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Hunters

Die Erinnerungen des alten Silver
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Okay Leute, jetzt geht es los.
Viel Spaß beim Lesen!
Fay Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier nun offiziell das erste Kapitel! Komplett anzeigen

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Prolog

~ Prolog ~

Dunkle Wolken schoben sich über die Kontinente. Die Vögel flohen lauthals schreiend über die Meere, weit weg von der Gefahr - doch die war überall.Schon Tage vorher war die Luft erfüllt von dunkler Vorahnung. Alle hatten Angst. Sie fürchteten sich vor den Gerüchten, die schon lange im Umlauf waren. Das es noch viel schlimmer kam als befürchtet, das ahnte Niemand.

Die grauen Berge, zwischen denen sich die Städte der Ältesten befanden, stürzten in sich zusammen, begruben viele Leben unter sich und zerstörten die heiligen Klöster.

Über die Hafenstädte brachen Fluten herein, schwemmten Häuser weg und rissen Familien auseinander. Stürme zogen auf über den Wüstendörfern und vernichteten alles, was ihnen in den Weg kam. Der feine Schnee der weißen Insel färbte sich blutrot.

Es war der dreizehnte des dreizehnten Monats. 3136 Jahre nach Ende des ersten schwarzen Zeitalters. Und der erste Tag des zweiten... des nachtschwarzen Zeitalters. An diesem Tag veränderte sich das Leben für alle Wesen dieser Welt...

Doch ein einziges kleines Wesen wagte es an diesem Tag, das Licht der Welt zu erblicken.
 

Der alte Silver ließ sich Zeit. Gemächlich setze er sich auf den großen Felsen, auf den die Dorfbewohner schon eine Decke und einige Kissen für ihn bereitgelegt hatten. Das war ihm sehr recht, schließlich war er nicht mehr der Jüngste und mit dem Alter hatte sich eine gewisse Bequemlichkeit eingestellt. Um den Felsen hatten sich schon fast alle Dorfbewohner versammelt. Der alte Mann freute sich immer wieder darüber, dass die Menschen auch noch nach so vielen Jahren so fasziniert von seinen Geschichten waren. Vor allem eine Geschichte zog alle Leute in ihren Bann. Silver hatte schon vorab ankündigen lassen, dass er in das kleine Dorf kommen würde, um sie ihnen zu erzählen, die wahre Geschichte.

Sein junger Begleiter brachte ihm Wasser und etwas Brot. Vor den Füßen des Alten rangelten die Kinder darum, möglichst nah bei ihm zu sitzen, damit sie auch ja nichts verpassen konnten. Silver schaute in der Menge herum. Inzwischen hatte sich das ganze Dorf versammelt und jeder hatte ein gemütliches Plätzchen gefunden. Lächelnd nickte er seinem Begleiter zu. Dieser lief zu ihrem Reisewagen und holte einen großen, schweren Gegenstand, der in ein blaues Seidentuch gewickelt war. Als er es dem alten Silver übergab, verstummte die Dorfgemeinschaft. In dem Tuch befand sich ein großes Buch. Es war in braunes, ausgeblichenes Leder eingebunden und auch die vergilbten Seiten sahen schon sehr abgenutzt aus. Als er es Aufschlug, war sein gesamter Schoß bis zu den Knien komplett verdeckt. Die Kinder reckten ihre Hälse, um einen Blick auf die Seiten zu erhaschen und tuschelten aufgeregt miteinander. Der junge Begleiter von Silver zog eine, nicht ganz ernst gemeinte, düstere Miene, legte einen Finger auf die Lippen und deutete den Kindern, sie sollten still sein. Dann lehnte er sich an einen Baum, der neben dem Felsen stand, schaute noch einmal in die Runde und blickte dann lächelnd den alten Mann an. »Ich glaube, du kannst jetzt anfangen.«

Silver strich sich eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann atmete er tief durch und begann zu erzählen. »Meine Geschichte beginnt vor fast genau sechsundneunzig Jahren. Damals wurde unsere schöne Welt noch unterjocht vom...« - »... vom bösen König Sorth!«, unterbrach ihn ein kleiner Junge. »Psst! Gib doch Ruhe! Der alte Silver hat sich nicht extra die Mühe gemacht herzukommen, damit du frecher Lümmel das Erzählen für ihn übernimmst!«, schimpfte seine Mutter. Silver lachte. »Das macht nichts, gute Frau. Ich freue mich doch, wenn die Kinder mir so gut zuhören.« Dann wandte er sich dem Burschen zu. »Ja, du hast Recht, es war der dunkle Herrscher Sorth. Weißt du auch, welche Namen ihm das Volk damals gab?« »Na klar weiß ich das! Die Leute haben ihn 'Todesfürst' und 'Blutkönig' genannt! Und seine Frau war die böse Magierin Nigra, die 'schwarze Hexe'!«. Der Alte nickte. »Ja das stimmt, Nigra war eine Magierin, die die schwarzen Künste wie sonst niemand beherrschte.« Der Junge grinste zufrieden. »Aber jetzt überlässt du das Erzählen wieder mir, in Ordnung?« Der Junge lief rot an und machte es sich schweigend wieder auf seinem Platz gemütlich.

»Wo war ich? Ach ja... meine Geschichte beginnt vor fast sechsundneunzig Jahren...<<

Kapitel Eins

~ Kapitel Eins ~

Entnervt kniete er auf dem Boden und stocherte mit einem Draht, den er sich aus dem Stiefel gezogen hatte, in dem Eisenschloss herum. »Jetzt komm schon du blödes, verdammtes kleines...«, fluchte er vor sich her. Er hatte sonst nie Probleme damit, Schlösser aller Formen und Größen zu knacken, aber die der Palastzellen hatten es wirklich in sich. Aufgeben wollte er aber auf keinen Fall. »Komm schon Zoran, du wirst dich doch nicht von so einem billigen Schloss besiegen lassen.« Er vernahm ein höhnisches kichern aus der hinteren Ecke der modrigen Zelle. »Anstatt mich auszulachen, könntest du versuchen dich als nützlich zu erweisen, immerhin steht auch dein Leben auf dem Spiel!« Die Person, die dort in der dunklen Ecke saß, machte keinerlei Anstalten sich zu erheben und Zoran bei seinem Fluchtversuch zu helfen. »Dann eben nicht, ich will jedenfalls nicht sterben!« Der große, muskulöse Mann war genervt. Genervt, dass er in dieser stinkenden Zelle hocken musste, genervt von dem blöden Idioten in der Ecke, der offenbar lieber sterben wollte als abzuhauen und genervt von diesem verfluchten Schloss.

»Du kannst gerne weiterhin versuchen so dilettantisch da herumzustochern, aber bis du fertig bist, hat Sorth dich schon dreimal köpfen lassen.« Wütend stand Zoran auf und funkelte den Kerl böse an. »Wenn du eine bessere Idee hat, bitte, nur zu! Ich bin nicht scharf darauf, den Henker kennenzulernen!« »Was hast du zu bieten?« Er schaute verdutzt. »Wie, was hab ich zu bieten?« »Na du weißt schon. Gold, Juwelen, seltene Waffen... Halt irgendeinen Anreiz für mich dir zu helfen.« Zoran verzog schmunzelnd das Gesicht. »Du scheinst ja mächtig von deiner Fluchtmethode überzeugt zu sein. Aber nein, ich habe nichts außer diesem Draht bei mir. Die Soldaten haben mir alles abgenommen und da hinten in die Kammer geschlossen.« Er deutete flüchtig auf eine Holztür auf dem Gang außerhalb der Zelle. »Waffen hab ich sowieso nicht, ich kläre meine Probleme verbal oder, wenn nötig, mit den Fäusten. Ich könnte dir nur etwas Silber geben, es ist aber nicht viel.« Der Kerl setzte sich aufrecht »Hmm... Nun ja, das Schloss zu öffnen ist eine Kleinigkeit für mich, also werde ich mich ausnahmsweise mit ein paar Silbermünzen zufriedengeben. Und ich hab ja schließlich auch was von der Flucht. Also los, geh mal zur Seite, Muskelprotz.« Wütend schaute Zoran ihn an, gab aber klein bei und trat zur Seite. Der Klügere gibt nach, Zoran. Als der komische Mann sich aus der Ecke erhob und sich zum ersten mal im Licht zeigte, erkannte Zoran erstaunt, dass es sich viel weniger um einen Mann, als vielmehr um einen Jungen handelte.

Er hatte schwarze Haare mit einigen blonden Strähnen, die ihm in sein feines Gesicht vielen. Er schien sehr dünn zu sein, wirkte auch auf den ersten Blick nicht sonderlich muskulös. Wie alt er wohl war? Wohl kaum älter als achtzehn. »So jung und schon so abgebrüht?« Der Junge starrte ihn böse an. »In diesen Zeiten spielt das Alter keine Rolle. Selbst kleine Kinder müssen bereit sein, um ihr Leben zu kämpfen.« Da ist was dran, dachte Zoran bei sich. »Und wie planst du nun, uns hier rauszuholen?« Der Junge grinste »Ganz einfach... mit versteckten Mitteln.« Der Junge öffnete die Gürtelschnallen an seinen Stiefeln und zog diese etwas herunter. Zoran staunte nicht schlecht, als er einen gewundenen Dolch zum Vorschein brachte, mit einer einzigartigen, schimmernden Klinge. Sie wirkte nicht metallisch, eher silbrig. Oder etwas, das dem sehr Nahe kam. »Woraus besteht dieser Dolch? Ein derartiges Metall habe ich noch nie gesehen.« Er grinste. »Das behalte ich lieber für mich...« Mit diesen Worten erhob der Junge den Dolch und stach damit auf das Schloss ein. Augenblicklich Zersprang es, zu Zorans Verwunderung beinahe lautlos, und die Zellentür ging leise quietschend auf. Zoran starrte verdutzt auf die Klinge des Dolches. »Unfassbar! Ich habe nie zuvor einen Dolch gesehen, der ähnliches vollbracht hätte.« Eilig steckte der Junge die Waffe wieder in den Stiefel, ging auf die Holztür zu und trat sie mit einem lauten krachen auf. »Bist du wahnsinnig? Das hat man doch im ganzen Palast gehört!« Unbeeindruckt betrat der Junge die Kammer und kam mit einem kleinen Stoffbeutel wieder. »Das war der einzige der da drin lag, also nehme ich an, das ist deiner.« Er warf Zoran den Beutel zu. »Ja das ist... mein etwas leichter gewordener Beutel. Was zum...« »Ich war so frei und hab mir schon mal meine Belohnung raus genommen. Zehn Silbermünzen, das sollte erst einmal reichen.« »Das MUSS reichen! Das ist die Hälfte von dem, was ich besitze!« Der Junge zuckte mit den Schultern und warf sich einen langen, augenscheinlich sehr schweren schwarzen Ledermantel, ebenfalls mit vielen Gürtelschnallen, um. »Ich hoffe, du kannst mit dem Ding rennen, denn wenn hier gleich die Soldaten den Kerker stürmen, wird das bitter nötig sein!« Der Junge zwinkerte ihm nur kurz zu und spurtete auf die Treppen zu. Zoran blieb nur ein kurzer Moment um zu reagieren. Er knotete schnell seinen Geldbeutel an eine Gürtellasche und rannte dem Jungen die Treppe hinauf hinterher. Am oberen Ende musste er dem einzigen Gang nach Rechts folgen und scheinbar endlose Minuten geradeaus rennen. Am Ende angekommen spaltete sich ein schmaler Gang nach links. Bevor er überlegen konnte, wo er nun langgehen sollte, wurde er von irgendjemandem in den schmalen Gang hineingezogen.

Gerade wollte er zum Schlag ausholen, da erkannte er den Jungen vor sich, der ihm zu Schweigen deutete. Zoran war sich nicht sicher, ob er erleichtert oder wütend sein sollte. In diesem Moment hörte er rasche, schnelle Schritte in ihre Richtung laufen. Die beiden Flüchtlinge drückten sich etwas weiter an die Wand und warteten. Mehrere schwer bewaffnete Soldaten rannten den Gang, von dem er gerade gekommen war, hinunter in Richtung des Kerker.

»Uff, das war knapp. Danke.« »Wir haben keine Zeit für Schwätzchen, wir müssen uns beeilen!« Nach einem prüfenden Blick rannten die beiden schnell wieder ihren ursprünglichen Weg entlang. Am Ende des Weges stiegen sie eine Treppe hinauf und fanden sich vor zwei Türen wieder, einer großen aus Eisen direkt vor ihnen und einer kleinen aus Holz zu ihrer Rechten. »Welche nehmen wir?«, fragte Zoran. »Versuch mal, ob du die Große aufstemmen kannst.« Zoran knackste mit den Fingern und fing an die große Eisentür aufzudrücken. »Sag mal, du bist nicht das erste Mal hier im Palast, oder?« keuchte er vor Anstrengung hervor. »Nein«, grinste der Junge »ich habe mich schon öfters an den Schätzen des großen Herrschers bedient.« »Und du lebst noch, weil...?« »Weil das Schicksal offenbar noch was Großes mit mir vor hat.«

Ächzend gab die schwere Eisentür nach und offenbarte den beiden Flüchtlingen was hinter ihr lag. Zoran schaute den Jungen an, vorwurfsvoll und wütend. »Hat es von Anfang an zu deinem Plan gehört, uns in die Vorhalle des Thronsaales zu führen?« In der Tat standen sie beide jetzt in einer Riesigen Halle, geschmückt mit Wappen und Fahnen, Rüstungen und Waffen... und erstaunlicherweise mit fast keiner Menschenseele. »Nein, mein Plan war es eigentlich nur die Zelle aufzubrechen und dich um Goldmünzen zu erleichtern. Das du mir hinterherrennst gehörte nicht dazu. Aber da du schon mal da warst dachte ich mir, kannst du mir auch bis wir draußen sind nützlich sein.« Zoran ballte seine Hände zu Fäusten, beruhigte sich dann aber wieder. Immerhin hat der Kleine ihm geholfen... zweimal. Also beließ er es dabei. »Sorth scheint nicht da zu sein, ansonsten wären hier viel mehr Wachen und Gesellschaft.« Zoran schaut sich in der Halle um und nickte in Richtung einer großen Säule. Schnell versteckten sich die zwei dahinter und hielten weiter Ausschau nach Soldaten. »Siehst du irgendjemanden?« »Nein und es ist ein Wunder, dass WIR noch nicht gesehen wurden!« Der Junge wandte sich Zoran zu. »Wieso genau warst du eigentlich in der Zelle da unten? Du wirkst auf mich nicht gerade wie ein böser Junge der die Gesetze missachtet... Mal ganz abgesehen von deinem Gefängnisausbruch vorhin.« »Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt um darüber zu reden!«, zischte Zoran ihn an. Der Junge wollte etwas sagen, aber in dem Moment wurde er an der Schulter gepackt. Bevor er etwas aus seinen Manteltaschen zücken konnte, hatte Zoran dem Unbekannten schon mit einem lauten Knall die Faust auf die Nase geschlagen. Das Opfer taumelte ein paar Schritte rückwärts und sackte schließlich, blutend, in sich zusammen.

»Starke Aktion! Du hast einen Kellner verprügelt.« höhnte der Junge. »Hahaha, sehr witzig.« Schnell hastete er mit dem Jungen hinter die nächste Säule, ohne dabei aus Versehen auf den ausgeschalteten Kellner zu treten. »Bis zum Ausgang sind es noch fünf weitere Säulen, glaubst du das schaffen wir?« Der Junge blickte sich um »Jetzt oder nie, das ist die ideale Chance!« Die zwei entflohenen Häftlinge huschten, immer bedacht darauf nicht entdeckt zu werden, von einer Säule zur anderen.

Als nur noch zwei Säulen vor ihnen lagen, hörten sie plötzlich Rufe hinter ihnen. »Sie müssen irgendwo hier sein! Weit können sie nicht gekommen sein!« Panisch schaute Zoran umher. Jetzt ist es aus! Sie haben uns! Da entdeckte er, unweit von ihnen, eine geöffnete Tür, hinter der sich eine Wendeltreppe nach oben verbarg. »Los, da rauf«, zischte er dem Jungen zu. Unbemerkt schafften sie es durch die Tür und die Treppe hinauf. Sie fanden sich auf einem hell erleuchtetem Flur wieder. Er war mit einem prachtvollen lavendelfarbenem Teppich ausgelegt. Kleine, mit Kristallen behangene Kronleuchter hingen von der Decke. Prachtvolle Gemälde von allerlei Lichtgestalten in goldenen Rahmen schauten von den Wänden auf sie hinab und die Türen waren mit schmuckvollen Mustern verziert. »Großer Gott«, sprach der Junge »sollte ich eines Tages sterben, dann hoffe ich, dass das Paradies nicht so aussieht.« Zoran konnte dem nur stumm zustimmen.

»Da ist jemand auf dem Flur, schnell!«, hörten die beiden jemanden sprechen. Ohne groß zu überlegen platzten sie durch die nächstgelegene Tür, schlugen sie hinter sich zu und schoben einen Riegel davor.

»Oh man, das war echt knapp, Zoran.« Er schaute den Jungen verwundert an. »Woher kennst du meinen Namen?« »Du hast es in der Zelle vor dich hingemurmelt.« »Oh, ach so, das hatte ich gar-« »Wer seid ihr? Was tut ihr hier in MEINEM Schlafzimmer?«

Zoran und der Junge wirbelten schnell herum, als sie die Stimme hörten. Vor ihnen stand ein junges Mädchen in einem rosa Kleid und mit feinem Schmuck behangen. Sie hatte ihr rotblondes Haar, das über ihrer Schulter hing, zu einem eleganten Zopf geflochten. »Ich warne euch, ich rufe die Wachen ihr zwei...« ihr stockte der Atem. »Ihr seid die Beiden, die aus der Zelle ausgebrochen sind! Diebe! Verbrecher! Abschaum! WA-hmpf!« Bevor sie lauthals die Soldaten rufen konnte hielt der Junge ihr den Mund zu und legte ein Messer an ihre Kehle. »Hör zu, kleines Fräulein, wenn du auch nur ansatzweise darüber nachdenken solltest die Wachen zu rufen, werde ich dir ohne zu zögern deinen parfümierten Hals durchschneiden, ist das klar?« Zoran hatte sich an die Tür gedrängt und lauschte, ob er Schritte hören konnte. Tatsächlich konnte er kurze Zeit später jemanden vor der Tür hören. »Geht es Euch gut? Fehlt euch etwas?« Der Junge flüsterte nun der verängstigten jungen Dame ins Ohr. »Hör zu, Mäuschen, du sagst denen jetzt, dass alles hier drin in Ordnung ist und dass sie wieder gehen sollen! Hast du verstanden?« Sie nickte hastig. Er nahm seine Hand von ihrem Mund und ging mit ihr leise zur Tür. »Los!«, zischte er. Stotternd befolgte das Mädchen dem Befehl des Jungen. »N-nein, es... Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur eine S-Spinne gesehen und mich erschrocken.« »Soll ich reinkommen und sie erschlagen?« »Nein, sie ist schon wieder zum Fenster hinaus gekrabbelt. Ich möchte jetzt meine Ruhe haben.« »Wie Sie wünschen, Miss!« Zoran konnte hören, wie der Diener sich wieder entfernte. »Gut gelogen, Kleine.«, sprach der Junge. »Ich nehme an, du kennst dich hier besser aus als wir. Ich möchte, dass du uns über den unauffälligsten Weg in Richtung Freiheit führst. Und bilde dir bloß nichts Falsches ein, wir merken, wenn du versuchst uns reinzulegen.« Gefängnisausbruch, Körperverletzung, Entführung. Zoran war nicht sonderlich begeistert davon, dass seine fast reine Weiße Weste an einem einzigen Tag derartig von Straftaten verschmutzt wurde. »Was glaubst du, wer sie ist, Junge?« Er begutachtete seine Geisel von oben bis unten. »Ich würde sagen, eine gutbetuchte Hofdame. Sorth kann es sich leisten, seine Gespielinnen derartig zu verhätscheln.« Das Mädchen wollte gerade lautstark protestieren, als Zoran deutete, dass auf dem Flur die Luft rein war. Die beiden traten mit ihrer Geisel hinaus auf den Flur. »Also Püppchen, wo geht es lang?« Sie deutete mit dem Kopf nach rechts. »Da geht es lang. Und dann die letzte Tür links.«

Schnell liefen Zoran, der Junge und die Geisel den beschriebenen Weg entlang. Als sie besagte Tür öffneten, fanden sie sich auf einer überdachten Terrasse wieder. Sie war vollkommen leer. Es war inzwischen dunkel geworden. »Wo lang jetzt?« »Da vorne ist ein Rundbogen, durch den kommt ihr unten auf den Hof. Dort hinten auf der anderen Seite, seht ihr das Gestrüpp? Dahinter ist eine Art Klapptür, die führt direkt raus aus dem Palast. Könnt ihr mich jetzt bitte endlich gehen lassen?« »Vergiss es, bis wir aus diesem verdammten Gemäuer raus sind, behalten wir dich, sozusagen als Absicherung.« Der Junge drückte wieder das Messer an ihre Kehle. Zoran sah sie etwas bemitleidend an. »Tu besser was er sagt, dem trau ich irgendwie alles zu.«

Sie rannten durch den Rundbogen, das Gestrüpp mit dem geheimen Ausgang immer vor Augen. Als sie in der Mitte des Hofes angekommen waren, sauste neben Zoran plötzlich ein Pfeil herab. Abrupt blieben sie stehen und schauten, woher der Schuss kam. Auf den Palastmauern versammelten sich dutzende Soldaten, bewaffnet mit Schwertern, Pfeilen und Bögen. »LASST DAS MÄDCHEN FREI UND ERGEBT EUCH!« brüllte einer der Soldaten. »Niemals!« antwortete der Junge. »Lasst uns gehen oder sie stirbt!« Er packte sie fester am Arm und deutete eine Schneidebewegung an ihren Hals an. »IM NAMEN VON KÖNIG SORTH, ERGEBT EUCH!« Zoran sah die letzten Momente seines Lebens noch einmal an sich vorbeiziehen. Er hatte keinen Ruhm erlangt, kaum Gold in der Tasche, nicht die Frau seiner Träume getroffen. Bloß einen größenwahnsinnigen Jugendlichen, der junge Frauen aus dem Palast entführte, in dem der grausamste König aller Zeiten regierte. Das war irgendwie... enttäuschend..

»Ich werde mich niemals eurem dreckigen König ergeben! Eher sterbe ich und nehme diese beiden mit in den Tod!« Zoran malte sich alle Arten von Hinrichtungen aus, die ihn erwarten könnten. Erhängen, Köpfen, Erstechen, Vierteilen. König Sorth hatte sicher so einige Methoden auf Lager, da war er sich sicher. »WAGE ES NICHT SO VON UNSEREM KÖNIG ZU SPRECHEN!« »Ich spreche von diesem Bastard wie ich will!« Zoran fragte sich, ob die Verurteilen während ihrer Hinrichtung viel mitbekamen. Dauerte es lange? Hatten sie Schmerzen? Waren die Henker einigermaßen gnädig? »NENN UNS DEINEN NAMEN, BURSCHE!« Der Junge grinste dämonisch und schaute den brüllenden Soldaten direkt an. »Richtet es eurem König ruhig aus: derjenige, der seinem Leben und seiner Herrschaft ein Ende bereiten wird heißt Blake!«

Zoran wurde aus seinen blutigen Tagträumen gerissen. »Blake? Dein Name ist Blake?« Der Junge grinste. »Mein Ruf ist mir wohl schon vorausgeeilt.« »Ähm nein, dein Name klingt einfach nur, wie soll ich sagen, nicht besonders furchteinflößend.« Blake schaute äußerst beleidigt. »Da reden wir später noch drüber.« Er begab sich langsam mit seiner Geisel rückwärts in Richtung des Gestrüpps, immer im Blick der angespannten Soldaten. »Wenn ich da jetzt keine geheime Klappe finde, ich schwöre dir, die Wachen werden Wochen brauchen, bis sie alle Teile deines Körpers wieder-gefunden haben.« Das Mädchen hatte nicht gelogen. Als Zoran das Gestrüpp zur Seite schob war dort wirklich eine Klappe. Er schob den Riegel auf und öffnete sie. Die Öffnung in der Mauer war grade groß genug, dass Zoran auf seinen Knien durchrutschen konnte. Blake schaute noch einmal zu den wütenden Soldaten hoch. »Auf nimmer Wiedersehen, ihr Witzfiguren!« Und mit diesen Worten stieß er das Mädchen hindurch und sprang gleich hinterher. Zoran folgte ihm, denn allzu lange wollte er nicht alleine mit den Wachen bleiben.

Hinter der Öffnung ging es etwa fünf Meter auf einer Art Steinrutsche hinunter. Sie fanden sich auf einem kleinen Felsvorsprung vor einem Abhang wieder. Unter ihnen war nur eine Holzhütte, einige Pferde und ein großer Heuhaufen. »Zoran, was denkst du?« Zoran blickte den Abhang hinunter. »Etwa zwanzig Meter, könnte knapp werden.« Das Mädchen wurde Kreidebleich. »Ihr wollt nicht allen ernstes in den Heu-« In diesem Moment wurde sie schon von ihren Entführern an den Armen gepackt und sauste in Richtung Boden. Noch bevor sie anfangen konnte zu schreien, krachten sie unsanft in die Mitte des größten Heuballens. Blake zog das Mädchen an sich heran. Zoran rupfte sich das Heu aus den Haaren. »Schnell Zoran, schnapp dir einen Gaul!« Gefängnisausbruch, Körperverletzung, Entführung, Diebstahl.

Blake warf das Mädchen auf einen großes, schwarzes Pferd und schwang sich elegant hinter sie auf den Rücken des Tieres. Zoran schnappte sich ein braunes Pferd, welches ihm am nächsten stand. Notdürftig banden sie Stricke um die Halfter der Tiere. Dann verschwanden sie mit den zwei gestohlenen Pferden und ihrer Geisel, nicht mehr sichtbar für die Soldaten, im dichten, angrenzenden Wald.

Kapitel Zwei

~ Kapitel Zwei ~

Sharon aß noch den letzten Bissen von ihrem Teller, sehr fein zubereiteter Fisch mit etwas Kräutersoße. Dann faltete sie ihre Serviette und stand auf. »Möchten Sie noch etwas zum Nachtisch? Einen Schokoladenkuchen vielleicht?« Sharon winkte ab. »Nein, ich hatte heute Nachmittag schon Schokolade, mir ist der Appetit auf Süßes für heute vergangen.« Der Mann machte eine leichte Verbeugung nach vorne und verschwand wieder in die Küche.

»Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«, fragte eine Dienstmagd. »Ja, ich möchte, dass ihr mir Josette auf mein Zimmer schickt, sie soll mir helfen, den passenden Schmuck für mein Festkleid zu suchen.« Die Dienstmagd nickte und eilte sofort los um die Dame zu suchen.

»Ich werde mich jetzt in mein Zimmer begeben und dort etwas ausruhen, ich wünsche von niemandem außer Josette gestört zu werden.«

Sharon wollte den Speisesaal verlassen, als plötzlich eine Wache durch die Tür hineinstürmte. »Verzeiht mir bitte die Störung, aber es ist dringend! Vor wenigen Minuten sind zwei äußerst gefährliche Häftlinge aus den Verliesen entkommen und bewegen sich frei im Schloss herum!« Sharon funkelte ihn zornig an. »Wie um alles in der Welt konnte das passieren?« Die Wache wischte sich nervös den Schweiß von der Stirn. »Wir können es uns selbst nicht genau erklären.« Sharon war wütend. »Können Sie mir erklären, wie ich jetzt in mein Schlafzimmer kommen soll? Da draußen, ganz allein, bin ich wohl kaum sicher!« »Natürlich nicht, meine Männer werden Sie selbstverständlich sicher begleiten.« Hinter der Wache traten vier weitere bewaffnete Männer herein und salutierten vor Sharon. »Finden Sie diese Verbrecher!« Mit diesen Worten verließ Sharon in Begleitung ihrer Leibgarde den Speisesaal.

Sie war es gewohnt von Morgens bis Abends bedient zu werden. Sie brauchte nur mit dem Finger zu schnippen und ein jeder im Schloss hatte zu spurten. Sharon liebte es, so luxuriös zu leben. Das das Volk dieser Welt Hunger und Not litt, belastete ihre Seele nicht eine Sekunde.

Sobald Sharon vor ihrem Gemach stand, schickte sie die Wachen wieder fort. Sie war der Meinung, die Flüchtlinge würden nicht bis zu den Gemächern vordringen können.

Keine fünf Minuten nachdem sie ihr Zimmer betreten hatte, klopfte es schon an der Tür. »Wer ist da?« Die Tür öffnete sich und eine kleine, dürre Frau mit spitzem Gesicht und strengem Dutt trat hinein. »Josette! So schnell hatte ich gar nicht mit Ihnen gerechnet.« Die Frau machte einen Knicks und lächelte Sharon freundlich an. »Für meine beste Kundin kann ich gar nicht schnell genug sein.« Sharon mochte ihre Zuverlässige Goldschmiedin. Sie gab ihr den perfekten Glanz zu jedem Anlass. Sie besaß bereits eine beträchtliche Anzahl einzigartiger, sehr wertvoller Schmuckstücke, aber sie wollte schließlich herausstechen, wenn sie auf den Festen und Bällen die anderen jungen Mädchen traf und mit nur einer Kette wäre das natürlich unmöglich.

»Lasst mich einmal euer Kleid sehen, damit ich eine Vorauswahl treffen kann.« Sharon ging in ihre Kleiderkammer und holte ein langes, rosafarbenes Samtkleid mit feiner weißer Spitze hervor. »Das ist wirklich ein außerordentlich schönes Kleid. Ein Geschenk seiner Majestät?« »Ja, er hat es mir anfertigen lassen für das Fest, dass in vier Tagen stattfindet.« Josette betrachtete das Kleid ganz genau. Sie betrachtete das Schnittmuster, die Spitze und den Glanz des Stoffes. »Ich habe schon mal einen ganz guten Eindruck von dem Kleid. Würdet ihr es bitte einmal für mich anziehen? Dann können wir es im Gesamtbild begutachten.« Sharon verschwand mit dem Kleid hinter einem Vorhang. Sie wollte es sich nur schnell überziehen, für eine 'richtige' Ankleide hatte sie keinen Nerv. Dann müsste erst ein Dienstmädchen kommen und ihr beim schnüren ihrer Korsage helfen.

Als sie hinter dem Vorhang hervortrat sah sie, dass Josette bereits eine kleine Anzahl von verschiedenen Schmuckstücken bereitgelegt hat. »Ihr seht fabelhaft aus, Mademoiselle!« Sharon begutachtete die Auswahl auf dem Tisch. Es waren einige Ketten, Armreifen, Ohrringe und Broschen. »Haben Sie schon etwas entdeckt, was Sie gerne anprobieren würden?« Sie schaute weiter über die Auswahl. »Ja, diese Ohrringe dort, legen Sie sie mir an.« Josette nahm vorsichtig zwei Diamantohrringe aus einer Schachtel und legte sie Sharon an. Diese musterte sich einen Moment lang im Spiegel, drehte ihren Kopf nach links und rechts um ihre Auswahl zu begutachten. »Ja, ich denke ich werde sie am Samstag tragen, sie passen perfekt zu mir. Sie bringen meine Augen gut zur Geltung. Haben Sie dazu eine passende Kette oder einen passenden Armreif?« Sofort hing sie Sharon noch ein fein gearbeitetes Collier um den Hals und streifte ihr ein großes Armband über das Handgelenk. »Die sind alle fantastisch, ich kann mich gar nicht entscheiden!« »Wenn Mademoiselle gefallen daran hätte, könnte ich Ihnen noch eine Tiara dazu geben. Ich müsste sie allerdings holen.« Sharons Augen fingen an zu leuchten. »Holen Sie sie!« Josette machte eilig einen Knicks und verschwand zur Tür hinaus.

Sich selbst begutachtend, drehte Sharon sich ein paar mal vor dem Spiegel. Der teure Schmuck glitzerte wie die Sterne einer klaren Neumondnacht. Das einzige, was noch mehr strahlte waren ihre Azurblauen Augen. Sharon war sich sicher, ihr Leben war perfekt.

Bis dann plötzlich zwei wildfremde Männer in ihr Schlafgemach stürzten.
 

Zoran schaute sich immer wieder um, als sie im Eiltempo durch den dichten Wald galoppierten. Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs, die Pferde schnaubten vor Erschöpfung und der große Mond stand schon fast an seiner höchsten Position. »Ich glaube, wir haben sie schon vor einer ganzen Weile abgeschüttelt.«

In der Nähe eines kleinen Baches kamen sie zum stehen. Die Pferde fingen sofort dankbar an das kühle Wasser zu trinken. »Was machen wir jetzt mit ihr hier?« Zoran hielt die strampelnde Geisel fest im Griff. Blake gab darauf eine sehr trockene Antwort: »Bind sie an den Baum da.« »Und womit bitteschön? Ich hab kein Seil dabei.« Lässig griff Blake in eine seiner Manteltaschen und zog ein langes, dickes Seil heraus. »Ich frag besser gar nicht erst.« Zoran nahm das Seil entgegen, schleifte das immer noch um sich schlagende Mädchen zu einer großen Tanne und band sie kurzerhand fest. Trotz ihrer heftigen Gegenwehr war das kein Problem für Zoran. Er war Nahkämpfe mit bloßer Faust gewöhnt. Und für gewöhnlich waren seine Kämpfer auch keine kleinen, zierlichen Persönchen.

»Mach mich sofort los, du mieser Grobian! Ich warne dich! Mach mich sofort los oder ich...-« »...oder du was? Willst du den Wald noch mehr zusammenschreien? Glaub mir, wenn bis jetzt noch keiner da ist, dann wird auch keiner mehr kommen.« Das Mädchen wurde schlagartig ruhig und schaute wütend und zähneknirschend auf den Boden. Zoran hob ein paar umher liegende trockene Äste auf. Ein paar Meter weiter war Blake damit beschäftigt, eine Feuerstelle vorzubereiten. Er fegte ein paar Blätter vom Boden und legte so eine Stelle frei, um die er dann einige dicke Steine aus dem Fluss legte. Zoran stapelte die Äste in dem Steinkreis, warf noch etwas trockenes Laub dazu. »Reicht das oder brauchst du noch mehr?« »Nein, das sollte erst einmal reichen.« Mit diesen Worten holte Blake zwei rote Steine aus seinen Taschen und fing an sie neben dem kleinen Holzgebilde gegeneinander zu schlagen. Es dauerte eine Weile, bis einige Funken sprühten und schließlich ein warmes Feuer entbrannte.

Die Pferde hatten sie an zwei Bäume direkt am Fluss gebunden, damit die Tiere weiter trinken und sich ausruhen konnten. Zoran nahm einen großen Schluck aus dem Wasserschlauch, den Blake ihm gereicht hatte. »Gibt es eigentlich irgendwas, was du nicht in deinem Mantel hast?« Blake, der mit einem Stock im Feuer herumstocherte, schaute ihn an und grinste. »Sagen wir einfach, ich erspare mir das herumschleppen von Taschen nur allzu gerne.« Verärgert schaute Zoran zu Boden. Er konnte nicht mehr seinen Rucksack aus dem Verlies mitnehmen, dazu musste er zu hastig fliehen. Blake schaute ihn an. »Ein paar Meilen von hier ist ein Dorf. Du besitzt noch genug Goldmünzen um dir eine Tasche und Proviant zu kaufen. Ich wollte sowieso dorthin, du kannst mich morgen begleiten.« »Sie werden sicher schon längst Steckbriefe von uns angefertigt haben und sie in der Gegend verteilen. Immerhin haben wir... Hmm... Wen genau haben wir da eigentlich entführt?« Beide blickten zu der Tanne, an der sie das Mädchen mit dem hässlichen Kleid gebunden hatten. Sie hatte aufgehört, sich befreien zu wollen, da ihr der raue Strick in die Haut schnitt. Sie stand ganz ruhig und offenbar vollkommen erschöpft da. »Hey Mädchen, sag uns deinen Namen!« Sie schreckte zusammen und zitterte am ganzen Körper. Zoran betrachtete sie und bekam Mitleid. »Komm schon Blake, du könntest aufhören so schroff zu sein. Wir haben sie heute schon genug verschreckt.« Blake stützte beleidigt seinen Kopf auf seine Hände. »Bitte, dann versuch du doch ihren Namen herauszufinden!« Zoran stand auf und ging auf das Mädchen zu. Sie schaute ihn böse, aber auch deutlich verängstigt an. »Keine Angst, ich werde dir nicht wehtun. Du hast sicher Durst.« Er hielt ihr das Wasser vor den Mund, doch sie drehte nur verächtlich den Kopf zur Seite. »Ihr zwei schmutzigen Wilden habt ja keine Ahnung, was euch noch blüht! Wenn der König erfährt, was ihr getan habt, wird er euch langsam und qualvoll hinrichten lassen!« Aus Richtung der Feuerstelle war nur ein verächtliches Lachen zu hören. »Glaubst du allen Ernstes, dass Sorth nur für so ein Püppchen wie dich eine ganze Armee entsenden wird? Was bildest du dir denn ein, wer du bist, Süße?« Das Mädchen funkelte ihn zornig an. »Mein Name ist Sharon Alleah Alessia Julie, Herzogin des Waldlandes und Erbin des Thronblutes.«

Blake wich das Lachen schlagartig aus dem Gesicht. Er starrte ungläubig abwechselnd auf das Mädchen und auf Zoran, der Leichenblass dastand und den Wasserschlauch fallen ließ. »Zoran?« »Mir ist schlecht.« »Hast du das gehört?« »Die werden uns bis ans Ende der Welt jagen.« »Denkst du, sie meint das ernst?« »Der hat unseren sicheren Tod besiegelt.« »Das war SO definitiv nicht geplant!« »Wegen dem werde ich sterben.« »Der Alte wird uns die Köpfe persönlich abreißen...« »Du hast seine Tochter entführt!« »Was?« »Du hast verdammt nochmal SORTHS EINZIGE TOCHTER entführt! Du Irrer! Du kranker Idiot! Ist dir klar, was passiert, wenn die uns finden? IST DIR DAS KLAR?«

Zoran schnaubte vor Wut. Am liebsten hätte er Blake am Kragen gepackt und eigens im Fluss ertränkt. Aber das würde ihm jetzt auch nicht mehr helfen. Zoran schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Noch einmal ließ er seinen gesamten Tagesablauf vor seinem geistigen Auge ablaufen. Am frühen Morgen wurde er von den Soldaten nahe der Palaststadt verhaftet und in den Kerker geworfen, wo er auf seine gerechte Strafe warten sollte. Dann brach er aus dem Kerker aus, schlug einen Diener des Königs nieder, entführte die Prinzessin und stahl ein Pferd. Wie um alles in der Welt sollte er da heile wieder raus kommen? Alles was er wollte, war ein Neuanfang. Die alten Lasten hinter sich lassen. Gleichgesinnte... Schon so lange hoffte er jemanden zu finden. Irgendjemanden, der ihm sagen konnte, wer er wirklich war. Was er wirklich war. Doch er fand nicht einmal Hinweise.

»Bringt mich augenblicklich zurück zum Palast! Ich befehle es euch! Ihr dreckigen Banditen!« Zoran schaute der Prinzessin in die Augen. »Denkst du, bloß weil du uns beleidigst, bekommst du deinen Willen? Das hat vielleicht bei deinen Dienern und Mägden funktioniert, aber wir werden ganz sicher nicht vor dir kuschen.« Sharon fauchte ihn an. »Was glaubst du eigentlich, mit wem du hier redest du... du... was genau bist du eigentlich?«
 

Blake schaute Zoran an. Selbstverständlich war es ihm sofort aufgefallen, aber er hatte keinen Grund ihn darauf anzusprechen. Seine Einstellung war es, dass er sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten einmischte, wenn sie es auch nicht bei ihm taten. Zoran hatte bislang noch keinerlei Interesse an seiner Situation vor dem gemeinsamen Ausbruch gezeigt, weswegen Blake ihn an seiner Seite duldete. Aber etwas Neugierig hatte ihn Zorans ungewöhnliches Erscheinungsbild doch gemacht.

Blake schaute zu, wie Zoran sich nach Püppchens Frage nervös seine langen, hellblauen, silbrig schimmernden Haare zu einem Zopf band. Auch seine Augen hatten eine seltsame Farbe, sie waren in einem kräftigen Violett und seine Pupillen schienen nicht rund zu sein, sondern breite Schlitze zu bilden. Blake hatte schon öfter Geschichten über Wesen gehört, mit seltsamen Haar- und Augenfarben, doch wurden sie niemals menschenähnlich beschrieben. Und so fragte sich Blake still in sich hinein, wer oder was Zoran war. Aber letztendlich ging es ihn nichts an.

»Zoran? Lass uns schnell von hier verschwinden. Wenn die da wirklich die Tochter von Sorth ist, dann kann es nicht mehr lang dauern, bis sie auch hier nach ihr suchen.« »Hallo? Du hast meine Frage nicht beantwortet! Was bist du?« Entnervt wandte sich Blake ihrer Geisel zu. »Ich möchte doch meinen, dass du im Augenblick andere Sorgen hast als hier dumme Fragen zu stellen.«

Zoran wollte soeben etwas sagen, als es plötzlich hinter Sharon aus dem Wald ein fernes Rascheln zu vernehmen war. Schlagartig wurden die drei ruhig und lauschten. Das Rascheln wurde lauter. Dann hörten sie auch das krachen schwerer Äste. Sharon freute sich. »Das müssen die Soldaten sein! Sie kommen um mich zu retten!« Blake betrachtete Aufmerksam das Waldstück, das hinter Sharon lag. »Das sind keine Soldaten. Das ist etwas viel größeres.« Blake schaute Zoran an, der offenbar angestrengt den Geräuschen lauschte. »Es ist allein. Dem Geräusch nach zu Urteilen ist es etwa drei Meter Groß und wiegt mehrere hundert Pfund. Und es schleift etwas schweres hinter sich her.« Blake war erstaunt von Zorans guten Ohren, da kam plötzlich ein Ohrenbetäubendes Gebrüll aus dem Wald. Zwischen den Bäumen trat ein gewaltiges Wesen hervor. Es war etwa so groß, wie Zoran beschrieben hatte. Es hatte eine schmutzige, ledrige graue Haut, die an vielen Stellen vernarbt war. Auf dem Rücken hatte es einige unschöne Buckel. Es zog ein Beil mit rostigen Nägeln darin hinter sich her. Und noch dazu stank es ekelhaft. Nach modriger Erde, nach Sumpf – und nach Verwesung. Zoran verzog angewidert das Gesicht und rieb seine Nase. Es schien, als könnte er diesen Gestank noch viel weniger ertragen als Blake oder Sharon. Blake griff fest um den Griff seines Schwertes, welches er auf der rechten Seite seinen Gürtels trug. »Keine Angst, Prinzessin, der tut uns nichts. Das ist ein Leichenfresser, der macht sich nichts aus Lebenden.« Blakes Worte schienen Sharon nur bedingt zu beruhigen. »Leichenfresser?« fragte sie in ängstlichem Flüsterton. »Die Leichenfresser graben die Toten aus um sie zu essen.« Blake waren diese Wesen keineswegs unbekannt, dennoch schüttelte es ihm bei diesem Gedanken. »Was will der hier?« Blake schaute sich um. »Er muss das Feuer bemerkt haben und hat gedacht, hier wäre ein Nachtbegräbnis.« Sharon musterte das Beil. »Wird er uns damit töten und dann verspeisen?« Blake verdrehte genervt die Augen. Er hatte keine Lust mehr, der Prinzessin ihre dummen Fragen zu beantworten. Doch wenn er schweigen würde, befürchtete er, würde sie panisch werden und Krach veranstalten. »Nein, Leichenfresser lieben den Geschmack von Verwesung und Moder. Wir wären ihm zu frisch. Das Beil benutzt er um Särge aufzubrechen.« Blakes Blicke suchten nach Zoran. Dieser stand reglos und schweigend da, nur ein Paar Schritte von ihm entfernt und ließ seine Augen nicht vom dem gefährlich wirkendem Eindringling ab, der langsam auf den Fluss zuging um daraus zu trinken. Dann sah Blake, wie Zoran langsam den Kopf schüttelte. »So wie du es beschreibst, war es früher einmal. Doch die meisten Menschen können sich heutzutage kein vernünftiges Begräbnis mehr leisten, dafür sind die Abgaben an das Königshaus zu hoch. Die Meisten verbrennen die Verstorbenen und verstreuen ihre Asche in den Flüssen oder im Meer. Das ist immer noch würdevoller, als die Toten einfach so in der Erde zu verscharren. Und die, die sich ein Begräbnis leisten können, zahlen auch für die Bewachung der Friedhöfe.« Blake ahnte, worauf diese Erklärung hinauslief. »Du willst damit sagen, dass er sich gar nicht erst die Mühe macht, nach schlecht bewachten Särgen zu suchen?« Zoran ballte seine Hände zu Fäusten. »Nein.«, sagte er ruhig » Er hat gelernt, die Toten selbst zu vergraben.«

In diesem Moment drehte der massige Leichenfresser sich um und schwang sein Beil nach Zoran. Dieser wich mit einem Sprung nach Links aus und huschte hinter einen Felsen. Blake zückte sein Schwert und schnitt das Seil, mit dem Sharon gefesselt war, mit einem gezielten Hieb durch. »Schnell, versteck dich da hinten!« Sharon rannte zu der dichten Baumgruppe, auf die Blake gezeigt hatte und verschwand hinter dem dicksten Baumstamm. Blake wandte sich dem Leichenfresser zu, der mit seinem Beil ein Stück von dem Felsen abschlug. Als er sein Beil ein weiteres Mal zum Schlag hob, sprang Zoran auf den Felsen und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Der Leichenfresser schrie auf und taumelte ein paar Schritte zurück. Diese Gelegenheit nutzte Zoran und versetzte ihm mit seinen schweren Stiefeln einen tritt in den Bauch. Der Leichenfresser ließ sein Beil fallen und krümmte sich nach vorne. Zoran suchte nach Blake. »Jetzt, schnell!« Blake rannte auf den tief gebeugten Leichenfresser zu und schlug ihm mit einem einzigen kräftigen Hieb seines Schwertes den Kopf ab.

»Oh man, der hatte ganz schön viel Kraft.« Blake begutachtete den halb zertrümmerten Felsen. Zoran klopfte sich etwas Staub ab. »Wo ist die Prinzessin?« In diesem Moment trat eine vollkommen verstörte Sharon aus ihrem Versteck hervor. »Habt ihr es erledigt?« Sie erblickte den Kopflosen Körper des Ungetüms, das Blake und Zoran zu Füßen lag. Das Haupt des Leichenfressers war in den Fluss gerollt. Blake nahm sein Schwert und wischte das Blut mit einem Lappen, den er aus seinem Mantel gezogen hatte ab. »Hey Püppchen, ich bin zwar kein Modeexperte, aber ich glaube ein rosa Kleid passt farblich nicht zu einem grünem Gesicht.« Zoran knackte mit den Fingerknöcheln. »Das Wasser aus dem Fluss können wir nicht mehr trinken, das ist verseucht.« Er ging zu den Pferden und band sie los. »Was meinst du Blake, können wir's riskieren?« Blake schaute nach Osten, wo sich langsam die Morgendämmerung ankündigte. »Wenn wir jetzt los reiten, sollten wir kurz nach Sonnenaufgang im Dorf sein. Falls dort schon Steckbriefe hängen könnten wir diese Entfernen, bevor der Markt öffnet und die Bewohner sie sehen. Das könnte uns Zeit verschaffen. Also, ja, wir können es riskieren.« Zoran räusperte sich und deutete unauffällig auf Sharon. »Und was machen wir damit?« flüsterte er. Blake zuckte mit den Schultern. »Bind sie wieder an den Baum.« Lautstark begann Sharon zu protestieren. »Ihr bringt mich Augenblicklich nach Hause!« »Nein, wir bringen dich nicht einfach nach Hause« begann Zoran »und hierlassen werden wir dich auch nicht. Wer weiß, ob nicht noch so einer davon hier in der Gegend ist.« Er nickte mit seinem Kopf in Richtung des toten Leichenfressers. »Es reicht schon, dass wir dich entführt haben, da wollen wir ganz sicher nicht auch noch für deinen Tod verantwortlich sein.« Sharon schaute suchend zwischen den Bäumen umher. Wohl darauf wartend, dass doch noch Soldaten auftauchen würden. Zoran stöhnte genervt auf. »Vergiss es, da kommt keiner mehr.« Er packte Sharon am Arm und zog sie unsanft vor sich auf sein Pferd, nachdem er selbst auf gestiegen war. Nur das Rauschen den Baches war zu hören. Und die Hufe zweier Pferde, die ihre Reiter in Richtung Osten trugen.

Kapitel Drei

~Kapitel Drei~

Lautes Gebrüll war in der Halle zu hören. Viele Schritte wirrten umher. Der ganze Palast war aufgebracht. Niemand hatte in der Nacht geschlafen oder auch nur etwas gegessen. Der Hofstaat stand unter Schock. Direkt nach seiner nächtlichen Ankunft erfuhr König Sorth, dass zwei Verbrecher seine Tochter entführt hatten. Sofort schickte er seine Truppen los und ließ nach ihnen suchen.

