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Andere Wege

von

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„Ich werde mit Oscar fliehen. Rührt Euch nicht!“ sprach André nachdrücklich und richtete die Waffe auf den General. „so viel empfindest du also für sie.“ „Ja.“ Jarjeyes seufzte. „für eine Heirat benötigst du die Erlaubnis des Königs.“ André ging einen Schritt auf den General zu, ohne die Pistole zu senken. „Es ist trotzdem mein Wunsch. Auch, wenn ich Oscar niemals zu meiner Frau machen kann. Es ist ungerecht. Oder muss der König etwa auch um Erlaubnis bitten, wenn er jemanden liebt?“ Der General holte aus und schlug den jungen Mann ins Gesicht. „Untersteh dich!“ fauchte er. „Wenn du so sehr mit meiner Tochter vereint sein willst, werde ich dich ebenfalls töten.“ André hockte sich vor Jarjeyes auf den Boden und legte die Waffe weg. „Wenn Ihr uns unbedingt töten müsst, fangt mit mir an. Sonst müsste ich mit ansehen, wie Ihr einen Menschen tötet, den ich von Herzen liebe. Und das könnte ich niemals ertragen.“ der General umfasste den Degen fester. Es fiel ihm nicht leicht, aber sein Ehrgefühl diktierte sein Handeln. Er war Offizier und musste die Ehre seiner Familie bewahren. Einer Familie, die so lange treu im Dienste des Königshauses gestanden hatte. Jarjeyes erhob seinen Degen, um zum tödlichen Schlag auszuholen, hielt aber in der Bewegung inne, als eine Stimme von draußen herein drang. Es war ein Bote des Königs. General de Jarjeyes senkte die blanke Waffe und verließ eilig den Raum. André stand erleichtert seufzend auf. „Da haben wir aber Glück gehabt, Oscar. Der Bote hat bestimmt eine Nachricht über deine Begnadigung.“ Die blonde Frau konnte nichts erwidern. Die ganze Zeit hatte sie sich nicht rühren können. Beinahe hätte ihr Vater ihren André, ihren Freund seit Kindertagen, getötet. Den Mann, der sie so oft beschützt hatte. Und sie hatte gar nichts tun können. Oscars Beine begannen zu zittern und sie sackte auf die Knie. Tränen stiegen ihr in die Augen. André hockte sich neben sie und sah sie an. Er widerstand dem Impuls, sie in den Arm zu nehmen und einfach an sich zu drücken. „Was ist denn mit dir?“ fragte er sanft. Statt einer Antwort schlug Oscar die Hände vors Gesicht und wandte sich ab. Es war ihr unangenehm, wenn man sie so sah. Sogar, wenn dieser Jemand André war; oder gerade deswegen. André seufzte. Er kannte Oscar lange genug, um zu wissen, wie sehr sie es hasste, ihren Gefühlen nachzugeben. Und wie unangenehm es ihr war, wenn jemand es bemerkte. André stellte sich schon darauf ein, dass sie ihn weiterhin anschweigen würde, als sie doch das Wort ergriff. „Immer hast du mich beschützt. Heute wärst du beinahe getötet worden. Meinetwegen. Von meinem Vater. Und ich – ich konnte gar nichts tun. Überhaupt nichts!“ Sie fühlte sich so hilflos. Außerstande, André vor ihrem Vater zu schützen. Und sie wollte Offizier sein. Ihr Freund und Vertrauter seit Kindertagen gab nun doch seinem Impuls nach und schloss seine Arme um Oscar, Im ersten Moment spürte er ihren Widerstand, aber dann ließ sie die Umarmung geschehen und lehnte sich an ihn. Sofort bemächtigte sich eine tiefe Ruhe ihres Inneren und fegte alle dunklen Gedanken fort. Oscar schloss die Augen und genoss einfach Andrés Nähe. So etwas hatte sie noch nie gespürt. André traute sich kaum zu atmen. Sie lag wirklich in seinen Armen. Wie lange hatte er sich das gewünscht, davon geträumt? Auch er schloss in diesem Moment der völligen Ruhe die Augen und genoss die Wärme, die seinen Körper durchströmte. Doch der Frieden währte nicht lange. Die Stimme des Generals riss sie zurück auf den Boden der Realität. Widerwillig lösten sie sich voneinander und folgten dem Ruf des Generals.

Er stand mit dem Boten in der Eingangshalle. Oscar und André blieben oben an der Brüstung stehen und sahen zu den Männern hinunter. „Hör dir das an, mein Kind! Du wirst nicht bestraft. Und wir auch nicht! Ist das nicht wunderbar, Oscar?“ Der Abgesprochenen fehlten die Worte. Sie hatte fest mit ihrer Suspendierung und sogar mit der Entziehung ihres Adelstitels gerechnet. „Ihre Majestät, die Königin, hat das entschieden“, sprach der Bote. „Ich darf mich verabschieden.“ Damit verließ er das Palais und ritt in die stürmische Nacht hinaus. „Oscar. Du wirst dich bei Ihrer Majestät für Ihre Großzügigkeit bedanken. Nur ihr hast du das zu verdanken.“ Oscar nickte. Es geschah beinahe mechanisch. André musterte sie von der Seite. „wir sollten uns hinlegen, Oscar. Es war ein anstrengender Tag.“ erneut nur ein stummes Nicken. Oscars Geist war in diesem Augenblick weit fort. Gefangen im Moment der warmen Umarmung Andrés. Beschützt und sicher. Sie nahm kaum wahr, wie ihr Vater sich verabschiedete und André sie auf ihr Zimmer brachte.
 

Als sie erwachte, hatte der Sturm sich beruhigt, aber die Nacht lag noch über dem Anwesen. Ihr Körper schien schwer wie Blei. Zu oft hatte Oscar die Nächte in der Kaserne verbracht und nicht selten bis in die frühen Morgenstunden Berichte geschrieben. Seufzend drehte sie sich auf die Seite und sah aus dem Fenster. Sie fühlte sich ausgelaugt. Wie mochte es dann wohl ihren Soldaten gehen, die nicht in ein warmes Haus zurückkehren konnten? Sie alle hatten seit beinahe 2 Monaten keinen freien Tag mehr gehabt. Und nun saßen 12 ihrer Gefolgsleute im Gefängnis von Abbaye. Nur, weil sie ihren Befehlen gefolgt waren. „Und du konntest wieder einmal gar nichts ausrichten“, murmelte Oscar in die Dunkelheit. Wieder stiegen Tränen auf und dieses Mal gab sie sich ihren Gefühlen hin. Allein in der Dunkelheit gab es keine Scham. Nicht einmal für sie.
 

Trotz der Erschöpfung fand Oscar keinen Schlaf mehr. Immer wieder waren ihre Gedanken bei Alain und den anderen Soldaten. Sie musste etwas tun. Schnell hatte sie sich angekleidet und verließ ihr Zimmer. Das Haus war still. Alle Bewohner schienen zu schlafen. Leise ging Oscar die Treppe hinab, durchquerte die Eingangshalle und trat in die Nacht hinaus. Der Boden war schlammig vom heftigen Gewitterregen vor ein paar Stunden. Dunkle Wolken hingen am Himmel, so dass der Blick auf die Sterne verwehrt blieb. Oscar zog den Mantel enger um die Schultern und machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Die Stalltür knarrte leise, als sie sie öffnete und sofort umfing sie der vertraute Geruch nach Pferd, Stroh und Leder. Oscar atmete tief ein. Dieser Ort strahlte so viel Ruhe aus. Ihr Schimmel hatte sie bereits bemerkt und schnaubte leise. „Kannst du auch nicht schlafen?“ Oscar erschrak und richtete ihren Blick nach rechts, woher die Stimme gekommen war. André saß an die Wand gelehnt im Stroh und sah zu ihr auf. Sie lächelte. „Nein. Ich muss die ganze Zeit an Alain und die Anderen denken …“ Er nickte. „Was hast du jetzt vor?“ „Nun“, setzte Oscar an. „Ich wollte nach Paris reiten. Vielleicht kann Bernard genug Bürger mobilisieren, Druck aufbauen.“ André erhob sich und klopfte Stroh und Staub aus der Kleidung. „Worauf warten wir dann noch?“ So machten die Beiden ihre Pferde bereit und sich auf den Weg in die französische Hauptstadt.
 

