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Getäuscht

Nichts ist, wie es scheint
von

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der Besucher

Heimlich schlich er durchs Dorf. Die Straßen kannte er nur zu gut. Er wusste, wohin er ging und wieso. Dennoch blieb er wachsam, um nicht unbewusst nach Hause zu gehen- in das Haus, in dem er einmal gelebt hatte. Es war nicht sein Ziel. Dort war der, nach dem er sehen wollte, schon eine Weile nicht mehr gewesen. Er ging so ungern hin wie sein schwarzhaariger Besucher, von dessen Anwesenheit er nichts ahnte, seit einer Mission, von deren Existenz er nichts wusste. Alles war anders seit dieser Mission.

Seiner Mission.

Der schwarzhaarige Besucher schlich weiter. Die Wachen durften ihn nicht entdecken, bis er bei ihm war. Dort war er sicher, denn niemand bekam seine Anwesenheit mit. Etwas, das schon immer seinen Vorteil bedeutet hatte- und ihm diese verfluchte Mission um einiges erleichtert hatte. Alleine von der Vorstellung, seine Familie, alle, die ihm wichtig gewesen waren außer einem, umbringen zu müssen, wurde ihm übel. Immer noch. Er hatte sie möglichst lautlos ermordet. Möglichst schmerzlos. Er hatte ihnen nicht wehtun wollen. Er hatte es gemusst. Es hatte nie eine Rolle gespielt, dass er ein 13-jähriges Kind gewesen war, das seine Familie liebte. Er hatte sie wirklich sehr geliebt. Noch immer konnte, wollte er nicht begreifen, was er getan hatte.

Aber die Albträume waren nicht gnädig. Sie zeigten ihm immerzu, sobald er die Augen schloss, was er getan hatte.

Was er seinem kleinen Bruder angetan hatte.

Er selbst hatte nicht das Recht, die Ermordung aller Verwandten zu betrauern.

Er hatte sie selbst umgebracht.

Und noch immer wusste er nicht, ob es richtig gewesen war. Richtig für Sasuke. Der Junge war gerade mal acht Jahre alt!

Sicher, er würde keinen Krieg erleben müssen. Davor hatte Itachi, sein Bruder, sein Besucher, ihn unbedingt bewahren wollen. Er wollte seinem kleinen Bruder, seinem Ein und Alles, diese Albträume ersparen. Ihn schützen. Aber letztlich wusste Itachi nicht, ob der Verlust der Familie, der Eltern, das wert gewesen war. Im Krieg hatte Itachi seine Mutter gehabt und die Tanten und Cousins, die ihn getröstet und abgelenkt haben, als Fugaku, Itachis und Sasukes Vater, mit den anderen Männern lange fort gewesen war. Als sie ihr Viertel abriegelten, damit keiner den Familien etwas antun konnte, als ihr Heimatdorf angegriffen worden war. Itachi war fortgebracht worden wie alle, die nicht kämpfen konnten. In die geheime Stadt der Uchiha, wo sie auch ihre Waffen kauften.

Gekauft hatten.

Als sie Jahre später, nach dem Krieg, wieder dorthin gegangen waren, haftete die Erinnerung an jedem Stein und Grashalm. Itachi hatte sich dort zwar sicher gefühlt, aber es hatte die Albträume schlimmer gemacht. Immer hatte er diesen Ort gemieden und Ausreden gesucht, nicht dorthin zu müssen. Keiner hatte ihn durchschaut. Schon früh, als er die ersten Toten gesehen hatte, hatte er gelernt, sich zu verschließen. Dann war Sasuke geboren wurden, kurz nach Kriegsende.
 

Der kleine Junge, das Baby, hatte Itachis Leben umgeworfen. Anfangs hatte er nicht gewusst, was er von einem kleinen Bruder halten sollte, aber dann, als er ein paar Mal auf das Baby aufgepasst hatte, war ihm mit der Zeit bewusst geworden, das er ein großer Bruder geworden war. Wie wichtig Sasuke für ihn war. Wie sehr er ihn mochte. Und Itachi hatte dem Kind, das noch nicht verstand, versprochen, es zu beschützen. Mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Nur wegen Sasuke hatte Itachi härter trainiert als andere Kinder, nur wegen ihm so schnell die Akademie abgeschlossen und sich bis zum Anbu hochgearbeitet, dem obersten möglichen Rang neben dem des Hokage selbst.

Er hatte nicht ahnen können, wie sehr er diesen Rang einmal verfluchen würde. Diesen Erfolg. Er war doch nur ein Kind gewesen, das von einem Leben ohne Kriege träumte. Er hatte nicht gewusst, wie sehr man ihn damit ködern würde, was man von ihm verlangen würde.

Als Anbu hätte er diese Mission auch ablehnen können. Seine Familie nicht töten müssen. Aber dann wäre jemand anderes gekommen- und der hätte keinen Halt vor Sasuke gemacht, einem unschuldigen Kind, das nichts für die Ansichten und Taten seiner Familie konnte.

Andere Kinder waren ebenso unschuldig gewesen, das wusste Itachi. Er wusste es immer, auch wenn er es verdrängte. Er hatte andere Kinder umgebracht, jeden, sogar seine Eltern, nur Sasuke nicht. Die anderen Kinder waren nicht sein Bruder gewesen, sondern Cousinen und Cousins. Er hatte mit ihnen Familienfeste gefeiert, sie gegrüßt und auch für sie gekämpft, aber er hatte sie nicht geschützt. Sie waren nicht Sasuke.

Aber, dachte Itachi, während er auf ein großes Mietshaus zu ging, es waren auch Kinder. Ich bin nicht besser als meine Auftraggeber.

Verstimmt wischte er diese Gedanken aus seinem Kopf. Sie waren unwichtig. Er würde seine Strafe bekommen, dafür hatte er gesorgt. Sasuke war besser geschützt als die Kage aller Reiche, denn Itachi hatte ihm den Hass geschenkt. Aufgezwungen. Hassen war etwas, das jeder Uchiha gut konnte. Demütigungen und Verletzungen vergaßen sie selten. Sasuke war so verletzt worden, das er es wohl nur schwer und mit viel Hilfe verarbeiten konnte.

Diese Tatsachen waren Itachi bewusst, als er wie so oft in die Wohnung seines Bruders einbrach. Hier gab es keine Vorkehrungen, die er nicht durchschauen konnte. Itachi nahm die Fallen wahr, die Sasuke aufgestellt hatte, um ruhig trotz offenem Fenster schlafen zu können. Er selbst hatte ihm gezeigt, wie er sie aufstellte.

Itachi hatte ihm alles beigebracht und ebenso viel genommen.
 

Doch nun wollte er nur großer Bruder sein, nur diese Nacht wie schon unzählige zuvor. Selten schlief er, denn das Wohl seines kleinen Bruders war wichtiger. Wenn der kleine Junge schlief, wachte Itachi über ihn.

„Hallo Sasuke“, flüsterte Itachi liebevoll und beugte sich zum unruhig Schlafenden herab, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin da und passe auf dich auf. Das habe ich dir doch versprochen.“

Jede Nacht sagte er das, und jede Nacht ließ er sich auf der Bettkante seines Bruders nieder und strich ihm beruhigend durchs Haar. Leise seufzte das Kind im Schlaf und rollte sich auf die Seite. Wandte ihm, dem großen Bruder, das Gesicht zu und schlief ruhig weiter. Wenn Itachi da war, spürte etwas in Sasuke das. Er nahm es nicht wirklich wahr, aber er wusste, dass er in Sicherheit war, und dieses Wissen vertrieb jegliche Albträume mit einem Schlag.

Erwischt

Itachi seufzte schwer, als er selbst müde wurde. Er wurde immer nur in Sasukes Nähe müde, immer wenn er auf ihn aufpasste. Er sehnte sich danach, sich zu seinem kleinen Bruder ins Bett zu legen und wie früher bei ihm zu schlafen. Jede Sekunde mit seinem Bruder genoss er, weil er wusste, dass der gesund und sicher war. Niemand würde seinem Bruder etwas antun können- nicht, wenn Itachi in der Nähe war. Doch nun wurde der Anbu müde, und wenn er weiter so an der Seite seines kleinen Bruders saß, würde er einschlafen. Sasuke würde ihn umbringen, sobald er wieder bei sich war, wach genug. Vielleicht. Wenn Itachi Pech hatte zumindest. Kurz nach dem Aufstehen war sein kleiner Bruder immer etwas verschlafen und verwirrt. Vielleicht würde er glauben, nur schlecht geträumt zu haben, aber wenn er sich umsehen würde wüsste er sofort Bescheid und würde zum Kunai greifen. Itachi hatte keine andere Wahl mehr, wenn er weiter auf Sasuke achten wollte: Er musste gehen. Und so beugte er sich erneut über seinen kleinen Bruder und küsste wieder dessen Stirn.

„Gute Nacht, Sasuke“, wisperte er deprimiert. „Ich komme dich wieder besuchen, keine Angst. Ich habe dich lieb.“

Damit verließ er den Raum durch das Fenster, durch das er auch schon hinein gekommen war. Die Fallen blieben unbeschädigt, keine einzige wurde ausgelöst. Sasuke schlief weiter tief und fest, drehte sich im Schlaf auf die andere Seite und kugelte sich richtiggehend ein. Itachi warf noch einen kurzen Blick auf das Kind, seinen kleinen Bruder, bevor er sich davon schlich. Sein Partner Kisame wartete sicher noch auf ihn, wie er es immer tat. Jede Nacht. Der Hoshigaki wusste nicht, was Itachi in Konoha, seinem Heimatdorf tat, aber es interessierte ihn auch nicht. Der Haimann akzeptierte die Verschwiegenheit seines Partners, auch wenn er ihm immerzu neugierige Blicke zuwarf.
 

Mittlerweile war Itachi schon fast im Uchihaviertel angekommen. Nie standen dort Wachen, denn das Tor war mittlerweile geschlossen worden. Der Bereich der Uchiha stand nun jedem Landstreicher zur Verfügung- jeder, der es wollte, könnte sich dort einschleichen, denn es wurde nur schlecht bewacht. Wer wollte auch schon in ein leerstehendes Haus einbrechen? Es gab dort nichts mehr zu holen. Itachi hatte gesehen, wie die Wertsachen aus den Häusern entfernt worden waren und dann belauscht, wie der Hokage bestimmte, alles für Sasuke an einem sicheren Ort zu verwahren. Itachi kannte diesen Ort, denn es war der Versammlungsraum der Uchiha gewesen. Tatsächlich kannte der Kage diesen Raum nur durch ihn- durch Itachi selbst. Vielleicht hätte er nichts davon sagen sollen, aber die Shinobi, die alles fortgebracht hatten, waren Anbu. Sie waren so verschwiegen wie Itachi selbst. Keiner würde Sasukes Besitz anrühren. Der ältere Bruder hatte zur weiteren Sicherheit noch Fallen aufgestellt- andere als die seines Bruders, viel bessere. Niemand konnte sie finden, der kein Byakugan oder Sharingan hatte. Sasuke würde nie Hungern müssen.

Aber diesmal waren dort Wachen. Indirekt. Ein Trupp junger Shinobi stand vor dem Tor. Die Ninja, älter als der Clanmörder, unterhielten sich. Es waren keine Wachen, aber sie konnten Itachi entdecken. Deshalb unterdrückte er sein Chakra genug, um für einen harmlosen Zivilist gehalten zu werden, und deaktivierte sein Sharingan, was er sonst selten tat. Er hatte gelernt, es sehr lange zu nutzen, solange es nicht das Mangekyo-Sharingan war.

Seine schwarzen Augen würden ihn nicht verraten, oder?
 

Es waren nicht seine Augen.

Sie waren schwarz, unauffällig, harmlos.

Aber das Kratzen in seinem Hals, das Itachi schon einige Tage störte und aus Mangel an medizinischer Versorgungsmöglichkeit ignoriert wurde, löste einen heftigen Hustenreiz aus, dem er nur schwer Herr wurde. Am Rande bemerkte er, wie er stolperte. Spürte zu deutlich, wie ihm starke Hände Halt boten.

„Geht es Ihnen gut? Beruhigen Sie sich“, war das einzige, das er wahrnahm.

Nun fiel ihm das sich-beruhigen ja um einiges leichter!

Sofort schlug er die Hand des Shinobi beiseite und sah auf. Erst als er den überraschten Blick des Mannes wahrnahm erkannte er, dass er nahezu unbewusst sein Sharingan aktiviert hatte, weil er so sehr neben sich gestanden hatte.

Itachi wusste, was das für ihn bedeutete: Flucht. Offensichtliche Flucht.

Grob stieß er die Männer beiseite und hastete auf seinen einzigen Ausweg zu- die kleine Holztür, die nie versperrt war und wie das Tor Zugang zum Viertel seiner Familie versprach. Es war nicht verschlossen, aber das änderte Itachi schnell, auch wenn er wusste, dass es ihm nur wenig half. Er packte ein herumliegendes Holzbrett, ignorierte die Blutspritzer auf diesem und verbarrikadierte so die Tür.

Er wusste, dass es Aus für ihn war. Jeder wusste, dass es nur noch zwei Uchiha gab –offiziell, wenn man Madara Uchiha, der ihm beim Morden geholfen hatte, nicht mitzählte-, und das waren nun mal Sasuke und er. Sasuke war ein Kind und um diese Zeit sicher nicht unterwegs, zudem um einiges kleiner und zierlicher. Natürlich würden diese Männer sofort die richtigen Schlüsse ziehen und ihn festnehmen wollen.

Oder, wonach sich der Tumult anhörte, auch gleich noch die Anbu benachrichtigen.

Itachi war immerhin ein Abtrünniger der schlimmsten Sorte und allemal zu mächtig für die anderen Ninja.
 

Aber er war auch sehr erschöpft. Zu lange hatte er sich den Schlaf verwehrt, um bei Sasuke sein zu können. Viel zu lange. Und der Husten kündigte sich schon wieder an. Weit flüchten würde er gar nicht können, und er wollte den Shinobi keinen Schaden zufügen. So konnte er auch nicht Kisame benachrichtigen, der beim Verstümmeln seiner Gegner kein Erbarmen kannte. Er würde niemanden schonen, und diese Männer waren wichtig für Konohas Schutz. Was Konoha schützte, schützte auch Sasuke.

Erschöpft flüchtete Itachi sich in das Elternhaus seiner toten Freundin. Es lag näher als sein Elternhaus, dem Haus seiner Großeltern oder dem von Shisui, und es war das einzige neben den anderen beiden Gebäuden und dem Tempel, in dem er sich auch auskannte. Eilig lief er die alte Treppe hinauf in das Zimmer des Mädchens, das er mehr geliebt hatte als irgendein anderes, aber nicht mehr als Sasuke.

Vielleicht hätte ich sie auch retten können, schalt Itachi sich, obwohl er wusste, dass sie für seinen Vater gewesen war. Für einen Bürgerkrieg.

Die Zimmertür war angelehnt gewesen, also lehnte Itachi sie auch lautlos an. Diesmal unterdrückte er sein Chakra gänzlich, um nicht entdeckt zu werden, und stellte sich an das große Fenster. Leise raschelte der Stoff seines Mantels, als er ein Kunai zog.

Auf dem Bett war noch die Spur zu sehen. Mit seiner Freundin hatte er angefangen, und er hatte sie gehalten, bis sie eingeschlummert war. Hatte sie in ein Genjutsu gezogen, um ihr allen Schmerz zu ersparen. Sie hatte nicht gespürt, das sie gestorben war, bis das Laken, die Decke, alles blutgetränkt und ihr zierlicher Körper kühl gewesen war.

Itachi wurde erneut übel, als er sich viel zu gut an ihren starren Blick erinnerte. Dabei hatte sie es am leichtesten gehabt, ganz im Gegensatz zu Sasuke. Der hatte seine Eltern sterben sehen, getötet durch die Hand seines Bruders- und er lebte. Er hatte jede Nacht diese Albträume.

Vielleicht hätte Itachi seinen Bruder töten sollen. Als erstes. Am schmerzlosesten. Dann seine Freundin, deren Namen er nicht einmal mehr denken konnte, weil es zu sehr wehtat.

Sasuke hätte nicht gelitten, nicht so, wie er es nun tat.

Itachi fühlte sich, als sei er der schlechteste große Bruder, den es gab. Er hatte seinen kleinen Bruder nicht schützen können. Keinen Mittelweg gefunden.

Wieso ließ er sich eigentlich nicht gleich finden?
 

Er fühlte seine Jäger ohnehin. Sie näherten sich ihm vorsichtig, durchsuchten jedes Haus. Wieso suchten sie nicht zuerst in seinem Elternhaus nach ihm? Und im Tempel? Keiner außerhalb des Clans hatte von Itachis Beziehung gewusst. Er hätte seine Freundin ohnehin nicht heiraten dürfen, sondern die Tochter eines einflussreichen, wohlhabenden Mannes ehelichen müssen. Deshalb wussten nur wenige Bescheid, und die wenigen waren bis auf Sasuke und Itachi tot. Und bis auf Madara, aber der würde seinen Nachfahren nicht verraten, wo er Konoha so sehr hasste.
 

Der Uchiha schreckte aus seinen Gedanken, als er die Nähe der Sucher spürte. Einer war schon im Haus. Gleich würden sie ihn finden.

