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Waldtraum

von

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»Die dunkelsten Zeiten sind es, wo man den Kopf hebt und erkennt, dass der Himmel voller Sterne ist.«
 

Wie öde und leer doch die Welt erscheint, wenn man nicht mehr in sein geliebtes Internet kommt. Die Mails, die man tagtäglich checkte und die Cyberspace-Freunde, die immer lustige Geschichten zu erzählen hatten, waren nun gut versteckt, wie der Laptop, den meine Tante gleich am Tag meiner Ankunft an sich gerissen hatte.

„Du sollst auch einmal etwas erleben, und genießen und nicht nur ständig vor diesem Ding da hocken.“ Vermutlich hatte sie Recht, aber das würde ich niemals zugeben. Wie sollte ich das auch zugeben? Ich wollte einfach nur so weitermachen wie bisher. Und das hieß nun einmal exzessiver Internetzugang rund um die Uhr und seine Freunde begrüßen, unterhalten und verstehen, wenn es die echte Freunde schon lang nicht mehr tun. Die ersten drei Tage habe ich in Raisson damit verbracht, mich in mein Gästezimmer zu verkriechen und die Decke anzustarren. Ich wollte es einfach nicht glauben, dass meine liebe nette Tante mich so quälen wollte. In dieser Einöde gab es doch nichts! Nichts und wieder nichts.

Die Ferien mit ihr waren immer klasse, allerdings fuhren wir immer weg. Doch dieses Jahr musste sie arbeiten während meiner Sommerferien, und so kam es, dass ich sie in diesen kleinen Kaff verbringen darf, wie freudig! Und dann klaut sie mir auch noch meinen Laptop, die einzige Möglichkeit, meine Langeweile zu vertreiben! Wie ich sie gerade dafür hasste, es war wirklich unglaublich. Klaut sie meinen Laptop um mich vor Langeweile zu schützen, Pah!

Gerade dachte ich wieder darüber nach, wie gemein sie doch war, als sie in mein Zimmer trat.

„Louise…nun komm. Geh spazieren. Du willst doch nicht sechs Wochen lang hier in diesen Zimmer verbringen, während draußen schönster Sonnenschein ist“, sagte Tante Melissa und setzte sich auf mein Bett, doch ich drehte mich um zur Wand. Hallo Wand. Du hattest auch schon einmal bessere Tage erlebt, oder? Aber keine Sorge, die nächste Zeit werde ich viel damit beschäftigt sein, dich dumm anzustarren und mich zu ärgern.

„Gib mir meinen Laptop wieder und ich geh in den Garten damit“, gab ich nur patzig zurück, doch sie strich mir über den Rücken sanft und lachte. „Nein, genau das werde ich nicht tun. Nun los, geh raus. Heute Abend habe ich frei, da können wir ins Kino oder so fahren, wenn du heute Nachmittag dich anderweitig beschäftigt.“, sprach sie wieder, doch ich seufzte nur, drehte mich um und stand auf. „Das ist Erpressung“, murmelte ich leise und suchte meine Chucks, doch sie grinste nur. „Ich weiß. Aber wenn ich dich anders nicht hier raus bekomme….greift man auch zu nicht fairen Mitteln.“

Während sie zur Arbeit fuhr, ging ich also raus, hinaus in diese wunderbar-langweilige Ortschaft. Meine Füße gingen einfach weiter, ich sah mir die langweiligen Häuser an, doch dann wurde mein Interesse geweckt, als ich einen See sah.

So etwas bedeutete doch immer, dass auch andere Jugendliche da waren und auch wenn ich hier keine Freunde finden wollte, für zwei drei Abende waren sie sicherlich interessant genug. Wie böse das doch klang. Als ob ich jemanden ausnutzen wollte. Aber Freundschaften schließen hätte eh keinen Sinn, denn wann komm ich schon einmal hier her zurück? Sobald man sich nicht mehr sieht, tritt das eiserne Naturgesetz „Aus den Augen, Aus den Sinn“ ein. Traurig, aber wahr.