Bernard öffnete auf ihr Klopfen hin reichlich verschlafen die Tür, schien aber sofort hellwach, als er die nächtlichen Besucher erkannte. „Oscar, André! Was tut Ihr zu dieser späten Stunde hier?“ „Verzeih, Bernard. Unser Anliegen ist äußerst dringend und konnte nicht warten. Dürfen wir eintreten?“ sagte Oscar. „Aber sicher! Kommt, wir nehmen in der Küche Platz.“ So setzten die drei sich an den Küchentisch und Oscar berichtete Bernard von den jüngsten Ereignissen um ihre 12 Gardisten. Dieser seufzte, „Es könnte möglich sein, dass wir mithilfe der Bürger die Freilassung eurer Soldaten erreichen können. Aber bei so vielen Menschen vor dem Militärgefängnis könnte die Lage eskalieren.“ „Ich übernehme die volle Verantwortung und ich garantiere Euch, dass es unter den Bürgern von Paris keine Verletzten oder gar tote geben wird. Sollte ich mein Versprechen nicht einhalten können, bin ich bereit, Euch mit meinem Wissen zu dienen.“ Bernard nickte. „Leute wie Euch könnten wir auf unserer Seite gut gebrauchen.“ Oscar lächelte. Auf wessen Seite stand sie denn? Früher wäre es zweifelsohne die der Königin gewesen, aber heute? Ihr Blick suchte den von André. Er schien angestrengt in die Ferne zu sehen. „Ich werde die Bürger morgen zusammenrufen und mit ihnen nach Abbaye ziehen.“ ergriff Bernard wieder das Wort. „Vielen Dank!“ entgegnete Oscar. Der ehemalige schwarze Ritter winkte ab. „Ich schulde Euch doch noch einen Gefallen.“ Dann löste sich die nächtliche Runde auf. Aber nicht ohne die Bitte Oscars, Rosalie Grüße auszurichten.
 

Auf dem Weg zurück zu den Pferden beobachtete Oscar Andrés Bewegungen genau. Auch, wenn er sich große Mühe gab es zu verbergen, fiel ihr die Unsicherheit seiner Schritte auf. Sanft griff sie nach seinem Arm und blieb stehen. André tat es ihr gleich und schaute fragend in ihre Richtung. „André“, setzte Oscar zögernd an. „Wie steht es wirklich um dein Auge? Bitte, sag mir die Wahrheit.“ Sie kannte ihren Freund seit so vielen Jahren und der Ausdruck in seinem Gesicht zeigt ihr, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war und er sich ertappt fühlte. Trotzdem versuchte er, es zu überspielen. „Es ist alles in Ordnung, Oscar. Das Auge ist nur manchmal etwas... überanstrengt. Das ist alles.“ Die blonde Frau schüttelte kaum merklich den Kopf und ergriff Andrés Hand noch ein wenig fester. „Lüg mich nicht an, André. Das ist unserer Freundschaft unwürdig. Ich merke doch, dass du kaum noch etwas erkennen kannst.“ Er senkte den Blick. „Und jetzt?“ meinte André leise. „Schickst du mich fort, wo ich dich nicht mehr beschützen kann? Das könnte ich nicht ertragen.“ Oscars Herz schmerzte ob der Bitterkeit in seiner Stimme. Mit beiden Händen Händen umfing sie sanft Andrés Gesicht und hob seinen Blick. Ihre Stimme war ebenso sanft als sie sprach. „Niemals könnte ich dich fort schicken. Nur an deiner Seite fühle ich mich frei. Ich... ich liebe dich, André. Aus tiefstem Herzen.“ André legte seine Hände auf die ihren. Er konnte kaum glauben, was er da hörte. Ein warmes Gefühl bemächtigte sich seines Körpers und ehe er sich versah, trafen seine Lippen die Oscars und sie versanken in einem leidenschaftlichen Kuss.

In dieser Nacht wurde aus Lady Oscar André Grandiers Frau.
 

Die Sonne war bereits aufgegangen, als Oscar erwachte. Sie hatte lange nicht so gut geschlafen. André hatte seinen Arm um sie gelegt. Lächelnd sah sie in sein Gesicht. Es war völlig entspannt. Mit der linken Hand strich sie ihm liebevoll eine Strähne seines braunen Haares aus der Stirn. Es war wie ein Wunder, dass sie in den Armen eines Mannes lag, den sie liebte, der nahezu ihr ganzes Leben an ihrer Seite gewesen war. André schien zu spüren, dass sie ihn ansah, denn er begann sich zu regen und schlug die Augen auf. Er musste ein paar Mal blinzeln, bis er seine Umgebung unscharf wahrnehmen konnte. „Guten Morgen“, sagte Oscar und hauchte ihrem Liebsten einen Kuss auf die Lippen. André erwiderte ihren Gruß und drückte sie an sich. Wie gut das war. Endlich musste er seine Gefühle nicht mehr verbergen oder die Qualen einer unerwiderten Liebe ertragen. Die Beiden lagen eine weile einfach nur da und genossen die Nähe. Irgendwann ergriff Oscar leise das Wort. „André; ich möchte, dass Dr. Rason sich dein Auge einmal ansieht. Man muss doch etwas tun können, um dein Augenlicht zu retten.“ „Die Zeiten sind unruhig. Ich möchte nicht von deiner Seite weichen. Was, wenn es zur Revolution kommt?“ Oscar schluckte. „Revolution? Mein Gott... Aber dennoch muss ich auf meine Bitte bestehen.“ André richtete sich im Bett auf. „Aber die Garde wir kämpfen müssen und wie ich dich kenne, wirst du sie anführen. Und ich soll mein Auge behandeln lassen?“ Oscar setzte sich ebenfalls auf. Ihre blauen Augen suchten Andrés Blick. „Ich werde den Dienst quittieren, André. Alles, was nötig ist, damit du dir helfen lässt. Ich würde alles tun.“ Erstaunen stand in Andrés Gesicht geschrieben. So sehr liebte sie ihn? Er konnte es kaum glauben. Ungeduldig ergriff Oscar wieder das Wort. „also, was sagst du? Ich bitte dich!“ André nickte nur und zog Oscar an sich. Tief atmete er den Duft ihres Haares ein. „In Ordnung. Ich werde mich untersuchen lassen.“
 

An diesem Tag ritt Oscar allein in die Kaserne. Nach dem Gespräch mit André hatte sie umgehend nach dem Hausarzt ihrer Familie schicken lassen. Bei der Untersuchung war sie noch anwesend gewesen, aber der Arzt hatte sie fort geschickt, als er mit der Operation beginnen wollte. Er hatte André und Oscar erzählt, dass es ein neues Verfahren gebe, Andrés Augenlicht zu retten. Dafür durfte er allerdings nicht noch mehr Zeit verlieren, zumal André ihn lange nicht konsultiert hatte. Ihr Liebster hatte Oscar mit einem Lächeln verabschiedet und ihr gesagt, sie solle zum Dienst reiten, um ihren Rücktritt bekannt zu geben. Ungern hatte sie das Anwesen verlassen, aber sie würde sich beeilen und am späten Nachmittag zurück sein. Oscar seufzte, als sie an den Papierkram dachte, den sie vor ihrem Rücktritt noch erledigen musste. Aber am Schwierigsten würde es sein, ihre Soldaten über ihren Entschluss in Kenntnis zu setzen. Sie schätzte ihre Truppe sehr und es tat ihr Leid, sie in diesen turbulenten Zeiten zu verlassen. Aber sie hatte es André versprochen und dieses Versprechen würde sie einhalten.

Mit diesem Gedanken erreichte sie das Gelände der Kaserne. Es hatte wieder heftig zu regnen angefangen und Oscar war bis auf die Haut durchnässt, als sie ihr Zimmer erreichte. Oberst Dagout kam ihr auf dem Flur entgegen und folgte ihr auf ein Zeichen hin. „Was gibt es Neues?“ fragte Oscar, während sie ihre nassen Handschuhe abstreifte. Diese Frage ignorierte der Oberst und griff stattdessen ein anderes Thema auf. „Ich hatte gehofft, Ihr würdet Euch ein paar Tage frei nehmen. Wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf, Ihr wirkt erschöpft.“ Oscar hielt in der Bewegung inne. „Was redet ihr da? Ich fühle mich ganz ausgezeichnet.“ Der Blick ihres Gegenübers wurde eine Spur dunkler. „Aber wenn es Euch beruhigt: Ich bin heute hier, um meinen Rücktritt bekannt zu geben.“ Sie deutete auf den Stapel auf ihrem Tisch. „Und um die restlichen Berichte zu schreiben.“ Dagout wirkte erleichtert. „In Ordnung, Oberst. Dann will ich nicht länger stören.“ Damit ließ er Oscar allein. Diese war irritiert über sein Verhalten, hielt sich damit aber nicht lange auf. Es gab viel zu tun.
 

Entgegen ihrer Gewohnheit suchte Oscar ihre Männer später in deren Aufenthaltsraum auf. „Oberst!“ wurde sie erstaunt empfangen. „Gibt es Neuigkeiten von Alain und den Anderen?“ Sie nickte. „Ich gehe davon aus, dass sie heute im Laufe des Tages freigelassen werden. Außerdem möchte ich euch informieren, dass André und ich unseren Dienst quittieren werden.“ Aufgeregtes Gemurmel füllte den Raum. „Aber warum?“ „Haben wir Anlass zur Beschwerde gegeben?“ Oscar schüttelte den Kopf. Es berührte sie, wie ihre Männer auf die Mitteilung reagierten, hatte sie doch zu Beginn so hart für ihre Anerkennung als Oberst kämpfen müssen. „Ich möchte ehrlich mit euch sein. André ist erkrankt und hat einer Behandlung nur unter der Bedingung zugestimmt, dass ich den Posten niederlege. Außerdem möchte ich euch nicht befehlen müssen, gegen die Pariser Bevölkerung vorzugehen. Die Zeiten sind so unruhig geworden, dass dies geschehen könnte.“ Die Soldaten waren still geworden. Sie hatten schon darüber gesprochen, was sie tun würden, müssten sie unter Waffen nach Paris ziehen. Ihre Familien und Freunde lebten dort und niemals könnten sie auf sie schießen. Auch Oscar wusste das und war froh, durch ihren Rücktritt für derlei Befehle nicht mehr verantwortlich zu sein. „Reitet nun nach Abbaye und empfangt eure Kameraden. Erstatte mir Bericht, wenn sich etwas tut.“ „Zu Befehl!“ kam es wie aus einem Mund. Zufrieden verließ Oscar ihre Männer, die wenig später davonritten. Sie würden Alain und die Anderen hoffentlich bald in Empfang nehmen.
 