Was sollte er tun?

Würde er fliehen, würden auch die Wachen aufgestockt werden. Nie wieder könnte er nachts nach seinem kleinen Bruder sehen. Er würde nur noch Sasukes hasserfülltes Gesicht sehen, wenn die beiden kämpfen würden.

Das wollte er nicht.

Das konnte er nicht.

Er brauchte Sasuke. Brauchte ihn schon seit dessen Geburt.

Sasuke war sein Sonnenschein. Unschuldig, wusste nichts vom Krieg.

Sollte das auch nie erfahren müssen. Wie man Krieg führte. Wie das Leben im Krieg war.

Was sollte Itachi also tun?

Er konnte sich nicht einfach in Luft auflösen, als wäre er nie dort gewesen. Und sein Sharingan würde er nicht mehr lange aufrecht halten können.

Vielleicht hätte ich doch schlafen sollen, erkannte er.

Vielleicht solltest du dich auch einfach finden lassen, erklang eine amüsierte Stimme in seinem Kopf. Itachi wagte kaum noch zu atmen, denn es war die Stimme seiner Freundin. Des Mädchens, das dort im Bett gestorben war.

Es war eine Erinnerung an Worte.

Itachi wusste nicht mehr, wann sie sie gesprochen hatte, aber sie hatte es gesagt, genau so:

Wenn du keinen Ausweg mehr hast, kannst du dich auch ohne Sharingan noch tarnen, bevor du von deinen Feinden gefunden wirst. Wie ein normaler Shinobi. Es klingt zwar bescheuert, aber diese Leute würden nie glauben, ein Uchiha würde dieses Jutsu anwenden, weil wir jeden mit unserem Sharingan manipulieren können. Das du nicht von alleine darauf gekommen bist, Wunderkind…
 

Itachi wusste es wieder.

Sie hatte es auf einer Familienfeier gesagt, als sie noch Kinder gewesen waren. Körperlich gesehen. Nach dem Krieg. Nach Sasukes Geburt. Er hatte wissen wollen, wie er sich ohne Sharingan und erschöpft und unbewaffnet verteidigen könnte, weil er diese Situation einmal im Krieg durchgemacht hatte. Damals hatte ihn nur seine schwangere Mutter vor der Entführung geschützt. Sie waren auf dem Weg in die Stadt der Uchiha gewesen. Itachi hatte das nie vergessen können- wie seine schwangere Mutter, die nur einen kleinen Bauch gehabt hatte, sich vor ihn gestellt hatte, die Gegner mit Kunai ablenkte und ihn weiter zerrte- weiter in Richtung Sicherheit, während eine Tante die Feinde mit ihrem Sharingan in Schach hielt, weil seine Mutter das nicht konnte. Sie hatte nur in den Clan eingeheiratet. Ihr Bluterbe, das Sharingan, hatten Sasuke und Itachi vom Vater geerbt.
 

Die Schritte hielten vor der Zimmertür. Itachi wusste, nun war er dran. Er würde gefunden werden. Also tat er, was seine Freundin ihm vor Jahren geraten hatte: Er nutzte ein Jutsu, das er das letzte Mal in der Akademie angewandt hatte, als es Pflicht war. Es gab keinen Knall, kein Geräusch, aber die Auswirkungen waren gelungen, wie Itachi dank des Spiegels auf der Kommode neben der Tür sehen konnte.
 

Er sah genauso aus wie sie. Wie Beniko Uchiha.

Ihren Namen zu denken, ließ sein Herz schmerzen. Es sich krampfhaft zusammenziehen. Sein Kunai fiel klappernd zu Boden, als er sich vor Pein zusammenkrümmte.
 

Im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen und ein Anbu stürmte den Raum.

Itachi war gefunden worden.

Wiedersehen

Dankbar nahm Itachi einen Schluck Tee. Seine Augen waren wieder schwarz wie bei jedem Uchiha und die Schmerzen hatten nachgelassen, aber sein Körper war noch immer getarnt. Itachi saß nun schon seit Stunden im Verhörraum der Anbu und bemühte sich um glaubhafte Lügen. Antworten auf die Fragen.

Wie hast du überlebt? Wie bist du ins Dorf gekommen? Wo warst du im vergangenen halben Jahr? Hat noch jemand das Massaker überlebt?
 

Itachi hasste diese Fragen. Es tat ihm weh, in einen Spiegel sehen zu können, gezwungener Maßen sogar zu müssen. Es tat weh, Beniko im Spiegelbild zu sehen und zu wissen, dass sie tot war.

Wieso hatte er sich nicht als seine Mutter ausgegeben oder als entfernte Verwandte oder als einer seiner Onkel?
 

Aber es nutzte nichts, darüber nachzudenken. Nun war es zu spät und er schon als Beniko Uchiha identifiziert. Niemand schien zu ahnen, dass er nicht Beniko war. Er sah aus wie sie, sein Chakra war ein ähnliches und er unterdrückte es bis auf einen normalen niedrigen Chakrastrom… Keiner würde ihn durchschauen.
 

Er hasste seine Verwandlung.
 

Vielleicht hätte er sich stellen müssen. Selbst eine Hinrichtung wäre weniger quälend gewesen, als nun das Spiegelbild seiner toten, durch seine Hand ermordeten Freundin sehen zu müssen. Und das nicht nur für den Moment, sondern so lange bis sich eine Möglichkeit ergab, Konoha unbemerkt zu verlassen.

Er hasste es wirklich.
 

Dennoch kam er nicht umhin, für den Tee dankbar zu sein, denn er milderte seinen Hustenreiz. Mit ein bisschen Glück hatte er die Erkältung kuriert, bevor er floh. Er wäre dankbar dafür, denn für einen Akatsuki war jede noch so kleine Erkrankung ein Problem- sie konnten nicht einfach in ein Dorf gehen und sich erholen oder gar untersuchen lassen. Es war unmöglich.

Seine Tarnung war kein Fehler gewesen, aber sie war schwer zu ertragen.

Itachi würde sich zusammen reißen müssen, immerhin hatte er schon Schlimmeres durchgestanden. Den Krieg zum Beispiel. Und den Mord an seinen Eltern vor den Augen seines kleinen Bruders. Er hatte Sasuke wehtun müssen. Ein bisschen Schmerz schadete ihm, Itachi, also nicht.

Er konnte den Blick in den Spiegel meiden. Aber sein kleiner Bruder würde seine Albträume nie einfach nur abdecken können. Nie. Aus diesem Grund blickte Itachi auch in den Spiegel. Sah das Gesicht und den Körper seiner Freundin an, die er ermordet hatte.

Er hatte es nicht verdient, wegschauen zu können. Und vielleicht –ganz vielleicht nur- könnte er so ja etwas Gutes tun für seinen kleinen Bruder. Eine Art kleine Entschädigung. Sasuke litt so sehr.
 

Noch hatte Itachi auf die Fragen nicht geantwortet. Gesagt, er wisse es nicht. Aber nun war der Hokage auf dem Weg, Hiruzen Sarutobi. Der Uchiha wusste nicht, ob er sich seinem Vorgesetzten zu erkennen geben konnte. Immerhin sollte niemand erfahren, was wirklich geschehen war. Wieso der Clan von Itachi –mithilfe Madara Uchihas, was Itachi selbst kaum glauben konnte und um den keiner wusste- ermordet worden war und nur sein kleiner Bruder überlebt hatte.
 

Ungeachtet von Itachis Willen –er wurde gar nicht erst gefragt- betrat der Hokage den Raum. Er wirkte müde und abgearbeitet, was den Uchiha nicht wunderte. Es war immerhin noch früher Morgen, die Sonne würde erst in ein paar Stunden aufgehen und der alte Mann hatte sicher noch lange über seiner Arbeit gesessen. Aber Itachi hatte kein Mitleid mit Sarutobi. Alles Mitleid, das er noch in sich fühlte, gehörte Sasuke. Niemand anderes würde ihm je so nahe stehen können. Keine andere Person interessierte den schwarzhaarigen.
 

Der Kage sah ihn sichtlich überrascht an, als er sich schwerfällig auf den unbequemen Stuhl fallen ließ, den ihm einer seiner Anbu bereitgestellt hatte. Lange blickten sich der Alte und Itachi nur an.

„Du bist eine Uchiha?“, fragte Hiruzen ruhig.

Seine Anbu beachtete er kaum, auch wenn ihm das Wohl anderer immer am Herzen lag. Dieses Verhör war vom Hokagen sicher nicht vorgesehen.

Eigentlich sollte Itachi aber auch ganz woanders sein.

„Ja“, antwortete der Uchiha mit der hellen Stimme seiner toten Freundin. „Ich bin Uchiha Beniko. Was ist passiert? Wieso ist niemand zuhause?“

Itachi fand es für den Moment am sichersten, das Unschuldslamm zu spielen. Er konnte gut schauspielern, solange es nicht um Sasuke ging, also fiel es ihm nicht schwer, sich als Beniko auszugeben. Er würde wahrscheinlich selbst enge Freunde täuschen können, wenn es nötig gewesen wäre. Benikos Freunde waren aber Uchiha wie er gewesen, also waren sie tot.
 

Schwer schluckte der Hokage und senkte den Blick. „Es gab einen Angriff. Alle anderen Uchiha außer dir und Sasuke scheinen tot zu sein. Wie hast du überlebt?“

„Angriff?“, wiederholte der Uchiha und tat unwissend. „Wer hat angegriffen? Wieso sind alle anderen außer Itachis Bruder tot?“

Aufrichtig neugierig beugte er sich vor. Angst musste er nicht vortäuschen, denn Beniko hätte sich in dieser Situation nicht gefürchtet. Uchiha hatten keine Angst, sie kannten stattdessen nur Rachedurst. Und in diesem Moment erkannte Itachi, das er Sasuke auf den falschen Weg gebracht hatte, denn der Junge würde ewig hassen- aber wenn Itachi tot war, was blieb Sasuke dann noch? Gar nichts. Und dieses Wissen, diese Befürchtung brachte ihn durcheinander. Er konnte diese Tatsache –seine Verwirrung- nicht einmal verbergen, aber keiner dachte daran, dass es nicht diese Nachricht war, die den Verhörten beunruhigte.

„Itachi hat seinen Clan ermordet. Keiner weiß, wieso ausgerechnet Sasuke überlebt hat“, erklärte ein Anbu neutral.

Von wegen, dachte Itachi. Sie wissen sehr wohl, wieso Sasuke lebt und alle anderen sterben mussten.

Itachi senkte seinen Blick gen Tischplatte. „Ich verstehe.“

„Woran kannst du dich als letztes erinnern?“, wollte der Kage wissen.

Der Uchiha wischte sich die störenden Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Ich kam von der Arbeit nachhause, habe mit meinen Eltern zu Abend gegessen und bin dann schlafen gegangen. Das ist das letzte, an das ich mich erinnere.“

Das konnte Itachi genau sagen. Er wusste, was Beniko vor ihrem Tod gemacht hatte. Er hatte sie den ganzen Tag lang beobachtet und hätte sich am liebsten verkrochen- hätte gerne Beniko und Sasuke genommen und wäre mit beiden aus Konoha geflohen. Von ihm aus hätten sich dann die anderen Verwandten umbringen lassen können, so sehr er sie auch gemocht hatte. Beniko und Sasuke, das waren die ihm wichtigsten Personen gewesen. Danach kamen seine Eltern und Shisui. Dann die anderen aus dem Clan. Er hatte jeden einzelnen gekannt. Bei jeder Feier hatte er mit ihnen beisammen gesessen. Wenn Mikoto, seine Mutter, einkaufen war und Sasuke allein, war er immer zu einer Tante gegangen. Es war die jüngere Schwester ihres Vaters gewesen und sie hatte Natsuko geheißen. Sasuke war gerne bei ihm gewesen, denn sie hatte mit ihm Ninja gespielt und ihn nur sehr selten mit Itachi verglichen. Natsukos Mann war im Krieg gefallen und sie hatte bei der Flucht damals ihr Kind verloren, das noch ein Säugling gewesen war. Itachi vermutete, dass sie Sasuke deshalb so sehr gemocht hatte, weil er etwa im Alter ihres toten Kindes war. Sie hatte seinetwegen im Garten Tomaten gezüchtet und dafür sogar ein Gewächshaus bauen lassen, damit ihr Neffe jederzeit frische Tomaten essen konnte, wenn er bei ihr war. Und Natsuko, die ruhige, liebevolle Tante mit dem braunen Haar, hatte Itachi sehr selten nach seinen Fortschritten gefragt. Nach seiner Karriere. Sie hatte sich wie Mikoto eher für die Kinder interessiert und weniger für deren Leistungen. An ihren toten Mann konnte Itachi sich gar nicht mehr erinnern, aber er wusste, dass er ein guter Polizist gewesen war und den Clan im Krieg bestmöglich unterstützt hatte. Er war einer derjenigen, die gefallen waren, um die Familie in Sicherheit zu bringen.
 

Nach einigen weiteren Fragen, die Itachi so ehrlich wie möglich beantwortete, war das Verhör beendet. Der junge Uchiha war erschöpft, und den anderen Anwesenden ging es sicher nicht besser.

„Was soll ich jetzt mit dir machen?“, grübelte Sarutobi. „Ich möchte dich nicht alleine leben lassen, musst du wissen. Du bist noch ein Kind.“

Itachi lachte innerlich laut auf. Er war 13 Jahre alt und hatte seinen Clan umbringen müssen- war das denn eine Aufgabe für ein Kind?

Am liebsten hätte er dem Hokagen seine Meinung dazu gesagt, aber es war zu gefährlich. Er musste warten und sich ruhig verhalten.

Ein bisschen war es so wie damals kurz vor der Ausführung seiner Mission. Von seinen Verwandten, die er liebte, hatte er sich zurückziehen müssen. Es hatte wehgetan, zu wissen, dass er sie alle umbringen würde. Und das Danach war keinen Deut besser.

Aber nun musste Itachi an Sasuke denken. Der Junge war ganz alleine und wurde von Albträumen geplagt. Beniko hätte sich auch um ihren letzten lebenden, nicht abtrünnigen Verwandten gesorgt.

„Wie geht es Itachis Bruder?“, fragte er deshalb.

Der Kage runzelte die Stirn. „Er ist in Sicherheit“, antwortete er dann. „Ihr könntet zusammen wohnen. Es täte euch beiden gut, denke ich.“

Itachi fiel ein Fels vom Herzen. „Das glaube ich auch.“

Er glaubte es nicht. Er wusste es.
 


 

Sasuke hatte gerade gefrühstückt, als Itachi zu ihm gebracht wurde. Die Sonne war vor kurzem aufgegangen. Früher hatte Sasuke etwas länger geschlafen, wusste Itachi, aber mittlerweile konnte er es vielleicht gar nicht mehr. Die Albträume setzten dem Kind offensichtlich zu. Sasuke begriff nur langsam, was ihm der Hokage sagte.

„Sasuke, du musst nicht mehr alleine leben. Uchiha Beniko wurde in der vergangenen Nacht aufgegriffen. Wir wissen nicht, wie, aber sie hat es überlebt. Sie erinnert sich an nichts mehr, weiß aber Bescheid. Ich möchte dich bitten, mit ihr zusammen zu ziehen“, erklärte der alte Mann.

Sasuke starrte Itachi einfach nur an. Er hatte Beniko gekannt, denn sie und Shisui waren oft mit seinem großen Bruder unterwegs gewesen, bevor dieser Anbu wurde. Bevor Sasukes Welt zerfiel.
 

„Beniko?“, kam es nun sehr leise von Sasuke, der noch nicht zu verstehen schien. „Du-…“

Der Junge unterbrach sich selbst. Er starrte Itachi offen an, verstand- und Tränen sammelten sich in seinen Augen, bevor er von seinem Küchenstuhl sprang und Itachi in die Arme fiel. Laut schluchzte er auf. Kummervoll strich Itachi seinem kleinen Bruder durchs Haar und hob ihn auf seinen Schoß. Ihm war es egal, das Sasuke mit seinen acht Jahren dafür eigentlich zu alt war. Er liebte seinen Bruder und wollte ihn nicht weinen sehen. Sasuke sollte lachen. Er sollte glücklich sein. Etwas anderes hatte Itachi nie gewollt. Es brach ihm das Herz, Sasuke so zu sehen. Das Kind begriff nicht, was los war. Itachi sah es ihm an. Sasuke konnte nicht verstehen, dass er eine entfernte Verwandte wiederzuhaben schien. Er war noch ein Kind –trotz allem- und würde einige Tage brauchen, diese neue Situation zu verarbeiten. Genauso wie nach dem Zusammenbruch seiner Welt.

„Pscht“, machte Itachi leise und zärtlich.

Benikos Stimme klang unglaublich liebevoll. So hatte selbst Itachi sie nie gehört, aber das hier war eine Ausnahmesituation. Keinem würde es auffallen, das wusste er. Und so zog er den Jungen enger in seine Arme und vergrub das Gesicht im schwarzen Haar des Kindes. Er bemerkte nicht mehr, wie der Hokage leise die Wohnung verließ, froh darüber, Sasuke immerhin eine Verwandte zurückgeben zu können.

Nach einem halben Jahr, nach dieser Hölle, tat es ungemein gut, Sasuke in seinen Armen zu wissen. Ihn zu trösten und seinen Geruch und seine Wärme wahrzunehmen.
 