Doch ich wurde enttäuscht, als ich nur ein paar Leute mit ihren Hunden dort sah. Lustlos schlenderte ich über den doch kleinen Strand, kickte einige Muscheln weg, die mir in den Weg kamen und gelang in den Wald, der sich direkt am schönen Sandstrand anschloss... Hier sah man einige Häuser, die fast direkt am Strand lagen. Wie herrlich das doch sein muss, aufzustehen und direkt raus auf den See zu schauen!, dachte ich schwärmend. Ich selber bin in einer Großstadt aufgewachsen, bei uns herrschte nur Chaos, Lärm und Überbevölkerung auf den Straßen, doch ich mochte das. Man war nie allein und wurde immer wieder abgelenkt, traf immer wieder neue Leute und es ergaben sich immer wieder neue Chancen.

Ich ging den kleinen Weg an den Häusern entlang, doch entschloss mich durch das Gestrüpp zu rennen, in der Hoffnung ein wenig mehr von der Natur zu sehen, als nur gepflasterte Straßen und Mülltonnen, die am Wegesrand standen. Auch wenn ich meine Straßen vermisste, ich liebte es zu klettern. Man sah oft am Wegesrand mehr von der Geschichte der Menschen, als im Museum. Tatsächlich habe ich sogar schon einen Ehering am Straßenrand gefunden, die Geschichte lässt sich nur allzu leicht vermuten. Je weiter ich in den Wald hineinging, desto größer wurden die Abstände, in den ein neues Haus kam, bis dann irgendwann in der Ferne nur noch eins zu sehen gab. Dort angekommen, setzte ich mich auf den Hügel, genau hinter dem Haus und sah es mir an. So tief im Wald….würde hier etwas passieren, würde es niemand bemerken. Hier ging kaum jemand entlang. Das große Fachwerkhaus erschien so einsam hier. So alt, aber dennoch faszinierend, zu gerne würde ich einmal hinein gehen. Schon allein um mir den Blick aus dem Fenster zu gönnen. Zwischen den Bäumen hindurch sah man wie die Sonne dem See ein wunderbares Glitzern verlieh.

Ich wollte meinen Weg fortsetzen, als auf einmal jemanden vor mir stand, und mich böse ansah.

Total erschrocken, ging ich einen Schritt zurück, stolperte jedoch und war gerade dabei, zu fallen und den Hügel hinunter zu kullern, als seine Hand mich packte und festhielt.

Mein Herz schlug einen schnellen Takt und mein Atem ging zügig, doch ich schaffte es mich noch richtig hinzustellen und meinen Retter sowie Auslöser des Missgeschicks zu betrachten.

Seine dunklen Mandelförmigen Augen betrachten jede Bewegung meinerseits, sein etwas längeres braunes, fast schwarzes Haar wehte im Wind ein wenig, und seine Lippen hatten sich zu einer strengen Linie verzogen.

Als er bemerkte, dass ich wieder normal stehen konnte, ließ er mich los und steckte seine Hände in seine Jackentaschen.

„Machst du das immer?“, fragte er herablassend, doch ich blinzelte ihn nur verwundert an.

„Was?“

Er zog nur die Augenbrauen hoch, spannte seine breiten Schultern an. „Auf Grundstücken herum zu klettern, die einem nicht gehören um zu spannen?“

Mein Mund klappte auf und ich sah ihn überrascht an. „Ich habe nicht…. Ich wollte mir nur den See von hier anschauen, du Spinner. Guck doch!“, sagte ich und deutete auf den See.

Wir beide drehten uns zu dem fröhlichen Farbspiel von Sonne und Wasser um und es herrschte für einen Augenblick Stille, bis er sich wieder zu mir umdrehte. Ich wusste genau, dass es merkwürdig klang was ich von mir gab, und ich würde mir vermutlich auch nicht ein Wort glauben, doch es war einfach die Wahrheit. Ich kannte ihn, oder wer auch immer da wohnte nicht einmal: “ich wollte nur wissen, wie es ist, an so einen schönen Ort zu wohnen. Wenn man morgens aufsteht, muss man wohl das Rauschen hören und wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man die Tiere miteinander agieren, das lustige Wellenspiel des Sees, wenn der Wind wieder einmal etwas dolle bläst…. Und die Ruhe. Niemanden interessiert es, wenn du mit Schlafsachen auf die Straße gehst, da man hier keine oder kaum Nachbarn hat“, fügte ich hinzu, drehte mich zu ihm um und wartete darauf, dass er die Polizei rufen würde, oder sonst was.