Draußen war es bereits dunkel geworden und Oscar saß noch immer in ihrem Arbeitszimmer. Der Papierberg wollte einfach nicht wirklich kleiner werden. Seit dem späten Nachmittag hatte sie sich fiebrig gefühlt und es war ihr schwer gefallen, das Geschriebene zu entziffern. Nun war auch noch lästiger Husten dazu gekommen. Mit einem Stofftaschentuch wollte sie das Geräusch dämpfen, denn im Zimmer nebenan arbeitete auch Oberst Dagout noch. Oscar erschrak, als sie das Blut in ihrem Taschentuch sah. Sie hatte schon einmal Blut gespuckt, aber gehofft, es wäre eine einmalige Sache und kein Grund zur Sorge. Ihre Lunge war nicht in Ordnung, das musste sie sich eingestehen. Den Beweis hielt sie rot auf weiß in Händen.

Nach dieser Erkenntnis gelang es Oscar nicht mehr, sich weiter dem Schriftverkehr zu widmen. Sie wollte nach hause, zu André. Inständig hoffte sie, dass er den eingriff an seinem Auge gut überstanden hatte.

Auf dem Weg nach draußen kamen ihr ein paar Soldaten entgegen. Oscar freute sich, als sie Alain und die anderen 11 Gardisten erkannte. Bernard hatte Erfolg gehabt. „Oberst, ihr seid noch da!“ rief Alain herüber und kam schnell näher. Sie lächelte den jungen Mann an. „Die Macht des Volkes hat gesiegt“, stellte sie zufrieden fest. „Schön, dass du zurück bist, Alain. Schön, dass ihr alle zurück seid!“ Die befreiten Gardisten grinsten. Sie hatten sich schon mit ihrer Exekution abgefunden und konnten es kaum glauben, dass sie auf freiem Fuß waren. Bernard hatte ihnen nach ihrer Freilassung berichtet, dass ihr Oberst den Anstoß für den Zusammenschluss der Bürger gegeben hatte. Umso weniger konnten sie begreifen, dass sie ihr Amt niederlegte, wie ihre Kameraden berichtet hatten. Den Grund hatte man ihnen nicht gesagt. Alain sprach aus, was viele von ihnen dachten. „Warum verlasst Ihr uns denn, wo ihr Euch so sehr für unsere Befreiung eingesetzt habt?“ Oscar antwortete ihm das selbe, was sie der übrigen Truppe erklärt hatte. Alain nickte verstehend. „Gut, dass André sich endlich helfen lässt. Und ihr zwei, seid ihr denn nun... ?“ Verlegen wich Oscar seinem Blick aus und nickte nur. Im nächsten Augenblick drückte Alain sie an sich. „Herzlichen Glückwunsch! Das wurde auch Zeit.“ Die anwesenden Soldaten schlossen sich den Glückwünschen an, hatten sie doch von Andrés unerfüllter Liebe gewusst. Zumindest einige von ihnen. Alain strahlte die verlegene Oscar an. „Dann mal ab nach hause mit Euch, Oberst. Und richtet André Grüße aus!“ Das ließ sich Oscar nicht zwei Mal sagen, verabschiedete sich von ihren Männern und verließ die Kaserne.
 

Sie sah schon von Weitem, dass hinter den Fenstern des Palais noch Licht brannte. „Sie haben wohl gewartet“, meinte sie bei sich. „Hoffentlich hat das nichts Schlechtes zu bedeuten.“ ein wenig beunruhigt trieb sie ihr Pferd zu einem schnelleren Tempo an. Rasch brachte Oscar das Tier in den Stall und eilte zum Haupteingang. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie so lange in der Kaserne geblieben war. In der Eingangshalle kam ihr schon ihr Kindermädchen entgegen, die ihr Eintreffen bemerkt hatte. „Oscar, Kindchen. Da seid Ihr ja endlich! Wir haben schon gewartet.“ Oscar schritt auf sie zu. Die alte Dame wirkte entspannt, was ihr schlechtes Gefühl beiseite wischte. „Es tut mir Leid. Wie geht es André?“ Sophie lächelte. „Es ist alles gut verlaufen. Der Arzt ist guter Dinge, dass er wieder ganz gesund wird.“ „Wie wunderbar!“ Von ihrer Freude ergriffen drückte Oscar ihre Amme an sich. Diese war erstaunt. Solche Gefühlsregungen war sie von ihrem Schützling nicht gewöhnt. „Ich muss ihn sehen“, sagte Oscar und löste sich von ihrer Kinderfrau. „Ihr solltet erstmal etwas essen und die nassen Sachen ausziehen. Es hat schon wieder so furchtbar geregnet...“ Oscar winkte ab. „Das kann warten.“ Und damit verschwand sie in Richtung von Andrés Zimmer. Sophie blieb kopfschüttelnd zurück. „Dieses Kind.“ Lächelnd verschwand sie in der Küche. Sie würde Oscar trotzdem etwas zu essen machen.
 

Leise öffnete Oscar die Tür zu Andrés Zimmer. Er lag im Bett, einen Verband über dem operierten Auge. Auf Zehenspitzen näherte Oscar sich dem Bett und setzte sich auf den Stuhl, der direkt daneben stand. Andrés Gesichtszüge waren entspannt und er atmete ruhig und regelmäßig. Oscar lächelte. Er brauchte seinen Schlaf. Die Operation war sicher kräftezehrend gewesen. So saß sie einfach nur da und betrachtete den Mann, den sie so sehr liebte. Irgendwann betrat Sophie leise das Zimmer und brachte Oscar eine Suppe. Nach geflüsterten Ermahnungen, dass Oscar die Speise essen sollte, so lange sie heiß war, schloss Sophie die Tür wieder hinter sich. „Sie redet immer noch mit uns, als wären wir Kinder“, stellte André leise fest. Es lag Belustigung in seiner Stimme. Oscar setzte sich zu ihm auf den Bettrand und ergriff seine Hand. „So ist sie eben. Für sie werden wir ewig Kinder bleiben“, stimmt Oscar zu. „Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?“ „Ein wenig“, gab André zu. „Du warst lange fort heute...“ Oscar berichtete ihm vom Kampf gegen den Dokumentenberg und der Freilassung der Soldaten. „Das ist wunderbar. Also hat Bernard es geschafft.“ Oscar nickte. Erst dann fiel ihr ein, dass André das gar nicht sehen konnte. „Ja. Ich bin auch froh, dass es gelungen ist.“ Sie gähnte. Wo die Anspannung des Tages von ihr wich, nahm die Müdigkeit ihren Platz ein. André drückte sanft ihre Hand. „Du musst erschöpft sein. Geh ruhig schlafen, Liebes.“ Liebes. Das klang so ungewohnt und gleichermaßen so wunderbar in ihren Ohren. Sie lächelte und küsste ihren André liebevoll auf die Lippen. Dieser erwiderte den Kuss und zog sie sanft an sich. Jetzt bemerkte er auch, dass Oscar in klammer Kleidung bei ihm saß. „Du solltest dich umziehen, sonst wirst du noch krank. Und dann legst du dich in dein warmes Bett und schläfst. Das ist ein Befehl!“ Oscar lachte leise, ob des halb ernsten, halb scherzhaften Tons in Andrés Stimme. „In Ordnung. Aber wenn du mich brauchst, lässt du mich rufen...“ André nickte. „Und nun ab mit dir. Gute Nacht!“ Oscars Lippen fanden noch einmal die seinen. „Gute Nacht und gute Besserung!“ Dann erhob Oscar sich vom Bett. An der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal um. „Und, André – ich liebe dich!“ Damit verließ sie den Raum. André blieb glücklich zurück. Zwar schmerzte sein Auge nach dem heutigen Eingriff, aber das würde vorübergehen. Für ihn zählte nur, dass die Frau, die er schon so lange liebte, seine Gefühle endlich erwiderte. Es dauerte nicht lange und er fiel in eine tiefen, erholsamen Schlaf.
 