Kayt war trotz der ganzen Aufregung wie immer die Ruhe selbst und behielt einen kühlen Kopf. Vielleicht war das auch der Grund, weswegen seine Majestät ihn zum ersten General ernannt hatte, zu seiner rechten Hand. Er saß schweigend mit einem Buch in der Hand im Thronsaal auf dem Fenstersims und wartete auf seine Befehle. Etwas beschäftigte ihn. Schon längst konzentrierte er sich nicht mehr aus sein Buch. Nachdenklich schaute er aus dem Fenster.

Nachdem er mit dem König in der Nacht zurückgekehrt war und sie die Nachricht von der Entführung der missratenen Göre erhielten, begab er sich direkt in die Kerker. Die Prinzessin entführen, das war kein Kunststück. Sie war naiv, schwach und leicht zu beeindrucken, das hätte jeder Idiot mit einem Messer und einem halbwegs guten Plan schaffen können. Aber derselbe Idiot hätte nie im Leben aus dem Verlies ausbrechen können. Die Gitterstäbe waren aus dickem, gehärtetem Stahl, nicht zerstörbar. Und das Schloss? Es war kein einfaches Schloss, für das man nur einen Schlüssel oder gar ein Stück Draht braucht. Ein Runen-Schloss. Nur zu öffnen mit dem passenden Schlussstein. Es gab jeweils nur zwei Exemplare für jedes Schloss. Eines besaß der Kerkermeister. Das andere Duke, der zweite General Seiner Majestät. Keine Chance an auch nur einen von beiden heranzukommen. Duke war im Süden und der Kerkermeister treu bis aufs Blut. Wie haben sie das nur geschafft? Dann sah er die Überreste des zerstörten Runen-

Schlosses.

Er wurde schlagartig aus seinen Gedanken gerissen, als der König die Tür zum Thronsaal aufstieß. Mit lauten, schweren Schritten durchquerte er den großen Raum. Erschöpft ließ er sich auf dem gewaltigen, Kayt's Meinung nach, viel zu pompösen Thron sinken. Ein Diener eilte hastig herbei. König Sorth leerte den herbeigebrachten Becher, vermutlich Rotwein, in einem Zug. Kayt stand auf, legte sein Buch zur Seite und ging auf den König zu. Einige Schritte entfernt von ihm blieb er stehen und machte eine Verbeugung. »Gibt es Neuigkeiten, Majestät?« Wütend sprang der König auf und mit einem gewaltigen Hieb warf er den Becher zu Boden. »Keiner – KEINER wagt es mich so zu verspotten! Wie kann dieses widerliche Gesocks es wagen, einfach durch MEINE Hallen zu spazieren? Wie ist das überhaupt möglich? WER IST DAFÜR VERANTWORTLICH?« Kayt musste an den armen Kerl denken, der König Sorth die Nachricht überbrachte. Dass seine Majestät ihn als erstes klein machen würde, war nicht anders zu erwarten... Aber gleich einen Kopf kürzer?

»Na na na mein Liebster, beruhige dich. Du weißt doch, Stress bekommt dir nicht.« Hinter dem Königsthron trat Königin Nigra hervor. »Kayt, mein Lieber, mein Gatte wird doch wohl hoffentlich nicht wieder seinen Zorn an dir auslassen?« »Gewiss nicht, Hoheit.« Abermals machte Kayt eine Verbeugung. »Reg dich nicht auf, Liebster, wir können es sowieso nicht ändern. Deine Leute suchen doch schon, oder Kayt?« Charmant lächelte die Königin ihn an. »Natürlich, eure Hoheit. Alle derzeit verfügbaren Einheiten sind auf dem Weg.« »Na siehst du, die Aufgabe ist in fähigen Händen. Nun entspann dich etwas und schau bitte nicht mehr so grimmig drein.« Ihre Eisgrauen Augen ruhten auf dem Gesicht ihres Mannes. König Sorth schloss die Augen, atmete durch und setzte sich wieder. »Lass mich allein!« blaffte er. Kayt nickte. Er entfernte sich vom Thron, holte sein Buch und verschwand ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus. Als er hinter sich die Tür zugezogen hatte, seufzte er und schüttelte den Kopf. Dafür werden noch so einige Köpfe mehr rollen.

Er machte sich auf den Weg in Richtung Schlosshof. Er brauchte frische Luft um seinen Kopf frei zu bekommen. Das zerbrochene Runen-Schloss ließ ihm keine Ruhe. Das war unmöglich. Was hat solch eine Zerstörungskraft? Er konnte es sich nicht erklären. Draußen angekommen schloss er seine Augen. Eine warme Spätsommerbrise wirbelte die schon heruntergefallenen Blätter auf. Er öffnete seine Augen und schaute in den Himmel. Dunkle Wolken zogen auf, gegen Mittag würde es Regnen. Kayt wischte sich einige der schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Dabei streiften seine Finger das Stigma neben seinem rechten Augen. Es war ein dunkelrotes, gezacktes Symbol, eine Art Tribal, welches von seiner Schläfe bis zu seinen äußeren Wangenknochen verlief. Jedes mal wenn er daran dachte, packte ihn die kalte Wut. Denn es erinnerte ihn nicht nur an seine schandhafte Herkunft, sondern auch an...

»General?« Abermals wurde Kayt unsanft aus seinen Gedanken gerissen. Als er sich umdrehte stand Königin Nigra bereits vor ihm. »Hoheit? Kann ich etwas für euch tun?« Die Königin schaute ihn kühl an. »Allerdings. Ich will, dass du die Suche nach meiner Tochter auf ein Minimum beschränkst.« Er schaute sie verwirrt an. Wieder setzte sie ihr nur allzu charmantes Lächeln auf. Kayt konnte diesen verlogenen Zug von ihr, ganz plötzlich die liebenswerte Frau zu spielen, die sie gar nicht war, nicht leiden. Aber selbstverständlich hätte er ihr das nie offen gezeigt. »Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Tochter in wirklich ernsthafter Gefahr ist.« Er schaute sie fragend an. »Wie meint Ihr das?« Die Königin grinste. »Ich meine, dass ich davon überzeugt bin, dass diese Kerle sie nicht umbringen werden. Diese ganze Aktion kommt mir viel zu ungeplant vor.« Kayt nickte. »Ja, es gab weder eine Lösegeldforderung noch irgendwelche Anzeichen dafür, dass die beiden überhaupt unter einer Decke steckten. Für mich klingt das ganze so, als hätten sie sie als eine Art Schutzschild für ihre Flucht genutzt. Ich zumindest gehe derzeitig davon aus, dass die beiden die Prinzessin nach einiger Zeit wieder irgendwo aussetzen werden.« »Den Göttern sei Dank, ich bin nicht die einzige, die das glaubt!« Langsam etwas ungeduldig, verschränkte Kayt die Hände vor der Brust. »Eure Hoheit, Verzeiht, aber ich bin mir immer noch nicht ganz im klaren darüber, was genau ihr beabsichtigt.« Verspielt zwirbelte die Königin ihr silbernes Haar zwischen den Fingern. »Ich hoffe, dieser kleine Ausflug raus aus dem Palast wird sie lehren, etwas bescheidener zu sein. Ganz im Vertrauen, Kayt, ich kann ihre ewig plärrende Stimme einfach nicht mehr ertragen. Verstehst du, was ich meine?« Es war kein Geheimnis, dass die Königin nicht viel Liebe für ihre einzige Tochter empfand. »Ihr meint, das Ganze soll eine Art Lektion für sie werden?« Sie lachte auf. »Du hast es erfasst! Also, kannst du mir diesen kleinen Gefallen tun? Keine Sorge, seine Majestät wird davon natürlich nichts erfahren.« fügte sie hinzu, als sie Kayt's besorgtes Gesicht sah. »Na gut, ich werde eurer Bitte nachkommen, Hoheit. Kann ich sonst noch etwas für euch tun?« Nachdem sie mit dem Kopf geschüttelt hatte, machte er eine kleine Verbeugung und wollte wieder zurück ins Schloss gehen. »Worum geht es in deiner Lektüre?« rief ihm die Königin hinterher. Er drehte sich um und zeigte ihr flüchtig den Einband. »Magische Waffen.«
 

Zoran wartete ungeduldig vor dem Geschäft. Wie lange braucht die denn noch? Weiber! Er tippte ungeduldig mit den Fingern auf seinen verschränkten Armen. Endlich kamen Blake und Sharon zur Tür hinaus. Anstatt ihres seidenen Alptraums in Rosa trug Sharon nun ein schlichtes, blaues, Baumwollkleid. Ihre Haare waren zu einem einfachen Zopf gebunden und an den Füßen trug sie braune Lederstiefel. Sie sah eigentlich recht hübsch aus, aber trotzdem war Sharon alles andere als zufrieden. »Das ist doch nicht euer ernst? Ich kann doch nicht so einen Sack tragen! Was, wenn mich jemand so sieht?« Blake verdrehte die Augen. »Das ist der Sinn der Sache. Wenn dich jemand so sieht wird er keinen Verdacht schöpfen.« Sharon zupfte an ihrem Kleid herum. »Ich sehe aus wie eine Bauernmagd!« Zoran schüttelte den Kopf. »Los jetzt, ich will nicht den ganzen Tag hier rumstehen. Lass mal sehen, wie viel ihre Sachen eingebracht haben.« Grinsend hielt Blake seinen nun prall gefüllten Geldbeutel hoch. Sharon schaute abwechselnd Blake und Zoran an. »Es sind meine Sachen gewesen, der Gewinn steht mit zu!« Die beiden ignorierten sie. »Wie viel?« Blake griff in dem Beutel und holte eine handvoll Goldmünzen raus. »Davon könnte eine Großfamilie ein ganzes Jahr lang jeden Tag fürstlich Speisen.« Verwirrt schaute Sharon die Ausbeute an. »Was, davon? Das reicht doch grade mal für ein Paar Tage.« Zoran spürte, wie er wütend wurde, behielt aber die Fassung. »Sharon, warst du schon einmal außerhalb des Palastes?« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Natürlich nicht! In der Welt wimmelt es nur so von schmutzigen Gaunern, Räubern, Verbrechern und Huren. Mal abgesehen davon will ich mir ganz sicher nicht die Pest oder irgendwas anderes ekliges einfangen.« Blake schlug die Hand vor den Kopf. Zoran starrte sie fassungslos an. »Sind das die Geschichten, die man dir da oben erzählt hat? Das alle Menschen dieser Welt Abschaum sind?« Sharon wirkte schockiert. »Wie bitte?« »Das ist ja mal wieder typisch!« meldete sich Blake zu Wort. »Verwöhntes Pack! Der Pöbel schuftet sich bis auf das letzte Gramm das Fett von den Knochen, nur damit das feine Palastgesindel unbehelligt weiter seinen Kuchen mit goldenen Gabeln essen kann!« Wütend schlug Blake mit der Faust gegen die Mauer. Sharon war sicher wütend, dachte Zoran. »Was willst du damit sagen? Antworte mir!« »Das weißt du ganz genau! Du arrogante, egoistische...« »Blake, es reicht!« Zoran erhob die Hand zum Schweigen. Mit geballten Fäusten drehte Blake den Beiden den Rücken zu und lehnte sich an den angrenzenden Zaun. »Ich glaube« begann Zoran ruhig »sie weiß wirklich nicht, was wir meinen.« Blake ließ ein verachtendes Schnauben von sich hören, was Zoran aber ignorierte. Langsam ging er auf Sharon zu. Diese wich angewidert zurück. Verunsichert drückte sie sich an die Wand des Ladens und schaute die Beiden abwechselnd, mit zornigen Augen, an. »Woher nimmt er sich das Recht mich so anzuschreien? Habe ich etwa irgendetwas falsch gemacht?« Zoran seufzte. Dann schaute er ihr tief in die Augen und fing an ruhig zu ihr zu sprechen. »Ich weiß, dass du es vermutlich unwissentlich getan hast, also kann man dir dafür nicht direkt Schuld geben.« Blake ließ von neuem einen verächtlichen Laut von sich, aber auch diesen ignorierte Zoran und sprach ruhig weiter. »Aber wenn du mich fragst, was du falsch gemacht hast... Nun ja... Alles.«

Zoran strich sich mit den Händen durch sein Haar und überlegte, welche Worte nun am geschicktesten waren. Und während er darüber nachdachte wurde ihm bewusst, wie lächerlich diese Situation war. Sorth, die Wurzel allen Übels, der Herr des Leidens und des Schmerzes aller Völker dieser Welt... Nur seinetwegen hatten die Menschen Angst, Schmerzen, Hunger, Krankheiten und waren arm. Der dunkelste Herrscher, den die Geschichte jemals hervorgebracht hatte. Und genau dessen Tochter stand nun vor ihm und hatte von all dem nicht die leiseste Ahnung.

Blake unterbrach das unangenehme Schweigen. »Ich würde vorschlagen wir suchen uns einen ruhigeren Platz, mir wird es langsam zu voll hier.« Zoran war nicht entgangen, dass die Hauptstraße immer voller wurde. »Lasst uns eine Gaststätte suchen, dann können wir direkt etwas Essen.« Sein Magen knurrte schon seit Sonnenaufgang. Sie banden die Pferde los und machten sich mit der wutschnaubenden Prinzessin im Schlepptau auf die Suche.

Kurze Zeit später entdeckten die drei eine kleine Taverne. Zu ihrem Glück war sie leer, nur der Wirt stand hinter der Theke und spülte ein paar Gläser. Blake zog Sharon zu einer Sitzgruppe, gut versteckt in der hintersten Ecke. Zoran sprach den Wirt an. »Guten Morgen, der Herr. Kann man bei Ihnen ein kleines Frühstück bekommen?« Der Wirt nickte zögerlich. »Ja, aber wirklich nur ein kleines. Die Preise für Lebensmittel sind wieder gestiegen, die guten Sachen können wir uns nicht mehr leisten.« Zoran nickte verständnisvoll. »Was können Sie uns denn anbieten?« »Ungesalzenes Rührei, Brot und Wasser.« »Das reicht uns vollkommen! Wenn es keine Umstände macht hätten wir gerne drei Portionen. Wir können auch alles bezahlen.« Der Wirt strahlte ihn an. »Gerne, der Herr! Bitte setzen Sie sich doch schon, ich bringe es Ihnen gleich an den Tisch.« Zoran begab sich zu den Anderen und setzte sich neben die Prinzessin. Sharon starrte wütend aus dem Fenster und Blake ließ sie dabei nicht aus den Augen. »So, Essen kommt gleich. Hast du dich einigermaßen beruhigt?«, fragte er Sharon, die ihn daraufhin einen wütenden, wenn auch lächerlich schwachen, tritt in die Knöchel verpasste. »Ich bin schon ganz gespannt, welchen Bären ihr mir gleich aufbinden werdet.« sagte sie in sarkastischem Ton. Zoran, bislang nur genervt war von Sharon und ihrem Gejammer und Geschrei, entwickelte langsam aber sich eine gewisse Wut gegen das freche Biest.

Trotz allem blieb er gewohnt ruhig und schaute sie an. »Hör zu, auch wenn einige von uns hier nicht den Eindruck machen« er schaute grimmig zu Blake »verspreche ich dir, dass dir keiner etwas antun wird. Hast du verstanden?« Sie gab einen genervten Laut von sich. »Ich höre?« Ungeduldig schaute sie Zoran an. Wohl wissend, dass er ihr nicht die Antwort geben konnte, die sie zu hören hoffte, begann er zu erzählen. »Am besten fange ich ganz von Vorne an, damit du auch alles verstehst. Vor ziemlich genau achtzehn Jahren kam Sorth an die Macht.« »Ich weiß« unterbrach Sharon ihn genervt. »Er hat den unfähigen König Philemon abgelöst.« Er schüttelte den Kopf. »Er hat ihn nicht einfach abgelöst, er hat ihn getötet.« Zoran sah ihr an, dass sie seine Worte stark bezweifelte. »Blödsinn, so etwas würde Va-« Blake deutete ihr, sie solle schweigen. Der Wirt kam zu ihrem Tisch und brachte drei große Krüge mit Wasser. »Bitteschön, die Herrschaften. Das Essen dauert noch einen Moment.« Er verschwand wieder in Richtung Küche. »Pass gefälligst auf, wenn jemand raus findet wer du bist, sind wir so gut wie tot!« Zoran ergriff wieder das Wort. »Ich weiß, dass du das nicht hören willst und mir vermutlich auch nicht glaubst, aber es ist wichtig, dass du es endlich erfährst. Erinnerst du dich nicht mehr an Sorth's Machtergreifung?« Sie schüttelte den Kopf. »Wie denn? Damals war ich erst ein Jahr alt.« »Ach so, ich dachte du seist schon etwas älter. Jedenfalls... König Philemon war vielleicht nicht der Fähigste, aber er war gütig und das Volk hat ihn geliebt, trotz seiner kleinen Fehler. Den Menschen ging es gut. Es war kein luxuriöses Leben, aber keiner musste hungern. Sorth war damals einer der Generäle König Philemons. Angeblich hasste er seinen Gerechtigkeitssinn. Er war und ist immer noch der Meinung, Geld gehört dem Adel. Und nur dem Adel. Der Pöbel dient nur dem Zweck, für das wohl der Höhergestellten zu schuften.« Zoran stoppte und nahm einen großen Schluck aus dem Krug. Blake trommelte genervt mit den Fingern auf die Tischplatte. »Damals kursierten schon lange die Gerüchte, dass Sorth einen Putsch plant, aber es konnte ihm nie nachgewiesen werden.« Sharon ließ keine Zweifel daran, dass sie diese Geschichte für Unsinn hielt, ließ Zoran aber weitersprechen. »Und während alle anderen noch rätselten, sammelte Sorth heimlich Gefolgsleute um sich. Allesamt mächtig und bis aufs Blut fest davon überzeugt, Sorth sei der fähigere Herrscher.« »Ist ja alles schön und gut, aber was für Gefolgsleute sollen das denn gewesen sein?« »Überleg doch mal. Wer hat denn, nach Sorth, den höchstens Status?« Sharon dachte nach. »Meine Mutter?« Zoran nickte. »Genau. Etwa zwei Jahre zuvor heiratete Sorth die Tochter der Baroness von Trystien, Nigra. Sie war sehr schön, sehr Einflussreich und schon damals eine Meisterin der schwarzen Magie. Für jemanden wie Sorth die perfekte Partie. Wer kommt als nächstes in der Rangfolge, außer dir?« Zoran sah, wie Sharons Augen funkelten und ihre Wangen sich röteten. »General Kayt!« Zoran musste schmunzeln. Blake hingegen fing höhnisch an zu lachen. »Kayt... Wenn ich den Namen nur höre! Spielt sich als großer Gönner auf und befehligt gleichzeitig eine Armee mit tausenden von Männern! Ein mieser Heuchler ist das.« »Und ein Verräter seines Volkes.« Sharon wurde wütend. »So könnt ihr nicht über ihn reden! Er ist ein gutherziger Mann und für seine Herkunft kann er nichts!« Zoran sprach ruhig weiter. »Weißt du, was er getan hat?« »Ja, er wurde von meinem Va-... von König Sorth verschont, als dieser die Antika ausrotten ließ.« »Falsch. Kayt selbst war es, der sein eigenes Volk, die Antika, bis auf das letzte Kind ausradierte.« Bei diesem Gedanken schlug Zoran wütend mit der Faust auf den Tisch. Dann meldete sich Blake zu Wort. »Na ja, bis auf das letzte Kind? Angeblich gibt es einen weiteren überlebenden Antika.« »Das weiß man nicht genau, aber das ist auch egal. Als nächstes in der Reihenfolge wäre noch Duke, der zweite General. Er zerstörte die Städte der Ältesten. Mit all seinen Bewohnern starb auch das Jahrtausende alte Wissen, welches sie im Laufe der Geschichte angesammelt und weitergegeben haben. Alles am dreizehnten des dreizehnten Monats im 3136. Jahr.« Blake ballte die Fäuste. »Diese Liste kann man endlos fortsetzen.« Zoran nahm einen weiteren Schluck aus dem Krug. Während er erzählte begann er wieder den Hass in sich zu spüren, den er tagtäglich unterdrückte. Unendlicher Hass gegen Sorth und alles und jeden, was sich um ihn sammelte und ihn anbetete, als wäre er der Erlöser dieser Welt. »Aber... das alles hat sich abgespielt, als ich noch ganz klein war. Also was meinst du damit, wenn du sagst, ich habe alles falsch gemacht?«

Zoran wusste, dass nun der schwerste Teil seiner kleinen Zusammenfassung kommen würde. »Blake, gib mir mal das Geld.« Blake runzelte die Stirn, warf ihm dann aber nur widerwillig den schwarzen Lederbeutel zu. Zoran hielt ihn Sharon vors Gesicht. »Das alles hier haben wir allein durch den Verkauf deines Kleides und deines Schmucks erhalten.« »Ja und? Festbekleidung und Schmuck ist nun mal nicht billig, das weiß doch jeder.« Fragend schaute Sharon den Geldbeutel an. »Hast du dich schon mal gefragt, woher das ganze Geld kommt? Wie der Palast den ganzen Luxus finanziert, den du und seine Sippe, dich eingeschlossen, leben?« Sharon schüttelte den Kopf. »Das sind Steuergelder. Jeder Bürger dieser Welt muss Steuern zahlen. Und das nicht zu knapp.« »Ja aber, das kommt doch dem Pöbel zugute? Ihr wisst schon, heile Straßen, restaurierte Brücken und solche Sachen eben.« Jetzt war es Zoran, der höhnisch auflachte. »In nächster Zeit wirst du mehr als genug Gelegenheiten bekommen, dich selbst vom Gegenteil zu überzeugen. Du wirst nicht eine heile Brücke finden und Straßen gibt es schon lange kaum noch welche. Alles nur matschige Schlammwege, mit spitzen Steinen übersät. Nein, du naives Ding, das Gold dient einzig und allein eurem Wohlstand. Die Bürger arbeiten sich zu Tode nur damit ihr eure schicken Feste feiern könnt und euch die Bäuche vollschlagt. Du hast vorhin erfahren, dass man mit dem Inhalt allein dieses kleinen Beutels eine Großfamilie ein ganzes Jahr lang mehr als satt bekommen kann. Dann rechne dir jetzt aus, wie viele dieser armen Menschen über was für einen immensen Zeitraum arbeiten mussten, nur damit du dir ein schickes Kleid kaufen konntest. Und du wunderst dich, wieso wir Hass bekommen, wenn du alle Männer als Verbrecher und alle Frauen als Huren schimpfst.«
 

Eilig kam der Wirt mit einem großen Tablett um die Ecke und stellte ihnen ihr karges Frühstück auf den Tisch. Blake und Zoran bedankten sich und fingen gleich an zu Essen. Sharon konnte nur schweigend auf ihren Teller starren. Nach dieser Dreistigkeit, die sich die beiden erlaubt hatten war ihr restlos der Appetit vergangen. Und diese Pampe vor sich hätte sie sowieso nicht runter schlucken können. Ihr Vater, den sie so verehrte, nichts weiter als ein Tyrann? General Kayt, den sie immer aus der Ferne bewundert hatte, ein Verräter? Der starke General Duke ein Mörder? Dreiste Lügen! Sharon beschloss diesen Geschichten keinen Glauben zu schenken. Sie saß nur schweigend da und überlegte, wie sie ihre Entführer bestrafen lassen würde.

Kapitel Vier

~Kapitel Vier~

Der alte Silver atmete tief durch. Das war erst der Anfang seiner Geschichte, der leichte Teil. Er schaute durch die Reihen seiner Zuhörer und blickte in ein paar ihrer Gesichter. Er dachte daran, was noch alles kommen würde und sein Herz wurde ihm schwer. Sein Begleiter reichte ihm sein Wasser. Dankend nahm Silver es an und nahm einen großen Schluck. Ein Mann stand auf und ging einige Schritte auf ihn zu. »Geht es euch gut? Braucht ihr eine Pause?« Lächelnd winkte der Alte ab. »Nein danke, das ist sehr nett von Euch, aber es geht schon. Es ist nur...« Die Menge lauschte bedächtig. »Ich erzähle diese Geschichte nun seit so vielen Jahrzehnten. Die Abenteuer, die Tränen, das Blut und das Lachen. All das trage ich in meinem Herzen. Und immer an dieser Stelle fängt mein Herz an zu schmerzen. Für euch mag es eine Geschichte sein von Heldentum und siegreichen Schlachten. Aber für mich ist alles, was in meinem Buch steht, zusammengefasst, eine einzige Tragödie.« Silver lächelte seinen Begleiter an und schlug die nächste Seite in seinem großen Buch auf. »Die Reise ging weiter in Richtung Osten...«
 

Bevor Zoran den Wirt bezahlte, schaute er sich um, ob ihn auch niemand beobachtete. Dann zog er seinen eigenen Geldbeutel hervor, in den er zuvor die Hälfte des Erlöses, von Sharons Sachen, getan hatte. Dem Wirt verschlug es die Sprache, als Zoran ihm eine glänzende Goldmünze auf den Tresen legte. »Aber mein Herr, das... Das ist viel zu viel!« Zoran lächelte den überraschten Wirt an. »Gastfreundschaft und gute Bedienung sind mir das Wert.« »Aber, aber... Für das was Ihr verzehrt habt nehme ich normalerweise neun Kupfermünzen, das hier ist mehr als das Zehnfache!« Zoran beugte sich vor und flüsterte dem Wirt zu. »Könnt ihr mir versprechen, dass ihr es leugnet, mich und meine Begleiter hier gesehen zu haben, egal, wer danach fragt?« Der Wirt war immer noch wie gebannt von dem seltenen Anblick, der sich auf seinem Tresen bot. »Gewiss, mein Herr, gewiss. Mein Haus steht euch offen, wann immer ihr hier in der Gegend eine Bleibe sucht! Mögen euch die Götter segnen!« Zoran bedankte sich und ging aus der Taverne. Es war bereits nach Mittag, als sie beschlossen wieder aufzubrechen.

Vor der Tür wartete Blake bereits mit den Pferden. Sharon stand beleidigt schweigend neben ihm und blickte ins Leere. »Ist das zu fassen? Wenn ich schon vorher gewusst hätte, dass man sie so zum Schweigen bringt, hätte ich ihr schon viel früher die Wahrheit gesagt.« Zoran schaute ihn wütend an. »Was denn? Ist doch wahr!« Unsanft hob Zoran Sharon auf das Pferd, danach stieg er selber auf. »Richtung Osten?« »Ja, bloß weit weg vom Palast.« Zoran gab seinem Pferd ein tritt in die Seite und schon galoppierten sie aus dem Dorf heraus, hinein in eine ungewisse Zukunft.

Sie waren mehrere Tage unterwegs. Beim Anblick der schönen Landschaften, die ihr bis dahin immer verwehrt geblieben waren, vergaß sie des öfteren ihre derzeitige Situation. Die klaren, endlos langen Flüsse, die Weiten Wiesen. Sie zog ihre Schuhe aus und lief barfuß über das Gras, wie es die Kinder in ihren Büchern immer taten. Das erste mal in ihrem Leben spürte Sharon den Regen auf ihrer Haut. Sie mochte den Regen nicht, aber sie liebte den Geruch. Nach fünf Tagen konnten sie die Berge aus der ferne immer Näher kommen sehen. Sharon war beeindruckt. Nie zuvor hatte sie so etwas gewaltiges gesehen.

Als die Abenddämmerung eintrat, erreichten sie einen dichten Wald, ein perfektes Versteck. Auf einer Lichtung kamen sie zum stehen. »Hier werden wir unser Nachtlager aufschlagen.« Sharon sah Zoran schockiert an. Bislang waren sie immer an kleineren Dörfern vorbeigekommen und schliefen in Herbergen. Beim Anblick des dreckigen Bodens legte sie Protest ein. »Oh nein, ich werde auf GAR KEINEN FALL hier im Dreck schlafen!« Zoran und Blake verdrehten die Augen. »Dann schlaf halt im stehen!« Zoran schaute nach oben und suchte die Bäume ab. Blake starrte ihn verwundert an. »Was gedenkst du da oben zu finden?« »Einen Schlafplatz« erwiderte er trocken. »... Einen Schlafplatz?« »Ja.« »... Auf einem Baum?« »Nicht einfach auf einem Baum. Auf einem Ast. AHA!« Zoran nahm etwas Anlauf und sprang vor dem Baum, auf den er zugelaufen war, so hoch, dass er sich mit Leichtigkeit an einem dicken Ast festhalten konnte. Er zog sich an ihm herauf, kletterte noch etwas weiter hinauf und legte sich lang, auf einem noch viel dickerem Ast, hin. »Ist DAS denn bequem?« rief Blake ihm zu. »Das ist sogar sehr bequem!« gab Zoran lachend zurück. »Ich schlage vor, während ich von hier oben die Lage überprüfe, suchst du Feuerholz und Sharon legt einen Steinkreis für die Feuerstelle.« »Wer hat dich denn zu unserem Anführer erklärt?« Blake schien es gar nicht zu gefallen, dass Zoran ihm einfach befehle gab. »Ich, weil ich offensichtlich schon einiges mehr an Lebenserfahrung habe und ihr zwei Süßen noch grün hinter den Ohren seit.« Blake fluchte vor sich hin, ging aber trotzdem tiefer in den Wald hinein um Holz zu suchen. »Hey, Zoran, wie mache ich das denn mit dem Steinkreis?« rief Sharon. »Hier liegen überall dicke Steine herum, nimm davon welche und mach einen großen Kreis, sagen wir, etwa so groß wie ein kleines Kutschenrad.« Wie ihr geheißen, ebenfalls fluchend und schimpfend, suchte Sharon den Boden nach Steinen ab. Zoran blickte von seinem Beobachtungsposten aufmerksam durch den Wald. Er war sich nicht sicher, ob Blake es bereits gemerkt hatte. Zoran hatte die eine oder andere Begabung, die ein normaler Mensch nicht hatte. So waren seine merkwürdig violetten Augen eine seiner stärksten Waffen. Sie waren unglaublich präzise und erkannten jede noch so kleine Anomalie in Sekundenschnelle. So war ihm auch der seltsame schwarze Schatten um ihr Lager herum nicht entgangen.

Blake war bereits seit fast zwei Stunden weg. Das kam Zoran sehr komisch vor. Es war bereits dunkel und um sie herum wurde es immer kälter. Sharon hatte sich in den braunen Mantel gewickelt, den sie ihr vor einigen Tagen gekauft hatten. »Meinst du, ihm ist etwas passiert?« fragte sie zögerlich. Genau in diesem Moment war ein Schrei zu hören. »Blake!« riefen beide im Chor. Sofort rannten sie in die Richtung, aus der sie den Schrei vernommen hatten. Sie fanden Blake an eine großem Baum liegen, der versuchte, sich wieder aufzurappeln. »Was ist passiert?« fragte Zoran und blickte suchend umher. »Autsch... verdammt! Da lag ein Rucksack auf dem Boden und ich wollte ihn mir näher ansehen. Da kam plötzlich jemand aus dem Gebüsch hervorgeschossen, tritt mir in den Magen und schnappt sich den Rucksack!.« »Hast du gesehen wer es war?« Sharon wollte Blake aufhelfen, doch er schlug ihr die Hand weg. »Nein, nicht direkt, sie hatte eine schwarze Kapuze auf.« »Sie?« »Ja, ich hab ganz kurz ein Gesicht gesehen, es hatte weibliche Züge.« Plötzlich sprintete Zoran los. Er hatte in der Ferne einen blassen Lichtschimmer gesehen. Das musste das Lager des Kerls – oder des Mädchens – sein. Kurz bevor er ankam blieb er stehen. Er schielte durch die Äste auf den Platz vor sich. In der Mitte brannte ein großes Lagerfeuer. Daneben waren zwei Felldecken ausgebreitet und über dem Feuer briet, an einem Stock, ein offenbar selbst gefangener Fisch. Bei diesen Anblick lief Zoran das Wasser im Mund zusammen und sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er zuletzt in den frühen Morgenstunden etwas zu sich genommen hatte. Vorsichtig blickte Zoran umher. Niemand schien auf der Lichtung zu sein. Schnell schlich er auf den Fisch zu. Plötzlich spürte er einen gewaltigen Ruck an seinem rechten Bein und wurde von den Füßen gerissen.Erst schlug er mit dem Rücken, dann mit dem Kopf auf den Waldboden auf. Schließlich schwang er kopfüber hin und her. Während er herum zappelte wie ein Fisch an der Angel, erblickte er an einem Baum angelehnt einen schwarzen Rucksack. So praktisch seine guten Augen auch waren, einen ganz entscheidenden Nachteil hatten sie... Solche Dinge wie Fallen, die näher dran waren als fünf Meter, übersah er einfach.

Aus der Ferne hörte er Schritte näher kommen. Dann kamen auch schon Blake und Sharon durch das Gebüsch auf ihn zu gerannt. Sharon war schockiert von seinem Anblick, Blake fand das ganze wohl ziemlich lustig. »Was um alles in der Welt machst du denn da oben?« fragte Sharon ganz Aufgeregt. »Na ja... ich hänge hier nur so herum.« »Und das zurecht, du Dieb!« Blake und Sharon wirbelten herum. Als Zoran sich von rechts wieder nach links drehte packte ihn jemand am Hemd und hielt ihn fest. Er schaute direkt in das Gesicht eines Mädchens. Sie trug zwar eine Kapuze, doch durch den Schein des Feuers war sie relativ deutlich zu erkennen. Sie hatte sehr blasse, feine Haut und kohlrabenschwarzes Haar, dass ihr in die Stirn und an beiden Seiten ins Gesicht viel. Ihre leuchtend grünen Augen schauten Zoran durchdringend an. So wie er von seiner Position aus beurteilen konnte, war sie sehr hübsch. »Was willst du hier?« sprach sie in sehr ruhigem, aber bestimmten Tonfall. »Ich glaube, du hast meinen Begleiter da drüben überfallen.« antwortete Zoran in einem ebenso ruhigen Ton. Sie grinste. »Er hat unrechtmäßig fremde Sachen - meine Sachen - durchsucht. Ich habe nur mein Eigentum beschützt.« »Diebesgut?« Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Wer

weiß?« Zoran lächelte zurück. »Du siehst nicht aus, wie eine typische Diebin.« »Und ihr zwei Vögel seht nicht aus wie typische Prinzessinnen-Kidnapper.« Zoran konnte hören, wie Blake sein Schwert zog. »Was meinst du damit?« Zoran blieb ganz ruhig, bereit zum Angriff. Soweit seine derzeitige Lage einen Angriff zuließ. »Ich weiß nur, dass alle Welt darüber Bescheid weiß, dass Sorth's Tochter aus dem Palast entführt wurde.« »Und wie kommst du darauf, dass wir das sind?» fragte Zoran ruhig. »Gibt es Steckbriefe?« Das Mädchen fing an zu kichern und zog Zoran Näher an sich heran. »Also erstens, selbst wenn ich nur auf gut Glück ins blaue geraten hätte, spätestens mit der Steckbrief-Frage hättest du euch verraten.« Dämlicher Zoran! Dämlich! Dämlich! Dämlich! »Und zweitens gibt es gar keine Steckbriefe von euch. Im Gegensatz zu aller Welt habe ich die Prinzessin schon ein paar mal auf dem ein oder anderen Fest mit eigenen Augen gesehen.« Zoran sah aus den Augenwinkeln Sharons verdutzten Blick. Das Mädchen hat es wohl auch bemerkt und nahm ihre Kapuze runter. Jetzt sah sie gar nicht mehr so mädchenhaft aus. Ihre Gesichtszüge wirkten Erwachsener. Eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig? Sharon schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, aber an dich kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.« Sie grinste und setzte die Kapuze wieder auf. »Ist ja auch kein Wunder, das ganze ist schon mehr als neun Jahre her. Und außerdem, das einzige Gesicht, für das Prinzessin sich interessiert, ist ihr eigenes im Spiegel.« Zoran, dem das Blut im Kopf langsam zu pochen begann, sprach das Mädchen noch einmal an. »Was hast du nun vor? Wirst du mich hier hängen lassen bis die Soldaten kommen? Ich warne dich, mein Begleiter ist äußerst geschickt mit dem Schwert.« Sie schaute ihm wieder tief in die Augen. »Versprichst du mir, dass du nie wieder einen Fisch über einem einsamem Lagerfeuer weg klauen wirst?« Zoran nickte langsam. »Gut.« Sie grinste. »Dann kann dein Kumpel da hinten dich ja jetzt vom Baum holen.« Sie ließ Zoran los und begab sich zu ihrem Rucksack. Die drei starrten sie ungläubig an. »Keine Sorge, ich habe nicht vor, euch zu verraten. Mich interessiert nur, dass niemand an meine Sachen geht. Das versteht ihr doch sicher?« Alle nickten schweigend. »Ähm, hör mal Kleiner, du solltest deinen Freund jetzt besser da runter holen. So rot wie sein Kopf gerade ist befürchte ich, er wird gleich platzen.« Zoran brummte allmählich der Schädel. »Blake?« »Ja?« »Sie hat Recht, bitte hol mich hier runter.« Blake ging auf den baumelnden Zoran zu, hob sein Schwert und schnitt das Seil durch, an dem er hing. Zoran krachte, mit dem Kopf zuerst, auf den Boden auf. Er blieb noch einige Sekunden auf dem Boden liegen, bis ihm nicht mehr schwindelig war. Dann rappelte er sich auf und Klopfte den Dreck von seiner Kleidung. Er ärgerte sich. Die weite Hose, das grüne Muskelshirt und die braune Lederjacke waren noch fast neu. Er wandte sich dem Mädchen zu, welches seelenruhig in ihrem Rucksack kramte. »Wie heißt du?« Lächelnd stand sie auf und drehte sich um. »Sag mir zuerst deinen Namen.« Er schaute zu Blake. Dieser zuckte nur mit den Schultern. Sie wandte sich ebenfalls Blake zu. »Dein Name ist Blake, das habe ich eben schon mitbekommen. Und wie die Prinzessin heißt, brauch ich gar nicht erst zu fragen. Also?« Sie schaute wieder Zoran an. Aus irgendeinem Grund musste er lächeln. »Mein Name ist Zoran. Warum interessiert dich das überhaupt?« Sie holte etwas Brot und Käse aus ihrer Tasche. »Ich würde einfach gerne wissen, mit wem ich mein Essen teile.« Sie warf Zoran etwas Brot zu. »Mein Name ist Fay.«
 

Die vier hatten es sich auf Fay's Wolldecken gemütlich gemacht. Sharon und Zoran aßen genüsslich das Brot und den Käse, während Fay sich über ihren Fisch hermachte. Nur Blake rührte nichts an. Er traute diesem Mädchen nicht über den Weg. »Sag mal Fay« sagte Zoran schmatzend »warum bist du hier so ganz alleine im Wald? Ich meine, so'n hübsches Mädchen wie du? Hast du gar keine Angst?« Sharon schaute ihn beleidigt an. Um sie hatte er sich noch nie Gedanken gemacht. Fay trank einen Schluck und antwortete. »Ich lebe seit neun Jahren dieses Leben. Die Dunkelheit und die Einsamkeit machen mir schon lange keine Angst mehr.« Sharon musterte abfällig ihre Erscheinung. Sie trug eine sehr enge schwarze Lederhose und ein weites grünes Shirt mit kurzen Armen. Darüber trug sie zwei gekreuzte Ledergürtel mit allerlei praktischen Sachen daran befestigt. Ihr langes Haar hatte sie hochgesteckt. Blake schaute sie genauso argwöhnisch an. Und DIE soll mal im Palast gewesen sein? »Viel interessanter ist doch die Frage, warum ihr zwei ausgerechnet die Prinzessin entführt habt.« Blake war angespannt. Was geht dich das denn an? Fay wandte sich ihm zu. »Willst du gar nichts essen?« Die Blicke, die er ihr zuwarf ließen keinen Zweifel daran, dass er ihr nicht im geringsten über den Weg traute. Sie schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, das ist nicht vergiftet. Zoran und Sharon leben ja auch noch.« Blake schnaubte abfällig. »Deine Entscheidung, ich kann dich nicht zum Essen zwingen. Allerdings muss ich sagen, so wie du aussiehst, würde ich dir ernsthaft dazu raten, du halbes Hemd.« Zoran lachte laut auf, was Blake gar nicht lustig fand. Er war bei weitem nicht die muskulöseste Erscheinung, das wusste er. Er wollte es auch so. Für seine Zwecke wäre ein zu durch trainierter Körper nur hinderlich gewesen.

Zoran wandte sich wieder an Fay. »Kurz zusammengefasst? Blake und ich sind aus dem Palastkerker geflohen. Dann haben wir uns in Palast verlaufen und Sharon als unfreiwilligen Wegweiser genutzt. Als wir dann kurz vorm Ausgang waren, haben uns die Soldaten bedroht. Damit wurde unser Wegweiser zum Schutzschild. Wir also raus, Pferde geklaut und ab dafür.« Blake sah, dass Fay einen mitleidigen Blick zu Sharon warf. Die rümpfte aber nur die Nase und rutschte von Zoran und Fay weg und saß nun fast neben ihm. »Und was ist mit dir, Fay? Warum bist du denn nun hier?« Fay trank einen Schluck aus ihrer Flasche. »Ich bin genauso auf der Flucht wie ihr.« Zoran beugte sich vor. »Vor wem? Hast du was angestellt?« Fay grinste und legte die Hand auf ihren Rucksack. »Ich bin ein Hunter.« Zoran lehnte sich, selbstsicher grinsend, wieder zurück. Und auch Blake überraschte diese Information nicht allzu sehr. Nur Sharon wusste nichts damit anzufangen. »Ein was?« Fay lehnte sich zu Zoran rüber und flüsterte ihm ins Ohr. »Musstet ihr ihr auch beibringen, wie man sich die Schuhe zu bindet?« Zoran grinste. Blake sah zu Sharon hinüber, die zwar nicht genau gehört hatte, was Fay da gesagt hatte, aber trotzdem vor Wut kochte. »Ein Hunter« begann Zoran »ist so eine Art Schatzjäger.« »Schatzjäger?« »Schatzjäger ist nicht unbedingt die richtige Bezeichnung. Weißt du, ein Schätzjäger bricht in Tempel ein und klaut alles an Gold und wertvollen Sachen, was er greifen kann. Ohne sich Gedanken zu machen. Ein Hunter geht viel gezielter vor.« Sharon hakte nach. »Gezielter? Du meinst, sie klauen nicht irgendwas, sondern nur bestimmte Objekte?« Fay nickte ihr zu. »Genau das. Und für gewöhnlich sind es keine gewöhnlichen Objekte.« Sharon hatte wohl noch nicht so ganz verstanden, was für Objekte Fay meinte. Mit großen Augen schaute sie Blake an, wohl in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten. Blake schaute sie mit einem hämischen Lächeln an. »Magische Relikte. Gut versteckt in den tiefsten Abgründen der ältesten und heiligsten Orte dieser Welt.« »Und davon gibt es in dieser Welt eine ganze Menge.« sprach Zoran weiter. Fay unterbrach ihn. »Aber Relikt ist nicht gleich Relikt. Es gibt Relikte, die eine ganz bestimmte Fähigkeit haben. Das sind meistens Waffen, aus magischen Elementen geschmiedet.« Blake zog den kleinen Dolch aus dem Stiefel, mit dem er das Runen-Schloss im Verließ zerstoßen hatte. »Und es gibt die heiligen Reliquien.« Sharon rutschte aufgeregt auf ihren Knien herum. Von alledem hatte sie nie zuvor etwas gehört. »Und haben die auch Fähigkeiten?« fragte sie wissbegierig. Zoran sprach weiter. »Laut den Legenden sind es keine Waffen sondern Schmuckstücke, mit denen man mächtige Geister Beschwören kann.« »Mächtige Geister? Was für Geister?« Zoran zuckte mit den Schultern. »Das weiß keiner so genau. Es sind alles nur Legenden.« »Verstehe. Und die Hunters suchen nach diesen speziellen Dingen?« Fay schüttelte den Kopf. »Die meisten Leute, die sich als Hunter bezeichnen, sind gewöhnliche Diebe und Grabräuber. Richtige Hunters gibt es kaum noch.« Sharon belächelte Fay. »Aber DU bist natürlich noch ein echter Hunter.« »Ja« entgegnete Fay kühl. Nun wandte sich Blake direkt an Fay. »Hattest du denn schon Erfolg?« Herausfordernd schaute er sie an. Ein ehemals gern gesehener Palastgast? Eine Überlebenskünstlerin? Und dazu noch ein waschechter Hunter?Du kannst vielleicht Zoran um den Finger wickeln, aber mich hältst du nicht zum Narren.

Selbstbewusst stand Fay auf und ging zu dem Baum, an dem ihr Rucksack zuvor lag. Einen halben Meter neben ihm blieb sie stehen. Dann bückte sie sich und hob einen dicken, abgebrochenen Ast auf. Sie ging einige Schritte weiter und blieb neben dem Baum stehen. »Sie gut zu, Junge.« Blake ballte die Fäuste. Er hasste es, wenn jemand ihn von oben herab behandelte. Er sah zu, wie Fay ihren Arm hob und den Ast ausgestreckt von sich über dem Boden hielt. Sharon tippte genervt mit den Fingern. »Und? Was soll das jetzt?« Fay grinste und ließ den Ast los. Blake glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als der Ast mitten in der Luft mit einem glatten Schnitt in zwei Hälften getrennt wurde. Sharon ließ einen kurzen, erstickten Schrei los. Zoran ergriff verwirrt das Wort. »Was war das? Ein unsichtbares Schwert oder so?« Fay hob die beiden Holzstücke auf und warf sie Blake zu. Er tastete mit seinen Fingern die Schnittstelle ab. Glatt. »Habt ihr mal was vom Volk der Aranea gehört?« Zoran nickte. »Ja, die Spinnenanbeter.« Blake schaute skeptisch dabei zu, wie Fay, während sie sprach, zwischen Bäumen herging und augenscheinlich die Luft abtastete. »Genau. Die Aranea glaubten angeblich an eine riesige Spinne, die einst einen gigantischen Kokon spann, aus dem unsere Welt schlüpfte.« Blake spürte, wie Sharon neben ihm sich angeekelt schüttelte. »Igitt, das ist ja ekelhaft. Wer glaubt denn so einen Quatsch?« »Zumindest die Aranea. Vor über fünftausend Jahren erbauten sie einen Tempel, ganz im Süden, und beteten ihre heilige Göttin, die große Spinne, an. Und im Zentrum des Tempels hüteten sie ihr heiligstes Relikt.« Die Hände vor der Brust erhoben kam Fay langsam auf Zoran zu. Sie streckte ihre Arme dichter an das Feuer. Blake und Sharon starrten konzentriert auf ihre Hände und Arme konnten aber nichts spannendes entdecken. Zoran jedoch konnte im Schein des Feuers sehen, dass Fay auf ihre Hände eine silbrig glänzende Schnur, um einiges feiner als ein Haar, aufgewickelt hatte. »Das ist ja unglaublich.« flüsterte er ihr zu. Blake war wütend, denn er konnte es nicht auf Anhieb sehen. Erst bei noch näherem hinsehen entdeckte er sie auch. Fay begann zu erklären. »Die Aranea glaubten, dass diese Kristallschnüre die letzten Überreste des Weltkokons sind. Sie sind praktisch unzerstörbar und so scharf wie kaum eine Klinge.« Vorsichtig packte Fay die Schnur in ein Täschchen an einem der Gürtel und band es gut zu. Als sie damit fertig war nahm Zoran ihre Hände. »Scheint nicht ganz einfach gewesen zu sein, den Umgang damit zu erlernen.« Blake beugte sich vor und sah an ihren Finger unzählige, feine Schnittnarben. Fay lachte auf. »Stimmt, das war echt ein Kampf. Aber jetzt hab ich den dreh raus.«
 

Es war Mitten in der Nacht. Die Pferde hatten sie angebunden. Sharon schlief unruhig auf einer von Fay's Felldecken und Blake lehnte dösend an einem großen Baum. Einige Meter über ihm lag Zoran auf einem Ast und schaute verträumt in die Sterne. Für einen kurzen, friedlichen Moment versuchte er nicht sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie es nun weitergehen sollte. Er dachte nicht an die ewig schmollende Sharon und auch nicht an Blake. Er wünschte, er würde nicht vor der Frage stehen, was er als nächstes tun sollte.

»Was denkst du, was wirst du jetzt als nächstes tun?« Zoran war nicht entgangen, dass Fay sich schon vor einer ganzen Weile zu ihm auf den Ast gesellt hatte. Er seufzte auf, blieb aber liegen und schaute weiter gen Himmel. »Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung.« Fay sprach weiter. »Weißt du schon, was mit Sharon geschehen soll?« Er schüttelte den Kopf. »Der Plan lautete Anfangs einfach nur möglichst weit weg. Aber wir können nicht ewig Ziellos dem Horizont entgegen reiten.«

Nach einer kurzen Schweigepause, hörte er, wie sie ihm ein Stück näher kam. Als Zoran sich aufrichtete saß sie schon fast vor ihm. »Ich hätte da eventuell einen Vorschlag für dich.« Zoran hörte nun gespannt zu. »Ich bin auf dem Weg in die Berge. Vor ein paar Monaten habe ich von einem alten Bauern erfahren, dass er dort vor über fünfzig Jahren einen uralten Schrein entdeckt hat. Er kam aus irgendwelchen Gründen nicht mehr dazu ihn zu suchen, ich hab's vergessen, irgendwas mit Krieg und Flucht. Er konnte mir aber noch genau sagen, wie er ihn gefunden hat.« Zoran überlegte, warum Fay ihm das erzählte, doch dann ging ihm ein Licht auf. »Du meinst den Götterberg, richtig?« Sie nickte. »Zu Fuß wäre ich vor Wintereinbruch nicht da, aber wenn ihr mich auf euren Pferden mitnehmt, könnte ich es so gerade bis dorthin schaffen, bevor die Berge nicht mehr passierbar sind. Verstehst du, was ich meine?« »Ja natürlich, wenn der Winter seinen Höhepunkt erreicht hat, sind die Bergpässe für mehrere Wochen unbezwingbar.« »Ganz genau, dann könnt ihr, sobald ihr mich abgesetzt habt, weiter zur östlichen Hafenstadt. Da sorgt ihr dafür, dass Sharon irgendwo gefunden wird und setzt euch getrennt auf irgendeiner der zahlreichen östlichen Inseln ab.« Zoran war ganz euphorisch. »Und bis die Leute vom Palast wieder die Berge passieren können, sind wir längst, für die Soldaten, für alle Zeit verschwunden. Fay, du bist genial.« Seine Euphorie schwand, als er ein Problem in dem Plan erkannte. »Fay, wenn wir dich dort ausgesetzt haben, werden wir beide Pferde mitnehmen. Du wärst fast den ganzen Winter in den Bergen gefangen, Mutterseelenallein.« Aufmunternd zwinkerte sie ihm zu. »Keine Sorge, der Schnee steckt mir im Blut.« Dann kletterte sie den Baum hinunter. Der Gedanke, einfach ein Mädchen im Eis auszusetzen behagte ihm gar nicht. Besorgt sah er sie an. Fay schaute noch einmal zu ihm hoch, lächelte ihn an und legte sich schlafen. Mut hat sie ja.