Itachi wollte seinen kleinen Bruder nie mehr loslassen.

Zweifel

Sasuke gewöhnte sich nur schwer an Beniko.

Sicher, er hatte sich am ersten Tag an seinen Bruder geklammert, als könnte ohne Beniko die Welt untergehen, aber da war er noch überfordert mit allem gewesen. Als er am nächsten Tag alles begriffen hatte war er auf Distanz gegangen. Es tat Itachi weh, aber er verstand den Jungen auch. Sasuke hatte alles verloren. Er fürchtete sicher, auch seine letzte lebende Verwandte zu verlieren, von der keiner wusste, wieso sie überlebt hatte. Wahrscheinlich wollte er niemandem vertrauen, der ihn dann wieder enttäuschen könnte. Aber Itachi kannte seinen kleinen Bruder besser als irgendwer sonst. Er drängte sich dem Kind nicht auf, sondern ließ es in Ruhe, wenn es alleine sein wollte, und kümmerte sich um den Jungen, wenn er jemanden in seiner Nähe brauchte.

Meistens schwiegen sie. Vor allem Sasuke redete sehr wenig, obwohl er früher gerne mit anderen geplaudert hatte. Vor allem über seine Fortschritte. Aber nun schwieg er. Itachi fühlte sich schrecklich, weil er seinem kleinen Bruder alles genommen hatte. Nicht einmal eine scheinbar überlebende Verwandte konnte den Jungen aufbauen und ihm helfen.
 


 

Aber dann redete Sasuke doch. Suchte von sich aus eines Abends das Gespräch, als sie beide im Wohnraum saßen und Itachi ein Buch über Genjutsu las. Sasuke lernte, bis er einen Blick zu seinem Bruder warf, den er nur als Beniko erkannte. Er wusste nicht, dass es Itachi war. Das seine entfernte Verwandte wirklich tot war und ihm nur sein verhasster Bruder geblieben war.
 

Itachi spürte schon die ganze Zeit, dass etwas anders war.

Dass Sasuke anders wurde.

Das Schweigen war anders.

Unstet.

Irgendetwas beschäftigte den Jungen, und das Itachi nicht wusste, was es war, bereitete ihm Sorgen.
 

Umso erleichterter war der ältere Bruder, als Sasuke endlich genug Mut gesammelt hatte. Mut für eine Frage, die den jüngeren schon seit Benikos Auftauchen beschäftigte:

„Hasst du ihn auch?“

Itachi spürte ein Stechen in seiner Brust. Es war sein Herz und er wusste warum.

Schwer schluckte er. „Meinst du Itachi?“

Langsam nickte Sasuke und senkte den Blick.
 

Wahrscheinlich dachte er wieder an ihre toten Eltern.
 

Lange schwieg Itachi.

Ihm fiel diese Antwort nicht leicht, aber er wollte ehrlich sein.

„Ja“, antwortete er deshalb. „Ja, ich hasse ihn. Er hat dein Leben kaputt gemacht.“

Sasuke sah ihn überrascht an. „Und was ist mit deinem Leben?“, fragte der Junge.
 

Diese Frage konnte Itachi nicht beantworten. Zumindest nicht im ersten Moment.

„Ja, meins hat er auch zerstört“, sagte er dann leise. „Aber er hatte seine Gründe.“

Sasuke sah ihn verständnislos an, aber Itachi wusste, dass es im Jüngeren arbeitete. Spürte die Wut, die er mit seiner unbedachten Äußerung hervorgerufen hatte, bevor sein kleiner Bruder ihn anfuhr: „Welche Gründe sollen das denn gewesen sein?“

„Das sage ich dir ein anderes Mal. Wenn du ein bisschen älter bist“, wich Itachi aus.

Der Junge knurrte ein „Beniko, sag´s mir“, das ihm nichts brachte.
 

Itachi konnte ihm die Wahrheit noch nicht sagen.
 

„Wie klappt es eigentlich mit deinem Training?“, lenkte der Ältere der beiden vom Thema ab.

Zuerst wütend, dann doch ein wenig froh über diese Frage antwortete Sasuke: „Gut. Ich treffe in die Zielscheibenmitte, nur kriege ich es noch nicht so hin wie Itachi damals. Und das muss ich doch, damit ich eine Chance gegen ihn habe, oder?“

Itachi lächelte. „Wenn du möchtest bringe ich es dir bei“, bot er an.

Mit großen Augen blickte Sasuke seinen Vormund an; mittlerweile war Sasuke offiziell Beniko Uchiha anvertraut worden. Sie war zwar ein Jahr jünger gewesen als Itachi, aber Kindern wurde früh eine große Verantwortung übertragen. Und wer einmal gearbeitet hatte, durfte ein Kind bei sich aufnehmen. Itachi hatte sich als Beniko vom Dienst freistellen lassen, damit er sich ganz um Sasuke kümmern konnte. Es war ihm sofort gestattet worden.

„Du möchtest mit mir trainieren?“, kam es ungläubig vom Jüngeren.

Itachi nickte. „Natürlich“, lächelte er Benikos Lächeln. „Ich möchte, dass du irgendwann auf dich aufpassen kannst, auch wenn ich nicht bei dir bin.“
 

Sasuke glaubte wahrscheinlich, Beniko meinte die Missionen, aber er wusste auch nicht, wer wirklich bei ihm war. Wer für ihn da war. Er freute sich nur auf eine richtige Trainingspartnerin, die ihm viel beibringen konnte. Die auch wirklich für ihn da war und nicht wie Itachi dauernd zu tun hatte.

Itachi konnte Sasuke die Freude ansehen und lächelte warm. Sasuke lächelte- nein, strahlte übers ganze Gesicht. Wäre er kein Uchiha, er wäre sicher vor Freude umhergesprungen und hätte gejubelt.
 


 

Itachi beobachtete seinen kleinen Bruder ganz genau. Sasuke war noch ehrgeiziger als früher geworden, aber das war ihm klar gewesen. Sasuke hatte nun immerhin einen triftigen Grund, sich anzustrengen. Und den durfte Itachi ihm nicht nehmen, egal, wie sehr er sich wünschte, seinem Bruder eine harmlose Version der Wahrheit sagen zu können.

Sein kleiner Bruder würde es nicht verstehen. Er würde ihn sofort angreifen und versuchen, ihn zu töten. Das gehörte zum eigentlichen Plan des Älteren. Itachi wusste nur nicht mehr, ob er ihn aufhalten sollte. Sasuke allein zurücklassen, schutzlos, das wollte er nicht, obwohl sein kleiner Bruder dann sicher gut auf sich aufpassen könnte. Besser als derzeitig. Dennoch: wenn Sasuke es wirklich schaffen sollte, hätte er niemanden mehr zum reden, niemanden mehr, der für ihn da war. Niemand, der ihn mit seinem Leben verteidigen würde. Itachi durfte es ihm nicht sagen. Er wollte doch, dass es Sasuke gut ging. Mit ihm ging es dem Kind zwar nicht gut, aber immerhin besser, als wenn Itachi einfach wieder verschwinden würde.

Nie wieder wollte der ältere Uchiha Sasuke alleine lassen.
 

Sasuke lief los. Beniko sah ihm genau zu, das wusste er. Und er fühlte sich wohl. War stolz darauf, dass sie ihm ihre Zeit schenkte.

Sie mochte ihn scheinbar um einiges mehr, als Itachi es getan hatte. Der hatte selten Zeit für Sasuke gefunden und ihn oft hängen lassen.

Ob es ihm wirklich leid getan hat?, fragte sich der Junge.

Schnell verdrängte er diesen Gedanken.

Es hatte Itachi nicht leid getan.

Er hatte Sasuke doch gehasst! Und das hatte er selbst gesagt- hatte es zugegeben.

Sasuke musste ihn hassen. Das tat er noch nicht genug. Er musste diese Übung schaffen. Er musste seinen Bruder umbringen, sich rächen.

Er durfte nicht versagen!

Das war er seinen toten Eltern und Großeltern und allen anderen schuldig. Er hatte doch niemanden mehr!
 

Stopp, dachte er dann und blickte zu seiner vermeintlichen Cousine, die sich nun um ihn kümmerte. Beniko ist noch da. Er hat vielleicht auch noch andere am Leben gelassen. Oder?

Sasuke wusste es nicht. Wusste nicht, was er denken sollte, wusste nicht, wie und wieso seine Cousine überlebt hatte. Hatte sie seinem Bruder vielleicht sogar geholfen, alle umzubringen? Aber Itachi war doch ganz alleine gewesen, als Sasuke ihn und ihre Eltern gefunden hatte! Da irrte er sich nicht- er sah alles vor sich, jede Nacht in seinen Träumen. Wie Itachi seine Eltern ermordete, wie er ihm wehtat und zeigte, dass er alle anderen umgebracht hatte. Er zeigte ihm, wie er ihre Onkel und Tanten und Großeltern und Cousinen und Cousins ermordete, nahe wie ferne Verwandte. Doch etwas stimmte nicht. Sasuke kam nur nicht darauf, was es war.

Irgendetwas übersah er bei allem.

Vielleicht dieses Mangekyo-Sharingan? Hatte Beniko es vielleicht auch und war sie die dritte Person, die über diese besonderen Sharingan verfügte?

Sasuke wurde unsicher. Was, wenn seine letzte lebende Verwandte seinem Bruder geholfen hatte? Und wenn sie nun zurückgekehrt war, um ihn umzubringen? Die ganzen Fragen verwirrten ihn. Sicher, Beniko war anders als früher, aber auch seine Cousine.

Und Itachi war mal dein großer Bruder.
 

Innerlich nickte das Kind. Ja, Itachi war mal sein Bruder gewesen. Sasuke hatte ihn geliebt, ihm nachgeeifert. Er war gerne bei seinem großen Bruder gewesen und hatte noch viel lieber mit ihm trainiert. Das Training mit Itachi war immer etwas Besonderes gewesen. Der ältere der Brüder hatte so selten Zeit gehabt, aber schien sich immer um ihn zu bemühen. Es tat Sasuke weh, belogen worden zu sein. Wenn er könnte, er würde Itachi im Kampf besiegen und mit einem Kunai so oft in das Herz seines Bruders stechen, bis der starb, damit Itachi merkte, wie weh er seinem kleinen Bruder getan hatte. Und noch viel lieber würde er ihm Bilder zeigen, wie Itachi das bei ihm gemacht hatte, nur, dass es dann Itachis Albträume sein sollten. Falls der denn welche hatte. Darüber hatten die Brüder sich sicher auch einmal unterhalten, aber es musste lange her sein. Sasuke konnte sich nicht mehr daran erinnern.
 

Itachi erkannte, dass sein kleiner Bruder in Gedanken war. Und er ahnte, wieso. Am liebsten würde er zu ihm gehen und ihm dabei helfen, über den Tod ihrer Eltern und den Verlust aller Verwandten hinweg zu kommen, das Geschehene zu verarbeiten, aber er konnte es nicht tun. Er konnte nicht hingehen und sagen, dass Sasukes großer Bruder versucht hatte, niemanden zu quälen, wenn er als Beniko vor dem Kind stand. Das konnte er nicht. Sasuke war nicht auf den Kopf gefallen, er würde ihn sofort durchschauen, und das war nichts, was Itachi riskieren konnte. Sasuke sollte glücklich sein, und er wollte ihm den letzten Halt nicht auch noch nehmen. Er wollte dem Jüngeren den Hass nehmen und ihn ohne diesen stark machen. Aber er fragte sich auch, ob das überhaupt möglich war. Konnte er dem Jungen das nehmen, was er selbst gestreut hatte? Die Saat der Wut ging auf. Der Hass gedieh. Damit half er Sasuke doch, oder? Der Hass half seinem kleinen Bruder, mit dem Tod der Familie klar zu kommen, oder? Itachi war sich da gar nicht mehr so sicher. Überhaupt nicht mehr. Mit jeder Sekunde, in der er sich um den Jüngeren kümmerte, wurde er unsicherer. Schon vor seiner Tat hatte er gezweifelt, auch danach, als er Akatsuki beigetreten war, aber noch nie so sehr wie nun, wo er das Leid seines Bruders nicht nur bei Nacht sah. Sasuke hasste, und das würde ihn am Leben erhalten, aber ob es ihn auch glücklich werden ließ… Das wusste der Ältere der beiden nicht. Aber er ahnte, dass er einen Fehler damit begangen hatte.

Er musste diesen Fehler wiedergutmachen. Musste versuchen, seinen kleinen Bruder zu trösten, ihm die Trauer zu nehmen und ihm zeigen, dass er auch ohne Rache glücklich sein konnte. Das musste er.
 

Es war seine Pflicht als großer Bruder, auch, wenn er sich als Beniko ausgab.
 

„Sasuke? Ist alles in Ordnung?“, wandte er sich deshalb besorgt an den Jüngeren, der verwirrt zu ihm blickte. Er schien nichts mehr von seiner Umgebung und dem Kunai in seiner Hand mitbekommen zu haben. Nicht bemerkt zu haben, dass er stehen geblieben war.

Leicht nickte der Junge. „Ja“, meinte er, drehte sich um und rannte auf den Felsen zu. Der Achtjährige dachte an seinen großen Bruder, daran, wie er ihn besiegte und die Ehre seiner Familie wiederherstellen würde. Er dachte daran, Itachi leiden zu lassen.
 

Beim letzten Mal, dem letzten gemeinsamen Training mit Itachi, hatte er sich zwar auch bemüht, aber die Übung nicht geschafft. Den ersten Schritt -den Felsen hinauf zu springen, wie es die Ninja konnten- hatte er nicht geschafft. Stattdessen hatte er sich bei dem Versuch böse den Knöchel gestaucht, sodass Itachi ihn hatte heimtragen müssen. Doch Sasuke hatte dazu gelernt. Hatte jedes Lehrbuch gelesen, dass er in Itachis Zimmer hatte finden können. War sogar im geheimen Versammlungsraum des Clans gewesen, um zu lernen, wie Itachi es ihm gesagt hatte. Er wusste es nun besser. Stieß sich so kraftvoll wie möglich vom Boden ab und nutzte den Stein nur als kurze Trittfläche, die ihn hinauf in die Luft katapultieren sollte. Er schaffte es. Den Salto, den sein ehemaliges Vorbild gemacht hatte, bekam der junge Uchiha sofort hin. Voll und ganz bei der Sache war er, schleuderte die Kunai und Shuriken auf die Zielscheiben. Er landete sogar auf den eigenen Füßen. Stolz sah er sich um. Er hatte die Übung geschafft!

Doch ein Blick in die Zielscheiben ließ ihn innerlich vor Wut aufschreien.
 

Er hatte jede höchstens am Rand getroffen, nie die Mitte.

Was war er doch für ein Versager!

Ob es daran lag, dass er einen anderen Weg hatte finden müssen als Itachi und die Erwachsenen, die ihr Chakra dazu einsetzten?
 

Beniko tat ein paar Schritte in seine Richtung, das konnte er hören. Und er fühlte, dass sie etwas bedrückte.

Sicher war sie enttäuscht von ihm.
 

Als er schon gehen wollte, lief sie ganz zu ihm, kniete sich vor ihn und drückte ihn an sich. Sasuke fragte sich, was das werden sollte, aber er fragte nicht. Erwiderte die Geste nicht.

„Ich bin stolz auf dich“, hörte er dann die Stimme seiner letzten lebenden Verwandten –denn Itachi sah er nicht mehr als Familie an- und schaute verwirrt auf den schwarzen Haarschopf herab, der zu der Frau gehörte, die sich kümmerte.
 

Die sich um ihn kümmerte.
 

„Aber ich habe doch gar nicht getroffen“, nuschelte er dann verlegen, weil er nicht wusste, wie er mit dem kläglichen Rest seiner Familie umzugehen hatte. „Nicht ein einziges Mal.“

Beniko lächelte ihn an, nachdem sie ihn losgelassen hatte. „Na, du hast die Zielscheiben zum größten Teil getroffen. Itachi hat mir erzählt, dass er bei seinem ersten Versuch höchstens eine getroffen hat. Wenn er das wüsste, wäre er sicherlich auch stolz auf dich und neidisch.“
 

Ungläubig starrte das Kind seinen Vormund an. Itachi und neidisch?

„Aber er ist doch besser als irgendwer sonst“, rang er sich dann mühsam eine Erwiderung ab, die Beniko mit einem Grinsen quittierte.

„Auch ein Genie fängt mal klein an“, entgegnete sie nur.

Und Itachi, der das mit Benikos Stimme sagte, meinte jedes einzelne Wort todernst. Er war unglaublich stolz auf seinen kleinen Bruder.

Fieber

Sasuke wachte irgendwann in der Nacht auf.
 

Verwirrt setzte er sich in seinem Bett auf.
 

Schlecht geträumt hatte er nicht, wieso war er dann wach?

Er wusste es nicht.
 

Vielleicht sollte etwas trinken und dann versuchen, wieder zu schlafen?
 

Müde kämpfte er sich aus dem Bett und tapste durch die nachtschwarze Wohnung. In der Küche angekommen fischte er sich ein Glas aus dem Küchenschrank und goss sich den kalten Tee ein, den Beniko jeden Abend aufbrühte. Diese Angewohnheit kannte er von Itachi, was ihn anfangs verunsichert hatte. Aber diese Person, die sich um ihn kümmerte, war nicht Itachi. Es war Beniko. Er kannte sie und vertraute ihr mittlerweile.
 