„Ich schlafe nackt“, sagte er dann und ich sah ihn verdutzt an. „Wie bitte?!“, brachte ich nur entsetzt hervor, doch er nahm mich am Handgelenk und wollte hinunter gehen, doch ich lehnte mich dagegen. „Lass mich….ich….“ und mit einen Ruck hatte ich mich befreit und stolperte hastig den Hügel hinunter und rannte die Straße entlang, immer schneller, und sah mich keinesfalls um, ich hatte zu viel Angst dass ich sehen würde, wie schnell er mich einholte, doch nach einer Weile traute ich mich und…

„Niemand.“, sagte ich leise vor mich hin und stemmte mir die Hüfte, ich war ziemlich außer Atem. Niemand verfolgte mich oder lauerte mir auf, um …

Was sollte das eben von ihm? Er war höchstens 24 Jahre alt und dennoch so ein…Perverser?

Kopfschüttelnd ging ich nach Hause. Was für ein Nachmittag!

„Was ist denn los, du wirkst so komisch? Hast du jemanden kennengelernt?“, fragte meine Tante Melissa nach, doch ich schüttelte nur den Kopf. „Nö, nö, ist schon okay. Heute Kino?“, vergewisserte ich mich und sah sie an, während ich das Brötchen eher zerschnitt, als es schmierte.

„Ähm… klar, warum denn nicht? Was willst du denn sehen?“, fragte sie nach, doch ich schüttelte nur den Kopf. „Such es dir aus“, sagte ich kurzbündig und stand auf. „Ich geh duschen.“

Nach zwei Stunden saßen Melissa und ich im Auto und fuhren in die nächste Stadt ins Kino. Ich hatte mich ein wenig schick gemacht, wenn ich schon aus der Einöde herauskam, dann sollte ich das wenigstens einmal ausnutzen. Wir stiegen aus und gingen hinein, den Film den Melissa aussuchte, kannte ich schon längst, aber wenigstens was machen, das war das Wichtigste. Die nächsten Tage wieder in diesen Kaff verbringen musste, bis Wochenende war und meine Tante Zeit hatte was zu unternehmen. Der Film war amüsant, auch beim zweiten Mal gucken, wie meine Tante lach köstlich. Sie war eine wunderschöne Frau, schon an die fünfzig Jahre dran, aber ihre goldenen Locken waren noch genauso schön wie auf ihren Kinderfotos. Die hellen Augen lachten förmlich mit, wenn sie ihre Hand vor den Mund hielt, um nicht aufzuschreien.

Lächelnd gab ich ihr die Cola in die Hand, damit ich schnell rausgehen konnte. Jetzt kam die eine Stelle, wo der Protagonist seiner Freundin die Liebe schwur, aber ihr gleichzeitig sagte, dass er umziehen würde. Es war zu traurig, das wollte ich mir heute nicht mehr antun. Schlendernd ging ich durch die Kinoeingangshalle, als jemand mich an die Schulter fasste und mich mehr oder weniger sanft umdrehte.

„Du?“, fragte ich nur nach, als ich den Typen von heute Morgen wieder sah. Wieder diese strenge Lippenlinie und seine Augen beobachteten mich genauso faszinierend wie heute Morgen.

„Ja. Ich.“, erwiderte er nur wieder und steckte seine Hände wieder in die Jackentaschen.

Ich trat einen Schritt zurück, hier würde er mir wohl nichts antun, es sahen zu viele Leute zu, doch sicher konnte man nie sein. „Was willst du?“, fragte ich nur leise nach, bemerkte erst jetzt, wie groß er doch war. Vorhin auf dem Hügel hatte ich gar nicht darauf geachtet.

„Mich entschuldigen. Du hast wohl was missverstanden. Es sollte keine unvergnügliche Einladung sein, sondern lediglich Zustimmung. Nackt hinauszugehen würde wohl die Nachbarn leicht…empören.“, sagte er leise, aber verständlich.

Ich nickte nur und trat noch einen Schritt unbewusst zurück, doch er blieb einfach so stehen.

