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Crossroad Universe

von

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Prolog | Dark Thoughts

Als Rouven in das dunkelblaue Auto einstieg und einen letzten Blick auf den Block, in dem er seit 16 Jahren gewohnt hatte, warf, wusste er, dass sein Leben soeben zu Ende ging. Es war unglaublich, wie schnell alles den Bach hinuntergegangen war und wie wenig er dagegen hatte tun können.

Die Frau am Steuer lächelte ihn flüchtig an, schloss ihre Tür und startete den Wagen; er hätte noch einmal zurücksehen und sich jedes Detail einprägen können, aber er tat es nicht. Was nutzte es ihm schon zu wissen, wie der Ort aussah, den er für die nächsten Jahre sowieso nicht mehr besuchen konnte? Das machte den Abschied für ihn mit Sicherheit nicht leichter, weswegen er es sein ließ und stattdessen stur auf die Straße vor ihm starrte.

Nicht nachdenken, sonst bröckelte die mühsam aufgebaute Barriere und er würde diese Frau, die wirklich am wenigsten für das hier verantwortlich war, wie ein Wahnsinniger anschreien. Aber irgendwo musste er seine Wut und seine Trauer auslassen, sonst drehte er endgültig durch.

Sie fuhren stillschweigen durch kleine und größere Straßen, danach folgte die Autobahn und eine endlos lange Strecke, die sie zurückzulegen hatten.

Rouven versuchte weiterhin, kein Gespräch in Gang zu bringen, er hing inzwischen trotz besserem Wissen seinen dunklen Gedanken nach. Ab heute begann sein persönlicher Alptraum, ein Leben, auf das er gut verzichten konnte; ohne Mutter, ohne Großmutter, ohne Freunde und ohne diese Großstadt, die er immer gehasst hatte, bis ihm klar geworden war, dass er auch sie schrecklich vermissen würde.

Stattdessen durfte er sein armseliges Dasein nun in einem zu groß geratenen Dorf am anderen Ende des Landes fristen und hoffen, dass ein Wunder geschah und er nicht vor Einsamkeit und Verzweiflung einging.

Im schlimmsten Fall steckten im hintersten Fach seines Rucksacks zwei Packungen mit Schlaftabletten.

Er wollte Tante Laureen nicht kennen lernen, die sich jahrelang nicht für ihn interessiert hatte und auch durch den Beschluss des Jugendamtes nicht viel daran ändern würde, das wusste er. Man mochte einen Menschen nicht plötzlich, nur weil man dazu überredet wurde, ihn bei sich aufzunehmen.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ihn die Frau freundlich. Von ihrer gespielten Nettigkeit wurde Rouven übel, ihr wäre es doch auch egal, wenn er verdurstete, dann müsste sie diesen ewig langen Weg nicht zurücklegen. Und er genauso wenig.

Er schaute weiterhin aus dem Fenster und beachtete sie nicht.

Er war nicht mehr derselbe Rouven wie vor sechs Monaten, der zwar auch öfter den absoluten Tiefpunkt erreicht, aber sich genauso oft wieder davon befreit hatte; an seiner Stelle saß nun ein lebloses, von jeder Hoffnung verlassenes Ding, das sich nach nichts mehr sehnte als den Weltuntergang; klein, hässlich, dauerhaft übermüdet, verlassen und unbeachtet, unfähig, am Leben teilzunehmen, wie eine Vogelscheuche an ihrem Stab, aufgestellt auf einem leeren Feld und einfach dort vergessen.

Eine unnütze Vogelscheuche.

Scarecrow, der Name passte doch wunderbar zu ihm; viel besser als Rouven, damit verband er so viele schöne Erinnerungen, dass es weh tat.

Ja, in diesem Moment wurde Rouven klar, dass er eine andere Identität annehmen, zu jemand anderem werden musste, um nicht wahnsinnig zu werden, um die Vergangenheit und die Zukunft voneinander zu trennen und zu hoffen, dass er irgendwann wieder in sein altes Leben finden konnte.

Bis dieser Augenblick eingetreten wäre, übernahm Scarecrow seinen Platz, ließ sich hunderte Kilometer ungefragt durch die Gegend fahren, in ein fremdes Haus einquartieren, von fremden Nachbarn anstarren.

Er holte sein Mäppchen aus dem Rucksack, entnahm ihm einen schwarzen Filzstift und schrieb sich diese neun Buchstaben auf den Arm. Unter normalen Umständen hätte er eine solche Aktion als überzogen und kindisch abgestempelt, aber im Moment brauchte er es, die Bestätigung für sein neues Ich.

Die Frau am Steuer bemerkte diesen Vorgang nicht, der Verkehr beanspruchte ihre ganze Konzentration, sodass sie nicht mitbekam, wie sich Rouven endgültig in die vor Bitterkeit zerfließende Schattengestalt Scarecrow verwandelte.

Kapitel 1 | Empty Soul

Die Kleinstadt, durch die sie sich mit dem Wagen schlängelten, wirkte beengt und dunkel, ganz passend zu Scarecrows Stimmung. Es war erst früher Nachmittag und die Menschen, die auf den Bürgersteigen entlang liefen, wirkten gehetzt, in Eile und ignorant gegenüber ihrer Umwelt. Scarecrow kannte ähnliches Benehmen aus seiner Heimatstadt, hatte aber gedacht, das wäre ein Phänomen, das man hauptsächlich in großen Städten antraf. Nicht in einem halben Dort, wie er diesen Ort hier empfand.

„Gleich sind wir da“, bereitete die Frau ihn auf die Ankunft bei seiner Tante vor; er wusste nicht, was ihm dieses Wissen bringen sollte, er wollte dort nicht einmal ankommen.

Sie hielten schließlich vor einem kleinen, etwas altmodisch wirkenden Haus mit einer schmalen Rasenfläche vor der Außenfront und einem roten Gartenzaun aus Holz; selten hatte Scarecrow in der Stadt so eine spießige Aufmachung gesehen, aber es gehörte sich hier wohl, die Nachbarhäuser rechts und links hielten sich an denselben Farbton; sogar die Farbe der Hauswände ähnelte sich, überall ein dunkel gehaltenes Gelb. Hier fiel man nicht gerne aus der Reihe.

Eine Tatsache, die Scarecrow schon die anstehenden Konflikte ahnen ließ. Die nächsten Jahre hier würden überaus unterhaltsam werden, wenn er sich nicht zwang, sich dem Benehmen und Aussehen der Bewohner hier anzupassen.

„Wenn du irgendwelche Hilfe brauchst, solltest du dich bei uns melden“, riet ihm die Frau, während sie ihm dabei half, seine zwei Koffer vor das Gartentürchen zu ziehen und auf den Klingelknopf drückte. Hoffentlich war seine Tante daheim, sonst musste Scarecrow hier untätig herum stehen, bis sie eintraf.

Seine Befürchtung bewahrheitete sich nicht, seine Tante hatte schon auf ihn gewartet, denn recht schnell öffnete sie die Haustür und trat ins Freie, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen; schließlich hatte sie ihn das letzte Mal vor mindestens sechs Jahren zu Gesicht bekommen.

Sie sah noch fast genauso aus wie auf den Fotos, durch die Scarecrow sie nur kannte, ähnelte seinem Vater unwahrscheinlich; das machte die Angelegenheit für ihn auch nicht einfacher. An seinen Vater wollte er nicht jeden Tag erinnert werden.

Er wollte eigentlich gar nicht an ihn denken, diesen verantwortungslosen Trottel, wie ihn seine Mutter öfter in Gesprächen mit seiner Großmutter genannt hatte. Sie Tante sollte vom Charakter allerdings das genaue Gegenteil von ihm sein.

Braune, hochgesteckte Haare, eine randlose Brille, die Kleidung einer durchschnittlichen Frau über vierzig. Scarecrow konnte keine Besonderheiten an ihr entdecken; ein Spießerleben war ihm nun gewiss sicher.

Er packte sein Gepäck und zerrte es durch das Gartentor, ohne sich von seiner Mitfahrgelegenheit zu verabschieden; es genügte ihm, sich nun mit seiner Tante in Kontakt setzen zu müssen.

Rouven hatte nie Probleme mit mangelnder Höflichkeit gehabt, Scarecrow wollte einfach nur seine Ruhe haben und die Kommunikation auf ein Minimum beschränken.

„Hall, Rouven“, begrüßte Laureen ihn etwas steif, ihr Lächeln wirkte zu kühl, um zu ihm durchzudringen. „Vielleicht erinnerst du dich noch an mich. Ich bin deine Tante.“

Selbst wenn sie diesen Fakt nicht erwähnt hätte, wäre es ihm nicht verborgen geblieben. Blind war er noch nicht geworden.

Er nickte als Erwiderung, ohne einen Ton von sich zu geben; ihren missbilligenden Blick über seine sichtliche Unverschämtheit nahm er wahr, schenkte ihm aber keine weitere Bedeutung. Sie musste akzeptieren, dass er momentan auf scheinheilige Freundlichkeit keinen Wert legte, lieber sollte sie ihm offen sagen, dass sie ihn nicht mochte und nicht im Haus haben wollte.

Die andere Frau war weg, er war nun also auf sich allein mit seiner Tante gestellt.

„Soll ich dir etwas abnehmen?“ Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ein Wort aus ihm herauszukitzeln. Es folgte nur ein Kopfschütteln.

Mit zwei Koffern wurde er fertig, da gab es wesentlich schwerwiegendere Dinge, bei denen man ihn unterstützen sollte. Zum Beispiel sein altes Leben zurückgewinnen oder seine Großmutter wiederzubeleben.

Scarecrow war sich bewusst, dass er durch seine abweisende Art die an sich schon problematische Situation zwischen seiner Tante und ihm noch verschärfte, aber das Ding in ihm, das sein Denken immer mehr an sich riss, nahm das billigend in Kauf. Ihm ging es nur darum, andere Menschen auch leiden zu sehen, so wie es selbst es schon so lange tat.

Auch innerhalb des Hauses sah es ordentlich, spröde und fast klinisch sauber aus; entweder hatte Laureen einen guten Eindruck auf ihn machen wollen und hatte jegliche persönliche Note aus diesen Räumen entfernt oder sie war eine wahnsinnige Ordnungsfanatikerin, die über jedes herumliegende Körnchen Sand eine stundenlange Diskussion führen würde.

„Du kannst dich gerne umsehen, wenn du willst.“ Sie schien wohl einzusehen, hier indirekte Monologe führen zu müssen, um ihn zu erreichen. „Dein Zimmer ist rechts neben dem Badezimmer; du kannst deine Sachen wegräumen. In einer halben Stunde würde ich gerne mit dir zu Abend essen.“

Am liebsten hätte Scarecrow sie darauf hingewiesen, dass sie dann höchstens sechs Uhr und er um acht wieder Hunger hätte, so kannte er es jedenfalls von daheim, aber stattdessen zuckte er mechanisch mit den Schultern, ließ seine Taschen einfach im Flur an der Garderobe stehen – später holte er sie schon – und begab sich auf die ihm angebotene Erkundungstour.

Auch in den übrigen Zimmer, die er kurz durch die geöffneten Türen betrachteten, leuchteten ihm frisch gesaugte Böden, sorgsam gegossene Pflanzen und uneingestaubte, spärlich verteilte Dekoartikel entgegen. In ihrem Hochhauswohnung war ein solcher Zustand undenkbar gewesen, seine Mutter war allergisch gegen chronisches Aufräumen und ordentlich gefaltete Bettdecken, sie hatte sich immer erst wohlgefühlt, wenn sich auf ihrem Beistelltisch die Staubflocken über die Buchdeckel gelegt hatten und man nur mit Mühe vom einen Ende des Raums in das andere gelangt war.

Sie hatte es immer begründet, dass ihr Vater ihr mit seiner pingeligen Art so sehr auf die Nerven gegangen war, dass sie sich geschworen hatte, sie nicht zu übernehmen; stattdessen war sie in die andere Extreme geraten. Und Rouven kannte hauptsächlich diesen Zustand, auch bei seiner Freundin Nikki hatte man nicht vom Boden essen können.

Und wieder quälte er sich selbst, indem er die Vergangenheit Revue passieren ließ, er würde es nie lernen; aber er musste, sonst geschah es, dass er explodierte und eigenmächtig hier die blassrosa Tapeten von den Wänden riss und die Blumen samt Vase von der Balkonbrüstung warf.

In sein Zimmer ging er ganz zum Schluss; auch hier herrschte Unpersönlichkeit, übertrieben Ordnungsliebe und eine schwache Assoziation mit einem Krankenhaus dank der weißen Wände und den kaum vorhandenen Einrichtungsgegenstände. Bett, kleiner Schreibtisch, Kleidertruhe, zwei Regalbretter. Entweder hatte Laureen nicht die finanziellen Mittel für mehr oder wollte es einfach nicht. Das blieb wohl vorläufig ihr Geheimnis.

Er warf sein Gepäck auf den schmalen Teppich vor der Truhe, packte ein paar Dinge aus und ließ es dann doch sein. Ihm fehlten die Motivation und die Lust, sich hier häuslich einzurichten. Dafür hätte er sowieso erst einmal die Wände streichen und neu behängen, den Schreibtisch mit Kleinkram und Essensresten zumüllen und seine Klamotten überall, nur nicht in die Truhe verteilen müssen.

Das Bett war genauso bequem wie es aussah, nämlich gar nicht, kein Vergleich zu seiner gewohnt durchgelegenen Matratze, die er jahrelang als Schlafplatz benutzt hatte. Wofür brauchte man ein Bettgestell, das zerlegte man irgendwann aus Versehen und dann nutzte es einem nur noch als Feuerholz.

Das Bedürfnis, auf der Stelle Nikki anzurufen und mit ihr zu reden, packte ihn; er suchte ihren Namen in seinem Handy und wartete, dass sie abhob, aber nichts geschah, sie hatte es wohl mal wieder daheim liegen gelassen, während sie sich draußen herumtrieb und mit ihren übrigen Freunden die Gegend unsicher machte.

Seufzend gab er es nach drei Mal auf; mit jemand anderem wollte er im Augenblick gar nicht reden, die hatten sich nämlich größtenteils nur gefreut, dass er ab heute nicht mehr in seiner Großstadt beheimatet war.

Durch das Fenster über dem Kopfende des Betts konnte man ein wenig die Umgebung betrachten und dabei bemerken, wie wenig Abwechslung die Aussicht bot, überall stand ein kleines Spießerhäuschen neben dem anderen und versuchte, den Schein zu wahren. Es war grauenvoll, mit so viel Angepasstheit konfrontiert zu werden, Scarecrow bekam Kopfschmerzen davon.

„Rouven, es gibt Abendessen“, hörte er seine Tante nach ihm rufen. Dass ihm der Appetit gründlich vergangen war, würde sie wohl kaum akzeptieren; außerdem musste sie noch so einiges mit ihm besprechen, wie er vermutete, und dafür war seine körperliche Anwesenheit unumgänglich.

Geistig war er gar nicht erreichbar.

Das Abendessen bestand aus einer Suppe und den Brotresten vom Vortag, so wie sie sich kauen ließen; Scarecrow biss skeptisch auf ihnen herum, selbst wenn man sie in die Suppe tunkte, wurde die Konsistenz nicht humaner. Außerdem fehlte ihm ein kleiner Anteil Fleisch – eine Scheibe genügte schon –, weil er seit drei Tagen keins mehr gegessen hatte. Hoffentlich war seine Tante keine strenge Vegetarierin, die auch nur beim Gedanken an Fleisch in ihrem Kühlschrank vom Grauen verfolgt wurde, sonst musste er sich wohl oder übel selbst einen Vorrat anlegen.

Komplett darauf verzichten wollte er nicht.

„Falls du irgendetwas brauchst, sag es mir bitte“, bot sie ihm auf ihre leicht distanzierte Art an. Ihm fielen schon auf Anhieb diverse Vorschläge ein, angefangen bei richtigem Essen, einer weniger kleinstadtlich geprägten Umgebung und Farbe für die Zimmerwand, aber es kam nicht über seine Lippen, sie klebten zusammen und ließen sich nur für das Brot öffnen. Er sah sie einfach an und wünschte sich ganz weit weg.

„Nun gut…“Je länger diese Stille zwischen ihnen hing, desto unwohler musste sie sich fühlen. „Du bist für die Schule hier schon angemeldet, ich werde dich am Montag morgen hinbringen. Sie ist nicht weit, man erreicht sie zu Fuß ohne Probleme.“

Auf Schule und neue, suspekte Mitschüler, die ihn wieder von oben herab behandelten, konnte Scarecrow sehr gut verzichten. Er überlegte schon, vielleicht gleich den ersten Schultag zu schwänzen; er wollte dort noch nicht hin, fühlte sich nicht bereit, um damit schon belastet zu werden.

„Ich werde dich dafür um 6:45 Uhr wecken.“

Für wie unselbstständig hielt sie ihn? Daheim hatte er es auch fast immer ohne die Hilfe seiner Mutter aus dem Bett geschafft; sie war diejenige gewesen, die öfter verschlafen hatte, nicht er. Aber Tante Laureen war anders als sie.

„Ich geb dir nachher einen Schlüssel; ich muss nämlich meistens bis um fünf Uhr arbeiten. Falls du ihn vergisst und ich nicht da bin, kannst du bei Kira, unserer Nachbarin klingeln, die hat einen Ersatzschlüssel für den Notfall.“

Hier wurde tatsächlich alles durchgeplant und auf Sicherheit geachtet; ein Schlüssel unter der Fußmatte hätte auch gereicht, hier stahl sowieso niemand, alles viel zu gesittet.

Das schienen vorläufig ihre Hauptanliegen gewesen zu sein, sie schwieg nämlich und begann selbst, ihre Suppe zu essen, während Scarecrow schon längst fertig war und auf seinem Stuhl herumrutschte.
 

Den restlichen Abend hielt er sich in seinem neuen Zimmer auf; zwar hätte er die Möglichkeit gehabt, sich zu seiner Tante auf ihr strahlend weißes Sofa zu setzen und sich mit ihr zu unterhalten, aber erstens wollte er allein sein und zweitens hatte er jedes Mal, wenn ihm das Weiß zu sehr ins Auge stach, das Verlangen, eine Packung Kirschsaft darüber auszuleeren.

Notdürftig hatte er seine Kleidung in die Kiste gequetscht, den Schreibtisch in Beschlag genommen und aus Verzweiflung Blätter mit sinnlosen, bunten Formen bemalt und an die Wand gehängt, um die Leere aus diesem Zimmer zu verbannen. Nikki hatte sich immer noch nicht bei ihm gemeldet; es ärgerte ihn, er brauchte sie unbedingt und sie hatte etwas Besseres zu tun. Leider gab es auch in diesem ganzen Haushalt keinen Hinweis auf einen Internetanschluss oder einen Computer, er konnte sie also nur über sein Handy erreichen.

Wie zur Hölle sollte er nun Kontakt zu seiner Außenwelt aufnehmen, zu Menschen, deren Handynummer er nicht zufällig besaß? Er war davon ausgegangen, dass seine Tante zwar nicht jedem Trend hinterher rannte, aber dass sie irgendwo im letzten Jahrhundert stecken geblieben war, fand er nicht lustig.

Seufzend sah er sich in seinem Zimmer um; er wusste nicht, was er tun sollte, er hatte zwar ein paar Comics und seinen antiken Gameboy auf einem der Regalbretter abgelegt, aber sein Bedürfnis, sich damit zu beschäftigen, tendierte gegen Null.

Er hätte nach draußen gehen und die neue Stadt erkunden können, aber dafür hätte er seine Tante um Erlaubnis fragen müssen, da sie sonst sicher die Polizei nach ihm suchen ließ, und auf Kommunikation verzichtete er momentan gerne.

Ihr ein Zettelchen zu schreiben und es ihr zuzuschieben wäre auch dreist gewesen.

Ihm fiel nur eine Tätigkeit ein, die er sehr begrüßen würde: Schlafen. Einfach die Augen schließen und nicht mehr merken, wo man sich aufhielt. Das wäre die effektivste und einfachste Methode.

Komplett angezogen verkroch sich Scarecrow unter die Bettdecke, die nach einem unbekannten Waschpulver roch, und versuchte, in irgendeinen seichten Traum zu fliehen.

Natürlich klappte es nicht, stattdessen lag er noch mindestens eine Stunde da, starrte an die Decke, hörte im Flur seine Tante mit irgendwem am Telefon reden und verfluchte schon aus weiser Voraussehung den Montag, der ihn ans Ende seiner Kräfte treiben würde.

Dieses gottverdammte Kaff brachte ihn noch um.
 

Der nächste Tag begann, wie der letzte geendet hatte. Scarecrow fühlte sich schon fremd, als er die Augen öffnete und direkt mit dieser ewig weißen Wäsche um sich herum konfrontiert wurde, die ihm automatisch die Laune verdarb.

Sie verriet ihm nämlich schon in den ersten Sekunden, wo er sich aufhielt und dass er nicht einfach zurück nach Hause marschieren konnte. Außer er hatte Spaß daran, einen ganzen Tag zu laufen und dann kein Dach mehr über dem Kopf zu haben.