Deshalb machte sich der achtjährige keine großen Gedanken mehr darum, sondern nahm es hin, wie es war, und genoss den noch lauwarmen Tee.

Allzu lange hatte er wahrscheinlich nicht geschlafen. Und nun spürte er auch noch, wie er langsam richtig aufwachte.

Verstimmt seufzte der kleine Uchiha und beschloss, seine Verwandte zu fragen, ob er bei ihr schlafen konnte. Es wäre nicht das erste Mal und er wusste, sie würde ihn nicht von sich stoßen.
 

Doch als Sasuke das Schlafzimmer seines Vormunds betrat, lag Beniko im Bett und wälzte sich unruhig auf dem kühlen Laken. Der jüngere runzelte die Stirn, als er seine vermeintliche Cousine gequält stöhnen hörte, und trat leise an die Schlafstätte des älteren heran.
 


 

Beniko war leichenblass und atmete schwer. Dann hustete sie stark und setzte sich mit einem Mal auf, noch immer um Luft ringend und hustend, die schmale Hand auf den Mund gepresst. Sasuke reagierte schnell und stützte sie, als sie in die Kissen zurücksank. Schwerfällig öffnete sie ihre schwarzen, fiebrig glänzenden Augen und blickte ihn an.

„Wieso schläfst du nicht?“, fragte sie mit einer seltsam rauen Stimme, die den jüngeren Uchiha irgendwie ein wenig an seinen Bruder erinnerte.

Doch Sasuke wischte diesen beunruhigenden Gedanken entschlossen beiseite. Das hier war nicht Itachi!

„Ich konnte nicht schlafen. Was ist mit dir?“
 

Itachi seufzte erschöpft und war froh über die Nähe und Fürsorge seines kleinen Bruders, der ihn zudeckte und ihm einen Kräutertee aufbrühte, der den Husten mildern sollte. Momentan fühlte sich der ältere Uchiha auf grausame Art hilflos und ausgeliefert. Alle Energie, die ihm noch zur Verfügung stand, setzte er für seine Tarnung ein. Er wusste: Solange er als Beniko Uchiha in Konoha lebte, würde man ihm helfen. Sobald seine Tarnung aufflog, landete er im Gefängnis, völlig egal, wie krank er war. Deshalb war er umso dankbarer, als ihm sein kleiner Bruder dabei half, den Tee zu trinken, und gab dem Drängen des achtjährigen, doch zu einem Arzt zu gehen, sofort nach. Er wollte Sasuke nicht alleine lassen. Er wollte gesund sein.

Für Sasuke.
 

Sein kleiner Bruder half ihm, sich einen Kimono überzuziehen, und legte ihm eine wärmende Decke um die Schultern. Danach schleppte sich der Mörder mit Sasukes Hilfe durch das halbe Dorf bis ins Krankenhaus. Es dauerte ewig, obwohl selbst der jüngere der beiden diese Strecke normalerweise innerhalb weniger Minuten zurücklegen konnte. Doch Itachi ging es sehr schlecht. Er stand kurz davor, vor Anstrengung zusammen zu brechen. Die Hustenanfälle raubten ihm fast alle Kraft. Nur die Angst, seine Tarnung zu verlieren, hielt ihn bei Bewusstsein. Sein Chakra war nahezu vollkommen aufgebraucht durch seine Erkrankung. Seine Stimme klang wieder mehr nach ihm selbst, was nicht nur ihn beunruhigte. Es grenzte an ein Wunder, dass der diensthabende Arzt, der ihn untersuchte, seine tiefe Stimme auf den schlimmen Husten schob. Sasuke wirkte sofort erleichtert, als man ihm versicherte, sich gut um seine vermeintliche Cousine zu kümmern.
 

Dennoch ging er nicht zurück in die Wohnung, in der nun niemand auf ihn warten würde.

Er blieb, bis die Untersuchungen abgeschlossen waren und feststand, dass Itachi sich eine üble Lungenentzündung zugezogen hatte.
 


 

Man hatte dem älteren ein chakraregenerierendes Medikament verabreicht, was diesem nur zu recht gewesen war. Er hatte sorglos einschlafen können in dem Wissen, dass seine Tarnung nicht auffliegen würde.

Und mit der Freude darüber, dass Sasuke bei ihm blieb. Dass sich sein kleiner Bruder zu ihm ins schmale Krankenbett legte und an ihn schmiegte. Er hatte nicht damit gerechnet, das noch einmal erleben zu dürfen. Ihm war es egal, dass sein Bruder das nur tat, weil er ihn für Beniko hielt. Sasuke tat es. Das genügte vollkommen, um ihn ruhig schlafen zu lassen. Dank der Medikamente vom Husten und den anderen Erkältungssymptomen befreit, fühlte er sich wohl.

Obwohl er Krankenhäuser nicht mochte. Obwohl er wusste, dass ihn seine Erkrankung eine Weile ans Bett fesseln würde. Darüber hatten ihn die Ärzte schon aufgeklärt.
 

Sasuke war bei ihm.

Sasuke sorgte sich um ihn.
 

Das war alles, was für Itachi in diesem Moment zählte.
 


 

Sasuke hatte Angst. Als er Beniko so hilflos gefunden hatte, war ihm eiskalt geworden.

Alles hatte er verloren. Seine Familie, seine Eltern, seinen großen Bruder. Sein Leben.

Alleine beim Gedanken daran, auch noch Beniko zu verlieren, die sich so um ihn kümmerte, die versuchte, ihm sein Leben wieder zu geben, war ihm ganz anders geworden.
 

Doch die Ärzte hatten seiner Cousine helfen können. Zwar war sie noch schwer angeschlagen, aber sie lebte. Und wahrscheinlich würde sie die Krankheit gut überstehen. Sasuke war erleichtert darüber. Froh, seine Cousine ins Krankenhaus geschafft zu haben, auch wenn der Weg für diese so anstrengend gewesen war. Wäre er stark genug gewesen, hätte er sie tragen können.

Er würde sich noch mehr bemühen, um sie nicht zu enttäuschen. Um sich besser um sie kümmern zu können, wenn es ihr schlecht ging.
 

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Sofort ruhte sein Blick auf ihrem eingefallenen, verschwitzten Gesicht. Sie sah so schwach und hilflos aus, dass es ihm wehtat. Sonst war sie doch die starke! Doch nun schlief sie, träumte scheinbar lebhaft, denn sie nannte seinen Namen.

Das macht sicher das Fieber, dachte sich das Kind und nahm vorsichtig die Hand der älteren.

Er wollte ihr beistehen und zeigen, dass sie nicht alleine war. Auch wenn ihr das keinen traumlosen Schlaf schenken würde.

„Sasuke“, murmelte sie wieder. Ihre Stimme klang verzweifelt. „Es tut mir leid… Ich bleib bei dir…“

Besorgt beugte sich der Junge vor. Sie träumte wohl etwas ziemlich Verrücktes. Was sollte sie schon angestellt haben, das ihr leid tat? „Alles ist in Ordnung, Beniko“, murmelte der kleine Uchiha beruhigend, obwohl er wusste, dass die Träumende ihn nicht hören konnte.

Die junge Frau schlief weiter unruhig. Wie erwartet hatten seine Worte nichts gebracht.
 

Aber als sie ihren eigenen Namen murmelte, ließ er von ihr ab. Starrte sie verwirrt an. Wieso bat seine Cousine sich selbst um Entschuldigung? Das war hirnrissig. Völlig verrückt. Er musste sich verhört haben, das war es ganz bestimmt!

Doch als er wieder näher trat, um Benikos gemurmelte Worte zu verstehen, fiel derselbe Name wieder.

Sasuke hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte.

Er wusste nur, dass es ihn beunruhigte.
 


 

Itachi musste drei Tage lang im Krankenhaus bleiben, bis er gesund genug war, um nach Hause zu gehen. Sasuke war jeden einzelnen Tag bei ihm gewesen, direkt nach der Schule zu ihm gekommen. Der jüngere Uchiha hatte stets ein flaues Gefühl im Magen, wenn er fort war- ganz so, als könnte Beniko sich in Luft aufgelöst haben, bevor er zurück war.
 

Aber sie war immer da gewesen. Hatte abwesend im Krankenbett gelegen und aus dem Fenster geschaut. Ihn immer angelächelt, sobald sie ihn wahrnahm. Und ihr Lächeln war so warm und ehrlich, dass Sasukes Angst in der Nähe seiner Verwandten ganz verschwand. Nur ein eigenartiges Gefühl war da. Er hatte es auch gehabt, als Beniko wieder aufgetaucht war. Doch es war verschwunden mit der Zeit. Wieso war es nun wieder da?

Es verunsicherte ihn immens.

Irgendetwas stimmte nicht mit Beniko.
 

Sasuke hatte am Tag ihrer Entlassung ein Gespräch zwischen dem Hokage und Benikos Arzt belauscht. Sie verbrauche mehr Chakra, als es normal sei. Den Alten stimmte dies nachdenklich, ebenso wie Sasuke. Nur, dass er eine Maßnahme hatte ergreifen können und ihnen einen Betreuer zur Verfügung gestellt hatte, der gerade die ihm zugeteilten Genin zurück in die Akademie geschickt haben sollte. Kakashi Hatake hieß er. Irgendwoher kam dieser Name dem jungen Uchiha bekannt vor. Er wusste nur nicht, woher.
 

Aber er war auch nur ein Kind. Benikos Albträume, in denen sie sich selbst um Verzeihung bat, verstand er auch nicht. Dabei grübelte er die ganze Zeit über eine logische Erklärung und gelangte nur zur Feststellung, dass ihre Erkrankung Schuld daran war.

Oder, dass es nicht Beniko war, die sich um ihn kümmerte. Doch diesen Gedanken verdrängte der achtjährige, sobald er aus seinem Gedankenchaos sprang und sich auf ihn stürzte.

Das Mädchen, das sich so um ihn kümmerte, konnte nur Beniko sein. Die Shinobi, die sie aufgegriffen hatten, hatten ihr Sharingan gesehen.

Eine andere Erklärung wollte er nicht akzeptieren, nicht wahrhaben.

Es musste Beniko sein.

Angst

Mit Benikos Entlassung aus dem Krankenhaus zog der Betreuer ein. Die beiden Uchiha lernten ihn ein paar Tage vorher kennen. Ein grauhaariger, schlanker, junger Ninja. Er kam zu spät, was Sasuke störte. Und wie sich bald herausstellen sollte, war das typisch für ihn. Aber immerhin: Er konnte Sasuke nach dessen schulischem Unterricht trainieren. Itachi musste sich schonen, er konnte das nicht. Er fürchtete, sein Chakra so zu beanspruchen, dass seine Tarnung aufflog. Und er wollte bei Sasuke bleiben. Am besten für immer, bis er wusste, dass sein kleiner Bruder ihn im fairen Kampf töten konnte und danach einen Grund zum Weiterleben hatte.
 

Ob er sein Jutsu halten konnte, bis Sasuke Vater wurde? Bis Itachi ein Onkel war und wusste, dass es seinem Neffen oder seiner Nichte gutgehen würde? Dass Sasuke sich nicht aufgab, nur, weil er ihn umgebracht hatte?

Er hoffte es.

Er wünschte es sich so sehr.
 


 

Kakashi integrierte sich schnell in die kleine Familie.

So ungern Sasuke ihn anfangs in Benikos Nähe sah, so schnell gewöhnte er sich daran, dass jemand da war, der sich um sie beide kümmerte. Der darauf achtete, dass Beniko ihre Medizin nahm und sich schonte. Der Sasuke außerhalb der Schule trainierte, nun, da seine Verwandte das nicht konnte.

Zwar hielt er Sasuke immer vor, teamfähig sein zu müssen, aber davon hielt dieser nicht viel. Außerdem würde keiner seiner Mitschüler nach der Schule noch üben wollen. Die anderen Kinder spielten lieber. Unternahmen andere Dinge als weiteres Training. Und mit den Mädchen in seiner Klasse konnte er schon gar nichts anfangen- sie drängten sich ihm auf und schienen sich weniger für Waffen und Techniken zu interessieren, als für ihn. Und keiner würde eine Chance gegen ihn haben, geschweige denn mit ihm mithalten können. Er war der Klassenbeste, er war ein Uchiha. Und auf seine Herkunft war er verdammt stolz!
 

Obwohl dem Hatake die Einstellung des Jungen nicht gefiel, trainierte er ihn. Er wusste selbst, wie es war, seine Eltern zu verlieren, und Sasuke hatte zudem auch alle anderen verloren. Sein komplettes Umfeld- bis auf Beniko. Ihm war nicht mehr viel geblieben, und alles, was ihn jetzt noch interessierte, war seine Rache.
 

Itachi sollte dafür sterben, dass er seine Familie auf so grausame Weise abgeschlachtet hatte.

Kakashi hatte diese Rachemöglichkeit nicht gehabt. Sein Vater hatte sich selbst umgebracht.
 

Es gab niemandem, dem er die Schuld an dessen Tod hätte geben können, und es hätte seinen Vater auch nicht lebendig gemacht, hätte es einen Schuldigen gegeben.

Das würde Sasuke irgendwann erkennen.
 


 

Itachi fühlte sich seit seinem Krankenhausaufenthalt viel besser. Sein Chakra regenerierte sich allmählich wieder und er musste nur noch Husten, wenn er sich körperlich anstrengte. Sicher, er würde sich lieber selbst um das Training seines kleinen Bruders kümmern, doch er wollte noch bei ihm bleiben. Seine Tarnung durfte nicht auffliegen.

Hätte er einen Wunsch frei, er würde das Massaker ungeschehen machen. Dann würde er seinem Vater notfalls mit seinem Mangekyo-Sharingan zeigen, was der mit seiner Machtgier provozierte und seinen Kindern so antat.

Vielleicht hätte Fugaku ihn ja verstanden, hätte er wirklich mit ihm geredet?

Wie wäre es jetzt hier in Konoha, wie ginge es Sasuke, wenn ihr Vater Einsicht gezeigt hätte?

Diese Fragen taten weh. Sie schmerzten genauso sehr wie ein Blick in den Spiegel. Er würde alles darum geben, weniger Zeit für sich zu haben und diesen Gedanken zu entkommen. Seine Albträume genügten schon. Aber mit denen Sasukes konnten sie sicher nicht mithalten…

Der Uchiha seufzte mit der hellen Stimme seiner toten Freundin.
 

Er hätte das nicht tun sollen. Sasuke würde sich nie mehr davon erholen, nie mehr das glückliche Kind sein, das ihn so leicht zum Lächeln gebracht hatte. Und er war daran schuld, auch wenn er den Jüngeren nur schützen wollte. Dazu kam, dass er seinen Bruder zusätzlich noch in Gefahr brachte, indem er bei ihm blieb. Der Mörder wusste, dass irgendwann nach ihm gesucht werden würde. Vielleicht war Konohas Feind schon im Dorf, suchte ihn im Glauben, er sei gefasst worden. Kisame hatte die anderen sicherlich informiert, als Itachi nicht zurückkam. Und Madara war nicht dumm. Er wusste, wie er Itachi aus seinem Versteck locken konnte. Dabei genügte es schon, Sasuke zu beobachten, um dessen Bruder zu finden. Der alte Uchiha wusste schließlich genau, dass niemand überlebt hatte. Auch nicht Itachis Freundin.

Er würde ihn so schnell finden…
 

Oder er würde Sasuke verschleppen. Vielleicht auf dem Heimweg von der Akademie oder während dem Training mit Kakashi. War der Hatake überhaupt stark genug, um Sasuke vor Akatsuki zu schützen?

Nein, erkannte Itachi mit Grauen. Niemand konnte es alleine mit Akatsuki aufnehmen.

Sasuke würde sicher keine große Hilfe sein. Er war zwar nicht schwach, aber ein übermächtiger Gegner wie diese abtrünnigen Shinobi…

Dem älteren Uchiha wurde übel.

Er saß sicher schon eine halbe Stunde in der Küche und wartete auf die Beiden. Sie waren doch schon über der Zeit! Und Sasukes oder Kakashis Chakra konnte er nicht wahrnehmen. Vielleicht waren sie noch nicht einmal im Dorf…

Sofort sprang er auf. Den aufsteigenden Hustenreiz unterdrückte er, so gut er konnte, während er seine Sandalen anzog und den Wohnungsschlüssel in seine Hosentasche steckte.

Schon fiel die schlichte Wohnungstür hinter ihm ins Schloss und er sprang direkt über das Geländer des außenliegenden Flures hinab auf die Straße. Kaum landete er sicher auf den Füßen, krampfte seine Lunge. Schwer hustete er, rang nach Luft und versuchte, sich zusammen zu reißen. Es gelang ihm erst nach mehreren kostbaren Minuten, in denen Sasuke irgendwohin geschafft werden konnte.
 

Itachi hatte keinerlei Ahnung, wo Kakashi mit Sasuke trainierte. Er vermutete, dass sie zu ihrem Trainingsplatz gegangen waren, an dem er Sasuke schon unterrichtet hatte, als der gerade einmal vier Jahre alt und das Training noch ein Spiel gewesen war.

