate bis sich das Leben wieder normalisiert und sich alle Bewohner an die beunruhigenden Änderungen gewöhnt hatten. Ein mit Antonio befreundeter Seemann hatte G ein Tattoo gestochen, welches die Brandnarben des Vorfalls zum größten Teil verbarg. Für G waren diese roten Flammen ein Symbol, das ihn immer daran erinnern sollte, Giotto zur Seite zu stehen und ihn zu beschützen.

Es war ihnen zudem keine lange Ruhe vergönnt, da das ganze Umland nach und nach ins Chaos zu verfallen begann. Zunächst war es kaum zu bemerken, die Menschen aus der kleinen Stadt in der Nähe wurden lediglich ruhiger und verschlossener. Dann aber begann es zu eskalieren und Gewalt machte sich breit. Es bildeten sich kriminelle Banden, die die Ladeninhaber der Stadt unter Druck setzen und von ihnen Geld und Rabatte verlangten. Sollte sich jemand weigern, dann fielen am nächsten Tag Bandenmitglieder ein und zerschlugen alles was sie finden konnten. Zunächst waren die Beträge noch klein gewesen und die meisten der Bewohner hatten sie aus purer Angst bezahlt, aber mit der Zeit schossen die Beträge in utopische Höhen und um das Geld zusammen zu bekommen, konnten sich manche nicht einmal mehr Nahrungsmittel leisten.

Irgendwann hielt Giotto es nicht mehr aus nichts zu tun und begann den Bewohnern hier und da etwas zukommen zu lassen, da sein Großvater einige Ländereien besaß und sich über die Jahrzehnte einen gewissen Wohlstand erarbeitet hatte, gehörten sie selbst nicht zu den Betroffenen. Bislang hatte es noch niemand gewagt sie unter Druck zu setzen. Vermutlich war dies den zahlreichen Kontakten und dem Ruf seines Großvaters zu verdanken.

Eines Tages ließ Giotto darum auch vollkommen beabsichtigt eine Ration Lebensmittel bei einem Mann namens Paolo zurück. Begleitet von G war er gerade dabei wieder zu gehen, als ihm ein Beutel Münzen auffiel, der vorhin noch nicht hier gewesen war. Er musste dem Jungen gehören, der bis eben noch hier gewesen war. Giotto nahm den Beutel rasch an sich.

„Wir müssen ihn einholen.“ Erklärte er dann bestimmt und sofort nahmen die beiden die Verfolgung auf. Sie brauchten nur ein paar Straßen bevor sie den Rotschopf in der Ferne erkennen konnten.

„Hey, du! Mit den roten Haaren!“ rief Giotto ihm zu und versuchte noch immer ihn einzuholen.

Der Junge blieb stehen und wandte sich verwundert um, während Giotto etwas außer Atem vor ihm zum Stehen kam. Er nahm sich einen Moment, um seinen Atem zu beruhigen, bevor er weiter sprach.
 

„Du hast deinen Beutel vergessen. Wir haben ihn bei Paolo gefunden.“ Erklärte er rasch und hielt dem Jungen den Beutel hin. Dieser jedoch schien nicht sonderlich überrascht zu sein, stattdessen lächelte er leicht und sein Blick verharrte kurz auf dem Beutel, ehe er anfing zu sprechen.

„Ah, das ist schlecht… ich habe ihn absichtlich liegen lassen. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen, wie Paolo und seine Familie sich zu Tode hungern…“

Einen Moment herrschte Stille und Giotto betrachtete nun ebenfalls den Beutel in seiner Hand. Hatte er einen Fehler gemacht?

„Ich verstehe … das tut mir Leid … aber es gibt keinen Grund sich Sorgen über Paolos Familie zu machen. Wir haben das Essen das wir gekauft haben auch bei Paolo zurück gelassen.“

Auf diese Worte hin begann der Fremde breit zu grinsen, ehe er amüsiert zu Lachen begann. Sein Lachen war dabei so herzlich, dass sich Giotto sofort von ihm anstecken ließ.

„Ihr also auch?“ fragte er amüsiert, als er sich wieder beruhigt hatte.

“Ja.” Erwiderte Giotto mit einem ebenso breiten Grinsen.

“Ich bin Shimon Cozart.“ Der Fremde Junge reichte ihm seine Hand. „Ich besuche gerade meine Tante.“

„Ah, mein Großvater hat mir von deiner Familie erzählt.“ Erwiderte Giotto mit einem leichten Nicken, dann wies er auf den Jungen hinter sich. „Das ist mein Freund G. Mein Name ist Giotto.”

Dann schüttelte er leicht die Hand seines neuen Freundes.
 

Von diesem Zeitpunkt an kam Cozart oft zu Besuch und sie unternahmen ihre Ausflüge zu Dritt und versuchten dabei den Bewohnern der Stadt zu helfen ohne dass es zu auffällig wurde. Dann und wann malten sie sich ihre Zukunft aus. Wie sie alles verbessern konnten und die Welt an sich besser werden würde. Die meisten dieser Träumereien waren vollkommen unrealistisch und dennoch wurden sie nicht müde darüber zu sprechen.

Dies änderte sich jedoch rasch. Giotto war gerade auf dem Weg nach Hause, als er auf ein Paar aufmerksam wurde, dass am Straßenrand hektisch miteinander diskutierte, eine junge Frau eilte mit ihrem Kind über die Straßen und eine unheimliche Stille herrschte im Ort. Irgendetwas schien passiert zu sein und als Giotto den Namen Franco vernahm rutschte ihm das Herz in die Hose. Rasch änderte er sein Ziel und je näher er kam desto unwohler wurde ihm. Die Straßen waren wie ausgestorben und als Francos Laden in Sicht kam, wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. Von Francos Blumenladen war nicht mehr viel zu sehen, der Laden war vollkommen zerstört und es hatte sich schon eine Gruppe von Menschen versammelt. Mittlerweile hatte Giotto angefangen zu rennen.

„Wie geht es Franco?“ keuchte Giotto schließlich außer Atem und als er sich einen kurzen Überblick verschaffte bemerkte er, dass sowohl G als auch Cozart bereits anwesend waren.

„Nicht besonders gut.“ Erwiderte Cozart ziemlich beklemmt. „Sie haben die bedroht und die sind deshalb immer noch nicht aufgetaucht.“

„Wie ist Franco nur in das alles hineingeraten?!“ Für Giotto war es unbegreiflich. Wenn er jemanden in dieser Stadt kannte, der das nicht verdient hatte, dann war es Franco. Er war ein älterer Herr, der häufig von seinen Kinder und Enkel besucht wurde und trotz seines Alters noch immer wundervolle Blumen verkaufte. Stets grüßte er freundlich und man konnte sich auch gut mit ihm unterhalten.

„Er wollten ihnen keinen Rabatt von 90 Prozent geben…“ erklärte ihm nun G, der die Szene recht unzufrieden musterte.

„Was?!” fragte Giotto entsetzt. Ein Rabatt von 90% erschien ihm geradezu wahnsinnig. Kein Laden in dieser Stadt könnte eine solche Forderung stemmen und es wunderte ihn kaum, dass Franco nicht darauf eingegangen war. Was war nur aus dieser Stadt geworden, die er so liebte.

„Diese Stadt ist ein Paradies für Kriminelle. Sie bedrohen die Einwohner und nehmen ihnen ihr Geld weg. Wenn wir uns weigern, dann führt das nur zu weiterer Gewalt und auf die Polizei können wir uns auch nicht verlassen, die haben bereits aufgegeben.“

Cozart zog rasch die beiden weinenden Kinder in die Arme, bei denen es sich um Francos Enkel handelte und strich ihnen beruhigend über den Rücken. Ihre Eltern waren noch nicht eingetroffen, aber glücklicherweise war den beiden nichts passiert. Mit einer Mischung aus Trauer und Nachdenklichkeit hob Giotto eine der Rosen vom Boden, die diesen Angriff halbwegs überstanden zu haben schien.

„Ich liebe diese Stadt.“ Sagte er schließlich sehr leise, während sein Blick weiterhin fest auf die Rose gerichtet war. “Sie mag arm sein, aber sie scheint wie die Sonne. Ihre Bewohner sind glücklich und ich liebe ihr Lächeln.“

Dann allerdings änderte sich die Stimmung und Giottos Melancholie schien sich schon beinahe in Wut zu verwandeln. Auch wenn er äußerlich zunächst ruhig schien, so war das Brodeln unter der Oberfläche doch spürbar. Giotto schien aufgewühlt und er war sichtlich angespannt. „Nur still zu sein und dabei zuzusehen wie die Stadt immer mehr zerfällt. Das halte ich einfach nicht mehr aus.“

Sein Blick war noch immer auf die Blume gerichtet, während Cozart ihn einen Moment schweigend betrachtete.

„Eine Bürgerwehr …“ Schlug er dann nachdenklich vor.

Giotto sah irritiert auf.

„Eine Bürgerwehr?“

„Ja. Wenn uns niemand helfen kann, dann müssen wir diese Stadt eben selbst retten. Aber um das zu erreichen, brauchen wir einen starken Anführer, jemanden der mit Menschen umgehen kann. Wie der Himmel, der den Regen, den Sturm und selbst die Sonne umhüllt.“ Erklärte Cozart und sein Blick haftete auf seinem besten Freund.

„Es gibt niemand anderen der das tun kann als dich, Giotto.“
 

Nach diesem Tag begannen sie sich noch häufiger zu treffen und dabei konkrete Pläne für die Zukunft zu entwickeln. Cozart und G waren sich einig, dass nur Giotto diese Bürgerwehr anführen konnte und dieser hatte sich notgedrungen in sein Schicksal gefügt und die Führung übernommen. Während sie sich bislang damit begnügt hatten die Bewohner der Stadt zu unterstützen, so hatten sie nun eine wesentlich größere Aufgabe zu bewältigen. Sie mussten unter der Bevölkerung nach Verbündeten suchen, die bereit waren ohne eine Entlohnung für das Wohl der Stadt zu arbeiten. Dafür würden sie nicht nur eine Menge Kraft brauchen, sondern ihre Familien auch in den Fokus der Banditen rücken. Es stellte sich allerdings heraus, dass viele Bewohner sehr großes Vertrauen in Giotto zu haben schienen und daher zumindest bei dem Versuch helfen wollten sich gegen diese Willkür zur Wehr zu setzen.

Während sich Giotto vor allem mit der Organisation der Wachen beschäftigte, begleiteten Cozart und G die Trupps abwechselnd um selbst einen Überblick zu behalten. Dabei patrouillierten sie durch die Stadt und sobald sie etwas Verdächtiges oder Bedrohliches wahrnahmen wurden alle anderen Mitglieder der Bürgerwehr informiert, um sich zu sammeln. Sobald daher eine Bande in der Stadt war, konnten sie jederzeit direkt auf die Bedrohung reagieren. Bislang hatten sie damit wenige Probleme gehabt. Die Banditen waren überrascht gewesen auf so gut organisierten Widerstand zu treffen und hatten sich rasch zurückgezogen und auch wenn sich Giotto momentan Sorgen darüber machte, dass sie eventuell mit Verstärkung zurückkommen mochten, so hatten sie zumindest für eine kurze Dauer für Frieden gesorgt.

„Sag mal Giotto“ fragte Cozart bei einem ihrer Treffen. Es war das erste Treffen seit einiger Zeit und sie alle waren erschöpft von ihrer Arbeit. „Hast du mittlerweile über einen Namen für die Bürgerwehr nachgedacht?“

Giotto sah einen Moment nachdenklich aus, dann aber lächelte er leicht.

„Ja. Der Name wird Vongola sein. Eine Muschel, die mit ihrer harten Schale das schöne Kleinod in ihrem Inneren schützt.“ Erklärte er dann zuversichtlich.

„Ein guter Name.“ Bestätigte ihm Cozart mit einem zufriedenen Nicken und sie begannen über ein Wappen nachzudenken, dass sie benutzen konnten.

Es sollte sich jedoch alles anders entwickeln, denn noch am selben Tag erhielt Cozart einen dringenden Brief seiner Eltern, der ihn zurück rief und so musste er die kaum etablierte Bürgerwehr verlassen, um in seine Heimat zurückzukehren. Er versprach Giotto zwar mit ihm in Kontakt zu bleiben, aber dennoch sollte es viele Jahre dauern, bis sich ihre Wege erneut kreuzen sollten.