„Rouven, bist du wach? Das Frühstück ist fertig.“

Das Timing war beängstigend gut; aber vielleicht hatte seine Tante ihn schon öfter gerufen und ihn dadurch geweckt, es konnte ihm auch egal sein.

Appetit verspürte er keinen, hoffentlich wurde das zu keinem Dauerzustand. Scarecrow war an sich schon eher ein Strich in der Landschaft, wenn er nun drastisch abnahm, wäre er dürr wie ein Ast und machte dem Namen seines neuen Ichs alle Ehre.

Bevor er seine Tante am frühen Morgen mit seiner Anwesenheit erschreckte, schlurfte er ins Bad, um sich mit einer Ladung Wasser direkt ins Auge wach zu bekommen. Sein Spiegelbild verriet ihm nichts Gutes; eine mürrische Miene blitzte ihm entgegen, seine Klamotten sahen furchtbar zerknittert aus und in seinem Gesicht konnte er ein paar schwache, schwarze Linien erkennen. Er hatte wohl unbewusst gestern Nacht den Kopf auf den verzierten Arm gelegt.

Seine Tante musterte ihn dementsprechend, als er sich stumm wie ein Grab auf den Stuhl am Tisch setzte und sich nicht entscheiden konnte, ob er aus reiner Gewohnheit doch etwas essen sollte. Allein damit er etwas zu tun hatte und nicht die nächsten Minuten untätig vor seinem Teller hockte und seine Tante von ihm wieder erwartete, dass er mit ihr redete.

„Möchtest du heute etwas Bestimmtes machen?“, fragte ihn Laureen aus, obwohl sie schon zu ahnen schien, wie zuvor keine Antwort zu erhalten. „Kira, unsere Nachbarin würde dich nämlich gerne kennen lernen.“

Sollte sie tun, wenn es ihr Spaß machte, kein Gespräch mit ihm führen zu können. Es gab nichts an ihm, weshalb man ihn freiwillig kennen lernen wollte, das würde diese Kira bestimmt recht schnell realisieren.

Sein Schweigen war für sie eine indirekte Bestätigung, für ihn den Vormittag verplanen zu dürfen. Solange kein Widerstand im Sinne von einem überaus bösen Gesichtsausdruck ihren Blick kreuzte, musste sie sich keine Gedanken machen, ihn zu etwas zu zwingen.

Scarecrow konnte sich wehren, wenn ihm eine Situation nicht passte.
 

Nachdem er sich soweit hergerichtet hatte, dass er ohne schlechtes Gewissen und peinliche Streifen an der Wange das Haus verlassen konnte, stand er vor der Eingangstür eine Hausnummer weiter. Allein.

Angeblich hatte seine Tante noch etwas Wichtiges vorzubereiten, weshalb er den ersten Besuch bei Kira im Einzelgang antreten durfte. Er hoffte für seine Tante, dass sie nicht schnurstraks in die Kirche geeilt war – es war Sonntag! Ein übles Zeichen –, denn mit Religion und dem Glauben an Gott hatte Scarecrow nicht erst seit dem Vorfall eine spürbare Abneigung gegen seiner Meinung nach nicht existente, transzendente Wesenheiten, die man lieber von Anfang an aus seinem Leben aussperren sollte.

Scarecrow überlegte, ob er nicht vielleicht noch die Flucht ergreifen sollte, bevor er sich tatsächlich in die Höhle des Löwen begab, doch sein kurzzeitiger Gedanke wurde verjagt, als seine neue Nachbarin etwas zu hektisch die Tür aufriss und ihn fast umrannte.

„Oh, hey, du bist Rouven, oder?“ Sie lächelte ihn überraschend freundlich und einladend an; so hatte ihn in diesem Kaff noch niemand aufgenommen. Mit seiner Weltuntergangsmiene und der Flut an Schwarz, die er fast ununterbrochen als Kleidung trug, musste er sicher wie ein böser Geist für diese Menschen hinter dem Mars wirken.

Bei Kira nicht, aber sie war höchstens Mitte zwanzig, wenn ihn seine Schätzkenntnisse nicht völlig im Stich ließen. Junge Leute konnten mit außergewöhnlichen Dingen besser umgehen als die, die sonst noch hier im Umkreis wohnten.

„Ich bin Kira, aber das hat dir deine Tante sicher schon erzählt. Ich finds schön, dass hier endlich jemand in meinem Alter ist. Die meistens Leute sind hier… naja, beinahe antik, da fühlt man sich mit der Zeit etwas fehl am Platz.“

Zwar fand es Scarecrow merkwürdig, vom Alter her mit Kira auf eine Stufe gestellt zu werden – er war mindestens fünf Jahre jünger als sie –, aber vielleicht gab es in der direkten Nachbarschaft wirklich so wenig Jugendliche, dass sie sich über jedes neue Gesicht freute, das ein gewisses Verfallsdatum noch nicht überschritten hatte.

Selbst wenn es sein unzufriedene Gesicht war.

Natürlich ließ sie ihn nicht draußen vor der Tür Wurzeln schlagen, sondern holte ihn ins Innere des Hauses, das ähnlich wie das Zuhause seiner Tante geschnitten war, man hatte hier ebenfalls auf Keller und weitere Stöcke verzichtet, aber dafür sah die Einrichtung um Weiten lebendiger aus und nicht wie aus einem längst vergangenen Zeitalter.

Scarecrow fühlte sich seltsam, ohne triftigen Grund im Wohnbereich einer ihm völlig fremden jungen Frau herumzustolzieren und die Couchbezüge im Geiste zu beurteilen, aber Kira hatte damit anscheinend kein Problem. Im Gegenteil, sie strahlte immer noch sehr erheitert über ihn.

Vielleicht lachte sie auch innerlich ein wenig über ihn, wie er hier so im eindeutigen Schwarz und ohne ein Wort der Begrüßung hinter ihr herlief. Für sie musste er wie ein pubertärer Teenie in einer suspekten Phase erscheinen; seine Tante hatte ihr wohl kaum den exakten Grund für seine Gegenwart verraten.

„Jedes Haus hier sieht irgendwie gleich aus; das war bei euch in der Großstadt bestimmt anders.“ Sie strich sich eine Strähne ihres kurzen, haselnussbrauen Haares hinters Ohr, das aber schon wenige Sekunden später wieder ihre Sicht versperrte.

Musste sie ihn ausgerechnet daran erinnern? Wie Menschen es immer erreichten, ohne Zusammenhang auf unangenehme Themen zu springen. Darüber schwieg er sich also lieber aus und wartete, dass sie von selbst ihren Fehler einsah.

„Du redest nicht besonders gerne“, stellte sie ein wenig enttäuscht fest. Kira hatte sich Hoffnungen gemacht, einen neuen Gesprächspartner für sich entdeckt zu haben. „Naja, dafür rede ich manchmal für zwei… ich hoffe, das stört dich nicht. Das passiert mir meistens unbewusst. Möchtest du Kekse?“

Und sie hatte ein Talent, von einem Thema zum nächsten zu rennen, ohne ihm Zeit zu lassen, darauf überhaupt zu reagieren. Die Frage mit den Keksen überforderte ihn schon leicht, weil er nicht darauf gefasst gewesen war.

Deswegen stand er nun etwas dümmlich in ihrer Küche, die Hände in den Taschen vergraben und mit der Wahl, weiter zu fasten oder aus Höflichkeit ihren Boden vollzukrümmeln. Scarecrow kam sich grundlos wie ein Idiot vor, dabei meinte es Kira sicherlich nur gut, er sah keine Hinterlist in ihren Augen und es hätte ihr auch nichts gebracht, ihn hier vorzuführen.

Er war ein viel zu misstrauischer Zeitgenosse geworden, um reine Freundlichkeit zu verstehen. Aber woher sollte eine Vogelscheuche solche Gesten erleben?

Es endete, dass Kira ihn auf einen dunkelblauen Sessel im Wohnzimmer schob, ihn mit einer Schale Buttergebäck eindeckte und ein wenig über sich zu erzählen begann, in der Hoffnung, auch Informationen aus ihm herauszuangeln.

Sie berichtete ihm kleine Episoden aus ihrem Leben, die sie in dieser Kleinstadt mit ihren Freunden, die größtenteils schon geflohen waren, erlebt hatte, lästerte ein kleines bisschen über die ihrer Meinung nach viel zu engstirnigen Senioren, die diese Straße bevölkerten, und plauderte noch über ihr Anglistikstudium, das sie erfolgreich in absehbarer Zeit abschließen wollte.

Scarecrow hörte zu, kaute dabei die Kekse zu Brei und nickte immer wieder, um zu signalisieren, dass er ihr folgte und nicht in andere Sphären abtauchte, um ihrem Geschwätz zu entkommen. Sie hatte schon allein durch ihre freundliche Art einen Bonus bei ihm, er wünschte sich, dass ihn der erste Eindruck von ihr nicht täuschte. Das wäre sonst ziemlich niederschmetternd.

Sie stand auf und setzte ihm ihren Laptop vor die Nase, um ihm Bilder aus ihrem letzten Urlaub aus Südfrankreich zu zeigen, weil sie beschloss, dass es ihn möglicherweise interessieren konnte. Doch in Scarecrow schob sich ein ganz anderer Gedanke an die Oberfläche, der sich nicht mehr verdrängen ließ, obwohl er ihn nicht guthieß.

Selbst für sein verbittertes Ich klang es dreist, unverschämt und erweckte mit Sicherheit einen schlechten Eindruck. Trotzdem schaffte es die Frage über seine Lippen.

„Hast du da Internet drauf?“ Das erste Mal, dass er in dieser Kleinstadt einen Ton von sich gab. Und dann war es so etwas. Er schämte sich fast für sich selbst, so ein Egoist zu sein.

„Natürlich.“ Die Frage überraschte sie etwas. „Irgendwie muss man ja Kontakt mit anderen halten, wenn hier keiner wohnen will. Willst du dran? Laureen hat kein Internet, stimmts?“

Sie hatte ihn eindeutig durchschaut und nahm es ihm nicht einmal übel, dass er ihre Gastfreundlichkeit sofort aufs Äußerste ausreizte. Nun hatte er wirklich einen Grund, sich furchtbar schlecht zu fühlen, aber der Gedanke, für kurze Zeit in sein altes Leben abzutauchen, wischte die Zweifel über seine Tat sofort weg.

Sie übergab ihm tatsächlich ihren Laptop und zog sich sogar diskret zurück, mit der Begründung, noch kurz die Küche aufräumen zu müssen, damit er ungestört seinen privaten Angelegenheiten nachgehen konnte.

Scarecrow hätte nie erwartet, dass er so viel Glück haben und so jemand nettes treffen konnte wie Kira. Einen kurzen Augenblick schoss ihm die Überlegung durch den Kopf, dass es vielleicht doch nicht so schlimm in dieser Kleinstadt werden konnte, wenn er zumindest eine Art Verbündete um sich hatte; sie wurde verdrängt von der Möglichkeit, endlich Nikki zu erreichen, die sich immer noch mit keiner Silbe bei ihm gemeldet hatte.

Sie war nicht online; das frustrierte ihn, er hatte sich darauf gefreut, endlich mit ihr in Kontakt zu treten. Und der Rest der Leute, die auf der Seite herumhingen und kein Leben zu haben schienen, weil sie sich eigentlich ununterbrochen dort aufhielten, interessierte ihn kein bisschen. Sie waren nicht traurig, dass er hunderte von Kilometer entfernt kurz vor der absoluten Verzweiflung stand.

Aus Mangel an Alternativen schrieb er Nikki eine kurze Nachricht – ich bin angekommen, meld dich mal bei mir! – und fragte sich, ob er Kiras Gutmütigkeit noch mehr ausnutzen und sich ein wenig mit Musik berieseln sollte. Eigentlich hatte er kein richtiges Verlangen danach, aber gleichzeitig musste er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Jeden Tag konnte er Kira nicht überfallen, so unverfroren hatte ihn seine Lage nicht werden lassen.

Nach einer Viertelstunde hatte Kira ihre Alibiarbeit beendet und stand geduldig im Türrahmen zum Flur, keine Regung in ihrem Gesicht verriet, dass sie von ihm und seinem nicht besonders höflichen Verhalten genervt war.

Das schlechte Gewissen begann nun doch an Scarecrow zu knabbern; er trennte die Internetverbindung und betrachtete sich noch die restlichen Bilder, die Kira und zwei ihrer Freundinnen an einem Strand bei Sonneuntergang zeigten.

„Du kannst gerne öfter kommen, wenn du etwas brauchst“, meinte sie wie nebenbei, als sei es selbstverständlich, seinen Laptop jederzeit an Jungs aus der Nachbarschaft zu verleihen. Entweder war sie von Natur aus eine furchtbar gute Seele oder sie hatte Hintergedanken. Scarecrow war es momentan noch egal, solange er nicht nur bei seiner Tante sitzen musste und in Trostlosigkeit ertrank.

Allein beim Gedanke an die Schule, in die er ab morgen jeden Tag gehen durfte, wurde ihm schlecht. Vielleicht sollte er wirklich blau machen und das Unausweichliche hinauszögern.

Irgendwann gegen Nachmittag, als Kira ihm noch mindestens ein Dutzend weitere Order mit Bildern von Menschen, die er nie kennen lernen würde, vorgeführt hatte, beschloss Scarecrow, den Weg zurück in sein Zimmer anzutreten. Er hatte genug Gesellschaft für den Tag gehabt, er brauchte nun Ruhe und Zeit, um sich zu regenerieren und nachzudenken. Selbst wenn er dadurch wieder in sein altbekanntes Loch fiel, aber es gehörte für ihn inzwischen dazu, sich mit seinem Dasein auseinanderzusetzen.

Vielleicht erhielt er auch endlich eine SMS von Nikki. Ewig konnte sie ihn nicht übersehen.
 

Den Nachmittag über verschlug es ihn in die kleinen Straßen der Stadt, in denen herumfliegendes Papier eine Seltenheit war und Gepflegtheit extrem groß geschrieben wurde. Hier räumten bestimmt die Hunde ihren Dreck selbst weg.

Von diesem Anblick bekam Scarecrow Kopfschmerzen, es ging ihm so dermaßen auf die Nerven, überall mit dieser peniblen Ordnung bombardiert zu werden. Irgendwann startete er einen Ausbruch aus diesem Raster und verteilte Erde direkt vor einer der Briefkästen, wo es jeder sah.

Das war hier wirklich nicht mehr normal.

Trotz intensiver Suche fand er die Schule nicht von selbst, das bedeutete, seine Tante musste ihn morgen früh dort abliefern oder ihm eine gute Wegbeschreibung mitgeben, sonst landete er nicht am Eingangstor, sondern mitten im kleinen Teich, den man neben der schlichten Kirche im Stadtinneren angelegt hatte.

Wie hielt es Kira nur freiwillig hier aus. Wenn sie doch an einer Universität in einer größeren studierte, warum zog sie nicht sofort dorthin statt sich hier zu Tode zu langweilen, weil man den Begriff Außergewöhnliche Geschehnisse nur aus der Tageszeitung kannte. In ihrem Alter hatte man doch definitiv keine Lust mehr, die selben Wände wie in seiner Kindheit zu betrachten.

Unwillkürlich fragte sich Scarecrow, ob hier schon einmal jemand einen Massenmord verübt hatte, nur damit die Leute aus ihrer kleinen, scheinheiligen Welt geholt wurden. Er hatte so etwas natürlich nicht vor, aber auf irgendeine Weise musste hier etwas getan werden, sonst veränderte sich hier nichts.

Aber eigentlich konnte es ihm egal sein, was in diesem Kaff passierte; sobald er achtzehn war, suchte er sowieso das Weite und dann hätte er mit diesem Ort nichts mehr am Hut. Wenn er nicht sogar vorher von hier wegkam, weil seine Tante nicht länger mit ihm zurecht kam und ihn ans Jugendamt abschob. .

Das Wetter war schon besser gewesen; die Sonne versteckte sich schon seit heute Morgen hinter Wolken, man wartete nur darauf, dass es zu regnen anfing, die Temperaturen lagen für die Jahreszeit unangenehm unter dem Durchschnitt. Vielleicht war das der Hauptgrund, warum sich nur wenige Menschen auf den Bürgersteigen und in ihren Gärten blicken ließen. Wenn man drinnen im Warmen sitzen konnte, dann tat man das auch statt planlos wie er durch die Gegend zu laufen und sich ein immer unschöneres Urteil über die Welt zu bilden.

Sein Handy hatte den ganzen Tag noch kein Lebenszeichen von sich gegeben; weder geklingelt noch vibriert, Nikki kam seiner Aufforderung nicht nach. Es ärgerte ihn, er hatte extra mit ihr abgesprochen, dass sie so bald wie möglich von sich hören ließ, damit er hier nicht schon in den ersten Tagen vor sich hinlitt. Ihr schien es egal zu sein, sie kümmerte sich lieber um ihr tolles Leben in der Stadt, abwechslungsreich und sorgenfrei, wie es immer für sie gewesen war.

Warum war das Schicksal so ungerecht zu ihm? Warum verstand ihn keiner?

Warum musste er sich diesen ganzen Mist antun?

Kapitel 2 | Personal Nightmare

Es war seltsam und ungewohnt, morgens nicht mehr ganz so früh aufstehen zu müssen; hier brauchte er nicht mehr mit dem Bus zu fahren, die Strecke konnte man immerhin laufen, ohne dass es Stunden dauerte.

Trotzdem fühlte sich Scarecrow nicht ausgeruht, er war nervös, angespannt, lief unablässig in seinen eigenen vier Wänden auf und ab, weil er nicht wusste, was er zur Beruhigung machen sollte. Essen konnte er nichts, sonst hätte er sich übergeben; angezogen war er schon, seine Schulsachen lagen gepackt in seiner Tasche vor dem Bett auf dem Fußboden.

Er wollte nicht in diese dämliche Schule mit ihren komischen Schülern, die sicher nicht positiv auf ihn reagieren würden, so wie er auch auf sie. Er konnte sich sowieso nicht auf den Unterricht konzentrieren, auf die Themen und Inhalte und endlosen Gespräche ohne Logik. Sein Kopf würde sich weiterhin mit anderen und vor allem wichtigeren Angelegenheiten des Lebens beschäftigen.

Vielleicht sollte er sich krank stellen, entgegen seinem gesunden Menschenverstand sich in den Finger in den Hals drücken, bis ihm sein spärliches Abendessen von gestern, eine Scheibe Schwarzbrot mit Frischkäse, wieder hochkam. Das wäre ein plausibler Grund, diesen Gang nicht antreten zu müssen und stattdessen das Bett hüten zu dürfen.

Und es wäre so feige, dass es selbst in Scarecrow Widerwillen erweckte; außerdem fand er allein den Gedanken abstoßend, der Geschmack hielt sich meistens über Stunden und ging nicht weg.

Hin und hergerissen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten sammelte er seine Sachen zusammen und begab sich in Richtung Haustür, obwohl er zu früh dran war; die Nervosität ließ ihn aber nicht einmal in Ruhe atmen. Eigentlich hatte seine Tante ihm angeboten, ihn zumindest heute an der Schule abzuliefern, damit er den kürzesten Weg kannte, aber allein die Vorstellung, mit ihr dort aufzutauchen und sich so weit ins Aus zu befördern, bevor er überhaupt jemanden aus seiner neuen Klasse kennen gelernt hatte, war für ihn fast unerträglich. Er fühlte sich auch so allein genug gestraft.

Mit einem Kopfschütteln hatte er ihren nett gemeinten Vorschlag abgelehnt; in weiser Voraussicht, weil sie sich denken konnte, dass er Gefahr lief, sich zu verlaufen, hatte sie ihm eine kurze, aber sehr präzise Wegbeschreibung aufgeschrieben, die sie ihm noch in die Hand drückte, bevor er ohne einen Ton durch die Haustür trat.

Wind belästigte seine ohnehin schon zerrupfte Erscheinung, er wehte ihm kleine Strähnen seines schwarzen Haares in die Augen und ließ ihn zeitweise erblinden. Fast wäre er deshalb gegen das Gartentürchen gerannt, bemerkte die drohende Gefahr aber rechtzeitig und bremste ungeschickt ab.

Der Tag versprach ihm, extrem unterirdisch zu werden; er hätte sich doch wieder in seinen Berg aus weißen Bettlaken kauern und auf ein nicht existentes Wunder hoffen sollen statt sich beinahe die Kniescheiben zu brechen.

Nun lag es also an ihm, sich umzuorientieren und alte Gewohnheiten abzulegen; nicht mehr die nächste Haltestelle aufsuchen und sich von einem überfüllten Bus durch die Straßen fahren lassen. Stattdessen durfte er laufen und laufen, an Grundstücken und gleichbleibenden Häuserreihen vorbei, immer mit der Gewissheit, dem lauernden Grauen ein paar Zentimeter näher zu kommen.

Früher hatte Schule zwar auch keinen besonders hohen Stellenwert in seinem Leben gehabt, man ging halt hin, um irgendwann sein Abi zu bekommen und traf zum Glück nebenbei Freunde. Aber er hatte nie wirklich Sorgen deshalb gehabt, obwohl er nie sonderlich beliebt gewesen war.