Das Atmen fiel ihm schwer, als er durch das Dorf rannte. Er wäre gern durch das Uchiha-Viertel gelaufen, weil dieser Weg um ein Vielfaches kürzer war, aber vielleicht waren die beiden doch im Dorf. Außerdem kannte sich der Hatake sicher nicht gut genug in diesem leerstehenden Stadtteil aus. Er war immerhin kein Uchiha.
 

Sie begegneten ihm nirgends. Kein Kind in Begleitung eines grauhaarigen Shinobis. Und als Itachi die Torwächter fragte, ob die Beiden denn schon wieder im Dorf waren, kam er auch nicht weiter. Die Shinobi konnten nicht einmal sagen, ob Sasuke und Kakashi das Dorf verlassen hatten. Aber einer der Wächter erinnerte sich an einen Trainingsplatz, den der Hatake angeblich gern nutzte.

Er lag innerhalb des Dorfes.
 

Innerlich fluchte das Wunderkind und wandte sich ab. Er versuchte, wieder zu rennen, aber sein Körper machte es nicht mehr mit. Das Atmen fiel ihm schwer und er hatte Seitenstechen. Früher wäre er trotzdem gerannt.

Er war schwach geworden, seit er wieder bei Sasuke war.

Viel zu schwach.

Wenn Akatsuki seinen Bruder holen oder ihm etwas antun würde, könnte er sie wahrscheinlich nicht aufhalten. Keinem Einzigen von ihnen auch nur ein Haar krümmen.

Wie sollte er nur seinen kleinen Bruder beschützen? Oder kam er schon zu spät, weil er Akatsuki aus seinem Kopf verdrängt hatte?
 

Itachi hatte sicher eine viertel Stunde für den Weg gebraucht. Es dämmerte bereits, und auf dem Trainingsplatz konnte er niemanden sehen. Er rief Sasukes Namen, doch er vernahm keine Antwort. Für einen Spaß war Sasuke nicht mehr zu haben. Dem früher so distanzierten Uchiha brannten die Augen vor Verzweiflung. Wenn Sasuke wirklich etwas zugestoßen war…

Es musste doch etwas passiert sein. Sasuke war nicht hier und das Dorf hatte er auch nicht verlassen.

Kraftlos sackte der Uchiha zusammen und klammerte sich an das kühle Gras unter seinen Händen.
 

Er war der unfähigste große Bruder und Uchiha, den es je gegeben hatte!

Wenn sie den hilflosen Jungen nicht gleich umgebracht hatten, wurde er sicher gequält, weil sein großer Bruder untergetaucht war. Weil er sich in Konoha aufhielt und um ein Kind kümmerte, statt für Akatsuki zu arbeiten.

Als wäre er im Dorf geblieben!

Madara hätte an seiner Stelle doch auch nicht anders gehandelt, wäre das Kind nicht Sasuke, sondern Izuna gewesen!

Wie hätte Itachi seinen kleinen Bruder alleine lassen können? Er liebte ihn doch!
 

Plötzlich spürte er eine Kinderhand auf seiner Schulter. Erschrocken, hoffend blickte er auf. Das Kind hatte schwarze Haare. Itachi schluckte schwer. Auf den ersten Blick hatte er es für seinen kleinen Bruder gehalten, aber er kannte das Mädchen nicht. Und es hatte keine kurzen Haare. War älter als Sasuke.

„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte die Kleine höflich.

Wahrscheinlich krümmte sich hier nicht jeden Tag eine Frau auf der Wiese. Itachi versuchte ein Lächeln, scheiterte dabei kläglich und kämpfte sich schwerfällig auf die Beine. „Nein, danke“, murmelte er mit Benikos Stimme.

Wenn Sasuke etwas zugestoßen war –wenn er tot war-, würde er seine Freundin bald wiedersehen.

Wie konnte er seinen kleinen Bruder überleben oder ihn im Stich lassen?
 

Nahezu apathisch machte er sich auf den Weg zurück in die leere Wohnung.

Er würde dem Hokage Bescheid geben und sich stellen müssen.
 

Als er nach einer Ewigkeit die Wohnung wieder betrat, nahm er kaum etwas um sich wahr. Er rieb sich die brennenden Augen und wusste nicht einmal mehr, wieso er zurückgekommen war.

Er sollte die Wohnung durchsuchen. Vielleicht war ja eine Nachricht da.

War er deshalb zurückgekommen?

Er wusste es nicht mehr. Die Angst um Sasuke ließ ihn glauben, verrückt zu sein.
 

Aber um das Licht in der Küche nicht zu bemerken, war er wohl noch nicht verrückt genug. Neben ihm lag im Flur eine Waffentasche mit Kunai. Das Metall gab keinen Laut von sich, als er eines der Wurfmesser nahm. Seine Hände zitterten, als er die Waffe hob und zur Küche schlich. Er konnte Schritte daraus hören. Und waren das nicht sogar zwei Eindringlinge?

Das konnte doch nur Akatsuki sein! Die agierten immer zu zweit.

Mittlerweile umklammerte Itachi das Kunai so fest, dass seine Handgelenke blass wurden. Als er hörte, wie sich jemand der offen stehenden Tür näherte, hinter der er sich verbarg, sprang er aus seinem Versteck hervor und zielte mit der Waffe auf den Unbekannten.
 

Es war ein Kind in Sasukes Alter mit schwarzem, kurzen Haar. Es war ein Junge.

Das Kind starrte ihn erschrocken an, als das Kunai schon auf den schmalen, verletzlichen Körper zuraste.
 

Itachi hätte es nicht werfen sollen.

Zwiespalt

Sasuke schrie panisch auf, als Beniko das Kunai nach ihm warf.
 

Überrascht wandte sich Kakashi um und brauchte eine halbe grausame Sekunde, um zu begreifen, dass das Kunai den Unterleib des Jungen durchbohren würde. Sofort streckte er seinen Arm nach dem Kind aus und war froh, den Saum des Shirts zu fassen. Verzweifelt zerrte er das Kind an sich, aus der Wurflinie.

Das Messer bohrt sich in eine Bodenfliese vor Sasuke.
 

Zitternd und verstört klammerte sich das Kind an seinen Retter, der selbst kaum glauben konnte, was gerade passiert war. Dann erst nahm er Beniko wahr, die leichenblass in der Tür stand und ihr Mündel anstarrte. Sie ließ kraftlos ihre Hand sinken und lief zu den Beiden. Fest drückte Kakashi Sasuke an sich und wies die junge Frau wortlos an, nicht zu ihnen zu gehen.

Sie hörte nicht auf ihn.

Offensichtlich war sie völlig überfordert und maßlos verwirrt. Er sah Tränen in ihren Augen und ihren bebenden Körper und wie sie nach dem Jungen in seinen Armen griff.

„Sasuke“, hörte er sie flüstern. „Sasuke, ist alles in Ordnung mit dir? Habe ich dir wehgetan?“

Er beobachtete, wie sie das Kind an sich presste und vorsichtig hin- wie her wog. Wie bei einem weinenden Baby.

„Es tut mir so leid“, ertönte ihre tränenschwere Stimme.

Der grauhaarige Shinobi erkannte, dass sie dem Kind nichts tun würde. Wahrscheinlich war das alles ein dummer Zufall, ein beinahe-Unfall. Er war nur froh, eingegriffen zu haben. Sasuke hätte sterben können. Und Beniko war das ebenso klar wie ihm.

Noch immer presste sie den weinenden Sasuke an sich, der allmählich begriff, wie viel Glück er eben gehabt hatte.
 

Irgendwann riss sich die Uchiha zusammen und schaffte es, das Abendessen, dass sie für sie zubereitet hatte, aufzuwärmen. Beim Essen erklärte sie auf Kakashis Frage hin unsicher, dass sie sich Sorgen um Sasuke gemacht habe, als er und Kakashi nicht heimkamen. Tröstend legte der Hatake ihr die Hand auf die Schulter und bat um Verzeihung, während Sasuke erklärte, dass er neue Waffen mit seinem Trainer kaufen wollte und sich im Laden nicht entscheiden konnte.
 

Itachi nickte als Beniko getarnt, und verhielt sich den restlichen Abend über schweigsam. Er brachte Sasuke etwas früher als üblich ins Bett und legte sich bald schlafen. Zumindest behauptete er das Kakashi gegenüber.

In Wahrheit lag er die ganze Nacht wach und fragte sich, wieso er seinen Bruder nicht erkannt hatte.

Wieso er nur auf den Trainingsplätzen gesucht hatte.

Und wieso er Akatsuki fast aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte.
 

Er wusste, es war Glück gewesen, dass sie Sasuke noch nicht entführt hatten. Und er fürchtete, dass das nur noch eine Frage der Zeit war.

Ihm blieb nur die Rückkehr.
 

Aber wie sollte Sasuke das verstehen? Er hing an Beniko. Er brauchte jemanden, der für ihn da war und ihn liebte, wie er war. Selbst, wenn sein Vater noch leben würde, könnte der sich nicht um ihn kümmern. Er war zu unbeholfen im Umgang mit seinem jüngeren Sohn. Zu engstirnig und verbohrt und ahnungslos. Wie hätte Fugaku Sasuke nach einem Albtraum trösten können? Wie sollte Kakashi das ohne Benikos Beistand schaffen?

Noch immer war es Itachi selbst, der seinen Bruder tröstete. Kakashi gab sich zwar Mühe, aber er war in dem Punkt ziemlich erfolglos. Itachi fiel es einfacher, weil er Sasuke kannte. Er wusste, wie er ihn trösten musste, wusste, wann sein Bruder nicht mehr reden wollte und wann er nur so tat, als ob.

Wie sollte Itachi den Kleinen denn alleine lassen?

Sasuke war doch erst acht Jahre alt!
 


 

Drei Wochen ging alles gut.

Drei endlose Wochen lang fragte sich Itachi, wie lange ihm noch Gnadenfrist gewährt wurde, bevor man ihm drohte. Es war doch nur eine Frage der Zeit.

Vielleicht wollte Madara ihm ein paar schöne Tage mit Sasuke lassen, bevor er ihn zur Rückkehr aufforderte?
 

Gerade weil er um die knappe Zeit mit Sasuke wusste, begleitete er ihn und Kakashi zum Training. Sein kleiner Bruder strahlte, weil er Beniko so mochte, und der Hatake hoffte, so ein bisschen mehr auf den Jüngsten einwirken zu können. Beniko unterstützte es doch sicherlich, dass ihr Cousin Freunde fand und Teamgeist entwickelte?

Doch Kakashi wurde enttäuscht. Sobald Sasuke der Meinung war, dass er alleine besser dran wäre, unterstützte sie ihn auch noch und begründete es damit, dass der Junge auch alleine kämpfen können und er sich noch früh genug mit anderen auseinandersetzen müsse. Kakashi solle zusehen, dass Sasuke gefördert würde, sonst übernähme sie wieder den Privatunterricht.

Der Jonin gab es zwar nicht offen zu, aber in diesen Momenten konnte er sie nicht ausstehen. Sie wirkte dann auf ihn wie eine überbehütende Mutter, die glaubte, dass keine zwei Meter entfernt im Wald ein Monster lauerte, das ihrem Baby einen Kratzer zufügen könnte.

Beniko übertrieb wirklich.

Sasuke lebte immerhin in Konoha. Ihm konnte doch zu Friedenszeiten nicht viel zustoßen- außer einer Cousine, die ein Kunai nach ihm warf!
 

Itachi spürte diese Abneigung. Er verstand und akzeptierte sie, denn er konnte dem Hatake unmöglich alles erklären. Wieso er wieder in Konoha war, sich um seinen Bruder kümmerte. Wie er überhaupt in diese Lage gekommen war. Wieso er seine Eltern umgebracht hatte und alle außer Sasuke.

Wieso er seinen kleinen Bruder nicht einfach wieder zurückließ, damit dem Kind nichts zustoßen konnte. Damit Madara nicht zu einer Bedrohung wurde.
 

Der Ältere der Brüder wusste, wie dumm seine Vorgehensweise war. Wie egoistisch von ihm, noch bei Sasuke zu bleiben! Er wusste doch, was passieren würde. Irgendwann würde Madara nicht mehr warten, sondern ihn holen. Und dafür würde er auch Sasuke als Druckmittel zu nutzen wissen…

Er war dumm. Er war nachlässig geworden und wollte Sasuke nicht alleine lassen. An seinen durch das Jutsu erhöhten Chakraverbrauch hatte er sich gewöhnt. An das Zusammenleben mit Sasuke und Kakashi hatte er sich gewöhnt.

Es war schön, durch Konoha gehen und seinem Bruder ein Eis kaufen zu können, ohne eine Festnahme zu fürchten.

Itachi genoss es, abends Sasuke ins Bett zu bringen, ihm Rat geben zu können.

Er wollte das nicht mehr aufgeben. Musste es.

In seinem Egoismus beschloss der ältere Uchiha, es drauf ankommen zu lassen. Er wusste, bald würde sich Madara zeigen. Vielleicht mitsamt Akatsuki. Itachi würde kaum eine Chance haben, aber vielleicht konnte er den Älteren anders überzeugen, ihn in Ruhe zu lassen?

Es musste eine Lösung geben!
 

Über diese Lösung grübelte Itachi noch, als er auch fast drei Wochen später nichts von Akatsuki gehört hatte.

Und nach drei Monaten.
 

Dann kam das, wovor er sich so sehr gefürchtet, was er erwartet hatte.
 

Er hatte für das Mittagessen eingekauft. Sasuke war noch in der Schule, dort würde ihm wohl nichts zustoßen. Zur Sicherheit hatte Itachi es sich angewöhnt, den Jungen von der Schule abzuholen. Danach aßen sie gemeinsam zu Mittag und gingen mit Kakashi trainieren, der wieder gelegentlich eine Mission annahm. Wenn der Grauhaarige nicht da war, trainierten sie ohne ihn. Sasuke musste so schnell wie möglich so stark wie möglich werden.

Itachi wollte sein Ziel, Sasuke so weit zu bringen, dass niemand ihm mehr wehtun konnte, nicht aus den Augen verlieren.
 

Der Ältere stellte die Papiertüte mit den Einkäufen auf den Küchentisch, bevor die Sachen in den Schränken verstaute.

Mittlerweile hatte er sich so sehr an das Kochen gewöhnt, dass es ihm kaum noch Mühe bereitete. Es war für ihn normal geworden.

Früher hatte er nur gekocht, wenn seine Eltern nicht dagewesen waren und seine Großeltern nicht für ihn und Sasuke mitgekocht hatten.

Er wollte gerade das Gemüse putzen, als er etwas hinter sich wahrnahm. Eine Gestalt. Er spürte fremdes Chakra und erkannte es. Erschrocken drehte er sich um, das Küchenmesser fest in der schmalen Frauenhand und die Augen blutigrot funkelnd.
 

Die Gestalt, das Chakra… weg.

Da war niemand. Mit gerunzelter Stirn blickte er sich in der Wohnung um, nahm aber nichts Ungewöhnliches mehr wahr.

Hatte er sich geirrt?

Kopfschüttelt deaktivierte er sein Sharingan und entspannte sich wieder. Wollte sich wieder dem Gemüse zuwenden, als ihm ein Zettel auf dem Schneidebrett auffiel.

Der hatte vor wenigen Sekunden nicht dagelegen.
 

Itachi wurde übel. Mit zitternden Händen nahm er den Zettel und las ihn sich durch. Ließ ihn fast wieder fallen, schluckte schwer und steckte das Küchenmesser wieder in den Messerblock zurück.

Hatte kein Gemüse geschnitten und würde das so bald auch nicht tun.

Rasch eilte er in den Flur, schlüpfte in seine Sandalen und lief in sein Zimmer.
 

Unter dem Bett hatte er seine Waffen versteckt. Die Waffen, die er sich im Laufe der wenigen Wochen hier zugelegt hatte.

Die Nachricht zerriss er, bevor er aus der Wohnung stürmte.
 

Er wusste nicht, dass wenig später ein Zettel wieder auf dem Küchentisch liegen würde, mit derselben Nachricht darauf:
 

´Komm zu eurem Trainingsplatz im Wald, wenn dir Sasuke so wichtig ist.´
 

Itachi war außer Form, hatte lange nicht mehr richtig trainiert. Er brauchte zehn ewige Minuten, um zum Trainingsplatz zu rennen. Auf dem alten Weg, den Sasuke und er früher immer genommen hatten, nicht durch das Dorftor.

Sein kleiner Bruder war nirgends zu sehen, was den Uchiha aber nicht beruhigte.

Hatte Madara es wirklich gewagt, Hand an Sasuke zu legen?

Er wusste, wie wichtig der Junge für Itachi war…
 

Aber da war kein Sasuke. Einzig Madara war da, lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an einem der Bäume und blickte ihn überheblich durch seine Maske an. Itachi kannte die Arroganz des anderen. Er konnte sie in seinen Blicken spüren, selbst durch die das gesamte Gesicht überziehende, gestreifte Maske war sie überdeutlich wahrnehmbar.

„Du bist wirklich hergekommen“, grüßte ihn der Ältere kühl.

Er war wütend.

Erneut schluckte Itachi schwer, versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Kurz musste er husten. Sein Herz raste, ihm war heiß und kalt und er hatte Angst.

„Wo ist Sasuke?“, fauchte er, obwohl das Dummheit war.