Oscar hingegen fand erst im Morgengrauen ein wenig Schlaf. Des nachts war sie von heftigem husten wach gehalten worden und Fieber und Schüttelfrost hatten sich abgewechselt. Als sie erwachte, fühlte sie sich elend. Durch die großen Fenster konnte Oscar den Sonnenaufgang erkennen. Der Tag war noch nicht ganz angebrochen. Mühsam erhob sie sich. Ihr Nachthemd klebte an ihrem Körper und der Hustenreiz kehrte zurück. Alle Versuche, ihren rasselnden Atem zu beruhigen, scheiterten. Ihr Zustand schien ernst zu sein. Sich an den Möbelstücken abstützend gelangte sie schließlich zur Tür. Sie musste Hilfe holen. Immer an der Wand entlang erreichte sie schließlich die Treppe ins Erdgeschoss. Oscar hoffte, dass Sophie schon auf war. Am Fuß der Treppe musste sie sich setzen. Ihre Lunge brannte und schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. „Nicht ohnmächtig werden, Oscar!“ befahl sie sich im Geiste. „Reiß dich zusammen!“ Es erforderte ihre ganze Willenskraft, dem Ruf der Ohnmacht nicht nachzugeben, so bemerkte sie nicht, dass André tastend sein Zimmer verließ und auf die Treppe zuging. „Ist jemand hier?“ fragte er. Seine Ohren waren in der letzten Zeit sehr gut geworden und so hatte er Schritte auf der Treppe vernommen. In der Hoffnung, es könne Oscar sein, war er aufgestanden. „Hallo? Mmh, vielleicht habe ich mich geirrt...“ sprach er weiter. „André“, brachte Oscar mühsam hervor. „Ich bin es nur.“ André folgte ihrer Stimme und stand schließlich vor ihr. Als er die Hand nach ihr ausstreckte, ergriff Oscar sie. Er erschrak. Ihre haut fühlte sich heiß an. Mit der anderen Hand tastete er nach ihrem Gesicht und fühlte nach ihrer Stirn. Nun stellte er auch fest, dass sie vor ihm auf den Stufen saß und nicht stand. „mein Gott, Oscar! Du hast hohes Fieber. Du solltest im Bett liegen und nicht im Haus herumlaufen.“ Seine Stimme klang mehr nach Sorge als nach Tadel. „Kannst du aufstehen?“ Ein heftiger Hustenanfall war die Antwort und Oscar war froh, dass André das Blut an ihren Händen nicht sehen konnte. Schwerlich kam sie wieder zu Atem. „Ich wollte... zu Sophie“, brachte sie hervor. „jetzt bringe ich dich erstmal nach oben. Und dann hole ich Großmutter.“ André half Oscar auf und stützte sie auf dem Weg in ihr Zimmer. Er sorgte sich, denn so schwach hatte er sie noch nie erlebt.

Sophie handelte sofort, als sie ihre Ziehtochter in Augenschein genommen hatte. Umgehend ließ sie nach Dr. Rason schicken. André bemerkte die Unruhe seiner Großmutter und das beunruhigte ihn noch zusätzlich. Oscar befand sich nahe an der Bewusstlosigkeit, als Dr. Rason eintraf. Ernsten Blickes untersuchte er die junge Frau, die schon seit Kindertagen seine Patientin war. Sophie und André wichen nicht von Oscars Seite. „Was fehlt ihr denn, Doktor?“ schluchzte Sophie. André hatte beruhigend den Arm um sie gelegt. „Es ist ernst“, begann der Mediziner. „Sie leidet an Tuberkulose. Sie braucht viel Ruhe und frische Luft.“ Sophie brach in Tränen aus. Unterdessen versuchte André das Gehörte zu begreifen. „Wie schlimm ist es?“ meinte er schließlich. „Wird sie wieder gesund oder...?“ Dr. Rason seufzte. „Wenn sie sich Ruhe gönnt, wird ihr Zustand sich bessern. Allerdings werden die Schäden der Lunge nicht vollständig ausheilen.“ André verstand nicht sofort. „Schäden? Oh Gott...“ Dann fiel es ihm ein. Er hatte davon gehört, dass Erkrankte Blut husteten. Seine Oscar also auch. „Ich habe ihr etwas gegen das Fieber und den Husten gegeben. Lasst sie schlafen und achtet darauf, dass sie viel trinkt, wenn sie wach wird.“ Dr. Rason legte André eine Hand auf die Schulter. „Und Ihr kommt nicht auf den Gedanken, Euren Verband abzunehmen, bevor ich es ausdrücklich gestatte. Auch, wenn Ihr sie sehen wollt. Wenn Ihr meine Anweisungen missachtet, hätte das schlimme Folgen für Euer Augenlicht.“ André nickte. „Ich werde mich daran halten, Doktor. Aber bei ihr bleiben darf ich doch, oder?“ „Sicher. Ich werde heute Abend noch einmal nach ihr sehen. Bei der Gelegenheit wechseln wir auch Euren Verband, André.“ Damit verabschiedete sich Dr. Rason und die drei blieben zurück. André und seine Großmutter nahmen neben dem Bett Platz. Sophie schluchzte leise. „Sie wird wieder gesund, Großmutter. Du kennst sie doch.“ versuchte er sie aufzumuntern und es schien zu glücken. Das Schluchzen wurde weniger und verebbte schließlich.
 

Oscar kam erst am Nachmittag des nächsten Tages wieder zu sich. Sie fühlte sich deutlich besser. Neben ihrem Bett saß André auf einem Stuhl. Sein Kopf war nach vorne geneigt und es schien, als würde er schlafen. Oscar lächelte. Wie immer war er an ihrer Seite; ihr geliebter André. Noch immer erschien es ihr wie ein Wunder, dass er sie liebte. Die Frau, die alles daran gesetzt hatte, als Mann wahrgenommen zu werden, die für ihr Amt als Offizier lebte und mit Leib und Seele Soldat gewesen war. Und jetzt hatte sie für ihren Liebsten Ihr Amt niedergelegt und aufrichtig den Wunsch, an seiner Seite zu sein. Als Frau. Als seine Frau. Vorsichtig schob sie die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine über die Bettkante. Oscar hatte nicht vor, André zu wecken, zumal sie nicht wusste, wie viel Schlaf er bekommen hatte. Er brauchte Ruhe nach der Operation. Allerdings wäre es für ihn sehr viel beunruhigender, aufzuwachen und festzustellen, dass sie fort war. Er konnte nichts sehen und sie daher nicht einfach suchen, wie er es früher getan hätte.Schweren Herzens beschloss Oscar, ihn doch zu wecken. Liebevoll legte sie eine Hand auf seine rechte Wange. „André! André, wach auf“, sprach sie sanft. Es dauerte nicht lange und der junge Mann regte sich. „Oscar?“ fragte er verschlafen. Oscar lächelte wieder. „Ja, André. Entschuldige, dass ich dich wecke.“ Er gähnte herzhaft und streckte sich. Sein Bewusstsein glitt langsam aus der Traumwelt zurück, aber mit einem Mal war er hellwach. „Oscar, du bist wach!“ meinte André aufgeregt. „wie fühlst du dich?“ „Viel besser. Und wie geht es dir? Darfst du überhaupt aufstehen? Ich meine...“ André lächelte sanft und ergriff Oscars Hand, die wieder auf seiner Wange ruhte. „Mach dir keine Sorgen, Liebes. Der Doktor hatte nichts dagegen, dass ich bei dir bleibe.“ André setzte sich neben Oscar auf die Bettkante und legte einen Arm um sie. Glücklich lehnte sie sich an ihn. Es war wunderbar, seine Nähe zu spüren. Ein klopfen an der Tür ließ Oscar wieder aufsehen. „Ja, bitte?“ „Oscar, mein Kind“, sprach Madame Jarjeyes, als sie eintrat. „Ich wollte nach dir sehen.“ „Maman, wie schön, dass Ihr da seid. Wie Ihr seht, geht es mir wieder besser.“ Ihre Mutter lächelte sanft. „Da bin ich sehr froh. Sophie meinte, es sei ernst. Ich war besorgt. Die Königin gab mir daher ein paar Tage Urlaub.“ Oscar stand auf und trat zu ihrer Mutter. „Es ist schön, dass Ihr nach Hause kommen konntet. Aber Ihr habt Erholung sicher nötig. Ruht Euch aus.“ Madame Jarjeyes nickte. „Danke, mein Kind. Aber wenn du mich brauchst, lasse mich rufen. André, sorge bitte dafür. Oscar ist immer so stolz.“ André konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „sicher, Madame.“ Damit verließ sie die Beiden wieder. Oscar war überrascht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Mutter nach Hause kommen würde. Aber sie freute sich sehr, denn Madame Jarjeyes hatte lange keine freien Tage mehr gehabt und ein wenig heimische Ruhe sicher dringend nötig.

Den Rest des Abends verbrachten Oscar und André in gemütlicher Zweisamkeit. Lediglich Sophie sah noch einmal nach ihnen, ansonsten blieben sie ungestört.
 

Am nächsten Morgen machte Oscar sich bereit, nach Versailles zu reiten. Sie hatte in ihren Gedanken an Andrés Behandlung völlig vergessen, ihren Rücktritt im Palast bekannt zu geben. Bevor sie ihre Truppe von ihrer Entscheidung in Kenntnis gesetzt hatte, hätte sie erst die Erlaubnis Ihrer Majestät benötigt. André ließ Oscar mit gemischten Gefühlen gehen, denn er war der Meinung, dass sie noch Bettruhe nötig hatte. Aber er kannte sie lange genug um zu wissen, wann er seine Gedanken lieber für sich behalten sollte.
 