Heute hatte er einfach nur Angst davor, was auf ihn zukam. Er war viel zu angeschlagen, um große Gemeinheiten zu ertragen, das spürte er, genauso wie ihn eine Welle der Ablehnung auch nicht gut tun würde. Und insgesamt provozierte er es doch, nur um noch tiefer im Selbstmitleid zu versinken.

Die Gebäude der Lehranstalt, die hinter der nächsten Straßenecke auftauchten, sahen verdächtig normal aus; grau, gedrungen, ungepflegt. Hier räumte niemand regelmäßig auf. Aber so stellte man sich eine Schule vor, sie erinnerte Scarecrow sogar an sein altes Gymnasium, nur dass dieses um einiges größer gewesen und dass ihm die Masse, die sich dort Tag für Tag auf dem Hof getummelt hatte, uneinheitlicher und bunter erschienen war.

Aber Übereinstimmung gab es in jedem Bereich des Lebens, das konnte er nicht leugnen und nicht vor sich selbst verstecken, nur das Kleinstadtgefühl und die Eingesperrtheit war völlig neu und verwirrend für ihn.

Sein erster Weg, als er das Tor passiert hatte und gleich den ersten Schülern ausgewichen war, führte ihn ins Sekretariat, einer eingerichteten Besenkammer, wo er das übliche Prozedere durchlief, um an Informationen zu gelangen, und die abschätzigen Blicke des Sekretärs, der hinter seinem Tisch klebte und kaum die Tastatur bedienen konnte, über sich ergehen ließ.

Der Mann lebte sicher noch geistig in der Steinzeit, ihm konnte er also verzeihen, wie er auf ihn reagierte. Bei seinen Mitschülern wäre das ein ganz anderer Fall.

Mit den Materialien, die ihm unter unfreundlichen Worten unter die Nase gehalten wurde, machte er sich auf die Suche nach seinem Klassensaal. Es durfte keine Herausforderung sein, er hatte schließlich auch hier her gefunden, ohne in der nächsten Gemeinde zu landen.

Scarecrow seufzte, während er einen flüchtigen Blick auf den Stundenplan riskierte. Viel zu zerstückelte Einzelstunden und bis in den Nachmittag gezogener Unterricht, um ihn mögen zu können. Entweder war das hier Sitte oder die erste Frechheit der Schulleitung ihm gegenüber.

Die Tür stand offen, er musste sich nicht durch lautes Klopfen ankünden, sondern konnte einfach in den Saal schlüpfen und hoffen, dass nur wenige auf ihn aufmerksam wurden. Vielleicht wussten sie nicht einmal mit Sicherheit, dass er heute zu ihnen kam; an diversen Schulen mangelte es immerhin an der einfachen Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern.

Natürlich klappte es nicht, niemanden blieb das Eintreten eines völlig fremden Jungen mit auffälliger Kleidung und wenig Begeisterung für seine Umwelt komplett verborgen, da hätte er sich der hier herrschten Gruppe in vielen Punkten mehr anpassen müssen.

Die Hälfte der hier Versammelten registrierten sein Erscheinend kurz, bevor sie sich wieder ihren Freunden oder ihren nicht erledigten Hausaufgaben zuwandten, mindestens drei glotzten ihn nicht sehr höflich an, als wäre er eine merkwürdige Märchengestalt, und einer aus der letzten Reihe begann etwas dämlich zu lachen.

Es fing wieder wunderbar für Scarecrow an.

Eins der Mädchen, die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Rest ihrer Freundinnen, bei denen sie gesessen hatte und ihn unwillkürlich an eine Ansammlung Klone erinnerte, kam auf ihn zu und versuchte, sich auf ihn einzulassen.

„Ähm, hey. Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber ich bin Rabea. Schön, dich kennen zu lernen.“ Sie sah ihn auffordernd an, damit er auf sie reagierte und sie sich nicht wie ein dummes Kind vorkommen musste. Ihr Plan schlug natürlich fehl.

„Du kannst dich neben Olivia setzen, da ist noch frei.“

Wenn er nun noch wüsste, wer das war, konnte er ihrem Vorschlag nachgehen. Obwohl er ihm deutlich lieber war als weiterhin hier wie bestellt und nicht abgeholt herumzustehen und auf die Minuten warten zu müssen, wenn man gezwungen wurde, sich dem neuen Lehrer vorzustellen.

Als Rabea endlich klar wurde, dass ihr Tipp ungefähr so wirkungsvoll gewesen war wie ein Blütenblatt als Regenschirm bei einem Orkan, lief sie rot an und überspielte diese Peinlichkeit, indem sie ihn zu besagter Olivia brachte.

Nun saß er also auf einem Platz neben einem Mädchen, das er nicht kannte, wartete auf den Lehrer, den er genauso wenig kannte, und hatte keinerlei Interesse, in den folgenden Unterricht involviert zu werden. Vielleicht bemerkte man ihn nicht, wenn er sich unscheinbar verhielt und der Rest die Klappe hielt.
 

Es trat tatsächlich ein, was Scarecrow sich gewünscht hatte; der Lehrkörper, der seit knapp zehn Minuten den Unterricht vorgab zu leiten – in Wirklichkeit machte er hier eher Urlaub – nahm ihn nicht wahr. Statt sich zu wundern, wer der Junge in der dritten Reihe auf der Seite war, blätterte er ab und zu in seinen Unterlagen herum und klopfte ansonsten dumme Sprüche. Wenn man das Alter des Mannes mit einrechnete ein merkwürdiges Verhalten, vor allem in dieser sonst so betont ernsthaften Umgebung.

Keiner außer ihm selbst störte sich daran. Langsam fragte sich Scarecrow, wo er hier hingeraten war. Er hockte schweigend und unaufmerksam auf seinem neuen Platz und konnte es nicht lassen, permanent auf die Uhr zu sehen und auszurechnen, wie lange er sich das hier noch antun musste, er lernte hier sowieso nichts, weil er diesen Lehrer auch nicht ernst nehmen konnte und sich auch keine Mühe gab, die Zusammenhänge seiner Worte zu verstehen.

Merkwürdigerweise beteiligten sich alle anderen um ihn herum sehr fleißig an der Stunde, dauernd gab irgendwer seinen Senf dazu oder fragte Dinge, die wirklich niemand so genau wissen wollte. Diese Personen hier schon. Sie witterten wohl dadurch den großen Sprung für ihre mündliche Note.

„Herr Fahrwald, ich verstehe das nicht, können sie das noch einmal genauer erklären?“, ließ auch Olivia ihre Begierde nach überflüssiger Allgemeinbildung durchsickern und Scarecrow fluchte leise. Warum musste sich hier jeder besonders intelligent fühlen wollen? Er hatte nicht einmal mitbekommen, worum es im Einzelnen ging, trotzdem konnte es unter keinen Umständen so faszinierend sein.

„Natürlich kann ich das… wer ist der junge Mann neben Ihnen?“ Etwas verwundert darüber, ihn gar nicht gesehen zu haben, rückte der Mensch mit der Vorbildfunktion seine Brille auf seiner Nase zurecht. „Wer sind Sie?“

Und schon lag die ganze Aufmerksamkeit nicht mehr auf Olivia, sondern auf ihm. Gerne hätte Scarecrow sich über diesen Wandel geärgert und so getan, als wäre er nicht betroffen, aber erstens schauten ihn zwanzig Paar Augen direkt an und zweitens machte er dadurch die Angelegenheit nicht weniger unangenehm.

„Rouven.“ Fast hätte er mit Scarecrow geantwortet. Aber damit konnte niemand hier etwas anfangen.

„Ach, Sie sind der neue Schüler. Gut zu wissen.“ Ob es jetzt scherzhaft oder missbilligend gemeint war, ließ sich nicht einwandfrei ermitteln; irgendwer kicherte dumm vor sich hin. Was hier lustig sein sollte, musste auch erst erforscht werden.

Scarecrow fühlte sich auf jeden Fall völlig fehl am Platz und hätte sich nur zu gerne unter dem Tisch versteckt, um dieser Neugierde zu entkommen.
 

Die Prozedur wiederholte sich bei fast jedem Lehrer, den er am diesem Tag im Unterricht aushalten musste; den Großteil fand er unsympathisch bis unzumutbar.

Er konnte sich kaum zügeln, als die letzte Stunde sich dem Ende zuneigte und er aus der schön verpackten Irrenanstalt gehen durfte.

Sein erster Weg führte ihn nicht zu seiner Tante, die schon mit dem Mittagessen auf ihn wartete, sondern zu Kira, um nachzusehen, ob Nikki endlich ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Das sollte sie ihm als beste Freundin schuldig sein.

Kira öffnete ihm überrascht, ihn schon wieder zu Gesicht zu bekommen, die Haustür; ihre Laune war wieder gut wie eh und je, sie hatte vor nicht allzu langer Zeit erst geduscht, ihre Haare schimmerten noch leicht feucht.

„Hi Rouven. Wie war die Schule?“ Ein wissendes Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht; sie erwartete gar keine positive Antwort von ihm. Als ehemalige Schülerin genau dieses Gymnasiums wusste sie, womit er sich von nun an herumärgern durfte.

„Ätzend.“ Musste man mehr dazu erläutern? Olivia hatte ihn in den Pausen konsequent versucht, über sein Leben und seine musikalischen Vorlieben auszuquetschen, was er immer mit einem unbestimmten „Vieles“ abgewiesen hatte.

Obwohl er immer noch keine Lust hatte, mit den Bewohnern dieser Stadt zu reden, musste er Konversationen führen, ihm blieb nichts anderes übrig, wenn man immer wieder angesprochen wurde. Einen anderen Weg, sie auf Dauer loszuwerden, hatte er noch nicht gefunden.

Aus Protest hatte er sich im Unterricht kein einziges Mal mündlich beteiligt, selbst wenn er die korrekte Antwort gewusste hatte. Die sollten ihn allen in Ruhe lassen mit ihrem dämlichen Gehabe.

Nur Kira fand er soweit in Ordnung, dass er sie nicht zu Tode schweigen wollte; immerhin war sie nett und zuvorkommend zu ihm.

„Kann ich verstehen. Einige Lehrer dort sind… sagen wir mal speziell; daran muss man sich gewöhnen oder man bekommt Aggressionen. Wie sind deine Mitschüler?“

„Weiß nicht.“ Sie hatten ihn entweder wie Luft behandelt oder mit Skepsis gemieden, als wäre er ein fremdes Wesen von einen Planeten, von dem sie noch nie etwas gehört hatten. Aber er hatte sich keine Mühe gegeben, sich ihnen offen zu präsentieren, er hatte sich die meiste Zeit in Schweigen geflüchtet und vorgegeben, auf seinem Block herumzumalen. Das diente hoffentlich ausreichend zur Abschreckung.

Sie würden ihn sowieso nicht mögen, genau wie die aus seiner früheren Schule; sogar der bisherige Quotenaußenseiter, wie Olivia den Jungen in einem Nebensatz bezeichnet hatte, hatte ihn angesehen, als wäre er froh, dass von nun an ein anderes Opfer seinen Platz in der Klasse einnahm und er sich vielleicht sogar auf seine Kosten bereichern konnte.

Kira war schon wieder damit beschäftigt, ihn zu mästen. Ihr war wohl aufgefallen, dass er unnatürlich dürr durch sein neues Leben schwankte, und versuchte, ihn unauffällig zu normalem Gewicht zu verhelfen. Nicht umsonst hielt sie ihm eine Schale mit einer kleinen Auswahl Lutscher entgegen. „Möchtest du welche?“

„Danke.“ Auch wenn er eigentlich auf Gesellschaft wenig Wert legte, sollte er zu Kira doch freundlich sein, so wie sie auch zu ihm. Selbst Scarecrow konnte irgendwann ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn er nettes Verhalten durchgängig mit Ignoranz und Ablehnung strafte.

Nur wenn man ihm ebenfalls so gegenübertrat, reagierte er so, ohne es in irgendeiner Weise zu hinterfragen; oder wenn es ihm mal wieder besonders schlecht ging wie bei seiner Ankunft hier.

Während er mit der Süßigkeit seine Resignation wegen dem zurecht befürchteten grauenhaften Schultag ausradierte, überließ ihn Kira wieder nett wie sie war ihren Laptop und setzte sich neben ihm auf die Couch.

Sie bekäme sowieso nichts zu sehen, was in irgendeiner Art geheim wäre.

Eine Nachricht lag in seinem Postfach; Nikki hatte es doch noch geschafft, sich bei ihm zu melden.

Aber mehr als ein Sorry, hab viel zu tun, ich ruf dich bald an! Hatte sie nicht zustande gebracht. Als ob sie jemals viel zu tun hatte. Nikki ließ sich von nichts hetzen und erledigte sogar wichtige Präsentationen für die Schule erst eine Stunde, bevor sie diese vortragen musste. Der Grund klang also in seinen Ohren völlig an den Haaren herbeigezogen.

„Wer ist das?“, erkundigte sich Kira neugierig, während sie sich ein wenig vorlehnte, um Nikkis Profilbild besser einsehen zu können.

„Meine beste Freundin.“ Die sich momentan ziemlich dämlich benahm. Dass er vor Jahren mal mit Nikki zusammengewesen war, verschwieg er Kira aber, das war einer diese typischen Teenieentscheidungen gewesen, die er im Nachhinein ziemlich bereute. Genauso wie die Tatsache, mit ihr sein erstes Mal erlebt zu haben, weil man es nicht abwarten konnte, dass die Richtige vorbei kam.

Sie hatten nie wieder darüber geredet, nachdem sie sich nach einigem hin und her doch dazu entschieden hatten, lieber nur befreundet zu sein.

Kira schien zu spüren, dass da noch eine ganze andere Wahrheit hinter seinen Worten steckte, aber sie beließ es dabei, ihm weiter über die Schulter zu sehen und ab und an nachzufragen, welchen Menschen er ganz kurze Nachrichten, die meistens aus einem Satz bestanden, schickte. Es waren immer alte Klassenkameraden, die sich scheinheilig erkundigten, wie ihm denn sein neues Leben gefiel. Am liebsten hätte er ihnen geantwortet, dass sie zur Hölle fahren sollen, aber die Gleichgültigkeit, die ihn als Selbstschutz bei diesen Herzlosigkeiten wieder ergriff, blockierte diesen Vorschlag. Diese Genugtuung gab er ihnen nicht.

„Ich geh rüber.“ Das Mittagessen stand nicht umsonst dort herum, seine Tante hatte ihm extra gesagt, dass sie für ihn etwas kochte.

„Kommst du nachher noch mal wieder?“

Scarecrow zuckte mit den Schultern; das kam auf seine Stimmung an. Wenn er seine Ruhe haben wollte, blieb er fern, wenn er Ablenkung vor der Gewöhnlichkeit des Seins suchte, kehrte er zurück. Sie merkte es spätestens, wenn er wieder auf ihrem Grundstück lauerte.
 

„Wie war dein Tag?“ Es klang wie aus reiner Höflichkeit gefragt, nicht wie aus Interesse. Entweder konnte sie es nicht anders oder ihr lag wirklich so wenig an ihm, wie er immer annahm. Aber was kümmerte es ihn? Solange sie ihn nicht auf die Straße setzte und er nicht wusste, wohin er sollte, kam er damit zurecht.

Aber vielleicht glaubte sie auch gar nicht, dass er jemals auf eine Frage von ihr reagierte. Heute hatte er schon wesentlich mehr geredet als in den letzten Tagen zusammen; langsam taute er wohl auf oder arrangierte sich mit den Verhältnissen, in die er hineingestolpert war. Es bedeutete nicht, dass er sich bedingungslos dem Treiben hier anpasste und so tat, als wäre nie etwas geschehen; die letzten Verbindungen zu früher standen noch, sie waren nur vorzeitig eingefroren und warteten auf Benutzung.

„Es ging.“ Die Schule würde er nicht mögen, auch nicht in zwei Wochen, wenn er sich mehr eingelebt hatte, aber Kira hatte zur Verbesserung der Tagesbilanz geführt.

Laureen sah ihn überrascht an; mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht mit diesen zwei Worten, in denen sie vielleicht einen Fortschritt erkannte. Eine kleine Brücke zwischen ihr und ihrem Neffen Scarecrow. Vielleicht wäre ihnen alles leichter gefallen, hätten sie sich in den letzten 16 Jahren gesehen. Aber dafür hatte es nie einen Grund gegeben, niemand hätte vermutet, dass Laureen für ihn verantwortlich sein müsste.
 

Es war ein seltsames Gefühl, als endlich Nikkis Namen auf seinem Handydisplay erschien; eine Mischung aus Ärger darüber, dass sie sich so unverschämt viel Zeit gelassen hatte, Aufregung, weil er nun endlich wieder ihre Stimme hören konnte und Angst, weil er nicht wusste, ob sie ihm irgendwelche besorgniserregenden Nachrichten überbringen musste. Auch ohne ihn ging das Leben dort weiter, so schwer die Tatsache zu akzeptieren war.

„Hi Rouven“, quietschte sie auf ihre typische Art ins Telefon, als wäre nie etwas passiert. Sie wusste ja nicht, dass er nun ein anderer geworden war; keiner merkte es. Die einen kannten ihn nicht anders und der Rest bekam nichts von ihm mit, um es zu erkennen.

Er kam kaum dazu, sie zu begrüßen, da fing sie schon an, auf ihn einzuplappern. Über eine ihrer Bekannten, die ihr wohl ihr Mäppchen gestohlen hatte, ihre Mutter, die ihr mal wieder in den Ohren damit lag, dass sie das Leben doch bitte ernsthafter nehmen sollte, auch seine ehemaligen Mitschüler hatten allein an einem Tag, den er nicht in dieser Schule gewesen war, genügend angestellt, um es vor ihm auszubreiten.

Früher hatte es immer unterhaltsam gefunden, über solche Belanglosigkeiten zu reden; im Augenblick ging es ihm ziemlich auf die Nerven. Er wollte nicht erfahren, wie normal es auch ohne ihn sein konnte.

„Ist gut, Nikki“, versuchte er ihren Schwall an Informationen zu unterbrechen. Er wollte ausnahmsweise nicht zuhören, sondern selbst reden. Seine Gedanken und Gefühle offen aussprechen, nur befürchtete er, dass das schwer wurde. Nikki konnte damit nicht viel anfangen, zu viel Tiefgründigkeit schreckte sie ab und brachte sie dazu, es ins Alberne zu ziehen.

„Wie ist es so bei deiner Tante?“, lenkte sie schließlich ein, um ihn nun über seinen Verbleib auszuquetschen. „Ist sie nett oder schrecklich? Wie sind die Leute in deiner Klasse? Sitzt du jetzt ehrlich am Arsch der Welt?“

Sie würde es nie lernen, immer nur eine Frage auf einmal zu stellen, damit regte sie ihre Lehrer jedes Mal aufs Neue auf.

Kurz und knapp schilderte Scarecrow die Situation zwischen sich und seiner Tante und den freundlichen Empfang seiner Mitleidenden in der Schule.

„Das klingt ja scheiße“, kommentierte Nikki etwas ratlos das von ihm beschriebene Ausmaß der Trostlosigkeit. „Gibst auch irgendwas Gutes bei dir?“

„Unsere Nachbarin Kira; die lässt mich an ihren Laptop. Hier gibts kein Internet.“

Spätestens jetzt konnte Nikki, die angeblich ohne ihre tägliche Portion Internet nicht zurechtkam, ihn nachvollziehen, wie er sich fühlen musste. Abgekapselt und einsam.

„Hm, schlecht.“ Etwas mehr Mitgefühl hätte ihn wesentlich mehr gefreut statt diesem stockenden Gespräch, was sich nun wieder anbahnte, weil sie nicht mehr über unsinnige Themen reden konnte.

„Ja, ich finde es auch schlecht“, meinte er genervt. „Ich weiß echt nicht, was ich hier machen soll. Ich fühl mich hier so allein und eingesperrt, es sieht alles gleich aus, sogar die Leute.“ Irgendwann, lange vor der grundlegenden Veränderung, hatten sie einmal scherzhaft überlegt, wie schrecklich es sein musste, in einer Umgebung zu wohnen, in der man sich wie bei einem Klonangriff fühlte; alles erschreckend ähnlich und angepasst.

Das Schicksal hatte ihn natürlich genau dieses Szenario beschert.

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille; Nikki dachte krampfhaft nach, was sie auf dieses emotionale Geständnis ihres besten Freundes antworten sollte.

Doch wie Scarecrow es vermutet hatte, fiel ihr nichts Tröstliches ein, sie murmelte ein paar Worte in den Hörer und erklärte ihn dann schlagartig, dass sie auflegen müsste, weil ihre kleine Schwester unbedingt ihre Hilfe bräuchte.

Deprimiert ließ sich Scarecrow auf sein Bett fallen, seine Hoffnung auf Unterstützung war gescheitert. Nikki war dazu nicht in der Lage, also musste er es ohne Hilfe durchstehen.

Kapitel 3 | Jealous Heart

Der Mensch gewöhnte sich an alles.

Unwillkürlich musste das auch Scarecrow einsehen, obwohl er sich auch weiterhin sträubte, dieses neue Dasein zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.

Er sprach mit seiner Tante weiterhin nur das nötigste und verschanzte sich vor und nach der Schule immer in seinem Zimmer, anstatt sich zu ihr zu setzen und ihr geduldig ihre Fragen zu beantworten, wenn sie von der Arbeit kam.