Kapitel Fünf

~Kapitel Fünf~

Der Dolch des Ketzers.

Nachdem er etwa zwanzig Bücher durchsucht hatte, war Kayt sich sicher, die Antwort auf seine Frage zu haben. Der Dolch war klein, also leicht zu verstecken. Mit einer silbernen Klinge, geschmiedet aus einem sehr seltenen Material, welches man nur am Grund des tiefsten Ozeans finden konnte. Mit anderen Worten, fast unerreichbar. Er versuchte sich anhand der Beschreibung ein Bild von der Waffe zu machen. Der Griff müsste golden sein, mit Inschriften einer vergessenen Sprache.

Kayt saß in einer kleinen Taverne. Vor einigen Tagen war er mit ein handvoll seiner Soldaten aufgebrochen. König Sorth befahl die Prinzessin zu finden und zu ihm zurück zu bringen. Königin Nigra bat darum, sie lediglich aufzuspüren und sie im Auge zu behalten.

Kayt war sichtlich genervt von der Situation. Niemand hat die drei gesehen. Angeblich. Er konnte sich einfach nicht mehr Vorstellen, dass das ganze mit rechten Dingen zuging. Noch einmal schaute er sich die Bilder auf den neuen Steckbriefen vor ihm an. Die Prinzessin hat das Volk nie zu Gesicht bekommen. Wenn sie ihre Palastkleidung gegen einfache Bauernkluft getauscht hatten, würde sie niemandem groß auffallen. Dieser Blake, nun ja, ungewöhnlich war der Junge schon, aber ebenfalls nicht sonderlich auffällig. Kayt schaute sich den letzten Steckbrief, den Grund seines Zweifels, an. Zoran. Wie kann es sein, dass dich niemand gesehen haben will? Seit sechzehn Jahren lebte Kayt schon auf dem großen Kontinent, aber nie zuvor hatte er so jemanden wie diesen Zoran gesehen. Schon allein seine massige Statur hob ihn von den dürren Bauern und den feinen Palastbewohnern ab. Aber diese Haare. Kein Mensch kann behaupten, ihm würde so etwas abnormes nicht im Gedächtnis bleiben. Du bist genauso wenig ein normaler Mensch wie ich. Aber was bist du dann?

Die Tür sprang auf und ein Mann in Uniform kam hastig auf ihn zu. Er salutierte vor ihm und erstattete ihm Bericht. »General, ich habe Neuigkeiten! Die Entführer wurden hier in der Nähe von einer Bäuerin gesichtet. Sie waren auf zwei Pferden unterwegs, Richtung Osten.« Aufgeregt sprang Kayt auf. »Osten? Bist du sicher?« Der Soldat zuckte erschrocken zusammen. »Ähm...

J-ja, so hat es die Alte beschrieben.« Verdammt, die Bergpässe! Er warf dem Wirt einige Münzen auf den Tisch und stürmte ohne ein weiteres Wort nach draußen. »Ihr!« sprach er zu seinen Soldaten »Zurück zum Palast, erstattet Königin Nigra Bericht. Ich komme bald nach. Kein Wort zum König!« Er schwang sich auf sein Pferd und ohne ein weiteres Wort jagte er in den Wald hinein, Richtung Osten.
 

Um die Mittagszeit waren die beiden Entführer mit ihrer Geisel und einer neuen Begleiterin auf einem Feldweg unterwegs. Das Korn um sie herum war hoch gewachsen und längst reif für die Ernte. Sie waren für eine Weile abgestiegen. Sie hatten nur zwei Pferd und die ganze Zeit je zwei ausgewachsene Personen tragen zu müssen, wollten sie ihnen nicht zumuten. Zoran und Fay führten die Gruppe an. Blake ging einige Meter hinter ihnen und Sharon bildete, etwas abgeschlagen, das Schlusslicht. Fay drehte sich um und rief der Prinzessin zu. »Jetzt komm schon, Lady! Nimm die Beine in die Hand und lauf mal ein bisschen schneller!« Zoran konnte Fay auf Anhieb gut leiden. Er mochte ihre Ehrlichkeit, ihre anhaltend ruhige Art und ihr selbstbewusstes Auftreten. Und irgendwie spürte Zoran, dass sie ein gutes Herz hatte. Dennoch wunderte er sich schon eine Weile darüber darüber, dass Fay die ganze Zeit ihre schwarze lange Jacke trug und die Kapuze nicht ein einziges Mal absetzte. Und das, obwohl die Sonne schien.

Fay schüttelte verständnislos den Kopf. »Oh man, dieses Mädchen!« sprach sie zu Zoran. »Man könnte meinen, sie hat heute erst das laufen gelernt. Ich wette mit dir, in ihrem Palast kann sie den ganzen Tag auf hohen Schuhen über die Marmorböden rennen.« Zoran musste schmunzeln. Ein Windstoß kam auf und Fay zog die Kapuze noch tiefer in ihr Gesicht. »Sag mal« begann Zoran »hast du Angst vor der Sonne?« Sie schaute in an. »Nein, wieso?« »Weil du dich schon den ganzen Tag vor ihr versteckst.« »Ach so.« Fay grinste. »Ich mag einfach keinen Wind.«

Hinter ihnen war ein Schnaufen zu hören. »Wäre es zu viel verlangt, mal eine kleine Pause einzulegen? Meine Füße tun mir weh und Hunger habe ich auch.« Zoran konnte hören, wie Blake mit seinen Zähnen knirschte. »Wir sind noch keine sechs Stunden unterwegs! Außerdem hast du, dank der da« er deutete auf Fay »üppig genug gefrühstückt.« Sharon stampfte aus Protest bei jedem Schritt lauter mit ihren Füßen. »Die blöde Kuh da ist mir total egal, ich will eine Pause!« Zoran zuckte mit den Schultern und lächelte Fay entschuldigend an. »In Zukunft prüfe ich vorher mit wem ich es zu tun habe und dann entscheide ich, ob ich mein Essen teile.« Es war deutlich zu hören, dass Blake immer und immer genervter war von dem Gejammer ihrer Geisel. »Man sollte meinen, eine Adelige kann sich besser benehmen.« Genervt rollte Fay mit den Augen, zog einen Apfel aus ihrem Rucksack und warf ihn Sharon zu. »Hier, jetzt iss und sei ruhig.« Zoran stöhnte auf. »Nicht allzu weit von hier soll ein See sein, da können wir halt machen. Die Pferde brauchen eh Wasser.« Siegessicher grinste Sharon ihre neue Wahl-Rivalin Fay an. »Hast du gehört? Wir machen jetzt doch eine Pause.« »Ähm,« sprach Zoran weiter »bis dahin müssen wir aber noch mindesten drei Stunden laufen.« Siegessicher grinste Fay zurück. »Hast du gehört? Noch drei Stunden laufen.« Abrupt blieb Sharon stehen. »Nein! Ich laufe nicht weiter. Ich will eine Pause und zwar jetzt!« Hilfesuchend schaute Zoran zu Blake. Dieser jedoch lief einfach vorbei und beachtete die verknatschte Prinzessin gar nicht. Fay zuckte unbeteiligt mit den Schultern. »Meinetwegen, bleib ruhig stehen. Wenn du magst auch bis in die Nacht. Du bist die Prinzessin, dein Wort ist ja quasi Gesetz.« Sharon lächelte selbstzufrieden und wollte es sich gerade am Straßenrand gemütlich machen. »Wenigstens EINE, die es verstanden hat.« Fay drehte sich um und ging weiter. »Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Wildhunde das auch verstehen werden, wenn sie dich zu ihrem Abendessen auserkoren haben.« Zoran hatte schwer damit zu kämpfen, sich ein Grinsen zu verkneifen. »W-Wildhunde? Das... das meinst du nicht ernst. Du bluffst nur!« Fay drehte ihren Kopf nach hinten. »Wenn du da sitzen bleibst, wirst du es früher oder später schon selbst herausfinden.«

Die folgenden Stunden verliefen ziemlich ruhig. Sharon trottete schweigend neben Blake her und hielt Ausschau nach Dingen die sie eventuell gefährden könnten. Fay und Zoran liefen hinter ihnen her. Sie waren auf einer hochgewachsenen, hügeligen Wiese unterwegs. Fay hatte ihre Schuhe ausgezogen und lief Barfuß weiter. Zoran hatte seine Jacke ausgezogen und genoss die Nachmittagssonne. »Was ist das da für ein Zeichen?« Sie deutete auf das blaue Drachenmal, welches auf Zorans linkem Oberarm prangte. »Eine Tätowierung?« Es war ihm unangenehm, darauf angesprochen zu werden. Er wusste es ja selbst nicht so ganz genau. Seine Antwort viel dementsprechend knapp aus. »Lange Geschichte.« Fay nickte zwar, wirkte aber irgendwie enttäuscht. »Hast du denn ein Tattoo?« Sie grinste wieder. »Was wäre, wenn? Würde das dein Bild über mich ändern?« »Nun, ich kenne dich noch nicht lang genug. Ein wirkliches Bild von dir habe ich mir noch nicht machen können. Aber, ehrlich gesagt, überraschen würde es mich schon, wenn du eines hättest.« Herausfordernd schaute Fay ihm in die Augen. »Was traust du mir denn in der Richtung zu?« Zoran mimte ein nachdenkliches Gesicht. Dann musste er grinsen. »Ein Gnom. Direkt auf deinem Hintern!« Fay's herzliches Lachen war wahnsinnig ansteckend. So fröhliche Menschen hatte Zoran nur sehr selten auf seiner Reise gesehen. »Hey ihr zwei Kindsköpfe, da hinten ist der See!« »Fay schaute auf. Hinter dem nächstgelegenen Hügel lag ein kleiner, klarer See. »Na bitte, wer sagt's denn.Und wir haben nur knapp vier Stunden gebraucht.« Sharon rannte los. Sie wollte wohl schnell ihre Füße zur Erholung ins kühle Nass eintauchen. Doch bis zum Ufer kam sie gar nicht erst.

Aus einem Nahegelegenen Gebüsch sprang plötzlich ein riesiges Tier hervor uns stürzte sich auf die Prinzessin. Zoran, Fay und Blake stürmten sofort los. Das Tier drückte seine massigen Pfoten auf ihre Brust. Lauthals schreiend, zappelte und wand sie sich unter dem Tier. »Sharon, bleib ganz ruhig!« rief Fay ihr zu. Blake zückte sein Schwert. »Das ist eine Weidenkatze. Der Schreihals muss sich beruhigen, sonst macht sie kurzen Prozess mit ihr.« Zoran suchte mit seinen Augen nach Schwachstellen an dem Biest. Es war über zwei Meter lang, mit goldrotem Fell und langen spitzen Ohren. Dieses Exemplar war besonders kräftig, es musste mindestens zweihundert Pfund wiegen. Seine gefletschten Zähne hätten einen Hals mit Leichtigkeit komplett durchbohren können. Und Weidenkatzen, das wusste Zoran, waren verflucht schnell. »Was schlagt ihr vor?« fragte Fay vorsichtig. Blake hob sein Schwert »Angriff!« Er stürmte auf das Tier und Sharon los und holte aus. Doch ehe er die Bestie erwischen konnte, sprang sie mit einem gewaltigen Satz zur Seite und versteckte sich im hohen Gras. Fay und Zoran rannten ebenfalls auf Sharon zu und stellten sich mit dem Rücken zu ihr. »Alles in Ordnung? Geht es dir gut?« Sharon viel das Atmen sichtlich schwer, trotzdem schaffte sie es sich aufzurappeln. »Ich... habe... das Vieh... nicht bemerkt.« Ganz leise sprach Blake ihr Anweisungen zu. »Du musst versuchen ganz ruhig zu Atmen und gib jetzt keinen Laut von dir.« Sharon tat wie ihr geheißen. Zoran suchte die Fläche vor sich ab. Keine Spur von dem Tier, das Gras war zu hoch. Er hörte weder ein rascheln, noch ein knurren oder Pfoten. Nur der Wind, der über die Halme wehte. »Da ist es!« rief Sharon plötzlich. Zoran wirbelte herum. Unbemerkt war die Weidenkatze auf einen der vielen Felsen am Seeufer geklettert, bereit zum Sprung. Mit einem riesigen Satz stürzte sie sich auf Zoran. Er sprang einen Schritt zurück und schlug ihr mit der Faust auf die raue Nase. Blake hob wieder sein Schwert und wollte ihr einen letzten Hieb versetzen, doch ehe er dazu kam, war die Katze bereits wieder auf dem Boden gelandet und ihm ausgewichen. Fay spannte die Kristallschnur zwischen ihren Fingern und wartete darauf, dass sie angegriffen wurde. Die Bestie kreiste langsam um sie herum. Dann hob sie Blitzschnell eine ihrer Pfoten und schlug damit nach Fay. Diese kam leider nicht dicht genug an sie heran um ihr die Pfote abzuschneiden, aber dennoch schien sie das Tier zumindest verletzt zu haben. Die Weidenkatze heulte laut auf, humpelte nun ein wenig. Ihre linke Vorderpfote blutete stark, Fay hatte ihr eine Kralle abgetrennt. Blake nahm diese Gelegenheit sofort wahr und stürzte sich auf das verletzte Tier. »Nein!« schrie Zoran laut auf. Blake rollte sich auf dem Boden, die Bestie über ihm. Dann plötzlich fing sie heftig an zu zucken und sackte schließlich auf Blake zusammen.

Vorsichtig schlich Zoran auf das Tier zu. »Blake? Bist du verletzt?« Nichts rührte sich. Sharon, immer noch nach Luft ringend, stand unter Schock. »Ist er... tot?« Plötzlich bewegte sich das Tier. »Verdammt, es lebt noch!« rief Fay und brachte sich wieder in Kampfposition. Doch sie hatte sich geirrt. Mit einem kräftigen Ruck warf Blake mit Mühe die tote Weidenkatze von sich herunter. Dabei zog er ihr ein langes Messer aus der Brust. Seine Kleidung war Blutverschmiert, er selbst schien aber unverletzt. »Bah! Das Vieh stinkt wirklich ekelhaft.« Etwas wackelig stand er auf und begutachtete seine Kleidung. »Die Sachen kann ich bestenfalls noch verbrennen.« Mitleidig sah sich Zoran Blake's zustand an. Er sah nicht nur schrecklich aus, er hatte den, für Zoran unerträglichen, beißenden Geruch des Blutes angenommen. Er musste sich von ihm wegdrehen damit ihm nicht schlecht wurde. Hinter ihm stand Fay, die ihre Kristallschnur wieder in die Gürteltasche packte. Dann krächzte Sharon plötzlich los. »Du bist ja verletzt!« »Nein, nein« winkte Blake ab. »Das ist nur das Blut der Katze, sie hat mich nicht erwischt.« »Nicht du, sie! Fay, dein Arm blutet!« Selbst überrascht hob Fay ihre beiden Arme hoch, dann zuckte sie zusammen. Auf ihren rechten Unterarm klaffte eine tiefe Schnittwunde, die stark blutete. »Autsch, verdammt. Sie muss mich vorhin mit ihrer Pfote erwischt haben.« Zoran deutete zum nahegelegenen See. »Kühlen und auswaschen. Wer weiß, wo das Vieh schon alles war.« Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht ging sie zum Seeufer. Zoran folgte ihr. »Ähm...« begann Blake »Wo sind denn die Pferde?« Abrupt blieb Zoran stehen und schaute sich hektisch suchend um. Die Pferde waren weg. Völlig blass sprang Sharon auf und lief aufgebracht hin und her. »Was ist passiert? Wo sind sie hin?« Blake zog Mantel und Hemd aus. »Instinkt. Als die Weidenkatze angriff haben sie Panik bekommen und das Weite gesucht. Die werden wir vermutlich so schnell nicht einholen können. So ein Dreck!« »Soll das etwa heißen, dass wir ab jetzt NURNOCH laufen?« Zoran seufzte. »Ja, genau das heißt es.«

»Zoran? Bringst du mir eben meinen Rucksack? Der müsste da irgendwo in deiner Nähe liegen.« Er fand den Rucksack wenige Meter von sich entfernt. Er hob ihn auf, klopfte ihn ab und brachte ihn zu Fay, die sich am Wasser einen gemütlichen Platz unter einem Baum gesucht hatte. »Dank dir.« Sie zog ein großes Tuch heraus und hielt es ins Wasser. »Zoran, irgendwo in da drin ist eine kleine Holzkiste, würdest du sie mir geben?« Während Fay sich mit dem Nassen Tuch die Wunde sauber machte fing er vorsichtig an in ihrer Tasche zu suchen. Ganz wohl war ihm nicht dabei, in den Sachen einer Frau zu wühlen. Zum Glück fand er die Kiste schnell. Sie war grob gearbeitet und mithilfe einer Lederschlaufe und eines kleinen Holzpflocks geschlossen. Als Fay sie öffnete erkannte Zoran, dass es sich um eine Art Medizinkiste handelte. In ihr waren einige verschiedene Kräuter und Pflanzen zur schnellen Heilung vom Krankheiten und Verletzungen. Während er Fay dabei half, etwas heilendes und schmerzlinderndes Bergmoos auf ihrer Wunde zu verteilen konnten sie hinter sich Sharon und Blake streiten hören. »Ich werde auf gar keinen Fall Wochenlang durch die Gegend laufen!« »Du hast keine Wahl, Püppchen! Laufen oder sterben!« »Dann kauft halt in der nächsten Stadt neue Pferde!« Blake lachte laut auf. »Du hast vielleicht Vorstellungen! Was glaubst du, was ein halbwegs guter Gaul kostet? Mal ganz abgesehen davon, die nächste Stadt ist fast drei Wochen Fußmarsch von hier entfernt.« Das nächste was Zoran und Fay hörten war ein verzweifelter, grässlich greller Aufschrei einer vermutlich vollends schockierten Prinzessin. »Zoran?« »Ja?« »Irgendwo in meinem Rucksack sind auch noch Ohrentropfen.«

Als Sharon sich endlich beruhigt hatte, war es bereits dunkel. Sie lag an dem Baum, unter dem Fay zuvor gesessen hatte und schlief tief und fest. Auf einem Felsen nicht weit von ihr lag Blakes ausgewaschene Kleidung. Er selbst saß mit Fay und Zoran am Lagerfeuer und wärmte sich auf. Es war deutlich kühler als noch am Tag und so hatte er sich in eine warme Decke gehüllt. Zoran lehnte an einem Stein und schaute mal wieder verträumt in die Sterne. »Sagt mal, Jungs, ich hab da mal eine Frage.« Aus seinen Träumen gerissen schaute Zoran Fay an. »Die wäre?« Sie drehte ihren Kopf zu Sharon, schaute dann wieder Zoran an und machte ein schmunzelndes Gesicht. Dann deutete sie mit dem Daumen über ihre Schulter auf die tief schlafende Prinzessin. »Warum habt ihr sie nicht einfach an einen Baum gefesselt und seit abgehauen?« Beschämt blickte Zoran zu Blake. Der aber wich seinem Blick aus und rutschte noch etwas näher an das Feuer. »Ähm... Na ja... Das war halt irgendwie... Wie geht’s deinem Arm?« Sie streichelte über die gut verbundene Schnittwunde. »Wieder besser, danke.« Dann zwinkerte sie ihm zu. »Ich wette, ihr bereut es jeden Moment.« Zoran nickte traurig. »Hättet ihr sie nicht wenigstens knebeln können?« Blake schnaufte. »Knebeln? Wir hätten ihr bei Zeiten die Zunge herausschneiden sollen.« Fay und Zoran mussten zustimmend lachen. »Und, was habt ihr beide gemacht, bevor ihr euch in der Zelle begegnet seid?« »Was geht dich das was an?« blaffte Blake sie an. Zoran warf ihm einen bösen Blick zu. Daraufhin zuckte Blake nur mit den Schultern, drehte sich um und legte sich hin. Fay schüttelte mit dem Kopf. »Oh man, dieser Kerl.« Dann schaute sie Zoran an. »Was ist mit dir?« Nachdenklich schaute er über den See. Es war fast Windstill und seine Oberfläche sehr ruhig. Nur die herabfallenden Blätter warfen ab und an kleine, sehr feine Wellen. Er dachte über den Sinn seiner eigentlichen Reise nach und sein Herz wurde schwer. Was sage ich ihr? »Zoran?« Traurig schaute er sie an. »Ich... schaue mir die Welt etwas genauer an.« Ihre leuchtend grünen Augen trafen seine violetten Monsteraugen. So empfand Zoran sie zumindest. Ihr Blick schien seinen Kopf zu durchsuchen. »Genau genug, um zu finden, was du suchst?« Er musste lächeln. »Ich hoffe es.« Ihr Blick wanderte weiter, über sein ganzes Gesicht. Dann schaute sie auf seine Haare. Jetzt fühlte Zoran sich unbehaglich. Er mochte es nicht, wenn man ihn so musterte. Und schon gar nicht aus nächster Nähe. »Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit Frage?« begann sie, ohne den Blick von seinem Gesicht zu lassen. Oh nein, bitte nicht du auch noch. Frag mich nicht was ich bin. Frag mich bitte, bitte nicht, was ich bin! »Wie alt bist du eigentlich?« Überrascht sackte Zoran zusammen. »Wie? Was?« Die Anspannung, die er bis eben noch verspürte, viel von ihm ab. »Du willst wissen, wie alt ich bin?« Wieder lächelte Fay ihn an. »Ja. Ich kann es beim besten Willen nicht einschätzen.« Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. Zoran fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich bin vierunddreißig.« »So alt schon?« Wie? ALT? »Und was ist mit dir? Wie alt bist du? Dreizehn, vierzehn?« »Hey!« Sie stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. »Ich bin einundzwanzig.« Beide mussten lachen. »Man, ihr zwei Gackerliesen, könnt ihr nicht mal die Schnauze halten? Ich will schlafen!« Wütend und meckernd drehte Blake sich wieder um. Zoran wünschte Fay noch eine gute Nacht und kletterte auf den Baum, an dem Sharon schlief. Fay legte sich ebenfalls an den Baum, deckte sich zu und schlief bald darauf ein. Zoran lag wie gewohnt auf einem Ast und hielt Wache.

Noch lagen auf dem See nur wenige Blätter, aber das würde sich bald ändern. Es war bereits Anfang des neunten Jahresmonats, Herbstbeginn. Zoran konnte bereits spüren, wie die Nächte kühler wurden. Der Herbst war immer nur von kurzer Dauer. Und da sie sich auf dem Weg immer tiefer in Richtung Osten befanden, würde er sogar noch kürzer sein. Blake hatte Recht, ohne die Pferde lagen drei Wochen Fußmarsch vor ihnen. Zwei Wochen Zeitverlust. Rechtzeitig an den Bergpässen zu sein, bevor sie unpassierbar zu geschneit waren, war nun nicht mehr möglich.

Kapitel Sechs

~Kapitel Sechs~

Sie waren nun seit über zwei Wochen unterwegs. Mit jedem Tag wurde es kälter. Schon lange vorher wurde in den Dörfern getuschelt. Der kommende, besonders harte Winter, wurde durch den immer kälter werdenden Herbst angekündigt. Glücklicherweise hatten sie schon die dichten Wälder erreicht und die offenen Felder und Wiesen hinter sich gelassen. Dort peitschte der Wind noch viel schlimmer, als er es ohnehin schon tat. Fay trug jetzt einen langen, weißen Pullover unter ihrem Shirt und hielt die ganze Zeit ihre Kapuze fest, damit sie ihr ja nicht vom Kopf rutschte. Die Kälte machte ihr nichts, doch sie hasste den Wind. Neben ihr lief Blake, der seinen Mantel zugemacht hatte. Die letzten Tage wirkte es so, als würde er irgendwie mehr frieren als die anderen. Zoran blieb gelassen wie immer, ihm schien das Wetter nichts auszumachen. Weder die Kälte, noch der Wind. Sharon lief wie immer hinterher. Vor ein paar Tagen hatte sie schlussendlich erkannt, dass ihr Gemecker nicht das geringste an ihrer Situation änderte und so schien es, als spare sie sich ihre Kraft für den Fußmarsch. Es war kurz nach Mittag und alle wirkten erschöpft. Bis Sharon plötzlich aufrief.

»Seht mal da!« Die Gruppe schaute in die Richtung, in die Sharon aufgeregt zeigte. Zoran strahlte übers ganze Gesicht. »Eine Reise-Herberge! Sehr gut Sharon! Ich schlage vor, wir machen eine Pause und schlagen uns mal wieder so richtig den Bauch voll!«

Sein Vorschlag wurde Einstimmig angenommen.

Etwa eine Stunde später saßen sie am einem prasselnden Kaminfeuer und warteten auf ihre Speisen. Die Herberge war größer, als es auf den ersten Blick schien. Der Speisesaal war ein großer, runder Raum mit insgesamt sieben Kaminen. In der Mitte war eine große, zu allen Seiten offene, Theke. Sie waren überrascht, wie gut besucht der Laden war. An den Tischen um sie herum war es fast voll. Vor allem Männer, die Wein und Bier tranken, kräftig speisten und dazu Lieder sangen und Geschichten erzählten. Fay gefiel das überhaupt nicht. Zu viele Menschen auf einem Haufen mochte sie gar nicht. Ihr war zwar warm, sehr warm, aber trotzdem trug sie weiterhin ihren Mantel und ließ die Kapuze auf. Sharon schaute sich, irgendwie angewidert, in dem Raum um. Zoran schien sich recht wohl zu fühlen und Blake schaute, wie nicht anders zu erwarten, unbeteiligt aus dem Fenster. Die Wirtin, die sich mit dem Namen Beatrice vorgestellt hatte, kam bereits zum zweiten Mal mit einem Tablett voller Getränke zu ihrem Tisch. »So, ihr Lieben, entschuldigt, wenn ihr so lange warten müsst, aber ihr seht ja was los ist.« »Gar Kein Problem, machen sie sich wegen uns keinen Stress.« sagte Zoran und nahm dankbar sein großes Bier entgegen. Blake trank lediglich Wasser. »Und hier, für euch zwei Hübschen, ein schöner, heißer Tee.« Sharon bedankte sich und wandte sich an Beatrice. »Sagen sie, warum ist der Laden hier so voll? Ist irgendwas besonderes?« Die freundliche Wirtin schaute sie verwundert an. »Was, das weißt du nicht? Kindchen, es ist Jagdsaison! Das sind alles Jäger, die sich hier einquartiert haben und auf den ganz großen Fang hoffen!« »Oh, ach so.« Peinlich berührt rührte Sharon in ihrem Tee. »Noch ein wenig Geduld, euer Essen kommt gleich.«

Eine weitere Stunde später waren alle satt und zufrieden. Sie hatten sich Fleisch, Suppe und Fisch bestellt. Sharon und Zoran hatten sich sogar einen Apfelkuchen zum Nachtisch gegönnt. »Ich muss sagen, das Essen hier war wirklich gut.« gab Sharon zu. Blake schaute wieder aus dem Fenster. »Es ist noch stürmischer als zuvor.« Zoran lachte los. »Wenn das so ist, bleiben wir noch ein Weilchen, bis sich das Wetter beruhigt hat. So vollgefressen kommen wir eh nicht weit.« Ohne ein weiteres Wort stand er auf und machte sich in Richtung Theke davon. Auch Blake stand auf, wohl um sich den Laden doch noch etwas genauer anzusehen. Fay saß nun also allein mit Sharon an am Tisch. Die beiden hatten bislang kaum ein Wort gewechselt. »Warum hast du denn eigentlich die ganze Zeit diese blöde Kapuze auf?« Fay schaute verlegen auf den Tisch. »Ich hab so meine Gründe.« Sharon rollte mit den Augen. »Denkst du, sobald jemand dein Gesicht sieht, entführt er dich vom Fleck weg und zwingt dich seine Frau zu werden? Glaub mir, das wird nicht passieren, so hübsch bist du nicht.« Fay tippte mit ihren Fingern auf dem Tisch. »Oh, Dankeschön. Jetzt kann ich ja ganz beruhigt sein.« »Blake und Zoran haben mir gesagt, die Menschen dieser Welt wären angeblich so schrecklich arm und würden Hunger leiden. Davon kann ich hier aber nichts sehen.« Fay schüttelte verständnislos den Kopf. Zoran hat Recht, sie kennt wirklich nur ihre Bilderbuch-Palastwelt. »Sharon, diese Menschen hier, auch wenn sie jetzt vielleicht nicht so wirken, haben wirklich nichts. Die Zeit, die sie hier verbringen, ist meist sogar ihre einzige Chance um an Geld zu kommen.« Genervt verdrehte die Prinzessin die Augen. »Mal ehrlich, hast du was mit den Augen? Guck doch mal, wie glücklich die sind. Die singen und tanzen und saufen sich zu, als gäb es kein Morgen.« »Weil es für sie vielleicht wirklich kein Morgen gibt! Wenn sie keinen Erfolg haben beim Jagen, bekommen sie kein Geld und dann war es das!« »Und wie können sie sich den Aufenthalt hier leisten? Und das ganze Essen?« Fay war sehr genervt von Sharons Fragerei. Will die mich für dumm verkaufen? »Vermutlich haben sie ein Abkommen mit Beatrice. Wenn sie etwas erlegt haben, geht ein Teil davon an die Herberge und dafür dürfen sie kostenlos Essen und bekommen ein Zimmer.« Fay konnte sehen, wie Sharon offenbar angestrengt Nachdachte. Das Ergebnis jedoch war ernüchternd. »Also SO viel Aufwand bloß wegen etwas Geld? Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.« Fay's Kopf traf die Tischplatte so hart, dass ihr Kopf wehtat. »Was ist denn mit dir los?« >... Ich kapituliere!«
 

Zoran stand inzwischen mit einem weiterem großen Bierkrug in einer kleinen Gruppe von Jägern, mit denen er sich zuvor angefreundet hatte und hörte einem von ihnen beim erzählen zu. »... da denk ich, ich sehe nicht richtig! Da steht, nur ein paar Meter von meiner Haustür entfernt, ein richtig großer, fetter Hirsch. N' echtes Prachtstück. Was mach ich also? Ich zück ganz vorsichtig mein Messer und denke mir, Harro, heute kannst du deiner Madame mal wieder was richtig feines auf den Tisch bringen! Also schleiche ich mich ganz leise an den Burschen ran. Ich hätte ihn fast gehabt, da kracht hinter mir die Tür auf und meine Madame steht wütend im Türrahmen und ruft UND WEHE DU BRINGST HEUT NICHTS ANSTÄNDIGES MIT, DANN KANNST DU BEI DEN SCHWEINEN SCHLAFEN!« Die Gruppe um Zoran herum fängt laut an zu lachen. Harro, der die Geschichte erzählt hatte, hob seinen Bierkrug zum Prost an. »Auf meine liebe Madame, die mir schon seit über dreißig Jahren kräftig Feuer unterm Hintern macht!« Die Gruppe prostete sich zu und Zoran trank seinen Krug in einem Zug leer.« Dann klopfte ihm einer der anderen Männer kräftig auf die Schulter. »Meine Güte, du verträgst ja eine ganze Menge, was?«

Zoran wollte antworten, doch wurde er von dem lauten krachen der soeben aufgeschlagenen Tür abgehalten. Der Speisesaal verstummte Augenblicklich und alle Blicke fielen auf den Mann, der schwer atmend im Türrahmen stand. »Leute, ihr werdet es nicht glauben! Ich hab ihn gesehen, er kommt geradewegs hierher!« »Wer kommt hierher?« rief jemand aus der Menge. »Der erste General persönlich kommt hierher!« Die Menge fing hektisch an zu Murmeln. »General Kayt? Ist das dein ernst?« »Was will der denn hier?« hörte man es aus verschiedenen Ecken. »Keine Ahnung, aber er ist es, ich bin mir absolut sicher!« Jetzt war die Stimmung umgeschlagen. Alles rief durcheinander. Jeder fragte sich, was er dort wohl wolle. In dem Tumult war es auch niemandem aufgefallen, dass Zoran sich in Windeseile wieder zu den anderen an den Tisch begab, zu dem Blake ebenfalls zurückgekehrt war. »Oh verdammt, was machen wir denn jetzt?« Blake packte die Prinzessin am Arm. »Sie tarnen und von hier verschwinden!« Zoran blickte eilig umher. »Wo ist Fay?« Gerade als er die Frage ausgesprochen hatte, stand sie schon wieder neben ihm. »Ich gehe davon aus wir hauen jetzt ab? Ich hab die Rechnung eben bezahlt, Zechprellerei will mir nun wirklich nicht zu Schulden kommen lassen.» Perfekt! Und wenn du uns jetzt noch deinen Mantel gibst, bist du meine Heldin des Tages!« Fay schaute ihn mit großen Augen an. »Wie? Mein Mantel? Was wollt ihr damit?« »Die Prinzessin tarnen, falls der General uns entdeckt, will ich nicht, dass er sie erkennt!« Bevor Fay etwas sagen konnte, stand Blake bereits hinter ihr und zog ihr galant den Mantel aus. Sie versuchte ihr Gesicht mit den Händen zu verdecken. »Sag mal, spinnst du? Es ist immer noch...« »Egal! Raus jetzt!« Eilig zwang er Sharon in Fay's Mantel und setzte ihr die Kapuze auf. » Pass auf, Mädchen, wenn ich nur einen einzigen Ton von dir höre und auch nur ansatzweise mitbekomme, dass du versuchst den General auf dich aufmerksam zu machen, dann war das deine letzte Tat fürs ganze Leben, verstanden?« Sharon nickte, wenn auch panisch. Die Gruppe kämpfte sich durch die Menge, die sich alle an den Fenstern sammelten. Jeder wollte als erstes einen Blick auf den berüchtigten General werfen. Draußen war es nach wie vor sehr windig. Fay ging schnell voraus. Blake und Zoran gingen links und rechts neben Sharon her, bedacht darauf, dass sie keinen laut von sich gab.

Eine halbe Stunde später wurden sie langsamer. Zoran drehte sich um. »Ich glaube, wir müssten jetzt sicher sein.« Fay ging nach wie vor voraus, ohne sich ein einziges Mal umgedreht zu haben, jedoch langsamer als zuvor. Sie kämpfte mit dem Wind und ihrer Frisur. »Ich denke auch, wir haben es geschafft. Das hätte echt knapp werden können.« »Darf ich jetzt wieder reden?« Blake grinste. »Eigentlich wäre uns lieber, wenn nicht.« »Was soll das denn bitte heißen?« Zoran lachte auf. »Oh man, das dachte ich auch grade, Blake. Hey Fay! Du kannst jetzt stehenbleiben!« Keine Reaktion. »Na ja, Sicher ist Sicher, laufen wir halt weiter.« Er konnte sehen, wie Blake wütend Fay hinterher starrte. »Was glaubt die eigentlich wer sie ist? Dreht sich nicht einmal um. Arrogantes Stück!« Sharon lächelte ihm zustimmend zu. »Hey komm schon Blake, wer weiß? Vielleicht hat sie ja Panik gekriegt und muss jetzt erst einmal runterkommen.« Bei seinen Bemühungen, für Fay ein gutes Wort einzulegen, stieß Zoran bei den beiden jedoch auf taube Ohren. »Ich finde, Blake hat Recht. Was denkt sie denn? Taucht plötzlich auf und denkt, sie kann sich aufspielen?« Schmunzelnd sah Zoran Sharon an. »Sag mal, hast du da nicht was vergessen?« Fragend schaute sie ihn an. »Was denn?« Zoran grinste. »Na ja, genaugenommen hast du, was das angeht, kein Mitspracherecht. Du bist kein Mitglied unserer Gruppe, sondern immer noch unsere Geisel.« Plötzlich hörte Zoran hinter sich jemanden rufen. »Wohin denn so eilig?« Abrupt blieben die Drei stehen. Oh nein! Langsam drehte Zoran sich um.

Etwas entfernt von ihnen stand ein großer, schlanker Mann, etwas größer als zwei Meter. Er hatte fast Knielanges, zusammengebundenes, schwarzes Haar. Er trug ein ebenso schwarzes Gewand. Neben seinem rechten Auge sah Zoran deutlich sein berüchtigtes, dunkelrotes Stigma. Blake hielt Sharon fest am Arm, hatte sich aber nicht umgedreht. »Zoran?« sprach er ganz leise. »Ja?« »Bitte sag mir, dass das nicht Kayt ist.« »Dann sage ich jetzt besser gar nichts.« »Verstehe. Püppchen?« Sharon nickte. »Halt jetzt bloß die Klappe.« Zoran war bereit zu kämpfen, auch wenn es aussichtslos war. Er hatte schon viel von der enormen Kraft des ersten Generals gehört und wusste, er hätte kaum eine Chance gegen ihn. Dann bemerkte Zoran jedoch, dass Kayt weder ihn, noch Sharon oder Blake ansah. Seine braunen Augen waren auf etwas anderes gerichtet. »Du könntest ruhig mal stehenbleiben, wenn ich dich rufe, Fay!« Zoran, jetzt völlig verwirrt wirbelte herum. Fay, inzwischen ein Stück weiter weg, war plötzlich stehengeblieben. Dann drehte sie sich um. Der Wind wehte durch ihre Haare und nun konnten Zoran, Sharon und Blake sehen, wieso sie die ganze Zeit ihr Gesicht versteckte. Neben ihrem rechten Auge war ein fein geschwungenes, schwarzes Stigma. Langsam kam sie auf sie zu. Zoran starrte ungläubig auf das Zeichen. »Fay du... du bist ein... ich meine... du bist...« »... ein Antika.« beendete Blake den Satz. »Dann stimmen die Gerüchte also. Er hat tatsächlich jemanden verschont.« Sharon wollte etwas sagen, doch Blake hielt ihr den Mund zu. Wortlos ging Fay an Zoran und den anderen vorbei und stand jetzt zwischen ihnen und dem General. Die Drei drehten sich um und verfolgten, überrascht und gespannt, das weitere Geschehen. »Hey.« war das einzige, was sie sagte. »Hey? Das ist alles?« Fay zuckte mit den Schultern. »Im Augenblick ja. Willst du etwas bestimmtes von mir?.« »Ach, na ja, eigentlich nur das Übliche.« Sie ließ den Kopf hängen. »Kayt, nein. Ich werde nicht wieder zurückkommen.« »Fay...« Langsam kam er auf sie zu, doch Fay wich zurück. »Fay, ich bitte dich, du...« sein Blick fiel auf ihre Begleiter. »Prinzessin?« Geschockt drehte Zoran sich zu Blake und Sharon. Du Idiot, das war DIE Gelegenheit, er war so schön abgelenkt! »General, dem Himmel sei dank!« Sharons Augen funkelten voller Hoffnung. »Wie ich sehe geht es euch gut. Die Königin wird es freuen, das zu hören.« Dann wandte er sich wieder an Fay. »Bitte sag mir, dass du nichts mit der Sache zu tun hast.« »Nein, ich hab sie nicht entführt. Sie sind mir, sozusagen, in die Falle gegangen.« Er verschränkte die Arme. »Es gefällt mir gar nicht, dass du mit den Entführern unserer Prinzessin unterwegs bist, du steckst schon genug in Schwierigkeiten.« Das laute Jubeln von Sharon unterbrach ihre Unterhaltung. »Endlich komme ich nach Hause! Weg von diesen üblen Kerlen, weg von der Straße und raus aus diesen...« »Nein.« sagte Kayt trocken. Zoran glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und auch Blake wirkte nicht weniger überrascht. Sharon wurde bleich. »Wie.. wie meint ihr das? Nein? Was nein?« Kayt seufzte. »Nein bedeutet, dass ich euch nicht zurück in den Palast bringe.« »ABER WIESO NICHT?« Sharon war den Tränen nah. »Auf Anweisung von Königin Nigra. Wie ich eben bereits sagte, euch scheint es gut zu gehen, ich sehe zumindest nicht, dass euch größere Gefahr droht. In diesem Fall habe ich lediglich die Aufgabe, eurer Mutter auszurichten wo ihr euch befindet.« Jetzt ergriff Zoran das Wort. »Halt, einen Moment mal, das verstehe ich nicht. Die Königin will nicht, dass ihre Tochter aus den Händen ihrer Entführer befreit wird? Warum nicht?« Kayt grinste. »Also erst einmal vielen Dank, dass IHR schon mal gestanden habt, dass ihr tatsächlich die Entführer seit.« Dämlicher Zoran! Dämlich! Dämlich! Dämlich! Dämlich! Dämlich! »Und was das andere angeht« er wandte sich wieder an Sharon »Ihre Hoheit nannte es eine... erzieherische Maßnahme.« Sharon war geschockt. Zoran konnte, dank seiner guten Ohren, hören, wie Kayt etwas nuschelte. »Das hat sie auch dringend nötig.« Blake war wieder angespannt. »Alles schön und gut, aber was, wenn sie ihre Lektion gelernt hat? Was soll dann mit uns geschehen?« Kayt kam einige Schritte auf sie zu und stand jetzt neben Fay, die ihre Schadenfreude, Sharons Situation betreffend, nicht gänzlich verbergen konnte. »Das kann ich euch jetzt noch nicht sagen. Ich gebe euch nur den Rat: plant gut!« Fay wandte sich an Zoran. »Ich nehme an, da wir jetzt außer Gefahr sind, können wir ja weiterziehen.« Zoran drehte sich noch einmal zu Kayt um. »Und Ihr seit euch ganz sicher, dass Ihr sie nicht mitnehmen möchtet?« Kayt nickte. Der Blick des Generals verriet ziemlich eindeutig, was er dachte. Mehrere Wochen allein mit der da? Nein danke! Blake hielt Sharon den Mund zu, denn er konnte ihr Geschrei und Gejammer nicht mehr ertragen. Die kleine Gruppe wollte gerade Aufbrechen, als Kayt sich noch einmal zu Wort meldete. »Bist du dir ganz sicher, Fay?« Fay schaute ihm in die Augen. »Ja.« sagte sie leise. Kayt fuhr sich durch die Haare, schloss seine Augen und seufzte. »Ich kann dich nicht ewig beschützen, Kleines.« Kleines! Sie lächelte ihn an. »Ich weiß.« Unerwartet ging Fay auf ihn zu. »Ich hoffe, dass ich es dir irgendwann erklären kann.« Dann gab Kayt ihr einen Kuss auf die Stirn, drehte sich um und verschwand in den Tiefen des Waldes.

Bis zum Abend sprachen weder Fay noch Zoran auch nur ein einziges Wort. Blake kämpfte damit, Sharon zum Schweigen zu bringen. Das gelang ihm dann schließlich auch. Mit seinem Schwert und einer sehr deutlichen, allerletzten Drohung. Zoran schaute immer wieder zu Fay. Sie trug zwar wieder ihren Mantel, zog aber die Kapuze nicht mehr auf. Kein Wunder, denn schließlich hatte sie nichts mehr vor ihnen zu verbergen. Er versuchte, sich ihr Stigma etwas näher anzusehen, wurde von Fay aber immer wieder dabei ertappt. Und auch Sharon blickte sie die ganze Zeit an. Sie sah wütend aus und musterte Fay mehrmals von Kopf bis Fuß.

Sie errichteten ihr Lager an einem Flussbett. Sharon und Blake saßen um das Lagerfeuer und aßen eine Kleinigkeit. Fay saß abseits von ihnen und schaute auf das Wasser. Zoran setzte sich zu ihr. »Willst du gar nichts essen?« Sie sah ihn kurz an, blickte dann aber wieder auf den Fluss. Zoran schaute prüfend zu Sharon und Blake. Als er sich sicher war, dass sie sie von dort nicht hören konnten, begann er vorsichtig ein Gespräch mit Fay. »Das war eine ziemliche Überraschung heute« sagte er lächelnd. Fay lächelte nicht zurück. »Ich meine... Ich war ziemlich beeindruckt. Ich habe nie zuvor einen Antika gesehen.« Fay blickte ihn böse an. »Du siehst mich seit zwei Wochen jeden Tag an und ich bin nicht erst seit heute ein...« Sie hörte auf zu sprechen und schaute weg. Zoran ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid so war das nicht gemeint.« Fay seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Nein, schon gut. MIR tut es leid. Ich wollte euch da ganz sicher nicht mit belasten.« Zoran sah sie verständnislos an. »Belasten? Womit denn?« Fay sah ihm in die Augen. »Tu nicht so, du weißt genau, was die Menschen von uns halten. Unser Ruf könnte gar nicht schlechter sein.« »Ach, das ist doch alles nur dummes Gerede, oder?« »Ja, aber trotzdem.« »Ich meine, ja, natürlich kenne ich einige Geschichten von euch, aber, kein normaler Mensch glaubt so einen Quatsch.« Fay lächelte ein wenig. »Zum Beispiel fresst ihr keine noch lebenden Tiere, oder?« »Nein, das wäre ekelig und vor allem glaube ich ziemlich ungesund.« »Und ihr werdet auch sicher nicht sterben, bloß weil ihr ein paar Waldfrüchte esst, oder?« »Vielleicht, wenn man allergisch dagegen ist.« »Eben. Und ich wette darauf, ihr explodiert auch nicht, wenn man euch die Haare abschneidet, oder?« Fay hielt ihm ihre Haare vors Gesicht. »Tja, wer weiß? Versuch es doch einfach.« Zoran lachte. »Was ist mit der Geschichte, mit den Kinderopferungen, damit das Wetter besser wird? Das ist ja wohl der größte Schwachsinn von allem!« Es beunruhigte ihn ein wenig, dass Fay ausgerechnet bei diesem Beispiel aufhörte zu lachen und ihn traurig ansah. »Fay... Stimmt diese Geschichte?« Fay seufzte traurig und schaute, wie das Wasser des Flusses über die Ufersteine floss. »Es gibt einen Grund, wieso Kayt mich damals gerettet hat.« Zoran beugte sich vor, da Fay nun sehr leise sprach. »Ich war genauso eine Ausgestoßene wie er.« Zoran stützte sich auf seinen gekreuzten Beinen ab. »Wieso wart ihr ausgestoßen? Habt ihr etwas angestellt?« »Was Kayt damals gemacht hat spielt jetzt keine Rolle.« Er fragte sich kurz, was es gewesen sein könnte, verschwendete aber keinen zu großen Gedanken daran. »Und was ist mit dir?« Sie deutete auf ihr Stigma. »Wie du weißt, hat jeder Antika dieses Zeichen im Gesicht. Es sieht immer etwas anders aus und hat eine andere Farbe, aber es war fast immer genau gleich groß und immer neben dem rechten Auge.« Zoran nickte. Natürlich wusste er das, er hatte sich mit vielen Stigmas, die es in der Welt gibt, beschäftigt. »Normalerweise waren sie Rot, Blau, Grün oder hatten andere Farben. Und das Schwarze... nun ja.« »Was ist damit?« »Es hieß, dass der, der mit dem schwarzen Stigma geboren wird, Unglück über das Volk der Antika bringt. Und kurz nach meiner Geburt gab es ein großes Problem mit der Kälte.« Sie schaute Zoran an. »Du weißt ja, dass die Antika auf der ewigen Eisinsel lebten, oder?« Zoran nickte. »Der Kälteeinbruch in diesen Jahren war so schlimm, dass die Leute immer mehr glaubten, ich sei Schuld daran. Es wuchs fast nichts mehr und die Tiere überlebten zum großen Teil nicht.« Zoran wusste, was jetzt kam, ließ sie aber ausreden. »Also beschlossen sie mich zu Opfern, als ich drei Jahre alt war. Damit, wie du es eben gesagt hast, das Wetter wieder besser wird. Und davor hat Kayt mich gerettet.« »Und wie hat... Kayt es geschafft dich zu retten?« Fay lächelte ihn sanft an. »Das erzähle ich dir ein andermal. Ich will jetzt schlafen.« Zoran grinste. »Eine Frage habe ich aber noch.« Fay schaute ihn zögernd an. »Welche?« Er beugte sich noch weiter vor, legte den Kopf schief und schaute ihr tief in die Augen. »Kleines?« Fay wurde Scharlachrot. »Ach weißt du, das ist so eine Sache, die... ich meine... Gute Nacht!« Sie drehte ihm den Rücken zu, legte sich auf die Seite und tat so, als ob sie schlief. Zoran grinste. »Dir auch eine Gute Nacht.« Dann begab er sich wieder zu den anderen, erzählte ihnen aber, auch auf Sharons Bitten und Betteln, nicht, was Fay ihm soeben erzählt hatte. Stattdessen schaute er wie gewohnt zu den Sternen und dachte über die Geheimnisse nach, die Fay wohl noch vor ihnen hatte. Und er dachte an seine eigenen... Geheimnisse.