Madara sollte man nicht reizen. Itachi hatte alleine keine Chance gegen ihn und war schwach geworden. Wenn Sasuke etwas zugestoßen war…
 

Sein Gegenüber lachte. Er lachte! Der ältere Bruder hatte das Gefühl, brechen zu müssen, konnte sich jedoch zusammenreißen.

Madara schwieg nun. Itachi stellte sich das überhebliche, breite Grinsen im Gesicht seines Ahnen vor. Er kannte den Älteren- und viel Mächtigeren.

„Tja, wo könnte der kleine Sasuke nur sein?“, spielte er den Unwissenden, legte überlegend die Hand an die Maske unterhalb der Stelle, wo sein Mund sein sollte, schüttelte dann den Kopf. „Nun, das muss mir doch glatt entfallen sein! Sag, Itachi, wieso siehst du denn aus wie deine kleine Freundin? Wie hieß sie noch gleich? Die, die du doch so sehr geliebt hast…“

Itachis Augen brannten. „Ihr Name geht dich nichts an! Sie ist tot wie alle anderen!“

Madara lachte. „Ich weiß. Du bist ihr nur gerade wie aus dem Gesicht geschnitten“, witzelte der Überlegenere und wusste genau, wie sehr er seinen Schüler damit verletzte. „Genauso, wie du es eigentlich auch dem kleinen Balg bist. Nur, dass du dafür kein Chakra verschwenden musst.“

„Bitte“, presste Itachi schwerfällig hervor. „Wo ist Sasuke? Was hast du mit ihm gemacht?“

Madara

Madara schnaubte. „Immer nur dieses Kind! Ich wüsste lieber, wieso du in Konoha geblieben bist. Wir hatten eine Vereinbarung, Itachi. Weißt du noch, welche es war?“ Diese Worte waren Drohung genug. Itachi erinnerte sich nur zu gut daran, was er hatte versprechen müssen, als der Mord geplant wurde: ´Wenn du willst, dass ich deinen Bruder am Leben lasse, wirst du mich begleiten. In meiner Organisation könntest du mir von Nutzen sein.´ Und Itachi war darauf eingegangen, natürlich. Er wäre für Sasuke gestorben.

Itachi konnte sich denken, was mit Sasuke geschehen war- er hatte sich nicht an die Vereinbarung gehalten, war in Konoha geblieben. Bei Sasuke. Sein kleiner Bruder lief nicht einfach von zuhause weg- Madara musste ihn entführt haben! Wenn er dem Jungen irgendetwas angetan hatte oder er tot war…

Madara würde dafür bezahlen, seinen kleinen Bruder verschleppt zu haben! Irgendetwas würde dem Wunderkind dafür einfallen- es ging schließlich um Sasuke.

„Ich wurde aufgegriffen und musste mich tarnen. Du weißt, wie krank ich war“, antwortete Itachi, versuchte, sich zu beruhigen. Sich entspannt zu geben. Sein Herz schlug noch genauso schnell wie bei seinem Sprint und er hatte einen dicken Kloß im Hals aus Angst. Seine Augen brannten und er hatte Schwierigkeiten beim Luftholen.

Sasuke durfte nicht sterben!
 

Der Ältere schnaubte erneut. „Das war doch bloß eine Erkältung.“

„Ich lag im Krankenhaus, wie du sicher weißt. Sie hätten mich verhaftet, wäre ich aufgeflogen! Und Sasuke hat sich sofort an mich gehängt. Ich konnte ihn nicht einfach alleine lassen!“, zischte Itachi, wusste sich nicht anders zu helfen.

Madara lachte boshaft: „Als du eure Eltern umgebracht hast, konntest du das aber. Also lüg mich nicht an!“

Itachi zitterte. „Wo ist Sasuke?“, wollte er wissen.

Er hatte keine Möglichkeiten, Madara zu erpressen. Was hätte er denn schon als Druckmittel?

„Hast du gedacht, dich für immer in Konoha verkriechen zu können?“, verhöhnte ihn sein Verwandter, ignorierte die verzweifelte Frage. „Zusammen mit deinem Bruder leben zu können, bis ihr alt und grau seid? Ihm zu helfen, unser Massaker allmählich zu verarbeiten und wieder glücklich zu werden ohne Albträume?“

„Nein“, zischte Itachi. Er hatte es nicht gedacht. Das war seine Hoffnung gewesen.
 

Das Wunderkind konnte nicht einmal reagieren, so schnell bohrte sich Madaras Faust in seinen Magen. Der ehemalige Anbu prallte hart gegen einen Baum und musste schwer husten. Er bemerkte nicht, wie sich seine Illusion auflöste, als er einen kurzen Moment lang das Bewusstsein verlor und zu Boden sank.
 

„Du hast es wirklich geglaubt, oder?“, schnarrte Madara. „Dein Wort gilt! Wir hatten eine Vereinbarung, Itachi, und daran wird Sasuke nichts ändern. Der Junge ist groß genug, um nicht mehr an deinem Rockzipfel zu hängen!“

Itachi stöhnte. „Er ist mein Bruder.“

Boshaft grinste Madara, hockte sich zu seinem wehrlosen, am Boden liegenden Opfer. Itachi war sich zumindest sehr sicher, dass Madara grinste. Er kannte dessen Sadismus.

Ohne dem Jüngeren auch nur eine Angriffsmöglichkeit zu bieten, blickte er auf einmal an diesem vorbei. Etwas war da hinter Itachi- irgendetwas, das ihm nicht gefallen würde. Er ahnte es.

„Und genau deshalb hat er von alleine hierher gefunden“, säuselte er beinahe zärtlich und genoss das Entsetzen und die Angst in Itachis Augen. Diese Panik, die zeigte, wie es in Itachi aussah, obwohl er sonst nie seine Gefühle zeigte. Niemandem. Nichts ließ er an sich herankommen- nichts außer Sasuke.
 

Madara hatte sich schon lange gefragt, wie Itachi so kalt hatte werden können. Ob ihm seine Familie, seine Eltern und Freunde, denn nichts bedeutet hatten. Seine Freundin. Dieses halbe Kind vor ihm hatte seinen besten Freund, seine Freundin und die eigenen Eltern umgebracht. Und noch weit mehr Verwandte. Er, Madara, hatte zugesehen, wie sein Nachfahre dabei vorgegangen war, und ihm dabei geholfen.

Im Gegensatz zu dem Alten hatte Itachi keines seiner Opfer leiden lassen. Sie waren so schmerz- und lautlos wie möglich gestorben. Nur seine Eltern hatte er nicht sofort umgebracht. Er hatte gewartet, und als Madara alle anderen Uchiha umgebracht hatte, die Itachi auf seinem Weg nicht gesehen hatte, war dieses Kind aufgetaucht.

Madara hatte gewusst, dass der Junge am Leben bleiben sollte. Und in diesem Fall verstand er den älteren Bruder noch immer. Er selbst hatte zu seinem kleinen Bruder, dem toten Izuna, auch eine sehr enge Bindung gehabt. Zusammen waren sie stark geworden. Sein Tod hatte den Alten, der damals noch jung gewesen war, schwerer getroffen als irgendetwas sonst. Dabei hatte Izuna ihm nur seine Augen geben wollen, nicht auch noch sein Leben. Es war die Schuld der operierenden Verwandten gewesen. Sie hatten einen Fehler gemacht. Als Madara aufgewacht war, hatte er seinen kleinen Bruder bestatten müssen. Und dann kamen die Gerüchte, er habe Izuna dazu gezwungen…

Er war froh, Konoha verlassen zu haben. Konoha, das ein friedliches Dorf werden sollte, die Senju, dieser verlogene Clan, und seine Familie. Nicht ein einziges Mal war er zurückgekehrt, um nach seinen Söhnen, seiner Frau zu schauen. Sie hatten ihm nicht beigestanden, sondern geschwiegen. Sie waren zu schwach.

Ob Madara wohl ebenso ausgesehen hatte wie Itachi? Mit dieser Panik im Blick, eine dunkle Ahnung, die nicht wahr werden sollte? Die Ahnung, den kleinen Bruder für immer verloren zu haben?

Er wusste es nicht. Und nun spielte es keine Rolle mehr.
 

Als der alte Uchiha aus seinen Gedanken wieder in die Realität fand, hatte Itachi seinen Blick abgewandt und Sasuke entdeckt. Der Junge stand an einen Baum gedrängt und starrte ihn an. Itachi hatte sein Auftauchen nicht bemerkt, bis Madara seinen Blick auf das Kind gerichtet hatte.
 

Der ehemalige Clanführer hatte ganze Arbeit geleistet, Sasuke die Wahrheit sehen lassen. Itachi erkannte es sofort. Sein Körper fühlte sich dumpf an. Ob Madara eine ihm unbekannte Technik angewendet hatte? Oder war es das Ungewohnte? Er hatte lange nicht mehr gekämpft, und gegen Madara noch nie. Er hatte keine Chance. Aber für Sasuke würde er kämpfen müssen. Der Alte blickte ebenfalls zu Sasuke. Zumindest wandte sich das Maskengesicht dem Waisen zu.

Sein kleiner, hilfloser Bruder. Er stand da, und Itachi konnte sehen, wie es dem Jungen ging. Es tat weh, dieses Entsetzen, diese Verwirrung. Das Unverständnis. Sasuke weigerte sich, zu begreifen.

Madara machte einen Schritt auf Sasuke zu. In Itachi keimte reine Angst auf- seine größte Angst. Schwerfällig griff er nach vorne und bekam den Knöchel des Stärkeren zu fassen. „Lass ihn in Ruhe! Das war die Vereinbarung“, keuchte er schwerfällig und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen mit seinem viel zu schwachen Körper. Doch Madara schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege. „Zu unserer Vereinbarung gehörte auch, dass du Akatsuki beitrittst. Und wo treibst du dich rum? In diesem Dorf. Du schmust mit deinem kleinen Bruder und beharrst jetzt auf unsere Vereinbarung? Das ich nicht lache!“ Mit diesen Worten trat er Itachi gegen den Kopf. Gegen die aufkommende Bewusstlosigkeit konnte sich der junge Anbu nicht mehr wehren.
 


 

Sasukes Atem ging schwer. Er verstand nicht, was er da vor sich sah, was Beniko wirklich war. Er wollte es nicht begreifen und glaubte, zu halluzinieren.

Sicher hatte er hohes Fieber und würde bald wieder in seinem neuen Bett aufwachen. Beniko würde ihm über das Gesicht streichen und Kakashi wie ein großer Bruder neben dem Bett stehen und ihn besorgt anschauen. Zumindest hatte es sich Sasuke so vorgestellt. Krank war er schon seit einiger Zeit nicht mehr gewesen, die beiden Älteren hatten sich nicht um ihn kümmern müssen. Und das hier…

Das war unmöglich. Es konnte nur ein Fiebertraum sein!
 

Vielleicht war er ja beim Training in der Schule zusammengebrochen. Es war möglich.

Kakashi und Beniko hatten ihn sicher sofort zu einem Arzt gebracht und dann ins Bett. Ihm Suppe eingeflößt und Tee gekocht, ihn umgezogen und sich um ihn gekümmert. Und nun saßen sie sicher an seinem Bett und hofften, dass er nicht schlecht träumte. Sie mochten ihn beide, und besonders seine Cousine sorgte sich so um ihn, wie es Itachi vor dem Massaker getan hatte.

Es musste so sein!
 

Doch er spürte die dicke Rinde des Baumes, an den er sich haltsuchend klammerte, deutlich. Der Boden war nachgiebig und es roch nach Tannen und Holz und Moos und kühler Erde. Er war unweigerlich im Wald.

Und vor ihm war Beniko, die sich so aufgeführt hatte, als läge er –Sasuke- im Sterben. Noch immer hielt das Kind den Zettel fest umklammert, den es in der Wohnung gefunden hatte. Sasuke hatte Angst gehabt, dass Itachi Beniko wehtun würde.

Aber jetzt…
 

Er hatte sie gefunden. Hatte gesehen, wie ein maskierter Mann sie schlug und ihre Angriffe wie Luft verpuffen ließ. Und dann hatte sie am Boden gelegen, ganz plötzlich. Sasuke hatte gar nicht alles wahrgenommen, wirklich realisiert. Er wusste nur, dass der Mann nicht Itachi war. Den würde er unter allen anderen Menschen erkennen. Er hatte sein Leben zerstört.
 

Beniko lag da, stöhnte schwer. Das war etwas, womit Sasuke eigentlich wissen müsste, wer hier der Feind war- der Mann. Doch ihr Körper schien in sich zusammen zu sacken und zu verformen- und dann sah sie plötzlich aus wie ein erschöpfter Itachi und klang auch so.

Sasuke erinnerte sich an ihren ungewöhnlich hohen Chakraverbrauch und ihre kurzzeitig tiefe Stimme und sein eigenes Misstrauen auf ihrem Weg ins Krankenhaus damals, aber das war doch Beniko!

Der ihm unbekannte, maskierte Mann hatte eben, als Sasuke dazugekommen war, von einem Bruder gesprochen, mit dem Beniko in Konoha leben wollte. Beniko hatte aber keinen Bruder gehabt.

Sasuke konnte und wollte nicht begreifen, was das bedeuten musste. Dabei hatte er es doch gesehen. Wie Itachis Tarnung in sich zusammenfiel.

Der unbekannte Shinobi ließ Beniko -oder Itachi?- nach einem Tritt gegen ihren Kopf liegen und ging auf das überforderte Kind zu.

Langsam hockte er sich vor Sasuke und legte eine Hand auf die Schulter des Jungen.

„Hallo, Sasuke“, sagte er freundlich. „Sag deinem Bruder bitte, wenn er wieder aufwacht, dass er eine Woche Bedenkzeit hat. Dann komme ich wieder. Machst du das für mich?“

Sasuke konnte nicht antworten. Er starrte den Maskierten nur mit leicht offenstehendem Mund an, was diesem zu genügen schien. Er ließ Sasuke los und richtete sich wieder auf.

„Dein Bruder hat dich belogen, Sasuke. Wie du eben mitbekommen hast, will er dich schützen. Findest du das nicht auch etwas ungewöhnlich dafür, dass er zu dir sagte, du seist es nicht wert, zu sterben?“ Mit diesen Worten schien sich der Körper des Fremden zu verformen. Ein Luftwirbel entstand, der den Mann mit sich zog und Sasuke mit der am Boden liegenden, bewusstlosen Gestalt allein zurückließ.
 


 

Kakashi war verwirrt, als er am Nachmittag von einem Gespräch mit dem Hokagen zurückkehrte und niemand in der Wohnung wartete. Das war ungewöhnlich. Aber vielleicht waren Beniko und Sasuke schon trainieren gegangen. Zumindest war das seine Vermutung, bis er die Waffen in Sasukes Zimmer fand.

Es waren echte Kunai und Shuriken, die sie dem Jungen gekauft hatten. Darauf hatte Beniko bestanden. Kakashi hatte nicht widersprochen, es gar nicht erst versucht, denn Sasukes Cousine ließ sich da nicht beirren. Was sie verlangte, bekam Sasuke. Und es war bisher ja auch alles gut gegangen.

Aber noch immer standen Wurfübungen auf Benikos militärisch anmutenden Trainingsplan. Beniko und Sasuke würden die Waffen also nicht hier zurücklassen.

Besorgt verließ der Grauhaarige die Wohnung, nachdem er seinen vertrauten Geist gerufen hatte. Ein kleiner Mops namens Pakkun war nun an seine Seite und hatte die Fährte Benikos und Sasukes aufgenommen. Und gesagt, dass Beniko nicht wie eine Frau riechen würde, sondern wie ein Mann, was Kakashi nachdenklich stimmte.

Der Hund führte Kakashi in den Wald. Wie lange sie unterwegs waren, konnte Kakashi nicht sagen. Er achtete auch gar nicht darauf, weil ihm etwas anderes auffiel: Pakkun führte ihn zum Trainingsplatz.

Für eine kurze Zeit spürte er etwas. Etwas Altes, Mächtiges. Ihm standen die Nackenhaare zu Berge, weil er schon sehr lange nichts Vergleichbares mehr gespürt hatte, doch plötzlich war diese Spannung, dieses Mächtige verschwunden. Hatte sich im Nichts aufgelöst.

Kakashi wusste nicht, was er davon halten sollte, was sich auch nicht änderte, als sie die Vermissten fanden.
 

Eine dunkle Gestalt, die reglos auf der dunklen Erde lag, war das Erste, was Kakashi sah.

Sie lag im Schmutz auf dem Boden, wirkte reichlich mitgenommen. Laut Pakkun war es Beniko, denn die Gestalt roch so wie die Uchiha. Aber Kakashi konnte es nicht bestätigen, denn Beniko war zierlicher und nicht so groß. Die Gestalt dort konnte eigentlich gar nicht Sasukes Cousine sein.

Als nächstes bemerkte er Sasuke. Er fand den Jungen, der in der Nähe der scheinbar bewusstlosen Gestalt auf dem Boden saß, als er zwischen den Bäumen hervortrat. Pakkun blieb an seiner Seite und meinte, er kenne den Geruch Benikos von jemand anderem. Kakashi wusste nicht, wie er reagieren sollte. Was er machen sollte. Wenn das hier nicht Beniko war, wer war es dann? Beniko roch laut Pakkun wie ein Mann- war sie verschleppt worden, als Sasuke und Kakashi einmal nicht bei ihr gewesen waren? Ihm fiel wieder ein, dass sie verändert gewirkt hatte vor einigen Tagen- als sie das Kunai nach Sasuke geworfen hatte. War das etwa auch diese andere Person gewesen? Wie hatte er das nur nicht erkennen können?