Zu seiner Klasse hatte er immer noch keinen Draht gefunden und gab sich auch keine Mühe dafür; für sie war und blieb er der neue, komische Außenseiter, der nun bei seiner Tante wohnte und aus unbekannten Gründen plötzlich zu ihnen gestoßen war. Nicht mehr und nicht weniger.

Niemand von ihnen beleidigte ihn, er wurde nicht bei Gruppenarbeiten ausgegrenzt und seine Schulbucher zündete auch keiner an, um ihn zu provozieren, aber er merkte trotzdem, dass sie es nicht darauf anlegten, mit ihm in Kontakt zu kommen.

Sogar Olivia, die in der ersten Woche noch hartnäckig probiert hatte, sich eine Meinung über ihn zu bilden, fragte ihn inzwischen nicht mehr, ob er nach der Schule nicht zufällig Lust hätte, zusammen mit ihr ein Eis zu essen oder ins nächstgelegene Kino zu fahren.

Die einzige, mit der er sich immer besser verstand, war Kira. Jeden Tag nach der Schule kam er bei ihr zuhause vorbei, riss sich für einige Zeit den elektronischen Draht zur Außenwelt unter den Nagel, wurde währenddessen von ihr mit Süßigkeiten versorgt, damit er nicht mehr wie ein Strich in der Landschaft aussah, und danach redete sie mit ihm. Nicht so distanziert wie seine Tante, sondern in diesem herzlichen Tonfall, den er in diesem Kaff bis jetzt nur von ihr kennen gelernt hatte. Von ihr konnten sich hier viele Menschen eine Scheibe abschneiden.

Aber obwohl er sie schon in so kurzer Zeit in sein taubes Herz geschlossen hatte, konnte er sich nicht dazu überwinden, ihr von früher zu erzählen; selbst wenn sie nachhakte und nicht locker lassen wollte. Höchstens über Nikki erfuhr sie die ein oder andere Neuigkeit, aber sobald sich das Thema seinen Eltern oder Großeltern zuwandte, war sein Mund wie versiegelt und er schwieg sie an, bis sie lieber wieder über ihre Kommilitonen plauderte. Sie befürchtete, ihn sonst zu vertreiben.

Dabei wäre sie die letzte Person gewesen, die er grundlos gemieden hätte; zu Kira ging er gerne und das nicht, weil er kostenlos gefüttert und manchmal sogar ein wenig bemuttert wurde, sondern weil er durch sie die Überzeugung bekam, nicht ganz so verloren dazustehen, einen Menschen zu haben, den er bis zu einem gewissen Grad vertrauen konnte, selbst wenn er noch gar nicht so lange mit ihr in Kontakt stand.

Kira war einfach erstaunlich wichtig für ihn geworden.

Andere Bereiche würden diese Ebene nie erreichen.
 

Den Schultag hätte er sich eindeutig sparen können; Olivia hatte ihn die ganze Zeit nach Stiften, Radierern oder Linealen angebettelt, weil sie in einem Anfall von Vergesslichkeit ihr Mäppchen sonst wo vor sich selbst versteckt hatte. Das durfte er ausbaden und ihr alles leihen, ob es ihm passte oder nicht. So etwas ging ihm auf den Zeiger, er war kein Sozialamt für sie.

In der Pause war er mit einem dieser hektisch durch die Gegend sausenden Unterstufenkinder zusammengestoßen und hatte sich fast das Genick gebrochen.

Man sollte sie auf der Treppe verbieten, er hatte Glück gehabt, dass irgendwer ihn rechtzeitig am Arm gepackt und vor dem Absturz bewahrt hatte. Sonst läge er vielleicht wirklich im Krankenhaus dank dieses unachtsamen Gartenzwergs.

Aber der absolute Tiefpunkt war das Gespräch nach dem Unterricht mit einer seiner Lehrerinnen gewesen; eine der Vertrauenslehrerinnen an der Schule und immer darum bemüht, sich um schwarze Schafe und Außenseiter zu kümmern. So auch bei ihm.

Allein bei den Worten „Rouven, bleib bitte noch kurz da, ich müsste mit dir reden“, hätte Scarecrow am liebsten das Weite gesucht. Das konnte nur in einer minderschweren Katastrophe enden.

Mit einer bösen Vorahnung blieb er vorne am Pult stehen, während der Rest sich schleunigst verzog, um die bevorstehende Unterhaltung nicht hinauszuzögern.

Seine Lehrerin legte nun ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn und Scarecrow überkam dieses gewisse Gefühl, sich in eine Maus zu verwandeln und durch ein kleines Löchlein im Boden bis in alle Ewigkeiten zu verschwinden. Schon früher hatte er solche Augenblicke immer vermieden oder so getan, als hätte er es vergessen.

Das ging leider nicht, wenn die Lehrerin direkt vor einem saß und einem die Wahl aus der Hand nahm.

„Was wollen Sie?“ Sie sollte sich doch ein bisschen beeilen, damit er heute noch hier herauskam. Und zwar nicht in seiner Vorstellung als kleiner Nager.

„Ich habe von verschiedenen Kollegen mitbekommen, dass du dich im Unterricht gar nicht beteiligst. Bei mir auch nicht besonders. Außerdem scheinst du dich nicht in die Klassengemeinschaft einfügen zu können. Ist irgendetwas passiert? Wirst du von irgendjemandem gemobbt?“

Der einzige, der das indirekt tat, war sein Schicksal, aber damit gab sie sich nicht zufrieden. Sie wollte Gründe hören, warum er in allen Fächern außer in Englisch wie ein zufällig daneben stehender Fremder wirkte und immer noch keine Freundschaften hier geschlossen hatte.

„Ist halt so.“ Immer diese Lehrer mit ihrem Helfersyndron; in ein paar Jahren, wenn sie den Job länger gemacht hatte, wäre dieses Verhalten mit Sicherheit unter einem Mantel der Desinteresse ihren Schülern gegenüber verschwunden.

„Das ist kein Grund, Rouven“, versuchte sich ihn zurechtzuweisen.

„Es ist aber nichts passiert, glauben Sie es mir oder nicht.“ Der wahre Grund lag ein halbes Jahr zurück und ging sie nichts an; außer seiner Tante wusste keiner davon und er tat auch genug, damit es dabei blieb. Zum Schluss kam sowieso nur geheucheltes Mitleid heraus, was er nicht haben wollte. „Ich hab einfach keine Lust auf das alles hier.“

Ihm tat es nicht einmal wirklich leid, dass er ziemlich patzig zu ihr war, obwohl sie ihm nichts getan hatte, aber allein dieses neugierige Nachhaken störte ihn ungemein. Sein Leben ging sie genauso wenig etwas an wie ihn ihr Leben.
 

Der Gang nach Hause ähnelte eher einer Flucht, was zum Teil allerdings auch am Wetter lag. Regen durchnässte ihn permanent und ließ ihn frieren. Man merkte, dass es bis zum Frühling noch dauerte.

Leise schimpfend über das Wasser, das ihm in die Augen lief und seine Sicht behinderte, schob der das Gartentor auf und klingelte daheim.

Nichts rührte sich, niemand kam, um ihm die Tür zu öffnen und ihn vor diesem Wolkenbruch, der über dieses Städtchen hereinbrach, zu retten. Das war wieder ein typisches Zeichen von störenden Zufällen, auf die der Mensch gerne verzichtete.

Schlecht gelaunt hörte er auf, den Klingelknopf zu malträtieren, sondern beschloss, sich bei Kira solange einzuquartieren, bis seine Tante wieder auftauchte, obwohl seine Süßigkeitenlieferantin, wie er sie manchmal im Stillen nannte, ihn schon gewarnt hatte, dass sie heute möglicherweise später kam. Ein paar Freunde hatten sich mit ihr zu einem Kinonachmittag im Nachbardörfchen verabredet.

Eigentlich wusste Scarecrow, auf was es hinauslaufen würde; sein Glück versteckte sich immerhin ausgezeichnet. Keine Kira weit und breit, nicht einmal ein Zweitschlüssel im Briefkasten oder unter der Fußmatte.

Der Tag war tatsächlich eine einzige Katastrophe, es fehlte nur noch, dass ein Meteor in das Hausdach einschlug und nur sein Zimmer verwüstete.

Ihm blieb also keine andere Wahl als sich vor die Haustür seiner Tante zu setzen und zu warten. Zwar hätte er irgendwelche wildfremden Menschen in den Häusern nebenan belästigen können, ob er während des Regens bei ihnen unterkommen könnte, aber lieber fror er sich hier alle zehn Finger ab. Genauso wenig trieb ihn der Wunsch nach Wärme zurück in die Schule, wo er vielleicht mal wieder das Thema im Lehrerzimmer war, wenn da noch jemand hockte und Arbeiten korrigierte.

Der Untergrund war unbequem, das Miniaturdach über seinem Kopf hielt nicht einmal die Hälfte der Regentropfen ab; der direkte Blick auf die im Regen traurig mit den Köpfen nickenden Blumen, die seine Tante trotz der Jahreszeit draußen lagerte, machte ihn auch nicht fröhlicher.

Manchmal hatte er wirklich die paranoide Vorstellung, dass irgendwer ganz nach Lust und Laune sein Leben manipulierte und ihn in Situationen geraten ließ, die ihn immer öfter fast wahnsinnig werden ließen.

Mit jeder Minute, die wie in Kaugummi verpackt verrann, löste sich sein dünner Faden der Geduld auf und er hatte große Lust, einen der hier herumstehenden, in seinen Augen sehr hässlichen Blumentöpfe zu packen und einmal auf die Straße zu donnern. Dabei verpasste er nichts, dort drinnen lief ihm nichts davon; spätestens wenn er im Hausflur stand, fragte er sich wieder, was er bis zum Abendessen mit sich anfangen sollte.

Aber Hunger hatte er auf jeden Fall, das verkündete sein Magen unüberhörbar.

Jemand kam die Straße entlang gelaufen; natürlich nicht Laureen und auch nicht Kira, die Person war männlich und vielleicht etwas älter als er; hier gesehen hatte er ihn noch nie. Das wäre ihm aufgefallen.

Nicht gerade unauffällig schaute dieser Junge zu ihm hinüber, als er ihn zitternd und mit Weltuntergangsstimmung auf dem Betonboden hocken sah. Noch unverschämter konnte man das auch nicht mehr machen.

„Ich bin kein Kino!“, rief er ihm gereizt zu und hoffte, dadurch dieses dämliche Grinsen aus seinem Gesicht verschwinden zu lassen. Schadenfreude war hier völlig unangebracht, wenn er wüsste, wie lange er schon wartete.

Nun erst recht angelockt von dieser überaus netten Begrüßung wechselte der Unbekannte die Straßenseite und trat an das Törchen, betrat aber nicht das Grundstück. Wenigstens wusste er, wann er zu weit ginge. „Sitzt du hier freiwillig oder was wird das?“ Es klang nicht provozierend, sondern absolut ernsthaft. Es interessierte ihn wohl, warum Scarecrow sich wie eins dieser Pflänzchen bewässern ließ.

„Ich komm nicht rein.“ Und das änderte sich nicht, solange die Frauen seines Vertrauens nicht endlich ein Einsehen mit ihm hatten und nach Hause zurückkehrten. „Sieht man doch.“ Begeisterung konnte ihm wirklich keiner unterstellen; nicht ihm.

„Das ist natürlich schlecht.“

Allein für diese bahnbrechende Erkenntnis hätte Scarecrow ihm gerne einen Klumpen Blumenerde in den Mund gesteckt, aber erstens wäre das zu viel Aufwand für jemanden, den er nicht kannte und zweitens hätte er auch mit wesentlich dümmeren Sprüchen um sich werfen können.

Ganz zu schweigen davon, dass ihn die Kälte ihn so dynamisch wie einen Stein hatte werden lassen. Selbst der Gedanke an Aufstehen war unangenehm.

„Kannst weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen.“ Was half es ihm, wenn er sich aus Solidarität auch erkältete?

Der Fremde stockte, überlegte einen Moment statt einfach Schutz vor dem Regen zu suchen.

„Willst du wirklich hier sitzen bleiben? Du könntest auch vorläufig zu mir mit kommen. Wenn du willst, ist gemütlicher als hier.“ Er grinste ihn wieder so komisch an.

Natürlich war Scarecrow skeptisch, sogar überaus skeptisch. Ein wildfremder Kerl wollte ihn ohne eine Gegenleistung zu fordern vor dem Regen unterbringen. Irgendwas musste dahinterstecken, in kleinen Käffern benahmen sich die Menschen meistens noch misstrauischer als in der Großstadt.

Sein Argwohn blieb nicht unbemerkt. „Ich fress dich schon nicht. Aber wenn du nicht möchtest…“

Die Entscheidung fiel ihm dann doch etwas leichter als erwartet, nämlich gegen dieses steinharte Plätzchen, das auch nicht mehr trockener wurde. „Warte, ich komme.“ Hoffentlich würde er es nicht bereuen, so vertrauensselig gegenüber dem Jungen zu sein.

Es dauerte nicht lange, sie mussten insgesamt nur drei Straßen weiter und schon standen sie vor einem weiteren der bekannten Spießerhäuser, dieses Mal in rotem Sandstein ohne Garten, dafür mit Garage. Hier gab es also doch Unterschiede bei der Grundausstattung, das beruhigte Scarecrow.

„Oh, ich glaub, wir haben was vergessen“, bemerkte sein Gegenüber plötzlich etwas peinlich berührt, als er ihn gerade auf die Treppe zum Eingang hinschieben wollte. „Ich bin Felicio.“

Da hatte er recht, eine kleine Bekanntmachung, bevor man ein fremdes Haus betrat, wäre nicht schlecht. Im Nachhinein zu erklären, dass man denjenigen, den man zur Tür hineingeschleift hatte, nicht einmal mit Namen kannte, wäre unklug.

„Scarecrow.“ Es war an der Zeit, die Leute endlich an Tatsachen zu gewöhnen, ob es ihnen gefiel oder nicht.

Felicios belustigte Miene war zwar nicht sein gewünschter Erfolg gewesen, aber immerhin saß er nun im Inneren eines warmen Hauses auf der Eckbank in der Küche, mit einem heißen Kakao in den Händen und einem Handtuch um die Schultern, weil er sich geweigert hatte, Kleidung von Felicio auszuleihen. Das ging ihm dann doch zu weit, selbst wenn es nett gemeint war.

Nachdem Felicio noch eine kleine Armee Sandwiches für sie beide vorbereitet hatte und Scarecrow dies auf keinen Fall ablehnen konnte, weil sein Bauch schon unüberhörbar zugestimmt hatte, saß sein Gastgeber erwartungsvoll vor ihm, rührte in seiner Kaffeetasse und schien gespannt darauf zu sein, endlich richtig mit ihm in Kontakt zu treten und sich nicht nur über einen Gartenzaun hinweg anzuplärren.

„Wie lange wohnst du schon hier? Ich hab dich noch nie gesehen. Und ich dachte, ich kenn jeden Menschen im Ort.“

„Seit einem Monat.“ Vielleicht war es auch schon länger, er hatte die Tage nicht gezählt, die er hier absaß und über sich ergehen ließ, wenn ihm mal wieder so ziemlich alles auf die Nerven ging.

„Ist hier jemand weggezogen?“, fragte Felicio mit einer Spur Interesse in der Stimme. „Das bekommt man eigentlich immer direkt mit.“

Scarecrow schüttelte den Kopf. „Nein, ich wohn jetzt bei meiner Tante.“

„Wieso?“ Die unausweichliche Frage, die einfach kommen musste und die er trotzdem offen lassen würde. Immer und überall diese Neugierde; auch wenn Felicio ihn vor einem üblen Schnupfen gerettet hat, bedeutete das nicht, sich ihm schlagartig komplett zu öffnen.

„Ist halt so.“ Er biss in sein frisches Sandwich und verbrannte sich gleich die Zunge, wie es sich gehörte. Er vergaß immer, wie heiß der Käse werden konnte, wenn man ihn in dieses Waffeleisen für Toast zwängte. Von diesem Anfängerfehler käme er nie wieder los.

„Dann halt nicht.“ Felicio nahm es ihm nicht übel, dass er ihn in seine Schranken wies. So wie Scarecrow ihn bisher einschätzte, war er kein Mensch, der alles sofort als persönlich ansah und sich darüber aufregte. Das wäre auch in dieser Situation höchst schwierig, da er mit Sicherheit noch mehrmals bei Themen blocken würde, die er lieber unangetastet in einer Schublade liegen ließ.

Nachdem Scarecrow einen großen Schluck Kakao getrunken hatte, um das widerliche Brennen auf seiner Zunge zu stoppen, musterte er seinen Gastgeber noch einmal ein wenig genauer. Viel älter konnte er wirklich nicht sein, vielleicht zwei Jahre. Und ein Kind von Traurigkeit auch nicht, denn er hatte im Verlauf seiner Anwesenheit mehr gelacht als er in den vergangen Wochen. Und zwar mindestens doppelt so viel.

„Gehst du hier aufs Gymnasium? Naja, musst du eigentlich, was anderes gibts hier ja nicht. Die Schule ist nicht so der Hammer. Ich hab gefeiert, als ich endlich mein Abi hatte und da raus konnte. Teilweise hängen da wirklich echt Bekloppte rum; sind auf alles und jeden neidisch, tratschen den lieben langen Tag über dich, weil sie keine Beschäftigung haben. Manche denken auch, mit Mobbing könnten sie ihr Ego aufpolieren. Pass auf, dass dir solche Trottel nicht den Tag vermiesen.“

Der tat ja gerade so, als wäre die Schule ein sozialer Brennpunkt; der sollte mal an Schulen in größeren Städten gehen, da waren Lästereien über die letzte Party noch das harmloseste Mittel, um jemanden fertig zu machen.

Aber das musste er ihm nicht auf die Nase binden, sollte sein Gastgeber in seinem Glauben bleiben, ihn vor den Tücken und Gefahren dieser Lehranstalt zu bewahren.

„Du bist noch so der gesprächige Typ“, merkte Felicio nebenbei an und stand auf, um sich ein neues Sandwich zu braten, „kann das sein?“

Wie sie das alles feststellten; redete man hier aus Prinzip andauernd oder warum fiel es so extrem auf? Lieber einmal den Mund gehalten als einmal zu viel geschwätzt und sich blamiert.

„Wär das schlimm?“

Felicio lachte. „Nein, nicht für mich. Ich bin das gewohnt, den Alleinunterhalter zu spielen.“ Mit einem leisen Zischen wurde der Toast in die mit Butter bestrichene Metallform gedrückt. „Ich mach mir eher um dich Gedanken.“

„Na dann.“ Sozusagen die weibliche Ausgabe von Kira, nur irgendwie anders; bei Kira hatte er sich von Herzlichkeit beinahe erschlagen gefühlt, hier hatte er den Eindruck, immer mit einem leicht spöttischen Blick bedacht zu werden oder nicht ganz so ernst genommen zu werden, wie er es gerne hätte.

Vielleicht täuschte er sich auch nur und unterstellte Felicio Dinge, die nicht der Wahrheit entsprachen.

Sie tauschten noch einige Zeit Informationen über ihr Leben aus; Felicio bereitwilliger als Scarecrow. So erfuhr er, dass sein Gastgeber und Retter in der Regennot Einzelkind und baldiger Student war, hier schon seit einer gefühlten Ewigkeit wohnte, sich gerne über seine dauermeckernden Nachbarn lustig machte und seine Tante nur daher kannte, dass man sich jedes Mal beim Einkaufen begegnete.

Dazu wurden ihm noch jede Menge gute oder nur gutgemeinte Ratschläge auf den Weg mitgegeben: Nicht bei den Nachbarn im Blumenbeet rumspringen, weil sie dies nicht mochten, sich in der Schule nach außen hin mit der Mehrheit gutstellen, damit man es einfacher hatte, und sich bei bösen Streichen nicht erwischen lassen.

Über sich selbst warf Scarecrow nicht so viel in den Raum, weil er einerseits am Essen war und auch nicht das Gefühl hatte, dass es Felicio etwas brachte, wenn er erfuhr, dass er sich auch nicht mit Geschwistern herumplagen musste oder von zu vielen Haselnüssen Ausschlag bekam.

Es schmälerte aber nicht seine Meinung, hier ausreichend unterhalten zu werden, da ihm Felicio wirklich kein einziges Mal neugierige Frage mehr stellte oder ihm auf die Nerven ging, um eine Reaktion zu erfahren. Er füllte ihn lieber unbewusst weiter mit Kakao ab, vernichtete die Buttervorräte im Kühlschrank und war gutgelaunt.

Bei Gelegenheit musste Scarecrow Kira mal ausfragen, ob sie Felicio kannte; die beiden ähnelten sich doch erstaunlich.

Die dunkle Küchenuhr neben dem Kühlschrank verriet, dass der Nachmittag sich langsam seinem Ende zuneigte, genauso wie Scarecrows Bedürfnis, Essen in sich hineinzustopfen, bis er platzte. Eine seltsame Tatsache, er hatte tatsächlich für seine Verhältnisse unglaublich viele Toasts gegessen.