Drenched with rain

Jahr 1871 [15]
 

Cozarts Abschied hinterließ eine große Lücke in den Reihen der Bürgerwehr, die kaum gefüllt werden konnte. Giotto selbst war vorher äußerst selten auf Patrouille gewesen und hatte sich bevorzugt mit der Organisation befasst, aber nachdem Cozart fort war musste auch er sich an den direkten Konfrontationen beteiligen. Zu seinem Leidwesen hatte Giotto sich auch mit dem Umgang mit Waffen auseinander setzen müssen, denn so sehr er Auseinandersetzungen verabscheute, so unmöglich war es den Widerstand allein mit bloßer Willenskraft zu halten und der Einsatz seines kaum zu kontrollierenden Hyper-Modes wäre nicht zu verantworten gewesen. Giotto war bei weitem kein schlechter Schütze, ehrlich gesagt war G selbst überrascht gewesen, wie einfach es seinem Freund zu fallen schien, aber er zögerte zu lange. Einmal hätte ihm dieses Verhalten beinahe sein Leben kosten können. Die Einbuße an Kampfkraft war allerdings nicht das einzige, dass die noch junge Vongola zu verarbeiten hatte, denn Cozart hatte es mit seiner unbeschwerten Art immer geschafft Spannungen in der Gruppe abzubauen und die Moral der Mitglieder hochzuhalten. Weder G noch Giotto waren in der Lage ihm dies nachzutun.

Die größte Hilfe für die junge Organisation war Giottos Großvater. Allerdings war dieser nur wenige Tage nach Giottos fünfzehntem Geburtstag einem Fieber erlegen, woraufhin Giotto nur noch blasser und kränklicher geworden war. Die folgenden Wochen hatte Giotto kaum ein Wort gesprochen und G hatte ihn häufig auf sein Zimmer geschickt und stattdessen selbst den größten Teil der Arbeit übernommen. Erst nach zwei Monaten war Giotto wieder freiwillig aus seinem Zimmer gekommen und die folgende Woche hatte er damit verbracht alle Bilder abzuhängen und jegliche persönliche Gegenstände zu entfernen, die seinen Großeltern gehört hatten. Als G ihn danach fragte, begründete er es damit, dass er das Haus als Hauptquartier verwenden wollte und es daher nur hinderlich wäre, wenn ihn diese Dinge ständig an das erinnerten, was vergangen war.

Selbst zu dieser chaotischen Zeit hatte Giotto allerdings den Kontakt zu seinem japanischen Freund Asari Ugetsu beibehalten und so war es kein Wunder, dass er sich in einem Brief an ihn den Kummer und die Bedenken von der Seele schrieb, die ihn plagten. In Giottos Augen war es wichtig die Meinung eines Dritten zu Rate zu ziehen, der nicht mit den genauen Begebenheiten vertraut war und auf Asaris Rat legte er besonderen Wert. Durch die unterschiedlichen Kulturen in welchen sie aufgewachsen waren, hatte der Japaner eine gänzlich andere Sicht in Bezug auf viele Dinge des Lebens. Bislang hatte er Giottos Ideale und Ideen stets befürwortet und dennoch war sich Giotto unsicher, ob Gewalt letztlich das richtige Mittel sein konnte, um gegen Gewalt vorzugehen.
 

Giotto war gerade dabei einen neuen Brief für seinen Freund zu verfassen, als er ein energisches Klopfen an seiner Tür vernahm. Er seufze leise, dann erhob er sich jedoch von seinem Schreibtisch und lief die wenigen Meter bis zur Tür, um sie zu öffnen. Er war wenig überrascht, dass G vor ihm stand. Das Klopfen war deutlich gewesen und ebenso eindeutig war die schlechte Laune, die von ihm ausging. Neben ihm stand ein junger Mann, der kaum älter sein konnte, als G, ihm aber dennoch nicht unähnlicher sein konnte. Seine Kleidung war ebenso fremdartig, wie seine Gesichtszüge und auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln, als er Giotto in der Tür erblickt.

„Dieser Typ behauptet, dass er dich kennt und ihr befreundet seid.“ Knurrte G mit einem Tonfall, der erkennen ließ, dass er davon nicht besonders viel hielt.

Giottos Blick wandte sich wieder dem fremdartigen Mann zu und obwohl sie sich schon Jahre nicht mehr gesehen hatten, erkannte er ihn sofort.

„Asari. Es freut mich dich wieder zu sehen.“ Sagte Giotto mit einer Stimme, die seine Überraschung, aber auch seine Freude zum Ausdruck brachten und neigte leicht den Oberkörper, als wolle er eine Verbeugung andeuten.

G runzelte irritiert die Stirn.

„Es freut mich ebenfalls sehr, Giotto.“ Erwiderte der Fremde und verbeugte sich ebenfalls leicht. „Du bist gewachsen seit unserem letzten Zusammentreffen.“

„Und dennoch bist du immer noch größer, als ich.“ Giotto lächelte breit. Auch wenn er jünger war und vielleicht noch etwas wachsen würde, so war Asari beinahe zwei Köpfe größer und die Wahrscheinlichkeit, dass er das noch einholen würde, war eher zweifelhaft.

G räusperte sich, wie um auf sich aufmerksam zu machen und Giotto wandte seinen Blick wieder dem Rotschopf zu.

„Würde mich jemand aufklären?“ fragte er dann unverkennbar verärgert.

„Natürlich. G, das ist Asari Ugetsu. Er stammt aus Japan und ich habe ihn kennen gelernt, als er mit seinem Vater hier zu Besuch war. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben, auch wenn ich nicht wusste, dass er vor hat uns zu besuchen.“ Er wandte seinen fragenden Blick an ihren Gast. „Asari, das ist G, ich habe dir von ihm erzählt.“

Aus den Augenwinkeln behielt Giotto seinen besten Freund im Blick und erkannte, dass dieser wenig begeistert schien, dass der Fremde über ihn Bescheid zu wissen schien, während er im Unklaren gewesen war. Der Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte eine gewisse Verachtung, dennoch schien er sich zu beherrschen und verkniff sich eine Bemerkung.

„Dein letzter Brief hat mich nicht losgelassen, Giotto. Du schienst hier große Probleme zu haben und ich empfand es als meine Pflicht dir in einer Zeit wie dieser zur Seite zu stehen.“ Wieder deutete Asari eine leichte Verbeugung an, zog ein Schwert aus einer Scheide an seiner Seite und präsentierte es Giotto auf seinen Fingerspitzen. „Ich möchte dir darum meinen Dienst anbieten, solange dich diese Unruhen quälen.“

Giotto war die Überraschung deutlich anzusehen, als er die schimmernde Klinge betrachtete, doch schon nach wenigen Minuten machte sich Skepsis breit. „Ich … weiß, dass du es gut meinst, Asari, aber … denkst du nicht, dass ist etwas viel?“ fragte er etwas verunsichert nach.

Asari zögerte einen Moment, dann steckte er das Schwert wieder zurück.

„Dann möchte ich als dein Freund hierbleiben, um dich in dieser Zeit zu unterstützen.“ Bot er nun an und erwiderte ernst den Blick des Blondschopfs. Dieser zögerte einen Moment.

„Ich denke es wäre vermessen dieses Angebot auszuschlagen.“ Giottos Blick wanderte wieder zu dem Rotschopf in der Tür, der sich seinen Missmut noch immer anmerken ließ. „Solange du möchtest, kannst du hier im Haus wohnen. Wir haben heute Abend ein Treffen mit ein paar Mitgliedern der Bürgerwehr, dort werden wir dich in die aktuellen Pläne einweisen. Giorgia wird dir eines der Gästezimmer herrichten. Wenn du möchtest, dann kannst du es während deiner Anwesenheit hier auch gerne an deine Bedürfnisse anpassen.“

„Danke. Das ist mehr als genug.“ Erwiderte Asari dankbar. „Ich denke ihr habt noch einiges zu besprechen, ich werde das Mädchen aufsuchen. Giotto, wir unterhalten uns später.“ Und mit diesen Worten kehrte ihnen Asari den Rücken zu und folgte der Treppe hinunter, um sich bezüglich seines Zimmers an Giorgia zu wenden.

Giotto wandte seinen Blick nun wieder seinem besten Freund zu, der noch immer schweigend in der Tür stand, dem Japaner allerdings mit einem äußerst unzufriedenen Gesichtsausdruck nachsah.

„Bitte komm kurz herein, G.“ bat ihn Giotto darum und trat einen Schritt zur Seite, sodass G an ihm vorbei in das Arbeitszimmer eintreten konnte. Anschließend schloss er die Tür.

„Was willst du mit ihm? Er kann doch überhaupt nicht nachvollziehen, was sich hier abspielt.“ Schimpfte G, kaum dass die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war und verschränkte die Arme vor der Brust, während er seinen Freund anschuldigend betrachtete.

Giotto zögerte einen Moment.

„G. Ich weiß, dass du nicht sonderlich viel davon hälst Fremde in diese Sache hineinzuziehen, aber du weißt selbst, dass wir im Moment jede Hilfe gebrauchen können.“ Wandte Giotto dagegen ein und versuchte an die Vernunft zu appellieren. „Asari ist ein guter Freund von mir und er ist ein guter Kämpfer. Ich denke er wäre uns von großer Hilfe.“

Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte ihm G widersprechen, dann allerdings seufzte er nur leise und rieb sich mit einer Hand über die Schläfe.

„Ist er vertrauenswürdig?“ fragte er nur knapp.

Giotto nickte. „Ja, das ist er.“

„Es ist deine Entscheidung, Giotto. Du bist der Boss und du solltest anfangen dich daran zu gewöhnen, dass du letztlich deine Entscheidungen selbst treffen musst.“ G schien ungewohnt ernst. „Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir einige Dinge ändern. Du bist für alle nur Giotto, der Junge der sie alle zusammen hält, aber du bist wesentlich mehr als nur das. Du bist der Anführer der Vongola und die wächst mit jedem Tag.“ Noch immer war sein Blick auf den Blondschopf gerichtet, der nicht nur wesentlich kleiner war als er, sondern auch wesentlich schmäler. „Von heute ab wirst du nicht mehr nur Giotto sein, sondern Vongola Primo. Der erste Anführer der Vongola.“

Der Ausdruck auf Giottos Gesicht ließ sich wohl am besten mit Fassungslosigkeit beschreiben. Seine Augen waren geweitet und sein Mund vor Überraschung leicht geöffnet.

„Was … sagst du da, G?“ fragte er schließlich mit kaum hörbarer Stimme.

„Ich denke als die Person, die dir am nächsten steht, ist es meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass dir der nötige Respekt entgegen gebracht wird. Dabei sollte ich damit anfangen dich selbst mit diesem Respekt zu behandeln. Ich … werde dir weiterhin zur Seite stehen und ich werde dir auch Rat geben, wenn du ihn möchtest, aber ich werde mich nicht mehr in deine Entscheidungen einmischen … Primo.“

Giottos orangefarbenen Augen sahen gequält zu ihm hoch und G musste seine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen, um seinem Blick nicht auszuweichen oder ihn einfach in die Arme zu schließen.

„Ist … das alles was du zu sagen hast?“ fragte Giotto heiser.

Noch immer wandte G den Blick nicht ab. „Ja, das ist alles.“

Giotto sah ihn noch einen Moment an, dann nickte er mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen.

„Ich verstehe. Vielen Dank, G.“
 

In den folgenden Tagen sollte sich zeigen, dass ihnen Asari eine große Hilfe war. Er hatte sich schnell an die örtlichen Gegebenheiten angepasst und seine Art kam bei den jungen Leuten in der Bürgerwehr gut an. Häufig erzählte er den Sizilianern von Japan und ein paar einzelne Burschen ließen sich von ihm sogar einige Kampftechniken und japanische Phrasen beibringen. Zu Gs Unmut gehörte auch Giotto zu diesen Personen. Es störte ihn nicht, dass Giotto sich im Kampf schulen ließ, auch wenn er sich sicher war, dass eine Pistole dem Stil des Japaners eindeutig vorzuziehen war, aber dass sich Giotto auch in Japanisch unterweisen ließ hielt er für ziemlich unsinnig. Sie hatten auch so schon genug zu tun und er hätte bevorzugt, dass sich sein Boss nur auf die Arbeit für die Vongola konzentrieren würde.
 