Kapitel Sieben

~Kapitel Sieben~

Noch bevor die Sonne aufging wurde Zoran wach. Er streckte sich ausgiebig und schaute sich um. Fay und Blake waren ebenfalls wach. Er sprang von dem Felsen, auf dem er geschlafen hatte und kramte etwas zu essen aus seiner Tasche. Viel war nicht mehr da. »Guten Morgen ihr zwei. Meldet sich einer freiwillig, oder müssen wir es wieder auslosen?« Fay stand neben ihm und kämmte ihr beinahe Hüftlanges Haar. »Mich hat es schon die letzten beiden Tage erwischt, einer von euch ist dran.« Zoran und Blake sahen sich kampfbereit in die Augen. Keiner von beiden war bereit, den anderen gewinnen zu lassen. Fay stand nun zwischen ihnen. »Also gut, meine Herren. Ich denke nun an eine Zahl zwischen 1 und 20. Derjenige von euch, der näher dran liegt, hat gewonnen. Alles klar?« Ohne sich aus den Augen zu lassen nickten die Kontrahenten stumm. »Ich habe eine Zahl. Zoran?« »Ich sage 7.« »Und du, Blake?« Blake sah hochkonzentriert aus. »15!« Fay hob ihren Arm. Angespannt warteten die beiden darauf, dass Fay den Sieger kürte. Ihr Arm sauste nach unten und sie deutete auf Blake. »Meine Zahl war die 13, Blake ist der Sieger! Zoran, darf ich bitten?«

Zoran atmete tief durch. Ganz langsam ging er auf die schlafende Prinzessin zu. Er bückte sich vor und ruckelte etwas an ihrer Schulter. »Sharon? Du musst jetzt aufstehen, wir wollen weiter.« Dann spürte er einen kräftigen Ruck an seinem Bein. Sharon hatte im Schlaf nach ihm getreten, wie sie es jeden Morgen tat. Zoran verschränkte wütend die Arme. »Du weißt was passiert, wenn du nicht aufstehst!.« Keine Reaktion. »Wie du willst.« Zoran drehte sich um und ging geradewegs zum Flussufer. Fay und Blake standen, in sicherem Abstand, von ihm entfernt und beobachteten amüsiert, was als nächstes passieren würde. Er formte seine Hände zu einer Schale und füllte sie mit Wasser. Bedacht darauf, nichts zu verschütten ging er langsam wieder zurück. Als Zoran über ihr stand sprach er noch eine Warnung aus. »Du hast noch drei Sekunden. Eins... Zwei...« Platsch! Zoran öffnete seine Hände und das kalte Wasser klatschte Sharon direkt ins Gesicht. Sie schreckte nach oben und fing heftig an zu schimpfen. »Sag mal, hast du sie noch alle beisammen? Was soll denn das? Du dämlicher, blöder Vollidiot!« Fay und Blake konnten sich vor lachen kaum noch halten. »Morgen weckst du sie, Blake!« Genervt rieb Sharon sich das Gesicht mit einem Tuch wieder trocken. »Meine Güte, könnt ihr nicht ein einziges Mal ausschlafen?« Zoran warf ihr einen Apfel zu. »Hier, dein Frühstück.« »Wie, mehr gibt es nicht?« Er schaute in seine Tasche. »Nein, der Proviant ist fast alle. Aber wir haben Glück im Unglück, nur ein paar Stunden von hier ist eine Stadt.« Sharons Augen leuchteten. »Eine Stadt? Großartig! Ich wollte schon immer mal in eine Stadt.« Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass Fay die Augen verdrehte. »Was ist los?« Sie zog ihren Mantel an und setzte wieder ihre Kapuze auf. »Ich mag keine Menschenansammlungen.« Sharon grinste sie höhnisch an. »Na ja, wenn ich ein Antika wäre, würde ich mich auch nirgendwo blicken lassen.« Blakes zustimmendes, fieses Lächeln machte ihre Aussage nur noch schlimmer. Fay allerdings blieb völlig gelassen. »Als Kayt gestern vor dir stand schienst du mir alles andere als abgeneigt.« Sharons Grinsen verflog. »Und wenn schon? Vergiss nicht, ich bin die Prinzessin. Und du bist nur ein Überbleibsel einer sowieso längst überfälligen Kultur.« »Ja, und zwar derselben Kultur, die er auch angehört. Ich verstehe aber nicht, was du mit der Aussage bezwecken willst.« Zoran ging vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Bitte, bitte, Götter dieser Welt, ich habe schon genug Ärger am Hals. Bitte, nicht auch noch ein ausgewachsener Zickenkrieg! Sein kleines Stoßgebet nützte ihm gar nichts. Denn Blake, den das ganze sehr zu amüsieren schien, beschloss offensichtlich, den brodelnden Vulkan zum Ausbrechen zu bringen. »Ich glaube, Prinzessin sieht dich als Konkurrentin im Kampf um den ersten General.« Sharon lachte laut auf. »Die da? Konkurrenz? Das ich nicht

lache!« Vorsichtig blickte Zoran zu Fay hinüber. Die schwang ihren Rucksack über die Schulter und zwinkerte ihm zu. »Du solltest da raus kommen, Zoran.« Er war bereits so weit zurückgegangen, dass er bis zu den Knien im Fluss stand. Das merkte er aber erst, als ein kleiner Fisch seinen Knöchel streifte. »Oh. Mist!«

Die Sonne hatte fast ihren höchsten Punkt erreicht. Die kleine Gruppe war fast an ihrem Ziel angekommen. Sie konnten bereits die Stadtmauern und das Eingangstor sehen. Zoran hatte sich etwas zurückfallen lassen und spazierte nun, wie üblich, an Fay's Seite. »Sag mal, stört dich gar nicht, wie Sharon mit dir redet? Ich meine, was sie über deine Herkunft gesagt hat?« Gelassen schüttelte sie mit dem Kopf. »Nicht hier.« »Wie meinst du das, nicht hier?« Sie kicherte. »Nun, wenn wir in ihrem ach so tollen Palast wären, umgeben von ihren Dienern und falschen Freunden, dann hätte sie mich unter Umständen damit gekränkt. Aber hier draußen bin ich ihr absolut Überlegen. Hier ist es egal was sie sagt, sie ist nun mal nur die naive, unwissende, abhängige, schwache Göre.« Sie wechselte ihren Rucksack auf die andere Schulter. »Und was das andere Thema betrifft, das war mir schlicht und einfach zu lächerlich.« Zoran konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen. »Weil du ihr da sowieso um Längen voraus bist, Kleines?« Fay boxte ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen. »Wenn du mich noch ein einziges Mal so nennst, werde ich dich wieder an einen Baum hängen!« Sie deutete auf die Tasche mit der Kristallschnur. »Aber dann damit!« Ihr Gespräch wurde jäh unterbrochen. Sie standen nun direkt vor der Eingangspforte, die in die Stadt führte. Blake klopfte ein paar mal fest gegen sie. Ein kleines Fenster öffnete sich und ein Mann spähte hindurch. »Was wollt ihr?« Blake antwortete in selbstbewusstem Ton. »Wir wollen in euren Geschäften unseren Proviant auffüllen.« Er hob seinen Geldbeutel hoch. »Wir können zahlen.« Das Fenster war wohl ein wenig zu klein, der Mann schien keine allzu gute Sicht zu haben.« »Wie viele seit ihr?« Blake hob vier Bronzemünzen hoch. »Ein Mann, eine junge Frau, ein Jüngling und ein plärrendes Weib.« »Hey!« Blake reichte dem Mann die vier Münzen durch das kleine Fenster. »Ihr dürft passieren.« Sharon hüpfte vor Freude von einem Bein auf das andere. Fay legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich fürchte, du wirst gleich eine böse Überraschung erleben.«
 

Als das Tor aufschwang und sie die Stadt betraten, stockte Sharon der Atem. Der Prunk, von dem ihr immer erzählt wurde, das rege treiben der Händler mit den Waren aus aller Welt und die vielen, eleganten Menschen. Davon war nichts zu erkennen. Die Stadt war ein einziges Elend. Die Häuser schienen zu zerfallen. Die Straße war überall aufgebrochen, bestand zur Hälfte nur aus dem Erdboden, auf dem sie einst erbaut wurde. Es stank fürchterlich. Aber nichts von dem war so schlimm, wie der Anblick der Menschen. Sie waren fast vollkommen in Lumpen gekleidet, teilweise sogar ohne Schuhe. Einige husteten, einige humpelten oder konnten nur gestützt auf Stöcken gehen. Am Straßenrand saßen alte Leute und Kinder Seite an Seite und bettelten. »Was ist hier los?« konnte Sharon nur im Flüsterton herausbringen. Zoran trat neben sie. »Erinnerst du dich, was Blake und ich dir damals im Gasthaus erzählten? Was mit den Steuergeldern geschieht?« Sharon nickte sehr langsam. »Glaubst du immer noch, dass sie dem Volk dienen? Schau dich um. Das hier ist nur ein Beispiel, vom wahren Werk des Königs.« »Sieht es in jeder Stadt so aus?« Zoran fuhr sich durchs Haar. »So ziemlich.«

Wie paralysiert lief Sharon hinter den anderen her. Immer wieder bettelten die Menschen um sie herum um Essen oder Geld an. Zoran betrat eine kleine Bäckerei, Blake ging in einen Waffenladen. Fay ging mit Sharon in einen Laden für Bekleidung. »Was wollen wir hier?« Fay musterte Sharon. »Der Winter steht vor der Tür, es ist besser, wir besorgen dir wärmere Kleidung. Eine Tasche brauchst du auch. Dann besorgen wir etwas zu Essen.« Sharon ballte ihr Hände zu Fäusten. »Wie kannst du nur?« Verdutzt drehte Fay sich um. »Was meinst du?« Sie wurde wütend. »Wie kannst du nur so einfach davon reden, was du noch alles kaufen willst, wenn um dich herum diese Menschen um das kleinste bisschen Brot betteln? Das ist kaltherzig!« Fay stöhnte leise. »Glaub mir, wenn ich könnte, ich würde jedem von ihnen einen ganzen Sack voll Gold und Kleidung kaufen und dann ein riesiges Fest mit einem reich gedeckten Tisch feiern. Aber überall in der Stadt sind Geldeintreiber. Wenn sie rausbekommen, dass irgendwer auch nur einen Bronzetaler zu viel hat, dann holen sie sich den.« Sharon schüttelte angewidert mit dem Kopf. »Dann gib ihnen wenigstens Essen!« Fay stemmte eine Hand in die Hüfte und schaute nachdenklich zu Boden. »Glaub mir, es gäbe nichts, was ich lieber tun würde.« »Und warum tust du es dann nicht?« »Die Soldaten würden auf mich Aufmerksam werden. Dann könnte ich gar nichts mehr tun.« Sharon spürte, wie in ihr die Wut zu brodeln begann. Ihr gesammelter Hass und der Frust der letzten Wochen fügte sich zusammen. Die Entführung aus ihrem schönen Zuhause, der Verrat ihrer Mutter und der Spott, der ihr entgegengebracht wurde. All das konzentrierte sich nun voll und ganz auf dieses egoistische Weib, dass ihre eigene Haut wichtiger ist als das Elend zu ihren Füßen.

»Du brauchst mich gar nicht so böse anzustarren, du bist nicht besser als ich.« Sharon viel die Kinnlade runter. »Wie kannst du es...« »Mag sein, dass ich hier nichts tun kann, aber wenigstens leugne ich es nicht.« »Wie meinst du das?« Fay seufzte auf. »Zoran und Blake haben es dir gesagt. Ich habe es dir gesagt. Hunderte Male haben wir versucht dir zu erklären, wie die Welt wirklich ist. Aber du hast es verleugnet. Und wieso? Weil dir der Gedanke nicht passt, dass dein tolles Luxusleben auf so einer unbequemen Wahrheit aufgebaut ist!« Sharon verschlug es die Sprache. Wie konnte sie es nur wagen? Wer war sie schon, sie so belehren zu müssen? Diese miese Diebin! Fay, das Mädchen aus dem Wald wagte es, so mit ihr zu reden. Sharon, die Prinzessin von... von... Sharon schaute aus der geöffneten Ladentür nach draußen. Ich bin Sharon, die zukünftige Königin der Armut und des Leides.

Sie schaute wieder zu Fay. Diese hatte sich bereits von ihr abgewandt und begutachtete eine graue Umhängetasche. »Die hier ist gut, kostet auch nicht zu viel. Gefällt sie dir?« Sharon zuckte mit den Schultern. »Okay, wir nehmen sie einfach. Und zieh mal da vorne eine von den Hosen an.«

Etwa eine Stunde später kamen die Beiden aus dem Laden. Sharon trug nun eine braune Lederhose, allerdings nicht ganz so eng, wie die von Fay. Dazu einen hüftlangen Pullover und einen wärmeren Mantel mit Fellkapuze, den sie gegen ihren alten ausgetauscht hatten. An den Füßen trug sie Kniehohe, dicke Fellstiefel. »Ich finde, du bist jetzt gut gewappnet für den Winter. Hier bitte.« Fay reichte Sharon die graue Tasche. »Da drin sind noch Handschuhe und eine Trinkflasche. Und ein Geldbeutel mit etwas Inhalt. Das hat Zoran mir für dich gegeben. Er sagte, das wäre ein Teil des rosa Alptraums, was immer er damit meint.« Sharon holte den blauen Stoffbeutel heraus und fand darin drei Silbermünzen und einige Bronzemünzen. In der Tasche waren auch ihre alten Schuhe. Die beiden Mädchen gingen noch in einige andere Läden und kauften etwas zu Essen. Etwas weiter vor sich konnten sie bereits das Stadttor am anderen Ende der Stadt sehen, welches sie wieder hinaus in die Wildnis führen würde. Auf dem Weg dorthin sahen sie eine junge Frau. Sie versuchte sehr mühsam, mit schmerzverzerrtem Gesicht, über die Straße zu humpeln. Sharon sah, dass sie ganz abgemagert war, mit bleicher Haut. Und Barfuß war sie auch. Gerade wollte sie Fay darauf ansprechen, als die Frau plötzlich stolperte und fiel. Fay zögerte keine Sekunde und eilte los um der Frau zu helfen. Sharon folgte ihr. »Ist alles in Ordnung?« Die Frau versuchte sich zitternd aufzurichten. »Danke, es geht schon.« Sharon sah, dass sie eine klaffende Wunde am Knöchel hatte. »Sie sind verletzt!.« »Was?« Erschrocken schaute sie auf die Stelle. »Oh nein, sie muss bei dem Sturz wieder aufgegangen sein!« Fay stützte die junge Frau. »Warten Sie, ich kann ihnen Helfen.« Fay setzte sie am Straßenrand ab und nahm ihren Rucksack von der Schulter. Sharon beobachtete, wie sie ein kleines Kästchen herauszog. Darin waren irgendwelche Pflanzen. »Ich werde ihnen etwas auf die Wunde legen, dann wird es besser.« Sharon sah erstaunt zu, wie Fay etwas aus dem Kästchen nahm, das aussah wie ein Haufen Klee und es der Frau behutsam auf die Wunde legte. Diese zuckte kurz zusammen, atmete dann aber erleichtert auf. »Vielen Dank, das tut gut.« Sharon schaute wie gebannt zu, wie Fay die Wunde mit einem Tuch verband. »Was hast du gemacht?« fragte sie wissbegierig. »Lediglich ihre Schmerzen gelindert.« »Mit Grünzeug?« Die junge Frau schaute Fay fragend an, die lächelnd zwinkerte. »Ja, mit Grünzeug. Das sind Heilkräuter. Felsenklee, wenn du es genau wissen möchtest. Das lindert den Schmerz und beschleunigt den Heilungsprozess.« Sharon war fasziniert. »Gibt es noch mehr solcher

Heilkräuter?« »Jede Menge sogar.« Fay hob abermals etwas aus dem Kästchen. »Erinnerst du dich an die Verletzung, die die Weidenkatze mir zugezogen hat?« Sie nickte. »Das habe ich damals zur Heilung benutzt.« Fay krempelte ihren Ärmel hoch. »Es ist fast nichts mehr zu sehen. Eigentlich hätte ich eine deutlich größere Narbe davontragen müssen.« »Und wo kauft man so etwas?« Fay lachte laut auf. »Kaufen? Das kannst du einfach in der Wildnis aufsammeln, du musst nur wissen wo.« Sharon war begeistert. Sie wollte unbedingt mehr darüber wissen. Sie kannte nur die ekelhaften Tränke, die man bekam, wenn man Krank war. Diese wurden Mühsam von den Medizinern im Palast zusammengebraut. Und die waren, nach Bauernstandards, ziemlich teuer. Aber das das auch viel leichter ging. Und auch noch umsonst. »Woher weißt du denn, welche Kräuter man für was einsetzt?« »Ich hab es nachgelesen und mir selbst beigebracht.« »Das heißt, ich könnte es mir auch beibringen?« Fay und die junge Frau sahen sich an. »Ich glaube, das kann Jeder lernen, wenn er will.« »Wo kann ich das nachlesen?« Die junge Frau zeigte auf einen kleinen Laden auf der anderen Straßenseite. »Da vorne ist ein Buchhandel, vielleicht haben die so etwas.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren sprang Sharon auf. »Hey, wo willst du denn hin?« Sharon strahlte sie euphorisch an. »In den Buchladen!« Noch bevor irgendwer sie aufhalten konnte ging Sharon los. Auf halbem Weg jedoch blieb sie stehen und ging noch einmal zurück. »Was ist, Begeisterung verflogen?« Sharon ignorierte Fay's spöttisches Lächeln. »Nein, ich möchte ihr lediglich etwas geben. »Die Frau schien mehr als Verblüfft, als Sharon ihr die Schuhe aus ihrer Tasche in die Hand drückte. »Es sind zwar keine besonders dicken Schuhe, aber sie werden die Wunde schützen.« Dankbar zog sich sie sich ihr Geschenk über die nackten Füße. Sie schienen fast perfekt zu passen. Sharon war schon im Buchladen verschwunden.
 

Zoran und Blake warteten bereits am Stadttor. Zoran nervte es, dass Blake ungeduldig mit den Fingern auf dem Griff seines Schwertes tippte. »Wo bleiben die blöden Weiber denn? Ich will nicht bis Morgen hier rumstehen!« Zoran zählte noch einmal das Gold in seinem Beutel. Allzu viel war nicht mehr darin. Die Preise waren so hoch geworden, es grenzte schon ans Lächerliche. Er hatte geglaubt, der Erlös vom Verkauf des Palastkrams würde noch eine g3333anze Weile länger vorhalten. Doch das war nicht der Fall. »Blake?« »Hm?« »Hast du noch viel Geld übrig?« Blake schnaubte verächtlich. »Bei den Preisen hier wundert es mich, dass ich überhaupt noch was habe.« Beide schauten seufzend zu Boden. »Wie weit ist es noch bis zu den Pässen, was meinst

du?« Zoran schaute gen Himmel. Graue Wolken zogen über sie hinweg. Ein Sturm kündigte sich an. »Zu lange. Fay's Plan wird nie im Leben aufgehen, wir müssen uns was Anderes überlegen.« Blake fuhr sich mit der Hand durch die zerzausten Haare. »Verdammt. Dabei war der Plan gar nicht so schlecht.« Zoran hörte plötzlich bekannte Stimmen auf sie zukommen. »Sieh mal an, wer sich endlich zu uns gesellt hat.« Fay hob entschuldigend die Arme hoch. »Tut und Leid, aber wir haben so eine Art... Grundkurs in Sachen Heilkräuter gemacht.« Blake musterte Sharon von Kopf bis Fuß. »Wenigstens wirst du jetzt nicht mehr jammern, dass du frierst.« Ohne ein weiteres Wort stapfte er auf den Pförtner zu. Nachdem sie ein Paar Worte gewechselt hatten öffnete dieser zögerlich das Tor. »Seid ihr euch sicher, dass ihr die Nacht da draußen verbringen wollt? Da braut sich ganz schön was zusammen, könnte ungemütlich werden heute Nacht. In der Taverne vermieten sie Zimmer zu kleinen Preisen.« Dankend winkte Zoran ab. »Nett, dass Ihr euch Gedanken macht, aber wir haben es ziemlich eilig.« Der Pförtner zuckte mit den Schultern. »Dann lasst euch wenigstens warnen. Tief im Wald passieren in letzter Zeit die merkwürdigsten Dinge.« Sharon wurde bleich. »Wie, Dinge? Was denn für Dinge?« Vorsichtig schaute der Pförtner sich um, dann sprach er im Flüsterton weiter. »Die Jäger berichteten von seltsamen Stimmen, die aus dem Wald kommen. Und einige behaupteten, sie hätten kreischendes Lachen vernommen.« Fay trat einen Schritt näher. »Kreischendes Lachen? Seltsame Stimmen? Klingt ja fast wie die Gruselmärchen über hexen, die man den Kindern erzählt.« Der Pförtner nickte. »Ich weiß, es klingt verrückt und Anfangs habe ich auch darüber gespottet. Aber in den letzten Wochen sind schon vier Leute verschwunden!« Etwas beunruhigt schaute Zoran an dem Mann vorbei durch das geöffnete Tor. Er konnte den alten Wald sehen, der so dicht und düster war, das man hätte meinen können, seine Bäume wären schwarz. »Vielen Dank für die Warnung, wir werden auf der Hut sein.«

Es kostete sie einige Minuten, Sharon aus dem Tor hinaus zu schieben. Nach der Erzählung des Pförtners bestand sie darauf, die Nacht in der Stadt zu bleiben. Bevor er das Tor hinter ihnen schloss, warf der Pförtner Zoran einen Beutel zu. »Mögen die Götter mit euch sein!« Zoran schaute sich den Inhalt an. »Waldbeeren?« »Ich glaube nicht, dass es Hexen sind« antwortete der Pförtner. »Das ist ganz klar die Handschrift der Antika!« Mit einem lauten Knall viel das massige Tor ins Schloss.

»Immer wenn du denkst, der Ruf deines Volkes könnte nicht noch schlechter werden, trifft dich die Erkenntnis wie ein Felsen, der von einem Berghang auf dich herabstürzt.« Etwas Mitleidig schaute Zoran Fay an, die seufzend den Kopf hängen ließ. »Was rege ich mich eigentlich auf, es wird sich ja doch nie was ändern.<<

Kapitel Acht

~Kapitel Acht~

Den erhofften Schutz vor dem Regen bot der dichte Wald leider nicht. Sie waren bereits durchnässt bis auf die Haut, da ging der Gewittersturm erst richtig los. Der Wind blies so stark, dass sie aufpassen mussten, nicht von den herabfallenden Ästen erschlagen zu werden. Über ihnen zuckten die Blitze im Sekundentakt. Durch den dichten Regen konnten sie kaum etwas sehen. Und es wurde von Minute zu Minute kälter. »Ich kann nicht mehr!« rief Sharon durch den lauten Sturm und den Donner. »Was? Ich versteh dich nicht!« rief Zoran zurück. »Ich sagte ich kann nicht mehr! Das ist zu anstrengend!« »Sie hat Recht, Zoran!« Er versuchte durch den Sturm zu erkennen, von wo aus Fay ihm zurief. »Wir brauchen einen Unterschlupf!« »Was?« »Wir brauchen einen Unterschlupf!« »WAAAS?« »WIR. UNTERSCHLUPF. JETZT!« »Ich hab kein Wort verstanden! Lasst uns zuerst einen Unterschlupf suchen!«

Zoran versuchte irgendwas ausfindig zu machen, wo sie sich in Sicherheit bringen konnten, aber er konnte so gut wie gar nichts sehen. Noch dazu war es bereits dunkel. Er wollte die Hoffnung schon aufgeben, da spürte er von irgendwoher einen warmen Lufthauch. Er tastete um sich , bis er Sharons Arm zu fassen bekam. »Was ist los?« »Folgt mir!« Sharon hielt sich mit der linken Hand an Zorans Jacke fest, mit der Rechten hielt sie Fay's Hand. Blake lief dicht neben Zoran her, damit sie sich nicht verlieren konnten. Vor sich konnten sie nun felsige Hügel entdecken. Und zwischen den massiven Steinbrocken fanden sie schließlich eine Höhle.

»Glück gehabt!« sagte Fay und legte ihren nassen Rucksack und Mantel ab. Blake schaute sich in der Höhle um. Sie war um einiges größer, als es auf den ersten Blick schien.Ihre Decke war beinahe vier Meter hoch. Tiefer in der Höhle war es Stockdunkel. Sharon zitterte vor Kälte. »Können wir nicht ein Feuer machen?« Zoran deutete nach draußen. »Dann viel Spaß bei der Brennholzsuche. Sei froh, dass wir überhaupt im Trockenen sind.« »Hey, Zoran. Was glaubst du, wie weit geht es dort hinein?« Vorsichtig ging Zoran ein Stück tiefer in die Höhle. Dann nahm er einen Stein von Boden auf und warf ihn in die Dunkelheit. Nach einigen Sekunden konnten sie aus der ferne ein dumpfes Echo hören. »Ich würde sagen, ziemlich tief.« Plötzlich war aus der Dunkelheit lautes, schrilles Gekreische zu hören. Sie mussten sich die Ohren zuhalten, so sehr schmerzte es. Das Geschreie erfüllte die gesamte Höhle. Dann folgte wieder Stille. Fay war die Erste, die sprach. »Was um Himmels Willen war denn das? War das ein Mensch?« Blake schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ein Mensch so schreien kann. Das war was anderes.« Sharon ging einen Schritt rückwärts. »Glaubt ihr, dass ist das, wovon der Pförtner gesprochen hat?« »Vermutlich.« »Fay?« »Ja,

Blake?« »Drei Silbermünzen wenn du zuerst gehst.« Bevor Fay protestieren konnte, war Zoran bereits losgegangen. »Ähm, willst du da wirklich reingehen?« Er drehte sich um. »Ja, das will ich.« »Dann gehen wir eben alle.« schlug Blake vor. Doch Zoran schüttelte nur den Kopf. »Nein. Jemand muss auf die Sachen aufpassen. Da drin könnten sie hinderlich sein.« Kopfschüttelnd schaute Fay Zoran an. »Mir ist aber nicht ganz wohl dabei, dich alleine gehen zu lassen. Blake oder ich sollten mitkommen.« »Ich will, dass Blake bei mir bleibt!« rief Sharon plötzlich dazwischen. Verwundert sahen die drei Anderen sie an.

»Und wieso ausgerechnet ich?« »Weil ich ganz sicher nicht mit der da alleine bleiben möchte.« Fay zuckte nur mit den Schultern. »Gut, meinetwegen. Bleib halt mit Blake hier und passt auf die Sachen auf.« »Nur weil Prinzessin das sagt? Vergiss es, ich gehe mit.« Fay stemmte ihre Fäuste in die Hüften. »Wolltest du mir nicht eben sogar noch Geld dafür geben, dass ich

gehe?« Blake wollte protestieren, gestand sich aber wohl ein, dass er dieses Mal verloren hatte. Genervt setzte er sich in die Nähe des Höhleneingangs und starrte schmollend in die stürmische Nacht. »Wollen wir?« Fay nickte, wenn auch etwas zögerlich. »Gut, dann los.« Und so gingen beide vorsichtigen Schrittes in die unbekannte Dunkelheit.

Vorsichtig tasteten sie sich an der Wand entlang, bedacht darauf, den Abstand zwischen ihnen so gering wie möglich zu halten. Sie konnten die Hand vor Augen nicht sehen. Die Luft war warm und trocken. Unter ihren Füßen knirschte und knackte es. Nach schier endlosen Minuten wagte Fay Zoran im Flüsterton anzusprechen. »Du hast schon einen Verdacht, oder?« »Was meinst du?« »Du glaubst zu wissen, was hier auf uns wartet, hab ich Recht?« Er glaubte es nicht nur, er wusste es tatsächlich. Dieses Geschrei hatte er in seiner Kindheit schon einmal gehört. Und er erinnerte sich, dass das kein gutes Ende nahm. »Das was wir da eben gehört haben war der Schrei einer Harpyie.«

»Eine Harpyie? Bist du dir sicher?« »Ich war mir schon lange nicht mehr so sicher.« Plötzlich ertastete Zoran etwas, das an der Wand hing. Ohne ein Wort blieb er stehen. Fay, nur zwei Schritte hinter ihm, rempelte ihn von hinten an. »Wieso bleibst du denn einfach so stehen?« »Ich glaub, ich hab hier eine Fackel ertastet.« »Eine Fackel?« »Ja, ich bin mir ziemlich sicher. Gib mir mal deine Feuersteine.« Er konnte hören, wie Fay in ihren Gürteltaschen wühlte. Dann ertastete sie seine Hand und gab ihm die Steine. »Glück gehabt, die sind trocken geblieben.« Nach einigen erfolglosen Versuchen hielt Zoran endlich eine brennende Fackel in der Hand. »So, endlich etwas mehr Licht.« Im Schein des Feuers schauten die beiden sich um. Die Höhle war etwas breiter geworden. Trotz des Lichts, dass die Flammen ihnen nun bot, konnten sie kaum weiter in den Gang hineinschauen. Es schien so, als würde die Dunkelheit das Licht einfach verschlucken. »Zoran? Schau mal auf den Boden.« Der Boden unter ihren Füßen war übersät mit Knochen. Menschenknochen. »Siehst du die ganzen Schädel? Wenn die in der ganzen Höhle verteilt sind, müssen es hunderte sein.« Zoran deutete mit der Fackel auf den Gang. »Sollen wir weiter?«
 

»Wie lange sind die Beiden jetzt eigentlich schon unterwegs?« fragte Sharon, während sie in einem Buch las. Blake schaute aus dem Höhleneingang hinaus. Der Sturm legte sich langsam, am Nachthimmel waren keine Blitze mehr zu sehen. »Keine Ahnung.«

Sharon klappte ihr Buch zu. Sie konnte sich irgendwie nicht richtig darauf konzentrieren. Unsanft stopfte sie es in ihre neue, graue Tasche. Das war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie überhaupt eine Tasche brauchte. Wozu auch? Im Palast waren es ihre Bediensteten, die alles für sie schleppten. Was hätte sie jetzt nicht darum gegeben, daheim ein heißes Bad zu nehmen und danach in einem ihrer Seidennachthemden an ihrer Kommode zu sitzen und sich zu frisieren. Sharon dachte immer seltener an den Palast. Sie fühlte sich auch nicht mehr als Geisel von Blake und Zoran. Eigentlich war sie ihnen sogar fast ein bisschen Dankbar.

Als Kind hatte sie ihre Eltern oft angefleht, den Palast verlassen zu dürfen, ihren Vater auf seinen Reisen zu begleiten. Doch ihre Mutter hatte nur stets darüber gelacht. Was wolle sie denn da draußen? Die Welt wäre gar nicht so spannend.

Ihre Mutter. Sharon hatte von ihr nie viel Liebe erfahren. Sie hatte immer das Gefühl, als stünde sie im Weg. Zurückblickend betrachtet wunderte sie sich auch gar nicht darüber, dass ihre Mutter sie nach der Entführung möglichst lange fernhalten wollte. Sie hatte aber schon vor langer Zeit aufgegeben, darüber nachzudenken, wieso ihre Mutter so war. Und auch jetzt wollte sie keinen weiteren Gedanken an sie verschwenden.

Stattdessen richtete sie ihr Interesse auf Blake. Er wirkte geheimnisvoll und unnahbar, wenn er so schweigend in die Ferne schaute. In letzter Zeit erwischte sie sich immer häufiger dabei, wie sie ihn heimlich beobachtete. Seine ruhige, manchmal aufbrausende Art. Sein Mut und seine Kampflust. Ob sie wohl die Art Frau war, für die er sich interessieren würde? Oder gefiel ihm etwas anderes besser? Schweigend blickte Sharon in den Finsteren Gang, in dem Fay und Zoran vor einer gefühlten Ewigkeit verschwunden waren.
 

Zoran ließ den Blick nicht von der Kreatur ab, die über ihnen kreiste. Wenn die Flügel und die Raubvogelartigen Beine nicht wären, wäre sie eine wahre Schönheit gewesen. Braune Locken bis zu den Schultern, sinnliche Lippen und goldene, stechende Augen. Der Rest ihres Körpers war der einer Frau. Einer nackten Frau. Die Beiden waren zu unvorsichtig gewesen und noch bevor sie die Harpyie ausfindig machen konnten, hatte diese sie schon längst zu ihrer Mahlzeit auserkoren.

»Zoran? Wie gut stehen unsere Chancen?« »Gegen die da könnten wir es schaffen. Die Anderen dürften ein größeres Problem darstellen.« »Ich hatte befürchtet, dass du so was sagen würdest.« Die vielen Knochen konnten niemals von nur einer dieser Bestien sein, dachte Zoran. Irgendwo, tiefer in der Höhle, musste ihr Nest sein.

Plötzlich streckte die Harpyie ihre Krallen aus uns stürzte auf ihn herab. »Achtung!« Er und Fay sprangen auseinander. Die Krallen der Bestie bohrten sich in den Boden, auf dem sie eben noch standen. Zoran stand dicht an die Höhlenwand gepresst und suchte nach Fay. Diese war auf einen kleinen Felsvorsprung geklettert, der ihr etwas besseren Überblick verschaffte. Die Harpyie jedoch schien sich nur auf Zoran zu konzentrieren. Schreiend kam sie auf ihn zugeflogen, bereit dazu ihre spitzen Zähne in sein Fleisch zu bohren. Zoran hielt abwehrend die Fackel vor sich, was die Harpyie für einen kurzen Moment aufhielt. Genau in dieser Sekunde warf Fay einen großen Felsbrocken nach ihr. Sie hatte Glück und traf ihren Rücken. Zuckend lag die Harpyie nun vor Zorans Füßen. Er trat auf sie zu um ihr den Gnadenstoß zu geben, doch dann traf ihn der Blick ihrer Augen. Das sanfte Leuchten, wie flüssiges Gold, umfasste sein Herz und füllte es mit Wärme und Mitgefühl. Er war wie gefesselt und merkte nicht einmal, wie die Harpyie ihre Klauen hob, bereit, sie in seine Brust zu stoßen. »Zoran!« In letzter Sekunde schlitterte Fay, mit einem Messer in der Hand, neben ihn und rammte die Klinge ins Herz der Bestie. Nach einem Mark erschütterndem Schrein sackte das Biest in sich zusammen.

Zoran brauchte einen Moment um sich zu fangen. »Fay, ich... Ich hab keine Ahnung, warum ich nicht...« Fay grinste. »Ich schon.« Sie deutete auf den nackten Leib der Harpyie. »Du hast ihr auf die Brüste geglotzt.« Zoran schreckte auf. »Was? Nein! Ich hab nicht...« »Oh doch, ich hab es genau gesehen.« »Stimmt nicht, ich würde nie, also, so gucken.« Fay lachte laut auf. »Da denkt man, man schließt sich einem anständigen Kerl an und dann doch nur so was.« »Ich hab ihr da nicht hingestarrt!« »Zum Glück haben wir Winter und ich muss nicht Hitze bedingt freizügig gekleidet sein.« »Fay!« Lachend klopfte sie ihm auf die Schulter. »Ich mach doch nur Spaß.« Grummelnd stapfte Zoran an ihr vorbei und marschierte schnellen Schrittes weiter. Fay rannte ihm hinterher. »Jetzt komm schon, dass war doch nicht ernst gemeint!«
 

Blake schaute sich von seiner Position am Höhleneingang aus um. Es war ihm so, als würden sie von jemandem beobachtet werden. Er glaubte, einen Schatten im Wald gesehen zu haben. Es hätte auch ein Tier sein können, aber ein Gefühl in ihm sagte, dass es ein Mensch sein musste. Der Prinzessin sagte er nichts davon. Sie hätte nur wieder zu plärren angefangen.

»Was ist denn da draußen bloß so wahnsinnig interessant, dass du nicht mal für fünf Minuten für etwas anderes zu begeistern

bist?« Er rollte genervt mit den Augen. »Hier drin gibt es nichts was mich interessiert.« Konnte das kleine Biest nicht mal eine Sekunde still sein?

Da, schon wieder! Der Schatten schien sich zu nähern. Kampfbereit ertastete Blake langsam das Schwert an seinem Gürtel. Da begann der Boden unter seinen Füßen zu zittern. Rasch wurde das Zittern zu einem Beben. »Was ist denn jetzt los?« rief Sharon aufgeregt.
 

Fay und Zoran kauerten hinter einer Felssäule und betrachteten das Spektakel, dass sich vor ihnen abspielte. Sie waren in einer gigantischen, hell erleuchteten Höhle angekommen. In ihr war eine Ruine eines sehr alten Tempels. Und vor dem Altar steckte ein goldener Stab im Boden. Er über einen Meter lang und an seiner Spitze befand sich ei hellblauer Kristall. Ein heiliges Relikt. Nur zu gerne hätten die Beiden sich den Stab einfach genommen und wären damit zum Ausgang zurückgekehrt. Doch zuerst galt es einen Weg zu finden, die dutzenden von Harpyien zu überlisten, die um den alten Tempel herum nisteten. Die beiden wagten nur im Flüsterton miteinander zu reden. »Was denkst du, wie viele sind das?« Zoran suchte mit seinem geschärften Blick die Höhle ab. »Fünfzig, wenn nicht sogar mehr.« Er konnte Fay tief durchatmen hören. »Wir sollten vielleicht besser von hier verschwinden.« Sie schüttelte den Kopf. »Das kannst du vergessen, ich werde diesen miesen Schlampen da oben nicht einfach ein Relikt überlassen!« Grinsend schaute Zoran sie an. »Du bist wirklich ein waschechter Hunter.« Sie deutete mit dem Kopf auf einen schmalen Pfad einige Meter von ihnen entfernt. Wenn sie dicht genug am Boden blieben könnten sie vielleicht unentdeckt bis zum Altar vordringen.

Wortlos kletterten sie über die Felsen und krochen nahezu Geräuschlos vorwärts. Über ihnen konnten sie die Schwingen der Harpyien hören und das knacken von Knochen. Dann hörten sie etwas, von dem Zoran nicht einmal wusste, dass es möglich war. Die Harpyien begangen zu reden.

»Knochen, immer nur Knochen. Seit Wochen hatten wir kein Fleisch mehr!« hörten sie eine der Bestien. »Sei bloß still! Ich habe schon genug Hunger!« »Wenn wir nicht bald wieder einen Menschen zu packen kriegen, wird Aurora uns die Köpfe abreißen!« Zoran war erstaunt, wie lieblich ihre Stimmen im Vergleich zu ihrem schrecklichen Gekreische doch klangen. »Wer ist heute dran mit Jagen?« »Ich war erst gestern!« »Und ich erst vor drei Tagen!« stritten die Harpyien über ihren Köpfen. Fay und Zoran hatten bereits die Hälfte des Weges unentdeckt hinter sich gebracht. Stellte sich nur die Frage, wie sie unbemerkt den Stab aus dem Boden ziehen könnten. Plötzlich wurde es ruhig in der Höhle. Nichts war mehr zu hören. Kein Gekreische, kein Gerede. Fay und Zoran vernahmen nur noch das Geräusch von einem einzigen Paar Harpyien Schwingen. Sie mussten gigantisch sein. Fay wagte es ganz kurz aufzuschauen. Auf der Spitze des Altars hatte sich eine riesige Harpyie niedergelassen. Sie hatte langes, goldenes Haar. Aus ihren Flügeln ragten, anders als bei den anderen, zwei menschliche Arme. Dann begann sie mit butterweicher Stimme zu sprechen. »Wieso streitet ihr, meine schönen Schwestern?« Lauter Tumult war zu hören. Ein jede beschuldigte die Andere.

Fay und Zoran waren nun fast am Ende ihres Weges angekommen. Da wurde es wieder Still. Die große Harpyie hatte ihren Arm erhoben, deutete ihren Schwestern zu Schweigen. »Wieso sich die Mühe machen und extra hinausfliegen? Nehmen wir doch erst einmal die beiden Exemplare, die sich in unsere Mitte verirrt haben.« Fay und Zoran blieb nicht einmal eine Sekunde Zeit um zu realisieren, da wurden ihre Schultern schon von den massigen klauen der Harpyien gepackt. Sie wurden von den Bestien hochgehoben und direkt vor dem Stab fallen gelassen. Mühsam rappelten sie sich hoch. Zoran ballte die Fäuste. Fay zückte ihr Messer. Vor ihnen landete die blonde Harpyie. Sie war mehr als doppelt so groß wie die, die sie zuvor im Höhlengang erledigt hatten. Und die war schon beinahe so groß wie Fay. Zoran fing ruhig an zu sprechen. »Aurora, nehme ich an?« Die Harpyie lachte schrill auf. »So so, sieh an. Wir hatten schon lange keinen Besuch mehr hier.« Sie machte einen Schritt auf die beiden zu, doch die wichen zurück. »Lasst mich raten, ihr seid auch solche törichten Schatzjäger, die versuchen, an unser Relikt zu kommen.«

Sie deutete mit dem Kopf auf den Stab, doch weder Zoran noch Fay wagten es sich umzudrehen. Hinter Aurora waren die Schreie ihrer Harpyien Schwestern zu hören. »Töte die Menschen!« »Reiß ihnen das Fleisch von den Knochen!« Doch Aurora schrie nur wütend zurück. »Seit ruhig, ihr dummen Gänse! Das sind keine Menschen. Zumindest keine normalen.« Zoran und Fay warfen sich ganz kurz einen Blick zu, wandten sich dann aber wieder der Harpyie zu. Sie schaute sich zuerst Zoran ganz genau an. »Ich weiß nicht genau, WAS du bist, aber zumindest woher. Du kommst aus den nördlichen Gebirgen, das sieht man sofort. Und du...« sie wandte sich Fay zu. »Du kommst von der eisigen Ostinsel. Eine von den Verbannten, habe ich recht? Vor vielen hundert Jahren hatte ich das Glück, einen von euch kosten zu dürfen. Sein Fleisch war so zart wie kaum ein zweites.« Als sie Fay musterte fiel ihr Blick auf das Messer in ihrer Hand. Schreiend wich sie zurück. »Blut! Das Blut meiner Schwester klebt an deinem Messer! Du hast eine meiner Schwestern getötet. BRINGT SIE UM!«

Zoran ballte Kampfbereit die Fäuste. Er wusste, dass sie keine Chance hatten, gegen alle Harpyien zu gewinnen. Die Bestien erhoben sich von ihren Plätzen, breiteten die massigen Flügel aus und rasten auf sie zu, bereit zu töten. Plötzlich spürte er ein leichtes beben unter den Füßen. Es wurde stärker und stärker. Dann viel ein Felsbrocken von der Decke, viel auf eine der Harpyien hinab und begrub sie unter sich am Boden. Aufgeregt verharrten die Harpyien in der Luft. Weitere Felsbrocken stürzten herab, erschlugen die Bestien oder verletzten sie. Auch Aurora wurde von einem von ihnen am Kopf erwischt. Reglos lag sie nun vor ihnen. Verwirrt schaute Zoran sich um, bis sein Blick auf Fay haften blieb.Ihr Blick war konzentriert und gleichzeitig völlig leer. Unter ihrem schwarzem Haar konnte er sehen, wie ihr Stigma grün aufleuchtete. »Fay?« »Der Stab.« »Was?« »Hol den Stab.« Nach kurzem zögern ergriff Zoran den goldenen Stab und zog ihn mit einigem Kraftaufwand aus dem Boden. Dabei musste er aufpassen, dass er nicht selber von einem Felsbrocken getroffen wurde. »Ich hab ihn.« Fay's Stigma hörte augenblicklich auf zu glühen. Ihr Blick war wieder klar. Das Beben hatte aufgehört. Trotzdem vielen immer mehr und immer größere Felsbrocken von der Decke hinab. Sie hatten nun beinahe alle Harpyien unter sich begraben. Zoran fürchtete, dass diese nicht einzigen bleiben würden. »Zoran?« »Ja?« »Weißt du, ich habe diese Art von Kraft noch nicht so ganz unter Kontrolle.« Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. »Soll heißen?« »Lauf!« Zoran zögerte keine Sekunde und er und Fay spurteten los in Richtung des Ausgangs. Immer wieder mussten sie ausweichend zur Seite springen oder sich in letzter Sekunde wegducken. Als sie den dunklen Gang erreichten blieb ihnen keine Zeit durchzuatmen. Die gesamte Höhle schien ihre Struktur verloren zu haben, denn auch der Gang begann einzustürzen. Zoran schnappte sich die Fackel, die er in die Felswand gesteckt hatte und sie rannten den Gang entlang. Hinter ihnen krachte die Decke der Höhle unter tosendem Lärm ein. Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie vorher unterwegs waren, wie lang der Gang sein würde. Zoran fürchtete schon das schlimmste, als er endlich einen blassen Lichtschein vernahm, das Ende des Ganges. »Blake? Sharon?« »Ja?« »Raus hier!« Ohne weiter zu fragen schnappte sich Blake alles was er greifen konnte und warf es aus dem Höhleneingang. Sharon schnappte sich ihre Tasche und flüchtete ebenfalls nach draußen. Kurz bevor sie den Ausgang erreichte packte auch Fay ihren Rucksack und in allerletzter Sekunde schafften sie und Zoran es hinaus ins freie. Hinter ihnen krachte die Höhle zusammen. Die Spitze des Felshügels war ebenfalls in sich zusammengefallen. Die vier Gefährten standen im Regen, Fay und Zoran schwer atmend. Die Fackel war im Regen ausgegangen.

»Was um alles in der Welt habt ihr da drin denn gemacht?« Zoran und Fay schauten sich schwer atmend an. »Fay hat mir ihre Fähigkeiten als Hunter unter Beweis gestellt.« Zoran hielt den goldenen Stab in die Höhe. Er wollte gerade anfangen zu erzählen, als es hinter ihnen laut krachte. Aurora, die größte der Harpyien, breitete ihre Schwingen im verregneten Nachthimmel aus. Auf ihrer Stirn klaffte eine riesige Wunde. »DU! Mädchen aus der alten Zeit! Das wirst du mir büßen!« Pfeilschnell flog sie, zum Angriff bereit, auf Fay zu. Doch plötzlich mitten in der Luft, blieb sie stehen, Ein unerträglicher Schrei entfuhr ihr. Sie krümmte sich und viel vor ihnen zu Boden. In ihrer Brust steckte eine Bronzener Wurfstern. Jemand hatte sie attackiert. Doch war es keiner der vier Gefährten gewesen. Blake zog sein Schwert. »Vorsicht! Das muss der Schatten sein!« Blake, Fay und Zoran stellen sich Rücken an Rücken um Sharon, die gar nicht wusste, was um sie herum geschah. Zoran warf ihr den goldenen Stab zu. »Hier, pass' drauf auf!« Fay spannte ihre Kristallschnur um die Finger. Zorans Blick schweifte Aufmerksam umher. Wie aus dem Nichts tauchte Blitzschnell ein Schatten auf, zog den Wurfstern aus der toten Harpyie, sprang in die Luft und landete auf einem Felsvorsprung. »Wer bist du?« rief Fay. Keine Antwort. Er trug einen dunkelgrauen Mantel mit einer Kapuze. Er streckte seine Hand in Richtung Sharon aus und deutete auf den Stab in ihren Händen. »Er will das Relikt.« flüsterte Fay. Er hob seinen Kopf und soweit, dass er die vier gut im Blick hatte. Zoran konnte einen Blick auf seine Augen erhaschen. Sie waren silbergrau und eiskalt. Dann plötzlich steckte er den Wurfstern weg und zog drei Flugblätter aus der Tasche. Er musterte die Zettel ganz genau. Dann warf er sie ihnen zu Füßen, sprang wieder in die Luft, über sie hinweg und verschwand beinahe Geräuschlos im Wald.

Kapitel Neun

~Kapitel Neun~

Kayt stand auf der Palastmauer und schaute in die Ferne. Am Horizont würde es düster. Nicht mehr lange und im Osten würde der Winter beginnen. Er dachte an Fay. Die ganze Situation gefiel ihm überhaupt nicht. Schlimm genug, dass sie alleine in den Wäldern herumzog. Aber sich dann ausgerechnet den Entführern der Prinzessin anschließen?

»Herr General?« Er drehte sich um. Hinter ihm stand eine der Palastwachen und salutierte vor ihm. »Ihre Majestät, die Königin erwartet sie in ihrem Arbeitszimmer. Sie lässt ausrichten, es sei von größter Dringlichkeit.« Etwas besorgt machte er sich auf den Weg. Was ihre Hoheit wohl von ihm wollte? Vermutlich hatte sie noch einige Fragen bezüglich ihrer Tochter.