„Okay. Dann…ja, ich nehme die Entschuldigung an, ein schönes Leben noch“, murmelte ich und wollte wieder hineingehen, doch wieder fasste er mich an mein Handgelenk an, zog mich zurück.

„Wie heißt du?“, fragte er mich nach, doch ich brummte nur leise. Als er mich aber nicht losließ, blieb ich schließlich brav, stehen, nicht dass er mich hier auf der Stelle noch umbringen würde.

„Warum sollte ich dir das sagen, wenn du dich nicht einmal selber vorstellst“, gab ich als Antwort, doch er nickte nur. „Okay. Verständlich. Ich gehe morgen früh mit Blexy angeln. Weiter vorne, nicht so tief im Wald. Komm doch auch. Neun Uhr.“, sagte er ruhig und ließ mich los, ging dann auch wieder in den Kinosaal.

Was sollte das denn?

Mir nicht einmal seinen Namen verraten, aber mich zum… Angeln einladen? Kopfschüttelnd ging ich wieder in den Kinosaal, wo gerade die meisten ihre Sachen schnäuzend zusammen packten, der Film war vorbei.

„Ach Kleine….das war schon süß, ne?“, plauderte Melissa lächelnd, und ich nickte nur.

„Gibt es eigentlich viele Jugendliche, die alleine wohnen in Raisson?“, erkundigte ich mich, doch sie sah mich nur verwundert an.

„Hm…ich weiß nicht genau. Ich bin viel arbeiten und mit den Nachbarn rede ich zwar oft, aber nicht über solche Dinge. Schließlich ist es doch irgendwie komisch wenn junge Menschen alleine wohnen, aus was für einen Grund auch immer.“, gab sie mir zu verstehen, dass sie selbst nicht genau es wusste.

Leise stand ich auf und sah noch, wie Melissa gerade in ihr Auto stieg, als ich dann aufstand und schnell unter die Dusche sprang. Ich hatte die Nacht darüber nachgedacht, wie sinnlos es denn war, dort hin zu gehen, aber irgendwie faszinierte er mich gleichermaßen, wie er mich erschreckte. Flugs sprang ich nach dem Duschen in frische Sachen, die nicht zu auffällig waren, nicht dass die Fische noch Angst bekommen würden und das diese Blexy sich nicht angegriffen fühlte, warum auch immer.

Ich schlüpfte in meine Chucks und zog meine Jacke über, schnappte mir den Schlüssel und machte mich auf den Weg wieder in den Wald zu gehen. Was ich dort suchte, oder finden vermag, wusste ich selber nicht, nur dass ich heraus musste aus diesem Haus, wo mir schon die Decke auf den Kopf fiel. Ich mochte meine Tante sehr, aber ich konnte es ihr immer noch nicht verzeihen, was sie mir hier antat.

Langsam fragte ich mich, ob es auch richtig war, das erst beste bedrohliche zu machen. Schien es wirklich so bedrohlich mit einen Fremden angeln zu gehen? Ich hielt ihn immer noch für einen Perversen, aber nun ja, ich hatte immer gleich Vorurteile gegen jeden und alles, wenn mir etwas nicht passt.

Ich trat in den Wald hinein und sah am Ufer entlang, wo er vielleicht schon saß, denn es war nach neun, aber ich musste tatsächlich bis ganz hinten gehen, als ich ihn endlich wieder sah.

Er saß dort mit seinem Equipment und blickte auf den Wald, aber auf einmal drehte er sich zu mir um und lächelte mich mysteriös an.

„Du bist spät“, sagte er nur ruhig und stand auf, wartete bis ich bei ihm war und drückte mir dann seine Angelruten in die Hand.

„Blexy doch auch, ich sehe sie hier noch nicht“, erwiderte ich kühl, doch auf einmal pfiff er und ein schwarzer Labradorwelpe kam angelaufen. „Ist sie nicht, sie spielte nur in der Gegend herum“, bekam ich als Antwort.