„Ich denke das war dann alles für heute.“ Giotto erhob sich von seinem Platz am Tisch und rieb sich erschöpft die Augen. Er war unverkennbar übermüdet. Vor einigen Tagen hatten sie einen großen Fehlschlag hinnehmen müssen, da einer der Banditen mit einer größeren Truppe aus Palermoweite zurückgekehrt war, als sie erwartet hatten. Es war ihnen unglaublich schwer gefallen die Stadt zu halten und die Gruppe zurückzuschlagen. Giotto selbst war die ganze Zeit dabei gewesen, während Asari und G erst nachgekommen waren. Dennoch hatte sich ihr Anführer geweigert seine besonderen Fähigkeiten zu ihrem Nutzen einzusetzen, sondern hatte wie alle anderen Kämpfer zu den üblichen Mitteln gegriffen. Bis G und Asari mit weiteren Kämpfern nachgekommen waren, war die Bürgerwehr in der Unterzahl und dazu noch deutlich schwächer gewesen. Nachdem die Kämpfe sich gelegt hatten, waren zwei ihrer Mitglieder bereits tödlich verletzt worden und Giotto war einfach nur bei ihnen gewesen. Geschockt und im ersten Moment kaum ansprechbar. Einige Zeit lang hatte er sich sogar geweigert auch nur von ihrer Seite zu weichen. Die beiden Männer waren kaum älter gewesen als er selbst und beide hatten sie trauernde Familien hinterlassen.

Seit dieser Tragöde hatte sich Giottos Zustand mit jedem Tag verschlechtert, sodass er sich mittlerweile kaum noch selbstständig auf den Beinen halten konnte. Er schien kaum zu schlafen und noch weniger brachte man ihn dazu zu essen. Was er zu sich nahm, war gerade so viel, dass er nicht verhungerte.

„Ich werde mich für heute wohl zurückziehen. Ihr wisst wo ihr mich finden könnt, wenn noch etwas sein sollte.“ Erklärte er dann seinen beiden Freunden und nachdem er sicher sein konnte, dass kein Einspruch kommen würde verließ er den Raum.

Einen Moment herrschte Stille und die beiden sahen nachdenklich ihrem Boss nach, dann ergriff Asari das Wort.

„Allmählich mache ich mir wirklich Sorgen um ihn.“ Sagte er und betrachtete noch immer die Tür. „Es erscheint im Moment mehr tot als lebendig.“

G schwieg noch einen Moment, dann allerdings wandte er seinen Blick in Richtung Asari und ungewöhnlicher Weise schien er sich über diese Ausdrucksweise nicht beschweren zu wollen.

„Es ist wegen Fabio und Marcello … “ erklärte er schließlich ungewohnt ruhig.

„Das … waren die beiden jungen Männer, nehme ich an?“ hakte Asari nach.

G nickte. „Ich bin mir sicher, dass Primo sich selbst die Schuld an ihrem Tod gibt. Als wir die Vongola gegründet hatten war er derjenige gewesen, der sie gefragt hat, ob sie ebenfalls helfen wollen. Das sie jetzt tot sind muss ihn schwer getroffen haben…“

Asaris Blick wanderte nun zu G und noch immer sah er recht nachdenklich aus. „Es muss wirklich sehr schwer für ihn sein. Vielleicht … sollten wir versuchen ihm etwas abzunehmen?“

Der Rotschopf sah etwas skeptisch zu seinem Kameraden. Einen Moment zögerte er noch, dann jedoch nickte er leicht. „Wir sollten versuchen diese Gangster zu finden und unschädlich zu machen. Ich bin sicher, dass es Primo beruhigen wird, wenn er weiß, dass dieses Gesindel niemandem mehr weh tun wird.“

„Wo sollen wir mit der Suche beginnen?“ fragte Asari und eine Spur Unsicherheit klang in seiner Stimme mit. Offensichtlich war er nicht allzu sicher, dass sie bereits genügend Anhaltspunkte hatten.

G betrachtete einen Moment die Berichte, die über den ganzen Tisch zerstreut lagen.

„Ich denke ich habe da eine Ahnung. Lass uns direkt nach Palermo gehen.“
 

„Bist du dir sicher, dass dies der richtige Weg ist?“

Asari schien deutlich skeptisch zu sein, was so gar nicht zu seiner gewohnten Art zu passen schien. Allerdings bewegten sie sich üblicherweise auch nicht durch Gegenden wie diese. Asari war sich sicher, dass es nicht sehr schwer war hier einen Kriminellen zu finden. Das ganze Viertel schien nur aus Banditen, Dieben, Huren und Bettlern zu bestehen. Eindeutig das richtige Milieu für das brutale Gesindel, das sich auch andernorts immer wieder allzu deutlich bemerkbar machte. G hatte ihn bereits vorgewarnt, dass sie hier keinerlei Freundlichkeit zu erwarten hatten und dennoch waren sie ohne Verstärkung gekommen. Ihre Waffen hatten sie unter eher abgewetzten und abgetragenen Kleidungsstücken versteckt und beide trugen einen Hut mit breiter Krempe, um jegliche unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden.

„Ich bin mit vollkommen sicher.“ erwiderte G nur harsch und ging weiter stur seines Weges.

Anfangs war Asari verwundert gewesen, denn G schien hier unglaublich vertraut zu sein. Er wandelte durch die Straßen und ging dabei jeglichen Streitigkeiten aus dem Weg. Es war ganz so, als wäre er äußerst vertraut mit diesem Labyrinth aus Straßen. Nun, andererseits wusste Asari auch nicht sonderlich viel über den Rotschopf und so hatte er darauf verzichtet ihn deshalb zu befragen, sondern folgte schlicht seinen schnellen Schritten.

„Hey! Ihr da!“ erklang plötzlich eine Stimme hinter ihnen.

Weder G noch Asari reagierten auf diesen Ausruf. Ganz so als hätten sie nichts gehört, setzten sie ihren Weg fort.

„Ey! Bleibt sofort stehen oder ich schieße!“

Erneut wurde die Warnung ignoriert und ein Schuss war zu hören. Sofort war es still auf der eigentlich so belebten Straße. Zahlreiche Passanten wichen an den Rand der Straße zurück und einige flüchteten in die anliegenden Gassen.

„Na also! Geht doch! Und jetzt nehmt ihr mal schön die Hüte ab und sagt mir, wer ihr seid und was ihr hier wollte!“

Sie drehten sich auf der Stelle. Ihnen gegenüber stand ein Mann mittleren Alters, die Pistole auf sie gerichtet. Sein schwarzes Haar war von einzelnen grauen Strähnen durchzogen und nach hinten gekämmt worden. Neben ihm stellten sich bereits weitere Männer auf. Es war offensichtlich, dass sie sich für einen Kampf bereit machten.

G knurrte leise und Asari warf ihm einen aufmerksamen Blick zu.

„Sollten wir versuchen ihren Wünschen zu entsprechen?“ fragte er dann so leise, dass nur G ihn hören konnte.

„Che. Dieser Kram würde doch beim Kämpfen eh nur stören.“ Erwiderte dieser verächtlich.

Verärgert riss er sich den Hut vom Kopf, streifte auch seinen Mantel ab und zückte noch in derselben Bewegung seine eigene Waffe. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Asari es ihm gleich getan hatte und ebenfalls bereit für einen Kampf war. Mittlerweile war die Straße geradezu ausgestorben. Jeder der nicht unmittelbar mit dieser Auseinandersetzung zu tun hatte schien sich vom Acker gemacht zu haben. Umso besser. Primo würde es nicht gut heißen, wenn sie Unschuldige mit in diese Sache hineinzogen.

„Na da sind uns ja ein paar merkwürdige Vögel ins Netz gegangen.“ Spottete ihr Gegner und in der Tat musste ihre Erscheinung äußerst merkwürdig wirken. Als Asiate war schon allein Asari auffällig genug, aber Gs rotes Haar und das großflächige Tattoo machten es nicht besser.

„Jetzt würde mich nur interessieren, was diese Vögel hier machen.“

„Wir sind wegen einer Sache in Trappeto hier.“ Erwiderte G direkt.

„Ah, Trappeto … ihr gehört zu dieser Möchtegern-Schutztruppe.“ Er begann zu lachen und die Männer neben ihm stimmten mit ein. Dann allerdings verstummten sie.

„Bringt mir ihre Köpfe.“ Befahl er dann mit einem breiten Grinsen.

G und Asari machten sich gerade dazu bereit die Kämpfer abzuwerhen, als orangene Flammen vor ihnen aufloderten und in den Flammen stand ein schmaler Junge mit strohblonden Haaren.

„Primo…“ murmelte G.

„G … Asari … das reicht … geht zurück nach Hause.“ Sagte der Blondschopf mit einer unglaublich sanften Stimme. Gleichzeitig schien er die Männer hinter sich vollkommen zu ignorieren.

„Das sind die Leute, die für das Chaos verantwortlich sind, Primo.“ murrte G im Gegenzug und ließ die Gegner nicht aus den Augen.

„G. Das war keine Bitte … Ich möchte, dass ihr Palermo auf der Stelle verlasst.“ Erwiderte Giotto nun mit fester Stimme, den Rücken noch immer seinen Gegnern zugewandt.

„Schön.“ Knurrte G nun und wandte sich zum Gehen.

„Bitte passe auf dich auf, Primo.“ Seufzte Asari leise und verschwand ebenfalls.

„Hey! Kleiner! So war das aber nicht abgemacht.“ Rief nun der Anführer der Männer, der es wohl nicht gewohnt war, dass man ihn so einfach überging und im nächsten Augenblick war ein Schuss zu hören.

Blitzschnell drehte sich Giotto um und die Kugel wurde von einer orangenen Flamme umgeben und fiel nutzlos zu Boden.

„Ich denke dies ist nicht der richtige Zeitpunkt.“ Sagte er dann leise und behielt die Gruppe genau im Blick, „ich gehe mit meinen Leuten zurück nach Trappeto. Allerdings … möchte ich im Gegenzug darum bitten, dass ihr es unterlasst eure Männer dorthin zu schicken.“

Sein Blick war fest auf den Anführer der Bande gerichtet und an seinen Händen loderten noch immer Flammen, bereit jede Kugel abzufangen.

„Wir werden uns wieder sehen.“ Knurrte sein Gegenüber nur. „Und jetzt verschwinde.“

„Das werden wir.“ Erwiderte Giotto leise und wandte sich ebenfalls ab.
 

G klopfte nervös auf den Tisch. Primo hatte ihn für seinen Alleingang nicht zurecht gewiesen, nein im Gegenteil, er hatte gar nichts dazu gesagt. Auch nicht gegenüber Asari, was es nur noch unangenehmer machte. Er war sich sicher, dass Giotto dieses Verhalten nicht gut hieß. Sie hatten sich immerhin in dem Wissen nach Palermo begeben, dass sie dort keine gern gesehenen Gäste waren.

Er seufzte leise.

„Hey. Primo.“ Murrte er dann genervt, „kannst du nicht einfach sagen, dass das alles eine bescheuerte Idee war?!“

Auf diese Worte hin hob Giotto den Blick. Dann neigte er den Kopf leicht zur Seite und betrachtete seinen Freund verständnislos. Diese Geste ließ ihn für einen Moment noch mehr wie das Kind wirken, dass er in seinem Inneren wohl noch immer war.

„Weshalb sollte ich das tun?“ fragte er dann ernst, „Ich hatte es euch nicht untersagt und ihr hieltet es für eine gute Idee. Daher … habe ich wohl nicht das Recht euch dieses Verhalten vorzuwerfen.“

G gab einen unzufriedenen Laut von sich.

„Was für ein Schwachsinn. Es war pures Glück, dass es nicht zu einem Kampf gekommen ist bei dem jemand verletzt worden wäre.“

„Ja, das weiß ich.“ Giotto wandte sich wieder den Schriftstücken auf dem Tisch zu, aber es war kein Hauch von Wut zu bemerken.

Dieses Verhalten wiederum verärgerte G nur umso mehr und er schlug mit der Hand auf den Tisch.

„Wie kannst du das dann alles so einfach hinnehmen?!“

„G … bitte lass es gut sein.“

„Das kann ich aber nicht! Mit dir stimmt doch etwas nicht!“

Innerhalb von Sekunden war G von seinem Stuhl aufgestanden, überwand die Entfernung zu seinem Boss. Dann griff er nach dessen schmalen Schultern und begann ihn zu schütteln. Ganz so als wollte er ihn aus dem Schlaf holen.