Nachdem er den halben Palast durchquert hatte, stand er vor ihrer Tür. Er atmete einmal tief durch und klopfte. »Herein?« Kayt öffnete die Tür und betrat das Arbeitszimmer der Königin. Es war sehr groß, mit weißen Möbeln ausgeschmückt und von vielen kleinen Kronleuchtern erhellt. An den Wänden hingen Gemälde von ihr und dem König. Ihre Hoheit saß hinter ihrem Schreibtisch, vor sich ein großes Buch. »Ihr wolltet mich sprechen, eure Hoheit?« Er machte eine kleine Verbeugung. Mit ihrem gewohnt falschem Lächeln und einer Handbewegung schickte sie die Wachen hinaus. »Ich würde gerne mit dem General allein ein Wörtchen reden.« Die Wachen salutierten und verließen den Raum. Sobald die beiden alleine waren, änderte sich das Gesicht der Königin schlagartig. Das falsche Lächeln verschwand. Ihre Augen wirkten Eiskalt. Ihre Miene verfinsterte sich. Sie schlug das Buch auf ihrem Schreibtisch zu, griff in eine Schublade und holte eine Schriftrolle hervor. Sie stand auf und reichte ihm das Schreiben. »Das hier hat mich vor wenigen Stunden erreicht. Du bist mir eine Erklärung schuldig!« Kayt entrollte das Schriftstück. Das Erste was er sah, war ein kleiner, schwarzer Skorpion, der in die untere Rechte Ecke eingezeichnet war. »Eine Nachricht vom Assassinen?« »Du hast mir etwas wichtiges verschwiegen, Kayt. Du sagtest, sie sei mit ihren zwei Entführern unterwegs.« »Ja, das sagte ich.« Ihre Hoheit trat hinter dem weißen Schreibtisch hervor. Sie deutete auf das Schreiben in seiner Hand. »Er hat sie gesehen. Lies, was da steht.« Kayt entrollte das Schreiben. »... war in Begleitung der beiden Steckbrieflich gesuchten und...« er stockte. »Lies weiter.« »...und einer jungen Frau mit schwarzem Haar und einem schwarzem, gewundenem Stigma neben ihrem rechten Auge, das eindeutige Merkmal eines Antika.« Die Königin verschränkte die Arme. »Hast du davon gewusst?« Er strich sich mit der Hand durch seine Haare. »Ja. Ich wusste es. Ich hatte nur gehofft, dass es nur eine zweckmäßige Gemeinschaft war und sie sich schon längst wieder von ihnen getrennt hätte.« Königin Nigra schüttelte mit dem Kopf. »Bist du dir im Klaren darüber, was passiert, wenn der König davon erfährt? Wenn er erfährt, dass dein Schützling mit den Entführern von Sharon unter einer Decke steckt?« »Ich fürchte ja.« »Du weißt, dass er keine Ahnung hat, dass sie seit Jahren in der Weltgeschichte unterwegs ist und da wer weiß was tut!« Sie war ihm jetzt so nah, dass sie bloß zu Flüstern brauchte, damit er sie verstand. »Der König wird denken, sie war an der Entführung beteiligt. Dann gerätst du in absolute Schwierigkeiten. Und dann wird zweifelsohne irgendwann ans Licht kommen, dass ich die Suche nach Sharon quasi auf Eis gelegt habe.« Er ahnte, was als nächstes kommen würde. »Kayt, du musst sie irgendwie ausfindig machen und dein Mädchen zurück holen, bevor mein Mann davon erfährt!« Er seufzte. Was hast du da bloß angestellt, Kleines.
 

Die ersten seichten Schneeflocken fielen vom Himmel, als die kleine Gruppe ein Dorf erreichte. Sie mieteten für die Nacht vier kleine Zimmer in einem Gasthaus an. Nachdem sie gegessen hatten, gingen sie zunächst in Fay's Zimmer um die weiteren Pläne zu Besprechen. Zoran, Fay und Sharon saßen auf dem Teppich um eine Landkarte herum, Blake hatte es sich auf Fay's Bett gemütlich gemacht. »Mach es dir ruhig bequem Blake. Es ist auch nicht nötig, dass du deine dreckigen Schuhe ausziehst, bevor du in meinem Bett liegst.« Blake grinste. »Zu freundlich von dir.« »Leute, dafür haben wir jetzt keine Zeit, wir haben ein ernstes Problem.« Zoran zog die drei Zettel aus der Tasche, die der graue Schatten vor ihre Füße geworfen hatte, und breitete sie auf dem Teppich aus. Auf ihnen waren Zeichnungen zu sehen. Von Blake, Zoran und Sharon.

»Leute, ihr drei steckt echt in verdammt großen Schwierigkeiten!« Fay las noch einmal vor, was unter den Bildern stand.
 

GESUCHT: TOT ODER LEBENDIG

(Name Unbekannt)

Wegen: Entführung eines Mitglieds der königlichen Familie

Ausbruch aus Verlies des Palastes

Angriff auf Palastwachen

Diebstahl eines Palastpferdes

Versuchter Diebstahl persönlichen königlichen Eigentums

Kopfgeld: 500 Goldstücke
 

GESUCHT: TOT ODER LEBENDIG

Blake

Wegen: Entführung eines Mitglieds der königlichen Familie

Ausbruch aus Verlies des Palastes

Angriff auf Palastwachen

Diebstahl eines Palastpferdes

Versuchter Diebstahl königlichen Eigentums

Kopfgeld: 300 Goldstücke
 

GESUCHT: LEBENDIG

Prinzessin Sharon Alleah Alessia Julie

Die Prinzessin wurde von zwei Flüchtigen Verbrechern als Geisel genommen. Wer die Prinzessin unversehrt in den Palast zurückbringen kann erhält eine Belohnung.

Belohnung: 250 Goldstücke
 


 

Sharon verschränkte die Arme und grummelte. »Nur zweihundertfünfzig Goldstücke, ist das zu fassen? Für euch beide bekommt man mehr als das Doppelte!« Blake grinste. »Könnte das eventuell daran liegen, dass die im Palast dich gar nicht zurück wollen? Ich meine, dein toller General hat es ja schon sehr deutlich gemacht damals.« Zoran schaute Blake vorwurfsvoll an. »Was denn? Ich sage nur die Wahrheit.« »Du brauchst gar nicht so gelassen da zu liegen, du steckst genauso in Schwierigkeiten. So viele Goldstücke, oh Junge, da werden wir noch verdammt viel Ärger mit bekommen.« Sharon schaute abwechselnd Fay und Zoran an. »Wohin gehen wir als nächstes? Wenn ich euch richtig verstanden habe, dann können wir nicht mehr über die Bergpässe, richtig?« Sharon zeigte auf den markierten Punkt auf der Karte. Fay schaute konzentriert auf die Karte. »Nein, das ist jetzt nun wirklich nicht mehr möglich. Dabei wären wir in nicht einmal einem Monat dort angekommen. Aber bis dahin wird der Pass schon fast komplett eingeschneit sein.« »Können wir es nicht einfach riskieren?« Allgemeines Kopfschütteln. »Wir würden uns nur verlaufen und elendig erfrieren.« Zoran studierte ebenfalls die Karte. Dann legte er seinen Finger auf den Punkt, an dem sie sich gerade befanden. »Hier sind wir im Moment. Wir kommen von Westen. Nach Norden ist bei dem Wetter keine Option und zurück können wir auch nicht. Uns bleibt also nur der Weg nach Süden.« Fay setzte sich nervös von einem Bein auf das andere. »Was ist los?« »Der Süden ist fast nur Wüstengebiet. Es wird schwer sein, dort Schutz zu finden, es gibt kaum Versteckmöglichkeiten, wie Wälder oder Gebirge.« Vom Bett konnten sie ein abfälliges Schnaufen vernehmen. »Du hast doch vor etwas ganz anderem Angst, Antika.« Wütend schloss Fay die Augen und atmete tief durch um sich etwas zu beruhigen. »Würdest du damit aufhören, mich andauernd so zu nennen?« »Das ist genau das, was du bist.« Sie ballte die Fäuste, doch Zoran legte eine Hand auf ihre Schulter und versuchte sie so etwas zu besänftigen. »Wir wissen glaube ich alle, was es mit dem Süden noch auf sich hat.« Offenbar alle, bis auf Sharon. »Was ist denn im Süden?« Wieder ein abfälliges Schnaufen. »Der Süden steht beinahe Komplett unter der Kontrolle von Kayt. Soweit ich weiß befindet sich da auch seine Festung.« Sharon nickte langsam. »Und Norden ist keine Option?« Jetzt war es Zoran, der die Fäuste ballte. »Im Norden hält sich Duke auf.« »Und ich hasse Eis und Kälte!« Zoran schenkte Blake nur einen abfälligen Blick.« Sharon ergriff das Wort. »Also, vor General Duke habe ich ja schon irgendwie Angst. Er machte auf mich immer den Eindruck, als ob er jeden Moment völlig ausrasten würde und den Palast auseinander nimmt, egal weswegen.« Blake richtete sich auf. »Sowohl der Süden als auch der Norden sind für uns gefährliche Gebiete, die wenig Raum für Verstecke bieten. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen Kayt und Duke, dann wähle ich Kayt. Ich meine, zur Not haben wir Fay als Schutzschild.« Zoran wollte protestieren, doch Fay hielt ihn zurück. »Er hat ja recht.« »Also, wir gehen in Richtung Süden?« Alle nickten. Blake stand auf. »Gut, dann wäre das ja geklärt. Ich geh jetzt schlafen. Wir sehen uns bei Sonnenaufgang unten in der Halle.« Mit diesen Worten stapfte Blake hinaus. »Ich gehe auch ins Bett, ich bin Todmüde. Gute Nacht.« »Ich lasse dich dann auch mal allein. Bis morgen.« Zoran schloss die Tür hinter sich und ließ Fay alleine zurück.

Es war mitten in der Nacht, als Fay wach wurde. Sie hörte, wie eine Tür sich öffnete und hörte Stimmen auf dem Flur. Waren das Soldaten? Oder Kopfgeldjäger? Hatte man sie bereits gefunden? Leise stand Fay von ihrem Bett auf und bewegte sich beinahe Geräuschlos durch das Zimmer. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen winzigen Spalt. Doch sie sah keine Soldaten oder Kopfgeldjäger. Ein einzelner Mann stand, mit dem Rücken zu ihr, auf dem Flur. Er war gut gekleidet und unterhielt sich mit jemandem, allerdings konnte sie weder sehen mit wem, noch konnte sie den anderen verstehen. Doch die Wortfetzen die sie mitbekam, waren sehr eindeutig. »Du bist dein Geld wirklich wert... komme wieder, wenn du mal in der Gegend bist... zahle extra für Diskretion...« Fay rollte mit den Augen. Es schien so, als würde auf diesem Flur eine Hure ihre Geschäfte machen. Sie musste sich die Hände vor den Mund halten, als der Mann zur Seite trat und sie Blake erblickte. Obenrum unbekleidet, nur in seiner Schwarzen Hose stand er in der Tür, zählte das Gold nach, was der Mann ihm in die Hand gedrückt hatte und verschwand lächelnd in seinem Zimmer. Leise schloss Fay wieder die Tür. Sie wusste nicht, wie sie mit dieser Erkenntnis umgehen sollte. Blake, eine männliche Hure. Für Männer. Für Geld. Natürlich für Geld, wofür auch sonst. Fay setzte sich wieder auf ihr Bett, an schlafen war jedoch nicht zu denken. Blake hatte also auch so seine Geheimnisse. Genau wie Zoran und sie. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr bewusst, dass sie so gut wie keine Ahnung hatte, mit wem sie da eigentlich reiste. Auf einmal vernahm sie ein Rumpeln über sich. Sie schlief im zweiten Stock, das Geräusch musste vom Dach kommen. Genervt zog sie sich ihren Mantel und ihre Schuhe an. Dann steckte sie ihr kleines Messer in die Manteltasche und ging zum Dachfenster. »Wehe, da sitzt jetzt noch eine Hure auf dem Dach!« sprach sie zu sich selbst. Blitzschnell öffnete sie das Fenster und sprang hinaus auf die Dachschräge. Doch den einzigen, den sie dort vorfand war Zoran. »Tut mir leid, habe ich dich geweckt?« Erleichternd aufatmend stecke sie ihr Messer weg und setzte sich neben ihn. »Nein, schon gut, ich war schon wach.« Zoran kam ihr ein Stück näher. »Du siehst verwirrt aus. Ist was passiert?« Sie schüttelte mit dem Kopf. »Nein, nicht wirklich. Wir alle haben unsere Geheimnisse.« Jetzt war es Zoran, der verwirrt dreinschaute. »Was machst du überhaupt mitten in der Nacht auf dem Dach? Und das bei dieser Kälte?« Lächelnd schaute er in die Ferne. »Ich versuche meine Gedanken zu sammeln.« »Was für Gedanken?« Er schaute sie an. »Zum Beispiel, wieso du mit uns reist.« »Wie meinst du das?« »Jetzt mal ganz ehrlich, Fay. Du weißt, dass wir gesuchte Verbrecher sind, derzeitig wohl die Meistgesuchten des ganzen Landes. Blake beleidigt dich die ganze Zeit, Sharon zickt dich nur an und du gerätst mit uns unnötig in Gefahr.« Sie lächelte. »Ich weiß selber nicht genau, wieso ich bei euch bleibe. Irgendwie habe ich das Gefühl, wir sitzen in demselben Boot.« »Wer, du und wir? Du warst doch gar nicht an der Entführung beteiligt.« Fay schaute Zoran in die Augen. »Nein, du und ich.« »Du und ich?« »Irgendwie schon.« Zoran musste lächeln. »Wieso das?« Sie zuckte mit den Schultern. »Schau uns doch an. Egal wo wir hinkommen, wir werden doof angestarrt. Wir sind einfach nicht wie die anderen. Ich weiß auch nicht. Mir kommt es so vor, als würdest du mich verstehen.« Zoran legte sich auf das Dach und starrte in den Nachthimmel. »Ja, stimmt. Irgendwie hast du recht. Wir sind wirklich nicht wie die Anderen. Wobei, ich glaube, Sharon ist auch kein normaler Mensch. Vielleicht eine Miege.« »Was ist denn eine Miege?« »Na ja, halb Mensch, halb Ziege.« Laut lachend legte Fay sich neben Zoran. »Sag mal Zoran, was bedeutet 'Versuchter Diebstahl persönlichen königlichen Eigentums'?« Sie konnte hören wie Zoran tief durchatmete. Dann strich er sich mit der Hand durch sein Haar. »Es bedeutet, dass ich angeblich versucht habe etwas zu stehlen, was sich nicht in der Schatzkammer des Palastes befindet, sondern in dem persönlichen Besitz eines Mitglieds der Königsfamilie.« »Und was genau?« Er seufzte. »Königin Nigra behauptete, ich hätte ihr etwas gestohlen, was aber schon seit Jahren in meinem Besitz ist.« »Und was genau?« Er hob seine Hand zu seinem Hals und zog eine Kette hervor. An ihr hing ein Ovaler, dunkelblauer Kristall. »Nigra will diese Kette unbedingt haben und als sie es nicht geschafft hatte, sie mir abzunehmen, ließ sie mich in den Kerker werfen. Sie hätte sich die Kette dann einfach nach meiner Hinrichtung unter den Nagel gerissen.« Fay nickte Verständnisvoll. Dann begutachtete sie den Anhänger etwas genauer. »Ist das eine Reliquie?« »Darüber rede ich nicht so gerne.« »In Ordnung. Darf ich doch noch etwas fragen?« Zoran schüttelte den Kopf. »Zuerst bin ich wieder dran.« Lächelnd nickte Fay ihm zu. »Da wir uns jetzt in südliche Richtung Begeben, muss ich dich das fragen.« Fay wartete ab. »Wie genau hat Kayt dich damals gerettet?« »Ich wusste du würdest mich irgendwann fragen.« »Du musst nicht antworten.« »Ich antworte, wenn du es niemanden erzählst.« Zoran machte ein Kreuz über seinem Herz und hob die Hand zum Schwur. Fay setzte sich auf. »Wo soll ich anfangen?« »Wo du willst.« Einmal tief durchatmend begann Fay ihre Geschichte zu Erzählen.

»Du weißt ja schon, dass ich geopfert werden sollte, als ich drei Jahre alt war und dass er mich davor gerettet hat.« »Wie hat er das gemacht?« »Er war bereits auf dem Festland gewesen und hatte sich Sorth angeschlossen, aber das ist ja bekannt. Als er wiederkam stand meine Opferung unmittelbar bevor.« »Für das bessere Wetter.« Fay seufzte. »Ja. Keiner wollte sich die Hände an mir schmutzig machen und riskieren, dass mein 'Fluch' auf ihn überging. Kayt hat damals wohl Mitleid mit mir gehabt. Er hat mal gesagt, er hat sich selbst in mir gesehen.« Zoran lausche gebannt. »Er sagte, er würde es tun. Also, mich opfern.« »Aber er hat es nicht getan.« Sie schüttelte den Kopf. »Er bekam von Sorth die Erlaubnis einen einzigen Antika zu retten. Das hatte er aber eigentlich gar nicht vor.« »Und trotzdem hat er es getan.« Fay lächelte. »Am Tag meiner Opferung bekam er ein Messer, welches er mir ins Herz stechen sollte.« »Hast du dich damals nicht gewehrt?« »Ich war erst drei Jahre alt. Ich wusste, es würde etwas schlimmes passieren. Doch ich wusste es nicht genau. Jedenfalls hat er mich dann auch zur Opferstelle gebracht.« »Meinst du, er hatte erst vor, dich wirklich zu töten?« Fay fuhr sich mit der Hand durch die schwarzen Haare und berührte dann ihr Stigma. »Nein. Er setzte mich auf den Opferaltar und sprach zu mir. Er sagte, dass ich ihm gut zuhören soll. Er würde mich in das große Land mitnehmen und ich würde die anderen Antika nie wieder sehen. Dann sagte er mir, dass es gleich sehr laut werden würde. Aber egal was passiert, ich dürfe nicht zurückschauen. Er hat mich auf den Arm genommen und ist mit mir davongegangen. Und dann hörte ich Lärm. Ich glaube, das waren die Soldaten, die an uns vorbei in das Dorf gestürmt sind. Ich hörte das scheppern von Schwertern und Speeren. Und Schreie, viele schmerzvolle Schreie. Aber ich habe die Augen ganz fest verschlossen. Und ich machte sie erst wieder auf, als wir bereits auf dem Schiff waren, auf dem Weg in mein neues Leben.« »Einen Moment mal kurz, mir fällt da was auf.« Fragend legte Fay den Kopf schief. »Kayt war bereits ein erwachsener Mann, als er dich rettete.« »Ja.« »Und das ist achtzehn Jahre her.« Sie nickte. »Das kann doch gar nicht sein, dann müsste er ja schon irgendwas um die Mitte vierzig sein. Er sieht aber aus als wäre er nicht einmal dreißig! Wie kann das denn sein?« Fay kicherte. »Wir Antika werden etwas um die fünfhundert Jahre alt.« »Oh, ach so. So ein Klan seit ihr also. Dann kann es also durchaus sein, dass er schon vierzig oder fünfzig ist, richtig?« »Hundertzwanzig.« Zoran starrte sie mit großen Augen an. »Was bitte?« »Kayt ist hundertzwanzig Jahre alt.« »Ach so, na gut. Sind ja nur schlappe achtzig Jahre vorbei geschätzt.« Fay lachte auf. »Wir altern erst wenige Jahre vor unserem Tod. Also, viel mehr wird bei mir auch nicht mehr passieren.« Zoran lächelte sie an. »Was ist?« Er schüttelte grinsend den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, ich sei schon irgendwie besonders. Aber du kommst ziemlich nah dran.« Beide mussten lachen. »Darf ich jetzt meine Frage stellen?« Er nickte nervös. Fay tippte mit dem Finger auf seinen Oberarm. »Ich weiß noch immer nicht, ob das ein Tattoo oder ein Stigma ist.« Zoran schaute zum Horizont. »Es ist ein Stigma.« »Was kann es?« »Das willst du lieber nicht wissen.« Aus den Augenwinkeln schaute Zoran sie nun etwas misstrauisch an. »Und du bist wirklich erst einundzwanzig?« »Noch.« »Soll heißen, du hast bald Geburtstag?« »Ja.« »Und wann genau?« Jetzt war Fay es, die in die Ferne blickte. »Sobald die Sonne aufgeht.« »Wollen wir zusammen hier oben warten?« Fay lächelte. »Ja, das würde mich sehr freuen.«
 

Schweigend stand Kayt am Fenster seines Arbeitszimmers im Palast. Die Fenster waren geöffnet, er brauchte etwas frische Luft. In der Hand hielt er die Nachricht des Assassinen. Doch er schaute nur aus dem Fenster in die Ferne. Der Nachthimmel über ihm war noch dunkel, doch in der Ferne dämmerte es langsam. Er dachte an die Zeit zurück, bevor er sich Sorth anschloss. An die Wut auf sein eigenes Volk, die sein Herz noch immer fest umschloss. Ihre Dummheit, ihre ungebildete Art mit den Problemen umzugehen, ihre unermessliche Arroganz und ihr falscher Stolz auf etwas, was sie sich einbildeten zu sein. Er hasste sein Volk noch immer, jeden einzelnen von ihnen. Dann sah er ihre leuchtend grünen Augen vor sich und hörte ihr herzliches Lachen. Er schloss die Augen und sah sie vor sich. Nicht das kleine Mädchen, dass er einst vor ihrem Schicksal bewahrte und das davonlief, als es zwölf war. Welches er nie wieder sehen würde. Sondern die junge Frau, die sechs Jahre später vor ihm stand. Der feste Blick, das selbstbewusste Auftreten. All die Lebenserfahrungen, die ihr nun ins Gesicht geschrieben standen. Sie war keine von ihnen. Sie war nicht so dumm und arrogant. Sie war der Antika, nach dem er sein Leben lang gesucht hatte. Langsam öffnete er die Augen. Die Sonne zeigte ihre ersten Strahlen am Horizont. Zweiundzwanzig.

Kapitel Zehn

~Kapitel Zehn~

Sharon hüllte sich noch tiefer in ihren Mantel ein. Ihre Zähne klapperten und ihre Hände taub vor Kälte. Fest umklammerte sie den Stab, den Fay und Zoran aus dem Harpyien-Nest hatten mitgehen lassen. Zehn Tage zuvor beschlossen sie nach Süden zu ziehen. Seit fünf Tagen viel der Schnee massenhaft und ununterbrochen aus sie herab. Ununterbrochen. Und als ob das nicht schon gereicht hätte, waren die Soldaten näher an ihnen dran, als erwartet. Sie waren gezwungen nun andere Wege zu gehen. Wege, die keine Spuren hinterließen, wortwörtlich. Doch bei dem dichten Schneefall blieb ihnen kaum eine Möglichkeit. Nur eine Einzige war es, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit gab.

Die Flüsse waren noch nicht vereist, wie Blake am Vortag bemerkte. Sie beschlossen ein Floß zu bauen und eine Weile auf dem Wasser weiterzureisen. Doch das Holz was sie fanden reichte gerade mal für ein kleines Floß für zwei Personen. Und es auf dem Fluss nur mit einem Paddel zu steuern wäre niemals möglich gewesen. Es blieb nur die Möglichkeit, das Floß vom Wasser aus zu schieben. Und da Sharon nie gelernt hatte zu Schwimmen und Blake schon beim bloßen Anblick von Schnee zu bibbern begann, fiel das bittere Los auf Zoran und Fay.

»Könnt ihr zwei nicht etwas schneller schieben?« meckerte Blake vom vorderen Teil des Floßes. »W-w-wie wäre es, wen d-d-du ins Wasser kommst u-und wir uns in deinen dicken Mantel einhüllen und k-k-k-k-kommandieren?« Sharon traute sich nicht etwas zu sagen, denn aus den Augenwinkel hatte sie schon mehrere Male beobachtet, wie Fay mit bösen Blicken versuchte, Zoran davon abzuhalten, das Floß einfach umzuwerfen. Sie schaute nach Osten. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch in der Ferne begann es langsam zu dämmern »Stellt euch mal nicht so an.« raunte Blake im höhnischen Ton. »So kalt ist das Wasser auch nicht.« Plötzlich stoppte das Floß mit einem gewaltigen Ruck. »Was w-w-war das?« fragte Fay, die durch den Nebel und die Dunkelheit nicht viel sehen konnte. Sharon reckte ihren Hals und starrte angestrengt durch den Nebel. »Ich glaube, ihr habt eine Eisscholle gerammt.« Sie war nicht sicher, ob Zoran vor Kälte zitterte oder vor Zorn bebte. »Sag mal, Blake,« begann er ruhig »wenn i-i-ich mich richtig Erinnere, d-d-dann sitzt du da v-vorne, weil d-du uns f-führen solltest.« Sharon befürchtete, dass die Situation eskalieren würde. Schon seit Tagen war die Stimmung angespannt. Sie vermutete, dass es an ihrer ernsteren Situation lag. Und an der Kälte. Verzweifelt schaute sie sich um. Dann erblickte sie in der Ferne einen kleinen Hoffnungsschimmer. Vorsichtig wandte sie sich an Fay. »Ich glaube, der Fluss führt, noch ein Stück weiter abwärts, in einen Wald. Meint ihr, ihr schafft es noch bis dort? Vielleicht könnten wir dort vom Floß runter und zu Fuß weiter.« Fay nickte hastig. »Ja, ich k-k-kenne diesen Wald, e-er ist sehr

d-d-dicht.« Zoran nickte stumm. »Na dann, strampelt mal los!« Blake lehnte sich ein Stück vor und zerstieß die Eisscholle mit einem seiner Dolche und Sharon sah, wie Fay es so gerade noch schaffte, Zoran davon abzuhalten, dass Floß anzuheben um Blake ins Wasser zu werfen.

Es war bereits hell, als sie glaubten, tief genug im dichten Wald zu sein, ohne entdeckt zu werden. Das Floß zogen sie aus dem Wasser und trugen es eine Weile mit sich herum, ehe sie es mitten im Wald zerstörten. Auf ihrem Weg waren sie bedacht darauf, nur auf herausragende Baumwurzeln und umgeknickte Stämme zu treten, um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Doch es fiel so viel Schnee, dass ihr Spuren schnell bedeckt waren und sie irgendwann auf dem Boden weitergingen. Sie mussten eng beieinander gehen um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Der Wald war stark verwildert und die dicken Schneeflocken behinderten ihre Sicht. Sie liefen bis tief in die Nacht hinein. Es war Zoran, der, einen sehr alten, offenbar verlassenen, Hof fand. In einer alten, leeren Scheune, machten sie es sich bequem.

In dicke Decken gehüllt saßen sie nun um ein prasselndes Feuer und tranken so etwas wie einen Tee, den Sharon zusammengebraut hatte. Das Holz brachen sie aus einem alten, kaputten Heuwagen, der in einer Ecke stand. Fay und Zoran waren in ihre dicken Mäntel gehüllt. Ihre Kleidung war noch immer nicht komplett getrocknet. »Danke für den Tee, Sharon. Er schmeckt zwar nicht besonders, aber er tut wirklich gut.« Fay nahm noch einen großen Schluck. Sharon merkte, wie sie rot anlief. »Na ja, in meinem Buch steht, dass diese Kräuter sehr gesund sind und einem Kraft geben, vor allem im Winter.« Zoran grinste. »Du scheinst das Buch ja fleißig gelesen zu haben.« Sie nickte hastig. »Ja, ich weiß auch nicht, aber ich finde es unheimlich spannend. Wisst ihr, im Palast, wenn ich mal krank war, dann musste ich teure, ekelhafte Medizin nehmen. Eine Dienerin erzählte mir mal, dass die Zutaten dafür aus den hintersten Winkeln auf der ganzen Welt zusammengetragen werden. Aber, in dem Buch steht, dass man hier überall Zutaten finden kann, die genauso gut sind. Also...« Sharon hörte auf zu reden, als sie sah, wie Zoran und Fay sich angrinsten. »Tut mir leid, ich rede gerade ein bisschen viel, oder?« Fay schüttelte den Kopf. »Nein, gar nicht. Ich finde es gut, dass du etwas gefunden hast, was dich interessiert. Vielleicht könntest du ja noch ausbauen und unsere Kräuterfrau werden.« »Gute Idee, es wird sowieso Zeit, dass Sharon mal eine gescheite Aufgabe bekommt.« Sharon fühlte sich etwas geschmeichelt. In letzter Zeit hatte sie ein immer größer werdendes schlechtes Gewissen bekommen. Sie konnte weder Kämpfen noch wusste sie sich in der Wildnis zu helfen. Sie kam sich nutzlos vor, wie ein Klotz am Bein. Doch die Aussicht, eine sinnvolle Aufgabe, wenn auch eine kleine, zu bekommen, erleichterte ihr Herz ein wenig und machte sie auch ein bisschen Stolz. Aus der Ecke konnten sie ein verächtliches Schnauben hören. Blake saß, wie üblich in letzter Zeit, Abseits von ihnen. »Was ist los mit euch? Sie hat bloß ein Kräuterbuch gelesen und ein ekliges Gebräu gemischt und schon ist sie eine Expertin?« Zoran stellte seinen Becher ab. »Im Gegensatz zu gewissen anderen hier, versucht sie wenigstens etwas beizusteuern.« Panisch blickte Sharon umher. »Nein, wartet, bitte streitet nicht wegen mir.« Fay seufzte genervt und blickte auf ihren fast leeren Becher. »Klarer Fall von Hüttenkoller.« »Keine Sorge Sharon, der geht mir schon seit längerem gehörig auf den Geist!« »Wenn es dir nicht passt, was ich zu sagen habe, können wir das auch anders klären.« Zoran sprang wütend auf und warf dabei seinen Becher um. Der letzte Rest seines Kräutertees lief über den Boden. »Jungs, bitte, reißt euch zusammen!« »Mit dir hat keiner geredet, Antika!« »Ich hab dir gesagt du sollst aufhören mich immer so zu nennen!« »Er hat recht, halt dich da raus, Fay.« »Zoran!« Verängstigt schaute Sharon von einem Gesicht ins andere. Blake stand nun ebenfalls auf. Bedrohlich ging er auf Zoran zu. Dieser ballte schon die Fäuste. Doch anstatt ihn anzugreifen, ging Blake ohne ein weiteres Wort an Zoran vorbei nach draußen. Zoran grummelte wütend. »So ein starrköpfiger Idiot.« Schweren Schrittes ging er auf eine Leiter zu, die an die Decke führte. Oben angekommen öffnete er die Dachschräge und stieg hinaus. Dabei fiel eine größere Menge Schnee hinab und traf Fay, die gerade dabei war, ihren Becher zu leeren. »Hey, Zoran!« Doch der knallte nur die Dachluke zu. Noch etwas mehr Schnee viel hinab, doch dieses Mal konnte Fay ausweichen. Sie rappelte sich auf und klopfte sich den kalten Schnee von der Schulter. »Männer!« Schweigend schaute Sharon zu Boden. »Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass ihr wegen mir streitet.« Fay winkte ab. »Nein, das ist nicht deine Schuld. Die hätten sich früher oder später dann wegen irgendetwas anderem in den Haaren gehabt. Du hast es doch die letzten Tage gemerkt, wie sie waren. Es hat mich heute morgen ganz schöne Mühen gekostet, Zoran davon abzuhalten, Blake ins Wasser zu schubsen und zu ertränken.« »Dann müssen wohl mal wieder die Frauen einen kühlen Kopf bewahren.« »Oder den beiden ihre Köpfe in den Schnee drücken, damit sie den auch bekommen.« Es war das erste Mal, dass Sharon mit Fay ein ehrliches und herzhaftes Lachen teilte. Dann schaute sie zu der Tür, aus der Blake soeben verschwunden war. »Glaubst du, er kommt wieder?« »Klar« sagte Fay. »Der muss nur wieder runterkommen.« Besorgt rührte Sharon in der dampfenden Schüssel mit dem Kräutertee. »Es schmeckt zwar nicht besonders, aber möchtest du noch was?« Fay, die sich noch immer mühsam Schnee vom Rücken klopfte, nickte hastig. »Sehr gerne.«

Zoran saß auf dem Dach der Scheune und starrte wüten im Wald umher. Sein Mantel lag noch unten, der Schnee fiel ihm auf die blanke Haut seiner Schultern und Arme. Doch das störte ihn nicht im geringsten. Innerlich kochte er vor Wut. Was war bloß los mit diesem Jungen? Was bezweckte er? Zoran konnte nicht verstehen, wieso er sich so verhielt. Sie müssten alle Zusammenhalten, jetzt noch mehr als zu Beginn ihrer Flucht. Sogar Sharon versuchte nun ihren Teil beizutragen. Doch stattdessen versuchte Blake einen Keil zwischen sie alle zu treiben. In letzter Zeit provozierte er Zoran, wann immer er konnte, beleidigte Fay wegen ihrer Herkunft und machte Bemühungen Sharons, sich nützlich zu machen, so weit runter, dass sie sich eigentlich nur schlecht fühlen konnte. Er misstraute Blake jeden Tag mehr und er wurde das Gefühl nicht los, dass er sie alle noch in verdammt große Schwierigkeiten bringen würde. In der Ferne konnte er sehen, wie Blake zwischen den Bäumen auf und ab ging und offenbar vor sich hin fluchte. Er beschloss, Blake nun noch mehr im Auge zu behalten.

Gerade wollte er wieder hinab in die Scheune klettern, als er hinter sich ein Rauschen hörte. Als er sich umdrehte, schlugen bereits mehrere, brennende Pfeile in die Holzdecke ein.
 

Der Palast schlief tief und fest. Vollkommene Stille lag in den Gängen. Nur im Thronsaal war noch Licht zu sehen. Sorth saß, wie so häufig in letzter Zeit, noch bis in die Nacht auf seinem Thron, trank Wein und wartete. Auf Neuigkeiten.

Vor einigen Wochen suchte ihn der Geistermann auf. Ein Mann der dunklen Künste, mit vielen fragwürdigen Gaben. Eine davon erlaubte es ihm, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Dafür bedurfte es lediglich die Augen einer sündigen Frau.
 

Seyzc, wie er sich selbst nannte, überraschte ihn mitten in der Nacht in seinem Arbeitszimmer. Einer der wenigen Menschen denen je gelungen war, sich an Sorth heran zu schleichen. Und es zu überleben. Nie hatte er ihn kommen oder gehen sehen. Genauso schnell und unbemerkt wie er auftauchte, verwand er immer wieder. Das erste Mal erschien er vor ihm, da war Sorth noch Hauptmann vom alten König. Seyzc prophezeite ihm damals, dass er König werden würde, wenn er gegen Philemon rebellierte.

Doch dieses Mal kam er mit schlechter Botschaft.

Sorth konnte es in seinen Augen sehen. Die eisig blauen Augen schauten verheißungsvoll auf ihn herab, als Sorth von seinen Pergamenten hochschaute und seine Gegenwart bemerkte. »Deinem Blick sehe ich an, dass du schlechte Neuigkeiten bringst, alter Freund.« »Ich pflege keine Freundschaften. Schon gar nicht zu solchen Narren wie ihr es seid.« Wütend sprang Sorth von seinem Sessel auf. »Du wagst es mich einen Narr zu nennen?« Unbeeindruckt blieb Seizc auf der Stelle stehen. Kalt lächelnd strich er sich das dünne braune Haar aus dem Gesicht. »Deine eigene Dummheit wird dich ins Grab bringen.« Sorth spürte die Wut in sich hochkochen. Niemand wagte es so mit ihm zu reden. Aber Seizc war zu wichtig. Und das wusste er. Tief durchatmend nahm Sorth wieder auf seinem Sessel platz. Er faltete die Hände vor seiner Brust und sah dem dürren Mann vor ihm in die kalten Augen. »Was hast du mir mitzuteilen?« Der Geistermann verschränkte seine Hände auf dem Rücken und lief in dem großen, dunklen Zimmer auf und ab. Vor dem Porträt der Königin blieb er stehen. »Was könnte ich nicht alles in Erfahrung bringen, wenn ich eurer Gattin die grauen Augen aus ihrem von Eitelkeit verseuchten Kopf herausschneiden dürfte. Jede Sünde gewährt mir einen Blick. Und mit diesen Augen...« Er deutete auf Nigra's Porträt. »... könnte ich ganze Bücher füllen.« Herausfordernd lächelte er Sorth entgegen, doch dieser blieb unberührt. »Ich sehe schon, ich kann dir nicht drohen. Aber ich kann dich warnen.« Sorth zog fragend einer seiner Augenbrauen hoch. »Vor was?« »Dein Tod rückt näher, König. Dein eigenes Blut wird dich zu Fall bringen.« Sorth lachte auf. »Mein eigenes Blut? Das ich nicht lache.« »Wieso das?« »Ich habe kein eigenes Blut. Das weißt du. Sharon ist Philemons Tochter, nicht meine!« Langsam schritt Seizc auf ihn zu. Bedrohlich stütze er seine knochigen Arme auf dem Schreibtisch ab. »Ich rede von deinem Sohn.« Sorth sprang auf. »Ich habe keinen Sohn!« Ein müdes lächeln huschte über das Gesicht des Geistermannes. »Doch, den hast du. Und wenn man bedenkt, wie du dich durch die letzten Jahre hinweg mit unzähligen Frauen amüsiert hast wundert es mich, dass du nur dieses eine Kind hast.« Seine Gesichtszüge wurden ernst. »Er hat deine Kraft, wenn auch nur zur Hälfte. Aber das allein genügt schon. Und er wird keine Ruhe geben, ehe nicht dein Blut an seinen Händen klebt.« Sorth sackte zusammen.« »Wer ist er? Ich werde ihn eigenhändig töten!« Seizc kicherte. »Das ist unter gewissen Umständen gar nicht nötig.« Wütend schlug Sorth mit der Faust auf den Tisch. »Komm zur Sache, Geist!« »Ich gebe dir nur noch einen einzigen Ratschlag.» Sorth knurrte ungeduldig. »Halte dir deine Freunde nah, aber deine Feine noch näher.« Verwirrt starrte Sorth auf den Boden. »Was meinst du da-« Doch Seizc war bereits verschwunden.
 

Gedankenverloren schaute Sorth in seinen fünften oder sechsten Becher Wein. Halte dir deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher. »Ich soll ihn also auf meine Seite ziehen?« Er stand auf und ging zum Fenster. Die Nacht war so schwarz, ein normaler Mensch hätte nicht einmal den Turm zur rechten des Thronsaales sehen können. Sorth konnte bis zum Horizont schauen. Ich warte auf dich.
 

Genervt beobachtete Fay, wie der Mann vor ihr seelenruhig ihren Rucksack durchwühlte. Sie hätte ihm ja mit ihrer Kristallschnur den Kopf abgeschnitten, wären ihre Hände nicht auf dem Rücken mit Blakes zusammen geknotet gewesen. Und den Gürtel mit den Taschen hatten sie ihr abgenommen.

In der Nacht wurden sie aus einem perfiden Hinterhalt heraus von einer Bande von Nachtjägern angegriffen. Nachtjäger waren nichts anderes als Räuber, Mörder und Schmuggler, die sich die Nacht perfekt zu eigen machten.

Einer der Männer kam auf Fay zu und kniete sich vor ihr hin um ihr in die Augen zu sehen. »Was ist los, meine Hübsche? Gar kein Protest von dir? Immerhin räumt mein Freund da drüben grade dein ganzes Hab und Gut aus der Tasche.« Lautes Grölen erfüllte die stillgelegte Silbermiene. Blake flüsterte ihr zu. »Halt bloß die Schnauze, oder die schneiden dir die Kehle durch!« Hinter dem Mann konnte Fay sehen, wie der Inhalt ihres Rucksacks aufgeteilt wurde in Kleidung, Essen und alles andere. »Hör besser auf das, was der Junge dir sagt, Püppchen. Sonst stellen wir Dinge mit dir an, da würdest du dir noch wünschen, wir hätten dir tatsächlich die Kehle aufgeschlitzt.« Nur zu gerne hätte Fay den Männern mehr als nur ihre Meinung gegeigt, entschied aber, dass es wohl wirklich klüger sei ruhig zu bleiben und abzuwarten. Zornig schaute sie zu, wie der Bandit weiterhin in aller Seelenruhe mit seinen schmutzigen Fingern ihre Sachen begutachtete.

Fay saß mit Blake zusammen geknotet in einer Ecke. Sharon war nur wenige Meter von ihnen entfernt an einen Balken gebunden worden. Zoran lag bewusstlos am Boden. Blut lief über sein Gesicht. Schwere Ketten fesselten seine Arme und Beine.

Auf dem Weg zu ihrem Versteck wurden den Vieren die Augen verbunden. Stundenlang wurden sie, an den Händen gefesselt, durch den kalten Wald gezerrt. Fay konnte nicht genau sagen, wie lange sie unterwegs waren, aber die Zeit kam ihr vor wie endlose Stunden. Erst als sie bereits gefesselt dasaßen, wurden ihnen die Augenbinden wieder abgenommen. Sie befanden sich in einer großen Abbauhöhle einer, offensichtlich, stillgelegten Silbermine. Auf den verschiedenen Ebenen waren hunderte Schlafplätze für die Bandenmitglieder. Unten standen mehrere Tische und Stühle, an denen einige Männer aßen, andere spielten Karten.

»Wo bleibt Callum?« rief einer der Männer? »Da kommt er schon!« Neugierig hob Fay ein wenig ihren Kopf. Callum? Den Namen hab ich doch schon mal gehört. Ein großer Mann betrat die Höhle. Er trug eine dunkle Lederrüstung, mit allerlei Waffen daran befestigt. Ein großer, pechschwarzer Fellumhang bedeckte seine Schultern und seinen Kopf. »Ihr Anführer.« flüsterte Blake, doch das konnte Fay sich schon denken. Der besagte Callum ging auf einen der Holztische zu und setzte sich auf einen Schemel. Einer seiner Männer stellte ihm Brot und Wasser hin – aus Fay's Rucksack. Genüsslich biss er ein großes Stück ab. »Das ist köstlich. War bestimmt nicht billig, so ein gutes Brot. Welchem armen reichen Mann habt ihr das abgenommen?« Der Mann, der zuvor noch mit Fay gesprochen hatte, antwortete. »Kein reicher Mann, das Brot gehörte der da.« Er deutete in ihre Richtung. Schnell ließ Fay wieder ihren Kopf sinken. Callum legte das Brot weg. »Ryan! Wieso sagst du denn nicht gleich, dass wir Gäste haben?« Er stand auf und ging auf die Gruppe der gefesselten zu. »Was haben wir denn da? Zwei Mädchen, einen jungen Burschen und... Oh. Was ist das?« Er blickte auf den noch immer bewusstlosen Zoran hinab. »Was habt ihr denn mit dem gemacht?« »Wir mussten ganze vier Mal mit dem großen Eisenknüppel zuschlagen, bis der Kerl endlich umfiel.« »Hmm... verstehe.« Er gab Zoran einen leichten Tritt in die Seite. Dann blickte er wieder auf und schaute zu Fay. »Sieh an. Du bist also die edle Spenderin meines Frühstückes?« Wieder war lautes Gelächter zu hören. Fay senkte den Kopf noch tiefer, bedacht darauf, dass ihre Haare ihr Stigma verdeckten. »Warum denn so schüchtern, Kleine? Ich tu dir doch nichts. Ich will mich nur angemessen bei dir für mein Essen bedanken.« Callum ging vor Fay in die Hocke und suchte ihren Blick. »Sieh mich an!« Fay zögerte erst, doch fürchtete sie, dass er sie mit Gewalt dazu zwingen würde und dabei ihr Stigma entdecke. Langsam schaute sie auf. Callum hatte inzwischen seinen Mantel abgelegt. Seine Augen und sein Haar hatten dasselbe kräftige dunkelbraun. Eine Narbe zog sich über sein linkes Auge. Er wirkte wild und rau und sein Fünftagebart verstärkte den Eindruck nur. Er schien kaum älter als dreißig. »Sieh mal einer an. So was hübsches hab ich ja schon lange nicht mehr hier in der Gegend gesehen.« Er schaute Fay tief in die Augen. »Ich denke, ich werde dich erst einmal eine Weile hier für mich behalten.« »Mit dieser kleinen Zicke wirst du nicht viel Freude haben, du Hund.« Wütend versuchte Fay Blake einen stoß mit dem Ellenbogen zu geben, doch das raue Seil schnitt ihr ins Fleisch. Callum stand auf und ging um sie herum. »Wie hast du mich genannt, Junge?« Fay konnte ein verächtliches Lachen hören. »Das hast du ganz genau verstanden, HUND!« Sie spürte einen Ruck. Offenbar hatte Blake einen kräftigen Tritt kassiert. »Ein paar Wochen unten im Schacht werden dich schon den nötigen Respekt lehren!« »Lass die Finger von ihm!« Sharon wandte sich verzweifelt hin und her. Doch auch sie scheiterte an den Fesseln. »Und wer ist dieser Schreihals da?« Langsam ging der Anführer der Nachtjäger auf Sharon zu. Als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, blieb er plötzlich stehen. »Jungs? Ich glaub', wir haben den Hauptgewinn gezogen!« Aus seiner Tasche zog er einige Zettel hervor. Blitzschnell schaute er sie durch und hob eines davon in die Höhe. Dann begann er laut zu lachen. Von seinen Männern war verwirrtes Gemurmel zu hören. »Was ist los, Boss?« »Kennst du die?« »Ihr seid der beste Beweis: das Glück ist mit den Dummen! Habt ihr doch tatsächlich die Ultimative Einladung zu Reichtum und Macht eingesammelt und wisst es nicht mal!« Das Gemurmel wurde lauter. Er stellte sich neben Sharon und hielt den Steckbrief hoch. »Diese junge Dame, meine Herren, ist niemand geringeres als das Balg vom König. Und...« Wieder blätterte er in den Zetteln herum. »... ihre beiden Entführer sind auch dabei!« Nun gab es kein Halten mehr in der Höhle. Die Männer begannen zu johlen und zu jubeln. »Wir sind reich!« »Nie wieder Arbeiten!« »Das ist der größte Tag in der Geschichte unserer Bande!« Die Panik in Fay wuchs mit jeder Sekunde. »Macht ein Fass auf Männer, das feiern wir! Und sobald der Schnee sich gelegt hat, bringen wir die Prinzessin und ihre Entführer zurück zum Palast und kassieren die Kohle!«

Die Banditen holten einige Fässer aus einer Ecke hervor. Sie brachen die Deckel auf und füllten ihre Trinkhörner mit Massenhaft Wein. Sie prosteten sich gegenseitig zu, sangen und riefen laut durcheinander, was sie mit so viel Geld anstellen wollten. Dabei war nicht selten von Freudenhäusern und Huren die Rede. Besorgt drehte sich Fay immer wieder zu Sharon um. Sie war verängstigt und zitterte am ganzen Körper.
 

Stundenlang beobachteten sie, wie um sie herum wild gefeiert und getrunken wurde. Sharon wurde in Nische am anderen Ende der Höhle geschleppt, die wohl als Zelle diente. Zwei Männer standen davor und passten auf, dass sie nicht entkommen würde. Plötzlich spürte Fay, wie jemand sie unsanft nach vorne beugte und das Seil an ihren Händen zerschnitt. Ryan, wie der Anführer ihn vorher nannte, zerrte Fay vom Boden auf und stieß sie unsanft an die Wand. »Du wirst nicht Steckbrieflich gesucht, meine Hübsche. Das heißt, es interessiert keine Menschenseele, was ich so alles mit dir anstellen könnte.« Er wollte noch ein Stück näher an Fay herankommen, doch sie schubste ihn zurück. Wütend darüber packte er sie fest am Arm und schlug ihr mit voller Wucht die flache Hand ins Gesicht. Sie zuckte kurz vor Schmerz zusammen. Ihre Wange glühte wie Feuer. »Verzweifelt schaute sie zu Zoran, doch der lag noch immer bewusstlos und gefesselt am Boden. Blake schaute desinteressiert weg. »Werd' bloß nicht frech, du dreckige kleine...« Er holte zum zweiten Schlag aus. Fay kniff die Augen zusammen. Doch der Schlag kam nicht an. Nach einigen Sekunden wagte sie, wieder die Augen zu öffnen. Hinter ihm stand Callum und hielt seine Hand fest im Griff. »Habe ich vorhin nicht gesagt, ich behalte sie für mich?« »Es tut mir leid Callum, ich...« »Und was passiert, wenn du dich an meinen Sachen vergreifst?« »Nein, NEIN! Bitte, bitte, Nein, tu das ni-...« Doch da war es schon zu spät. Callum hatte seine Hand gegen die Wand gedrückt, ein Messer aus der Tasche gezückt und ihm mit einem kräftigen Hieb den kleinen und den Ringfinger abgeschlagen. Ryan schrie laut auf, doch Callum hielt ihn noch immer fest. »Und das wird dich lehren, nie wieder eine Frau zu schlagen.« Mit einem letzten Hieb rammte er das Messer durch Ryan's bereits blutverschmierten Handrücken. Vor Schmerzen schreiend sank er zu Boden und krümmte sich. Dann packte Callum Fay am Arm und zog sie hinter sich her. Dabei rief er noch einigen Männern zu, die in ihrer Nähe standen. »Ihr bleibt hier und passt auf die Zwei da auf!« Noch immer konnte Fay Ryan's Schmerzensschreie hinter sich vernehmen. Doch schien das keinen zu interessieren. Alle tranken und sangen munter weiter wie zuvor.