Ich beugte mich zu diesem süßen jungen Hund hinunter und streichelte ihn, erfreute mich daran wie der Schwanz vor Freude sich nicht mehr einkriegen wollte. „Nun kommt. Wir gehen weiter hinein, damit Miss keine Angst bekommt“, sagte der Junge und wollte weiter nach vorne gehen, doch ich schüttelte nur den Kopf. „Lass uns ruhig weiter in den Wald hineingehen, ich kriege schon keine Angst. Und ich bin sicher, dass Blexy auf mich aufpasst“, antwortete ich schmunzelnd und er zuckte nur die Schultern und drehte sich auf der Ferse um und wir gingen zu dritt in den Wald hinein. Ich hatte doch tatsächlich geglaubt, dass Blexy ein Mädchen war…wie dumm ich doch war!

Die Wald wurde langsam immer finsterer und der Weg andauernd unebener, doch er ließ sich davon nicht beirren und auf einmal drehte er sich um und ging ins Gebüsch. „Hey, wo willst du denn nun hin?“, fragte ich aufgeregt und stiefelte ihm hinterher, sorgte dafür, dass Blexy mitkam und keuchte leise, er war so schnell!

Doch mit dem nächsten überwundenden Busch sah ich, dass wir wieder am Rand des Sees waren, wo er sich dann niederließ. Ich legte die Ruten neben ihn hin und sah über den See, er wirkte so verdammt schön, er glitzerte und das Wasser war tiefblau… wie tief wohl der See war?

Ich setzte mich neben diesen Unbekannten und lockte Blexy auf meinen Schoß, strich ihr übers Fell und kraulte ihre Ohren, als er die Angel auswarf und kurz zu mir schaute.

„Was hat dich dazu gebracht, doch zu kommen?“, fragte er nach und ich blickte kurz zu ihm, schaute mir den Welpen dann lieber an, der von meinen Schoß herunter krabbelte und die Gegend erkunden wollte.

„Ich weiß es nicht. Aus irgendeinem Grund… wenn ich diesen habe, nenn ich dir den gerne“, sagte ich leise und beugte mich vor und sah ins Wasser. Es war so klar, dass ich dachte ich habe einen Spiegel vor mir. Ich sah wie mein langes rotbraunes Haar herunterfiel und fast die Wasseroberfläche berührte. Ich hatte die gleichen hellgrünen Augen wie meine Mutter, lange Wimpern, die nie getuscht werden mussten und hohe Wangenknochen.

Doch leider hatte ich auch die Größe von meiner Mutter, und diese war nun nie sehr groß gewesen…

Er lachte rau, aber angenehm und fummelte an seinen Ruten herum. Nicht dass ich jemals auch nur eine Ahnung gehabt hätte, was man genau am Angeln so toll finden könnte und vermutlich kam daher auch meine Unwissenheit über das Equipment und den ganzen Vorgang an sich. Ich sah wieder zum Wasser und setzte mich richtig am Ufer hin, als der Hundewelpe an getrottet kam und sich an mich ran kuschelte. Leise strich ihr dem Hund über das Fell, während ich ganz in Gedanken war. Es war so schön ruhig, die Luft war ganz anders als bei mir zu Hause und durch das Gebüsch war man ganz verdeckt.

„Was hat dich dazu gebracht, mich überhaupt einzuladen?“, fragte ich ihn dann nach.

Er saß wie eine Statue dort, die Augen auf das andere Ende des Sees gerichtet und die Angel locker in der Hand. Hätte er nicht geatmet hätte man das wirklich mit der Figur denken können.

Ganz langsam verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. „Ich dachte du als Stadtkind würdest dich freuen, diesen Platz zu sehen. Zudem ich dich wohl ziemlich erschrocken hatte gestern…ich wollte dich wirklich nicht so verjagen, es tut mir leid“, sagte er ehrlich und sah kurz zu mir rüber, ehe er sich wieder auf das Wasser konzentrierte. Nach und nach fielen mir die Augen zu und ich nickte immer wieder mit dem Kopf ein bis ich schließlich ganz wegnickte….

Als ich wieder aufwachte zuckte ich erst zusammen, als ich merkte dass ich auf den Waldboden lag rappelte ich mich leicht auf, sah mich um und merkte das ich zugedeckt wurde und auf einer Jacke, welche zusammen gerollt als mein Kopfkissen diente.