Er stand auf und holte sein Handy aus der Hosentasche. „Ich ruf meine Tante an, vielleicht ist sie schon daheim.“

Er hatte sogar Glück, sie war endlich eingetroffen und fragte ihn natürlich ziemlich verwirrt aus, wo er gewesen war. Vielleicht wäre eine Nachricht an sie ganz hilfreich gewesen, so wie sie klang, hatte sie sich tatsächlich Sorgen gemacht, wo er herumgeirrt sein könnte, da auch bei Kira nie anzutreffen gewesen war.

Für das nächste Mal, das es hoffentlich nicht gab, wusste er Bescheid.

„Sie ist endlich da, ich geh jetzt.“

Felicio sah aus, als hätte er ihm offen mitgeteilt, dass er vor ihm flüchten wollte, aber dann stahl sich wieder ein Grinsen auf sein Gesicht und er brachte ihn noch bis zur Haustür.

„Also, bis dann.“ Eine bessere Verabschiedung fiel Scarecrow auf Anhieb nicht ein; normal wäre er einfach losgezogen, aber das wäre die absolute Dreistigkeit. Etwas leiser fügte er noch ein „Danke für alles“ hinzu. Er kam sich gerade wie ein unhöflicher Trottel vor, der diese Freundlichkeit gar nicht verdient hatte.

„Wiedersehen macht Freude“, entgegnete Felicio mit einem undefinierbaren Blick und einem kurzen Klopfen auf seine Schulter. Verwirrt von diesen Worten nickte Scarecrow einfach nur.

Seine Tante erwartete ihn schon an der Haustür und er musste ihr Rede und Antwort stehen, wo er sich den halben Nachmittag aufgehalten hatte und wieso vor allem. Sie hatte wirklich angenommen, er wäre ausgerissen; aber den Gedanken konnte er ihr nicht verübeln, immerhin führte er sich nicht unbedingt so auf, als wollte er für immer ohne Murren hier verweilen.

Er war für seine Außenwelt anscheinend doch leichter zu durchschauen als er angenommen hatte.
 

Nur zwei Tage später stand er wieder vor dem Haus, in dem er Schutz vor dem Unwetter bekommen hatte; gleichzeitig war es ihm peinlich, schon wieder bei ihm aufzukreuzen, weil ihm nichts Besseres einfiel, was er machen sollte, aber Felicio hatte ihn ja sozusagen dazu aufgefordert, sich bei ihm blicken zu lassen.

Lieber saß er bei ihm zuhause herum und hörte sich Dinge an statt auf seinem Bett auf den Abend und den Schlaf zu warten; Kira musste heute leider irgendetwas für ihr Leben an der Universität regeln und war deshalb nicht für ihn verfügbar.

„Na, Vogelscheuchlein, hast du mich vermisst?“ Grinsend und mit diesem bekannt belustigten Ausdruck im Gesicht ließ ihn Felicio hinein. „Nein, Scherz, ist schön, dass du wieder da bist.“ Seine merkwürdige Begrüßung wollte er schnell revidieren, bevor Scarecrow auf dem Absatz kehrt machte und nie wieder auch nur in seine Nähe kam.

Dieses Mal hielten sie sich nicht in der Küche auf, sondern verzogen sich in Felicios Zimmer; ein sonnengelb gestrichener Raum mit diversen Bildern und Postern an den Wänden und der Decke, einem ausladenden Bett im Metallgestell und dem üblichen Zubehör eines nicht mehr ganz Teenie Zimmers. Der flauschige grasgrüne Teppich, der zerkrumpelt unter dem Schreibtisch sein Dasein fristete, zog automatisch Scarecrows Aufmerksamkeit auf sich, weil er auffiel.

„Willst du was trinken?“, schlüpfte Felicio gleich wieder in die Rolle des zuvorkommenden Gastgebers. „Wir haben vier verschiedene Sorten Wasser, du hast die Auswahl.“

„Muss nicht sein.“ Da brauchte er allein Stunden, um sich für ein Wasser zu entscheiden, das musste wirklich nicht sein.

Die Tür wurde erneut aufgestoßen und eine dritte Person betrat den Raum, Scarecrow war davon etwas überrumpelt, er hatte gedacht, der einzige Mensch bei Felicio zu sein, vor allem weil dieser mit keiner Silbe von noch jemandem erzählt hatte, der sich heute bei ihm als Besuch einquartiert hatte.

„Wer ist das denn?“ Ein junger Asiate blockierte den Türrahmen und betrachtete skeptisch den Neuankömmling, der ihn nicht minder zweifelnd wahrnahm. Er hatte gehofft, nicht gleich seine neu errungene Bekanntschaft teilen zu müssen, das bedeutete ihm seltensten Fall etwas Gutes.

„Scarecrow.“ Aus Felicios Mund hörte sich sein Name wie eine Selbstverständlichkeit an. „Ich hab dir gesagt, dass er kommen wird. Falls du dich nicht mehr daran erinnerst.“ Das schlechte Langzeitgedächtnis seines Gegenübers gefiel Felicio nicht, auf mehr Akzeptanz zwischen ihnen hatte er merklich gehofft.

„Aber nicht heute...“

„Ich wusste ja selbst nicht, wann er vorbeischaut. Stell dich nicht so an.“ Die deutlich spürbar angespannte Stimmung wurde durch die Diskussion nicht besser.

„Lass mich doch.“

„Wie im Zirkus“, murmelte Felicio kaum hörbar, setzt aber ein eindeutig gespieltes Grinsen auf. „Scarecrow, das das ist mein bester Freund Minh.“

Doch auch durch diese Bekanntgabe sah niemand ein, sich nun netter aufzuführen; Minh erstach weiterhin Scarecrow mit genervten Blicken und dieser wusste nicht, ob er über dieses kindische Verhalten lachen oder sich beschweren sollte. Aus dem Alter sollte man doch längst hinaus sein, dieser Minh war mindestens so alt wie Felicio und der schaffte es auch, sich zivilisiert und höflich anzustellen.

Vor allem kannte er ihn doch gar nicht, was reagierte er dann so unverschämt auf seine bloße Anwesenheit?

„Moment.“ Seufzend nahm Felicio Minh am Handgelenk. „Komm mal kurz mit“, redete er eindringlich auf ihn ein, während er ihn dezent in den Flur bugsierte, die Tür hinter sich zuzog und nun ein Gespräch von Mann zu Mann zu führte.

Vielleicht schickte er Minh nach Hause.

Lange dauerte es nicht, bis Scarecrow nicht mehr allein in Felicios Zimmer saß und seine Augen nicht von diesem Wunderobjekt namens Teppich nehmen konnte; zu seinem Unmut folgte mit etwas Abstand auch Minh, der ihm in Sachen Begeisterung ins nichts nachstand. Sie schienen sich auf den ersten Blick nicht leiden zu können, das begann wirklich wunderbar, wenn man es sich gleich mit dem besten Freund seines Bekannten verscherzte, ohne überhaupt einen Satz miteinander gewechselt zu haben.

Minh stand wie unter einem inneren Zwang neben Felicio, der ihm einen Arm um die Schulter gelegt hatte, und brachte mit ziemlicher Überwindung zwei Wörter heraus, die mit viel Fantasie „Hey, Scarecrow“ lauten konnten. Eine gezwungenere Begrüßung hatte man wirklich selten erlebt. Dann lieber sich offen anfeinden und beleidigen.

„Hi.“ Zu mehr ließ er sich auch für Felicio nicht herab.

„Lasst uns was zusammen machen“, schlug Felicio zur allgemeinen Auflockerung vor, für ihn schien sich das Thema Diese zwei jungen Männer hassen sich schon seit den ersten drei Sekunden abgehakt zu sein. Stattdessen wollte er nun den erreichten Scheinfrieden zwischen ihnen vertiefen, indem er sie dazu brachte, sich miteinander zu beschäftigen und dadurch besser kennen zu lernen.

„Eigentlich wollte ich was mit dir unternehmen“, murmelte Minh überraschend unglücklich. „Allein.“

„Ich kann auch wieder gehen.“ Bevor hier ein armer Junge in tiefer Trübsal versank, weil sein bester Freund sich nicht komplett auf ihn fixieren wollte, sondern sich noch mit anderen Personen unterhalten konnte, machte er sich lieber auf den Nachhauseweg.

Der Klügere gab schließlich nach.

„Jungs, ihr nervt!“, platzte Felicio fast der Kragen. „ Wir setzen uns jetzt zusammen, spielen was und ihr benehmt euch nicht wie Kindergartenkinder, okay? Ende der Diskussion.“

König Felicio hatte gesprochen und seine Untertanen zum Monopolyspielen bestimmt. Ob man das jetzt als genial oder zum Scheitern verurteilt beurteilen sollte, ließ sich nur herausfinden, wenn man sich darauf einließ.

Mit Kira war das alles irgendwie sichtlich einfacher gewesen.
 

Das Spielfeld lag ausgebreitet vor ihnen, jeder hockte mit seinem Berg Geld auf dem Boden, passte auf, dass niemand die Häuser und Hotels vertauschte oder versteckte, und tat so, als wäre dieses Spiel die toternste Wirklichkeit.

„Gib mir die Würfel.“ Minh hatte sie dreist bei sich gebunkert und tat so, als bemerkte er nicht, dass Scarecrow an der Reihe mit Ziehen war. Seine Aufmerksamkeit schien insgesamt in anderen Sphären festzustecken.

Der Angesprochene schnaubte leise und rührte keinen Finger. Seine dunklen Haare verdeckten seine fast genauso dunklen Augen. „Hol sie dir doch selbst.“

Was für ein Service hier einem angeboten wurde; dann musste er sie sich selbst angeln, bevor er einen richtigen Streit vom Zaun brach und Felicios Pläne dadurch zerstörte.

„Wer zählen kann, ist klar im Vorteil“, wurde er augenblicklich angemurrt, nachdem er die Figur ein paar Felder weitergejagt hatte. „Du hast fünf gewürfelt, nicht sieben.“ Minh schob die Figur rücksichtslos dahin, wo sie seiner Meinung nach hingehörte; zufällig auf seine eigene Straße. „Das macht 300 für dich.“

„Betrüger.“ Dem gab er keinen Cent. „Lern mal zählen.“

„Und du verlieren.“ Gereizt stand Minh auf und gähnte leise. „Ich hol mir was zu trinken. Wagt es ja nicht, mich ins Gefängnis zu stecken, das bringt euch nichts.“

„Ist er immer so drauf?“, wollte Scarecrow leicht genervt erfahren, als Minh nach unten abgetaucht war, um sich eine Erfrischung aus dem Kühlschrank zu besorgen. Sogar er selbst war im Gegensatz zu ihm harmlos.

„Tut mir echt leid, dass er heute so rumspinnt.“ Geknickt darüber, dass sich Minh in solch negativem Licht präsentierte, entwendete Felicio ihm trotz besserem Wissen einen der Zwanzigerscheine. „Sonst ist er eigentlich ein ganz ruhiger Kerl, vielleicht ab und zu etwas gemein und insgesamt kein Sonnenschein, aber nicht so nervig bösartig wie jetzt.“

„Hab ich ihm was getan?“ Manchmal passierte das, ohne dass man es merkte, besonders, wenn man jemanden gar nicht kannte. Scarecrow hatte es oft genug am eigenen Leib erfahren müssen.

„Nein, ehrlich nicht. Ich versteh ihn nicht, ich rede am besten nachher noch mal mit Minh. Und wehe, du gehst wirklich, lass dich von ihm nicht abschrecken. Der regt sich sicher wieder ab. Mir gefällts nämlich, wenn du hier bist.“

Das erste Mal, dass jemand offen zugab, seine Anwesenheit zu mögen. Es war seltsam und brachte Scarecrow fast in eine Art peinliche Verlegenheit, weil er nicht wusste, wie und ob er drauf reagieren sollte.

Die Entscheidung wurde ihm erspart; Minh hatte die Qual der Wahl des Wassers entschieden und beehrte sie wieder mit seiner Präsenz. Allerdings führte er nicht gleich das Spiel fort, sondern kniete sich hinter Felicio, nur um ihn zuerst anzumeckernd und gleich darauf zu umarmen.

Es wirkte nicht komisch, eher auffällig vertraut, was Scarecrow einen erneuten Stich versetzte; aber das kam davon, wenn man sich jahrelang kannte. Die meisten Jungs taten so etwas nur nicht im Beisein anderer.

„Minh, alles okay?“, fragte Felicio vorsichtig, sein Freund blieb ihm aber eine Antwort schuldig. Er suchte hier die Beachtung von Felicio, die ihm dieser die ganze Zeit verwehrt hatte. Trotzdem störte es Scarecrow enorm, er sollte dieses Verlangen ausleben, wenn er auf dem Heimweg war.

Diese Stillung seines Bedürfnisses hatte aber Minhs Bereitschaft nach unterschwelliger Provokation und Gemeinheit gesenkt; er fauchte Scarecrow nicht mehr an, wies ihn nicht einmal darauf hin, wenn er sich bei den Feldern verzählte, und fragte ihn sogar, ob er auch ein Eis wollte, dass er aus dem Kühlfach holen würde.

Scarecrow war verwirrt und wurde nicht schlau aus ihm; sollte er ihn jetzt als eine Art Konkurrenten um Felicios Zuneigung ansehen oder nicht?

Und nützte es überhaupt, deswegen diese sinnlose Abweisung, die sie gegenseitig austauschten, auszuleben?
 

Es kam selten vor, dass man Felicio ohne Minh antraf, der wirklich oft bei ihm zuhause sein zweites Heim aufschlug und sich wie ein zusätzlicher Bewohner aufführte; manchmal hatte Scarecrow aber auch Glück und musste Felicio nicht in diesem albernen Kampf von Minh ablenken und ihn auf sich fixieren.

Noch nie zuvor hatte er solch ein Konkurrenzdenken wegen einer Person miterlebt; Nikki hatte zwar auch andere Freunde außer ihm gehabt, aber die hatten von ihr nicht gefordert, sich nur mit ihnen zu beschäftigen.

Scarecrow kam sich immer öfter wie ein Pendler vor, der nach der Schule entweder bei Kira oder bei Felicio vorbeischneite und sie für einige Stunden zu seinen privaten Unterhalter machten. Felicios Bett war unverschämt gemütlich, es lud einen dazu ein, sich in die Decke zu kuscheln und einzuschlafen, nur wollte Scarecrow die Minhfreie Zeit nicht verplempern, sondern sie sinnvoll nutzen, um Felicio noch besser kennen zu lernen.

Leider hatte Felicio heute nicht uneingeschränkt Zeit für ihn, er war von seinen Eltern verdonnert worden, gründlich die Küche zu putzen, die nach einem äußerst missglückten Versuch, Kuchen zu backen, einen eher dreckig als sauberen Eindruck machte. Deshalb hatte sich Scarecrow zur Überbrückung möglicher Langweile ein Fotoalbum, das halb unter einem Berg Kisten unter dem Bett verborgen gewesen war, unter den Nagel gerissen und blätterte es interessiert durch; alte Bilder erzählten viel über die Vergangenheit eines Menschen und über ihn selbst, auch wenn man keine Ahnung hatte, was konkret dort abgelaufen war.

Interpretation hieß der Schlüssel zur Erkenntnis.

Er fand Bilder, die vielleicht auf einer Klassenfahrt aufgenommen worden war, mit vielen doof grinsenden Jugendlichen und einer kleiner Armee Bier in einem Eckchen.

Aufnahmen von hier, in diesem Zimmer, die eher experimentell als gelungen erschienen, im Hellen und Dunklen, bunt oder schwarzweiß, mit und ohne Minh, auch mit ein paar anderen Leuten, die Scarecrow natürlich nicht kannte.

Und dann kam etwas, was in ihm eine Vorahnung wachsen ließ, die alles, was bisher geschehen war, erklären konnte, wenn er sich nicht täuschte. Felicio und Minh, in trauter Zweisamkeit auf diesem Bett. Und zwar wirklich auffällige Zweisamkeit, die für normale Freunde nicht unbedingt typisch war. Es gab nicht viele Menschen, die ihren besten Freund so haltlos küssten wie Minh das dort tat.

Sie waren sicher einmal zusammen gewesen; inzwischen nicht mehr, dafür zeigte Felicio seiner Meinung nach nicht genügend Zuneigung zu Minh, die der aber von ihm zu bekommen erhoffte. Vielleicht war er deshalb so eifersüchtig auf Scarecrow, weil er vermutete, dass Felicio ihn endgültig verlassen würde; man konnte größtenteils nur spekulieren, aber es war gleichzeitig erleichternd, den Grund wissen zu können und beängstigend, weil man eine solche Offenbarung nicht jeden Tag erlebte.

Er musste Felicio darauf ansprechen, obwohl es nicht unbedingt von Vorteil war zuzugeben, dass man in privaten Dingen herumgeschnüffelt hatte. Aber es konnte auch einiges erleichtern.

„Ich back nie wieder diesen scheiß Kuchen“, fluchte Felicio leise, als er sich neben Scarecrow auf die Decke warf und theatralisch seufzte. „Der klebt wie Zement, wenn man ihn nicht braucht.“ Das aufgeschlagene Fotoalbum neben sich bemerkte er gar nicht.

Er musste es wagen, auch wenn Felicio unter Umständen sauer auf ihn wäre; er selbst konnte immerhin übertrieben Neugier nicht leiden, warum sollte es also ihm anders ergehen. Ein wenig schüchtern räusperte er sich. „Warst du mal mit Minh zusammen?“ Hoffentlich machte er sich hier nicht zum Trottel, die Frage barg immerhin eine gewisse Intimität, für die sie noch nicht ganz bereit waren.

Felicio schaute ihn überrascht und deutlich ertappt an, seine Augen verrieten Scarecrow die Antwort, aber er wollte sie gerne von ihm direkt hören. „Naja, also eigentlich… ja, waren wir, aber das ist schon zwei Jahren her.“

Na also, seine Gespür hatten ihn nicht in die Irre geführt.

„Schlimm für dich?“

„Nein.“ Darüber machte er sich gerade weniger Gedanken, was das konkret für ihn und seinen Umgang mit Felicio bedeuten konnte, es ging ihm um eine ganz andere Sache. „Vielleicht hat der deshalb ein Problem mit mir. Übermäßige Besitzansprüche und solches Zeug.“

„Du meinst, Minh ist eifersüchtig? Nein, das glaub ich nicht, das war er noch nie auf andere.“ Entschieden schüttelte Felicio über diese Vermutung den Kopf. „Du bist nicht der erste, der hier bei mir plötzlich aufgetaucht ist.“

Aber vielleicht trotzdem der erste, in dem Minh eine so große Bedrohung sah, dass er ihn gleich wieder hinausekeln wollte. Nur weil sie beste Freunde und früher ein Paar gewesen waren, bedeutete das nicht, den anderen uneingeschränkt verstehen und sein Verhalten deuten zu können.

Aber bevor sie sich deshalb stritten, ließ Scarecrow das Thema fallen und tat so, als hätte er es nicht angeschnitten; er wollte sich nämlich nicht noch zusätzlich fragen, wie er nun Felicios sexuelle Orientierung, die für ihn bis dahin uninteressant gewesen war, bewerten und ob er sich Sogen um sich selbst machen sollte.

Warum wurde er hier immer mit Dingen beschäftigt, über die er gar nicht genau nachdenken wollte?
 

„Gestern waren wir mit der Schule in einer Kunstausstellung, das war so übertrieben langweilig, das kannst du dir…“

„Nikki, bitte, jetzt hör doch mal auf!“ Wie oft musste er ihr denn noch sagen, dass sie aufhören sollte, in jedem Gespräch ohne Vorwarnung über Daheim zu sprechen, als wäre er immer noch anwesend.

„Ja, stattdessen soll ich mir anhören, wie du in Selbstmitleid zerfließt“, begann sie ihn zu kritisieren. „Wie schrecklich und schlimm alles ist und wenn ich was dagegen sagen will, dann bin ich die Blöde, weil ich ja deinen Alptraum da nicht zu würdigen weiß.“

„Du hast doch keine Ahnung.“ Er wollte sich nicht mit ihr streiten, aber sie war so uneinsichtig, so egoistisch. Er konnte mit ihr wirklich nicht über seine wahren Gefühle reden. Sie hatte sich in der ganzen Zeit nicht geändert.

„Und du hast keine Ahnung, wie mich dein Gejammer nervt, wirklich.“ Sie klang wütend und auch unterschwellig verzweifelt. „Du denkst auch, um dich dreht sich das ganze Universum und dein Leben ist das einzig wichtige. Es tut mir ja leid, was bei dir passiert ist, aber du hast keinen Grund, alle mit dir runterzuziehen.“

„Auf mich hat auch keiner Rücksicht genommen“, zischte er sie an. Im selben Moment tat es ihm schon wieder Leid, aber das konnte er nicht zugeben.

„Toll, dass dich andere Leute so interessieren.“ Und mit diesen Worten legte sie einfach auf; auch als er versuchte, sie zurückzurufen, blieb die Leitung stumm. Bei weiteren Versuchen drückte sie ihn sogar weg.

Das durfte nicht wahr sein; war er denn so unwichtig für sie? War denn die gemeinsame Zeit, die sie verbrachte hatten, es nicht wert, sich um ihn zu kümmern?