Callum zerrte sie einen schmalen Gang hinunter durch eine Holztür. Sie konnte noch hören wie jemand rief »Viel Spaß mit ihr, Boss!« Dann schloss er die Tür. Sie befanden sich nun in einem großen Raum. Ein prasselndes Feuer loderte in dem großen, offenbar selbst gebauten, Kamin. Überall hingen Felle von Tieren von den Wänden. In der Ecke standen verschiedene, geöffnete Truhen, die Waffen oder Kleidung enthielten. In der Mitte stand ein großes, Prunkvolles Bett aus dunklem Eichenholz. Zweifelsohne von wohlhabenden Leuten geplündert. Callum setzte sie auf die Bettkante. Dann griff er sich einen Hocker und nahm vor ihr Platz. »Verzeih bitte, einige meiner Männer sind einfach zu rau.« Von draußen drang kein Geräusch in die Kammer. Nur das prasseln des Feuers war zu hören. Ihr Gesicht glühte noch immer wie Feuer. Callum stand auf und ging zu einem kleinen Tisch. Auf ihm stand eine große Kanne. Er griff sich ein Tuch und tauchte es in die Kanne ein. Dann wrang er es aus und setzte sich wieder auf den Hocker. »Das wird helfen.« Fay spürte einen kurzen Schmerz an ihrer Wange, als das kühle, nasse Tuch sie berührte, doch das ließ schnell nach. »Besser?« Fay sagte kein Wort. »Weißt du, wer ich bin?« Sie nickte. Während in der Höhle gefeiert wurde fiel ihr wieder ein, woher sie den Namen Callum kannte. Man nannte ihn auch den Herren der Bestien. Man erzählte sich die wildesten Geschichten über ihn. So soll er in seiner frühen Jugend ganz alleine einen riesigen Felsbären erledigt haben, wozu sonst nicht einmal fünf ausgewachsene Männer imstande waren. Blakes Kampf gegen die Weidenkatze war dagegen wie ein Spiel mit einem Stubenkater. Stumm blickte sie auf das pechschwarze Fell, dass nun über einem Schemel in der Ecke lag. »Du kennst die Geschichten über mich?« Wieder nickte sie. »Hast du Angst?« Entschlossen blickte sie ihm in die Augen. Fay war sich nicht sicher, ob sie Angst hatte. Aber selbst wenn, sie wollte nicht, dass er es sehen würde, wenn sie welche gehabt hätte. Callum rückte noch näher an sie heran. Er hob seine Hand und nahm ihr das Tuch wieder ab. Dann berührte er sanft mit der Hand ihre immer noch heiße Wange und musterte ihr Gesicht. »Weißt du, wieso du hier bist? Hier, bei mir?« Fay atmete scharf ein. Er lächelte. »Nicht das, was du denkst. Obwohl es mir nicht leicht fällt, du bist wirklich wahnsinnig verführerisch.« Fay versuchte ein Stück nach hinten zu rutschen, doch Callum legte seinen Arm um ihren Rücken und zog sie wieder an sich heran. Jetzt war sie nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt »Du rutscht zwar von mir weg, aber wirklich Angst scheint dir meine Nähe nicht zu machen. Überhaupt, du bist in deiner Körpersprache zu selbstbewusst, um unerfahren zu sein. Aber eine Hure bist du ganz sicher nicht, dafür wirkst du viel zu Elegant.« »Wieso bin ich hier?« Callum lächelte sie an. »Ich hatte schon befürchtet, du kannst gar nicht sprechen,« plötzlich zog er sie ganz dicht an sich heran und strich ihr Haar von ihrem Stigma »Antika.<<

Kapitel Elf

~Kapitel Elf~

Nur schemenhafte Bruchstücke nahm Zoran um sich herum war. Sein Kopf schmerzte fürchterlich. Erst war ihm bitterkalt, dann fühlte er harten Erdboden unter sich. Er konnte Blut riechen. Immer wieder nahm er Wortfetzen um sich herum auf. Er spürte einen tritt. Dann hörte er Gesang. Irgendjemand in seiner Nähe schrie laut auf. Eines der Mädchen? Nein, das war ein Mann. Vielleicht Blake? Es klang nicht wie Blake. Er öffnete die Augen einen Spalt breit. Wo war er? In einer Höhle? Da saß jemand mit den Rücken zu ihm. Blake. Aber wo war Sharon? Und wo war... »Fay?« In der Ferne sah er, wie Fay um die Ecke verschwand. Jemand zog sie hinter sich her. Plötzlich war sein Gesicht eiskalt und nass. Jemand hatte ihm einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. »Guten Morgen, der Herr! Endlich wach?« Zoran brauchte einen Moment um sich wieder zu sammeln. Er befand sich tatsächlich in einer Höhle. Um ihn herum wurde wild gefeiert und gesungen. Es roch nach Wein, Blut und nasser Erde. Er versuchte sich aufzurappeln, doch seine Beine waren von schweren Ketten umschlungen. »Was ist los? Wo bin ich? Wer seid ihr?« Um ihn herum vernahm er Gelächter. »Herzlich Willkommen im Versteck von Callum's Nachtjägern!« Callum! Das ist nicht gut...»Hey Zoran, komm mal zu dir, du verpasst ja die ganze Party.« »Halt die Schnauze, Bengel!« Auch Blake wurde von einem Eimer Wasser getroffen. »Ihr widerlichen, räudigen...« »Blake!« »Was ist?« »Wo sind die Mädchen?« Blake rutschte mühevoll zur nahegelegenen Wand und lehnte sich an. »Die Prinzessin ist da hinten in so einer Art Zelle.« Er nickte mit dem Kopf zum anderen Ende der Höhle. »Und Fay ist gerade von dem Anführer dieser Idioten weggeschleppt worden, ich nehme an in seine Gemächer.«

Zoran spürte wie ihn ein panischer Schauer durchfuhr. »Nicht, dass Fay noch so endet wie der da.« Er nickte in eine Ecke ihm gegenüber. Dort lag jemand zusammengekauert am Boden. »Was ist denn mit dem passiert?« Einer der Männer antwortete. »Das is' Ryan. Konnte einfach nich' seine Finger von Callum's neuem Eigentum lassen. Pech gehabt, er hätte wissen müssen, dass es so kommt.« Zoran drehte sich wieder zu Blake. »Was hat er getan?« Blake grinste dreckig. »Er hat Fay versucht anzufassen. Und als sie sich gewehrt hat, hat er sie geschlagen. Und daraufhin hat dieser Callum ihm zwei Finger abgeschlagen.« Fay geschlagen? Sein Eigentum? Was zum Teufel noch eins ist hier los?
 

Vorher noch verunsichert, war Fay sich jetzt sicher, dass sie Angst hatte. Ihr Herz raste und Luft bekam sie auch kaum noch. »Ich habe vorhin einen ganz kurzen Blick darauf erhaschen können.« Callum fuhr ihr Stigma mit dem Zeigefinger nach. »Du hast unsagbar großes Glück gehabt, dass ich das hier entdeckt habe und nicht meine Männer.« Ihr Atem wurde schwerer. »Weißt du, sie sind sehr abergläubisch. Wenn einer von ihnen das Stigma gesehen hätte, wärst du längst tot.« Fay versuchte sich aus seinem Griff zu entwinden, doch Callum war nicht nur um einiges größer als sie, sondern auch stärker. »Lass mich gehen!« »Gehen? Wohin denn?« »Bitte, lass mich frei!« Callum lockerte seinen Griff, sodass Fay ein großes Stück zurückweichen konnte. Er stützte seine Ellenbogen auf seinen Knien ab und sah Fay tief in die Augen. »Wo genau auf der Welt befindet sich der Ort, an dem ein Antika willkommen wäre?«

Fay spürte einen Stich in ihrem Herz. Schon unzählige Male hatte sie sich diese Frage selbst gestellt. Und die einzige Antwort lautete stets Kayt. »Das dachte ich mir schon.« »Was hast du jetzt mit mir vor?« Callum stand auf, streckte sich und ging zum Kamin, um sich die Hände zu wärmen. »Jetzt? Gar nichts. Ich muss noch überlegen, was ich mit dir mache.« »Und die Anderen?« Er drehte sich um. »Nun, die Prinzessin werden wir in absehbarer Zeit dem König ausliefern. Und für ihre Entführer werden wir wohl das Kopfgeld kassieren.« Vor ihrem geistigen Auge erschien ein Bild von Zoran und Blake, wie sie gefesselt und von Soldaten umringt auf ihren Henker zugingen, der das Beil mit einem Schleifstein schärfte. Aus ihren Augenwinkel konnte sie die ganze Zeit beobachten, wie Callum sie ansah. Nein, wie er sie vielmehr musterte. Mehrere Male schaute er sie von oben nach unten herab an. Diese ganze merkwürdige Situation beängstigte sie nicht nur, sondern war ihr auch mehr und mehr sehr unangenehm. »Ich denke, ich werde dich einfach gehen lassen.« Verdutzt starrte sie ihn an. Sie gehen lassen? Einfach so? »Wo ist der Haken?« Kopfschüttelnd lachte er auf. »Es gibt keinen. Ich...« Donnernder Lärm und plötzliches, lautes Geschrei unterbrachen ihn. Aus der Höhle, in der sie vorher noch waren, war lauter Tumult zu hören.
 

Sharon hockte in einer Ecke der sehr schmutzigen Zelle, in die diese widerlichen Kerle sie gesteckt hatten. Sie war von Kopf bis Fuß schmutzig und ihre Handgelenke waren von den rauen Seilen ganz rot und zerkratzt. Mit dem einzigen Stück Ärmel, was noch sauber war, wischte sie sich die Tränen ab. »Bleib stark Sharon, bleib stark Sharon, bleib stark...«. Sie flüsterte diese Worte immer wieder wie ein Mantra vor sich her. »Alles wird gut. Die anderen holen mich hier raus. Keine Panik. Bleib ruhig, Sharon...« Vor ihrer provisorisch zusammengezimmerten Zellentür konnte sie Gelächter vernehmen. »Dich da raus holen? Vergiss es, das werde ich zu verhindern wissen. Du bist unsere Eintrittskarte zum Reichtum, Puppe.« Sharon stand auf um scharf zu protestieren, doch dann fiel ihr Blick auf etwas anderes. Von ihrer Zelle aus konnte sie den goldenen Stab sehen.

Von dem Moment an, als Fay ihn ihr zum Aufpassen gegeben hatte, übte eine eine unglaubliche Faszination aus. Sie wurde geradezu von dem Stab angezogen. Und auch jetzt konnte sie wieder ihre Augen nicht von ihm lassen. Irgendetwas stimmte mit diesem Stab nicht. Das schien aber sonst keine aufzufallen. Die Horde der Banditen tanzte durch die Gegend, aber den Stab beachtete niemand. Sehr seltsam, dachte Sharon.

»Nehmt sofort diese Ketten ab!« Das Geschrei lenkte Sharons Aufmerksamkeit vom Stab weg. Auf der anderen Seite der Höhle konnte sie Zoran sehen, der sich verzweifelt auf dem Boden hin und her wandte. Blake saß hinter ihm an der Wand. Für einen Augenblick dachte Sharon, sie könne sein Gesicht sehen. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie musste sich geirrt haben. Es konnte nicht sein, dass Blake angesichts dieser Situation einfach nur dasaß... und lächelte. Etwas anderes verwunderte sie nun. Sie sah Zoran, sie sah Blake... aber von Fay keine Spur. Vielleicht war sie auch in einer Zelle? Sharon begann sich Sorgen zu machen. Sorgen? Um Fay? Niemals. Die würde sich schon irgendwie zu helfen wissen, das ach so mutige Mädchen. Die kurze Verbundenheit der Beiden während sie in der Holzhütte saßen und Tee tranken war schon wieder vergessen. Plötzlich begann der Boden unter ihren Füßen zu beben. Erst nur ein wenig und dann immer heftiger. In der Höhle wurde es plötzlich still. Aus dem Gang, der nach draußen führte, waren Lichter zu sehen. Dann brach das Chaos aus.
 

Zoran blickte verwirrt auf, Blake versuchte sich verzweifelt aus seinen Fesseln zu befreien, aber es half nichts. Sie konnten zur zusehen. Hunderte von Soldaten stürmten die Höhle und attackierten die Banditen. Mit Schwertern, Dolchen und Pfeilen machten sie mit den Meisten von ihnen kurzen Prozess. »Macht sie fertig, Männer!« riefen einige. Der Boden der Höhle war an einigen Stellen bereits rot gefärbt vom Blut. Blake beobachtete die Situation mit Adleraugen. Er und Zoran hatten Glück. Sie saßen in einer schattigen Nische und die Soldaten nahmen sie gar nicht wahr. Er wartete auf die passende Gelegenheit. Und da kam sie. Fast zuletzt betraten ein paar sehr junge Männer die Höhle. Sie sahen nervös aus. Blake konnte nur den Kopf schütteln als er sah, wie zittrig sie ihre Schwerter hochhielten. »Hey, hallo! Wir brauchen Hilfe!« Einer der jungen Männer erblickte ihr Versteck. »Bist du wahnsinnig geworden?« zischte Zoran. »Halt die Schnauze und lass mich machen.« Mit schlotternden Knien kamen drei der offensichtlichen Anfänger auf sie zu. »Wer seid ihr? Sprecht!« Blake kauerte sich zum Schein an die Wand und versteckte sein Gesicht. »Wir – wir sind von diesen Männern gefangen worden. Wir waren nur auf der Durchreise und da haben sie uns geschnappt.« Er versuchte so weinerlich zu klingen wie möglich. »Bitte helft uns! Sie wollen uns auf den Sklavenmarkt verkaufen, haben sie gesagt! Bindet und los und lasst uns entkommen!« Die jungen Männer schauten sich ratlos an. Dann steckten sie ihre Köpfe zusammen und berieten sich. Genervt verdrehte Blake die Augen. Dann kam einer der Männer auf ihn zu. »Also gut. Ich werde dir jetzt deine Fesseln abschneiden. Aber wehe du haust ab! Wir haben noch Fragen an euch.« Mit diesen Worten beugte sich der Mann vorn über und schnitt Blake das raue Seil, dass seine Hände am Rücken fesselte, mit seinem Schwert durch. Blake grinste selbstzufrieden. »Danke, du Trottel.« Blitzschnell stand er auf, rammte dem Soldaten seinen Ellenbogen in die Kehle und schnappte sich dessen Schwert. Noch bevor die anderen Beiden realisieren konnten, was gerade passierte, stürmte Blake auf sie los und schnitt ihnen die Kehlen durch. Triumphierend kniete er sich neben Zoran. »So macht man das, großer.« Zoran atmete tief durch. »Gut gemacht. Kannst du mich auch irgendwie befreien?« Blake zog die Augenbrauen hoch. »Und was bekomme ich dafür?« Wütend wandte sich Zoran in seinen Ketten. »Das ist doch jetzt nicht dein Ernst?« »Lass dich doch ein bisschen Ärgern, Zoran. Etwas Lachen würde dir mal ganz gut tun.« »Ich bin grad' nicht in der Stimmung zu lachen. Beeil' dich, bevor die uns sehen.« Blake zog seinen speziellen Dolch aus den Stiefeln, an den er vorher nicht ran gekommen war. Mit einem Hieb zerstieß er die Ketten, verfehlte Zoran dabei nur um Haaresbreite. Dieser rappelte sich mühselig auf und sprang direkt noch tiefer in den Schatten. »Und nun?« »Wir hauen ab, ist doch logisch. Ich hol meine Waffen, du die Prinzessin und dann nichts wie weg hier.« »Und Fay?« Blake entfuhr ein extrem genervter Seufzer. »Ernsthaft jetzt? Du willst das Antika-Weib mitnehmen?« Nachdem er einen bitterbösen Blick von Zoran geerntet hatte, gab Blake klein bei. »Ist ja gut. Aber dann hol sie da gefälligst selbst raus. Und ihr Zeug beschaffst du auch selber! Keine Ahnung wo der Krempel ist.« »Und deine Sachen?« Blake nickte mit dem Kopf in dieselbe Richtung, in der auch Sharons Zelle sich befand. »Da drüben auf dem Haufen da. Wir treffen uns irgendwo draußen. Ich gehe mal schwer davon aus, dass du uns mit deinen Mutanten-Augen finden wirst?« Ein stummes Nicken von Zoran genügte. Dann trennten sie sich. Zoran verschwand in dem Gang, in dem Fay von diesem Callum gezogen wurde. Und Blake machte sich auf die Suche nach einem Weg, unbemerkt sowohl an seine Waffen zu kommen, als auch die Prinzessin zu befreien. Er schnappte sich einen Helm von den toten Soldaten und einen ihrer Umhänge. Dann stürzte er sich in die kämpfende Menge. So, glaubte er, würde er eher unentdeckt bleiben, als wenn er sich feige am Rand entlang schleichen würde.

Sein Plan ging auf. Zuerst steuerte er den Berg aus Waffen an, der in der Ecke lag. Blitzschnell band er sich sein eigenes Schwert um und steckte sich seine zahlreichen Dolche in den Mantel, der ebenfalls dort lag. Dann tötete er die beiden Männer, die vor Sharons Zelle standen. Mit dem Rücken zur Tür flüsterte er durch die Gitterstäbe des kleinen Fensters hindurch. »Psst, hey, Prinzessin. Hörst du mich?« Er konnte schnelle Bewegungen hinter sich ausmachen. »Blake? Bist du das?« »Pass auf, ich hol dich da raus. Ich werde die Tür aufbrechen und dir meinen Mantel überwerfen. Und egal was passiert, du gibst keinen Ton von dir, hast du das verstanden?« Aus den Augenwinkeln konnte er sie nicken sehen. Vorsichtig, bedacht darauf nicht entdeckt zu werden, stieß er mit seinem Dolch das Schloss auf. Dann warf er blitzschnell den Mantel über Sharon, zog sie an sich und rannte in Richtung Ausgang. Plötzlich stoppte Sharon. »Was zum Henker ist los?« Sie drehte sich um. »Der Stab.« Blake hob den Kopf. In der Ecke stand der goldene Stab mit dem blauem Kristall, den Zoran und der Antika den Harpyien gestohlen hatten. »Das ist doch nicht dein Ernst, oder?« Doch da hatte Sharon sich schon losgerissen und rannte auf ihn zu. »Wenn wir das hier überleben, bringe ich das Miststück um!« Sharon rannte, wie hypnotisiert, auf den Stab zu. Als sie ihn ergriff, war sie bereits von nicht weniger als einem dutzend Soldaten umzingelt.
 

Ohne den Stab wollte sie auf keinen Fall gehen. Als sie ihn in ihren Händen hielt, durchströmte sie ein Gefühl von Glück und Freude. Aber auch von Macht. Ihr wurde erst bewusst, wie dumm sie gehandelt hatte, als sie von einer unbekannten Stimme angesprochen, nein, angeschrien wurde. »Wer bist du? Und was hast du da?« Noch immer trug sie Blakes Mantel über ihren Kopf gezogen. Sie wagte nicht, sich umzudrehen. »Antworte gefälligst!« Langsam drehte sie sich um, das Gesicht zu Boden geneigt. »Kommandant, das ist ein Mädchen.« »Das sehe ich selbst, du Idiot. Was tust du hier? Sprich, Mädchen!« Panisch klammerte Sharon den Stab an sich. Dann streckte der Kommandant die Hand nach ihr aus und zog sie an sich ran. »Antworte gefälligst, du...« Er stoppte mitten im Satz. »Prinzessin Sharon, seid Ihr es?« Ein tuscheln ging durch die Reihen der Männer. Sharon schaute auf. »Tatsächlich, Ihr seid es! Oh, bitte bitte vergebt mir!« Er sank vor ihr auf die Knie. »Ich habe euch nicht gleich erkannt. Geht es euch gut? Wir werden euch selbstverständlich sobald wie möglich nach Hause bringen.« Ihr Herz fühlte sich an, als wäre es aufgeblüht. Sie spürte, wie ihr Freudentränen in die Augen traten. Egal, was die sie die letzten Monate gesehen oder erfahren hatte, sie wollte einfach nur zurück. Ihre schönen Kleider anziehen, anständig bekocht werden und abends in ihr warmes, großes Bett fallen. Der Kommandant, immer noch vor ihr Kniend, senkte den Kopf zu einer Verneigung. In diesem Moment sauste Blakes Schwert herunter und schlug dem Kommandanten den Kopf ab, der Genau vor Sharons Füße rollte. Ihr Hose und Schuhe waren durchnässt von Blut. Dieser Anblick schockierte sie zutiefst. Als Sharon aufschaute konnte sie nur noch dabei zusehen, wie Blake auch die anderen Soldaten geradezu abschlachtete. Wie er in geradezu unmenschlicher Geschwindigkeit sein großes Schwert dazu nutzte, um den Männern ihre Gliedmaßen abzutrennen, ihre Bäusche oder Kehlen aufzuschlitzen. Ihr Blut verteile sich über den ganzen Boden. Auch sein Gesicht war über und über damit beschmiert. Und der Anblick seines Lächelns dabei ließ Sharon sämtliches Blut in den Adern gefrieren. Sie Verschloss fest ihre Augen und umklammerte den Stab, als würde ihr Leben davon abhängen. Auf einmal fühlte sich der Stab zwischen ihren Fingern heiß an. Bildete sie sich das nur ein? Nein. Der Stab glühte vor Hitze in ihren Händen. Und dennoch konnte sie ihn nicht loslassen. Und obwohl sie ihre Augen geschlossen hielt wusste sie, dass der blaue Stein in seiner Spitze anfing zu leuchten. Sie spürte es. Es war, als wäre sie der Stein. »Hilf mir!« flüsterte sie. Dann spürte sie, wie ihre Füße kälter wurden. Als sie die Augen öffnete stellte sie erschrocken fest, dass die Höhle sich von allen Seiten mit Wasser füllte. Und zwar sehr schnell. Die Männer hatten es noch gar nicht richtig realisiert, da standen sie schon bis zu den Hüften in Eiskaltem Wasser. Sharon spürte, wie sie beim Arm gepackt wurde. »Raus hier!« zischte Blake ihr ins Ohr. Und sie gehorchte. So schnell es ging wateten die beiden in Richtung Ausgang, doch das Wasser umschloss sie immer weiter. Sharon ging es schon fast bis zu den Schultern. Sie Sah, wie sehr Blake sich abmühte durch die inzwischen reißende Strömung zu kommen. Sharon sah etwas ihr sehr vertrautes durch das Wasser treiben. Sie streckte ihre Hand danach aus und zog ihre Tasche aus den Fluten. Sie waren erst auf halbem Weg, da konnten sie bereits nicht mehr stehen. Um sie herum versuchten die Soldaten verzweifelt sich über Wasser zu halten, doch ihre schweren Rüstungen zogen sie nach unten. Und auch Blake hatte zu kämpfen, mit all den Waffen an seinem Mantel, den er Sharon inzwischen wieder abgenommen und sich selbst übergeworfen hatte. Sie hielten sich verzweifelt an Treibgut fest. Die Höhle war nun fast bis zur Decke mit Wasser gefüllt. »Der Stab!« schrie Blake sie über den Lärm der Fluten hinweg an. »Was?« »Dein Stab hat das gemacht! Du hast anscheinend Kontrolle über ihn! Sag ihm, er soll uns retten.« Sharon hielt den Stab, den sie die ganze Zeit umklammert hielt, in die Höhe. »Wie soll das gehen?« »TU ES EINFACH!« Sharon kniff die Augen zusammen. »Rette uns!« Ruckartig riss der Stab sie in die Tiefe. Blake konnte sich so gerade noch an Sharon festhalten. Er zog sie immer tiefer und tiefer. Der Druck auf ihre Lungen wurde größer und ihr Atemreflex würde bald einsetzen. Es war Stockfinster in der Tiefe, durch die der Stab sie zog.

Dann endlich spürte Sharon Luft um sich herum. Kalte Luft. Sie und Blake schleiften über kalten Boden. Erleichtert atmeten sie auf. Der Stab hatte sie nach draußen gezogen, durch den Eingang der Mine. Er befand sich in einem Erdhügel, versteckt hinter dichten Bäumen. Sie brauchten einen Moment um sich wieder zu erholen. Dann stand Blake auf und zog Sharon auf die Beine. »Los, weg hier, bevor da noch andere raus kommen.« Sharon hustete. »Was ist mit Zoran und Fay?« Blake zog sie bereits hinter sich her. »Die werden es schon irgendwie geschafft haben.« Ohne ein weiteres Wort verschwand er mit Sharon im Schatten der Bäume.
 

Zoran schlich sich den schmalen Gang entlang. Er wunderte sich, dass er auf seinem Weg dorthin niemandem begegnete. Keinen Wachen oder Soldaten oder sonst irgendwem. Der Krach hinter ihm wurde leiser, aber war immer noch gut zu hören. Irgendwann fand er sich vor einer schweren Holztür wieder. Er drehte sich um. Niemand war zu sehen, nur in der Ferne war zu hören, wie der Kampf weiter tobte. Er drückte vorsichtig sein Ohr an das Holz. Er konnte Stimmen wahrnehmen, verstand aber kein Wort. Eine Frauenstimme war zu hören, das war sicher Fay. Die andere Stimme, unverkennbar ein Mann, musste dieser Callum sein. Fay war um einiges lauter als der Banditenchef. Zoran lauschte noch angestrengter. Plötzlich konnte er Fay schreien hören. Höchste Zeit um einzugreifen! Er ging einige Schritte zurück, nahm Anlauf und raste auf die Tür zu. Als er durch sie hindurch brach sah er Fay auf dem Bett liegen, über ihr der Bandit mit einem erhobenen Dolch.
 

Schlagartig stand Fay auf. Über ihnen aus der Höhle war Geschrei zu hören. »Was ist da los?« Callum ging zur Tür, öffnete sie und lauschte. Dann stieß er sie wieder zu und verriegelte sie gründlich. »Ich vermute, das sind Soldaten.« »Soldaten? Was wollen die hier?« Entsetzt schaute Fay auf. »Hab ihr sie wegen Sharon gerufen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich bitte dich, glaubst du allen ernstes, die würden uns so überrennen, wenn wir denen erzählen, wir haben ihre Prinzessin und den Entführer und sind Willens, sie ohne Wiederworte auszuliefern? Nein, die sind schon viel länger hinter mir her.« Er ging zu einer kleinen Kommode, nahm den Zettel, der oben auf lag und gab ihn Fay. Es war ein Steckbrief.
 

GESUCHT: TOT ODER LEBENDIG

Callum Callahan

Wegen: Raub in schweren Fällen

Diebstahl in schweren Fällen

Hehlerei

Kopfgeld: 75 Goldstücke
 

»Also sind sie auf der Jagd nach dir?« »Und wie es aussieht, haben sie mich gefunden.« Er zog sich den schwarzen Pelz über die Schulter und steckte sich einige Waffen in seine Gürtelschnalle. »Ich glaube, meine Schöne, wir müssen jetzt von hier verschwinden.« Entsetzt schaute sie ihn an. »Ich kann nicht gehen!« Verständnisvoll hob er die Hände. »Ah, natürlich nicht, wie konnte ich das nur vergessen.« Er ging zu einer der Truhen und öffnete sie. Fay staunte nicht schlecht, als sie ihren Mantel, ihren Rucksack und ihre anderen Sachen dort fand. Callum warf ihr schon mal den schwarzen Mantel zu. »Es ist kalt draußen. Zieh den besser an.« Fay schüttelte den Kopf. »Nein nein nein! Ich kann nicht gehen! Was wird denn aus den anderen?« Er zuckte mit den Schultern. »Was weiß denn ich? Die werden schon irgendwie zurecht kommen.« Ohne ein weiteres Wort stapfte Fay auf die Tür zu. Doch jeder versuch sie zu öffnen, scheiterte. Callum hatte ihr inzwischen auch ihre anderen Sachen aufs Bett geworfen. »Mach sofort die Tür auf, ich muss meine Freunde retten!« »Das kann ich leider nicht zulassen. Ich bringe keine Frauen in Gefahr, schon gar nicht solche schönen.« Entschlossen ging Fay auf ihre Sachen zu und schnappte sich einen Dolch aus ihren Gürtel. »Was hast du vor?« Sie hob den Dolch. »Siehst du doch. Ich breche das Schloss auf.« »Oh nein, das wirst du nicht!« Callum war zu ihr geeilt und versuchte ihr den Dolch aus der Hand zu entreißen. »Finger weg!« »Das ist reiner Selbstmord!« »Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, werde ich ganz leicht Mord daraus machen!« Doch Callum erwies sich auch dieses Mal als der deutlich stärkere. Er entriss ihr den Dolch spielerisch aus der Hand. Fay bemerkte in dem Gerangel nicht, wie weit sie bereits rückwärts gegangen war. Plötzlich stieß sie mit den Beinen an den Hocker, auf dem Callum vorher noch saß und fiel rückwärts auf das Bett. Sie versuchte noch sich reflexartig an Callum festzuhalten, doch anstatt, dass er sie hielt, riss sie ihn mit auf sich herunter. Genau in diesem Augenblick hörte sie ein lautes Krachen. Zoran stand mitten im Raum. Er hatte wohl die Tür aufgebrochen.

»Zoran?« »Fay? Was ist hier los?« Callum richtete seinen Oberkörper auf, kniete aber immer noch über Fay. »Hey, du bist der Typ, der oben in Ketten lag, richtig?« Zorans Antwort fiel mehr als deutlich aus. Er packte Callum am Kragen, hob ihn hoch und schleuderte ihn durch die zerbrochene Tür auf den Gang hinaus. »Dieser widerliche, dreckige...« »Zoran?« »...ekelhafte, miese,...« »Zoran, hallo!« »... mickrige Kerl wird es nicht noch einmal wagen...« »Er hat mich nicht angefasst!« »... dich anzu- was?« Zoran stoppte mitten in seinem Wutanfall. »Wie? Was?« »Er hat mir nichts getan.« »Wie, nichts getan? Er hat dich in sein Schlafgemach geschleift! Was sollte er denn sonst hier mit dir machen? Tee trinken und Kuchen essen?« »Nein, du Vollidiot!« Callum stand, vollkommen zugestaubt und leicht gebeugt vor Schmerz, im Türrahmen. »Ich hab verhindert, dass meine Männer sehen, dass sie ein Antika ist. Jeder weiß, was mit ihr passieren würde, wenn solche abergläubischen Bauernkinder wie die da oben sie in die Finger kriegen!« Fay sah Zoran die Verwirrung deutlich an. »Du hast sie also beschützt?« »Ja, hab ich. Und anstatt, dass du dich bedankst, schmeißt du mich durch die halbe Mine. Meine Fresse, wie viel kraft hast du eigentlich?« Bevor das ganze eskalierte sprang Fay auf und stellte sich zwischen sie. »Zoran, was ist da oben los? Sind das wirklich Soldaten?« »Ja, Blake hat und befreien können. Er besorgt sich grade sein Zeug zurück und befreit Sharon. Wir sollen uns draußen treffen.« »Aber wie? Da oben werden wir wohl nicht durch kommen.« Aus den Augenwinkeln konnte Fay Callum grinsen sehen. »Ich hab mir was dabei gedacht, dass ich deinen Kram hier unten bei mir gehortet habe. Wie ich vorhin bereits zu dir sagte, hatte ich in keinster Weise vor, dich hier länger als nötig gefangen zu halten. Ich wollte dich entkommen lassen.« Er ging auf einen der Felle an der Wand zu und zog ihn beiseite. »Und zwar hier durch.« Vor ihnen erstreckte sich ein langer, dunkler Gang. »Ihr sagtet doch, dass ihr eure Gefährten erst draußen wiedertreffen wollt? Ich geleite euch auf sicherstem Weg hinaus.« Zoran zögerte. »Und deine Männer?« Gedanken verloren schaute Callum an die Decke. Die Schreie wurden immer weniger. »Ich fürchte, ihnen ist nicht mehr zu helfen.« Zoran sah Fay an. »Du entscheidest.« Fay blickte auf den Gang. Dann wieder zu Callum und schließlich zu Zoran. »Klingt wirklich nicht so, als könnten wir großartig helfen. Und Blake wird schon irgendwie zurechtkommen. Also gut, wir gehen mit dir.« Fay band sich ihren Gürtel um, zog ihren Mantel an und schulterte ihren Rucksack. »Auf geht’s.« Callum zündete eine alte Öllampe an, löschte das Feuer im Kamin und verschwand mit ihnen hinter dem Fellvorhang. Zuvor hatte er noch schnell einige Sachen und etwas Gold in eine Tasche gepackt. Ausgestattet mit allerlei Messern, einem Köcher voller Pfeile und einem Bogen schritt er voran in die Dunkelheit.

Der Tunnel war lang, schmutzig und düster. Er führte tief unter der Erde durch. Obwohl es draußen tiefster Winter war, war es dort sehr warm und stickig. Callum ging ein paar Meter voraus, dicht gefolgt von Fay und Zoran. Nach ein paar Minuten schweigen drehte Callum sich um. »Habt ihr zwei was?« Fay musste bei der Frage etwas schmunzeln, vor allem, weil Zoran nicht direkt verstand, was Callum damit meinte. »Was sollen wir denn haben?« Callum lachte auf. »Ihr zwei, miteinander.« Zorans rot glühender Kopf hätte die Lampe beinahe gänzlich ersetzen können. »Was, wir? Fay und ich? So was wie ein, wie ein, wie ein...« »Ein Liebespaar?« Ergänzte Callum. »Nein, nein. So was sind wir nicht. Wir sind nur gute Freunde. Sehr gute Freunde. Also auch nicht SO gut. Wir reisen nur zusammen.« »Sah eben aber anders aus.« Callums grinste beinahe schon diabolisch über seine Schulter hinweg. »Was meinst du?« »Als du plötzlich im Raum standest und mir durch die Gegend geworfen hast. Das tat übrigens höllisch weh!« Zoran hatte sich wieder gefasst. »Ich kann es einfach nur überhaupt nicht ausstehen, wenn Männer sich an Frauen vergehen. Da werde ich ganz schnell richtig, richtig böse.« Callums lächeln war jetzt um einiges liebevoller. »Das ist ein verdammt gute Eigenschaft. Ich würde es auch nicht gutheißen.«

Auf einmal war hinter ihnen ein donnerndes Grollen zu hören. »Was ist denn jetzt schon wieder?« Es war das letzte, was Fay sagen konnte, bevor die Wassermassen sie mit sich rissen. Alles war schwarz und drehte sich. Fay wusste nicht mehr wo oben und unten war. Und ihr war eiskalt. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie durch die Dunkelheit gedrückt wurde, als sie plötzlich gegen etwas hartes prallte. Es fühlte sich an wie Holz. Und es gab kein entkommen. Die Wassermassen drückten sie dagegen. Verzweifelt klopfte Fay gegen das Holz, aber es half nichts. Sie spürte, wie jemand ihre Schulter Griff und sie zurück zog. Ihr war schon ganz schwindelig. Sie hörte nur zwei oder drei Mal lautes knallen, dann spülte sie das Wasser nach draußen. Sie stürzte in die Tiefe, aber wohl nicht sehr weit. Das Wasser schwemmte sie noch etwas weiter, bis sie schließlich zum stehen kam.

Kapitel Zwölf

~Kapitel Zwölf~

Es dauerte eine Weile, bis Zoran es schaffte sich zu erheben. Schon wieder stand er vollkommen durchnässt in dem völlig verschneiten Wald. Er war noch etwas wackelig auf den Beinen. Seine Knie taten ihm schrecklich weh, nachdem er damit die Holzbarrikade auf gerammt hatte. Woher kamen nur plötzlich diese Wassermassen? Es hätte nicht mehr viel gefehlt und sie wären ertrunken. »Fay?« Zoran blickte sich um. Fay lag noch immer schwer atmend mit dem Gesicht nach unten im nassen Schneematsch. Callum, der Anführer der Nachtjäger, half ihr auf. Die beiden waren ebenfalls triefnass. Etwas torkelnd ging Zoran auf sie zu. »Alles in Ordnung mit euch?« Callum nickte stumm. »Und mit dir, Fay?« »Ja. Alles... alles in... Ordnung. Mir geht es... gut.« Noch immer schnappte sie nach Luft. Zoran scheute sich um. »Wo sind wir hier?« »Das hier ist die tiefste Stelle des Waldes. Die Bäume sind so dicht, dass man so gut wie nie die Sonne sieht.« Er hatte recht. Zoran versuchte durch die dichten Baumwipfel irgendwas zu erkennen, aber da war nichts zu sehen. Keine Sonne, kein Mond. »Es ist Abend. Die Sonne geht gerade erst unter.« sagte Callum. »Und woher weißt du das so genau?« Er zuckte nur mit den Schultern. »Ich lebe hier seit fast fünf Jahren. Irgendwann hat man den Dreh einfach raus.« Fay wirkte schon etwas erholter und war nun in der Lage alleine zu stehen. »Wo sind wohl Sharon und Blake?« Ihr Augen weiteten sich. »Was, wenn das Wasser sie erwischt hat?« Callum wrang den schwarzen Pelz aus, der, durchnässt wie er war, nun etwa dreimal so viel wiegen musste. Dann begann er die Pfeile aus seinem Köcher, die überall verstreut lagen, aufzusammeln. »Ich frag mich schon die ganze Zeit wo das herkam. Die einzige Wasserquelle, die diese Mengen hervorbringt, ist der Fluss und der ist Kilometerweit von hier entfernt.« Zoran, dem jede Minute kälter wurde, unterbrach die beiden. »Blake und Sharon werden es schon irgendwie geschafft haben. Am besten wir suchen nach ihnen.« »Und wie bitteschön? Wir wissen ja nicht mal wo wir hier sind!« Callum räusperte sich. »Ihr wisst es vielleicht nicht, aber ich kenne diese Gegend in und auswendig.« Ohne ein weiteres Wort marschierte er einfach los. Zoran und Fay schauten sich zögernd an. »Was ist?« rief Callum ihm aus dem dunklen Schatten der Bäume zu. »Wollt ihr da stehenbleiben bis ihr Eisskulpturen seid?« Zoran zuckte lächelnd mit den Schultern. »Ich würde sagen, wir kaum eine andere Wahl, oder?« Fay schüttelte ihren nassen Rucksack aus und warf ihn sich über die Schulter. »Ich würde sagen, die Hälfte die da drin ist, kann ich jetzt wegschmeißen.«
 

Je länger sie unterwegs waren, desto düsterer wurde der Wald um sie herum. Eiskalter Nebel umhüllte sie. Und das Einzige, was zu hören war, waren ihre Schritte. Zoran sah zum Himmel hinauf. Es musste schon mitten in der Nacht sein. Zoran beobachtete seine beiden Gefährten. Fay und Callum zitterten zwar beide vor Kälte, aber sie schien sie nicht weiter zu behindern. Er ging einen Schritt schneller, nun an Fay's Seite. Bedacht darauf, dass Callum ihn nicht hörte, flüsterte Zoran ihr zu. »Traust du ihm?« Sie flüsterte zurück. »Was heißt trauen? Ich glaube zumindest nicht, dass er uns töten wird.« Zoran schmunzelte. Er war sich da nicht so ganz sicher. Schon früher war ihm der ein oder andere Nachtjäger begegnet. Sie waren gerissen und hinterhältig. Nie hatte er einen getroffen, dem man trauen konnte. Und von Callum dachte er nicht anders. Er fragte sich, was er sich davon erhoffte, dass er ihnen half. Zoran selbst trug keine Wertgegenstände und nur ein paar lächerliche Silberstücke mit sich herum. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, Callum wäre nicht in der Lage gewesen Zoran zu überrumpeln, da war er sich sicher. Und auch Fay war, nun wieder bewaffnet, sicher kein leichter Gegner. Ein plötzlich aufkommender Gedanke schob sich durch seinen Kopf. Was wenn es ihm gar nicht um Wertsachen ging? Nachtjäger waren nicht nur an Gold und Schätzen interessiert. Viele von ihnen trieben sich auf den Sklavenmärkten herum und verkauften neben 'normalen' Menschen auch seltene, exotische Ausnahmen, wie Zoran und Fay. Er dachte an das Bild welches sich ihm bot, als er Fay aus Callums Kammer befreien wollte. Ein kalter Schauer, noch kälter als der Nachtfrost, lief ihm über den Rücken. Aus den Augenwinkel schaute er auf Fay hinunter. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem zerzausten Knoten zusammengebunden. Einige Strähnen hingen wie üblich über ihrem Stigma. Zoran war es gewohnt, dass die Leute ihn anstarrten. Seine Erscheinung war um einiges Auffälliger, als ihm lieb war. Selbst wenn er sein Haar verdeckte und seinen Kopf so gesenkt hielt, dass niemand seine violetten Augen sehen konnte, so war seine Größe und sein kraftvoller Körperbau ausreichend genug um sämtliche Blicke auf sich zu ziehen. Aber niemand, nicht einmal er selbst, wusste, was er war. Kein Mensch, so viel war sicher. Sonderling, Freak, manchmal aus Missgeburt oder Bastard, solche Bemerkungen war er gewohnt. Und Fay? Nicht wenige Menschen, das wusste er, würden sie ohne zu zögern töten, wenn sie sie als Antika erkennen würden. Nur aus Angst vor der Boshaftigkeit und der Gefahr aus den alten Gerüchten die an ihr hafteten wie ein böser Fluch. Seltsam, dachte Zoran bei sich. Dabei war Fay eine der Menschen, die er auf seiner langen Reise traf, die er am meisten mochte und, vor allem, vertraute. »Was ist denn mit dir los?« Fay riss ihn aus seinen Gedanken. »Was soll sein?« »Du starrt vor dich hin, als seist du von irgendwas besessen.« Er wollte gerade antworten, da lenkte etwas seine Aufmerksamkeit auf sich. Abrupt blieb er stehen. Er konnte etwas in der Ferne ausmachen. Ein Licht. Ein sehr schwacher Schein drang durch den dichten Nebel hindurch. »Was ist los?« Callum stand nun neben ihm und versuchte seinem Blick zu folgen. Zoran antwortete nicht. »Was ist denn mit dem?« »Was siehst du?« fragte Fay ihn. Ihre Stimme war gedämpft und vorsichtig. »Licht. Dort zwischen den Bäumen.« Callum schaute angestrengt in die Richtung, auf die Zoran deutete. Er stellte sich sogar auf Zehenspitzen. »Wo soll denn da Licht sein?« Zoran legte seinen Finger auf die Lippe und deutete ihm zu schweigen. Dann schlich er, so gut es ging, auf das Licht zu. Hinter sich konnte er Fay flüstern hören, die ebenso leise versuchte vorwärts zu kommen. »Sei still und folge ihm einfach. Zoran weiß genau was er tut, vertrau ihm.«

Fast eine Stunde lang schlichen sie schweigend durch das dichte Holz. Sie waren nun so nah dran, dass auch Fay und Callum das Licht sehen konnten. Es war nur noch ein kurzes Stück von ihnen entfernt. »Ein Feuer.« flüsterte Zoran. Fäuste ballend drehte er sich zu Fay um. Sie nickte verständnisvoll und wickelte die Kristallschnur um ihre Finger. Callum folgte stumm ihrem Beispiel, nahm seinem Bogen und spannte einen Pfeil aus dem Köcher. Kein Laut war zu vernehmen, die Stille um sie herum war erdrückend. Doch dann, noch bevor Zoran einen Schritt vorwärts machen konnte, sauste ein silberner Schweif von oben auf ihn herunter, knickte kurz über seinem Kopf ab und prallte in einen dicken Baumstamm zu seiner linken. Vor ihm landete ein schwarzer Schatten. Als er sich aufrichtete, konnte Zoran sich selbst aufatmen hören. »Blake!« Fay senkte ihre Arme und packte die Schnur zurück in die Gürteltasche. Blake starrte sie abwechselnd, und sehr wütend, an. »Meine Fresse, müsst ihr hier so herumschleichen? Ich hätte euch beinahe in Stücke geschlagen!« Hinter Blake war eine Stimme zu vernehmen. »Blake, was ist los?« Fay lief auf das Licht zu. »Wir sind es nur! Alles in Ordnung bei euch?« Zoran entspannte sich etwas. »Du bist ja beinahe genauso nass wie wir.« Blake, bibbernd und zitternd, wollte grade sein Schwert wieder einstecken, als sein Blick auf ihre Begleitung fiel. Nur eine Sekunde später stand er wieder Kampfbereit vor ihm. »Was will dieser Hund denn hier?« Callum grinste herausfordernd. »Helfen, kleiner Welpe.« Blake grinste ebenso herausfordernd zurück. »Helfen? Oder ausrauben?« Zoran stellte sich zwischen sie und erhob schlichtend die Arme. »Hey kommt schon, Jungs. Kein Grund für Feindseligkeiten!« Blake schaute Zoran ungläubig an. »Seine Männer haben dich niedergeschlagen, uns gefangen genommen und gefesselt, unsere Sachen durchsucht, unseren Proviant weggefressen, wollten uns an die Soldaten ausliefern und haben uns ganz nebenbei auch noch komplett lächerlich gemacht.« Zoran kratzte sich am Hinterkopf. »Das kann ich nicht bestreiten.« »Wollt ihr euch nicht zu uns ans Feuer setzen und euch aufwärmen? Danach könnt ihr dann immer noch überlegen, ob ihr zusammenarbeiten oder euch abschlachten wollt.« Dankbar lächelte Zoran Fay zu. Sie zwinkerte zurück. Callum zuckte mit den Schultern und steckte den Pfeil zurück in seinen Köcher. »Liebend gerne, schönes Fräulein. Du kannst dich auch gerne am Feuer zu mir setzen, ich werde schon irgendwie dafür sorgen, dass dir wieder warm wird.« Zoran war sich nicht ganz sicher, wer dümmer aus der Wäsche guckte - er oder Blake? Callum verschwand im Nebel. Fay blieb auf der Stelle stehen und zuckte beschämt lächelnd mit den Schultern. »Ich glaube irgendwie, dass er eine Schwäche für mich hat.« Blake schüttelte ungläubig den Kopf. »Generäle, Meisterdiebe... Was ist bloß los mit dir? Weiß er überhaupt, was du bist?« »Können wir das später bereden? Mir ist kalt!« Offensichtlich genervt machte Fay auf dem Absatz kehrt und ging zurück zu Sharon und Callum.

Blake war auf ihrer Flucht durch den Wald auf die kleine Höhle gestoßen, berichtete Sharon. Sie machten ein Feuer in der Hoffnung, dass Zoran sie finden würde. Dieser ärgerte sich innerlich ein wenig darüber, dass Blake diese besondere Eigenschaft an ihm letztendlich aufgefallen war. Blake konnte erstaunlich viel trockenes Holz finden um ein großes Feuer zu machen. Sie saßen alle dicht gedrängt um die wärmenden Flammen. Es war eigentlich ein recht friedlicher Moment, wenn nicht einige Spannungen in der Luft gelegen hätten. Sharon war wütend auf Blake, weil dieser ihre Möglichkeit mit den Soldaten zu fliehen geradezu zerschlagen hatte. Blake war wütend auf Fay und Zoran, weil diese einfach ihren Entführer in ihre Runde eingeladen hatten. Und Zoran und Fay waren wütend auf Sharon, weil diese wieder in ihren alten, ewig über alles jammernden Trott verfallen war. »Ich will nach Hause! Ich will in meinen Palast! Ich mag nicht mehr im Dreck sitzen und auf dem Boden schlafen! Ich will was anständiges essen und ich will ganz sicher nicht mehr in diesen nassen Bauernlumpen herum rennen!« Zoran schüttelte genervt den Kopf. »Was ist denn bloß wieder los mit der? Es lief doch alles so gut!« Callum verdrehte genervt die Augen und wandte sich flüsternd an Fay. »Ist die immer so?« Sie seufzte. »Nein, nicht mehr. Ich wundere mich auch grade etwas. Eigentlich war sie in letzter Zeit sehr still und hilfsbereit.« »In letzter Zeit? Sie ist doch schon seit Monaten oder so in eurer Gewalt. Was war denn davor?« Sie neigte ihren Kopf in Sharons Richtung. »Nun ja, in etwa genau das.« Er stützte seinen Kopf auf seiner Faust ab. »Warum habt ihr sie nicht einfach an einen Baum gebunden und finden lassen?« Bei dieser Frage musste Zoran laut auflachen. Sharon hörte augenblicklich mit ihrem Geschimpfe auf und richtete ihre Wut nun gegen Zoran. »Was lachst du denn so blöd? Lass das gefälligst!« Callum stimmte in Zorans Gelächter mit ein. Dann ergriff er das Wort. »Okay, also noch einmal zusammengefasst: Ihr zwei...« er deutete auf Blake und Zoran »...habt auf eurer Flucht aus dem Palast dieses... liebreizende Wesen dort entführt. Und nach ein Paar Wochen hat sich Fay euch dann angeschlossen, soweit alles korrekt?« Sie nickten alle stumm. Callum drehte sich zu Fay. »Warum?« »Warum was?« »Warum um alles in der Welt hast du dich einfach so den womöglich meistgesuchten Menschen der Welt angeschlossen?« Zoran spürte, wie Fay seine Blicke suchte. Er selbst war einer dieser Gründe. Aber das mochte keiner von ihnen einfach so aussprechen. Es war wie ein unausgesprochenes, offenes Geheimnis zwischen den beiden. Zoran überlegte, wie er Fay aus dieser unangenehmen Situation retten konnte, als Sharon plötzlich laut anfing zu kreischen. Dabei sprang sie auf, zupfte an ihren nassen Kleidern und hüpfte von einem Bein auf das Andere. Erschrocken sprangen Blake und Zoran auf. Blake zückte sein Schwert und schaute aus der Höhle hinaus. »Was ist los? Hast du jemanden gesehen?« Auch Zoran suchte den düsteren Nebel ab. Als er jedoch nichts entdecken konnte, kam er sich irgendwie dumm vor. Als Fay und Callum lauthals anfingen zu lachen sogar noch dümmer. Langsam drehte er sich um. Blake stand immer noch mit seinem Schwert da und schaute wütend in die Runde. »Was gibt es denn da so blöd zu lachen?« Callum hob seine Hand hoch. Zwischen seinen Fingern wandte sich ein großer, langer Käfer mit vielen Beinen und langen Fühlern. »Ihr könnt euch beruhigen, wir haben den Angreifer bereits gefasst.« Erleichtert ließ Zoran sich wieder auf seinen Platz fallen. »Oh man, mach doch nicht so ein Theater wegen eines blöden Insekts!« Blake steckte sein Schwert wieder ein, legte sich, mit dem Rücken zu ihnen, auf den Boden und schlief. Oder zumindest tat er so, als ob.