Und was war aus Sasukes Cousine geworden, die sich um den Jungen gekümmert hatte?
 

Unwirsch schüttelte den Kopf. Er war hergekommen, um zu helfen. Weil er gesucht hatte. Und zumindest Sasuke hatte er gefunden, der jetzt vielleicht auch noch seine Cousine verloren hatte.
 

Noch bevor er sich der Gestalt am Boden näherte, fiel ihm die zerwühlte Erde auf. Ein Kunai steckte in einem Baum.

Kakashi wusste sofort, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte.

„Hallo?“, sprach er die dünne Gestalt am Boden an, kniete sich zu dieser. Er verfügte über genügend Erfahrung und Kenntnisse, um die Verletzungen der ihm unbekannten Person versorgen zu können. Als er den Menschen jedoch untersuchen wollte, stellte er fest, dass es nicht Beniko sein konnte. Es war wirklich ein Mann- nein, ein Junge. Für einen Mann zu schmächtig. Und sein Verdacht, die Uchiha könnte entführt worden und gegen einen Unbekannten ersetzt worden sein, verhärtete sich.
 

Der Junge hatte eine Platzwunde am Hinterkopf. Das Blut war schon geronnen und verklebte das lange, schwarze Haar. Vorsichtig drehte er die Person auf den Rücken, um zu prüfen, ob sie noch lebte- und erstarrte, als er in das Gesicht des Bewusstlosen blickte.
 

Er kannte diesen Jungen. Zumindest indirekt.

Sie hatten nie zusammen gearbeitet, aber beide waren berühmt, weit über die Grenzen des Feuerreichs hinaus. Er, Kakashi Hatake, der Kopier-Ninja, und der Junge- Itachi Uchiha, Wunderkind und Serienmörder. Der Serienmörder, der nur ein wehrloses Kind am Leben gelassen hatte, aber Babys und Kleinkinder und Alte umgebracht hatte. Der kaltblütig die eigenen Eltern ermordete und den Bruder das sehen ließ, so eiskalt, wie Kakashi es lange Zeit selbst gewesen war. Kakashi war es so lange gewesen, dass er wohl nie wirklich richtig emotional werden würde. Ob das bei diesem Jungen auch so war? Wahrscheinlich. Itachis Steckbrief war in jedes Bingobuch eingetragen worden. Ein hohes Kopfgeld war auf ihn angesetzt. Eigentlich sollte Kakashi den Jungen sofort dem Hokage bringen. Aber Sasuke ging vor- Itachis kleiner Bruder.
 

War der große Bruder zurückgekehrt, um auch ihn umzubringen? Und gegen wen hatte er gekämpft? Hatte er Beniko umgebracht, die sicher das Kind geschützt hatte? Aber wo war dann ihre Leiche? Irgendwas war hier faul.

Und er entschied sich –zum ersten Mal seit Obitos und Rins Tod- für sein Bauchgefühl. Wollte niemanden hineinziehen, der ihm vielleicht eine Befragung verweigern könnte. Er schuf einen Doppelgänger. Die Rauchwolke, die sich neben ihm bildete, um den zweiten Kakashi auszuspucken, sahen nur Pakkun und Sasuke. Sasuke, der apathisch zu seinem Bruder sah.
 

„Ich halte das für keine gute Idee, Kakashi“, brummte Pakkun, als sich der Doppelgänger den abtrünnigen Ninja auf den Rücken lud. „Du kannst ihn schlecht einschätzen.“

„Er stellt zwar eine Gefahr für Sasuke dar, aber vielleicht weiß er, wo Beniko steckt“, entgegnete Kakashi, äußerlich so gelassen wie immer. Innerlich aufgewühlt vor Vermutungen über den Grund der Rückkehr des Bewusstlosen. Und dem Grund für Sasukes Zustand.

Das Kind wehrte sich nicht, als Kakashi es auf seinen Rücken hob. Es starrte nur mit leerem Blick zu dem bewusstlosen Serienmörder.
 


 

Kakashi hatte es unbemerkt mit Sasuke und Itachi in ihre Wohnung geschafft. Sicher, es war riskant, den Mörder mit hinein zu nehmen, doch was blieb ihm schon anderes übrig? Außerdem war es ein Uchiha. Es war sicher ein Kinderspiel für ihn gewesen, den kleinen Bruder zu finden.

Unsanft hatte Kakashis Doppelgänger den Älteren der Brüder auf seinem eigenen Bett abgelegt und ebenso wenig war er vorsichtig bei der Wundversorgung vorgegangen. Itachi Uchiha hatte scheinbar versucht, Sasuke zu töten. Wieso sollte Kakashi –oder sein Doppelgänger- darauf achten, dass der Mörder keine Schmerzen hatte? Itachi hatte Sasuke auch nicht geschont. Und vielleicht sogar Beniko ermordet. Nun versuchte der Grauhaarige, Sasuke wenigstens ein Stück weit zu schonen, indem er den Gefangenen in seinem eigenen Zimmer unterbrachte. Und vielleicht tauchte Beniko ja doch wieder auf…

Doch selbst wenn: Würde der Junge nicht ohnehin schon sein restliches Leben daran denken, wie der eigene Bruder die Familie ermordete und es bei ihm versuchte?
 

Während Itachis Wunden versorgt wurden, kümmerte sich Kakashi um das wesentlich Wichtigere: Sasuke.

Setzte sich mit dem Jungen auf das Sofa. Sasuke schien diesen Lagerungswechsel nicht einmal wahr zu nehmen.

„Sasuke?“, sprach der Shinobi den Jungen leise an. „Sasuke, was ist passiert? Hat Itachi dich verletzt?“

Keine Reaktion.

„Weißt du, wo Beniko ist?“, fragte Kakashi weiter. Doch Sasuke schwieg und starrte lediglich in die Richtung, in der Kakashis Zimmer lag. Als wüsste er ganz genau, wer darin lag, und könnte den Blick nicht abwenden.

Hatte Itachi seinen kleinen Bruder mit einem Jutsu belegt?
 

Kakashi sollte es an diesem Tag nicht mehr erfahren.

Aufgeflogen

Itachi stöhnte.

Er fühlte sich wie erschlagen. Was war passiert? Hatte er schlecht geschlafen?

Nein, das spürte er sofort. Seine Erschöpfung war anderer Natur- und seine Hände gefesselt. Er lag auf dem Rücken, seine Liegestätte war weich. Vielleicht ein Bett? Es musste zumindest ein Futon sein. Seine Hände waren an Rohren oder Bettpfosten oder etwas in der Art gebunden, er würde keine Fingerzeichen schließen können. Die Erinnerung an seine Auseinandersetzung mit Madara, seine Sorge um Sasuke, kehrte zähflüssig wie Honig zurück.

Sasuke...
 

Wo war Sasuke?
 

Mit einem Mal hellwach wollte sich Itachi aufsetzen, aber die Fesseln ließen dies nicht zu. Mit einem unterdrückten Stöhnen sank er zurück auf seine Schlafstätte. Öffnete endlich die Augen und fand sich in einem Zimmer wieder, das ihm bekannt vorkam. Doch als er sich umschaute in der Hoffnung, seinen kleinen Bruder irgendwo zu sehen, nahm er eine ganz andere Gestalt wahr.

Es war Kakashi, der auf einem Stuhl an der Tür saß und ihn aufmerksam musterte.

„Wo ist Sasuke?“, fragte er. War sich nicht bewusst, dass etwas anders war. Das seine Tarnung aufgeflogen war. War noch zu benommen von seinem Kampf. Aber er wusste, dass Sasuke in Gefahr war. Erinnerte sich an seinen Kampf mit Madara. Und war nicht Sasuke dabei gewesen, plötzlich aufgetaucht? Wieso war Itachi überhaupt angekettet?

Kakashi schaute auf ihn herab. „Ich wüsste nicht, was es dich anginge.“

„Ich bin sein Vormund“, meinte Itachi. „Wieso bin ich hier festgebunden?“

Sein Gegenüber schnaubte. „Findest du nicht, dass du deine Rechte verwirkt hast, als du eure Familie ermordet hast?“

Der Uchiha starrte ihn ungläubig an, bevor er bemüht unauffällig seinen Körper ansah. Er wurde bleich, als ihm klar wurde, dass er nicht mehr aussah wie Beniko. Sein Jutsu hatte sich gelöst. Madara hatte seine Tarnung auffliegen lassen. Ihn bewusstlos geschlagen und dabei sicher auch seine Chakrabahnen unterbrochen, um ihm seine Zukunft mit Sasuke zu nehmen!
 

Mürrisch biss sich das Wunderkind auf die Unterlippe. Natürlich hatte Kakashi ihn gefesselt und wollte nicht sagen, wo Sasuke war oder wie es ihm ging! Wusste der Hatake schon, dass Beniko gar nicht in Konoha, bei Sasuke und ihm, gelebt hatte? Dass sie wirklich in ihrem Grab lag wie alle anderen Uchiha, die Itachi und Madara ermordet hatten?

„Ich stelle dir jetzt ein paar Fragen, Uchiha“, riss Kakashis ruhige Stimme ihn aus seinem Gedankenwirrwarr. „Wenn du lügst liefere ich dich sofort dem Hokagen aus.“

Itachi seufzte innerlich auf. Nicht ausgeliefert worden zu sein gab ihm eine Chance, zu flüchten. Dann würde er Sasuke suchen können. Und wenn Madara seinem kleinen Bruder auch nur ein Haar gekrümmt hatte, würde Itachi ihn töten. Für seinen kleinen Bruder konnte er das, da war er sich sicher.

„Wieso bist du wieder in Konoha?“, wollte Kakashi als erstes wissen.

Itachi schluckte schwer. Nie hatte irgendjemand erfahren sollen, wer ihn beeinflusste. „Wegen Sasuke.“

„Was hast du mit ihm gemacht?“

Sofort blickte Itachi zu seinem Wächter. „Ist er verschwunden?“, fragte er panisch. Unbewusst zerrte er an seinen Fesseln, was Kakashi sofort registrierte. Der Hatake erhob sich und ging auf das Bett zu. Sein Gefangener durfte unter keinen Umständen entkommen, denn in dieser Wohnung saß nur zwei Türen weiter Sasuke, dem es noch nicht besser ging und der schon seit Benikos Verschwinden kaum schlief und noch schlechter aß. Er sprach auch nicht mehr, starrte lediglich in Itachis Richtung, auch wenn die Wände ihm die Sicht auf seinen Bruder versperrten. Sein Zustand trieb Kakashi in den Wahnsinn, weil der Kopierninja gar nichts ausrichten konnte. Er hatte es versucht. Hatte Sasuke in die Akademie gebracht, am selben Tag aber nur wenige Stunden später wieder abgeholt. Sasukes Lehrer war ein Bekannter von Kakashi und hatte ihn darum gebeten. Der Junge hatte sich nicht beteiligt und auf eine Ansprache auch nicht reagiert.

Kakashi verzweifelte. Er hatte Beniko als Vermisst gemeldet, doch von ihr war keine Spur gefunden worden. Nur die Kampfspuren, die der Hatake schon kannte. Er hatte verschwiegen, wen er da in seiner Wohnung versteckte. Niemand wusste um Itachis Anwesenheit in Konoha. Es wurde aber vermutet, dass dieser Beniko verschleppt hatte. Zu Kakashis Erleichterung war Sasuke nicht befragt worden. Hokage Sarutobi war der Meinung, dass es dem kleinen Uchiha schon schlecht genug ginge.

„Glaubst du, du könntest jetzt einfach entkommen?“, fragte Kakashi leise und schaute auf Sasukes Bruder herab.

Der erwiderte seinen Blick giftig. Wirkte so gar nicht unterkühlt, wie er es doch angeblich war. „Wo ist Sasuke?“, fauchte er.

Im nächsten Moment ging die Zimmertür ganz leise auf. Beide Shinobi blickten wandten sich der Tür zu- und Kakashi erstarrte.

„Sasuke“, sagte er nur. Dann ging er auf den Jungen zu, hockte sich vor ihn.

Itachi zerrte noch heftiger an seinen Fesseln. „Lass ihn in Ruhe!“, zischte er böse.

Sasuke war so seltsam, so anders, dass es Itachi eiskalt wurde. War das überhaupt sein kleiner Bruder? Diese Marionette starrte ihn unverwandt an und wandte den Blick auch nicht ab, als Kakashi sie hochhob und fortbringen wollte.
 

Aber diese Puppe schien wahrzunehmen, was Kakashi vorhatte, denn sie wehrte sich plötzlich und wand sich aus den starken Armen. Um die Puppe zu schützen, die einmal Sasuke gewesen war, ließ der Hatake sie wieder herab. Sofort lief das Kind die wenigen Schritte zu Itachi zurück und blieb vor dem älteren, wehrlosen Bruder stehen. Itachi hielt den Atem an, ohne es zu bemerken. Blanke Verwirrung konnte der Mörder in den Augen des Jungen lesen.

„Sasuke“, sagte er leise. Mehr nicht.
 

Und Sasuke öffnete den Mund.
 


 

Sasuke verschwand. Zumindest hatte er das Gefühl, zu verschwinden, irgendwo ganz weit weg zu sein. Er spürte seinen Körper nicht mehr und beobachtete als unbeteiligter Zuschauer, wie aus einem Kakashi zwei wurden und der eine ihn mitnahm und der andere Beniko-Itachi. Das war das Letzte, was er wirklich wahrnahm.
 

Danach fand er sich in einer Blase wieder. Diese Blase schien aus flüssiger Luft zu bestehen, denn er konnte atmen, schwamm aber in dieser Blase. Oder er schwebte. So genau konnte Sasuke das gar nicht mehr unterscheiden. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und war darüber froh. Wollte gar nicht wissen, ob dieser Mensch dort am Boden Itachi oder Beniko oder Itachi und Beniko gewesen war. Es war zu viel gewesen, viel zu viel für ihn. Und dieser Mann, der Benikoitachi so zugerichtet hatte, der hatte ihm Angst gemacht. Aber hier in seiner Blase brauchte er sich nicht zu fürchten. Denn in seiner Blase gab es keinen Itachi und auch niemanden sonst. In seiner Blase gab es auch keine Familie, die unter der Erde in Gräbern ruhte, und keine Mitschüler, die ihn nicht mochten oder die er nicht mochte.

Es gab nichts in seiner Blase, und das war auch gut so. Ab und an gab es kleinere Funken. Die bemerkte er nur vage. Die Funken, das war Kakashi. Der ihn in den Arm nahm und trug, der sich neben ihn setzte und sich Sorgen zu machen schien. In diesen Momenten fragte sich Sasuke, worum sich Kakashi so sorgte. Aber bevor er genauer darüber nachdenken konnte, verschwanden die Funken und mit ihnen diese schweren, komischen Gedanken, die das Kind gar nicht haben wollte. Sasuke wollte gar nicht daran denken, dass irgendwo außerhalb der Blase Itachibeniko war. Oder Kakashi. Er wollte nur in seiner Blase sein. Da war es in Ordnung. Keiner, der ihm wehtat, und niemand, der sich selbst für ihn verletzte.

Für ihn selbst?
 

Der junge Uchiha wurde stutzig.

Wieso sollte sich einer für ihn, für Sasuke, verletzen?

Er wusste es nicht. Aber jemand hatte das doch behauptet, oder?
 

Seine Blase fühlte sich auf einmal viel zu klein an. Bisher war sie ihm wie eine dünne schützende Haut erschienen, doch plötzlich kam sie ihm vor wie eine dicke Mauer, die ihn unterdrückte. Sasuke verstand selbst nicht, wieso das alles so war. Auf einmal fand er es nicht mehr so angenehm, nicht Denken zu können. Fühlte sich unwohl in seiner Zuflucht. War dieses Gefängnis denn eine Zuflucht? Wenn ja, wovor sollte es ihn denn schützen?

Sasuke wusste es nicht. Vielleicht sollte er wieder mit dem Denken aufhören, dann war die Blase wieder so ein schöner, ruhiger Ort. Eine Zuflucht vor der lauten, grausamen Welt, in der einem der eigene Bruder die Familie und alles nahm, was er hatte. Ja, es wäre viel angenehmer so. Itachibeniko und Kakashi würden das verstehen. Sasuke schloss die Augen und schwamm weiter in seiner Blase. Alles war in Ordnung hier.

Bis eine unsichtbare Klaue seine Blase mit ohrenbetäubenden Geräusch zerfetzte. Sasuke schrie auf. Seine Zuflucht war verschwunden! Er hatte riesige Angst. Plötzlich konnte er sehen, was vor ihm war. Eine Wand, hinter der etwas vor sich ging, wie er spürte. Und er spürte auch etwas Weiches unter seinem Körper, der ihm seltsam vorkam und ungewohnt. Vor ihm stand eine Gestalt, die eine Maske trug. Sasuke kannte diese Gestalt. Ihm wurde schlecht.

Er hörte Stimmen, die ihn zusätzlich aufwühlten. Wieso war alles so anders? Eben war er doch noch in Sicherheit gewesen!
 