„Seit wann ist dir das alles so egal?!“ Gs Stimme wurde beinahe verzweifelt.

Für einen Moment schwieg Giotto und wich nur seinem Blick aus.

„G, bitte … ich versuche zu arbeiten. Es wäre angebracht, wenn du nun mein Büro verlässt.”

Gs Wut war vom einen auf den anderen Moment verschwunden und machte nur purer Verzweiflung Platz. Sein Blick fassungslos auf den blonden Jungen gerichtet, bevor er die Hände wieder von ihm löste.

„Natürlich, Primo.“ erwiderte er mit ungewohnt kühler Stimme. Dann wandte er sich ab und schloss die Tür beinahe lautlos hinter sich.
 

Zwei Tage später tönte ein lautes Klopfen durch Giottos Büro. Allerdings kam er nicht einmal mehr dazu seinen Gast hereinzulassen, denn schon wurde die Tür geöffnet und ein deutlich angespannter G trat ein. Giotto sah ihn verwundert an. Immerhin war es doch so gar nicht Gs Art einfach in sein Büro zu stürmen.

„Primo, wir haben ein Problem.“ Erklärte er sich dann rasch und schloss die Tür wieder hinter sich.

„Was denn für ein Problem, G?“ fragte Giotto nun und erhob sich rasch von seinem Platz, um seiner rechten Hand entgegen zu kommen.

„Wir haben Besuch. Giulia hat sie in den Salon gebracht, aber sie wollen umgehend mit dir sprechen.“

„Würdest du mir auch sagen, wieso dieser Besuch für uns Ärger bedeutet?“ Giotto sah seinen besten Freund immernoch deutlich verwirrt an.

G seufzte leise. „Die Polizei.“

Auf diese Worte hin sah ihn Giotto deutlich überrascht an.

„Aber … was will denn die Polizei hier? Sind sie wegen der Diebesbanden hier?“

G gab einen verächtlichen Laut von sich.

„Als ob. Sie verdächtigen dich der Anführer einer kriminellen Organisation zu sein. Es … ist eher ein Verhör.“

Für einen Moment zögerte Giotto, dann jedoch nickte er leicht.

„Ich verstehe. Wir sollten sie nicht warten lassen.“

Innerhalb weniger Minuten hatten sie die Treppe hinter sich gelassen und betraten den Salon. Auf einem der Sofas saß ein düster aussehender Polizist und hinter ihm standen zwei weitere. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen ließ sich Giotto auf dem Sofa gegenüber nieder und sofort bemerkt er, wie G sich hinter ihn stellte. Seine Hyperintuition verriet ihm, dass die Polizisten ihm nicht wohlgesonnen waren, allerdings war ihm auch bewusst, dass sie ihm ohne Beweise nichts tun konnten und so schlug er die Beine übereinander und verschränkte seine Finger.

„Sie wollten mich sprechen?“ fragte er dann mit seiner gewohnt sanften Stimme.

„Giotto Loredano nehme ich an?”

Einer der drei Polizisten wandte sich direkt an ihn und warf ihm einen missmutigen Blick zu.

„Ich nehme an sie wissen weshalb wir hier sind?“

Aus dem Augenwinkel bemerkte Giotto wie sich G anspannte.

„Nun,“ begann er dann leise, „ich nehme an sie sind hier, um bezüglich dieser Diebesbanden Nachforschungen anzustellen?“

Es war offensichtlich nicht das gewesen, was die Polizisten sich erhofft hatten. Vermutlich hatten sie gedacht, dies würde eine einfache Sache werden, da er gerade einmal fünfzehn Jahre alt war. Sie mochten gehofft haben, dass er nur stammeln würde und unter ihren scharfen Augen rasch alles sagte, was sie von ihm hören wollte, aber er würde es ihnen nicht so einfach machen. Weder als er selbst, noch als Primo hatte er sich kriminelle Handlungen vorzuwerfen. Er hatte lediglich die Menschen verteidigt, die ihm wichtig waren. Etwas wozu die Polizisten nicht in der Lage zu sein schienen.

„Wir sind hier bezüglich ihrer kriminellen Handlungen.” Erwiderte der missmutige Polizist mit scharfer Stimme.

Giotto lächelte ihn nur weiter an. “Ich weiß nicht wovon sie sprechen.”

Die beiden Polizisten im Hintergrund warfen sich einen kurzen Blick zu und Giotto bemerkte sofort, dass sie verunsichert waren.

„Sie wissen genau wovon ich spreche. Andere mögen sie mit ihrem Alter und ihrem unschuldigen Getue täuschen, aber das gilt nicht für mich.”

Für einen Moment zögerte Giotto, allerdings ließ er sein Gegenüber nicht aus dem Blick.

„Wenn Sie weiter nichts gegen mich vorzubringen haben, dann möchte ich Sie jetzt bitten dieses Anwesen zu verlassen.“ Erwiderte er dann mit leiser, aber vollkommen ruhiger Stimme. Es war unklug sich mit diesen Leuten anzulegen und er wollte sie nicht verärgern, aber diese Diskussion würde sie auch nicht weiterbringen. Er konnte die Vorwürfe nicht widerlegen und seine Absichten mochten richtig sein, aber was kümmerte es jemanden. Genauso wenig wie die Überfälle auf das Dorf, die ihn zu diesem Verhalten veranlasst hatten.

Der Polizist gab einen unzufriedenen Laut von sich, dann wanderte sein Blick zu G und für einen Moment schien er abzuschätzen, ob er eine Chance hatte.

„Schön. Wir sprechen uns wieder, Giotto Loredano.“ Knurrte er dann und mit diesen Worten erhob er sich von dem Sofa und zusammen mit den Anderen verließ er den Salon.

Kaum war die Tür wieder hinter ihnen zugefallen, seufzte Giotto leise und im nächsten Moment bemerkte er, wie G ihm leicht durch die Haare wuschelte. Eine ungewohnte Geste, die er allerdings öfter an den Tag gelegt hatte, als sie noch jünger gewesen waren.

„Mach dir keinen Kopf.“ Sagte er dann leise. „Die Polizei wird für uns kein Problem werden.“

„Ich hoffe, dass du Recht behälst, G.“

The sun shines bright

Jahr 1873 [17]
 

“Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee war.“

Giotto betrachtete das Glas vor sich mit äußerster Skepsis. Natürlich war es kein Verbrechen sich in eine Taverne zu setzen und etwas zu trinken, aber im Moment kam es ihm unglaublich falsch vor. Seitdem er die Leitung der Vongola übernommen hatte, hatte er sich eine solche Auszeit nicht gegönnt und auch jetzt empfand er es als wenig hilfreich. Er war einfach zu angespannt und da war diese wohl gutgemeinte Pause doch eher fehl am Platz. Dennoch hatte er nicht verhindern können, dass G und Asari ihn weggeschickt hatten. Er solle sich etwas Spaß gönnen. Am liebsten wollte er lachen, aber selbst danach war ihm nicht. Stattdessen begnügte er sich damit, dass Glas vor sich nachdenklich anzustarren, ganz so als könne es ihm eine Antwort geben. Ob es wohl reichen würde, wenn er nach diesem Glas wieder zurückging? Giotto fragte sich, wann er verlernt hatte, an etwas gefallen zu finden, dass er nicht tun musste. Es war ihm früher so einfach gefallen sich zu beschäftigen und es hatte so viele Dinge zu erkunden gegeben. Mittlerweile schien so vieles seinen Reiz verloren zu haben. Die Menschen hier sahen ihn mit anderen Augen, nicht als einen der ihren, sondern vielmehr als ihren Anführer und ihr Vorbild. Es gab hier niemanden, mit dem er ein persönliches Gespräch führen konnte. Niemanden, dem er seine Sorgen oder Ängste anvertrauen könnte. Es würde die anderen lediglich demotivieren, wenn er ihr Bild vom perfekten Anführer zerstören würde und eingestehen würde, dass auch er seine Fehler hatte. Selbst das Meer, das ihn so viele Jahre fasziniert hatte, schien seinen Reiz zu verlieren, nun da er wusste, dass er wohl niemals die Länder dahinter erkunden würde. Zu wichtig war die Verantwortung, die man ihm hier übertragen hatte.

Giotto seufzte leise. Er überlegte gerade, ob er wohl lange genug fort gewesen war, um wieder nach Hause zurückzukehren, als er etwas Ungewöhnliches bemerkte. Obwohl er mit dem Rücken zur Tür saß, konnte er spüren, wie ein Fremder in den Raum trat. Im Gegensatz zu den anderen Gästen, schien seine Präsenz wesentlich klarer zu sein und auf irgendeine Weise erinnerte ihn dieses Gefühl an G und Asari. Auch sie hatten diese Art von Präsenz, die sie irgendwie von den anderen Menschen abhob. Es war ein wenig, als wäre jeder Mensch eine kleine Kerze, aber diese Menschen schienen eher eine Art Lagerfeuer zu sein. Neugierig wandte er sich darum um und sein Blick streifte einen großen, in schwarz gekleideten jungen Mann. Es hätte Giottos Hyperintuition nicht bedurft, um zu bemerken, dass der Mann hier fremd war. Die Art der Kleidung die er trug, die Art wie er sich bewegte und wie er suchend durch den Raum blickte. Alles ließ darauf schließen, dass er zum ersten Mal hier war.

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und Giotto lächelte instinktiv. Er hatte schon lange aufgegeben, eine Erklärung dafür zu suchen, weshalb ihm manche Menschen vom ersten Blick sympathisch oder unsympathisch erschienen. Stattdessen gedachte er, diese Chance zu nutzen, um mit dem Fremden ins Gespräch zu kommen. Dieser kam der schweigenden Einladung nach und setzte sich auf den freien Stuhl neben ihm, ehe er sich zu ihm drehte und ihm ein kurzes Grinsen schenkte, dann bestellte er sich in einem recht akzentbelasteten italienisch etwas zu trinken.

Giotto zögerte noch einen Moment, dann aber beschloss er den jungen Mann anzusprechen.

„Guten Tag.“ grüßte er zunächst höflich.

„Guten Tag.“ grüßte auch der Fremde zurück und nachdem er sein Glas hatte, drehte er sich weiter zu ihm herum. Er schien einem Gespräch nicht abneigt.

„Man nennt mich Knuckle.“ Stellte er sich dann vor und hielt ihm eine Hand hin. Giotto ergriff sie rasch und schüttelte sie.

„Mein Name ist Giotto.“ Stellte sich nun der Blondschopf vor. „Verzeihung, wenn das neugierig wirkt, aber du bist nicht von hier, oder?“

Knuckle lachte amüsiert.

„Nein, das bin ich nicht. Ich komme aus London, aber eigentlich bin ich nur auf der Durchreise. Auch wenn es mir hier in der Gegend doch recht gut gefällt.“ Erzählte er ihm ohne zu Zögern. „Ich bin auf der Reise nach Afrika aus … nun ja, eher beruflichen Gründen.“

Giotto lächelte noch immer. „Welche Art von Geschäfte führt jemanden nach Afrika? Du scheinst kein Händler zu sein.“

Knuckle nickte rasch und trank einen großen Schluck Wein. „Ja, das ist richtig. Ich gehöre zur Kirche der Anglikaner und ich möchte nach Afrika, um als Missionar zu arbeiten. Es gibt da einige Dinge, die ich wieder gutmachen muss und das scheint mit der richtige Weg zu sein.“

„Tatsächlich?“ fragte Giotto fasziniert. „Denkst du es wäre möglich, dass du deine Reise erst in ein paar Tagen fortsetzt? Es gibt so viele Dinge über die ich gerne mit dir sprechen möchte, aber ich denke, dass hier nicht der richtige Ort dafür ist. Du könntest natürlich in meinem Haus unterkommen und ich würde auch für die Verpflegung aufkommen.“

Für einen Moment schien ihn Knuckle ebenso fasziniert zu betrachten. „Ich würde sehr gerne noch ein paar Tage bleiben. Ich bin sicher, dass mir die Arbeit in Afrika nicht wegläuft.“
 

„Ein Anglikaner?“ G schien außer sich. „Was schleppst du als nächstes an, Giotto? Einen buddhistischen Mönch? Oder gleich einen Massenmörder? Du kannst doch nicht jeden mit hierher bringen, nur weil dir sein Gesicht gefällt!”

Giotto seufzte leise und legte ein Papier zur Seite.