Oscar fühlte sich seltsam, als sie durch die Flure des Palastes schritt. Es war das erste Mal, dass sie nicht in ihrer uniform hier war, sondern in ziviler Kleidung. Aber das allein war nicht der Auslöser dieses Gefühls. Sie hatte einmal geschworen, die Königin mit ihrem Leben zu beschützen, und nun würde sie aus der Armee ausscheiden. Oscar seufzte tief, als sie vor der Tür zu den Gemächern Marie Antoinettes stand. Dann straffte sie die Schultern und trat ein. „Lady Oscar! Welch Überraschung, Euch zu sehen!“ begrüßte die Königin ihre alte Freundin. Oscar kniete vor Ihrer Majestät nieder. „Eure Mutter berichtete mir, dass Ihr erkrankt seid. Geht es Euch denn schon besser?“ fuhr die junge Königin fort. Oscar neigte den Kopf. „Danke der Nachfrage, Eure Majestät. Ich bin noch nicht ganz genesen, aber mich führt ein wichtiges Anliegen zu Euch.“ Antoinette sah sie fragend an. „So? Dann immer heraus damit, Oscar. Und bitte setzt Euch. Ihr müsste nicht die ganze Zeit vor mir knien.“ Dankbar kam Oscar der Aufforderung nach und sah die Königin direkt an, als sie sie um ihren Rücktritt bat. Erstaunen stand in deren Blick geschrieben. „Ich dachte immer, Ihr würdet ewig in der Armee bleiben. Was hat euch zu diesem Entschluss bewogen?“ Verlegen unterbrach Oscar den Blickkontakt zur Königin. Sollte sie ihr von ihrer Liebe zu André erzählen? Zwar kannten sich die beiden Frauen seit nahezu 20 Jahren, aber niemals hatte Oscar über private Dinge gesprochen. Es gehörte sich einfach nicht. Marie Antoinette lächelte Oscar verstehend an. Die junge Königin hatte Oscar noch niemals verlegen erlebt. Daraus folgerte sie, dass persönliche Gründe ihre Freundin zum Austritt aus der Armee bewegten. „Ich werde Eurem Rücktritt zustimmen, Lady Oscar“, überging sie ihre eigene Frage. Dankbar sah Oscar sie an. Im Anschluss an dieses offizielle Anliegen erzählte die Königin noch ein wenig von ihren Kindern und wie es ihnen erging. Oscar hörte interessiert zu, denn lange hatte sie Louis Charles und Marie Therese nicht mehr gesehen. Schließlich verabschiedete sie sich mit den besten Wünschen von ihrer Königin und verließ Versailles.
 

Wieder im Palais Jarjeyes angekommen, wollte Oscar sich nur noch hinlegen. Sie hatte ihre Kräfte überschätzt und der Ritt nach Versailles und das dortige Gespräch mit der Königin hatten ihre spärlichen Reserven aufgezehrt. Oscar war erschrocken über diesen Umstand, hatte sie sich doch wieder gut gefühlt. Sie befand sich gerade auf der Treppe ins obere Stockwerk, als Sophie in der Eingangshalle erschien. „Oscar, da bist du ja! Du hast Besuch.“ Fragend sah die blonde Frau ihre Amme an. „Sie warten im Salon. André ist auch dort.“ „In Ordnung. Ich komme.“ seufzte Oscar und stieg die Stufen wieder hinab. Wer die Besucher wohl waren? Oscar öffnete die Tür zum Salon und blieb erstaunt stehen. „Oh, Lady Oscar!“ rief Rosalie und fiel der Eintretenden um den Hals. Lächelnd erwiderte Oscar die Umarmung und erblickte im Raum neben André Bernard und Alain. „Das ist eine Überraschung“, meinte sie schlicht und setzte sich zu ihnen. „Was führt euch her?“ Alain grinste breit. „Ich musste doch nach meinem Kommandanten sehen, Oberst. Und mir kam zu Ohren, dass es Euch auch nicht so gut geht. Da dachte ich, euch zwei mit meiner Anwesenheit zu beglücken.“ „Und Bernard und ich dachten, wir schließen uns Alain an“, setzte Rosalie fort. „Ich freue mich, euch zu sehen“, entgegnete Oscar lächelnd. „Wie ist es euch ergangen?“ Alain berichtete, dass die Soldaten aus Oscars ehemaliger Kompanie sich darüber einig waren, keinen neuen Befehlshaber zu akzeptieren. „Wenn man unter Euch gedient hat, haben Andere es eben schwer“, feixte er. André lachte. „Der Neue tut mir jetzt schon Leid!“ Oscar hörte einfach zu. Sie fühlte sich nicht wohl, wollte aber nicht, dass die Anderen es bemerkten. Besonders Rosalie machte sich immer viel zu schnell Sorgen. Alain und André gaben gerade ein paar Geschichten aus dem Kasernenalltag zum Besten, als Oscar Rosalies Hand auf der ihren spürte. „Es geht Euch nicht gut, habe ich Recht?“ Oscar schüttelte sacht den Kopf. „Ich bin nur müde, Rosalie.“ Das blonde Mädchen sah ihr Gegenüber skeptisch an. „Wie Ihr meint.“ Oscar seufzte innerlich, dass Rosalie das Thema damit beendete. Die 3 Männer lachten gerade herzhaft über eine ihrer Geschichten. Oscar hingegen schlief irgendwann in ihrem Sessel ein. In den Schlaf begleitet durch die fröhlichen Stimmen ihrer Freunde.
 

Die nächsten Tage verliefen ruhig im Palais Jarjeyes. Oscar gönnte sich viel ruhe und Andrés Auge verheilte vollständig. Alle waren froh, dass man das Augenlicht des jungen Mannes hatte retten können.

Währenddessen tobte in Paris die Bevölkerung. Angeregt durch die Reden Robbespierres und aufgebracht und verzweifelt durch Armut und Hunger richtete sich der Hass des Volkes einmal mehr gegen das Königshaus. Eine Revolution war nicht mehr aufzuhalten. Das Volk wollte für seine Rechte kämpfen und die Klassengesellschaft nicht länger hinnehmen. Die 100.000 Soldaten, die die Königin zusätzlich nach Paris beordert hatte, taten ihr übriges. Die bereits bestehende Lebensmittelknappheit wurde noch schlimmer und nach kurzer Zeit hatten die wenigsten Bürger noch Nahrungsmittel. Schließlich kam es, wie es kommen musste, und der erste Soldat erschoss einen Bürger. Ein Blutbad von ungeahnten Ausmaßen war die Folge.
 

„Wir sollen fliehen?“ Oscar war fassungslos. André saß vor ihr am Tisch. „Es wird gefährlich hier, Oscar. Du hast gehört, was sich in Paris zuträgt.“ „Eben drum. Wir können doch unser Paris nicht einfach im Stich lassen.“ Aufgeregt lief sie im Raum auf und ab. André seufzte. „Versteh doch, Oscar. Es ist zu unruhig geworden. Du sollst dich immer noch schonen und ich werde nicht zulassen, dass du dich in Gefahr begibst!“ Seine Stimme klang energisch. „Und ich kann nicht einfach fortlaufen, wenn unsere Freund hier für ein besseres Frankreich kämpfen.“ „Es hilft niemandem, wenn du stirbst, Oscar. Ob nun im Kampf oder an deiner Krankheit. Du bist kein Soldat mehr, also bist du zu nichts verpflichtet.“ Oscar funkelte ihn an. „aber mein Gewissen verpflichtet mich, André. Die Unterdrückung des Volkes muss aufhören!“ „Du bist von Adel, Oscar. Du hast der königlichen Familie gedient. Denkst du, das Volk begrüßt dich an seiner Seite?“ André war es Leid. In den letzten Tagen erreichten das Palais täglich neue Nachrichten aus Paris. Neue Schießereien, neue Aufstände, Robbespierres Hetzreden. Er wollte seine Oscar in Sicherheit wissen und nicht auf diesem Schlachtfeld. „Bitte, Oscar.“ Oscar war stehen geblieben und griff sich an die Schläfen. „In Ordnung, André“, sagte sie resignierend. Unsicheren Schrittes durchquerte sie den Raum und öffnete die Tür. „Ich gehe ein wenig an die frische Luft.“ Sie verließ das Zimmer. Besorgt sah André ihr nach. In letzter Zeit war ihr häufig unwohl gewesen. Er würde mit seiner Großmutter sprechen. Oscar hatte sich ihr häufiger anvertraut.
 