Zoran spürte, wie ihm immer wärmer wurde. Seine Kleidung fing langsam an zu trocknen und er zitterte nicht mehr. Gegenüber von ihm lehnte Sharon an der Höhlenwand und schlief. Jedoch hatte sie sich so sehr in ihrem Mantel und unter Ihrer Decke eingehüllt, dass nur noch ihr Gesicht zu sehen war. Callum lehnte ebenfalls lässig an der Wand, war jedoch noch Hellwach. Zwischen ihm und Zoran saß Fay, die ebenfalls bereits tief und fest schlief. »Tut es dir nicht leid?« Callum, der Gedankenversunken ins Feuer starrte, blickte zu Zoran auf. »Was meinst du?« »Deine Männer. Keiner von ihnen wird überlebt haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Ist dir das so egal?« »Nein, egal ist es mir nicht. Die meisten von ihnen waren fast fünf Jahre lang treue Gefährte. Aber...« Er stocherte im Feuer herum und warf noch etwas Holz in die Flammen. »Aber?« »Sie haben sich verändert. Als wir die Bande gegründet haben, da wollten wir den Menschen helfen. Von den Reichen stehlen, es den Armen geben. Du weißt schon, wie die Helden aus den alten Geschichten. Aber wir sind mit der Zeit immer gieriger und gewissenloser geworden. Anstatt etwas von unserem Reichtum abzugeben, behielten wir alles für uns und gaben es aus für teures Essen, Wein und Frauen. Und irgendwann holten wir es uns dann auch noch von den Armen.« Er seufzte. »Wir wollten zu den Guten gehören. Und eines Tages stellte ich plötzlich fest, dass wir noch schlimmer waren als alle anderen.« »Woher kam der plötzliche Sinneswandel?« Callum fuhr sich durch die Haare. Und Zoran glaubte in seinem Gesicht sehen zu können, dass er sich schämte. »Meine Männer haben eine arme Bauernfamilie überfallen. Wir haben alles mitgenommen. Geld, Essen, sogar die Tiere. Irgendwann, als ich glaubte, wir hätten bereits alles was wir brauchten, wollte ich meine Männer zusammentrommeln. Ich bin in das obere Stockwerk gegangen.« Ein zittern lag in seiner Stimme. »Am unteren Fuß der Treppe hatte sich bereits das Blut gesammelt. Auf dem halben Weg nach oben lag der Bauer. Neben ihm seine Zunge und seine Augen. Seine Kehle war durchgeschnitten. Am oberen Ende der Treppe habe ich seine Frau gefunden. Ein Messer steckte in ihrer Brust. Dann hörte ich plötzlich Schreie. Und als ich am Ende des Flurs war, im Zimmer ihrer Tochter, da...« Er ballte seine Hände zu Fäusten und kniff seine Augen zusammen. »Meine Männer sind an diesem Tag mehr als einen Schritt zu weit gegangen. Am Ende wurden sie nur noch von ihrer blinden Gier und ihrem Drang nach mehr getrieben.« »Wie alt war sie?« »Wer, das Mädchen?« Zoran nickte. » Achtzehn oder neunzehn. Wunderschön. Neben ihrer Kommode hing ein Brautkleid über einem Stuhl. Mir wurde erst in diesem Moment bewusst, wie viel Schaden wir anrichteten. Wie viel wir tatsächlich zerstörten.«

Zoran streckte sich und setzt sich in eine bequemere Position. »Was hast du jetzt vor?« Callum zuckte mit den Schultern. »Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich euch noch einige Zeit begleiten. Ihr wollt doch nach Süden, oder?« Zoran nickte. »Bis zum Wüstengebiet werde ich euch begleiten, dass sind ja noch einige Wochen. Dann denke ich, werde ich mich auf die südliche Handelsinsel begeben. Da findet man immer Arbeit.« Zoran sah missbilligend zu, wie Callum die Haare von Fay's Stigma strich. »Du hättest sie davon abhalten müssen, euch zu begleiten.« Misstrauisch setzte Zoran sich aufrecht hin. »Was interessiert dich das überhaupt?« Callum schaute ihn mit ernster Miene in die Augen. »Ich weiß, wer sie ist. Bei wem sie gelebt hat. Ich habe sie vor vielen Jahren schon einmal gesehen, da war sie allerdings noch ein Kind. Damals habe ich im Palast gearbeitet.« Tief durchatmend schaute Zoran auf Fay herab. »Wir sind ihm bereits begegnet. Er stellt keine Gefahr für uns dar.« Callum grinste höhnisch. »Noch weiß der König auch noch nicht, dass sie hier draußen lebt. Geschweige denn, dass sie euch begleitet.« Zoran schaute ihn verdutzt an. »Wie meinst du das?« »Warum glaubst du, gibt es keinerlei Steckbriefe von ihr?« Tatsächlich. Zoran hatte noch keinen Steckbrief von Fay gesehen. »Wie lange lebt sie bereits hier draußen?« »Sie sagte mir, dass sie mit zwölf Jahren weggelaufen ist. Also Zehn Jahre.« Callum begann zu flüstern. »Sorth hat die Antika damals umbringen lassen, weil er tierische Angst vor ihnen hatte. Glaubst du er würde es toll finden, wenn er herausfände, dass sein erster General seit Jahren vor ihm verschweigt, dass ein Antika unkontrolliert durch die Gegend rennt?« Daran hatte Zoran noch gar nicht gedacht. »Und wenn er herausfindet, dass sie auch noch quasi offen gegen ihn rebelliert, indem sie sich den Entführern seiner Tochter anschließt?« »Das würde ihren Tod bedeuten.« »Psst!« Callum deutete ihm ruhiger zu sprechen. »Was ist los?« Er schaute Zoran in die Augen. Dann deutete er abfällig mit seinem Kopf zu Blake, der immer noch mit dem Rücken zu ihnen Gewand lag und schlief. Zoran flüsterte. »Ich auch nicht.« Seufzend strich sich Callum abermals durch sein Haar. »Ich will sie mitnehmen.« Ungläubig und mit großen Augen schaute Zoran ihn an. »Sie mitnehmen? Auf die südliche Handelsinsel?« Das Misstrauen ihm gegenüber verstärkte sich schlagartig. Zoran ballte die Fäuste, falls nötig bereit zuzuschlagen. »Was hast du dort mit ihr vor?« »Sie vor alldem retten, wovor sie davonläuft. Auf der Insel ist es egal, wer du bist. Da zählt nur, was du kannst. Die Insel mag für viele Andere vielleicht Zwielicht sein, aber für sie ist es perfekt.« Zoran nahm sich einige Minuten Bedenkzeit. Der Gedanke viel ihm zwar schwer, aber letztendlich hatte Callum recht. Er war selbst vor einigen Jahren auf dieser Insel gewesen, auf der Suche nach sich selbst. Dort wimmelte es nur so von seltsamen Menschen, Märkten und Geschäften. Die Bewohner dort mussten nur zwei Dinge tun: Sich an die Regeln halten und ihren Teil beitragen. »Denkst du, du kannst sie davon überzeugen?« Callum kratzte sich verlegen am Bart. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass du das machen würdest. Ich glaube, dir vertraut sie um einiges mehr.« »Ich tue mein Bestes.« Zoran lehnte sich zurück an die Wand und schaute aus der Höhle hinaus. Es musste mitten in der Nacht sein. Doch er bekam kein Auge zu. Er drehte sich noch einmal zu Callum um, der offenbar auch nicht schlafen konnte. »Denkst du, er würde sie hintergehen?« Callum schaute auf. »Wer?« »Kayt?« Er schnaufte höhnisch. »Sagen wir einfach, dass ich den Herren Generälen so einiges zutraue.« Er tippte auf die Narbe auf seinem Auge. »Du hattest wohl schon mal eine Begegnung mit

Kayt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, dieses Schätzchen habe ich dem Anderen, dem zweiten General, zu verdanken. Hast du den schon mal gesehen? Kein netter Zeitgenosse.« »Duke!« Zorans Blick wurde eisig. Seine Fäuste hatte er so fest geballt, dass er sich mit den Fingernägeln ins eigene Fleisch schnitt. »Den kenne ich nur zu gut.« Callum zog eine Augenbraue hoch. »Sieht nicht so aus. Als wärt ihr die Freunde.« Duke. Allein der Gedanke an ihn entfachte sämtliche Wut in Zoran. »Sagen wir einfach, wir haben da noch was zu klären.« Wütend rammte Zoran seine Faust gegen die Wand. Einige Steine lösten sich und flogen durch die Gegend. Einer von ihnen traf Fay an der Schläfe. »AU! Man, Zoran! Warum polterst du denn hier so herum? Es ist mitten in der Nacht, geh schlafen!« Sie drehte ihm den Rücken zu und schaute Callum an. »Und du besser auch.! Wir wollen morgen früh weiter.« Callum konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Hast ja recht, meine Hübsche. Also dann, gute Nacht. Und du, komm mal wieder runter, Zoran.« Erst jetzt bemerkte Zoran, dann seine Hand ein wenig blutete. Er wickelte ein Tuch darum, legte sich hin und schloss die Augen. Irgendwann, das wusste er, würde er Duke gegenüberstehen. Und nur einer von ihnen würde den nächsten Tag erleben.
 

Mit dem Rücken zu den Anderen lag Blake halb versteckt in der Dunkelheit. Er hatte kein Auge zu gemacht. Und innerlich amüsierte er sich geradezu königlich darüber, dass diese Idioten tatsächlich dachten, dass ein Flüstern ihre Worte vor ihm verbergen würden. Der Süden war seine alte Heimat, sein Geburtsort. Kaum einer kannte die Wüste so gut wie er. Es wäre ein leichtes, die Anderen einfach hinter sich zu lassen. Im Süden befand sich auch die Festung von Kayt. Ein diabolisches grinsen huschte über Blakes Gesicht. Seine schwarzen Augen funkelten in der Dunkelheit. Was würde der General ihm wohl für die Informationen, die er soeben hörte, bezahlen? Was war es ihm Wert, die Haut des Antika-Weib's zu retten? Und vor Allem, seine eigene?

Kapitel Dreizehn

~Kapitel Dreizehn~

»Noch ein Schnitt hier... und ein Schnitt da... Eine Schande ist das, mein Täubchen!« Langsam hob er sein scharfes Skalpell und Schnitt der jungen Frau vorsichtig das Auge heraus. Dann wusch er es in einer Schale mit einer silbrigen Flüssigkeit aus und gab es in ein Glas mit einem speziellem Alkohol, in dem auch das andere Auge schwamm. »Ihr habt wirklich einer sehr eigenartige Sammelleidenschaft.« Teilnahmslos hob er sein geliebtes Skalpell in die Höhe und betrachtete es im Schein der Fackeln. Rubinrotes Blut glänzte an der Spitze der scharfen Klinge. Dann wischte er es Sorgfältig ab und legte es zurück in seine, wie er es nannte, Werkzeugtasche. »Wer ist das?« Er schaute das Mädchen an, auf welches der ungebetene Gast deutete. »Hab ich vergessen. Sie war krank, nichts zu machen. Ich nannte sie Täubchen. Wegen ihrer schönen, grauen Augen. Aber das sind jetzt nicht mehr ihre. Jetzt ist mir auch egal, wie sie hieß.« Er ging zu seinem Schreibtisch und trank den Tee, den er sich vor gut sieben Stunden gekocht hatte. Angewidert verzog er das Gesicht. »Kalt!« Dann wandte er sich dem ungebetenem Gast zu. Und war überrascht. »Ah! Ihr seid schon wieder zurück? Gibt es Neuigkeiten?« Der Schlossherr schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Keine Spur von der Prinzessin. Soll mir auch egal sein.« Er schaute ihn an. »Wieso die Prinzessin? Ich spreche von eurem Mündel. Was ist mit der Prinzessin?« Der Schlossherr konnte sich sein Lachen nicht verkneifen. »Ihr solltet öfter aus diesem Loch herauskommen. Sorth's Tochter wurde bereits vor Monaten entführt! Es ist in aller Munde, jeder redet darüber.« »Ist mir egal.« Er schlenderte gelangweilt an einem seiner riesigen Regale vorbei. Irgendwo musste noch ein Plätzchen sein. »Gefunden!« Behutsam stellte er das Glas zwischen seine anderen Sammelstücke. Dann seufzte er. »So schön sie alle auch sind, es fehlt einfach etwas! Ich habe schon beinahe alles... Grüne, Braune, jede Menge Graue und Blaue. Sogar Gelbe und Rote.« »Violett?« Er schüttelte sich. »Bah! Violett ist eine so schmutzige Farbe, so unrein! Ich suche etwas anderes.« »Und das wäre?« »Es muss gefährlich sein und gleichzeitig verängstigt. Mutig und traurig. Eine Mischung aus Reinheit und Boshaftigkeit.« Hastig ging er auf den Platz zu, den er extra für sie bereit hielt. »Und was ist das?« Seine langen Finger strichen sehnsüchtig über das leere, kalte Glas. »Schwarz.«
 

Blake ging ein wenig abseits von den anderen. Er hatte keine Lust sich ihrer geradezu ekelhaften guten Laune anzuschließen. Seit Tagen schon war er genervt. Die plärrende Prinzessin, das Antika-Weib, das die Gefahr geradezu magisch anzog. Und dann noch dieser Gockel, der sich aufspielte, als wäre er der große Held. Irgendwie vermisste er die Zeit, als nur er und Zoran unterwegs waren und die Prinzessin noch Angst vor ihnen hatte. Zorans vertrauen hatte er verloren. Aber das war ihm jetzt auch egal. Blake wollte einfach nur noch weg. Doch das ging noch nicht. Er kannte die Gegend nicht. Das Risiko, von Zoran dabei entdeckt zu werden, wenn er versuchen sollte, sich heimlich aus dem Staub zu machen, war ihm zu groß.

Ihr nächste Anlaufstelle sollte ein verstecktes Dorf im Unterholz sein. Laut dem Banditen lebten dort nur gesuchte Verbrecher. Angeblich seien dort alle Menschen friedlich und würden keiner Fliege etwas zuleide tun. Blake schwor sich, wenn er nur einmal sah, wie jemand sein Hab und Gut zu lange musterte, dann würde derjenige mindestens eine Hand verlieren. Aufmerksam schaute er sich um. Der Wald war nicht mehr so dicht. Sonnenstrahlen drangen durch die dicke Blätterschicht. Eigenartig. Es war tiefster Winter und doch war kaum ein Blatt von den Bäumen gefallen. Sie waren herbstlich rot. Die Sonne ließ etwas von dem Schnee, der auf ihnen lag, schmelzen, tropfte glitzernd auf sie hinab und lief die weiße Baumrinde herunter. Selbst Blake musste sich eingestehen, dass dieser Anblick etwas Magisches hatte.

»Hey, Blake! Gesell dich doch zu uns!« Aus den Augenwinkeln konnte Blake sehen, wie der Bandit ihn zu ihnen winkte. Er ignorierte es einfach. Es gab derzeit kaum etwas, was er weniger wollte, als die Gesellschaft dieser... Leute. Stattdessen hielt er Ausschau nach Gefahren. Und überlegte dabei, wie und wann er am effektivsten verschwinden konnte.
 

Callum versuchte kein zweites Mal, Blake zu einem Anschluss an die Gruppe zu bewegen. Doch es missfiel ihm, dass Blake sich so abkanzelte. Er traute ihm nicht. Irgendetwas stimmte mit dem Jungen nicht. Er war gefährlich... vielleicht sogar zu sehr. Ohne den Blick von Blake zu lassen sprach er leise mit Zoran. »Irgendwas hat der vor. Ich spüre es.« Die ausbleibende Verneinung interpretierte Callum als Zustimmung. Blake machte die letzten Tage Anmerkungen und Andeutungen, in denen es nicht selten um den Tod seiner Begleiter, insbesondere von ihm, ging. Die Anderen winkten es als seinen doch sehr morbiden Humor ab, doch Callum glaubte, ernsthafte Drohungen in Blakes oftmals sarkastischem Unterton zu hören. Er wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als hinter ihm eine herbe Diskussion begann. »Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir? Hast du vergessen wer ich eigentlich bin?« »Wie könnte ich? Du erinnerst uns ja schließlich jede Minute daran!« »Werd ja nicht frech, oder...« »Oder was? Dann verprügelst du mich mit dem Stab? Schätzchen, denk lieber zweimal darüber nach. Bevor du das Ding auch nur angehoben hast, hab ich dich schon dreimal geköpft.« »Das. Wagst. Du. Nicht.« »Wenn du so weiter machst, garantiere ich da nicht für.« Callum blieb stehen und wartete auf die Beiden. »Was ist denn mit euch los?« Sharon zeigte wütend mit den Finger auf Fay. »Die da hat mich als blöde, hässliche Nervensäge bezeichnet.« Fay machte eine Geste der Verzweiflung. »Bei allen Göttern, Sharon, hör mir doch richtig zu! Übrigens, das ist sehr unhöflich, das macht man nicht.« Sie drückte Sharons immer noch ausgestreckte Hand nach unten. Vorsichtig meldete Zoran sich zu Wort. »Ähm, das hast du doch nicht wirklich gesagt, oder? Das wäre doch sehr... untypisch für dich.« Callum flüsterte. »Zumindest es ihr direkt ins Gesicht zu sagen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich sagte nicht du seist dumm, sondern reichlich unaufgeklärt was viele Dinge betrifft, wofür du aber nichts kannst, was ich dir auch gesagt habe. Hässlich habe ich dich auch nicht genannt. Ich habe dir lediglich den Tipp gegeben, dass es praktischer ist, deine langen Haare zusammen zu stecken, weil du ständig mit dem Zopf in irgendwelchen Ästen hängen bleibst. Und eine Nervensäge... nun, ja doch, das habe ich tatsächlich zu dir gesagt.« Erstaunt beobachtete Callum, wie schnell Sharons Kopf seine Farbe von normal zu dunkelrot wechselte. Der darauf folgende Wutausbruch dauerte über eine halbe Stunde. Nach den ersten zehn Minuten beschlossen sie einfach weiter zu gehen, da sämtliche Versuche die Prinzessin zu beruhigen scheiterten. Und irgendwie war es ihnen dann auch egal. Wenn sie jetzt noch niemand gehört hatte, dann waren sie vermutlich eh die Einzigen in diesem Gebiet. Callum schlug vor, sie zu fesseln und zu knebeln. Doch fand sich keiner, der bereit war, Sharon durch die Gegend zu schleppen. Also ließen sie das Geschrei über sich ergehen.

Nachdem Sharon endlich wieder Ruhe gab, liefen sie alle schweigend nebeneinander her. Es war kühler geworden. Dichte Nebelschwaden bildeten sich. Kaum ein Geräusch war vernehmbar. Etwas bedrohliches lag in der Luft. Nervös schaute Callum sich um. »Wir kommen gleich in dem Dorf an.« Leise zog er einen Pfeil aus seinem Köcher und legte ihn an seinen Bogen an, bereit zu schießen. »Hier stimmt etwas nicht.« Auch Zoran und Fay waren Kampfbereit. Blake, inzwischen doch zu ihnen gestoßen, hielt sein gezücktes Schwert. Sharon ging dicht hinter ihm. Hinter der nächsten Ecke waren die ersten Häuser zu sehen. Es waren provisorisch zusammengezimmerte Bretterbuden. Immer mehr Häuser waren nun zu sehen. Alle wild durcheinander gebaut, mal sehr groß, mal so klein, dass maximal ein Mensch dort wohnen könnte... wenn es dort Menschen gegeben hätte. Doch das Dorf war verlassen. Keine Menschenseele war zu sehen. Die Häuser sahen aus, als stünden sie seit Ewigkeiten leer. Callum konnte sich das nicht erklären. Noch keine drei Monate war es her, da war das Dorf voll und belebt. Die Menschen feierten ausgelassen. Und überall waren Tiere. Aber nicht einmal mehr die waren mehr da. »Sieht so aus, als hätten die Menschen die hier lebten schlagartig das Dorf verlassen. Sind hier oft Soldaten in der Gegend?« Callum schüttelte den Kopf. »Nein, meine Männer und ich haben dieses Dorf geschützt. Wir haben die Soldaten abgelenkt.« Auf der Straße, die zwischen den Häusern durchführte, lagen allerlei Dinge herum. Kleidungsstücke, Töpfe und Pfannen, eine alte Karre und sogar Messer und Äxte. »Hier war etwas schlimmeres als Soldaten am Werk.«
 

Schweigend schlichen sie um die Häuser herum. Aufmerksam lauschten sie jedem noch so kleinem Geräusch. Selbst Blake wurde die Sache langsam zu bedrohlich. Was auch immer dort an diesem Ort passiert war... es musste Überirdisch sein. Keine menschliche Armee, wie groß sie auch sein Möge, konnte diese dunkle Aura in der Luft lassen. Blake wollte den Rückzug vorschlagen, doch seit einigen Minuten war seine Aufmerksamkeit, geradezu magisch, an dem See gefesselt. Die Oberfläche war komplett zugefroren, eine dicke Eisschicht lag darauf. Aber dennoch strahlte der See etwas aus. Für Blake fühlte es sich an wie eine Mischung aus Leben und Tod. Vorsichtig bewegte er sich auf das gefrorene Wasser zu. Er konnte nicht sehen, was sich unter der Eisschicht verbarg, aber er spürte, dass es nichts Gutes war. Er ging in die Hocke und wische mit dem Ärmel seines Mantels einige Male über die Oberfläche, bis sie glatt genug war um durchzusehen. Mit dem was er sah hatte er zwar irgendwie gerechnet, aber dennoch ließ es ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ohne den Blick von dem Eis zu wenden rief er die Anderen zu sich. »Ich weiß jetzt, was mit den Leuten passiert ist.« Als er spürte wie sich die Anderen näherten drehte er sich blitzschnell um. »Du bleibst wo du bist!« herrschte er Sharon an. »Wieso?« »Weil ich nicht will, dass du den halben Wald zusammenschreist.« Zu seinem Glück protestierte Sharon nicht sondern nahm seine Anweisung stillschweigend an. Die Angst hatte wohl über ihre Neugier gesiegt. Zoran, Fay und Callum waren mutiger. Sie bildeten einen Kreis und die glatt geriebene Fläche und schauten hinein. Nun blickten auch sie in die toten Augen der Dorfbewohner, die leblos unter der Eisschicht im Wasser trieben, den blanken Schrecken im Gesicht. Ihre Haut war beinahe so weiß wie der Schnee. Aufgequollen und irgendwie schuppig. Ihre Haare wirkten wie Spinnweben, die gespenstisch durch das dunkle Wasser schwebten. Fay wandte sich nach kurzer Zeit als Erste ab. Schwer atmend trat sie von der Eisfläche. Callum folgte ihr. Der Anblick schien ihn wütend gemacht zu haben, seine Hände waren zu Fäusten geballt. Zoran verharrte mit Blake auf dem See. Er ging in die Hocke und tastete das Eis mit seinen Fingern ab. Dann schüttelte er nachdenklich den Kopf. »Was ist?« fragte Blake. Zoran huschte mit seinen Augen über das Eis. »Das ist kein normales Eis. Es ist viel zu trocken für diese Witterung. Eigentlich müsste die Oberfläche längst angeschmolzen sein. Und rutschig ist es auch nicht.« Blake wollte etwas sagen, als sie plötzlich um sich herum lautes knacken vernahmen. Sofort sprangen sie auf und liefen zum Ufer. Blake musterte kurz die Anderen. Alles starrten wie gebannt auf das, was vor ihnen passierte. Die dicke Eisfläche zerbrach von ganz allein. Auf der gesamten Oberfläche erschienen tiefe Rissen, die unter lautem knallen zersprangen. Dichter Nebel stieg aus ihnen hervor und bedeckte den Boden. Er hatte einen unheimlichen, blauen Schimmer. Als er komplett ihre Füße bedeckte, schoss er plötzlich nach oben. Blake konnte noch hören, wie Zoran laut rief. »Nicht einatmen! Haltet euch was vor den Mund!« Doch Blake wurde schon schwindelig. Die Welt um ihn herum verschwamm und alles wurde schwarz.
 

Als Blake die Augen wieder aufschlug fand er sich in der Wüste wieder. Verwirrt schaute er um sich. Keine Menschenseele weit und breit. Und auch sonst kein Leben. Weder Pflanzen noch Tiere. Um ihn herum war nur Sand und karge Felsen, die in der prallen Sonne glänzten. Er spürte keinen Luftzug. Und es war unerträglich still. Seine Kehle war trocken. Blake wollte losgehen um Wasser zu suchen, da merkte er, dass er Barfuß war. Und seine Schuhe waren nicht das Einzige, was fehlte. Sein Oberkörper war komplett frei. Er trug nur so etwas wie eine schwarze Hose aus Leinen. Und Waffen trug er auch nicht mehr bei sich. Er versuchte einen klaren Kopf zu bewahren und sich einen Reim darauf zu machen, doch er wusste nicht wie. Es gab keine logische Erklärung für diese Situation. War es eine Halluzination? Möglich war es. Aber der Sand zwischen seinen Zehen fühlte sich echt an. Ein Traum? Nein, das war völlig unmöglich. Er hatte noch nie geträumt. Er war sich nicht einmal sicher, ob er das überhaupt konnte.

Ein schüchternes Kichern unterbrach die unheimliche Stille. Blake schaute in alle Richtungen, konnte die Geräuschquelle aber nicht ausfindig machen. »Hab keine Angst.« Die Stimme, die klang wie der liebliche Gesang eines jungen Mädchens, hallte von allen Seiten durch die unwirkliche Landschaft. Er hielt sich in Kampfposition bereit, auch wenn er nichts bei sich trug, womit er kämpfen konnte. »Wer bist du? Zeig dich!« Das Kichern wurde lauter. »Wer ich bin? Wer bist du denn?« Er wagte es nicht, sich von der Stelle zu bewegen. Und selbst wenn, er hätte es eh nicht geschafft. Sein Körper war schwer wie Blei. »Was wird hier gespielt?« »Ich spiele gerne. Spielst du auch gerne?« Die Hitze machte ihn beinahe Wahnsinnig. Dabei war er das Wüstenklima gewöhnt. Schließlich war er dort geboren und aufgewachsen. Aber diese Hitze war anders. »Nein, ich hasse es zu spielen. Und ganz besonders hasse ich es, wenn ich das Spielzeug bin!« »Lass und Verstecken spielen.« Blake verlor allmählich die Geduld, zwang sich aber so gut es ging, einen klaren Kopf zu bewahren. »Tust du das nicht bereits?« »Ich will es nach meinen Regeln spielen. Keine Sorge, es wird nicht langweilig, denn es ist nach einer Runde vorbei.« Er wusste, dass nun nichts Gutes folgen würde. »Ich verstecke dich und niemand wird dich jemals wiederfinden.«

Plötzlich wurde Blake von einer Eiseskälte umfasst. Er konnte nicht mehr atmen. Die Wüste um ihn herum war verschwunden. Als er seine Augen aufriss, fand er sich im Wasser wieder, treibend zwischen all den Leichen der Dorfbewohner. Er hatte nur noch eine Gedanken: Luft! Angestrengt versuchte er an die Wasseroberfläche zu kommen, doch seine Schwere Ausrüstung zog ihn immer weiter in die Tiefe. Er zappelte mit den Beinen und ruderte mit den Armen doch es half alles nichts. Das Wasser um ihn herum wurde immer kälter und immer dunkler und immer erdrückender. In seinem Kopf drehte sich plötzlich alles um den Tod. Nein! So würde er nicht enden. Auf einmal fühlte er, wie sein Herz immer schneller Schlug, Seine Brust wurde immer wärmer, dann Heiß. Sein Herz drohte unter dem Hämmern und Brennen seine Brust zu sprengen. Und dann, wie aus dem Nichts, erfüllte eine Welle der Macht seinen ganzen Körper. Wieder versuchte er an die Wasseroberfläche zu schwimmen... und es gelang ihm mit Leichtigkeit. Es dauerte nur wenige Augenblicke, da durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche und er rang nach Luft. Er spürte wie sich seine Lungen weiteten als das erste Mal tief durchatmete. »Du lebst noch?« Erschrocken sah er auf. Am Seeufer lagen die Anderen, alle Bewusstlos. Neben Sharon stand eine Frau und starrte Blake mit Angsterfülltem Ausdruck an. Sie war groß, hatte lange weiße Haare und ihre Haut schimmerte wie ein blauer Kristall. Blake zog sich an der Eisschicht aus dem Wasser und zog sein Schwert. »Warum so Überrascht? Bist es wohl nicht gewohnt, dass jemand deine billigen Tricks überlistet.« Die Frau starrte ihn an, als würde sie dem Tod persönlich Gegenüber stehen. »Kein Mensch. Kein Mensch. KEIN MENSCH!« Blake umklammerte sein Schwert. Das hübsche Gesicht der Frau hatte sich zu einer schauderhaften Fratze verzogen. Ihr Gesicht wurde immer länger, ihre Zähne spitzer. Ihre strahlend blauen Augen waren nur noch schwarze Löcher. Kreischend und schreiend schwebte sie auf Blake zu. Dieser hob sein Schwert und mit nur einem einzigen Hieb war das Leben der Frau vorbei.
 

Callum fasste sich an dem Kopf. Sein Schädel brummte als ob jemand mit einem Holzknüppel stundenlang auf ihn eingeprügelt hätte. Als er seine Augen öffnete sah er über sich den Sternenhimmel. »Was? Schon Nacht?« Angestrengt versuchte er sich aufzurappeln. Dann spürte er, wie ihm jemand dabei half. »Alles in Ordnung?« Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Eigentlich hatte ich gehofft unter etwas anderen Umständen neben dir aufzuwachen.« Einen Moment später spürte er schon, wie Fay ihm eine ordentliche Menge Schnee ins Gesicht klatschte. »Ich merke schon, es geht dir blendend.« Hinter ihm stand Zoran mit verschränkten Armen und schaute auf ihn herab. Langsam rappelte er sich auf und klopfte sich den Schnee von seinem schwarzen Pelz. »Was ist denn eigentlich jetzt los? Ich weiß noch, dass plötzlich Nebel aus dem See kam. Aber ab dann habe ich keinerlei Erinnerungen mehr.« Fragend schaute er abwechselnd Fay und Zoran an, doch beide zuckten unwissend mit den Schultern. Hinter Zoran sah Callum Sharon an einem Baum lehnen. Ihre Augen waren noch geschlossen. »Ist sie Tod?« fragte er vorsichtig. »Leider nein.« Blake kam nun auf sie zu. Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Etwas war anders. Callum musterte ihn einige Minuten bis er darauf kam. »Du bist ja ganz nass!« »Blitzbirne!« »Warum in aller Welt bist du so nass?« »Weil die da mich ersaufen wollte!« Callum schaute verwirrt in die Richtung in die Blake deutete. »Was ist den... DAS?« Auf dem Boden einige Meter von ihm entfernt lag ein Berg nasser Lumpen. Und darunter ein schlaffer, schuppiger Körper. Dünn wie ein Fisch. Zoran klärte auf. »Blake hat uns vor einer Seewassernymphe gerettet.« Fay schaute ihn fragend an. »Einer was?« »Einer Seewassernymphe. Das sind keine menschlichen Frauen. Sie verstecken sich im Wasser und betäuben die Menschen mit ihrem Nebel und ertränken sie.« Callum wandte sich an Fay. »Wo ich herkomme nennt man sie Nebelweiber.« »Stimmt, der Begriff ist mir schon einmal unter gekommen.« Zoran stapfte auf Sharon zu. »Ich schlage vor, wir wecken Prinzessin auf und sehen zu, dass wir hier weg kommen.« »Und wer weckt sie?« Zoran blickte herausfordernd Fay an. »Dieselben Regeln wie immer?« »Dieselben Regeln wie immer. Blake, da du schon unser aller Leben gerettet hast, hast du ein Freilos gezogen und musst sie nicht wecken. Wärst du so nett und denkst an eine Zahl zwischen Eins und Zwanzig?« Blake grinste. »Mit dem größtem Vergnügen.«
 

Verträumt schlenderte er durch die leeren Gänge des Schlosses. Das machte er gerne des Nachts. Die schwarzen Kristallwände hatten im Mondschein einen besonders schönen Glanz. Und sie hatten diesen seit ungefähr Tausend Jahren beibehalten. So lange war es schon her, dass die Menschen dieses Schloss in einen riesigen, schwarzen Bergkristall formten. Wie sie das geschafft hatten, war ein Rätsel, dass wohl niemals gelöst werden würde. Im laufe der Jahrhunderte hatten viele Menschen das schwarze Schloss bewohnt. Sein jetziger Besitzer passte hierher, dachte er bei sich. Ein komischer Typ, aber dennoch nicht uninteressant. Fast schon wert, ihn einmal zu untersuchen. Gerade weil es nun wirklich nicht mehr allzu viele seiner Art gab.

Er betrat einen der Zahlreichen kleinen Balkone, die an der Westseite zu finden waren und schaute auf das Meer hinaus. Der Mond regte seine Gedanken an. Er erinnerte ihn immer die gebrochenen Seelen, die er gerne der Welt hinterließ. Er liebte es, die Psyche der Menschen zu durchstoßen. Ebenfalls eine seiner bizarren Leidenschaften, die er nur zu gerne auslebte. Am liebsten an jungen Männern. Er schloss die Augen und dachte daran, wen es als nächstes treffen würde. Der Schlossherr hatte ihm einen Tipp gegeben. Er brauchte ihm nur entgegen zu gehen, denn, der Schlossherr sagte, sie würden bald in der Nähe sein. Genussvoll dachte er an das, was auf ihn wartete. Die langersehnten, schwarzen Augen. Sie waren zum greifen nah. Doch wollte er sie sich nicht einfach so holen. Er wollte sie sich verdienen. Er wollte sie mit der gesamten Leere der gequälten Seele des Trägers füllen, bevor er sie aus ihrem Gefängnis herausschnitt und für die Ewigkeit aufbewahrte. Genussvoll leckte er sich über die Lippen. Dann öffnete er die Augen und flüsterte den Namen seines nächsten 'Kunden' wie ein Mantra dem Mond entgegen. »Blake.<<

Kapitel Vierzehn

~Kapitel Vierzehn~

Gemütlich schlenderte dir Gruppe durch den Wald. Es war früher Nachmittag und die Sonne schien durch die Blätter. Hier und da wagten sich die ersten Waldbewohner aus ihren Verstecken heraus, ergriffen aber schnell wieder die Flucht. Zoran war Gedankenversunken. Vier Tage waren vergangen, seit Blake die Seewassernymphe besiegt hatte. Etwas stimmte an der Geschichte nicht. Ein normaler Mensch wäre nicht dazu im Stande gewesen, diesen mächtigen Zauber zu durchbrechen. Und wie war er mit dem schweren Schwert und dem dicken Ledermantel bloß aus dem Wasser gekommen? War Blake vielleicht gar kein Mensch? Abermals begutachtete Zoran seinen jüngsten Begleiter. Er wirkte viel zu schmächtig für sein Auftreten. Und etwas unmenschliches konnte er nicht an ihm erkennen. Keine besonderes, äußeres Merkmal. Das Einzige, was Zoran hin und wieder erschaudern ließ, waren seine kalten, schwarzen Augen. Sie wirkten fast wie Glasperlen. Keine Wärme war darin zu finden.

Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Anderen, denn immer über Blake nachzudenken machte ihn irgendwie nervös. Hinter ihm liefen Sharon und Callum, welcher die abenteuerlichsten Anekdoten aus seinem Leben zum Besten gab und in Sharon eine begeisterte Zuhörerin fand. Zoran konnte sich von Tag zu Tag besser mit ihm abfinden. Er brachte frischen Wind in die Gruppe und seine Jagdfähigkeiten hatten ihnen schon das ein oder andere Mal ein gutes Abendessen beschert. Doch je lauter es hinter ihm wurde, desto Stiller wurde es zu seiner linken. Seit nunmehr zwei Tagen hatte Fay kaum ein Wort gesprochen. Sie wirkte nervös und aufgeregt. Immer wieder lief sie voraus und begutachtete den Weg. Zoran begann allmählich sich um sie zu Sorgen. »Fay?« Wortlos schaute sie kurz zu ihm auf, dann blickte sie wieder auf den Weg. »Alles in Ordnung?« Sie nickte. »Ja, alles bestens.« »Du wirkst aber ganz und gar nicht so. Ist etwas passiert?« Ein Seufzer. »Nein. Alles bestens.« So ruhig und in sich gekehrt hatte Zoran sie noch nie gesehen. Doch trotz seiner Sorgen beschloss er, sie in Ruhe zu lassen.

Als die Sonne unterging kamen sie an eine kleine Weggabelung. »Wo lang?« fragte Zoran Callum. »Der schnellste Weg in die Stadt führt nach rechts. Wir sollten morgen Abend dort sein.« »Na dann mal los.« Entschlossen liefen sie in die Richtung, die Callum ihnen empfohlen hatte. Nach einigen Metern jedoch bemerkte Zoran, dass jemand fehlte. Fay stand noch an der Weggabelung und schaute den Pfad nach links hinunter. »Was ist los? Wir wollen weiter.« Callum, Sharon und Blake blieben ebenfalls stehen. »Was ist los, Antika? Willst du da Wurzeln schlagen?« Nervös schaute Fay sich um, dann sprach sie zu den Anderen. »Hört mal, ich hab was wichtiges zu erledigen. Wir treffen uns in zwei Tagen Mittags am Südtor der Stadt, in Ordnung?« Keiner sagte etwas. Zögernd ergriff Zoran das Wort. »Du kommst alleine klar?« Dann kam wieder Fay's ansteckendes Lächeln zum Vorschein und sie zwinkerte ihm zu. »Ich bin zehn Jahre alleine klar gekommen.« Zoran nickte. »Gut, dann sehen wir uns in zwei Tagen.« Ohne ein weiteres Wort spurtete Fay den Pfad nach links hinunter und verschwand im Schatten des Waldes. Wortlos ging Zoran wieder weiter. »Warte mal, Großer, du willst sie einfach gehen lassen?« »Was spricht dagegen?« Entsetzt starrte Callum ihn an. »Was dagegen spricht? Du kannst doch nicht einfach so eine junge Frau Nachts alleine durch die Gegend schicken. Es ist noch immer Winter, da draußen wimmelt es nur so von wilden Bestien. Und von Soldaten mal ganz schweigen!« Zoran seufzte genervt. »Du hast doch gehört, die hat es die letzten zehn Jahre auch alleine hinbekommen, das schafft sie schon.« »Aber...« Zoran blieb stehen und schaute Callum fest in die Augen. »Vertrau ihr einfach.« Damit war für Zoran das letzte Wort zu dem Thema gesprochen.
 

Jedoch nicht für Blake. Angewidert starrte er zwischen die Bäume, zwischen denen Fay soeben verschwunden war. Er wusste, wohin dieser Weg führte. Wenn man dem Pfad nur lang genug folgte, landete man zwangsläufig irgendwann vor dem berühmten roten Felsweg, der zum schwarzen Kristallschloss führte. Kayt's Festung. Blake glaubte nicht daran, dass Fay in zwei Tagen in der Stadt sein würde, als wäre nichts weiter dabei. Vielmehr glaubte er daran, dass Fay sich auf dem Weg zu ihrem ach so tollen General befand. Ob sie sie verraten würde? Immerhin war sie keine Gesuchte. Blake traute ihr nicht, Für ihn war sicher, dass Fay's Blut genauso verräterisch war, wie das von Kayt.

Er beobachtete die Anderen aus den Augenwinkeln. Zoran ging stur geradeaus. Für ihn war Fay so was wie sein kleines Engelchen, wie Blake sie sarkastisch in seinen Gedanken betitelte. Er würde ihm niemals glauben, dass sie eine Verräterin sein könnte. Kurz wandelten Blakes Augen zu Sharon, die immer noch versuchte, sich auf das geschehene einen Reim zu machen. Als letztes musterte Blake den Banditen. Nur zu gerne würde er einen seiner Dolche zücken und den Kerl von seinem arroganten Dasein erlösen. Er konnte den Kerl einfach nicht leiden. Dieser Callum war von der Sorte Mensch, die Blake durch ihre bloße Anwesenheit den letzten Nerv raubten. Mal ganz abgesehen davon, dass er ihm die Sache mit dem tritt in der Mine noch immer nicht verziehen hatte. Callum schien von Blakes herabwürdigenden Blicken nicht das Geringste zu bemerken. Sein Blick ruhte ebenfalls zwischen den Bäumen. Er wirkte besorgt.

Es war bereits mitten in der Nacht als die Vier beschlossen, ein Lagerfeuer zu machen. Callum suchte im Dickicht nach Feuerholz. Zoran hatte es sich bereits, wie üblich, auf einem Baumstamm gemütlich gemacht. Blake saß gelangweilt an einem Baum und schärfte seine Dolche. Amüsiert beobachtete er, wie Callum angestrengt versuchte, das leicht modrige Holz anzuzünden. Nach etwas mehr als zehn Minuten gelang es ihm letztendlich.

Das Feuer prasselte und spendete ihnen Wärme. Callum und Sharon schliefen bereits. Blake schaute zu Zoran hinauf. Etwas stimmte nicht. Er saß kerzengerade auf dem Baumstamm, sein Blick starr geradeaus gerichtet. Dann sah er kurz Blake an. Er deutete ihm zu schweigen und zeigte zwischen die Bäume. Hatte Fay etwa Soldaten angetroffen und ihnen ihren ungefähren Standort verraten? Nein, eher nicht. Soldaten hätten sie längst gehört. Ein rascheln war zu vernehmen. Es wurde immer lauter. Selbst Callum wurde davon wach. Auch er machte sich bereit, einen Pfeil zu schießen. Doch als sie sahen, was dieses Geräusch verursachte, blieben sie verdattert und ungerührt auf ihren Plätzen. Ein junger Mann lief an ihrem Lagerfeuer vorbei. Nackt. Splitternackt. »E-Emilio?« platzte es aus Callum heraus. »Du kennst den Exhibitionisten? Wieso wundert mich das nicht?« »Hey, Emilio! Warte!« Der Nackte war einfach an ihnen vorbei gegangen. Auf Callums ruf blieb er stehen und drehte sich um. »Oh. Hallo Callum.« sagte er tonlos. »Was machst du hier? Und warum bist du nackt?« Sharon war von dem Krach aufgewacht. Als sie den nackten Mann erblickte stieg ihr die Schamesröte schlagartig ins Gesicht und sie hielt sich die Augen zu. »Warum steht da ein nackter Mann am Feuer?« Zoran sprang von seinem Ast herunter. »Frierst du denn gar nicht?« Der besagte Emilio zuckte mit den Schultern. Blake schaute an ihm herab. »Klar friert er, sieht man doch.« »BEI ALLEN GÖTTERN!« Sharon hatte sich nun komplett abgewandt und hielt sich die Ohren zu. »Willst du dir nicht vielleicht erst einmal was anziehen?« »Ich hab nichts.« Callum kramte in seiner Tasche. »Ich hab was. Hier! Und bitte, mach hin. Dein Anblick ist nicht gerade feierlich!.«

Wenig später saßen sie alle hellwach um das Feuer. Emilio starrte wortlos in die Flammen. Er trug jetzt eine braune Lederhose, einen Pullover aus feinem, blauen Stoff und ein paar alte Stiefel. »Sag mal, wie kam es zu deiner... Situation?« fragte Zoran vorsichtig. »Räuber.« »Hast du dich gar nicht verteidigt?« »Wozu? Ist doch egal. Der Kram hat mir eh nichts bedeutet.« Blake amüsierte sich innerlich köstlich über diesen seltsamen Typen. Irgendwas stimmte nicht mit ihm. Er versuchte, der Sache auf den Zahn zu fühlen. »Was genau ist eigentlich los mit dir? Wenn mich so ein paar Räuber ausgeraubt hätten, wären sie bereits einen Kopf kürzer.« Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie Callum dreckig grinste. »Du kommst auch noch dran!« Callum ignorierte das. »Na ja, wie soll ich sagen, das mit Emilio ist eine lange Geschichte. Willst du sie erzählen?« »Mach du. Hab keine Lust.« Callum räusperte sich. »Ihr müsst wissen, Emilio kommt aus einer langen, traditionsreichen Linie von Schwarzmagiern.« Die anderen wurden hellhörig. »Nun ja, eines Tages hat Emilio sich verliebt. In... wie hieß sie gleich?« »Linda.« »Ach ja, genau. Jedenfalls war Emilio ganz versessen auf das Mädchen. Nur war diese an jemand Anderem interessiert.« »An dir.« Callum räusperte sich. »Das tut nichts zur Sache.« »Du hast sie ausgenutzt.« »Wie gesagt, das tut nichts zur Sache...« »Sie hat sich die Augen ausgeheult.« »Himmel noch eins, da war ich Neunzehn! Kann ich endlich fortfahren?« Blake hatte diesen komischen Kerl jetzt schon in sein Herz geschlossen. »Jedenfalls hat Emilio einen Dämon heraufbeschworen. Und einen Pakt mit ihm geschlossen. Ihm sollte das Herz seiner Angebeteten gehören und der Dämon durfte dafür etwas von Emilio einfordern.« Zoran meldete sich zu Wort. »Lass mich raten: er hat es nicht hinterfragt?« Callum schüttelte den Kopf. »Nein, hat er nicht. Das Mädchen war ihm hoffnungslos verfallen. Aber der Dämon hat sich Emilios Gefühle und Emotionen zu eigen gemacht. Er kann nicht mehr lieben. Oder traurig sein. Oder hassen. Ich könnte diese Liste jetzt endlos fortführen.« »Könntest du nicht. Die Anzahl von verschiedenen Gefühlen ist hoch, aber begrenzt.« Scheinbar teilnahmslos kommentierte der Magier seine, wie Blake fand, doch recht tragische Geschichte. Er selbst hielt nichts von Gefühlsduseleien, aber so ganz ohne Gefühle leben? Das bedeutete auch, nicht zu hassen oder sich zu fürchten. Nicht, dass Blake sich vor allzu vielen Dingen fürchtete. Aber die Angst ist ein guter Trainer und ermahnt einen stets zur Vorsicht. Blake begutachtete den Schwarzmagier. Er war kleiner als Zoran und Callum, dünn und wirkte ausgemerzt. Seine Haut hatte im Schein des Feuers einen gräulichen Ton. Sein leuchtend blondes, kurzes Haar war nach hinten gekämmt. Er sah nicht aus wie ein typischer Schwarzmagier. Nur das kräftige Silber seiner Augen verriet ihn. Alle, die diese Kräfte im Laufe ihres Lebens erarbeiteten, hatten diese dunklen, silbernen Augen. Vorsichtig meldete sich die Prinzessin zu Wort. »Entschuldige Mal, aber gibt es einen unterschied zwischen einem Magier und einem Schwarzmagier?« Genervt verdrehte Blake die Augen. Die Dummheit der Prinzessin erreichte jeden Tag einen neuen Höhepunkt. Wieder einmal war es Zoran, der sich aufopferte. »Es gibt drei Arten von Magiern: Normale Magier, Schwarzmagier und Weißmagier. Normale Magier Verwenden ihre Kräfte dazu, in die Zukunft zu sehen oder Gegenstände schweben zu lassen oder weiß der Kuckuck was noch. Es sind nur kleine Tricks und Spielereien. Im Laufe seines Lebens hat ein Magier dann die Möglichkeit, sich auf die weiße Magie oder schwarze Magie zu spezialisieren. Weiße Magie dient dem Schutz der Menschen. Damit kann man Menschen heilen, sie stärken oder schützen. Schwarze Magie den dem Angriff. Sie beinhaltet, die vier Grundelemente in einem Kampf für sich zu nutzen. Also Feuer, Wasser, Eis und Blitz. Richtig soweit?« Emilio nickte. »Und, warum sollte man sich für die schwarze Magie entscheiden?« fragte sie in die Runde. Emilio sah ihr in die Augen. »Weil man mit weißer Magie nicht töten kann.« Wenn es nicht so peinlich gewesen wäre, hätte Blake ihn für diese Antwort am liebsten Umarmt. Endlich mal jemand der die Welt nicht schön redet! Als er Sharons erschrockenen Gesichtsausdruck sah, winkte Zoran schnell ab. »Keine Sorge, Schwarzmagier sind bei weitem nicht so schlecht, wie ihr Ruf. So wie bei Fay.« Callum nickte. »Stimmt, auf dieser Welt gibt es nur einen Antika, den man fürchten sollte.« Blake staunte. Das erste, und wohl auch das letzte Mal, waren die Beiden derselben Meinung. Zoran starrte Callum böse an. »Bist du irre, das einfach so zu erzählen?« »Ach was, das interessiert ihn eh nicht. So wie alles. Wie denn auch?« Unbeeindruckt meldete sich Emilio zu Wort. »Hab heute einen Antika gesehen.« Alle Augen waren nun auf ihn gerichtet? Zoran wollte es genauer wissen. »Einen Antika? Wo? Wann?« »Vor etwa drei Stunden. Ein Mädchen. Lange schwarze Haare, schwarzer Umhang. Blasse Haut.« »Das war Fay, unsere Begleiterin. Wir treffen sie in der nächsten Stadt wieder.« Blakes Interesse war geweckt. »Woran genau hast du denn erkannt, dass sie eine von denen ist? Ihr komisches Stigma versteckt sie doch die meiste Zeit.« Emilio zeigte auf seine Augen. »Hab da so einen Blick für.« Mehr Erklärung bekamen sie von ihm nicht. »Scheint egoistisch zu sein, eure Begleiterin.« Für diese Aussage erntete er böse Blicke von Zoran und Callum. »Fay? Egoistisch? Niemals!« »Ihr schlaft hier draußen im Wald und sie in einem Gasthaus. Weckt so etwas normalerweise nicht Ärger in den Menschen? Oder Neid?« Blake kochte innerlich vor Zorn. Na warte, die würde er sich vorknöpfen. »Wo ist das Gasthaus?« fragte er so ruhig er konnte. Emilio deutete zwischen die Bäume. »Immer geradeaus. Zwei Stunden von hier.« Mehr brauchte Blake nicht zu wissen. Er sprang auf und stapfte in die Richtung, in die Emilio gedeutet hatte. Sharon rief ihm hinterher. »Hey, warte doch! Ich will auch im Gasthaus übernachten!« »Hey Blake, bleib stehen!« rief Zoran ihm hinterher. »Vergiss es, dieses kleine Biest hat nichts wichtiges zu erledigen. Die will sich einfach nur mal eine Auszeit gönnen! Wahrscheinlich lacht sie sich gerade eins ins Fäustchen. Aber nicht mit mir!« »Dafür gibt es sicher eine logische Erklärung.« »Und welche bitte?« Nachdem nach fünf Sekunden keine Antwort zu hören war, fühlte Blake sich nur noch bestärkter. Und ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg.