„Weshalb regst du dich so auf, G? Es ist nicht einmal so, als wärst du sonderlich gläubig. Außerdem sprichst du von meinem Gast.“

„Und trotzdem, was macht das bitte für einen Eindruck?“ knurrte der Rotschopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick blieb an seinem besten Freund haften, während er auf eine Erklärung wartete. Damals, als Giotto darauf bestanden hatte, Asari mit in ihre Organisation aufzunehmen, hatte er sich geschlagen gegeben, immerhin hatte es sich um einen Freund gehandelt, aber dieses Mal handelte es sich um einen vollkommen Fremden über den sie absolut nichts wussten.

„Ich möchte, dass er bleibt, G. Ich … denke, dass er etwas hat, dass uns fehlt.“ Erwiderte Giotto schlicht und sah nun das erste Mal auf. „Ich kann es nicht in Worte fassen, aber er … besitzt eine Art Energie … und ich denke, dass diese Energie unseren Leuten gut tun würde.“

Nun sah G ihn beinahe verwirrt an. „Du hast ihn doch nicht etwa schon gefragt, ob er bleiben will?“

Giotto schenkte ihm einen dieser überaus sanften Blicke, dann aber schüttelte er den Kopf.

„Nein, das habe ich nicht.“

Einen Moment schien G etwas sagen zu wollen, dann allerdings hielt er inne. „Und … weshalb führen wir dann überhaupt diese Diskussion? Vielleicht will er ja nicht einmal bleiben. Was für eine Verschwendung von Zeit.“

Giotto allerdings betrachtete ihn daraufhin mit diesem merkwürdigen Lächeln, das einem immer wieder das Gefühl gab, dass er etwas wusste, was außer ihm niemand wissen konnte. „Weil ich weiß, dass er bleiben wird.“

G schüttelte den Kopf und betrachtete seinen Boss abschätzend. „Ich halte ja wirklich viel von deinen Fähigkeiten, Giotto, aber du bist kein Wahrsager.“

„Nein.“ erwiderte Giotto leise. “Ich bin kein Wahrsager, aber es ist so ein Gefühl. Sein Platz ist hier bei uns und ich weiß, dass er das auch spüren kann.“

G rollte mit den Augen. „Na schön. Mach was immer du willst. Du hörst ja ohnehin nicht auf mich. Aber wenn sich das alles zu einem Desaster entwickelt, dann weißt du ja, dass ich von Anfang an dagegen war.“

A crest on her cheek

Jahr 1874 [18]
 

Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn aufsehen, allerdings kam Giotto nicht mehr dazu den Besucher hereinzubitten, da wurde die Tür schon geöffnet und ein großer dunkelhaariger Mann trat ein.

Knuckle schloss die Tür hinter sich und kam ihm ein paar Schritte entgegen. Einen Moment betrachtete Giotto ihn nachdenklich und dachte darüber nach, wie ungewohnt es noch immer war, dass der Priester nun tatsächlich geblieben war, um für die Vongola zu arbeiten. Natürlich hatte er darum gebeten, dass man ihn aus direkten Konflikten heraushielt, aber er hatte sich als überaus wertvoll erwiesen, was die Moral in der Gruppe anging. Zusammen mit Asari schaffte er es doch immer wieder, sie die Kämpfe und Unsicherheiten vergessen zu lassen. Selbst die anfängliche Skepsis gegenüber seiner Religion hatte sich mittlerweile zerstreut, auch wenn Giotto daran nicht gänzlich unschuldig war. Immerhin war er es gewesen, der darum gebeten hatte, dass man ihm erklären möchte, weshalb es einen Unterschied machte, zu welcher Kirche man gehörte, wenn doch alle dem gleichen Gott dienen würden. Es hatte ihm niemand eine Antwort geben können und eigentlich hatte er es auch nicht erwartet. Zumal Asari sich eher dem Shintoismus zugehörig fühlte und G sämtliche Religionen für groben Unfug hielt und auch er selbst war nicht sonderlich an der Kirche interessiert.

„Primo. Es tut mir Leid, dass ich dich störe, aber wir haben einen Gast, der explizit nach dir verlangt.“ Erklärte Knuckle nun. „Asari hat sie in den Salon gebracht, aber ich denke es wäre gut, wenn man sich sofort darum kümmern würde.“

Giotto blickte einen Moment überrascht drein. Es war unüblich geworden, dass er sich selbst um Besuch kümmerte. Dass man ihn nun um ein sofortiges Treffen bat, machte ihn beinahe nervös. Wer auch immer dort unten auf ihn wartete, schien einen wichtigen Anlass zu haben.

Darum nickte er rasch und legte seine Feder auf den Tisch zurück. „Ich komme sofort.“

Er erhob sich von seinem Schreibtisch und folgte Knuckle rasch zur Tür hinaus. Dann stiegen sie die Treppe hinab und er wandte sich dem Salon zu. Knuckle blieb die ganze Zeit bei ihm und folgte ihm auch rasch in den Salon. Nachdem Giotto den Raum betreten hatte, bemerkte er zunächst überrascht, dass nicht nur Asari, sondern auch G anwesend war. Während Asari eher nachdenklich dreinsah, wirkte G deutlich verstimmt. Neugierig wandte Giotto den Kopf, um seinen Besuch zu betrachten.

Auf der Couch zu seiner Linken saß eine Frau in vollkommen weißer Kleidung. Giotto versuchte ihr Alter einzuschätzen, aber es fiel ihm wahnsinnig schwer. Wie sie dort saß und ihn anlächelte, schien sie ihm kaum zwanzig zu sein, aber gleichzeitig hatte sie eine Aura um sich, die ihm das Gefühl gab, dass sie wesentlich älter sein musste. Giotto kam nicht mehr dazu, die Dame anzusprechen, da hatte sie sich auch schon von ihrem Platz erhoben und kam ihm entgegen. Auf ihren Lippen lag ein breites, freundliches Lächeln, als sie ihm die Hand entgegen hielt.

„Mein Name ist Sepira Giglio Nero. Es freut mich dich kennen zu lernen, Vongola Primo.“ Stellte sie sich dann vor.

Für einen Moment versuchte Giotto seiner Hyperintuition zu lauschen, allerdings nahm er erstaunlich wenig wahr. Daher beschloss er ihr zuerst einmal die Hand zu schütteln und für einen Moment musterte er ihr Gesicht. Sie hatte ein ungewöhnliches kleines Tattoo unter ihrem rechten Auge und ihre Augen selbst besaßen eine ungewöhnliche Tiefe. Giotto war sich sicher, dass etwas an ihr nicht normal war und doch schien sie ihm nicht unsympathisch.

„Es freut mich ebenfalls.“ Erwiderte Giotto und zögerte einen Moment. „Weshalb wolltest du mit mir sprechen?“

Die Frau lächelte wieder. „Vielleicht sollten wir uns zuerst setzen?“ schlug sie dann vor.

Giotto nickte rasch. „Natürlich.“

Rasch nahmen sie wieder ihre Plätze ein und für einen Moment fühlte sich Giotto unwohl. Hinter ihm standen G, Asari und Knuckle, wie eine Art Leibgarde, während ihnen gegenüber lediglich die mysteriöse Frau saß. Denn ganz offensichtlich war sie ohne Begleitung gekommen.

Für einen Moment zögerte sie noch und betrachtete die Männer. Dann ergriff sie wieder das Wort.

„Ich weiß, dass dies eine anmaßende Bitte ist, aber wäre es möglich, dass ich mit dir alleine spreche, Primo?“ bat sie schließlich.

Giotto zögerte einen Moment, dann jedoch nickte er leicht und wandte sich an seine Mitstreiter.

„Bitte lasst uns allein.“

Während Knuckle und Asari sich seinem Willen wortlos beugten und den Raum verließen, blieb G noch einen Moment zurück. Dann gab er einen abfälligen Laut von sich.

„Wenn du mich brauchst, bin ich direkt vor der Tür.“ Murrte er noch und schlug die Tür hinter sich zu. Giotto seufzte leise, er hatte ihn schon wieder verärgert, aber das würde warten müssen.

„Gut, dann … können wir jetzt sprechen?“ fragte er unsicher und verschränkte die Finger ineinander, auch wenn er sich üblicherweise nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ, diese Frau machte ihn nervös.

„Ich denke das sollten wir. Immerhin möchte ich deine Zeit nicht unnötig beanspruchen.“ Erwiderte die Dame mit einem Lächeln auf den Lippen. „Nun ja, es gibt etwas, dass ich dir geben möchte.“

Giotto sah sie überrascht an.

„Du möchtest mir etwas geben?“ fragte er verwundert.

Er bekam nicht sofort eine Antwort, stattdessen hob seine Besucherin ein schmales Holzkästchen auf den Tisch. Sie drehte es ihm zu und öffnete es. Verwundert stellte Giotto fest, dass es sich wohl um ein Schmuckkästchen handelte, denn er erkannte sieben silberne Ringe mit eingefassten farbigen Steinen.

Giotto sah verwirrt drein und wollte gerade wieder das Wort ergreifen, um zu fragen, was er mit den Ringen sollte, als sie weitersprach.

„Diese Ringe sind mehr als nur einfache Schmuckstücke.“ Erklärte sie dann. „Aber ich sollte vielleicht anderswo anfangen. Es geht um deine besonderen Fähigkeiten. Meines Wissens nach nennt ihr es den Hyper-Mode.“

Der junge Italiener sah sie verblüfft an.

„Du weißt davon?“ fragte er dann verwirrt. Er hatte den Hyper-Mode bislang so selten wie möglich genutzt und kaum jemand wusste davon, schon gar nicht wie sie es nannten.

Sepira allerdings lächelte nur weiter.

“Mach dir keine Sorgen. Ich habe nicht die Absicht dir mit diesem Wissen zu schaden. Im Gegenteil, damit bist du für mich der richtige Kandidat. Diese Ringe hier sind sehr alt und auf ihre Art auch äußerst wertvoll. Deshalb möchte ich sie jemandem geben, der sie verdient hat und beschützen kann. Ich habe schon seit einiger Zeit mit diesem Gedanken gespielt, aber seitdem du diesen Priester aufgenommen hast, habe ich bemerkt, dass du weit aus geeigneter bist, als ich anfangs dachte. Die Flammen die du benutzt, wenn du im Hyper-Mode bist nennen wir Dying Will Flame. In gewisser Weise besitzt sie jeder Mensch, denn sie formt sich aus unserer inneren Stärke und unserer Willenskraft.“

„Aber … weshalb kann sie dann nicht jeder Mensch so nutzen wie ich?“ fragte Giotto unsicher.

„Weil du besonders bist, Giotto. Ich kenne niemanden, der wie du ohne ein Hilfsmittel auf die Flammen zurückgreifen kann. Die meisten brauchen einen Initiator, wie beispielsweise diese Ringe hier. Ich weiß, dass du selbst sie nicht brauchst, aber der Ring wird dir helfen deine Kraft zu kontrollieren und ich bin sicher du wirst für die anderen sechs Ringe geeignete Wächter finden. Immerhin hast du bereits für drei davon geeignete Wächter in deiner Gruppe.“

Giotto schwieg einen Moment.

„Wovor sollen die Ringe beschützt werden?“ fragte er dann ohne aufzusehen.

„Sie dürfen nicht in eigennützige Hände fallen. Die Macht, die sie ihren Trägern geben würde dazu führen, dass das Gleichgewicht von ganz Europa auf der Kippe stehen würde.“

Noch immer schien Giotto die Ringe zu betrachten.

„Es gibt Unterschiede oder nicht? Zwischen diesen Ringen.“

Sepira nickte anerkennend. „Ich war mir sicher, dass du es bemerken würdest. Es gibt sieben verschiedene Ausprägungen der Dying Will Flame.“ Sie nahm den Ring in der Mitte heraus. „Dieser hier ist für dich. Er symbolisiert die Himmelsflamme und steht für ein Streben nach Harmonie.“

Sie deutete auf den Ring mit dem roten Stein. „Das hier ist der Sturmring. Er steht für Zerfall und Aufruhr.“ Ihr Finger wanderte weiter zu einem hellblauen Ring. „Der Regenring. Er symbolisiert Ruhe und Gelassenheit.“ Als nächster kam ein gelber Ring. „Der Ring der Sonnenflamme. Aktivität und Heilung.“ Ein grüner Ring. „Der Blitzring. Abhärtung und Schutz.“ Ein dunkelblauer Ring. „Nebel. Struktur und Illusion.“ Zuletzt ein violetter Ring. „Dieser ist der Wolkenring. Er steht für Ausbreitung und Vervielfältigung.“

Giotto nickte leicht um ihr zu verstehen zu geben, dass er sie verstanden hatte. Gleichzeitig bemühte er sich, diese Informationen zu behalten.