Der Mann –Sasuke vermutete jedenfalls, dass es einer war- hockte sich vor ihn. Der junge Uchiha fühlte sich unwohl, weil ihm der Fremde so nahe war und er dessen Gesicht nicht sehen konnte. Außerdem erinnerte er sich auf einmal daran, dass diese Gestalt vor ihm Itachibeniko bekämpft hatte. Aber was war danach gewesen?
 


 

Itachi hatte Angst. Angst, was seinem Bruder während seiner Bewusstlosigkeit zugestoßen war. Was, wenn das hier nicht mehr sein kleiner Bruder war, sondern eine willenlose Marionette? Und wie sollte Itachi seinem Bruder dann helfen, falls der noch alles mitbekam? Er wusste es nicht. Itachi war zwar ein Wunderkind, aber gegen Madara ein harmloser Abklatsch, was Kenntnisse und Fähigkeiten betraf.

Kakashi stand hinter Sasuke. Ganz dicht bei dem Kind. Itachi war froh darüber, denn der Hatake mochte Sasuke. Er würde ihm bestimmt helfen, wieder normal zu werden. Der Kopierninja galt doch als sehr talentiert und er war älter als Itachi, also musste er doch etwas tun können!
 

Sasukes Verhalten machte ihm eine mehr Angst als alles andere. Er wusste, dass das nicht Sasuke war. Bitte, flehte Itachi. Bitte lass ihn wieder er selbst sein!
 

„Du hast eine Woche Bedenkzeit“, sagte das Kind leise.
 

Dann drehte es sich um und verließ Kakashis Zimmer wieder. Die beiden Sharinganträger blickten sich kurz verwirrt an, bevor Kakashi Sasuke folgte.
 

Itachi hatte die Frage in Kakashis Augen gelesen, dieselbe Frage wie seine. Erst später wurde ihm klar, wofür die Bedenkzeit war. Es konnte nicht Sasuke gewesen sein, der das gesagt hatte. Uchiha Madara musste ihn dazu gebracht haben.

Wieso war er nur in Konoha geblieben? Er hatte doch gewusst, dass es ein Fehler gewesen war!

Aber Sasuke ist noch zu klein, um alleine zu leben. Was bin ich für ein Bruder, wenn ich ihm das zumute?
 


 

Sasuke ging in sein Kinderzimmer. Kakashi folgte ihm und sah zu, als der Akademieschüler in sein Bett kroch und die Augen schloss. Wenig später setzte Kakashi sich an Sasukes Bettkante. Der Junge schlief tief und fest. Mit gerunzelter Stirn blickte Kakashi auf ihn herab und fragte sich, was mit dem Jungen nur passiert war.
 

Als er zurück zu seinem Gefangenen ging, fragte der ihn sofort, wo Sasuke war und ob es diesem gut ging. Kakashi wurde wütend. Was interessierte es diesen Mörder, wie es Sasuke ging?

„Die ganze Zeit hattest du auch kein Problem mit mir, also sag mir gefälligst, was mit Sasuke ist!“, zischt der Gefangene böse.

Abschätzend blickte Kakashi auf ihn herab. „Du warst schon die ganze Zeit mein Problem, Uchiha.“

„Und als ich mich um Sasuke gekümmert habe?“, entgegnete der aufgebracht. „Wir wären ohne dich auch zurecht gekommen, ich habe mich immer um ihn gesorgt! Du kennst ihn doch gar nicht richtig! Ich war immer für ihn da!“

Kakashi starrte seinen Gefangenen überrascht an. „Wann warst du da?“, wollte er wissen.

Itachi, aufgebracht durch die Sorge um den kleinen Bruder und Wut über Kakashis Anschuldigungen, vergaß alle Vorsicht: „Ich konnte Sasuke hier doch nicht allein lassen, wenn sich keiner um ihn kümmert! Jede Nacht hat er Albträume und keiner ist da! Hätte ich einen guten Platz für uns gefunden und Arbeit, ich hätte ihn sofort mitgenommen und mich nicht jede Nacht zu ihm ins Dorf geschlichen!“

Erschrocken, nahezu entsetzt sah Kakashi auf den gefesselten Uchiha herab, dem Sasuke so ähnlich sah. Endlich begriff er: „Du hast dich als Beniko ausgegeben.“

Itachi schnaubte: „Sie hätten mich ins Gefängnis gebracht. Wer hätte dann auf Sasuke geachtet?“

„Deshalb hast du dich als Beniko ausgegeben, oder?“

Itachi nickte. „Ich bin alles, was ihm geblieben ist“, antwortete er. Wusste nicht, wieso er sich so verhalten hatte. Bereute es. Wie sollte er Sasuke so beschützen? Nun wusste jeder, dass Beniko tot war und er in Konoha. Er, ein Serienmörder.
 

Kakashi schwieg, bevor er ihm schweren Herzens die Fesseln löste. Würde dieser Uchiha ihm Probleme bereiten, könnte er ihn überwältigen. Da war sich der Hatake sicher. Niemals würde er es zulassen, dass Itachi Uchiha seinen kleinen Bruder erneut verletzte.

„Sasuke schläft in seinem Zimmer“, meinte er dann. Sein Misstrauens hatte sich gelegt, obwohl Sasukes Bruder einen ganzen Clan ausgelöscht hatte. Hätte Itachi gelogen, hätte er das sofort erfahren. Denn vor dem Kopfteil des Bettes lag ein Hund auf dem Boden. Es war ein vertrauter Geist, der jede Lüge als solche erkannte, weil sich der Mensch beim Lügen selbst verriet.

Auch Uchiha Itachi konnte diesen Hund nicht überlisten.

Abschied

Einen ganzen Tag lang saß Itachi am Bett seines jüngeren Bruders, bis dieser wieder aufwachte. Kakashi blieb bei ihm, um sicher zu gehen, dass Sasuke nicht verletzt wurde. Zur Überraschung der beiden setzte sich das Kind am späten Nachmittag des folgenden Tages plötzlich auf und blickte seinen älteren Bruder an.

„Du bist Beniko gewesen, oder?“, erklang kratzig die Stimme des Jungen.

Itachi reichte seinem Bruder sofort eine Tasse mittlerweile abgekühlten Tees und nickte, während Sasuke gierig trank. „Du weißt es also.“

Sasuke gab ihm die Tasse zurück und schaute ihn verwirrt an. „Da war eine Stimme in meinem Kopf. Und da waren Bilder. Ich habe gesehen, wie du wieder du wurdest“, antwortete der Junge leise. „Wieso hast du das gemacht? Hasst du mich so sehr?“

Sofort schüttelte Itachi heftig den Kopf und zog Sasuke in seine Arme. „Nein. Ich bin überhaupt nicht dazu in der Lage, dich zu hassen. Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert, wenn ich mich zu weit von Konoha entferne. Es war keiner mehr für dich da.“

Das Kind verstand ihn nicht, und auch seitens Kakashi spürte Itachi einen fragenden Blick im Nacken. Aber er würde es nicht erklären. Sasuke war noch zu klein, um von den Machtspielen der Dorfobersten und der eigenen Eltern erfahren zu müssen. Er würde es nicht verstehen. Seine Familie war toll gewesen, und das war sie wirklich, aber jeder hatte seine Marotten. Und Uchiha Fugaku war, wie es im Clan typisch gewesen zu sein schien, nahezu besessen von Macht. Er hatte ein Auge seines Neffen verkauft, nur für ein bisschen Macht. Ein Sharingan, das eine ungeheure Macht besaß. Itachi selbst hatte auf Shisuis Wunsch dessen anderes Auge erhalten, aber er wollte es nicht nutzen. Es war zu mächtig. Und Shisui war sein bester Freund gewesen.
 

Sasuke sollte das alles am besten nie erfahren.
 

„Aber jetzt weiß ich, dass du hier sicher bist“, brummte Itachi in Sasukes Schopf, legte seinen Kopf auf dem des Jüngeren ab. „Und dass es gefährlicher ist, wenn ich bei dir bleibe.“

„Du meinst diese Bedenkzeit, oder?“, wollte Kakashi hinter den Brüdern wissen.

Itachi nickte und strich über Sasukes Rücken. Der Junge klammerte sich fest an ihn, schien ihn nicht gehen lassen zu wollen.

Dabei hatte er ihn doch so sehr verletzt.
 

„Ich denke, ich sollte nachschauen, ob dieser Mann noch hier ist“, meldete Kakashi sich irgendwann zu Wort. „Vielleicht versteckt er sich und wartet auf eine Gelegenheit, uns anzugreifen.“ Die Tür fiel leise ins Schloss und Itachi seufzte innerlich. Er würde sein Leben geben, um bei Sasuke bleiben zu können.

„Du gehst, oder?“, fragte jener leise.

Zärtlich strich der Mörder dem Kind durch das dichte Haar. „Ich habe keine andere Wahl. Er würde dich töten.“ Er verschwieg, dass ihr Ahne Sasuke zuvor sicher noch foltern würde. Er wollte ihm keine Angst machen.

Solange Itachi bei Madara war, war Sasuke in Sicherheit. Er hatte nun jemanden, der sich um ihn kümmerte und aufrichtig sorgte.

„So, wie du es mit unseren Verwandten getan hast.“

Fest drückt Itachi Sasuke an sich. Er wollte es dem Kind nicht sagen, aber diese Worte konnte er nicht so stehen lassen. Er wusste, er würde noch in dieser Nacht das Dorf verlassen müssen. Kein Risiko würde er eingehen. Nichts mehr tun, das Sasuke in Gefahr brachte.

„Ich wollte sie nicht töten“, gestand Itachi. „Es musste sein. Wenn du groß genug bist, erkläre ich es dir vielleicht.“

Sasuke schniefte. „Ich bin kein Kind mehr.“

„Aber du darfst es noch nicht wissen. Du bist noch nicht dafür bereit“, entgegnete Itachi mahnend und strich seinem Bruder immerzu über Haar und Rücken. Hielt ihn fest in seinem Arm.
 

Sie schwiegen lange.
 

Früher war Sasuke ein lebendiges Kind gewesen, das Ruhe schlecht ertragen konnte. Nun verstand er, dass der Abschied von diesem älteren Jungen, der sein Bruder war, sein Vorbild, herangerückt war. Ein Abschied, der ihn verunsicherte, seit er wusste, dass sein Bruder ihn bisher nicht wirklich verlassen hatte. Nun würde er aber wirklich alleine sein. Selbst Itachi verließ ihn, niemand blieb.

„Kakashi wird auf dich aufpassen, Sasuke“, sprach Itachi irgendwann. „Und wenn ich in der Nähe bin, schaue ich nach dir.“

Sasuke schniefte. „Ich hab gedacht, du hasst mich.“

Itachi lächelte nachsichtig und drückte sein Brüderchen so fest an sich, wie er konnte, ohne ihm wehzutun. „Ich werde immer für dich da sein“, versprach er.

Ein Nicken war die einzige Antwort.

„Und wenn wir uns dann wiedersehen und Zeit haben, dann will ich alles wissen“, lächelte Itachi traurig. „Wie du Kakashi mit Farbe anmalst, wenn er schläft, und wie du ihn im Shurikenwerfen überholst.“

Sasuke kicherte. „Das schaffe ich doch gar nicht“, meinte das Kind. „Kakashi kriegt doch immer alles mit.“

„Nicht, wenn ich dir einen Trick verrate“, grinste das sonst so unterkühlte Wunderkind. „Das mit der Farbe musst du nachts machen, Sasuke, und die Shuriken tauschst du gegen Spielzeugshuriken aus. Damit trifft er nie.“ Ein Glucksen ertönte. Itachi genoss es. Bald würde er Sasukes Stimme nicht mehr hören können und mit der Sorge leben müssen, ob sich ein anderer auch gut um seinen Bruder kümmerte. Er vertraute Kakashi zwar, aber er hatte auch Angst. Wusste nicht, ob eine Strafe auf ihn warten würde.

„Ich erinnere mich daran, dass du mich hassen wolltest“, meinte Itachi irgendwann.

Sasuke kuschelte sich enger an ihn, schmiegte sich in seine Halsbeuge.
 

Noch vor wenigen Tagen hätte er das nicht einmal bei Beniko so gemacht, weil er schon zu alt war, um Schutz und Trost zu suchen. Aber hier bei Itachi war sein Alter irrelevant. Nie könnte Itachi ihm dafür böse sein. Er freute sich über das Vertrauen des Jüngeren. Damit hatte er nicht mehr gerechnet, seit er seinem Bruder die Morde gezeigt hatte. Itachi könnte sein Sharingan verfluchen, aber er würde es nicht rückgängig machen. Und er würde ihm nicht die Erinnerungen an Madara nehmen, denn das würde bedeuten, Sasuke den Antrieb zu nehmen.

Sein kleiner Bruder wusste nun, dass es von der Laune anderer abhing, ob er überlebte oder nicht. Und dass er stark werden musste.
 

Trotzdem nahm Itachi ihm zusätzlich das Versprechen ab, der beste Shinobi Konohas zu werden.

„Wenn du mir versprichst, mich zu besuchen“, war Sasukes Antwort darauf.

Itachi lächelte und spürte, das seine Augen brannten. Sasuke zeigte es nicht, wollte es nicht zeigen, doch Itachi erkannte die Traurigkeit des Jungen. „Sobald ich in der Nähe bin. Ich muss doch sehen, ob du dein Wort hältst.“
 

Gemeinsam kuschelten sie sich in Sasukes Bett. Sorgsam deckte Itachi seinen Bruder zu und zog ihn in seine schützenden Arme.

Er erzählte ihm Geschichten von ihrer Kindheit- von einer Zeit, an die Sasuke sich nicht mehr erinnern konnte, und von Dingen, die sie einmal unternehmen wollten. Zelten gehen, eine Wasserschlacht mit Kakashi machen. Miteinander kämpfen. Sie träumten sich eine Zukunft, die sie nie haben würden. Sasuke war zufrieden in diesem Moment. Als er am späten Abend einschlief, blieb Itachi noch sehr lange bei ihm. Schlief selbst ein, das letzte Mal, dass er beruhigt schlafen würde.
 


 

Noch vor der Morgendämmerung weckte Kakashi den Familienmörder. Sasuke blieb alleine in dem viel zu großen Bett zurück, fest in die Decke gekuschelt. Er wurde nicht wach, doch er würde früh genug bemerken, dass sein älterer Bruder gegangen war.

Die beiden Älteren hatten sich nicht sehr viel zu sagen. Kakashi versprach, sich um Sasuke zu kümmern, und Itachi, dass er am Leben blieb. Dann schlüpfte er in einen dicken Mantel und seine Schuhe, bevor er die Wohnung und wenig später auch Konoha verließ.
 


 

Madara erwartete ihn schon. Er stand auf dem Trainingsplatz am Rande des Dorfes mit vor der Brust verschränkten Armen. Ungeduldig blickte er seinem Verwandten entgegen. „Was dauert das so lange?“, wollte er verstimmt wissen.

Itachi senkte den Blick. „Ich habe mich noch von Sasuke verabschiedet.“

„Er hasst dich nicht mehr“, erkannte Madara. „Wolltest du nicht, dass er das tut?“

Der ehemalige Anbu zuckte mit den Schultern. Folgte dann seinem neuen Vorgesetzten in den tiefen Wald, fort von Konoha. „Ich will nicht, dass er leidet. So geht es ihm besser“, meinte Itachi sehr leise.

Madara ging nicht darauf ein.
 

Es dauerte nicht einmal bis zum nächsten Abend, bis sie an die Grenze des Feuerreiches kamen.

Itachi schwieg ebenso wie sein neuer Lehrmeister. Sie hatten sich nichts zu sagen.
 

Als sie im Wasserreich ein Lager für die ohnehin schon fortgeschrittene Nacht aufschlugen, warf Madara Itachi einen langen Blick zu.

„Weißt du, er hat mich an Izuna erinnert“, brummt er, während Itachi ein Feuer entzündet. „Er ist ihm ähnlich.“

Itachi erwiderte die Musterung des anderen. „Aber es ist Sasuke. Mein kleiner Bruder. Und du wirst jetzt deine Finger von ihm lassen.“

Madara nickte. „Was will ich schon mit einem kleinen Kind?“

„Genau. Er ist hilflos und noch am Anfang seiner Ausbildung. Wer weiß, ob er sich wirklich anstrengt. Vielleicht taugt er nicht zum Ninja“, wollte Itachi von Sasuke ablenken.

Madara lachte. „Itachi, ich habe euch beobachtet. Der Junge hat Talent. Wärst du nicht, hätte ich ihn genommen.“

„Aber ich bin hier“, entgegnet Itachi eisig.

„Und dein Bruder bleibt in Konoha, ganz alleine unter Fremden“, trällert Madara boshaft.

Ja, dachte Itachi. Und da war Sasuke in Sicherheit.
 

Sasukes Sicherheit war es wert, gegangen zu sein.

Aber noch immer konnte Itachi das Schluchzen seines Bruders in den Ohren nachhallen hören.
 

Sasuke stand ohne Familie da. War sein Überleben das wert?



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  franzitanja2000
2016-01-21T18:09:02+00:00 21.01.2016 19:09
Ich bin wirklich gespannt wie es weiter geht
Von:  Scorbion1984
2015-12-13T07:47:09+00:00 13.12.2015 08:47
Verwirrend aber gut erzählt !


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