Unterdessen hatte Oscar sich auf die Stufen der Außentreppe gesetzt. Ihre Gedanken schwirrten ihr im Kopf. Sie hatte vor ein paar Tagen mit dem Arzt über ihr Unwohlsein gesprochen, weil sie sich sorgte, dass sie einen Rückfall erleiden könnte. Seine Worte hatten sie sehr erschreckt. Er vermutete, dass sie ein Kind erwartet. Zwar sei es noch zu früh, dies endgültig festzustellen, aber sie sollte sich an den Gedanken gewöhnen. Oscar schüttelte den Kopf. Es war unglaublich. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass sie – ehemals ranghoher Offizier – einmal Mutter werden würde. Ihre Amme war ob dieser Möglichkeit ganz aufgeregt gewesen und versorgte Oscar mit Tees gegen Übelkeit und guten Ratschlägen. Die blonde Frau lächelte schief. Sie sah auf, als sie Schritte hinter sich wahrnahm. „Fühlst du dich besser?“ fragte André und setzte sich zu ihr. Oscars Herz schlug ein wenig schneller. Warum war sie so aufgeregt, wenn sie daran dachte, ihm von der möglichen Schwangerschaft zu erzählen? Sie wusste, dass er sich unheimlich freuen würde, aber gleichermaßen würde er noch mehr auf eine Flucht aus Paris bestehen. Sie lehnte sich an ihren Liebsten und atmete seinen Duft tief ein. Ihr Herzschlag wurde ruhiger und schließlich kamen die Worte ganz von allein. „André; es besteht die Möglichkeit, dass du bald Vater wirst.“ sagte sie sanft und wartete gespannt Andrés Reaktion ab. Mit großen Augen sah er sie an. „ist das wahr? Oh, Oscar! Das ist wunderbar!“ Fest schloss er seine Oscar in die Arme und küsste sie immer und immer wieder auf Stirn, Wangen, Nase und Mund. Er war der glücklichste Mann auf der Welt.
 

Tatsächlich konnte André Oscar schließlich davon überzeugen, das Palais zu verlassen. General Jarjeyes war in den Kampf gerufen worden und in Paris hatte das Volk die Bastille gestürmt. Die Zeiten waren sehr unruhig.

Die nächsten Monate verbrachten die Beiden bei Oscars ältester Schwester. Als der Standesunterschied im August 1789 aufgehoben wurde, machte André Grandier Oscar auch vor Gott zu seiner Frau.
 

Im Januar des folgenden Jahres kehrten sie zurück. Sophie hatte ihre Schützlinge darum gebeten. Madame Jarjeyes war schwer erkrankt und aus diesem Grund nicht reisefähig. Der General war im Kampf gefallen und André zögerte nicht einen Moment, der Rückkehr zuzustimmen. Es hätte keinen Sinn gehabt, an Oscars Vernunft zu appellieren. So saßen sie bald in einer Kutsche auf dem Weg zurück. Oscar blickte aus dem Fenster und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Andrés Blick hingegen ruhte auf seiner Frau. In ungefähr 4 Monaten würde sie ihr Kind zur Welt bringen und inzwischen sah man ihr die anderen Umstände an. Sie bemerkte Andrés Blick auf ihrem Körper und wandte sich ihm lächelnd zu. Liebevoll ergriff sie seine Hände und legte sie auf ihren Bauch. „Es ist wie ein Wunder, nicht wahr?“ sprach sie leise. „Ich kann es noch immer kaum glauben.“ André küsste seine Oscar leidenschaftlich auf den Mund. „Ich auch nicht“, flüsterte er und verschloss ihre Lippen erneut mit den seinen.
 

Am Palais Jarjeyes angekommen half André seiner Frau aus der Kutsche. „Endlich sind wir da“, sagte diese erleichtert. Alltägliche Dinge wurden zunehmend schwieriger und anstrengender. Diese Reise war keine Ausnahme. Liebevoll legte André einen Arm um Oscar und so betraten sie das Haus. Es war seltsam, nach so langer Zeit wieder hier zu sein. Hier hatten sie beinahe ihr ganzes Leben verbracht., so viele Erinnerungen hingen an diesem Ort. „Setz dich nebenan ein wenig hin, Liebes. Ich suche Großmutter.“ meinte André. Liebend gern hätte Oscar dies getan, aber größer als die Erschöpfung war der Wunsch, ihre Mutter und ihre Amme zu sehen. So schnell wie möglich. André seufzte und küsste Oscar auf den Haarschopf. Er verstand sie ohne Worte. „Sie ist bestimmt oben“, sagte Oscar. André unterdessen hatte nicht vor, das Haus zu durchsuchen. „Großmutter!“ rief er. „Großmutter, wo bist du?“ Oscar grinste. „Das hätte ich auch geschafft.“ André lachte. „Da besteht kein Zweifel.“ „Lady Oscar, André! Wie schön!“ Rosalie war in die Eingangshalle getreten. „Wir haben euch schon erwartet.“ Strahlend trat die junge Frau näher und betrachtete Oscar eingehend. „Es steht Euch gut“, sagte sie. Oscar lachte. „Wie schön, dass es dir gut geht. Wie geht es Bernard?“ „Oh, gut. Er arbeitet für Robbespierre. Aber kommt doch mit in die Küche. Ich habe gerade eine Suppe auf dem Feuer.“ „Wie kommt es denn, dass du hier bist?“ fragte André. „Ist etwas mit Großmutter?“ Rosalie schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Keine Sorge. Sie ist oben bei Madame Jarjeyes und ich gehe ihr ein wenig zur Hand. Ihr habt damals so viel für mich getan, da ist das selbstverständlich.“ In der Küche angekommen ließ Oscar sich dankbar auf einen Stuhl sinken. André grinste. Das war typisch Oscar. Nie zugeben wollen, dass manches sie anstrengte, obwohl es offensichtlich war. „Möchtest du ein Glas Wasser?“ fragte er. Oscar schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Rosalie zu. „Wie geht es meiner Mutter, Rosalie?“ Das blonde Mädchen rührte gerade die Suppe um. „Leider nicht so gut. Sie ist sehr schwach. Aber Dr. Rason hat gesagt, dass es nicht lebensbedrohlich ist. Madame benötigt einfach Ruhe. Sie schläft viel.“ Oscar seufzte erleichtert. Rosalies Worte beruhigten sie. „Ich werde Eurer Mutter und Sophie etwas Suppe bringen“, fuhr Rosalie fort. „Wollt Ihr mitkommen?“ „Gerne.“ So gingen die beiden Frauen ins Obergeschoss. Unterdessen brachte André das Gepäck ins Haus.
 

„Oscar, Kindchen! Ihr seid angekommen“, freute sich Sophie. „Ja, gerade eben.“ Die Amme schloss ihren Schützling in die Arme und setzte sie dann auf einen Stuhl am Bett von Madame Jarjeyes. Die blonde Frau lächelte ihre Tochter warm an und ergriff ihre Hand. Sie sah blass und mager aus. Die Trauer über den Tod ihres Gatten stand ihr ins Gesicht geschrieben. Zwar war sie nicht immer seiner Meinung gewesen, dennoch hatte sie ihn ehrlich geliebt. „Wie geht es Euch, Maman?“ „Wo ich dich wieder hier weiss, fühle ich mich gleich viel besser.“ Oscar lächelte. „André und ich werden hier bleiben, bis Ihr wieder auf den Beinen seid.“ Madame Jarjeyes hob fragend die Brauen. „Ich dachte, ihr zwei würdet ganz hierbleiben und euer Kind hier groß ziehen.“ „In jedem Fall solltest du in deinem zustand nicht noch einmal solch eine lange Reise unternehmen“, meinte Sophie. Zustand. Oscar rollte innerlich mit den Augen. Sie hasste diese Bezeichnung und die Tatsache, dass man sie deswegen in Watte packen wollte noch viel mehr. Sicher war sie eingeschränkt, aber immerzu an ihren „Zustand“ erinnert zu werden, machte ihre Lage nicht eben besser. Dezent wechselte sie das Thema, indem sie die Grüße ihrer Schwester ausrichtete und erzählte, wie es ihrer Familie ging. Nach dem Essen war Madame Jarjeyes sehr müde und Oscar und Rosalie zogen sich zurück.
 

Die nächsten Wochen verliefen ruhig. Oscar verbrachte viel Zeit am Krankenbett ihrer Mutter, während André sich in Paris häufiger mit Alain und Bernard traf. Rosalie kam nahezu täglich im Palais vorbei, um Sophie zur Hand zu gehen.