„Woher erkenne ich wer der richtige ist?“ fragte er schließlich und dieses Mal hob er den Kopf, um sie wieder anzusehen.

Sie lächelte in dem Wissen, dass er ihrer Bitte Folge leisten würde.

„Ich denk das weißt du bereits. War es nicht der Grund, weshalb du Knuckle unbedingt dabei haben wolltest?“

Giotto nickte leicht. „Ich verstehe. Ich weiß für wen die ersten drei Ringe bestimmt sind. Was soll ich mit der anderen tun? Nach geeigneten Personen suchen?“

Sepira schüttelte leicht den Kopf. „Nein, sie werden zu dir kommen und sie alle werden dir eine große Hilfe sein. Verlass dich auf dein Gefühl und ich bin sicher, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst.“

Der Italiener seufzte leise. „Ich werde mir Mühe geben.“

„Es tut mir Leid, du bist sicherlich mit all diesen Informationen überfordert, aber ich muss jetzt gehen und mich um eine wichtige Sache kümmern. Allerdings verspreche ich dir in einer Woche zurückzukehren und dir alle Fragen zu beantworten, die du über die Ringe oder die Flammen hast.“ Versprach sein Gast nun und sie erhob sich langsam von der Couch. „Es war mir eine Ehre dich kennen zu lernen, Vongola Primo.“
 

Die folgenden Tage waren schwer für Giotto. Er musste versuchen seine neu gewonnen Erkenntnisse auch an G, Asari und Knuckle weiter zu geben und vor allem G war wenig überzeugt davon. Nicht, dass er nicht glaubte, wovon Giotto ihm erzählte, aber er hielt es für Unwahrscheinlich, dass hinter dem Geschenk kein eigennütziges Motiv stand. Selbst die Tatsache, dass Giotto ihm versicherte, dass seine Hyperintuition nichts wahrgenommen hatte, besänftigte ihn nicht im Geringsten und nachdem Giotto ihm den Sturmring übergeben hatte, führte er tagelang Experimente daran durch.

Knuckle und Asari schienen dagegen dankbar für das Geschenk zu sein, auch wenn sich Giotto sicher war, dass sie ebenso skeptisch waren. Sie beide versorgte Giotto mit Fragen, die er der mysteriösen Frau stellen sollte, wenn sie ihn wieder besuchen kommen würde. Aber Sepira kam nicht, auch nicht später und letztlich sollte dies auch das einzige Treffen der Beiden sein. Selbst über ihre Familie, die Giglio Nero konnten sie nichts in Erfahrung bringen. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass sie recht gehabt hatte. Nach und nach schafften es alle drei seiner Wächter ihre Ringe zu aktivieren und nach ihren Wünschen zu nutzen.

Struck by lightning

Jahr 1875 [19]
 

Nachdem sie nun gelernt hatten mit ihren neuen Fähigkeiten umzugehen, verbrachte Giotto immer mehr Zeit damit, über die Ringe nachzudenken. Im Moment hatte er nur für drei der sechs Ringe einen geeigneten Wächter gefunden und seit seinem Gespräch mit Sepira hatte es niemanden gegeben, in dem er das Potenzial gesehen hätte, von dem die Frau gesprochen hatte.

Zu allem Überfluss kam in dieser Woche nun auch noch ein entfernter Cousin zu Besuch. Nicht, dass Giotto etwas gegen seine Familie hatte und eigentlich hatte er auch nichts gegen den Jungen, aber leider führten seine Besuche jedes Mal wieder zu einem Chaos.

Lampo war vier Jahre jünger als er und als er ihm das letzte Mal begegnet war, hatte er gerade seinen zwölften Geburtstag gefeiert, aber schon da hatte sich gezeigt, dass er mit G niemals klar kommen würde. Sie waren wie Öl und Wasser. Außerdem hatte er durch seine Briefe nicht das Gefühl bekommen, dass Lampo in den vergangenen vier Jahren wesentlich erwachsener geworden wäre und so lag die Vermutung nahe, dass sich die beiden auch nun wieder ordentlich in die Haare bekommen würden. Ganz sicher würde es wieder damit enden, dass er diese Streitereien schlichten musste und beide Seiten darauf beharrten, dass sie natürlich im Recht waren. Auch wenn Giotto sich hüten würde es auszusprechen, so war er sich doch sicher, dass beide Seiten gleichermaßen Schuld waren. Lampo war oft genug unbedacht und recht naiv und er hatte kein Gefühl dafür, wann es besser war den Mund zu halten. Er war eben noch ein Kind. G schien das dagegen nicht einzusehen, denn an Lampo störte ihn sprichwörtlich die Fliege an der Wand. Für jede Aktion, die der Junge unternahm, bekam er schelte und es war unmöglich, dass er etwas richtig machen konnte. Selbst wenn er sich bemühte, fand G immernoch etwas, dass er ihm vorhalten konnte.
 

In Anbetracht dieser Umstände fiel es Giotto schwer, sich auf die Briefe und Papiere vor ihm zu konzentrieren. Stets lauschte er mit einem Ohr, ob es bereits Unruhe im Haus herrschte, obwohl er doch genau wusste, dass er das in seinem Arbeitszimmer nicht mitbekommen würde.

Ein Klopfen an seiner Tür ließ ihn zusammenschrecken, auch wenn er rasch die Erlaubnis zum Eintreten gab.

Als sich die Tür öffnete, war Knuckle derjenige, der in den Raum trat. Giotto war etwas erleichtert, da es nicht den Anscheint machte, als herrsche bereits das pure Chaos. Dann aber stellte er überrascht fest, dass hinter Knuckle noch ein Junge in den Raum trat. Er hatte sich kaum verändert, war lediglich ein Stück gewachsen und noch immer kräuselte sich sein grünes Haar in leichten Löckchen und verlieh ihm den Eindruck, dass er gerade erst aufgestanden war. Auch wenn Giotto wohl nicht der richtige war, um dies zu beurteilen. Wo er doch selbst immer aussah, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen.

Giotto lächelte leicht. „Lampo. Wie schön dich zu sehen.“ Grüßte er und erhob sich von seinem Platz, um den Jungen zu begrüßen. Dieser warf ihm einen schmollenden Blick zu und in diesem Moment bemerkte Giotto, dass sich doch etwas an dem Jungen verändert hatte. Es war seine Aura. Lampo umgab dieselbe starke Aura, die Giotto auch bei G, Asari und Knuckle wahrgenommen hatte. Sie schien ein wenig anders zu sein, als die der anderen und doch war es unverkennbar.

„Die Reise war ziemlich anstrengend.“ Nörgelte der Junge und verschränkte die Arme. „Und ich habe noch nicht einmal etwas zu essen bekommen.“

Giotto nickte verständnisvoll. „Das werden wir sofort nachholen.“ Sein Blick wanderte zu Knuckle. Er wollte mit Lampo allein sprechen. Möglichst bevor G dazwischen funken konnte, denn der würde diese Entwicklung ganz sicher nicht gut heißen.

„Kannst du Giorgia sagen, dass sie uns etwas zu essen in den Salon bringen soll?“

Knuckle nickte und machte sich auf den Weg. Lampo jedoch blieb bei Giotto zurück und musterte ihn leicht interessiert.

„Du siehst gar nicht anders aus als früher.“ Murrte der Junge. „Papa meinte, du wärst jetzt irgendwie berühmt. Deshalb wollte er, dass ich herkomme. Aber du siehst überhaupt nicht so aus.“

Giotto lächelte gequält. Offensichtlich hatte Lampo noch immer nicht gelernt, seine Zunge im Zaun zu halten. Das würde Ärger geben. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

„Lass uns jetzt erst einmal etwas essen. Und dabei können wir ja noch etwas plaudern.“

Mit sanfter Gewalt schob Giotto den Jungen aus der Tür und lief mit ihm in den Salon.
 

„Was?!“

Giotto hatte G noch nie so entsetzt gesehen, wie jetzt.

„Er wird jetzt einer meiner Wächter sein.“ Wiederholte Giotto mit ruhiger Stimme. In der Hoffnung, diese Ruhe könnte auf G übertragen werden. Aber er lag falsch.

„Du kannst doch nicht dieses verwöhnte Kind in die Vongola aufnehmen. Bist du verrückt?“

Giotto seufzte leise.

„Aber er ist der Blitz, G. Und das fehlt uns noch. Ein Wächter für den Blitzring.“

„Er ist ein unnützes Balg.“ Widersprach G. „Seit er hier ist, hat er sich in einem Zug über alles beschwert. Über das Essen, sein Zimmer, die Leute hier, die Lage, dass es so weit zur Stadt ist. Du kannst doch nicht ernsthaft daran denken, ihn in deine Wächter aufzunehmen.“

Giotto ließ G die Zeit sich über Lampo auszulassen. Er hatte mit dieser Gegenwehr gerechnet und irgendwie erschien sie ihm auch berechtigt. Lampo war in der Tat nicht das, was er sich erhofft hatte, aber er war alles, was sie im Moment hatten. Und aus irgendeinem Grund wusste er, dass es wichtig war, einen Wächter für jeden der Ringe zu finden.

„Ich habe ihm den Ring schon gegeben.“ Erwiderte Giotto.

G sah ihn einen Moment sprachlos an.

„Wahrscheinlich hat er ihn dann ohnehin schon verloren.“ Erwiderte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte.

„Gib ihm doch bitte eine Chance, G. Er ist noch jung. Ich bin sicher, dass er sich bessern wird.“

„Er ist fünfzehn, Primo! In dem Alter warst du schon dabei, die Vongola aufzubauen.“

„Ich weiß. Aber ich weiß auch, dass er noch etwas Zeit braucht.“
 

„Sei jetzt endlich still.“ Fauchte G und rammte dem Jungen neben sich einen Ellenbogen in die Seite, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. Dieser gab einen unzufriedenen Laut von sich, hielt aber endlich den Mund.

Die beiden knieten hinter ein paar Fässern am Rand einer nahezu ausgestorbenen Straße und beobachteten eine Tür, die in ein Lagerhaus führte. Vor dem Lokal stand ein Wagen und ein paar Männer, die Pferde hielten. Aus dem Lagerhaus selbst klang ein unverständliches Gewirr aus Stimmen. G versuchte herauszufinden, wie viele Männer sich dort verbergen mochten. Es waren drei Männer hier draußen, aber wahrscheinlich waren es mehr als vier im Inneren und sie waren lediglich zu zweit. Wobei Lampo eher als Hindernis, denn als Hilfe zu sehen war. Sie waren jedenfalls hoffnungslos in der Unterzahl. Was hatte sich Giotto nur dabei gedacht, ihn ausgerechnet mit Lampo hierher zu schicken. Für einen Moment wünschte er sich, dass er wenigstens von Asari begleitet wurde. Auch wenn er ihn nicht sonderlich mochte, so konnte man wenigstens darauf zählen, dass er kämpfen konnte. Lampo dagegen schien nicht einmal bewaffnet zu sein.

„Sollten wir nicht besser nach einem Hintereingang Ausschau halten?“ frage Lampo plötzlich, aber G gab ihm nur einen Hieb, sodass er wieder verstummte.

„Du bleibst hier draußen und lenkst die Männer ab. Ich schleich mich rein.“ Gab G an und ohne eine Bestätigung abzuwarten, lief er im Schutz ihrer Deckung los.

Lampo blieb allein zurück und sah sich verdattert um. Wie sollte er bitte die Wachen ablenken? Davon abgesehen, dass die drei zum Typus Schlägertyp gehörten und ihm wahrscheinlich eine ordentliche Abreibung verpassen würden, wenn er eine Hand gegen sie erheben würde.

Dann nahm er all seinen Mut zusammen und verließ die Deckung, um auf das Lagerhaus zuzugeben. Die Männer bemerkte ihn sofort und sahen sich misstrauisch an.

„Hey da! Wer bist du und was willst du?“

Lampo erstarrte kurz, dann versuchte er sich zusammen zu nehmen. Giotto hatte ihm diese Mission gegeben, obwohl G gewettert hatte, dass er doch ohnehin zu nichts nütze sei und irgendwie keimte im Moment der Wunsch aus, seinen Boss nicht zu enttäuschen.