Vor Enttäuschung warf er sein Handy mit voller Kraft gegen die Wand und fühlte nicht einmal Genugtuung, als sich die Umhüllung ablöste und auf dem Teppich verteilte. Ihre Worte schmerzten zu sehr.
 

Noch am selben Abend lag er auf Kiras Couch; er hatte es sich trotz der späten Uhrzeit und dem Unmut seiner Tante über sein Vorhaben nicht davon abbringen lassen. Er wollte gerade auf keinen Fall allein sein und in Kira sah er die beste Person, die ihn vielleicht trösten oder aufmuntern konnte.

Sie hatte sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte, dass er weder essen noch chatten noch ihre alten Fotos betrachten wollte, sondern hatte sich einfach zu ihm gesetzt und ihn vorsichtig in den Arm genommen, wie man es bei einem kleinen Kind machte, das Schutz suchte.

Scarecrow war ihr unendlich dankbar dafür gewesen, obwohl er es ihr nicht sagen konnte, weil er sich dafür dann wieder geschämt hätte; er genoss einfach die Zuwendung, die sie ihm schenkte und die ihn vielleicht ein wenig von seinem Fassungslosigkeit befreite, der immer noch in ihm steckte.

Wenn er es genau überdachte, steckte zumindest ein Körnchen Wahrheit in ihrem Vorwurf.

Kapitel 4 | Confused mind

Trotz Kiras großer Bemühung, Scarecrow in seiner schweren Lage beizustehen und ihn nicht allein seinem Schicksal zu überlassen, besserte sich seine Gemütsalge nicht. Er fühlte sich verraten, hintergangen und unwiderruflich aus seinem alten Leben ausgesperrt. Dabei war das das Letzte gewesen, was er erreichen wollte.

Aber nun war es geschehen, der Kontakt war abgebrochen und Nikki gab ihm keine Chance, seinen Fehler rückgängig machen zu können, stattdessen wurde er sogar auf diversen Internetseiten von ihr blockiert und es trat jedes Mal nur die Mailbox mit ihm in Kontakt, wenn er sich überwand und aufs Neue bei ihr anrief.

Den einzigen Tipp, den Kira ihn in diesem Punkt geben konnte, war, sie für eine gewisse Zeitspanne in Ruhe zu lassen, bis sie sich beruhigt hatte und sich wieder in der Lage fühlte, mit ihm zu reden.

„Du kannst sie nicht zwingen, sich mit dir zu auseinanderzusetzen“, lautete ihre nüchterne Feststellung und voller Mitleid sah sie, wie er die Wahrheit nicht zulassen wollte.

Doch zu seinem Pech war das nicht die einzige Angelegenheit, mit der sich noch herumschlagen musste; hinzu kamen weitere Angriffe der Vertrauenslehrerin auf sein Privatleben, die er immer nur mit Mühe und unter Verlust von Nerven abwenden konnte, die aber nie ein Ende zu finden schienen. Natürlich noch die typische Distanziertheit von Minh, die manchmal, wenn Felicio nicht aufmerksam genug war, in unschöne Eifersuchtsattacken abrutschte, die Scarecrow einem Menschen in seinem Alter nicht zugetraut hätte. Fliegende Stifte gehörten zu den harmlosesten Mitteln.

Am meistens belastete Scarecrow aber die Tatsache, den Platz des Stufenopfers angenommen zu haben und nicht davor geschützt zu werden, obwohl es nicht im Verborgenen geschah.

Es hatte schleichend begonnen, nicht zu offensichtlich, sodass er nicht mehr genau rekonstruieren konnte, wann es zuerst aufgetreten war. Einer aus seiner Parallelklasse, dessen Namen er nicht einmal kannte, hatte immer wieder abfällige Kommentare über sein Aussehen, sein Auftreten gerissen, ihn als Emo, Verlierer, Schwuchtel beschimpft. Über so etwas konnte man hinweg sehen, es ignorieren und es nicht persönlich nehmen, wenn es sich nicht häufte.

Doch leider zogen auch andere mit, die glaubten, dadurch selbst nicht in der Schusslinie von solchen Diffamierungen zu stehen, und es wurde schlimmer, viel schlimmer. Wohl auch, weil er sich nicht wehrte, denn er nahm an, dadurch erst recht das Interesse dieser Gehässigkeit auf sich zu ziehen; also schwieg er und hörte, wie man ihn immer tiefer herabsetzte.

Und alle anderen taten so, als ginge sie es nichts an.

Alle diese Faktoren zusammen knabberten an ihm und fraßen ihm die Schutzhülle weg, die er sich für diese Stadt aufgebaut hatte. Lange würde sie nicht mehr aufrecht stehen und wenn sie zusammenfiel und ihn unter sich begrub, wäre das kein schönes Schauspiel. Er fürchtete sich wahnsinnig davor, aber nicht einmal mit Kira konnte er darüber reden, niemand konnte ihm hier helfen.

Es lag ganz allein an ihm.
 

„Was willst du hier?“ Minh empfand es nicht einmal für nötig, die Tür weit genug zu öffnen, um ihm die Chance zu geben, aus dem leichten Nieselregen herauszutreten. „Felicio ist nicht da, du kannst also wieder nach Hause gehen.“

Die Genugtuung würde er diesem kleinen Giftzwerg nicht geben. „Ich warte lieber drinnen auf ihn.“ Felicio wäre sicher nicht zufrieden, wenn er ihm so nebenbei zuflüsterte, dass Minh die Gunst der Stunde genutzt und ihn mal wieder eins ausgewischt hatte. Sonst gehörte petzen nicht zu seinen Hobbies, aber gewisse Leute verdienten es, im Gegensatz mal selbst eins reingewürgt zu bekommen und nicht immer nur selbst auszuteilen.

„Dann komm halt rein.“ Minh verdrehte genervt die Augen, gab ihm aber keine eiskalte Abfuhr, sondern ließ ihn ein. „Kann aber dauern, bis er wieder da ist.“

Solange Scarecrow sich nicht mit Minh eine erzwungene Unterhaltung leisten und Höflichkeit heucheln musste, ertrug er die Warterei geduldig und freute sich stattdessen, Felicio wieder zu sehen, der seine getrübte Stimmung heben würde.

Nach ihrem Betreten wurde Felicios Zimmer kurzerhand in zwei Lager aufgeteilt; Scarecrow besetzte das Bett, das er so mochte, und döste ein wenig vor sich hin, während Minh sich den Schreibtisch unter den Nagel riss und dort weiter zeichnete. Das Ergebnis landete nachher wieder an Felicios Pinnwand, wo schon mehrere Minhprodukte hingen. Scarecrow würde es zwar nie zugeben, aber Minh konnte deutlich besser mit Stift und Radierer umgehen als er selbst, an das Resultat käme er mit seinen begrenzten Fähigkeiten nie heran.

„Warum kommst du eigentlich dauernd hier her? Hast du sonst keine Freunde?“

Minh liebte diesen Kleinkrieg zwischen ihnen und stachelte ihn jedes Mal an; dass Scarecrow momentan alles vertrug außer noch zusätzlichen Gemeinheiten, merkte er nicht. Für ihn zählte nur, ihn aus Felicios Nähe zu verscheuchen und seine Position als einzig wahrer Begleiter wieder einzunehmen.

„Du gehst uns ziemlich auf die Nerven. Dauernd stehst du hier vor der Tür und tust so, als wärt ihr, du und Felicio, beste Freunde.“ Minh sah ihn gar nicht an, während er ihn wie so oft angriff. Sein Blick ruhte auf seiner Zeichnung. „Manchmal glaube ich, er hängt nur aus Mitleid mit dir ab. Weil sich ja sonst niemand für dich interessiert.“

Scarecrow wusste, dass das alles Lügen waren, dass Minh ihn psychisch fertig machen wollte, um sich selbst besser zu fühlen, aber es tat unglaublich weh und ließ ihn plötzlich an allem zweifeln. Sogar an seiner Kenntnis über Felicio.

„Irgendwann wirst du es auch einsehen müssen, dass er froh ist, wenn du nicht da bist.“

Er sollte endlich den Mund halten, je mehr er ihm an den Kopf warf, desto schlechter ging es ihm, seine armer Schutzwall brach an so vielen Stellen, dass er sie nicht alle auf einmal reparieren konnte und das, obwohl der Grund so banal und eigentlich leicht zu ertragen gewesen wäre…

Erst als er zu seiner Schande tatsächlich anfing zu weinen und auch kein Biss auf die Unterlippe die Tränen zurückdrängte, drehte sich Minh zu ihm um, starrte ihn an, als wäre er von einem fremden Stern und brachte keinen Ton mehr heraus. Diese Reaktion hatte er sich nicht versprochen. Hoffentlich packte ihn nun sein schlechtes Gewissen.

Scarecrow schämte sich für seinen unangemessenen Gefühlsausbruch, der sich nicht mehr stoppen ließ, zu viel lag auf seinen Schultern und drückte ihn nieder, sodass er nicht mehr aufstehen konnte. Verzweifelt schob er sich in die hintere Ecke des Betts und hoffte, in der Matratze zu verschwinden, Hauptsache weg aus Minhs Blickfeld. Wenn dieser ihn noch tiefer in das Loch stoßen würde, konnte er für nichts mehr garantieren.

Minh blickte sich nervös um, als suchte er nach jemandem, der ihm zeigte, was er tun konnte; natürlich war niemand da, der ihn anleitete, er musste selbst entscheiden, ob er seinen Fehler wieder gut machen wollte oder ihn vertiefte.

„Verdammt“, murmelte er überfordert, seine Finger zerrten am Bändel seiner Jacke. Zögernd machte er einen Schritt auf Scarecrow zu, blieb stehen, ging noch einen Meter vor; er war sich nicht sicher, ob seine Entscheidung überhaupt anerkannt werden würde.

„Geh weg“, fauchte ihn Scarecrow mit letzter Kraft an, als Minh sich mit etwas Abstand zu ihm auf die Decke setzte. Egal was er tat, es half ihm nichts.

„Es tut mir Leid“, beichtete Ming zerknirscht, den Blick auf den Boden gerichtet. „Ich will doch nur, dass du uns in Ruhe lässt und aufhörst, mir Felicio wegzunehmen.“

Was für ein netter Wunsch, kein bisschen egoistisch oder weltfremd.

„Ich brauch ihn aber auch, aber das kapierst du doch sowieso nicht.“ Seine Stimme war ungewohnt laut und schrill, so sehr regte ihn das alles auf. „Ich hab doch sonst niemanden mehr.“ Außer Kira, und wenn die hier weg zog, um ihren Studienplatz besser zu erreichen, wäre er verloren.

Die entstehende Stille zwischen ihnen wurde nur durch Scarecrows heiseres Schluchzen unterbrochen, das er genauso wenig wie seine Verzweiflung beeinflussen konnte, so schrecklich schwach und hilflos hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sonst war es wenigsten von der Gleichgültigkeit erstickt worden; sie schützte ihn aber nicht mehr. Sie war weg.

Zaghaft legte Minh seine Hand zur Beruhigung auf seine Schultern, weil er sich nicht mehr mit Worten helfen konnte, die sowieso nichts ausrichten konnten.

Es war ein Witz, dass sie in der einen Sekunden sich bis aufs Blut zankten und Minh ihn nun trösten wollte, und eigentlich wollte Scarecrow nichts lieber, als ihn treten, anschreien und in seine Schranken weisen, aber genauso brauchte er diesen Trost, den Minh ihn noch spürbar befangen anbot, mehr als eine gläserne Barriere zwischen sich und seinen Mitmenschen.

Er hasste sich selbst dafür, dass er seinen letzten Stolz über Bord warf, heulend in Minhs Armen kauerte und alles aus ihm heraussprudelte, von dem niemals jemand hätte Wind bekommen sollen. Sein Gegenüber war die völlig falsche Person dafür, er vertraute ihm nicht und musste bangen, es morgen nicht mehr als Geheimnis betitel zu können.

Sein Körper handelte aber inzwischen ganz ohne sein Zutun, die Wahrheit drängte zu heftig an die Oberfläche, er hatte sie zu lange verschwiegen.

Minh hörte ihm ohne ihn zu unterbrechen zu, als er stockend seine ganze Geschichte von vorne aufrollte; angefangen von der kleinen Wohnung, in der er mit seiner Mutter und seiner Großmutter gewohnt hatte, weil für etwas Größeres das Geld gefehlt hatte. Die Gegend war nicht die beste gewesen, was ihn in seiner Schule automatisch zu einem Außenseiter gemacht und ihm unfreiwillig den Asozialstempel verpasst hatte.

Nikki war die einzige, die das nicht abgeschreckt hatte, sodass sie zu seiner einzigen richtigen Vertrauensperson in dieser Schule voller selbstverliebter, angebender Idioten geworden war.

Er hätte so weiterleben können, das machte ihm nichts aus. Lieber eine richtige Freundin als zehn falsche. Doch das Schicksal hatte ihm einen unüberwindbaren Strich durch die Rechnung gemacht, den er nicht ausradieren konnte.

Dass seine Mutter mit ihrer Mutter stritt, manchmal auch nur über Kleinigkeiten, das kam öfter vor, das ließ sich bei Wohnen auf so engem Raum nicht vermeiden, auch dass es im Treppenhaus stattfand, war nicht so ungewöhnlich. Das tat hier jeder, es fiel nicht negativ auf.

Und trotzdem artete es zu einer Katastrophe aus, die keiner vorhergesehen hatte und dementsprechend nicht mehr kontrollieren konnte.

Am Ende lag seine Großmutter im Krankenhaus, das sie nicht mehr verließ, weil ihr alter Körper die Verletzungen durch den Sturz von der Treppe nicht überstanden hatte, seine Mutter wurde wegen Totschlags verhaftet und Scarecrow war plötzlich auf sich allein gestellt. Seine zwei wichtigsten Bezugspersonen waren innerhalb eines Augenblicks aus seinem Leben entschwunden.

Dafür begann nun der Kampf darum, wo er hinsollte, denn allein wohnen konnte man ihn nicht lassen. Da man auch nicht glaubte, dass sein Vater, den er schon seit Ewigkeiten nicht mehr getroffen und der auch keine besondere Interesse an ihm hatte, die beste Wahl wäre, was auch an seinem ziemlich unsteten Lebenswandel lag, entschied man sich, ihn bei seiner Tante, die Schwester seines Vaters, unterzubringen, die auch .

So war er in dieser Kleinstadt gelandet, ohne die Hoffnung, sie zu verlassen, ohne Freunde, ohne bekannte Menschen, nur mit der Gewissheit, nie etwas Schlimmeres erlebt zu haben.

Zusätzlich die ganzen Probleme, die sich hier noch angesammelt hatten, ohne dass er danach verlangt hatte. Da sollte sich Minh nicht wundern, wieso er endlich einmal eine Konstante im Leben haben wollte, die sich nicht nur als schöner Schein entpuppte und ihm sofort wieder entrissen wurde.
 

Scarecrow begab sich nach Hause, bevor er mit Felicio aufeinandertraf; heute hätte es sowieso kein unbeschwertes Miteinander mehr gegeben, obwohl Minh nun verstanden hatte, seine Boshaftigkeit gegen ihn einzustellen. Er hatte sich mehr als einmal noch bei ihm entschuldigt.

„Ich wollte nicht von heute auf morgen ersetzt werden.“ Seine größte Befürchtung, die eintreten konnte, weil sie sich seiner Meinung nach ähnlicher waren, als Scarecrow es vielleicht wahr haben wollte.
 

Am nächsten Tag lag eine Nachricht im Briefkasten, in großen Buchstaben war sein Name darauf geschrieben. Scarecrow war verwirrt, warum sollte ihm jemand einen Brief schreiben, wenn er auch direkt zu ihm kommen konnte, eine Marke fehlte nämlich, ebenso ein Poststempel.

Entweder wollte Minh ihm auch schriftlich zusichern, wie sehr er sein Verhalten bedauerte oder die netten Menschen aus seiner Schule gingen noch eine Stufe weiter und terrorisierten ihn auch bis vor die Haustür.

Es kam ganz anders, der Zettel stammte von Felicio.
 

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
 

F.
 

Es steckten noch eine Schachtel Streichhölzer und ein kleines Teelicht im Umschlag. Überrascht, aber nicht weniger glücklich über dieses Geschenk lächelte Scarecrow, obwohl es auch bedeutete, dass Minh kein Stillschweigen bewahrt und zumindest Felicio von ihrem kleinen Zwischenfall erzählt hatte. Hoffentlich blieb es nur bei ihm, seine Mitschüler hatte kein Recht, solche privaten Details seiner Vergangenheit auch nur ansatzweise zu erfahren.

Es folgten immer wieder unregelmäßig solche kleinen Botschaften, jede mit einem Spruch versehen. Aber wenn Scarecrow deshalb mit Felicio reden wollte, weil ihn öfter der Inhalt verwirrte und er nicht abschätzen konnte, wie er die Worte zu verstehen hatte, ging dieser nie darauf ein, stattdessen grinste er dann nur wissend, tat aber so, als hätte er von nichts Ahnung und wüsste nicht, dass diese Papierschnipsel wirklich existierten.

„Ich weiß gar nicht, wovon du redest“, lautete seine Standardformel, während er Scarecrow wie zufällig in diesem Moment einem Arm um die Schulter legte. „Namen mit F sind nicht so selten. Vielleicht hat jemand aus deiner Klasse Gefallen am Zitate schreiben gefunden.“

Als ob die sich in irgendeiner Form für literarische Dinge interessierten und seien diese noch so kurz. In ihren Köpfen ging es augenscheinlich eher um Partys, das eigene Aussehen, die aktuellste Liebesbeziehung oder wer sich mal wieder bis auf die Knochen blamiert hatte.

Oder ab und zu ihn vor versammelter Mannshaft vorzuführen, wenn gerade kein Lehrer zur Hand war, dem man einen Streich spielen konnte, ohne erwischt zu werden.

Auch durch den Wideraufbau und die Festigung seiner Psyche wurden Mitschüler nicht liebenswürdiger.
 

Minh zog sich mehr und mehr vor ihnen zurück; er verschwand nicht völlig oder rannte davon, wenn er ihm begegnete, aber seine Besuche überschnitten sich immer seltener mit denen von Scarecrow, als würde er genau die Zeit mit seinem besten Freund nutzen, wenn Scarecrow bei Kira seine Hausaufgaben erledigte und sich von ihr bei Themen helfen ließ, bei denen seine Lehrer im Unterrichten gnadenlos versagten.

Vielleicht hatte auch Felicio zu einem gewissen Teil seine Hand im Spiel und dirigierte ihre Treffen nun so, dass jeder von ihnen die Zeit mit ihm erhielt, die er brauchte. Denn obwohl es für ihn zu Beginn nicht einfach gewesen war, hatte er inzwischen eingesehen, dass Minh die Eifersucht und die Verlustangst noch zerfraßen und ihn in einen unfreundlichen Ignoranten verwandelten, der jeden Atemzug Scarecrows als Zeichen zum Kräftemessen ansah.

„Manche Sachen sieht man nicht, weil man sie nicht sehen will“, entschuldigte Felicio etwas kleinlaut seinen Umgangsfehler bei seinen Gästen. „Ich hab mir so gewünscht, dass wir uns alle drei verstehen können, dass ich ein wenig den Blick für die Realität verloren hab.“

Ironischerweise war das jedem Beteiligten hier so ergangen, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Aus diesem Grund wurde es für Scarecrow immer klarer, dass man nur durch Kommunikation Probleme aus der Welt schaffte, denn das subjektive Betrachten konnte schnell täuschen und die Situation noch auswegloser erscheinen lassen.

Er müsste diese erlernte Weisheit also auch auf seine Tante, seine unmöglichen Klassenkameraden und die Lehrerschaft erweitern, um einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen und sich nicht dauernd selbst auszugrenzen, wie er es zu Beginn immer praktiziert hatte.

Scarecrow im Wandel, ein ganz merkwürdiges Gefühl für ihn, das ihn oft schon beim Aufstehen und den danach folgenden, unvermeidlichen Blicken in den Spiegel erfasste. Er sah natürlich fast genauso aus wie früher, vielleicht nicht mehr ganz so kalkweiß und spindeldünn, trotzdem noch immer vogelscheuchenartig in Gang und Haltung, aber seine innere Einstellung war nicht mehr dieselbe.

Nicht mehr schweigen, keinen inneren Widerstand errichten und keinen geheimen Hass auf all das hier aufbauen, auch keine Gleichgültigkeit mehr zulassen, die jegliche Emotion im Keim ersticken wollte.

Stattdessen versuchte er offener zu werden, nicht allem und jedem aus dem Weg zu gehen und sich in Selbstmitleid und der Trauer um seine Großmutter, seine Mutter und um seine Freundschaft mit Nikki zu verlieren. Er merkte endlich, dass es nichts brachte, dass er dadurch nur mehr litt und sich selbst keinen Gefallen erwies.

Die zwei großen Stützen dafür waren natürlich Kira und Felicio; die eine war wie seine Schwester, der andere wie ein Bruder für ihn, die ihn unterstützen und trösten konnte, ihm manchmal aber auch kritisieren und korrigieren mussten, wenn er wieder in seine alten Muster zurückfiel, besonders, wenn diverse Menschen in der Schule wieder meinten, ihn schlecht behandeln zu müssen und seinen Schulhefte mit Edding zu verschönern.