Eines nachmittags saß Oscar auf dem Balkon und genoss die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Ihrer Mutter ging es deutlich besser und am heutigen Tag war sie mit Sophie im Rosengarten. „Lady Oscar? Ich habe etwas Tee und Gebäck für Euch.“ Rosalie trat auf den Balkon. „Wollen wir eine Tasse zusammen trinken?“ „Sehr gerne, Rosalie. Ich danke dir.“ Mühsam erhob sich Oscar von ihrem Stuhl, da Rosalie den Tisch im Inneren des Hauses bereit gemacht hatte. Seufzend streckte sie sich. Sie hatte an Umfang noch zugelegt und häufig plagten sie Rückenschmerzen. Es wurde langsam Zeit, dass ihr Kind geboren wurde. Rosalie schenkte gerade Tee ein und sah Oscar warm an. „Kann ich Euch noch etwas anderes bringen?“ Die Angesprochene schüttelte den Kopf. „Vielen Dank. Setz dich einfach zu mir. Eine Pause ist bestimmt gut für dich.“ Oscar wusste, dass Rosalie allerlei Dinge im Haus erledigte; da hatte die junge Frau sich auch mal ein wenig Ruhe verdient. „Ich helfe Euch doch gerne“, sprach Rosalie sanft. „Sophie freut sich sehr darüber und ich bin auch gerne hier.“ Oscar lächelte und nahm sich eine Keks. „Ich freue mich auch, dass du hier bist“, meinte sie. „du gehörst zur Familie.“ Rosalie war gerührt. Oft dachte sie an die Zeit, nachdem Oscar sie im Palais aufgenommen hatte. Sie war immer wie eine Schwester behandelt worden und niemals wie eine Bürgerliche, die Madame Jarjeyes mit Madame Polignac verwechselt und angegriffen hatte. „Ist es für Bernard denn in Ordnung, dass du so viel Zeit hier verbringst? Immerhin hat die Familie Jarjeyes seit Generationen das Königshaus beschützt.“ Rosalie winkte ab. „Er hat eine hohe Meinung von Euch, Oscar. Und er versteht, dass ich Eurer Familie helfen möchte. Außerdem will ich gerade in diesen Zeiten in Eurer Nähe sein“, sie deutete auf Oscars Bauch. „Es ist bald so weit, oder?“ Oscar sah an sich herab und grinste schief. „Ich hoffe es, Rosalie. In meinem ganzen Leben habe ich mich niemals so wehrlos gefühlt. Ich war immer Soldat und ich hätte niemals damit gerechnet, einmal ein Kind zu erwarten.“ Ihre Stimme war sehr leise, als sie weitersprach. „Weisst du, diese ganze Situation macht mir mehr Angst, als jeder Kampf bisher. Ich möchte, dass es vorbei ist und gleichermaßen fühle ich mich...“, sie schüttelte leicht den Kopf. „Ach, es ist lächerlich.“ Sanft ergriff Rosalie Oscars Hand und sah sie an. „Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Lady Oscar. Wir alle sind an Eurer Seite. Habt keine Angst.“ Oscar spürte die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, und die freundschaftliche Umarmung Rosalies, die ihr Trost spendete. Und sie ließ es einfach geschehen. Beruhigend strich Rosalie ihr über den Rücken und hielt sie einfach fest. Niemals vorher hatte Oscar der Jüngeren gegenüber ihre Gefühle geäußert, geschweigedenn ihnen freien Lauf gelassen. Rosalie selbst standen Tränen in den Augen, als ihr klar wurde, wie sehr Oscar ihr vertraute. Und so hielt sie Oscar einfach fest, bis die Tränen getrocknet waren.
 

Es war mitten in der Nacht, als Oscar das erste Mal einen Schmerz wahrnahm. Er kam aus ihrem Inneren und ebbte schnell wieder ab. Dennoch wurde sie nervös. Sofort war ihr klar, dass ihr Kind sich ankündigte. André schlief tief, während Oscar leise aufstand. Was sollte sie tun? „Keine Panik“, mahnte sie sich im Geiste. „Du hast noch Zeit, bis es losgeht.“ Sophie hatte ihr erzählt, dass eine Niederkunft oft erst Stunden nach dem ersten Schmerz begann. Sollte sie das jetzt beruhigen? Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet. Je näher die Geburt rückte, desto unruhiger war sie geworden. Würden Sophie und André sie jetzt mit Fürsorge überschütten, könnten ihre angespannten Nerven das nicht ertragen. Oscar seufzte leise. Nahezu geräuschlos verließ sie das Schlafzimmer und begab sich in die Bibliothek. Ein gutes Buch würde sie hoffentlich ablenken.
 

Entgegen ihrer Erwartungen nahm der Schmerz schnell an Heftigkeit und Häufigkeit zu. Sie würde André wecken müssen. Oscar kam unendlich langsam voran und war zutiefst erleichtert, als sie die Tür des Schlafgemaches öffnete. Ihr Liebster lag noch immer tief schlafend da. Sie liebte es, ihn so zu sehen. Entspannt und zufrieden. Einen Augenblick blieb sie nach an den Türrahmen gelehnt stehen. Sie musste Atem schöpfen. „André, Liebster. Wach auf!“ sagte sie schließlich laut, während sie durch den Raum ging. Der Angesprochene murmelte etwas und drehte sich auf die andere Seite. Er wollte seine Oscar in die Arme schließen und noch ein wenig schlafen. Als sein Arm jedoch ins Leere griff, wurde er wach und setzte sich auf. „Oscar?“ fragte er verschlafen. „Warum bist du schon auf?“ „André, unser Kind ist auf dem Weg. Es geht los.“ Prompt war er aus dem Bett und bei seiner Frau. Sie lehnte sich dankbar an. „Leg dich wieder hin, Liebes. Ich hole Großmutter. Brauchst du ein Kissen?“ Die Worte des jungen Mannes überschlugen sich. Eifrig sorgte André dafür, dass sie sicher im Bett lag und verließ dann eilig den Raum, um seine Großmutter zu holen.
 

Oscar stand eine schwierige Geburt bevor. Niemals zuvor hatte sie solche Schmerzen erlebt; es schien sie innerlich zu zerreißen. Es dauerte den ganzen Tag und Oscar glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Die Anwesenheit ihrer Mutter und ihrer Amme beruhigten sie ein wenig. Dr. Rason war am späten Nachmittag gerufen worden und dieser hatte André vor die Tür geschickt. Oscar selbst hatte das kaum mehr wahrgenommen. Um sie herum waren die Anwesenden angespannt. Das Kind musste bald auf die Welt kommen. Ein weiteres Mal war Oscars Kosmos erfüllt von Schmerz, ein Schrei entfuhr ihr. Dann war es still.
 

André lief auf dem Flur unruhig auf und ab. Seine Gedanken überschlugen sich. Dr. Rason hatte nervös gewirkt, seine Großmutter besorgt. Was hatte das zu bedeuten? Durch die geschlossene Tür hörte er gedämpft die Stimme des Arztes und Oscars schmerzerfüllte Schreie. Es schien ihm das Herz zu zerreißen, dass er nichts für sie tun konnte. Dann, plötzlich, war alles still. André starrte auf das dunkle Holz der Tür und dann – endlich – drang das Schreien eines Kindes zu ihm. Seines Kindes. Oscar hatte es geschafft. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und Sophie trat mit einem Bündel im Arm zu ihm. Sein Blick fand sofort das noch rote Köpfchen und zärtlich strich er dem kleinen Wesen mit dem Zeigefinger über die Wange. „Herzlichen Glückwunsch, mein Junge! Ihr habt eine wundervolle Tochter.“ sagte seine Großmutter leise und legte ihm das Kind in den Arm. „Danke“, hauchte er, völlig von seinen Gefühlen übermannt. Louise Grandier. So sollte die Kleine heißen. „wie hat Oscar es überstanden?“ fragte André schließlich, konnte dabei aber den Blick nicht von diesem kleinen Wunder abwenden. Wem sie wohl ähnlich sehen würde? Noch konnte man das überhaupt nicht feststellen. Nur Eines stand für ihn außer Frage: niemals hatte er etwas Schöneres gesehen. Abgesehen von seiner Frau natürlich. Die Stimme seiner Großmutter war noch immer leise als sie sprach. „Der Doktor ist noch bei ihr, André. Sie hat viel Blut verloren. Vielleicht zu viel... „ Der Satz endete mit einem herzzerreißenden Schluchzen. Geschockt sah André auf. Sein Blick fiel erst auf seine weinende Großmutter, dann auf die geschlossene Tür. „Oh, bitte stirb nicht, Oscar. Du darfst mich nicht verlassen!“ Eine einsame Träne fand ihren Weg seine Wange hinab.
 

Die nächsten Stunden wurden für ihn zur Ewigkeit. „André. Oscar ist wach. Der Doktor sagt, dass du zu ihr kannst“, berichtete Rosalie. Sie war vor ein paar Stunden im Palais eingetroffen. Die kleine Louise lag schlafend in den Armen ihres Vaters, der sich in den Salon zurückgezogen hatte. „Danke, Rosalie.“ Liebevoll küsste er seine kleine Tochter auf die Stirn, bevor er sie Rosalie übergab. Sie sollte weiter schlafen. Die blonde Frau war ganz verzaubert von diesem kleinen Wesen und nahm sich gern des Kindes an.

André war aufgeregt, als er Oscars Zimmer betrat, und er hoffte inständig, dass sie sich schnell von den Strapazen erholen würde. Als sie ihren Mann erblickte, lächelte Oscar und streckte ihm die Hand entgegen. Sie war blass ob der Anstrengung und des Blutverlustes, trotzdem lag ein Glanz in ihren Augen, den André noch nie gesehen hatte. Er lächelte zurück, ergriff ihre Hand und setzte sich auf den Bettrand. Oscar verlor sich in seinen grünen Augen. Wie sehr sie diesen Mann liebte. „Ich danke dir, Liebes“, hauchte André schließlich. „Du hast mir eine zauberhafte Tochter geschenkt.“ Sanft küsste er seine Frau auf die Lippen. Ob sie wusste, wie sehr er sie liebte? Als er sich von ihr löste, sah er sie wieder an. „Wie fühlst du dich? Es war schwer für dich.“ Seine Hände umschlossen ihre Hand und strichen sanft über die weiche Haut. „In ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen“, entgegnete sie mit einem sanften Lächeln. Dank der Behandlung von Dr. Rason spürte sie keinen Schmerz mehr. Ihr Körper war von einer angenehmen Schwere überzogen, die sie nach den Anstrengungen der Geburt sehr genoss. André blieb bei ihr, bis sie wieder eingeschlafen war.
 