Er atmete kurz durch, dann begann er sprechen.

„Mein Name ist Manuele!“ log er dann, „ich bin hier auf der Durchreise, aber ich habe mein Gepäck verloren und irgendwie auch meine Karte und jetzt weiß ich gar nicht mehr wo ich bin. Dabei wollte ich nur zu meinem Onkel nach Palermo und jetzt bin ich hier. Könnt ihr mir vielleicht sagen wo ich bin? Oder noch besser, wie ich nach Palermo komme? Mein Onkel wird nämlich ziemlich schnell wütend und er sagt ich sei ein Taugenichts und dumm. Aber ich schwöre, ich bin nicht so dumm wie er sagt. Ich habe nur immer Pech. Aber das ist doch nicht dumm, oder? Ich finde zumindest nicht, dass das dumm ist. Aber vielleicht bin ich auch dumm und weiß es deswegen nicht. Auf jeden Fall muss ich ganz schnell nach Palermo. Meine Schwester ist schon vorgegangen, aber sie meinte, sie will mich nicht mitnehmen. Ich weiß gar nicht warum.“

Die Männer sahen ihn verwirrt an. Offensichtlich wussten sie nicht, was sie mit diesem Redeschwall anfangen sollte.

„Verschwinde.“ Knurrte schließlich einer von ihnen.

Lampo zuckte leicht zusammen. Sein Selbstbewusstsein knickte sofort in sich zusammen und er war kurz davor einfach weg zu laufen und sich wieder hinter einem Fass zu verstecken. Aber dann dachte er wieder an G. Wenn er weglief, dann würde er ganz sicher Probleme bekommen und außerdem waren sie ja aus einem Grund hier. Einer ihrer Leute wurde hier festgehalten und sie sollten ihn unbeschadet zurückbekommen.

„Aber wo ist denn nun Palermo?“ versuchte er es erneut. Irgendwie musste er es schaffen, die Männer abzulenken.

„Junge, das ist ein gut gemeinter Rat. Dreh dich um und verschwinde von hier!“ knurrte wieder der selbe der Männer, der auch vorhin schon das Sagen gehabt hatte.

Aber Lampo musste sich keine weiteren Gedanken mehr machen, da in diesem Moment ein unglaublicher Lärm im Lagerhaus veranstaltet wurde. Das Herz sackte ihm in die Hose, als die Männer sich zum Haus umdrehten und darauf zugingen. Lediglich der Mann, mit dem sich Lampo unterhalten hatte, kam näher. Er schien zweifelsfrei zu ahnen, dass Lampo an diesem Komplott nicht ganz unbeteiligt war. Dieser wich unsicher zurück. Wo blieb nur G? Er hatte ihm überhaupt nicht gesagt, wie er sich in so einem Fall zu Verhalten hatte.

„Du steckst da doch mit drin.“ knurrte der Mann und zog seine Pistole.

Dann richtete er sie auf Lampo und schoss er. Im selben Moment allerdings stolperte Lampo über einen Stein am Boden und fiel zu Boden. Der Schuss ging an ihm vorbei, aber den Mann schien das nicht sonderlich zu beeindrucken. Er lud nach und stand nun direkt vor Lampo. Er würde ganz sicher nicht noch einmal verfehlen.

„Pech gehabt, Kleiner. War n kurzes Leben.“

Verzweifelt hielt sich Lampo die Hände vor das Gesicht und bemerkte dabei wieder den Ring, den er an seinem Mittelfinger trug. Der schwere, unhandliche und viel zu altmodische Vongola Ring des Blitzwächters. Warum nur hatte er nicht gelernt, wie er diese Superkräfte kontrollieren konnte? Giotto hatte ihm doch noch ans Herz gelegt, dass er sich damit beschäftigen sollte. Verzweifelt schloss er die Augen.

Ein erneuter Schuss.

Doch der Schmerz blieb aus. Unsicher öffnete Lampo die Finger ein wenig und sah hindurch. Der Mann vor ihm sah ihn ebenso verwirrt an. Auf dem Boden vor ihm lag die Pistolenkugel. Ein erneuter Schuss. Doch er prallte ab und erst jetzt bemerkte Lampo, dass ihn eine grünlich schimmernde Aura umgab.

Wütend holte der Mann aus, um ihm einen Faustschlag zu versetzen. Doch auch dieser prallte von der grünlichen Barriere ab.

Lampo griff rasch nach dem Stein, über welchen er vorhin gefallen war und mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, warf er den Stein auf den Mann vor ihm. Der Mann hatte wohl nicht damit gerechnet, dass der Stein die Barriere überwinden konnte und war so verdutzt, dass ihn der Stein tatsächlich an der Stirn traf und er nach hinten kippte. Die Schutzmauer verblasste.

Voller Euphorie sprang Lampo auf die Beine und sah sich um. Er bemerkte, dass G einem verletzten Mann aus dem Gebäude half und dabei immer wieder Schüsse nach hinten abgab. Überwältigt von seinen Fähigkeiten rannte er auf die Beiden zu.

„Lampo, du Idiot, ich sagte doch, du sollst in Deckung bleiben!“ fuhr ihn G sofort an.

„Das brauch ich nicht!“ erwiderte der Junge jedoch strahlend und nahm ihm den Verletzten ab, damit G sich weiter um ihre Gegner kümmern konnten, während sie zurück zu ihren Pferden gingen.

Lampo holte kurz Luft und dann bildete sich wieder die grüne Barriere. Dieses Mal jedoch nicht nur um ihn, sondern auch um den Verletzten und um G.

„Was zur Hölle ist das denn?“ fragte G verwirrt.

„Ein Schutzschild!“ strahlte Lampo und zeigte seinen Vongola Ring vor, der von innen grün zu glühen schien.

Bound by honor

„Du hälst es für eine gute Idee, dass ich auf die Besprechung dieser Mafiafamilien gehe?“

Giotto sah G mit einem verwunderten Blick an. Einige Mafiafamilien waren doch immerhin auch der Grund, weshalb es hier solche Probleme gab. Sie untergruben die Grundprinzipien des Zusammenlebens und mit Bestechung und Korruption hatten sie das gesamte Staatswesen zerfressen. Warum also sollte sich Giotto ausgerechnet mit solchen Leuten treffen?

„Es sind nur ein paar wenige Familien. Sie gehören nicht zu denen, die wirklich kriminell sind, sondern wollen wie du nur ihre Leute schützen. Zugegeben sind manche dabei etwas rabiater, als die Vongola, aber es unterscheidet sich nicht zu sehr.“

Giotto seufzte leise. „Lass das mal besser nicht die Polizei hören. Sind versuchen schon seit Jahren uns etwas anzuhängen und wenn du uns mit der Mafia in einen Topf wirfst, dann werden sie auch ganz sicher etwas finden.“

„Bitte Primo. Das ist wichtig. Selbst Lampos Onkel wird dort sein.“ Versuchte es G erneut.

„Lamberto Bovino? Tatsächlich?” fragte Giotto verwundert.

“Ja, es scheint eher einer Art Besprechung zu sein, was man gegen die aktuellen Probleme unternehmen kann. Offensichtlich sind wir die einzigen, die mit diesen Banden zu kämpfen haben. Mittlerweile haben sie sich über ganz Sizilien und sogar das Festland ausgebreitet.“

Giotto betrachtete nachdenklich den Brief, der vor ihm lag. Unterschrieben war er von einem gewissen Baldassare Gesso. Er hatte jedoch noch nie von diesem Namen gehört. Es war nicht weiter verwunderlich, wo G doch meinte, dass es sich um kleinere Familien handelte. Dennoch beunruhigte ihn dieses Treffen konnte nicht einmal genau sagen weshalb. Auf seinem Arbeitstisch stand noch immer das Kästchen, welches ihm Sepira Giglio Nero vermacht hatte und er hatte nicht vergessen, dass er immernoch erst fünf von sieben Ringen an den Mann gebracht hatte. Es war mittlerweile drei Jahre her, dass die mysteriöse Frau ihn besucht hatte und er hatte auch Fortschritte gemacht. Die Vongola war gewachsen und alle seiner bisherigen Wächter waren in der Lage, ihre Ringe zu nutzen und dennoch. Sie waren noch nicht vollzählig und es schienen sich ernsthafte Schwierigkeiten zu nähern.

„Primo? Ist alles in Ordnung?“

Giotto sah von dem Kästchen auf, doch er zögerte. „G … denkst du … wir bekommen das alles hin?“

Für einen Moment schien G von dieser Frage überrascht. Dann jedoch grinste er leicht und klopfte seinem Freund auf die Schulter.

„Es ist nicht deine Art so pessimistisch zu sein. Normalerweise ist das doch meine Aufgabe. Aber in diesem Fall sollte ich wohl deine Aufgabe übernehmen.“ Er unterbrach sich kurz. „Natürlich schaffen wir das.“

Giotto lächelte nur schwach. „Ich hoffe du hast Recht, G. Danke.“
 

Giotto fühlte sich unwohl, als er mit G den Flur hinunter lief. Der Rotschopf hatte selbst entschieden, dass er Giotto nicht allein gehen lassen würde und dieser hatte nun wirklich keine Lust mehr gehabt herumzustreiten. Daher waren sie zu zweit aufgebrochen, auch wenn der Rest ihrer Familie ebenfalls nicht sonderlich glücklich darüber gewesen war. Allerdings hatte Giotto von Anfang an klar gemacht, dass er sicher nicht mit all seinen fünf Mann ankommen würde. Sie würden so schon genug für Aufruhr sorgen, es war immer so.

Ihnen wurde die Tür geöffnet, da waren sie kaum am Ende des Flurs angekommen. Etwas nervös trat Giotto in den Raum. Für die Gegend hier war der Raum überraschend groß. Er wurde von Marmorsäulen gesäumt und ließ Giotto vermuten, dass die Gesso Familie doch eher zu den reicheren Bewohnern dieser Gegend gehörten.

Giotto bemerkte kaum, wie im ganzen Raum die Gespräche verstummt waren, stattdessen wanderte sein Blick über die hier anwesenden Gäste. Lampos Onkel erkannte er sofort, auch ohne das grüne Haar war er seinem Neffen wie aus dem Gesicht geschnitten. Die anderen Personen kannte er nicht.

Allerdings dauerte es nur ein paar Augenblicke, bis ein Mann ihm entgegen trat. Sein Haar war beinahe weiß, obwohl er nicht älter als Anfang vierzig sein konnte. Er kam zielstrebig auf ihn zu und schien geradezu auf ihn gewartet zu haben. Baldassare Gesso so vermutete Giotto.

„Ich nehme an ihr seid Vongola Primo.“ Sagte er mit einer schmeichelnden Stimme, die ihm der Blondschopf gar nicht zugetraut hatte.

G gab neben ihm einen etwas verschnupften Laut von sich, aber Giotto ging nicht darauf ein.

„Ich vermute ihr seid Baldassare Gesso?“ erwiderte Giotto lächelnd.

Er wollte keinen Streit, vor allem, weil sie nicht dafür hierher gekommen waren.

Sein Gegenüber nickte.

„Vollkommen richtig und es freut mich, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, unserem kleinen Treffen beizuwohnen. Ich bin sicher ihr habt vieles zu tun, was viel wäre.“

Er lächelte noch immer, aber Giotto bemerkte die Spitze dennoch. Allerdings ging er nicht darauf ein, es genügte, dass G sich neben ihm merklich anspannte und seine Laune immer schlechter wurde. Und dabei war es ja nur ihm zu verdanken, dass sie sich überhaupt auf dieses Treffen begeben hatten. Dennoch blieb er freundlich.

„Es klang wichtig.“ Erwiderte er schlicht.

„Das ist es ohne Zweifel und ich nehme an, ich kann auf eure Unterstützung zählen, wenn es darum geht, den Bösewichten dieser Insel den Garaus zu machen. Immerhin wollen wir doch alle nur … in Frieden leben.“

Giotto sah ihn irritiert an, dann nickte er allerdings kaum merklich.