Sie hätten kein Recht, ihn so vorzuführen, regte sich Kira auf, aber er dürfe sich auch nicht damit abfinden, er sei kein für sie serviertes Opfer, sondern auch nur ein Schüler. Eine Autoritätsperson müsse hier ein klares Machtwort sprechen, in diesem Fall ein Lehrer.

Es gefiel Scarecrow nicht, zugeben zu müssen, die Situation nicht allein in den Griff zu bekommen und den Vollidioten das Ende ihrer Reichweite klarmachen zu können. Aber was half es ihm, wenn er zum Schluss nur noch mit Angst das Gebäude betreten würde, nur um möglichen neuen Ärger aus dem Weg zu gehen?

Auch Felicio half ihm, aber auf andere Weise, indem er ihn von den Schattenseiten des Lebens ablenkte und immer wieder Aktivitäten, drinnen sowie draußen, mit ihm unternahm. Nicht aus Mitleid, sondern weil er ihn wirklich mochte, das konnte Scarecrow spüren, bei jedem Lachen, das Felicio ihm schenkte.

Was wäre er bloß ohne ihn?
 

„Wenn du es genau betrachtest ist Tetris eigentlich total sinnlos. Du sitzt stundenlang vor dem Rechner, drehst und wendest Kästchen in hässlichen Farben und wirst irgendwann wahnsinnig, weil es immer schneller wird.“ Aus irgendeinem Grund hatte Felicio sich dazu entschlossen, ihm darüber Bericht zu erstatten, welche Computerspiele er dem Rest der Menschheit gerne erspart hätte, wenn man ihm die Macht dazu überließe. „Ich kenn einen, der war zeitweise so süchtig danach, der hat schon überlegt, wie er nach dem Tetrisprinzip seinen Ranzen packt oder Essen auf seinem Teller stapelt. Spätestens dann ist das nicht mehr gesund.“

Wenn man sonst keine Probleme zu bewältigen hatte, erschuf man sich schnell selbst welche. Scarecrow fand es mehr als abwegig, sich sein Leben von einem uralten und ziemlich primitiven Spiel bestimmen zu lassen.

„Also, versprech mir, dass du niemals, wirklich niemals so was Dämliches machst. Ich hab keine Lust, höchstpersönlich bei dir vorbeikommen zu müssen und dich daran zu erinnern, dass du noch Freunde und vor allem Verpflichtungen hast. Mir beim Labern zuzuhören zum Beispiel.“

Dabei mochte Scarecrow es, Felicio dabei zuzuhören, wenn er sich über Gott und die Welt beklagte oder lustig machte sowie verschiedene Themen mit ihm diskutieren wollte, was dran scheiterte, dass Felicio nur selten Kontraargumente gegen seine aufgebauten Thesen zu Gesicht bekam.

Aber so machte es deutlich mehr Spaß, durch den Wald zu laufen statt sich nur in Felicios Zimmer aufzuhalten, das mit der Zeit auch nicht spektakulärer wurde.

„Hab ich dir eigentlich gesagt, dass ich gar keinen Computer habe?“, bemerkte Scarecrow nach einer kurzen Pause, während er die umstehenden Bäume, die den schmalen, betonierten Waldweg säumten und teilweise von Schädlingen befallen waren, auf sich wirken ließ. Hübsch und eindrucksvoll fiel in eine andere Kategorie.

„Echt? Danke, dass du mir das so früh sagst. Hab ich dich halt ganz umsonst vor den bösen Weiten des Internets gewarnt.“ Gespielt beleidigt drehte sich Felicio von ihm weg, bückte sich nach einer herumliegenden Haselnuss und traf damit auf hinterhältige Weise Scarecrows Stirn. Rache war süß.

Es tat für einige Sekunden etwas weh, aber der leichte Schmerz ging in Schadenfreue über, als Felicio in seinem Triumpfgefühl vergaß, auf seine Umgebung zu achten und fast über einen dickeren Ast stolperte, der einen Großteil des Weges versperrte.

„Geschieht dir recht“, kommentierte Scarecrow den nur knapp verhinderten Absturz. Manchmal schien das Schicksal doch auf seiner Seite zu stehen, obwohl es bei Felicio nicht unbedingt nötig war, ihn für seine manchmal etwas kindischen Anfälle zu bestrafen. Er tat ja keinem was, wollte ihn nur noch mehr aufmuntern.

„Wenn du irgendwann mal Bekanntschaft mit einem netten Ast machst, bin ich der erste, der Fotos macht“, drohte ihm Felicio und testete, ob auch nichts an ihm beschädigte worden war; seinem Knie und seinem Fuß ging es gut, er hatte also keinen Grund, sich aufzuregen.

Sie erkundeten noch ein paar Wege, drangen noch einige hundert Meter in den Wald vor, während Felicio wieder dazu übergangen war, Sinnlosigkeiten des Lebens augenzwinkernd zu verteufelnd, die er selbst nicht ausschlug. Dieses Mal erwischte es ein Spiel, in dem das Abschießen von vielen kleinen bunten Bläschen die einzig wahre Bestimmung des Spielers darstellte.

„Mir ist kalt, meine Jacke ist zu dünn“, stellte Felicio schließlich zerknirscht fest, als sie in einen Teil des Waldes gelangten, den selbst er nur selten betrat. „Gehen wir besser.“ Sonst durfte Scarecrow den restlichen Abend damit verbringen, ihn zu enteisen und mit Kakao aufzuwärmen.

„Wollen wir was kochen oder reicht dir Lasagne aus der Mikrowelle?“, fragte Felicio und schob die Haustür auf. „Mir ist es egal, wir müssen nur nachher aufräumen, sonst bin ich der Arsch.“ Der Fluch eines Einzelkindes: Man konnte immer genau zurückerfolgen, wer was im Haushalt angestellt hatte.

„Habt ihr Pizza?“ Heute Abend hatte er kein besonderes großes Verlangen auf Lasagne in jeglicher Form und dreimal keine Lust, mit knurrendem Magen in der Küche zu stehen, Teig anbrennen zu lassen und nachher noch die Tomatenspritzer von der Ofentür kratzen zu müssen. Mit Felicio entwickelten sich gewisse Tätigkeiten gerne in Richtung kleine Katastrophe, obwohl er eigentlich gar nicht so schlecht kochen konnte. Nur die Präzision und Ordnung fehlte merklich.

„Gut, zweimal Pizza aus der Kühltruhe, sollte noch da sein.“ Für den Notfall hatte seine Mutter so gut wie immer Fertiggerichte zur Hand, um das Aussehen ihrer Küche zu schonen und um Zeit zu sparen. „Wenn nicht, irgendwas findest du schon.“

Die Arbeit wurde wie so oft geteilt: Felicio kümmerte sich um die Pizza, damit sie nicht in maximalpigmentierter und unnatürlich harter Form den Backofen verließ, und Scarecrow vertrieb sich die Wartezeit im Zimmer seines Gastgebers, las irgendwelche kurzen Artikel aus Sportzeitschriften oder die Rückenansicht von Felicios DVD, die er in einem kleinen Schränkchen neben seinem Schreibtisch bunkerte. In diesem Punkt deckte sich ihr Geschmack leider nicht so extrem, sodass Scarecrow schon öfter beim Studieren der Handlung des Films das Bedürfnis gehabt hatte, ihn unter den Schrank zu schieben, weil ihn sowieso niemand außer Felicio interessant finden konnte.

Mehr als einmal war er beim gemeinsamen DVD Sehen mit ihm schon in der ersten halben Stunde eingeschlafen und hatte geradeso noch das Ende mitbekommen, natürlich ohne zu verstehen, warum der Protagonist plötzlich mit neuer Frisur und weiblicher Begleitung über den Bildschirm stolzierte. Um Felicio nicht zu ärgern, hatte er ihm seine kleine Ruhephase nicht auf die Nase gebunden. Ihm hätte es auch nicht gefallen, wenn er ihm gebeichtet hätte, seinen Lieblingsfilm konsequent verschlafen zu haben.

„Bock auf Futter?“, wurde er von einem Teller vor seinem Gesicht aus dem Zustand des Abwesend seins geholt. „Wenn du deine Oliven nicht magst, kannst du sie mir geben, ich könnte in dem Zeug baden.“

Und wieder eine Tatsache über Felicio gelernt, die ihm zuvor nicht bekannt gewesen war. Aber die Oliven behielt er, lieber hätte er die Zwiebeln vergeben, die ihm nicht besonders schmeckten, aber Felicio hatte ebenfalls wenig Interesse an ihnen, sodass sie herzlos an der Seite gestapelt wurden und sich auf ein Ende in einem Mülleimer vorbereiten mussten.

Zu zweit saßen sie gemütlich auf dem Bett, knabberten an ihren Pizzastückchen und genossen die Tatsache, morgen Wochenende zu haben, wobei sich Scarecrow wesentlich mehr darüber freute, immerhin musste er sich deshalb zwei Tage weniger mit Ignoranten und Trotteln herumärgern.

„Gehst du später oder willst du hier bleiben?“ Allein an seiner Miene erriet Scarecrow, dass Felicio ihn mit allen Mittel hier behalten wollte; dem war er in keinster Weise abgeneigt. Er fand es viel schöner, bei Felicio zu übernachten statt allein in seinem Kämmerchen auf den nächsten Morgen zu warten.

„Ich würde gerne da bleiben.“

Damit war das Angebot beschlossene Sache und Felicio vollauf zufrieden. Das Wochenende konnte kaum besser verlaufen, wenn es sich so weiter entwickelte, wie es angefangen hatte.

Scarecrow hatte schon öfter bei Felicio übernachtet und hätte es auch gerne unter der Woche getan, allein wegen Felicios Anwesenheit und dem unverschämt weichen Bett, auf das man sich hier werfen konnte.

Damit Scarecrow nicht noch zusätzlich den Weg nach Hause antreten musste, um seine Sachen zu holen, bekam er ein T-Shirt und eine Zahnbürste von Felicio geliehen, informierte kurz seine Tante über seine weiteren Pläne für den Abend und ließ sich wieder zurück in die Kissen sinken.

Warum hatte er nicht von Anfang an solche Sachen erleben dürfen? Dann wäre der erste Monat wesentlich harmloser für ihn abgelaufen und die Transformation von Rouven in Scarecrow wäre vielleicht rückgängig gemacht worden oder zumindest nicht mehr ganz so schwer zu bewältigen.

Trotz allem wollte er diesen Namen aber nicht ablegen, weil er eine wichtige Bedeutung für ihn hatte und ihn daran erinnerte, wie es sein konnte, wenn er keine Menschen wie Kira oder Felicio so oft an seiner Seite hatte.

Außerdem kannte Felicio bisher immer noch nicht seinen rechten Namen und wäre etwas verwirrt, wie er ihn nun ansprechen sollte; er hatte so eine besondere Art, diesen Namen zu betonen, die Scarecrow jedes Mal daran hinderte, ihm vom Name Rouven, mit dem er sich kaum noch identifizieren konnte, zu berichten, denn dann hätte er nur noch darauf zurückgegriffen. Genau das wollte er verhindern.

Natürlich mussten sie noch die Tradition wahren und einen Film, eigens von Felicio ausgewählt, ansehen, bei dem Scarecrow so oft gähnen musste, dass er es kaum noch verheimlichen konnte. Das einzig wirklich Gute an der Situation war die Tatsache, dass Felicio hinter ihm auf der Matratze lag und ihm vorsichtig seine Arme um den Oberkörper gelegt hatte. Er tat das in letzter Zeit öfter, nicht ununterbrochen und auch nicht so fest, dass er daran erstickte, sondern in den passenden Augenblicken und immer nur so, dass Scarecrow sich wohl fühlte.

Er wollte es sich kaum selbst gestehen, aber er fühlte sich so ungewohnt sicher und geborgen, wenn Felicio ihn festhielt, er vermisste es manchmal schon, wenn er im Bett lag und über den Tag nachdachte. Ein weiterer Grund, sich so oft bei seinem neuen Freund einzuquartieren und auch nachts bei ihm im Bett zu schlafen, obwohl er sich manchmal schon fragte, ob das richtig war. Immerhin wusste er, dass Felicio nicht oder nicht ausschließlich an Mädchen interessiert war und somit sein Bedürfnis nach seiner Nähe falsch verstehen könnte. Das wäre der Reinfall des Jahres, wenn das tatsächlich geschah; gleichzeitig hatte diese Überlegung auch einen gewissen Reiz, den Scarecrow noch weniger begründen konnte.

Irgendwie war alles momentan seltsam und unerklärlich, aber immerhin zwang ihn niemand, einen guten Grund dafür zu finden, warum er ausgerechnet bei Felicio so erstaunlich zutraulich wurde; immerhin hatte er selbst erlebt, dass Kira ihm auch diese Gefühl vermitteln konnte.

„Schläfst du schon?“, flüsterte Felicio ihm leise zu und piekte ihm vorsichtig in die Seite, um eine Antwort zu bekommen.

„Hm? Weiß nicht.“ Er wollte nicht darüber diskutieren, ob er auf die Handlung achtete oder die komischen Dialoge der drei Hauptcharaktere verstand. Er wollte einfach nur ruhig daliegen, Felicio an seinem Rücken wie ein Schutzschild spüren und genießen, dass er nicht mehr so allein war. Und gleichzeitig genau diese Gedanken nicht zeigen, weil er befürchtete, dadurch ihre angenehme Beziehung zueinander zu verkomplizieren.

Er wollte doch wirklich nur kuscheln, so albern und kindisch es klang; nicht mehr und nicht weniger.

Felicio schien seine Gedanken erraten zu können; er schaltete den DVD-Player ab, erwähnte den Film mit keinem Wort mehr und zog die Decke über sie beide.

Nun konnte sich Scarecrow ohne auch nur ein Fünkchen schlechten Gewissens zu ihm umwenden, sodass er ihm direkt in die Augen sehen und Felicios Belustigung über sein Verhalten bemerken konnte. Aber er ließ sich zu keinem überflüssigen Kommentar hinreißen, das ihm ab und zu auf der Zunge zu brennen schien, stattdessen zog er ihn wieder nah an sich, sodass Scarecrow ohne große Bemühung sein Gesicht in dem grellgrünen Oberteil, das Felicio als Schlafanzugersatz diente, verstecken konnte.

Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er bei sich selbst homosexuelle Tendenzen vermutet, aber er kannte die Wahrheit dieser Anfälle, die eigentlich immer nur abends und ausschließlich in Felicios Gegenwart eintraten.

Kurz bevor er glaubte, endgültig wegzutreten, spürte er noch Felicios Hand, die vorsichtig durch seine Haare fuhr und in seinem Inneren ein Schaudern auslöste. Ein vergleichbares Gefühl war ihm noch nicht untergekommen und Scarecrow hoffte, dass es nicht das letzte Mal vorgekommen war.
 

Jedes Mal, wenn er sich mit Felicio traf, jedes Mal, wenn er mit ihm durch den Wald spazierte und die spröde und eigenwillige Schönheit der Natur zur Kenntnis nahm, wurde ihm bewusst, wie sehr er sich eine solche Wendung gewünscht hatte, die ihm zeigte, dass es hier auch schöne Erlebnisse und Ereignisse geben konnte. Die er auch selbst erfuhr und nicht durch andere mitgeteilt bekam.

Vor allem hatte er endlich eine Vorstellung, wie es sich anfühlte, einen besten Freund zu haben, denn nichts anderes war Felicio für ihn geworden, da konnte Minh noch so sehr ein Patent auf ihn anmelden.

Für ihn war Felicio wesentlich mehr als ein guter Bekannter, bei dem man mal vorbei sah, die Kültruhe plünderte, sich für Monate CDs auslieh und ansonsten links liegen ließ. Er wusste gar nicht mehr, wie er ohne ihn seine Freizeit überstehen sollte; seinetwegen hatte er die Besuchsdauer bei Kira schon um mindestens vier Stunden in der Woche gekürzt, was ihr nicht verborgen geblieben war.

Sie dachte sich jetzt sicher ihren Teil dazu, weil er ihr nicht unter die Nase reiben wollte, welcher Grund ihn wirklich dazu verleitete.

Dieser Grund schickte ihm weiterhin Zettelchen, die so ungemein treffend seine Situation beschrieben. Manchmal kann Scarecrow der Verdacht, dass Felicio sie sich ausdachte, damit sie so gut auf ihn passten.

Der mit Abstand treffendste, den er nach einer besonders furchtbaren Woche, die er nur seinen rücksichtslosen Mitschülern zu verdanken hatte, gefunden hatte, hing inzwischen an seiner Zimmerwand, zwischen seinen selbst gefertigten Kunstwerken. Dort, wo er ihn immer sah und über ihn nachdenken konnte.
 

Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen.
 

Er musste also das Positive aus der Lage herausholen und sich darauf konzentrieren; in seinem Fall war das die Freundschaft mit Felicio, die er aus seinem Zwangsumzug gewonnen hatte und jeden Tag ein bisschen erweiterte.

Ja, so konnte er das sehen und Felicio erging es nach dem Sprüchlein zu urteilen nicht anders.

Aus keinem anderen Grund schlenderten sie wie so oft in letzter Zeit wieder ihren üblichen Weg an Bäumen und Büschen entlang, erkannten die ersten Anzeichen, die der Frühling vor ihnen in Form von Knospen ausbreitete, und genossen die angenehme Stille um sich herum. Nur ab und zu knackste im Gebüsch ein Ast oder ein kleiner Vogel zwitscherte vergnügt eine kleine Melodie vor sich hin. Alles erschien beinahe kitschig harmonisch, wie es die Realität nicht gerne zuließ.

Nur entging Scarecrow nicht der nachdenkliche Blick, mit dem Felicio wieder einmal die Gegend musterte und auch ab und an durch ihn hindurchzusehen schien statt sein übliches Grinsen aufzusetzen.

Man hätte ihm unterstellen können, einen schlechten Tag zu haben und deshalb nicht die Magie des Augenblicks zu genießen, aber leider war es nicht das erste Mal, dass sich dieser untypische Ausdruck auf sein Gesicht stahl und dort festzuhängen schien, selbst wenn er nach einiger Zeit wieder fröhlicher wurde.

Felicio lag etwas auf dem Herzen, das er um jeden Preis für sich behielt.

Scarecrow hoffte, dass es nicht an ihm lag, dass er ihn nicht mit seiner negativ denkenden Art angesteckt hatte; er war darauf angewiesen, dass ihm jemand die kleinen, aber schönen Dinge im Leben zeigte, die er selbst allzu oft übersah.

Unschlüssig, wie er ihm helfen sollte, legte Scarecrow seine Hand über Felicios Finger und hoffte, ihm dadurch wenigstens seine geistige Unterstützung zu vermitteln, die er ihm unter allen Umständen zusicherte.

Es war das mindeste, was er für ihn unternehmen konnte, nach alldem, was Felicio bisher für ihn getan hatte. Das konnte er sowieso nicht aufwiegen.

„Ist alles okay bei dir?“ Das Fehlen von Unbeschwertheit in Felicios Haltung machte ihn fast wahnsinnig; ihm musste doch geholfen werden. „Du siehst so… traurig aus.“

Sie standen auf diesem abgelegenen, harten Betonboden, umgeben von den Anfängen von Grün, aber die Schönheit der erwachenden Natur drang nicht zu ihnen durch. Scarecrows Sorge um seinen Freund lähmte ihn zu sehr, um sich darauf zu konzentrieren.

Felicio biss sich auf die Lippe und nickte; zu schnell, um es ehrlich zu meinen. „Ist schon gut, mach dir keine Gedanken.“ Zum ersten Mal wirkte sein Lächeln gestellt und gequält, es bereitete Scarecrow fast körperliche Schmerzen, ihn so sehen zu müssen.

Ohne ihn zu fragen fasste Felicio ihn plötzlich am Arm und zog ihn mit sich mit, vom Weg hinunter durch eine stachelige Hecke, die sie am Durchlaufen hindern wollte, über eine Schicht zerfallene Blätter und nasses Moss, bis sie eine Art Lichtung betrachten, durch die weit auseinanderstehenden Bäume konnte man den noch immer leicht gräulichen Himmel erkennen. Trotzdem erreichten mehr Sonnenstrahlen diesen Ort als dort, wo das dichte Blätterdach sie abgewehrt hatten.

Ein Schweigen lag zwischen ihnen, das Scarecrow ganz nervös und angespannt werden ließ, eine befremdliche Ernsthaftigkeit ging von Felicio aus, sie ängstigte ihn.

Im nächsten Augenblick schlangen sich zwei Arme so fest um ihn, dass er dachte, nicht mehr atmen zu können. So überstürzt und auch rücksichtslos hatte Felicio noch nie auf ihn reagiert, er stand heute völlig neben sich.

Die Umarmung verlor nichts von ihrer Kraft, als hätte er die Befürchtung, ihn zu verlieren, wenn er ihn losließ. Dabei war Scarecrow nie vor ihm davongerannt.

„Was ist mit dir los?“ Seine Stimme klang heiser und leise in seinen Ohren, durch die grundlose Anspannung erstarb sie fast. Er hatte alles dafür gegeben, um zu wissen, was sich hier abspielte.