Oscar erholte sich nur langsam von der schweren Geburt. Rosalie, Sophie und André umsorgten sie stetig und die kleine Louise entwickelte sich gut.

Es war ein heißer Tag im Juli. Nunmehr 3 Monate waren vergangen. Oscar hatte ihre Tochter schlafen gelegt und saß nun im Schatten der Bäume im Gras. Bei dieser Hitze gab es nichts anderes, was man hätte tun können, und so gönnte sie sich ein Nickerchen. Sie wurde unsanft geweckt. Eine Hand hatte sich über ihren Mund gelegt und sie spürte, dass sie festgehalten wurde. Panisch versuchte Oscar, sich aus dem Griff des unbekannten zu befreien, aber es gelang ihr nicht. „Bleib schön ruhig“, zischte eine tiefe Männerstimme ihr ins Ohr. Oscar nahm Krach aus dem Haus wahr. Glas klirrte. Sie hörte Sophie schreien. „Mein Kind!“ schoss es ihr durch den Kopf und sie bäumte sich mit all ihrer Kraft auf. Überrascht durch die heftige Gegenwehr ließ der Unbekannte von ihr ab. Oscars Blick richtete sich auf das Haus. Es war ihr egal, wer der Unbekannte war; sie musste ihre Tochter retten. Und so rannte sie auf die Hintertür zu, während der Unbekannte die Pistole auf sie richtete.
 

André verteidigte indes Sophie und Louise. Es waren 4 maskierte Männer ins Palais eingedrungen und bedrohten die Anwohner. „Nehmt, was ihr wollt! Aber verschont meine Großmutter und mein Kind.“ Einer der Angesprochenen schnaubte verächtlich. „Ihr seid von Adel. Es gibt keinen Grund, euch zu verschonen. Ihr dreckigen Parasiten müsst sterben!“ André konnte kaum glauben, was er da hörte. „Wir sind nicht von Adel. Wir sind Bedienstete dieser Familie“, schluchzte Sophie. Die Angreifer ließen sich davon nicht überzeugen und so fand André sich in einem ungleichen Kampf wieder. Schnell war klar, dass er keine reale Chance hatte, aber sein Beschützerinstinkt verhalf ihm zu ungeahnten Kräften. Tatsächlich gelang es ihm, 2 seiner Angreifer niederzustrecken. Da erschien Oscar in der Tür. Dann ging alles ganz schnell. Ein Schuss fiel. Oscar spürte einen brennenden Schmerz in der Brust. Ungläubig weiteten sich ihre Augen, ehe sie zu Boden fiel und leblos liegen blieb. André, durch den Schuss abgelenkt, wurde durch einen gezielten Hieb seines Gegners niedergestreckt. Er hörte noch Sophies entsetzten Aufschrei und das Weinen seiner Tochter. Sein Blick suchte Oscar. Ihre Augen waren geöffnet, aber trüb. Sie war fort. Ein weiterer Schuss ertönte, dann wurde alles still um ihn. Und Auch André war fort.
 

ENDE

Juli 2011
 

***Es gibt kein Happy End- das Schicksal hat zugeschlagen. Nur eben später. Vielen Dank fürs Lesen!! LG Kokeshima***



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von: abgemeldet
2014-11-02T18:46:53+00:00 02.11.2014 19:46
Also erst einmal vorweg: Schade, dass du hier bereits angemeldet bist. Ich hätte gern mehr von dir gelesen...

Deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Du hast einen interessanten und facettenreichen Erzähstil, der keine Wünsche offen lässt. Ich habe sofort in die Geschichte hinein gefunden und war wie gebannt. Du hast großartige Ideen und gerade dein Ende hat mich sehr überrascht. Ich hätte damit nicht gerechnet! Dramatik liegt dir wirklich gut.

Prinzipiell bin ich auch der Ansicht, dass du an einigen Stellen noch etwas tiefer hättest gehen können. Deine Sprünge von einer Szene zur anderen waren mir bisweilen etwas zu derb.

Dennoch: eine tolle und fesselnde Geschichte, die großes Potenzial offenbart. Vielen Dank dafür! Wirklich schade, dass es nun nicht noch mehr von dir zu lesen gibt...
Von:  She-Ra
2012-11-11T20:26:15+00:00 11.11.2012 21:26
Hi,

heute habe ich deine FF gelesen und war gespannt. Selber bin bzw war ich recht lang als Schreibering im LO Bereich unterwegs und mich reizte deine Geschichte vom Titel.
Ich gebe zu, zu Beginn des Lesens dachte ich nur: Das wird wieder eine Schema F Fanfiction.
Durch eigene Erfahrung weiß ich wie es ist, es gibt irgendwo nur zwei Wege, entweder sterben beide und finden sich im Jenseits wieder oder sie finden sich im Diesseits, gehen der Revo aus dem weg, werden Eltern etc. Hab mich wie gesagt, damit selber herumschlagen müssen.
Aber du hast mich wirklich positiv überrascht.
Ansich gefällt mir dein Schreibstil, wirkliche Rechtschreibfehler habe ich nicht gesehen. Mir sind nur Kleinigkeiten, die weder den Lesefluss wirklich stören, noch extrem auffallen. Da merk ich nur, das mein altes Beiwerk Betalesen wieder bei mir durchkommen ^^''''
Es war ja Oscar de Jarjayes. Du hast meist das de vor dem Nachnamen vergessen und den immer verschrieben, auch wenn du das komplett durchgetan hast. Aber wie gesagt, ich seh es nicht als schreibfehler an, daher weiß ich dich nur daraufhin ;)
Was ich mir persönlich gewünscht hätte, das ein paar Sequenzen etwas mehr Tiefe erhalten hätten, also einige Punkte hätten mehr beschrieben werden sollen, die für meinen Geschmack etwas kurz geraten sind.
Und ich hätte bei der Struktur deiner FF etwas geändert. Du hast zwar einige Absätze drin, was ich wirklich gut finde, aber die Teile, die geschrieben sind, wirken wie Blöcke. Immer wieder ertappe ich mich dabei, das ich überlegen muss, wer mit wem spricht, wenn es nicht immer dabei steht, oder der Name direkt fällt.
Ich habe mir angewohnt, wenn in einer Unterhaltung die Person, die gerade spricht, wechselt, eine neue Zeile zu beginnen. Auf Anraten meiner damaligen Beta Leser. Aber es ist nur ein Tip ;)
Was ich michs onst nur Frage, würde Rosalie Oscar nach der ganzen Zeit wirklich noch so extrem höflich begegnen? Also das sie immer noch Euch sagt? erst recht in der Szene, wo Oscar weint und sie sie in den Arm nimmt? Bei so einem Vertrauensverhältnis?

Hoffe, bist mir meiner Worte nicht böse. Ich bin kein Mensch der sogenannte Quietsch Kommis schreibt.

Wie gesagt, deine FF gefällt mir sonst im ganzen wirklich gut. Vor allem, da ich mit dem Ende nicht gerechnet habe, auch wenn es extrem abrupt war.
Hoffe, das man von dir in Zukunft im LO Bereich noch von dir lesen wird.

LG
She-Ra
Von:  LadyRose
2011-10-17T12:48:29+00:00 17.10.2011 14:48
Hi,
die Geschichte ist wirklich sehr schön geschrieben. Das Ende ist so super traurig. Wäre schön gewesen, wenn das Ende etwas detaillierter gewesen wäre. Es kam ziemlich abrupt. Aber vielleicht war es auch deine Absicht. Also alles in allem einfach super Klasse!!!
Lg LadyRose
Von:  chrizzly
2011-09-29T07:06:22+00:00 29.09.2011 09:06
hey,
kompliment. eine sehr sehr schöne geschichte. freilich so ein ende ist auch mal was anderes aber ich persönlich muss sagen du hast so super geschrieben und dann so ein schluss.
bissl dramatisch in dem sinne da du das kind mit reingebracht hast. ich bin selber mutter und ich muss sagen ich bin bald gestorben ;-)
nee aber weiter so. echt klasse geworden.!!!
Von:  dorisbuffy
2011-09-15T21:52:58+00:00 15.09.2011 23:52
hallo!

Also ich muss sagen diese geschichte ist sehr traurig am ende wirklich sehr traurig aber wieder einer schöne fanfic grade wo andre oscar vor ihren vater beschütz da könnte es ja so in er serie gewesen sein wennso eine szene drin gewesen wäre. schade das du nicjht die erste liebes nacht mehr ausgeholt hast war auhc bischen komisch erst sind sie bei den pferden küssen sich und dann frühs im bett aber trotz allem gut.

freu mich auf die nächste fanfic wenn du wieder eine hast.

lg dorisbuffy


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