Emilio behielt recht. Nach knapp zwei Stunden kam er bei einem Gasthaus an. Der Morgen dämmerte bereits und in den Fenstern waren Lichter zu sehen. Er schaute sich um. Die Anderen hatten es noch nicht geschafft, ihn einzuholen. Ihm blieb noch Zeit um sich in aller Ruhe umzusehen. Vorsichtig schlich auf das Gasthaus zu und hielt sich geduckt unter einem Fenster. Dann spähte er unauffällig durch die Scheibe. Vor sich sah er den Speisesaal. Eine Theke stand an der Wand, gefüllt mit allerlei Flaschen, vermutlich Wein. Mehrere kleine Tischgruppen standen im Raum verteilt. Es war ein sehr kleines, abgelegenes Gasthaus. Plötzlich sah er ein Licht vom Flur durch die Tür scheinen. Er wollte gerade seinen Hals recken um besser sehen zu können, da packte ihn jemand an der Schulter und drückte ihn zu Boden. »Bist du irre?« zischte Zoran ihm wütend zu. »Was soll denn das?« Angewidert schlug er Zorans Arm weg. »Ist es dir egal, dass sie uns gelinkt hat?« »Und wenn schon, was geht es dich an?« Blake wollte antworten, doch Zoran deutete ihm zu Schweigen. Die Wirtin des Hauses, eine kleine, ältere, rundliche Frau, betrat den Speisesaal. Dicht gefolgt von einer gut gelaunten Fay. Offensichtlich gut ausgeruht streckte sie sich. Dann gab die der Wirtin einen dicken Kuss auf die Wange. »Siehst du, Blake? Sie hat nur Freunde besucht.« »Und kann uns nicht mitnehmen?« »Die verschleppte Prinzessin, ihre Entführer und einen gesuchten Räuber?« »Hast du gesehen, wie freundschaftlich die miteinander umgehen? Eine einfache Erklärung von Fay hätte gereicht!« Zoran antwortete nicht mehr. »Was ist hier los?« Keuchend hockten sich Callum und Sharon dazu. Emilio schlenderte gemütlich hinter ihnen her. »Seid gefälligst ruhig!« »Was ist da drinnen los?« wollte Sharon wissen. Neugierig lugten sie durch das Fenster. Fay blickte sich nervös um. Dann nahm sie eine Kerze und ging hinter die Theke, duckte sich... und verschwand. »Wo ist sie hin?« »Vermutlich durch eine Bodenklappe in den Keller.« Blake fühlte sich mehr als bestätigt. »Habt ihr gesehen, wie sie sich umgeschaut hat? Irgendwas plant die!« Sharon kratzte sich fragen am Kopf. »Es wirkt schon irgendwie verdächtig.« Callum und Zoran blickten sich stumm an. Man konnte ihnen ansehen, dass sie nach einer plausiblen Ausrede für diese Situation suchten, aber keine fanden. »Ich wette, die macht da unten irgendwas krummes. Sehen wir nach!« Blake schritt langsam auf den Haupteingang zu. Er wartete auf einen weiteren Protest der Anderen, doch diese folgten ihm stumm. Die Neugier hatte wohl auch sie gepackt. Leise drückte er die Eingangstür auf. Kein Mensch war zu sehen. Sie vernahmen scheppernde Geräusche, wohl aus der Küche. Sie befanden sich nun in der Diele. Nur eine Empfangstheke und ein Kaffeetisch standen dort. Links von ihnen ging es in den Speisesaal. So leise wie möglich schlichen sie zu der Theke, hinter der Fay verschwunden war. Keiner sagte auch nur ein Wort. Vorsichtig öffnete Blake eine Holzluke auf dem Boden. Beim öffnen knarrte sie laut. »Fay, bist du das?« hörten sie aus der Küche. Schnell dirigierte Blake sie die schmale Treppe hinunter und noch bevor die rundliche Wirtin das Speisezimmer betrat, war die Luke schon wieder verschlossen. Der Keller des Gasthauses war ein langer Flur mit mehreren Türen. Unter einer der Türen war Licht zu erkennen. Vorsichtig schlichen sie sich näher heran. Blake versuchte an der Tür zu lauschen. Er konnte zwar Fay's Stimme vernehmen, aber kein Wort verstehen. Er sah die Anderen an, die ihm stumm zunickten. Langsam zählte er mit seinen Fingern bin drei. Dann stürmte er das Zimmer, gefolgt von Zoran, Sharon und Callum. Blake war auf so ziemlich alles gefasst. Aber der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm das erste Mal seit langem die Sprache.
 

»Was zur Hölle macht ihr denn hier?« Zoran brachte keinen Ton heraus. Vor ihm stand Fay und schaute irritiert in die Gesichter ihrer, soeben hereingeplatzten, Gefährten. »Habt ihr mir hinterher spioniert? Blöde Frage, natürlich habt ihr das!« Zoran brauchte einen Moment um sich im Kopf neu zu ordnen. Fay war nicht alleine in dem Zimmer. In ihren Armen hielt sie ein Kind. Einen kleinen Jungen, keine zwei Jahre alt, mit pechschwarzem, zerzaustem Haar und müden grünen Augen. Sharon war die Erste, die sprach. »Machst du jetzt einen auf heimliche Kinderfrau oder was?« Fay seufzte laut auf. »Irgendwann musstet ihr es ja mal erfahren.« Sie atmete tief durch. Zoran ahnte schon, was jetzt kommen würde. »Also... das hier ist Kassyan... mein Sohn.« Ungläubig schüttelte Callum den Kopf. »Wie, dein Sohn?« Fay strich dem kleinen Jungen durch sein Haar. »Tja, nun wisst ihr Bescheid.« Blake schaute die Beiden abfällig an. »Na toll, noch so ein Antika.« Immer noch verwirrt ergriff Zoran nun das Wort. »Das ist also dein großes Geheimnis. Du bist Mutter.« Er war selbst überrascht, wie enttäuscht er klang. »Es tut mir leid, Zoran. Aber ich konnte es euch nicht erzählen.« Ein hämisches Lachen war von Sharon zu hören. »Sieh an, wer hätte gedacht, dass Fräulein Perfekt so ein schmutziges Geheimnis hat? Und, weiß General Kayt davon?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, davon wissen nur ich, Gritt und ihre Angestellte Sofia.« »Gritt ist die Wirtin, nehme ich an?« Fay wollte antworten, doch dann schaute sie verwirrt zum Eingang des Zimmers. »Wer seid ihr?« fragte sie und drückte ihren Sohn fest an sich. Callum antwortete. »Oh, das ist Emilio.« Zoran hatte gar nicht bemerkt, dass er sich zu ihnen gesellt hatte. »Ihr spioniert mir nach und bringt auch noch einen Fremden mit? Das hier darf niemand erfahren!« In ihren Augen lag ein Blick, der Aussagte, dass sie bereit war zu töten. Callum versuchte die Situation zu beschwichtigen. »Nein, keine Sorge, Emilio wird kein Wort sagen, nicht war?« Er zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen.« Das machte es auch nicht gerade besser. Nur Blake setzte dem ganzen noch die Krone auf. »Wo wir gerade schon bei Kayt waren... Mir fällt auf, dass das Balg dasselbe Stigma hat, wie er.« Alle Blicke ruhten nun auf dem kleinen Jungen. Neben seinem rechten Auge war tatsächlich dasselbe gezackte Stigma zu sehen, welches auch Kayt hatte. Allerdings war seines nicht rot, sondern in einem kräftigen tintenblau. Fay seufzte. »Antika bekommen immer das Stigma ihres... Vaters.« Sharon meldete sich wieder zu Wort. »Halt, Moment. Was soll das bedeuten, Fay?« Dann gab Emilio die schlimmstmögliche Antwort, die man in darauf hätte geben können. »Es bedeutet, dass die Beiden mindestens einmal erfolgreich Sex hatten.« Betretendes Schweigen lag im Raum. Bis Blake plötzlich lauthals anfing zu lachen. »Ich fasse es nicht! ­Und ich dachte, ich wäre derjenige mit schmutzigen Geheimnissen, aber das hier ist Gold Wert!« Er erntete einen kräftigen Seitenhieb von Zorans Ellenbogen. Plötzlich stand die rundliche Frau, die zuvor durch das Fenster beobachtet hatten, in der Tür. Ihre Hände umklammerten einen Besen. »Alles in Ordnung Liebes? Wer sind denn diese Gestalten? Na wartet, ihr Flegel, gleich setzt es was!« Mit einen ordentlichen Hieb, den man der kleinen Frau gar nicht zugetraut hatte, schlug sie mit dem Besen um sich. Blake konnte sich noch ducken, Callum nicht. Dieser bekam den dicken Holzstiel mit voller Wucht an die Schläfe. »Gritt! Gritt!« »Finger weg von meinen Schätzen, ihr Banditen!« »Gritt! Stopp! Das sind meine Freunde!« Noch einmal holte sie Schwung und traf Zoran am linken Oberarm. Doch spürte dieser davon nichts. Der Besen jedoch war dahin. Schwer atmend rieb sich die, schon etwas ältere Dame, das Kreuz. »Deine. Freunde?«

Etwas später saßen sie alle in dem kleinen Speiseraum und frühstückten. Gritt spendierte ihnen Brot und Aufschnitt. Callum rieb sich immer noch schmerzverzerrt den Kopf. »Immer ich!« Sharon konzentrierte sich auf ihr Frühstück. Sie war wohl erleichtert, dass es seit langem mal wieder etwas gab, was nicht zuvor vor ihren Augen gehäutet werden musste. Emilio beobachtete sie dabei. Alle saßen am größten Tisch. Nur Blake saß alleine am Fenster und schaute nachdenklich in die Ferne. Zoran wollte gerade in sein Brot beißen, als etwas an seinem Kopf zog. »Nein, Kassyan, so etwas macht man nicht!« Fay's kleiner Sohn hatte sich Zorans Haare geschnappt und einmal, so kräftig er konnte, daran gezogen. Auf die Ermahnung seiner Mutter reagierte er mit einem Schmollmund. »Tut mir leid, Zoran, ich glaube, er fand deine Haarfarbe so faszinierend.« Zoran schaute ihn mit großen Augen an. »Du findest meine Haare faszinierend, kleiner Mann?« Als Kassyan ihn daraufhin anlachte, musste auch Zoran lächeln. Er hatte dasselbe, ansteckend freundliche Lachen, welches er an Fay so mochte. »Der ist wirklich verdammt süß!« sagte Callum. »Selbst ohne Stigma sieht man sofort, dass es deiner ist.« Sie lächelte. Zoran schaute zu Blake. »Was ist los?« Ihm war nicht entgangen, dass Blake schon seit einigen Minuten angespannt den Wald beobachtete. Als Zoran auch aus dem Fenster sah, blieb ihm der Bissen fast im Hals stecken. »Soldaten!« »Was?« Plötzlich herrschte Hektik. »Sie sind auf dem Weg hierher. Keine halbe Stunde von hier, Wir müssen weg!« Callum schaute ihn zweifelnd an. »Und das kannst du von hier aus sehen?« Zoran antwortete nicht, sondern richtete seinen Blick auf die Soldaten. »Rote Banner. Die gehören zu Kayt.« »Vielleicht gehen sie auch vorbei?« sagte Sharon vorsichtig, »Nein, die machen immer hier halt.« antwortete Gritt. »Fay, Liebes, sieh zu dass du Land gewinnst. Du weißt, dass wir nicht zulassen, dass er gefunden wird.« Während die Anderen hastig ihre Sachen zusammensuchten, drückte Fay ihren Sohn ganz fest an sich. Tränen standen ihr in den Augen. Zoran konnte sie flüstern hören. »Ich verspreche dir, ich komme ganz bald wieder, mein Schatz. Und irgendwann hole ich dich in ein besseres Leben.« Sofia, die junge Bedienstete von Gritt, reichte Fay ihren Rucksack und ihren Mantel. Dann gab Fay ihrem Sohn noch einen Kuss und übergab ihn an Gritt. Als sie ihn losließ, fing er bitterlich an zu weinen. »Nicht weinen, ich komme ganz bald wieder.« Nur schweren Herzens nahm Zoran sie am Arm. »Komm jetzt, wir müssen los.« Dann rannten sie, gemeinsam mit den Anderen, aus dem Gasthaus hinaus in den Wald. Weg von den Soldaten.

Kapitel Fünfzehn

~Kapitel Fünfzehn~

Der alte Silver blickte kurz von seinem Buch auf. Seit einer ganzen Weile hatte keiner seiner Zuhörer mehr ein Wort gesagt. Wie immer hingen ihm alle gebannt an den Lippen. Lächelnd sah er in die Gesichter der Menge. Vor allem beobachtete er gerne die Kinder. Es freute ihn, dass sie sich so sehr für die Geschichten der Vergangenheit interessierten. Das gab es zu seiner Zeit nicht. Da zählte nur das hier und jetzt. Gold und Reichtum. Viele hatten aber auch keinen Zugang zu alten Geschichten. Das sie von Kindheitstagen an schuften mussten um zu überleben, war für die Menschen aus seiner Generation nichts besonderes. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Ein kleines Mädchen meldete sich vorsichtig zu Wort. »Verzeihung, geht es Euch nicht gut, Herr Silver?« Er lächelte und nahm einen großen Schluck Wasser. Die Antwort erhielt das Mädchen von seinem Begleiter. »Du musst wissen, Silver ist nun bei weitem nicht mehr der Jüngste. Lass dich von seinem äußeren nicht täuschen. Er ist noch Älter als er aussieht.« Silver musterte ihn mit dem strengen, aber liebevollen, Blick eines Lehrmeisters. »Pass auf, werde ja nicht frech! Über dich kenne ich nämlich auch so einige Geschichten.« Abwehrend und entschuldigend zugleich hob sein Begleiter die Hände. »Also, wo waren wir? Ach ja!«
 

Vor drei Tagen hatte die Gruppe das Gasthaus verlassen. Emilio schloss sich ihnen, auf Blakes Einladung hin, an. Er trottete meistens Schweigend neben ihnen her. Nur ab und an gab er einen unpassenden Kommentar zum Besten, sehr zur Freude von Blake. In der Stadt kauften sie, von dem bisschen Geld, was noch übrig war, Essen und neue Kleidung. So lief Callum nicht mehr in der dicken, schwarzen Lederrüstung umher, sondern trug nun eine braune Lederweste, darunter einen langen grünen Pullover aus Lainen. Das schwarze Fell jedoch trug er weiterhin um die Schulter. Und Emilio hatte sich ein Graues Gewand, eine graue Lederhose und Schwarze Stiefel besorgt. Was er eben halt so gesehen hatte. Es war Mittag, als sie am Ende der Straße angekommen waren. Vor ihnen lagen nun drei Optionen, die sie wählen konnten. Der Pfad links verschwand in den dichten des Waldes. Der Pfad rechts war düster und steinig. Nur der Pfad in der Mitte sah für Zoran einladend aus. Er war hell und breit und er konnte weit hinein sehen. Trotzdem wandte er sich zunächst an die Anderen. »Was meint ihr, wo geht’s lang?« Callum zuckte mit den Schultern. »Nun ja, vier Tagesmärsche von hier treffen die Wege an einem Gasthaus wieder aufeinander. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es hier nur so von Soldaten wimmelt, empfehle ich den rechten Weg. Der ist am Sichersten.« Zoran betrachtete den unheimliche Pfad. Sofort schossen ihm Bilder durch den Kopf, was dort wohl alles für Kreaturen lauern könnten. Da meldete sich Blake zu Wort. »Als ob wir nicht mit ein paar Soldaten fertig werden würden. Ich schlage vor, wir gehen links. Wenn der Weg eh da endet, wo auch die Anderen enden, dann wähle ich lieber den, bei dem die Gefahr am Geringsten ist, dass Prinzessin über schmerzende Füße jammert.« Sharon schaute ihn Böse an. »Können wir nicht einfach den Pfad in der Mitte nehmen? Der sieht am schnellsten aus.« Zoran nickte. »Der Meinung bin ich allerdings auch.« Fay deutete nach rechts. »Ich kenne die Gegend hier auch sehr gut. Der rechte Pfad ist zwar sehr schwierig, aber da hatte ich bei weitem weniger Schwierigkeiten als auf den anderen beiden.« »Was sagst du denn Emilio?« Er zuckte mit den Schultern. »Links.« Beunruhigend stellte Zoran fest, wie herausfordernd Blake Callum anschaute. »Wie wäre es dann mit einem Wettrennen?« Callum schüttelte mit dem Kopf. »Vergiss es. Auf so etwas lasse ich mich nicht ein.« »Was ist los, Hund? Ziehst du etwa den Schwanz ein?« Zoran beobachtete Callum. Sein Blick verhieß nichts Gutes. »Ich kenne die Gegend hier besser als den Inhalt meiner Taschen. Du hättest keine Chance, Welpe.« Sharon klatschte Begeistert in die Hände. »Au ja, ein Wettrennen! Und da wir sechs Leute mit drei Meinungen sind schlage ich vor, wir teilen uns auf. Je zwei von uns gehen einen Pfad entlang und der erste am Gasthaus ist der Sieger. »Wozu einen Wettkampf bestreiten ohne Gewinn?« warf Emilio ein. Doch Callum hatte bereits eine Idee. »Wer als letztes ankommt muss eine Woche lang Feuerholz sammeln, Feuer machen und kochen. Abgemacht?« Fay und Zoran sahen sich zweifelnd an. »Gut« sagte Blake. »Ich gehe mit Emilio nach links, Zoran und Prinzessin gehen geradeaus und der Hund und die Antika-Mutti gehen nach rechts. Alle einverstanden« Fay und Zoran wurden von der Übermacht der beiden Hitzköpfe gnadenlos überstimmt und knickten schließlich ein. »Na gut, meinetwegen.« sagte Zoran lustlos. Fay nickte nur. Seit ihrer Flucht aus dem Gasthaus hatte sie kaum zwei Sätze gesagt. Vielleicht tat ihr der Abstand von Blakes gehässigen Bemerkungen ganz gut, dachte Zoran bei sich. »Also dann, fertig? Das Rennen beginnt jetzt!« rief Blake und lief den Pfad nach links hinunter, gefolgt von Emilio. Auch Sharon und Callum begaben sich auf ihre gewählten Pfade. Nur Zoran und Fay blieben noch kurz stehen. »Alles in Ordnung bei dir?« fragte Zoran vorsichtig. Sie nickte. »Das glaube ich dir nicht so ganz.« »Alles in Ordnung.« »Schaffst du das?« >Was?« Er lächelte sie bemitleidend an. »Vier Tage allein mit Callum?« »Besser als Sharon.« gab sie schlagfertig zurück. Niedergeschlagen schaute er zu Boden. »Also dann, wir sehen uns in vier Tagen!« Er schaute Fay hinterher, die nun im Schatten des steinigen Pfades verschwand und machte sich selbst auf den Weg. In ein viertägiges Martyrium mit Sharon.
 

Die spitzen Steine unter seinen Füßen taten doch mehr weh als er in Erinnerung hatte. Gut, dass die Prinzessin sich für einen anderen Weg entschieden hatte. Er konnte sich schon gut ihre schlechte Laune vorstellen, wäre sie diesen gegangen. Callum blieb kurz stehen und wartete auf Fay, die etwas später als er gestartet war. Für Callum fühlte es sich an wie ein Geschenk der Götter. Ganze vier Tage hatte er Fay ganz für sich allein. Kein bösartiger Blake, kein allgegenwärtiger Zoran. Nur er und sie. Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, die Traurigkeit aus ihrem Gesicht zu bekommen und sie wieder zu ihrem gewohnt süßem Lächeln zu bewegen. Nach ein paar Minuten hatte sie ihn eingeholt. »Alles in Ordnung?« erkundete er sich. »Ja.« antwortete sie kurz und ging an ihm vorbei. Callum schaute nach oben. Über ihnen zogen sich dicke Wolken zusammen. Bald würde es regnen. Und das nicht zu knapp. Es war zwar nicht mehr ganz so kalt, aber dennoch war es es Winter. Ein kühler Wind zog auf, sodass Fay sich ihre Kapuze tief ins Gesicht zog.

Eine ganze Weile lang gingen sie schweigend hintereinander her. Über ihnen wurden die Wolken immer dunkler. Erst grau, dann fast schwarz. Als sie eine geschützte Stelle unter einem Felsvorsprung fanden, hatte der Regen bereits eingesetzt. Der kalte Wind, vor dem sie unter den Felsen nicht geschützt waren, zerrte an ihrer leicht durchnässten Kleidung. An trockenes Holz für ein Feuer war gar nicht erst zu denken. Fay saß etwas von Callum entfernt und starrte stumm in den Regen. Nach einigen Minuten nahm Callum sein schwarzes Fell ab und legte es ihr um die Schultern. » Danke, aber ich friere nicht.« Er schüttelte mit dem Kopf. »Eine Lady lässt man nicht nass in der Kälte sitzen.« »Du weißt aber schon, dass meine Wurzeln dem kältesten Gebiet der ganzen Welt entspringen?« »Eine Lady lässt man nicht nass in der Kälte sitzen!« Damit, fand er, war das letzte Wort gesprochen. Er setzte sich wieder hinten an die Wand. Ohne das Fell spürte er die Kälte nun mit voller Härte. Nach kürzester Zeit zitterte und bibberte er am ganzen Körper. Er war so darauf konzentriert, nicht zu leidend auszusehen, dass er nicht einmal bemerkte, wie Fay aufstand und sich dicht neben ihn setzte. Das Fell hatte sie über sie beide als Decke ausgebreitet. »So haben wir beide was davon.« sagte sie mit einem zarten Lächeln. »Danke.« Ihr Schultern berührten sich. Trotz der vielen Schichten nasser Kleidung fühlte sie sich warm an. »Du bist doch im Süden groß geworden, oder?« fragte Callum vorsichtig. Er wollte irgendwie ein Gespräch anfangen, denn das ewige Schweigen machte ihn schon ganz verrückt. Skeptisch schaute sie ihn an. »Ja, woher weißt du das?« Irgendwie war er nervös, konnte sich aber nicht erklären, wieso eigentlich. »Also, als ich noch jünger war, da habe ich im Palast gelebt und gearbeitet. Ich bin bei meinem Onkel aufgewachsen und er war Hufschmied der königlichen Reitschule.« »Du hast im Palast gelebt?« Verlegen fuhr er durch sein Haar. »Na ja, eigentlich nur hinter den Palastmauern, in den Unterkünften für die Arbeiter.« Fay schmunzelte ein wenig. »Klingt interessant. Das erklärt aber noch nicht woher du weißt, dass ich meine Kindheit im Süden verbracht habe.« »Ich hab dich damals mal gesehen, du warst aber noch ziemlich jung. Sechs oder Sieben, schätze ich.« Sie seufzte. »Ich verstehe. Du hast mich dort mit Kayt gesehen.« Er nickte. »Seine Festung ist gar nicht so weit weg von hier. Wenn wir dem Pfad gefolgt wären, den Sharon und Zoran gegangen sind, kämen wir nach zwei Tagen an einer Abzweigung vorbei, die direkt dorthin führt.« Callum atmete einmal tief durch.

Das war das Stichwort, auf das er gewartet hatte. Jetzt oder nie! »Darf ich dich mal was persönliches Fragen? Du musst aber nicht antworten, wenn du nicht willst!« Er erntete einen weiteren, skeptischen Blick. »In Ordnung, ich werde mir diese Option offen lassen.« Er räusperte sich. »Wie kommt es, dass du deinen Sohn, nun ja... so nah an Kayt's Festung versteckst? Gerade weil da ja so oft Soldaten vorbeikommen.« Fay's kurzzeitig aufgekeimtes Lächeln verschwand wieder. »Also, wie gesagt, wir können auch über etwas Anderes reden. Zum Beispiel... das Wetter! Oder wo du schon überall warst. Oder übers Essen? Oh nein, besser nicht. Ich hab eh schon einen Mordshunger.« »Ich wollte zurück.« Callum verstummte. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, eine Antwort zu erhalten. Eher hatte er sich darauf eingestellt, dass Fay ihm eins über den Schädel zog. »Zurück? Wie meinst du das?« Mit traurigen Augen schaute sie ihn an. »Ich irre mich nicht in der Annahme, dass ich dir trauen kann, oder?« Er schaute ihr fest in die Augen. »Nein.« Fay schloss die Augen für einen Moment. Callum wartete geduldig auf das, was er nun erfahren würde. »Als ich zwölf Jahre alt war fand ich heraus, dass Kayt es war, der unser Volk ausgelöscht hatte. Noch am selben Tag stellte ich ihn zur Rede. Als er es bestätigte, lief ich davon. Einfach zur Tür hinaus. Ich wusste nicht was ich glauben oder wem ich trauen sollte. Kayt hat nicht nach mir suchen lassen. Er glaubte, ich würde nach ein paar Tagen wieder zurückkehren.« »Wie lange warst du weg?« »Fast Sieben Jahre.« »Was hast du in der Zeit gemacht?« Sie lächelte. »Mir die Welt angesehen. Das Einzige, was ich von der Außenwelt kannte, war der Weg zwischen dem Palast und Kayt's Festung. Ich kannte nur das Leben hinter sicheren Mauern. Und mal so nebenbei, ich war auf dem besten Weg, so wie Sharon zu werden.« Callum zuckte bei der Vorstellung zusammen. »Was hat dich verändert?« Fay blickte hinaus in den regen. »Ich habe die Augen geöffnet. Anders als Sharon habe ich begriffen, was für eine Katastrophe Sorth's Herrschaft darstellt. Die Menschen lassen mich nicht in ihre Nähe. Doch ich trage sie alle in meinem Herzen. Ihr Leid, ihre Traurigkeit und ihren Hass. All das, was ich gesehen habe hat mich geprägt. Ich bin zumindest bescheidener geworden.« Sie lächelten beide. »Wie ging es weiter?« »Ich war Neunzehn und zu unvorsichtig. Soldaten haben mich in der Nähe der Festung aufgegriffen. Allerdings hat keiner von ihnen mein Stigma gesehen. In der Gegend trieb zu der Zeit eine Räuberbande ihr Unwesen und sie dachten wohl, ich gehöre zu ihnen. Und plötzlich fand ich mich in den Verliesen der Festung wieder. Ganze vier Tage habe ich damals dort verbracht. Ich habe versucht ihnen zu erklären wer ich bin, aber sie haben mich nur ausgelacht. Die Verliese bestehen aus einzelnen Zellen mit massiven Holztüren. Kein Fenster oder wenigstens ein Guckloch. Nur eine Klappe am Boden, durch welche das Essen geschoben wird.« »Und Kayt?« »Der war verreist. Wie gesagt, vier Tage! Als er erfahren hat, dass in seinem Verlies eine junge Frau mit schwarzen Haaren sitzt, die behauptet, ein Antika zu sein, hat er den armen Tropf, der ihm das berichten musste, beinahe den Hals umgedreht.« Fay erinnere sich noch genau wie es war, als er sie aus dem Verlies geholt hat.
 

Fay saß an der Wand der kleinen Zelle. Es war kalt und muffig. Irgendwo in der Dunkelheit vernahm sie das Fiepen von Ratten. Sie wusste nicht, wie lange sie schon dort war. Waren es Tage oder schon Wochen? Oder war erst eine Nacht vorüber? Sie hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Doch das beinahe gänzliche fehlen von Licht verdrehte ihr die Sinne. Abermals rieb sie sich die Hände. Die Schnittwunden von den groben Fesseln, die ihr von den Soldaten angelegt wurden, waren beinahe verschwunden. Vom Gang hörte sie Schritte näher kommen. War wohl jemand, der ihr das Essen brachte. Oder, wie Fay es nannte, die Ernährung, denn mit Essen hatte das, was sie vorgesetzt bekam, nicht viel zu tun. Doch irgendetwas stimmte nicht. Die Schritte waren schnell und viel energischer als sonst. Durch den Spalt unter der Tür konnte sie ein Licht sehen. Erschöpft stand sie auf. Sie hörte, wie jemand das Schloss aufmachte. Mit einem lauten Krachen ging die Tür auf. Das Licht der Kerze blendete sie und sie kniff die Augen zusammen. Sie hörte jemanden näher kommen. »Fay?« Kayt! Langsam öffnete sie ihre Augen, versuchte sich an das Licht zu gewöhnen. Kayt stand direkt vor ihr und strich ihr die Haare von ihrem Stigma. »Kein Zweifel, du bist es.« Als sie sich an das Licht gewöhnt hatte, sah sie ihm in die Augen. Er erwiderte ihren Blick sehr intensiv. Mit einem mal fühlte sie sich unglaublich schuldig. Ihr Atem wurde schwerer. »Es tut mir so leid« flüsterte sie.

Das heiße Bad hatte ihr gut getan. Sie fühlte sich nun wieder wohler in ihrer Haut. Sie stand nur in ein Badetuch gehüllt in einem der Gästezimmer. Ihr altes Zimmer war noch mit den viel zu kleinen Möbeln bestückt. Das Gästezimmer war aber, für ihren Geschmack, genau richtig. Nur ein kleines Bett mit Nachttisch. eine Kommode mit Spiegel und ein Kleiderschrank. Ansonsten nur Fenster und Tür. Das war ihr recht. Fay mochte keinen unnützen Kram um sich herum. Jemand klopfte an der Tür. Fay hüllte sich fest in das Badetuch ein. »Ja?« Als die Tür sich öffnete, blickte Fay in ein strahlendes, ihr wohlbekanntes, Gesicht. »Fay, meine Süße, da bist du ja endlich! Ich hab ja solche Angst um dich gehabt!« Vor ihr stand ihre altes Gouvernante, Mira. Fay war inzwischen größer als sie, was sie im ersten Moment irritierte. »Du hast dich völlig verändert! Du bist so erwachsen. Und so schön. Wir hatten schon befürchtet, dich erst wieder auf einem Leichenkarren zu sehen.« Fay schmunzelte. »Ich freue mich, dich zu sehen, Mira. Aber...« Sie deutete auf das Badetuch. »Hast du etwas zum Anziehen für mich?« Augenblicklich wirbelte die kleine, quirlige Frau zum Kleiderschrank. Fay staunte nicht schlecht, als sie die vielen Kleider erblickte, die dort hingen. »Such dir eins aus, Liebes. Wie wäre es denn zum Beispiel hiermit? Die Farbe würde ganz toll deine Augen unterstreichen. Oh, oder das hier! Sehr modern, mit einem weiten Rock. Das wäre auch...« Fay schaute mit Entsetzen zu, wie Mira ein pompöses Kleid nach dem anderen aus dem Schrank holte. So viele Rüschen und Schleifen und grelle Farben hatte sie zuletzt gesehen, als sie in einer Stadt an einem Bordell vorbei lief und zufällig die Tür offen stand. Sie warf nun selbst einen Blick in den Schrank. Ganz hinten fand sie ein Kleid, das ihr gefiel. Mira staunte nicht schlecht, als sie Fay darin sah. Anders als die anderen, hatte es keinen weiten Rock mit vielen Schichten, sondern lag, von der Brust bis zu den Beinen, eng an. Die Ärmel endeten zwischen Handgelenk und Ellenbogen. Es war auch nicht tief ausgeschnitten. Keine Schleifen oder sonstige, überflüssige Dekoration. Es bestach nur durch seine Form, welche wenig Raum für Fantasie ließ. Und durch seine Farbe. Blutrot. Mira bestaunte sie mehrmals von oben bis unten. »Umwerfend! Toll! Aber... Ist das nicht etwas gewagt?« »Wieso? Ist doch alles verdeckt.« »Ja schon aber...« Mira begutachtete, wie der dünne Stoff sich perfekt um Fay's weibliche Kurven schmeichelte, an deren Anblick sie sich erst einmal noch gewöhnen musste. Ihr langes Haar ließ sie offen. »Herr Kayt wartet im Kaminzimmer auf dich.« Fay atmete durch. Sie wusste nicht, was sie erwarten würde. Als sie noch klein war, hatte Kayt so gut wie nie mit ihr geredet. Es kam nicht selten vor, dass sie ihn wochenlang nicht zu sehen oder zu sprechen bekam. Als hätte er vollkommenes Desinteresse an ihr und ihrer Anwesenheit. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jetzt anders laufen würde. Schon gar nicht nach allem, was passiert war.

Das Kaminzimmer kam ihr kleiner vor, als sie es in Erinnerung hatte. Aber optisch hatte es sich nicht verändert. Vor ihr stand ein Sofa und mehrere Sessel, alle mit dunklem Leder überzogen. In der Ecke des Zimmers stand der große Schreibtisch aus schwarzem Ebenholz, den sie schon früher immer bewundert hatte. Allerdings hatte sie früher nicht oft Gelegenheit dazu, denn das Kaminzimmer diente Kayt als Arbeitszimmer oder wenn er Gäste empfing, was aber nicht sehr oft der Fall war. Genau wie Fay schätzte er die Einsamkeit. Und die Ordnung, Hinter dem Schreibtisch standen die Bücherregale, alle voll mit Büchern, Manuskripten, Notizen und alten Aufzeichnungen. Aber alles geordnet und an seinem Platz. Und auch der Geruch nach altem Pergament und trockenem Holz, gemischt mit Feuer, duftete wie früher. Kayt stand mit dem Rücken zu ihr am Kamin und schaute nachdenklich in die Flammen. Fay schloss die Tür hinter sich. »Hier hat sich nichts verändert.« sagte Fay. »Es wirkt nur sehr viel kleiner.« »Das könnte daran liegen, dass du dich in der großen Welt herumgetrieben hast.« Obwohl er ihr den Rücken zugewandt hatte, traute sie sich nicht, ihn anzusehen. Schuldbewusst schaute sie auf den Boden. »Ich weiß, ich hätte zurückkehren sollen.« »Allerdings. Du hast mir damit verdammt große Probleme eingehandelt.« Noch vor einigen Jahren hätte sie ihm nun ohne zu zögern den Mord an ihrem Volk und somit ihrer Familie vorgeworfen. Doch sie hatte gründlich über seine Erklärung dazu nachgedacht. Damals verstand sie es noch nicht, das änderte sich aber über die Jahre. »Es tut mir sehr leid, dass ich dir damit solchen Ärger bereitet habe. Ich hoffe, es gab für dich dadurch keine schlimmeren Konsequenzen.« Noch immer würdigte er ihr keines Blickes. »Nein, ich konnte er vertuschen... so gerade eben.« Fay rührte sich nicht vom Fleck, traute sich nicht. Sie kannte diese kalte Aura, die er verströmte. Das letzte Mal, als sie ihn so erlebte, waren kurz darauf eine ganze Menge Männer tot. Vermutlich bereute er es, sie gerettet zu haben, als sie noch so klein war. Fay kam der Gedanke in den Sinn, dass dies womöglich der letzte Moment ihres Lebens sein könnte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, doch sie versuchte standhaft zu bleiben. »Wenn du dem ganzen ein Ende bereiten möchtest, dann nur zu. Ich werde dir nicht noch weiteren Ärger zumuten.« Er drehte sich um und sah sie verständnislos an. »Ein Ende bereiten? Was zum...« Als er Fay erblickte, verstummte er mitten im Satz. Einige Sekunden lang war es still zwischen den Beiden. Etwas verwirrt, aber trotzdem entschlossen, ergriff Fay das Wort. »Du hast allen Grund dazu.« Weiterhin kein Wort von ihm. Langsam ging er um das große Sofa herum, setzte sich und deute auf den Platz neben sich. »Komm zu mir.« Verunsichert kam sie auf ihn zu und nahm neben ihm Platz. Er sagte kein Wort, schaute ihr nur in die Augen. Der plötzliche Stimmungswechsel machte sie nervös. Fay zuckte zusammen, als er seine Hand erhob. »Ich tu dir nichts.« Noch einmal streifte er ihre Haare von dem schwarzen Stigma und musterte es. Dann zog er die Hand wieder zurück. »Verzeih mir bitte, ich wollte nur noch einmal sicher gehen. Du hast dich so sehr verändert. Ohne das Stigma hätte ich dich für eine Hochstaplerin gehalten.« Erleichtert atmete sie auf. »Schon in Ordnung.« »Wo bist du die Jahre gewesen?« »Wo ich gewesen bin?« Er machte es sich auf dem Sofa gemütlich. »Ja, ich möchte alles Wissen.« Sie überlegte. Es klopfte an der Tür. Eine der Bediensteten kam rein. »Verzeihen sie, aber hätten sie gerne etwas zu trinken?« Kayt antwortete. »Ja, Rotwein. Und zwei Gläser.« »Für mich nur Wasser.« Sie erntete erstaunte Blicke. »Wasser? Wir hätten auch Wein, Tee oder...« »Nur Wasser, vielen Dank.« Die Bedienstete machte einen Knicks und verschwand wieder zur Tür hinaus. »Also, wo soll ich anfangen?« Er grinste. »Am Anfang.«

Sie begann zu erzählen. Erst zögerlich, dann immer offener. Über die vielen Orte, an denen sie war. Und die Menschen die ihr dort begegneten. Sie berichtete über die Zeit, als sie lernte, alleine im Wald zurecht zu kommen. Unter anderem die ersten, kläglichen Kochversuche. Dann über die Suche nach den Kristallschnüren und letztendlich ihren Fund und die Gefahren, die sie dabei auf sich nahm. Lange saßen sie da. Stundenlang, beinahe jeden Abend bis in die Nacht hinein. Sie redeten und lachten zusammen. Kayt verglich seine Auffassung der Welt mit der ihren und nicht selten artete dieses in Diskussionen aus, jedoch stets auf ruhiger, professioneller Basis. Und letztendlich fanden sie immer zu einem gemeinsamen Fazit. Die Zeit verging wie im Flug. Und ehe sie sich versah, war Fay schon beinahe zwei Monate in Kayt's Festung. Die Art und Weise, wie sie miteinander umgingen, war mit der Früheren in keinster Weise vergleichbar. Sie waren auf derselben Augenhöhe. Allerdings nur im geistigen Sinne. Mit seinen über zwei Metern Körpergröße überragte er sie um mehr als nur einen Kopf.

Es war ein ruhiger Abend. Fay saß auf dem Sofa im Kaminzimmer und las still ein Buch. Kayt saß an seinem Schreibtisch und arbeitete die Post durch. Eigentlich duldete er niemanden in diesem Zimmer, wenn er arbeitete. Doch solange Fay seelenruhig las, störte es ihn nicht. »Oh nein!« Sie drehte sich zu ihm um. »Was ist los? Schlechte Nachrichten? Ist jemand gestorben?« Er schaute auf den kunstvoll verschnörkelten Brief in seiner Hand. »Viel Schlimmer.« Beim Anblick des Papiers unterdrückte sie ein Lachen. »Der Maskenball?« »Der verfluchte Maskenball!« Sie lachte laut los. »Wenn du nicht sofort aufhörst zu lachen, dann kommst du mit.« Demonstrativ schlug sie ihr Buch zu. »Unter gar keinen Umständen! Hast du gesehen, was die Damen auf solchen Festen tragen? Das die damit überhaupt durch die Tür kommen, geschweige denn überhaupt erst einmal in eine Kutsche.« Er stand auf, ging zu ihr und musterte sie. »Ich weiß nicht. Würde dir sicher gut stehen. So, fünf Kilometer Stoff um die Hüften.« Sie schüttelte den Kopf. »Denk nicht mal daran!« Herausfordernd verschränkte er die Arme und schaute sie an. »Ich denke, die Garderobe stellt nicht das größte Problem dar.« »Sondern?« Er hielt ihr die Hand hin. »Du kannst nicht tanzen.« Erhaben sah sie ihn an. »Da irren sie sich aber gewaltig, Herr General. Ich kann tanzen. Sehr gut sogar.« »Ist dem so?« Er machte eine tiefe Verbeugung vor ihr und reichte ihr die Hand. »Dann darf ich bitten?« »Was, jetzt? So ohne Musik?« Schelmisch grinste er sie an. »Ich bitte dich. Ein einfacher Königswalzer sollte doch für eine so begnadete Tänzerin kein Problem darstellen.« Eigentlich ließ Fay sich nicht gerne auf Herausforderungen ein. Sie bevorzugte das Prinzip, dass der Klügere stets nachgab. Aber hier ging es um die Ehre. Also stand sie auf, machte einen Knicks und nahm seine Hand. Und dann begannen sie, vor dem Kamin und ohne Musik, langsam zu tanzen. In ihrem Kopf versuchte sie sich die Melodie des Stückes vorzustellen. Rechts, links, ein Schritt vor, dabei eine halbe Drehung, ein Schritt zurück. »Ich hab mich geirrt, du tanzt wirklich gut.« Fay lächelte sanft. Sie mochte keine Komplimente. Für einen kurzen Moment glaubte sie, sich in der Schrittfolge geirrt zu haben. Kayt blieb plötzlich stehen und umfasste sie an der Hüfte. Und dann, ohne ein weiteres Wort, zog er sie an sich heran und küsste sie. Fay wusste nicht, wie ihr geschah. Sie spürte Wärme und Sicherheit. Dann, ohne es zu merken, schloss sie die Augen. Sie wusste nicht, weswegen, aber es fühlte sich richtig an. Nach einiger Zeit beendete er den Kuss sanft. Und auf einmal schossen ihr Gedanken durch den Kopf. Es war nicht richtig, dachte sie. Wieso, wusste sie nicht, aber es war falsch. Sie wich einen Schritt zurück. »Fay?« Sie schüttelte den Kopf und ohne in anzusehen verließ sie schnellen Schrittes das Kaminzimmer.

Lange saß sie auf dem Hocker vor ihrer Spiegelkommode und dachte nach. Sie war verwirrt. Was war nur geschehen? Natürlich wusste sie, was geschehen war. Aber wieso? Jedes mal, wenn sie an den Kuss dachte, breitete sich in ihrem Herzen wieder diese Wärme aus. Aber wie empfand sie darüber? War es gut? Oder schlecht? Es fühlte sich gleichzeitig richtig und falsch an. Und sie dachte an Kayt. An die viele Zeit, die sie seit ihrer Rückkehr miteinander verbracht hatte. Schon oft hatte sie sich bei der Frage erwischt, ob das, was sie fühlte, so etwas wie Liebe sei. Sie war bisher nie wirklich verliebt gewesen. Fühlte es sich so an?

Es war bereits tief in der Nacht. Die Kerze auf ihrem Nachttisch war beinahe gänzlich herunter gebrannt. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie sich hinter ihr die Tür leise öffnete und wieder schloss. Erst als sie kurz in den Spiegel aufsah, erschrak sie kurz. »Tut mir leid. Ich hatte nicht bemerkt, dass du so vertieft warst.« Sie stand auf und richtete ihren Morgenrock. Ein vorheriger Versuch zu schlafen war kläglich an ihren wirren Gedanken gescheitert. »Schon in Ordnung.« Sie wagte nicht, Kayt in die Augen zu sehen. Dennoch hatte sie das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Ich hätte vorhin nicht einfach gehen sollen. Ich wusste nur nicht, was ich...« »Ich liebe dich.« Nun sah sie ihn an. Seine braunen Augen und der feste Blick, der in ihnen lag, fesselten sie geradezu auf der Stelle. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie brachte kaum ein Wort heraus. »Was? Meinst du das ernst?« Langsam ging Kayt auf sie zu. »Glaube mir, Fay. Ich habe schon lange nicht mehr etwas so ernst gemeint, wie das. Ich liebe dich.« Langsam ging er auf sie zu und küsste sie noch einmal. Ihr Herz raste immer schneller und heftiger. Dann umfasste er mit der einen Hand ihre Hüfte und mit der anderen löste er das Band ihres Morgenrocks und streifte ihn ihr langsam ab. Fay hörte in diesem Moment auf nachzudenken. Sie ließ es Wortlos zu. »Und ich will dich.«
 

»Ich danke dir« unterbrach Callum sie »dass du mir an dieser Stelle Details ersparst!« Breit grinsend sah sie ihn an. »Du hast doch gefragt.« »Ich hab dich gefragt, weswegen du sein Kind so nah an seiner Behausung versteckst, nicht, wie ihr es gemacht habt! Das kann ich mir schon selber denken!« Callum lief dunkelrot an. Fay lachte laut los. »Falls es dich beruhigt, ich hätte hier so oder so abgebrochen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich mache mit der Kurzfassung weiter, in Ordnung?« Er grummelte nur vor sich hin. »Das interpretiere ich mal als ein ja. Also, um es kurz zu fassen...« Sie errötete etwas und sah zu Boden. »Es blieb nicht bei diesem einen Mal.« »Ihr hattet also eine etwas längere Affäre?« »Ja, fast ein Jahr.« »Und weiter?« »Als Kayt gerade auf einer Kurzreise war habe ich gemerkt, dass ich ein Kind bekomme. Ich habe mich wieder so Gefühlt wie in dem Moment, als ich nach meiner Rückkehr im Kaminzimmer stand und damit rechnete, dass er bereit war mir das Leben zu nehmen. Du musst bedenken, er hat alle Antika, bis auf mich, gnadenlos ausgelöscht. Also bin ich wieder abgehauen.« »Aber du wolltest zurück?« Sie nickte. »Ja. Einige Monate später, kurz vor der Geburt, dachte ich, wie dumm das war. Aber ich schaffte es nicht mehr. Kassyan wollte nicht länger warten. Ich habe es nur bis zu Gritt's Gasthaus geschafft. Und da habe ich ihn dann schließlich auf die Welt gebracht.« »Und wieso hast du dich danach wieder umentschieden?« Traurig fasste sie an ihre Brust, auf die Herzseite. »Als ich ihn dann das erste Mal in meinen Armen hielt, war der einzige Gedanke den ich hatte, dass ich ihn unter allen Umständen schützen will, egal wovor oder vor wem. Das Risiko, ihn ausgerechnet durch Kayt zu verlieren schien mir beinahe greifbar. Und, um ehrlich zu sein, hat sich daran nicht viel verändert. Also versteckt Gritt ihn für mich. Und das ist auch schon das Ende der Geschichte.« Daraufhin saßen Fay und Callum einige Minuten lang schweigend unter dem Felsen. Bis Callum schließlich aufsprang. »Sieh mal, kein Regen mehr!« Fay stand auch auf, schulterte ihren Rucksack und reichte Callum mit einem Zwinkern das schwarze Fell. »Besten Dank.« Sie machten sich rasch wieder auf den Weg. Schließlich wollten sie nicht die Letzten werden. »Sag mal Fay, ohne dir zu Nahe treten zu wollen, aber eine Frage hätte ich da noch.« Zögernd sah sie ihn an. »Welche?« Er blieb vor ihr stehen und sah ihr tief in die Augen. »Liebst du ihn auch?« Gespannt wartete er auf eine Antwort. Traurigkeit sammelte sich wieder in ihren Augen. »Ich verstecke unser Kind vor ihm, weil ich befürchte er könnte es umbringen.« Er seufzte und fuhr sich beschämt durch seine Haare. »Klingt nach einem Nein.« Sie schaute weg. »Sollte man eigentlich glauben... oder?<<


Nachwort zu diesem Kapitel:
Okay, soweit der Prolog schonmal.
Es geht direkt mit den nächsten paar Kapiteln weiter! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie ihr vielleicht gemerkt habt, heißt eine meiner Figuren Fay, also wie ich mich hier nenne.
Der Spitzname kommt zwar daher und Fay ist auch die Figur, die ich mir ausgedacht habe, aber der Spitzname hat sich erst etwa ein Jahr nach der Entstehung der Figur verselbstständigt.
Ich habe mich NICHT selber eingebaut ;)
Fay Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, bis hierhin habe ich schonmal meine Story geschrieben. Ab jetzt muss ich weiterschreiben. Kapitel Sieben ist schon zur Hälfte fertig.
Fay Komplett anzeigen
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So, das ist also Kapitel Acht. Ich will ganz ehrlich sein: ich habe bei diesem Kapitel am meisten Schwierigkeiten gehabt. Ich wusste teilweise nicht mehr wie ich wo weitermachen soll. Das Gute daran: es ist ENDLICH fertig und Kapitel Neun fällt mir jetzt schon um ein vielfaches leichter. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, es hat etwas gedauert, weil ich immer mal wieder was ändern musste, aber jetzt bin ich erst einmal zufrieden^^ Komplett anzeigen

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