„Schön, dass ihr das ebenso seht. Eure Unterstützung ist ein großes Glück für uns, aber nun, da wir vollzählig sind, denke ich, dass wir anfangen können.“

Baldassare lief durch den Raum und stellte sich auf eine etwas erhöhte Plattform. Für einen Moment blieb Giottos Blick an der Frau nebenan hängen. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid und ihr Haare war lang und in einem ungewöhnlichen rosa, allerdings war es nicht das, was ihn an ihr verwirrte. Ihr Gesicht war unter einem schwarzen Schleier verborgen und machte es Giotto unmöglich, ihr Alter zu schätzen und von ihr ging eine seltsame Aura aus. Sein Gefühl sagte ihm, dass mit dieser Dame nicht zu spaßen war und plötzlich hatte er das Gefühl, mit seiner reinen Anwesenheit an diesem Ort einem Vertrag zugestimmt zu haben, der ihm niemals unterbreitet wurde.

Als Baldassare die Stimme erhob, wandte Giotto seinen Blick allerdings wieder ihm zu.

Ihr Gastgeber begrüßte sie überschwänglich und wieder bewunderte Giotto ihn für sein rhetorisches Geschick. Er erläuterte ausschweifend, wie problematisch das Leben geworden war und mit wievielen Problemen sie zu kämpfen hatten, aber je länger Baldassare sprach, umso mehr fragte sich Giotto allerdings auch, warum man ihn zu diesem Treffen eingeladen hatte. Es dämmerte ihn langsam, als ihr Gastgeber auf die genauen Familien zu sprechen kam. Giotto fühlte sich unwohl, denn er hatte von beinahe jeder dieser Familien bereits etwas gehört.

„Mein Vorschlag wäre nun, dass wir diese Problemkinder unter uns aufteilen.“ Erklärte er schließlich mit einem Lächeln, als wäre dies eigentlich eine Aufgabe für ein Kind. „Und da mir natürlich nicht das Recht zusteht, diese Entscheidung zu treffen, habe ich eine weitere reizende Persönlichkeit eingeladen.“ Seine ausschweifende Handbewegung wies auf die verschleicherte Frau, diese trat nun noch vor, legte allerdings ihren Schleier nicht ab.

„Mein Name ist Celestina Cervello.“ Sagte sie mit einer leisen, ruhigen Stimme, die Giotto allerdings auch nicht dabei half, ihr Alter zu schätzen. Allerdings hatte er das Gefühl, diesen Namen schon einmal gehört zu haben. Dann viel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Cervello. Sie waren die Zeugen für Versprechen und die Beobachter bei jedem Vorhaben. Sie waren bekannt dafür, nach vollkommener Gerechtigkeit zu streben. In einem Wettkampf waren sie diejenigen, die für die Einhaltung der Regeln sorgten und man sagte, dass nie jemand das Gesicht einer Cervello gesehen hatte.

Giotto neugieriger Blick glitt kurz zu Baldassare Gesso. Es war nicht einfach die Cervello zu kontaktieren und es verriet ihm viel, dass der Gesso dazu in der Lage war.

Dann allerdings sprach die Cervello weiter und Giotto wandte sich wieder ihr zu. Es behagte ihm nicht, ohne es zu wollen in diese Mission hineingezogen zu werden.

Vor der Dame tauchte eine seltsame Tafel auf. Sie erschien einfach aus dem Nichts und schwebte in einer Höhe, sodass alle es sehen konnten. Auf goldenen Plättchen waren Wörter eingraviert. Namen. Und mit Unbehagen bemerkte Giotto, dass auf einem der Plättchen der Name seiner eigenen Familie geschrieben war. Sein Blick wanderte wieder zu Baldassare Gesso und es schien ihm, als hätte dieser damit gerechnet, denn er grinste ihn breit an.

„Es sei dem Zufall überlassen.“ Sagte die Cervello schließlich und hob eine Hand an die Tafel.

Es erschien eine zweite Reihe kleiner Plättchen, doch die Namen darauf schienen sich ständig zu ändern, sodass Giotto schon vom Zusehen beinahe schlecht wurde. Dann blieben sie stehen und als Giottos Blick auf den Namen unterhalb dem Plättchen der Vongola fiel, wurde ihm übel.
 

„Weshalb hast du überhaupt vor, das alles mitzumachen?“ fragte G gereizt.

Seine Arme waren verschränkt und er funkelte Giotto an. So wie auch schon die vergangenen Tage.

Der Angesprochene rieb sich angestrengt über die Schläfe und seufzte leise.

„G, ich habe doch schon gesagt …“

Er wurde unterbrochen. Dieses Mal allerdings von Knuckle.

„Ich halte das auch für keine gute Idee. Die Vongola hat niemals zugestimmt, dass sie an dieser Mission teilhaben wird.“ Erklärte er deutlich ruhiger als G. „Weshalb lässt du dich in diese Mission zwingen.“

Giotto zögerte, dann seufzte er erneut. „Die Cervello.“

Er bemerkte die skeptischen Blicke nicht einmal, sondern betrachtete stattdessen weiter ein kleines goldenes Plättchen. Eine Erinnerung, die ihm Baldassare Gesso mit auf den Weg gegeben hatte.

„Das hat Onkel auch gesagt.“

Giotto sah überrascht auf. Er hatte nicht damit gerechnet, dass gerade Lampo seine Position stärken würde.

„Es ist bindend.“ Fuhr Lampo dann weiter fort, deutlich nervös. „Zumindest … sagte das mein Onkel. Er sagte, wenn man die Regeln der Cervello bricht, dann ist es das Ende. Es ist wohl wie ein Fluch.“

„Was?!“ fragte G scharf, aber Asari hielt ihn schon zurück.

“Das bedeutet, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als ihre Erwartungen an uns zu erfüllen?“ fragte der Japaner dann.

Das Schweigen am Tisch bestätigte seine Frage nur.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig.“ Sagte Giotto leise.

„Aber es ist eine starke Familie, wenn nicht die stärkste hier in der Gegend.“ Fuhr Asari weiter fort. Es war faszinierend, wie gut er sich mittlerweile in diesen Dingen auskannte. „Vermutlich … sogar stärker als wir.“

Giotto nickte nur leicht. „Sie sind stärker. Wir können es uns nicht leisten, sie direkt anzugreifen.“

Erneut war es still am Tisch. G schien noch immer vor Wut zu brodeln, hatte sich aber offensichtlich entschieden, nicht mehr an der Diskussion Teil zu haben. Lampo dagegen hibbelte lediglich nervös auf seinem Stuhl herum, während Asari und Knuckle ihn unschlüssig ansahen.

„Das heißt … wir brauchen einen Plan?“

Giotto schüttelte den Kopf. „Ich habe bereits einen Plan.“

Nun wandte sogar G ihm wieder den Blick zu. „Ach haben wir das?!“ fragte er patzig, „und wie sieht dein grandioser Plan aus, Primo?“

Nun zögerte Giotto. „Es … wäre zu gefährlich zu viele unserer Leute mit hinein zu ziehen.“ Gestand er dann. „Deshalb … werde ich es allein tun.“

Für einen Moment herrschte entsetztes Schweigen am Tisch.

„Bist du verrückt geworden?“ fragte G, der wohl als erster seine Sprache wieder fand.

„Das bin ich nicht.“ Erwiderte Giotto ungewöhnlich kühl, „aber ich brauche euch hier. Dann muss ich mir keine Sorgen machen, dass in meiner Abwesenheit etwas passieren könnte.“

G schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das werde ich nicht zulassen!“ fuhr er ihn an.

Ausnahmsweise schienen sich alle seiner Wächter einig zu sein.

„Das ist auch nicht notwendig.“ Giotto zögerte kurz. „Es ist meine Entscheidung und ihr werdet mich nicht davon abhalten. Ich weiß, dass ich euch nichts befehlen kann … und das möchte ich auch gar nicht. Aber ich wünsche mir, dass ihr alle hier bleibt. Ich erledige diese Aufgabe allein.“
 

Sie warteten bereits die ganze Nacht und sie alle schwiegen. Letztlich hatte sich Giotto durchgesetzt und sie alle hatten sich, wenn auch widerwillig, seinen Wünschen gefügt. Nun saßen sie seit Stunden auf den Stufen der Eingangshalle und warteten. Es war bereits früher Morgen geworden und sie alle waren müde. Lampo war bereits mehrmals eingenickt und jedes Mal wieder erschrocken zusammen gezuckt, als er das bemerkt hatte. Allerdings konnten sie auch nicht einfach schlafen gehen. Nicht solange Giotto nicht zurückgekehrt war.

G bemerkte, wie durch die Fenster allmählich wieder Licht kam und alles in ihm schrie danach, selbst aufzubrechen und Giotto zurückzuholen. Dennoch blieb er, wo er war. Er wusste nicht, wohin genau sein Freund gegangen war und er hatte mit niemandem seinen Plan geteilt. Sie würden nur alles zunichtemachen. Es blieb ihnen nichts übrig, als zu warten und in ihren Anführer zu vertrauen.

Es schien ewig zu dauern, bis sich die Tür öffnete und G sprang rasch von seinem Platz auf, als er seinen Freund erkannte. Ebenso schnell blieb er allerdings stehen.

Es war Giotto, allerdings war er blass und schien verletzt. Sein Hose und auch sein Hemd waren mit dunkelroten Flecken gesprenkelt und an einigen Stellen zerrissen, ebenso wie sein Gesicht. Er sah aus wie der leibhaftige Tod und er taumelte mehr über die Türschwelle, als dass er ging.

Rasch lief G die Stufen hinunter. Er wagte nicht einmal, zu fragen, woher das viele Blut kam und was Giotto getan hatte. Giotto war nie ein Freund von Kämpfen gewesen und ihm missfiel nichts mehr, als Blut zu vergießen. G war sich nicht einmal sicher, dass Giotto bisher einen Feind gewollt getötet hatte. Nun allerdings schien er diese Schwelle überwunden zu haben.

G legte rasch einen Arm um seinen erschöpften Freund und sah ihn fassungslos an.

„Es geht mir nicht gut.“ Sagte Giotto so leise, dass G ihn kaum verstand. Seine Stimme war tonlos und die Worte klangen gequält.

Ohne weitere Worte, hob G ihn auf die Arme und trug ihn zur Treppe. Giotto wehrte sich nicht einmal. Er starrte nur in die Leere, bis G ihn wieder absetzte. Er war bereits in seinem Zimmer und plötzlich trat Knuckle vor ihn und machte sich daran, sich um seine Verletzungen zu kümmern.

Giotto allerdings streckte noch einmal die Hand nach G aus.

„Geh nach draußen.“ Sagte er leise. „Der Junge dort … sie hatten ihn eingesperrt.“

G nickte rasch.

„Natürlich.“ Sagte er dann, obwohl er eigentlich gar nicht gerne den Babysitter spielte. Wer auch immer dieser Junge war, er musste Giotto wichtig sein, wenn er ihn mit hierher gebracht hatte.

„G … sein Name … ist Raffaele Cavallone.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Uff. Ein neues Kapitel.
Es tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber für die FF brauche ich immer eine Menge Konzentration. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es tut mir Leid, dass dieses Kapitel so lange gedauert hat.
Vielleicht gibt es ja doch noch den ein oder anderen, der sich für Reborn interessiert ^^ Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Roxi_13
2017-11-15T11:50:03+00:00 15.11.2017 12:50
Sehr gelungen das Kapitel
Vorallem wie du G und Lampe getroffen hast
Oder Primo finde ich auch schön
Würde mich sehr freuen wenn es bald weiter geht mit dem FF

LG
Roxi_13
Antwort von:  Skylark
13.12.2017 14:18
Danke schön :) Sehr motivierend, nach so langer Zeit doch noch Kommentare zu bekommen.
Von:  Maryyy
2015-10-17T18:47:13+00:00 17.10.2015 20:47
Waaaaah. Deine Fanfic ist echt toll. Ich liebe die Vongola und finde es interessant,
eine Vorgeschichte über die Famiglia zu lesen.
Nur weiter so, freue mich auf das nächste kapitel ^^

LG
Maryyy
Antwort von:  Skylark
27.10.2015 20:22
Vielen Dank :)
Im Moment läuft es etwas zäh, aber ich versuche bald weiter zu schreiben ^^
Von:  Roxi_13
2015-06-11T17:12:58+00:00 11.06.2015 19:12
Zuerst möchte ich dir sagen das ich die ersten beiden Kapitel sehr interessant fand
Ich würde mich sehr darüber freuen schon bald mehr lesen zu dürfen
Mach weiter so

LG
Roxi_13
Antwort von:  Skylark
11.06.2015 21:56
Vielen Dank. Ich versuche mir mühe zu geben ;)


Zurück