Die Umklammerung löste sich ein wenig, Felicio bemerkte, dass er ihm Angst einjagte. „Es ist… nichts.“ Diese Lüge stand ihm auf die Stirn geschrieben. „Alles okay.“

Im nächsten Augenblick küsste er Scarecrow, ziemlich zaghaft und verzweifelt, als wäre er währenddessen noch unschlüssig, ob er es wirklich durchziehen sollte. Aber zu einem vorzeitigen Abbrechen rang er sich nicht durch.

Scarecrow war zu verwirrt, überfordert und wie versteinert von diesem deutlich unüberlegten und ungeschickten Kuss, um sich zu befreien und das Weite zu suchen. Sein Kopf sagte ihm, es sei die beste Möglichkeit, um sich nicht alles Erbaute selbst wieder einzureißen. Sein Herz äußerte sich gar nicht dazu, es schlug einfach nur unnatürlich schnell, während sich seine Finger haltsuchend in Felicios Jacke krallten.

So etwas Wunderbares hatte er noch nie gefühlt, diese Verbundenheit, die er fast ergreifen konnte, die zwischen ihnen hing, nicht wie ein trennender Vorhang, sondern wie ein Verbindungsseil. Es war das merkwürdigste, was Scarecrow bisher untergekommen war und das verunsicherte ihn so furchtbar, dass er die Berührungen Felicios gar nicht richtig genießen konnte, obwohl sie ihm gefielen.

Der magische Moment zerriss und Scarecrow schob mit letzter Kraft Felicio von sich, der ihn erschrocken über seine eigene Handlung und bestürzt über diese abweisende Reaktion ansah und sich nicht traute, auch nur ein Wort der Entschuldigung zu äußern.

„Ich glaub, ich geh jetzt besser“, stammelte Scarecrow komplett neben sich stehend zusammen, drehte sich um und ließ seinen besten Freund eiskalt dort auf der Lichtung zurück, der ihn nicht zwang, bei ihm zu bleiben.

Aber wie hätte er sich verhalten sollen? Natürlich hatte es ihm gefallen, das hatte er in jeder Zelle seines Körpers wahrgenommen, aber zwischen etwas mögen und bereit sein, es auch zuzugeben, lagen Welten. Vor allem bei solchen Erfahrungen.

Er lief einfach drauf los, immer der Nase nach ohne zu wissen, wohin sein Weg ihn führte und in welche Richtung das Haus einer Tante lag. Das Chaos in seinem Kopf beschäftigte sich mit wichtigeren Dingen als mit den Bedenken, sich in diesen Untiefen von Grün und Dunkel zu verlaufen.

Warum hatte Felicio das getan? Ausgerechnet hier und heute? Ließen sich solche Gefühle nicht besser mit Worten beschreiben anstatt mit voreiligen Taten womöglich alles zu zerstören?

Und was fühlte Scarecrow selbst nun eigentlich genau?

Es war zum Verrücktwerden, unter diesen Bedingungen kam er nie im Leben auf eine eindeutige Antwort. Allein die Tatsache, dass er inzwischen fror und Kopfschmerzen durch die gedankliche Überforderung bekam, verhalf ihm nicht zu einer grundlegenden Erkenntnis.

Seufzend lehnte er sich an einen alten Baum, an dem schon an einigen Stellen die dunkle Rinde vom Stamm abbröckelte und rief sich immer wieder das Gefühl der fremden Lippen auf seinen ins Gedächtnis.
 

Erst nach zwei Stunden gelangte er zurück auf die breite Betonspur, die er so oft gemeinsam mit Felicio entlanggewandert war, nicht unbedingt schlauer und höchstens um die Befürchtung reicher, einen weiteren Freund verloren zu haben.

An seiner überhasteten Reaktion hatte Felicio angenommen, er wollte das gar nicht, dabei wusste er von Minute zu Minute sicherer, dass er einiges dafür unternähme, um noch einmal dieses Erlebnis durchlaufen zu dürfen.

Scarecrows Problem bestand aber darin, dass dieser Kuss nicht nur ein einfacher Kuss gewesen war, der nichts zu bedeuten hatte, sondern Zweifel an seinen rein freundschaftlichen Gefühlen zu Felicio weckte.

Es ging nicht um die Frage, wie es um seine sexuelle Orientierung gestellt war, damit schlug er sich später irgendwann herum, es ging darum, dass er nach seinem Herzen zu urteilen mit großer Sicherheit in Felicio verliebt war und es bisher nicht realisiert hatte, weil er alles nur als eine extrem große Zuneigung zu ihm gedeutet hatte, die aus seiner davor herrschenden Einsamkeit resultierte.

Warum musste sich alles als so furchtbar kompliziert herausstellen?

Es musste das Missverständnis aufklären, diese stumme Abweisung, so schnell wie möglich, sonst hatte er vielleicht für immer seine Chancen verspielt. Und das wäre das Dümmste, was Scarecrow widerfahren konnte, obwohl er sich gar nicht gegen Felicio entscheiden wollte.

Sein Herz hüpfte wie ein aufgescheuchter Vogel, als Scarecrow nach einer gefühlten Endlosigkeit vor dem Haus stand und sich nicht traute, auf die verfluchte Klingel zu drücken. Was sollte er sagen, wenn sie sich gegenüberstanden?

„Sorry, dass ich abgehauen bin, kommt nicht mehr vor“ oder „Es ist nicht so, wie es aussieht“, da katapultierte er sich gleich ins Aus, lieber ließ er es dann vorher bleiben, setzte sich unter einen Baum und ärgerte sich über seine eigene Unfähigkeit.

Sonst hatte er auch keine riesigen Probleme, die richtigen Worte zu finden, falls er mal welche zur Hand haben musste. Wieso ausgerechnet jetzt, in dieser unglaublich wichtigen und für ihn alles entscheidenden Situation?

Seine Hand bewegte sich wie von selbst und der vertraute Ton der Klingel drang an sein Ohr. Es wurde verdammt ernst.

Wie vermutet standen sie sich direkt gegenüber, keiner von ihnen rührte sich, keiner sprach, den ersten Schritt wollte niemand wagen, obwohl Scarecrow fast fühlte, wie Felicio sich wünschte, eine positive Regung bei ihm zu erkennen, keine Ablehnung, keine harten Worte.

Ihm erging es nicht anders.

„Es tut mir leid“, war das einzige, was Scarecrow sich traute zuzugeben. „Es tut mir echt leid.“ Und bevor er mit weiteren ungeschickten und gedankenlosen Sätzen alles zwischen ihnen ruinieren oder noch unnötig schwieriger machen konnte, tat er den einzig richtigen Schritt und umarmte Felicio so fest, wie er es noch nie bei jemandem getan hatte. Augenblicklich kam er ich wieder dumm und albern vor, sich so in diesen Moment hineinzusteigern, aber auf seinen Verstand hörte er nicht, diesen kleinen Rest Scarecrow, der mit solchen Gefühlsregungen nichts anzufangen wusste und aus Prinzip seine Freude verhindern wollte.

Endlich kehrte das altbekannte Lächeln auf Felicios Gesicht zurück, ihm war klar, was diese Geste zu bedeuten hatte und für ihn zählte sie mehr als jedes Wort, mit dem man alles hätte zurechtrücken können.

Seit langer Zeit fühlte sich Scarecrow wieder verboten glücklich.
 

Zufällig war er über Minh gestolpert; er hatte nicht nach ihm gesucht und auch nicht das Bedürfnis gehabt, mit ihm eine länger währende Unterhaltung zu führen. Dieser schon, ihm schien es wichtig zu sein, die neusten Veränderungen aus seinem Mund zu hören.

„Hast du kurz Zeit, Scarecrow?“ Nichts Feindseliges schwang mehr in seiner Ausstrahlung mit, eher Resignation, weil schließlich doch das eingetreten war, was Minh nicht hatte zulassen wollen.

Sie setzten sich kurzerhand auf die Kante des Bürgersteigs, sahen sich absichtlich nicht an. Scarecrow wusste nicht, worauf er sich einzustellen hatte, ob er mit Vorwürfen oder neutralen Aussagen bedrängt wurde. Bei Minh sollte man auf alles gefasst sein, nur nicht auf nette Glückwünsche.

„Du bist jetzt mit ihm zusammen, stimmts?“ Unruhig zupfte Minh an den ausgefransten Enden seiner Schnürsenkel herum. „Er hats mir noch nicht sagen wollen, hat wohl Angst, wie ich reagiere. Aber so wie er strahlt, ist es eindeutig.“

Da hatte sein Gefühl ihn nicht betrogen, es war in der Tat so; sie hatten es im stillen Übereinkommen beschlossen, ohne viel herumzureden, ohne irgendwelche Liebesbekundungen, die Scarecrow sowieso nie über die Lippen bekommen hätte.

Ein schlichtes „Ich will bei dir bleiben“ hatte ihm genug Glücksgefühle ausgelöst, die immer noch nicht abgeklungen waren, auch wenn seit diesem schicksalshaften Tag schon mehr als eine Woche vergangen war.

„Ich freu mich für ihn.“ Und trotzdem zeichnete sich auf Minhs Zügen eine kaum zu verbergende Verbitterung ab. „Er hat es ja verdient, er ist so ein toller Mensch.“ Unverhofft schlug er mit seiner Hand Scarecrow in die Seite. „Und wehe, du behandelst ihn schlecht. Dann mach ich dich fertig, das ist kein Witz…“ Der eigentliche Witz war die eher lächerliche Drohung.

Er würde nie darüber hinweg kommen, nichts selbst diese Position innehalten zu können, im Vergleich dazu nur der beste Freund zu sein.

„Werde ich nicht.“ Sein Gewissen würde ihn sonst von innen auffressen, wenn er schlecht mit Felicio umsprang.

Minh seufzte leise, blickte verstohlen zu Scarecrow hinüber. „Und selbst wenn es zwischen dir und Felicio nicht ewig hält… einen guten Freund hast du dann immer noch. Felicio kann nicht anders. Merk dir das.“

Dafür würden sie beide nie auch nur ansatzweise gute Freunde werden, selbst wenn sie Gemeinsamkeiten in sich trugen, Minh wäre dazu nie in der Lage.

Mit dieser Beleherung trennten sich ihre Wege schon wieder und während Minh fluchtartig die Straße hinuntereilte, schlug Scarecrow genau die andere Richtung ein, zu Felicio.

Epilog | The clouds disappear

Völlig entspannt lag Scarecrow auf seinem Bett, sein Kopf ruhte auf Felicios Oberschenkel, seine Hände spielten mit dem Saum seines T-Shirts, während sein Freund ihm wie so oft die Vor- und Nachteile von externen Festplatten, Lavendelbonbons und Spinatpizzen erklärte, doch ausnahmsweise war Scarecrow mit seinen Gedanken nicht auf dem selben Level wie er und speicherte in seinem Kopf nicht die neuen Informationen, die er gerade gratis erhielt.

Sein Verstand beschäftigte sich nämlich mit der Überlegung, dass es noch so vieles in seinem Leben gab, was er in absehbarer Zeit gerade rücken oder widerherstellen sollte, um sich vieles zu erleichtern.

Seiner Tante beichten, dass er mit Felicio zusammen war. Insgesamt mehr mit ihr reden, um die Bindung zu ihr zu stärken. Irgendwann.

Seine Lehrerin davon überzeugen, ihn nicht länger als hilfsbedürftigen Schüler anzusehen. Die Idioten, die ihn in der Schule so gerne schikanierten, zur Schnecke machen und ihnen zeigen, wie es von nun an zu laufen hatte. Bald.

Sich mit Minh soweit gutstellen, dass sie sich wie zivilisierte Menschen aufführten, ohne unnötige Sticheleien, ohne dramatische Einlagen, weil man sich von Felicio nicht so beachtet fühlte. Auch andere Freunde von Felicio kennen lernen. In naher Zukunft.

Die Liste ließ sich noch weiter so fortsetzen und hätte Scarecrow unter normalen Umständen mit dem Kopf schütteln lassen, weil sie so erschlagend auf ihn gewirkt hätte; aber er war nicht mehr allein, musste sich nicht im Einzelgang mit diesen Aufgaben herumschlagen. Immerhin hatte er nun fast rund um die Uhr Felicio an seiner Seite, der ihm Hilfe anbot, wo er nur konnte, und ihn immer wieder bestätigte, um ihn zu entlasten.

Manchmal fragte sich Scarecrow immer noch, ob er so einen netten Menschen überhaupt verdient hatte, weil er fand, dass er ihm selbst in tausend Jahren nicht das geben konnte, was Felicio bisher für ihn geleistet hatte.

„Hey, hörst du mir zu?“ Felicio strich ihm mit den Fingern durch die ungeordneten Haare. „Langweilt es dich? Stimmt ja, für dich sind Festplatten uninteressant, so ohne Computer…“

„Nein, alles okay, ich hör dir zu.“ Wenn er Felicio gestand, schon wieder zu viel nachzudenken, würde er ihn wieder belehren, endlich einmal sein Hirn abzuschalten und sich zu entspannen, wie es ihm seiner Meinung nach all den Strapazen, Verwirrungen und kleineren Katastrophen zustand.

Scarecrow hatte insgesamt das Gefühl, dass jedes Mal, wenn Felicio das Haus von seiner Tante betrat, es dort auf einen Schlag behaglicher wurde, der sterile Glanz verflog und er sich viel mehr wie daheim fühlte. Allerdings traten diese Augenblicke nicht so häufig auf, denn Scarecrow konnte nicht abschätzen, wie Laureen auf ständige Besuche von ein und demselben Jungen reagierte und ob sie dann Verdacht schöpfte.

Sie wusste natürlich, dass er und Felicio inzwischen fast nicht mehr ohne einander anzutreffen waren, aber wie er in Wirklichkeit zu ihrem Neffen stand, hatte sie bisher immer noch nicht durchschaut. Sie schob es auf seinen plötzlichen Sinneswandel, Menschen in seiner Nähe zuzulassen.

Scarecrow gab deshalb auch Acht, ihr nicht unbedingt auf die Nase zu binden, wie gern er Felicio hatte. Auch das Austauschen von Zärtlichkeiten wurde auf die Momente verlegt, wenn sie alleine in seinem Zimmer sein konnten, ohne Gefahr, dass sich jeder Zeit die Tür öffnen könnte.

„Du lügst so unglaublich schlecht“, lachte Felicio belustigt, beugte sich zu Scarecrow hinunter und küsste ihn vorsichtig auf den Mund. Sie schmeckten noch schwach nach dem Himbeereis, das er vorhin gegessen hatte, aber Scarecrow nahm an, dass es ihm nicht anders erging.

Ein Klopfen riss sie aus ihrem innigen Beisammensein, Scarecrow löste sich aus dem Kuss und stand eilig auf, um nachzusehen, was seine Tante von ihm wollte. Sonst ließ sie ihn in Ruhe, wenn Felicio zu ihm kam.

Sie wartete vor der Tür und streckte ihm das Telefon entgegen, als er vor ihr zum Stehen kam. Etwas irritiert betrachtete er das Gerät, warum sollte ihn jemand anrufen. Das war bisher noch nicht vorgekommen.

„Es ist Mirjam.“ Als sie erkannte, dass er damit nicht allzu viel anfangen konnte, verbesserte sie sich. „Deine Mutter.“

Scarecrow starrte sie an, als erzählte sie ihm ein Märchen. Seine Mutter, nur wenige Zentimeter von ihm entfernt; er fühlte sich immer mehr wie in einem Traum.

Aber in einem schönen Traum.



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von:  Inan
2012-02-27T19:51:20+00:00 27.02.2012 20:51
Es ist lustig, dass Felicio Rouvens echten Namen immernoch nicht zu kennen scheint xD
Ist aber eine verdammt schöne Fanfic, anfangs so dramatisch und gegen Ende so hoffnungsvoll und hach~ x3
Von: abgemeldet
2011-12-29T10:22:28+00:00 29.12.2011 11:22
Ein schönes Ende. Ein Happy End~
Auch wenn es noch viele offene Fragen gibt, aber es ist schon gut, wenn man die nicht alle beantwortet kriegt. Man kann sich ja selber vorstellen, wie es zwischen den beiden noch weiter geht oder was Scaregrow nun mit seiner Mutter redet, oder ob er vielleicht wieder der wird, der er früher war.
Weiß man alles nicht, aber man kann sich vorstellen, dass es so passieren könnte.
Nun... Hauptsache er hat mit Felicio jemanden gefunden, dem er sich öffnen kann.
Das ist wirklich schön~
Jetzt steht einem zwanglosen Leben in dem Kaff dort ja nichts mehr im Weg. =)
Tolle FF~
Von: abgemeldet
2011-12-29T10:16:21+00:00 29.12.2011 11:16
Oha... ist zu viel passiert, um einen anständigen Kommentar zustande zu bringen.
Hier überschlagen sich die Ereignisse ja regelrecht, aber okay... ich habe geahnt, dass es zwischen Scarecrow und Felicio zu so einem Ergebnis kommen würde.
Es ist schwer, es schlicht eine Freundschaft bleiben zu lassen, wenn man derartige Zuneigungen zu dem anderen zeigt, sich so nahe ist...
Das war irgendwie zu erwarten und dennoch reißt es einen so voll mit.
Herrje, herrje...
Von: abgemeldet
2011-12-29T10:00:14+00:00 29.12.2011 11:00
König Felicio... XD
Oh... ich mag ihn. Genauso sehr wie Kira. Diese letzte Szene zwischen ihr und dem Kleinen ist echt unglaublich gut und intensiv. Ich habe jetzt noch eine Gänsehaut. Ich denke, das ist wirklich schon sehr, sehr viel wert, wenn er eine derartige Nähe zulässt.
Minh kann ich noch nicht so recht einschätzen. Ich habe kurz mal in Blind Alley reingelesen, aber da kam auch noch nicht so viel... außer, dass er eben derjenige war, der verlassen wurde und das wohl nie richtig verarbeitet hat. Das kommt hier wohl durch die Eifersucht ein wenig durch.
Aber ich finde es echt gut, dass Scarecrow (ich kann mich nicht entscheiden, welchen Namen ich ihm immer zuteile... schwierig) mehr und mehr Kontakt zu Gleichaltrigen findet, die nicht unbedingt in der Schule mit dabei sind. Die er eben nur danach sieht. So als Belohnung des Tages wahrscheinlich. Wird wohl auch die Motivation, die er braucht, um mit der Schule weiter zu machen. Könnte mir schon vorstellen, dass er da irgendwann keinen Bock mehr drauf hat. >_<
Hach...
Die FF gefällt mir.
Die Charas sind so toll~ <3
Von: abgemeldet
2011-12-29T09:47:18+00:00 29.12.2011 10:47
So ein ereignisloser Schultag ist immer noch besser als einer, wo er mit neuen Informationen nur so zugemüllt wird. Das passt schon. Hätte schlimmer sein können.
Dass er bei Kira eine Art Bezugsperson gefunden hat, ist gut. Da kann er sich wenigstens nicht ganz vergraben, auch wenn er es wohl am liebsten tun würde.
Es ist schwer...
Zumal er sich seine Veränderungen auch noch so einredet und sich damit doppelt Probleme aufhalst. Merkt er nur nicht. Oder vielleicht doch und er will es nicht wahrhaben?
Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass man selbst als Leser, obwohl das alles aus Rouvens Perspektive geschrieben ist, keine Möglichkeit hat, zu ihm durchzudringen.
Von: abgemeldet
2011-12-29T09:38:25+00:00 29.12.2011 10:38
Laureen und Kira...
Die könnten unterschiedlicher nicht sein, aber ich mag sie beide recht gern. Laureen mag zwar distanziert wirken, aber sie bemüht sich darum, Scarecrow kennen zu lernen, zuvorkommend zu sein und ihm eben alles ein wenig leichter machen.
Dass sie das Gegenteil erreicht und wirklich auf reinen Unwillen trifft, dafür kann sie ja nichts.
Und Kira... Kira bringt frischen Wind, ein wenig Farbe und päppelt ihn ein wenig auf. Das find ich toll. Sie war mir sofort sympathisch... und dem Kleinen ja auch.
Vielleicht schafft er es ja doch noch, sich halbwegs einzuleben. Solche Dinge brauchen ihre Zeit - das ist ganz normal.
Von:  funeral
2011-12-29T03:39:14+00:00 29.12.2011 04:39
O.o wie jetz ? Fertig ? Aber wie geht es den jetz weiter mit raven und felicio? Und mit der tante und der mutter und dem anderen mädchen (ein hoch auf mein namens gedächtnis >.<) und in der schule ?Und ah ich hab minh vergessen :O wwow viele fragen xD
Lg
Von: abgemeldet
2011-12-25T10:42:20+00:00 25.12.2011 11:42
Ich kam nicht umhin, auch mal deine anderen FFs anzuschauen.
Die hier fiel mir doch als Erstes auf, weil sie noch recht neu ist. Da bleib ich mal dran, denn schon der Prolog wirft einen mitten in das Leben der Hauptperson.
Umzug, Trennung von Bekanntem, ungewollt neu anfangen, orientieren, sich wandeln...
Das ist viel für einen Augenblick des Lebens.
Wie er damit fertig wird, interessiert mich sehr.


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