Ich rieb mir meine Augen und gähnte leicht, als ich feucht geküsst wurde. „Blexy…uh..hör auf!“, sagte ich kichernd und schob den Hund sanft weg, ehe ich ganz aufstand. Der junge Mann hatte das ganze beobachtet mit einen amüsierten Lächeln auf den Lippen: „Verzeih… ich wollte dich nicht wecken, doch Blexy wollte dies anscheinend.. Tut mir leid“, sagte er leise und wandte sich wieder seiner Angelrute zu. Es war mittlerweile schon später am Nachmittag… hatte ich so lang geschlafen? Hatte er so lang hier ruhig gesessen und geangelt?

Laut knurrte auf einmal mein Magen und ich hielt mir meinen Magen, zog nur eine Miene.

„Ich denke ich sollte nach Ha…“, fing ich an, doch er unterbrach mich.

„Hier, Sandwich. Ich wusste nicht ob du Vegetarier oder so bist, deswegen habe ich verschiedene gemacht, schau sie dir an und iss.“

Er hielt mich zwei eingewickelte Brotpakete hin und ich nahm sie, setzte diese vorsichtig ab und begann sie auszuwickeln. Er hatte tatsächlich für Verpflegung gesorgt? Und dann noch darauf bedacht, ob ich womöglich nicht einmal alles aß? Das war irgendwie süß.

„Wie heißt du?“, fragte ich erneut nach, biss ins Butterbrot und beobachtete ihn. Er lächelte nur und spielte mit Blexy nebenbei fangen. Der kleine Welpe biss immer wieder zu, doch drückte nie fest zu, so dass sich auf der Jungen Haut nur kleine Kratzer sich bildeten.

„Wieso nennst du mir nicht deinen Namen? Ich finde Namen unnütz. Sie wurden uns von Leuten gegeben, die meinten uns zu kennen. Nur weil sie einen neun Monate lang herumgetragen haben? Ich denke nicht dass sie einen gut kennen, sie wissen gar nicht wie man tickt.“, murmelte er geradewegs als Blexy sich an seine Seite legte, der kleine Welpe war erschöpft vom Spielen.

„Aber wenn du es unbedingt wissen willst“, fügte er hinzu. „Ich bin Jason, 21 Jahre und noch zurzeit Freiberufler. Ich verdiene mein Geld mit Nebenarbeit. Ist das nicht schlimm?“, fragte mich dann Jason. Vollkommen irritiert blickte ich ihn an, was meinte er denn? Dass er 21 Jahre alt war, Jason hieß oder das mit dem Freiberufler?

„Es ist wie in dem Kinderbuch «Der Kleine Prinz». Du kennst meinen Namen, Alter, Beruf, und schon hast du dir ein Bild von mir gemacht, ohne mich zu kennen“, er ließ mir nicht einmal Zeit zum Antworten, schon legte er weiter vor. „Immer nur diese Fakten, die einen Menschen ausmachen. Du weißt gar nichts über mich. Gar nichts. Merk dir das und wenn du…“

„HALT“, sagte ich entscheidend und schluckte runter, hob den Zeigefinger hoch um anzudeuten etwas zu sagen. Blexy hatte ihren Kopf erhoben, den sie vorher auf ihre Pfoten platziert hatte.

„Was redest du denn? Ich wollte nur wissen wie du heißt, nicht mehr und nicht weniger, du Idiot. Damit ich weiß wie ich dich anzusprechen habe, und nicht dauernd und ewig beim «Ey du da» bleiben muss!“, murmelte ich vor mich hin und er sah mich merkwürdig an.

„Achso.. na dann. Nenn mich Jason.“ Sagte er grinsend und hielt mir seine Hand hin.

Ich nahm diese an und erwiderte sein Grinsen. „Louise“

Und so nahm diese Begegnung ihren Lauf in unserer Geschichte..

An dieser Nacht lag ich abends in meinem Bett und dachte über Jason nach.

Was wollte er mir damit eigentlich sagen? Oder eben nicht sagen? Viel gesprochen haben wir ja nicht. Wieder sprangen meine Gedanken zum See über. Es schien mir, als ob der Wald mit seinen vielen Bäumen und Gestrüpp, Hecken und was weiß ich wie ein Eingang zu einer neuen Welt ist. Die Luft erscheint ganz klar und frisch und kein Geräusch dring an das Ohr, bis auf das Rauschen der Bäume, wenn der Wind mit den Blättern spielt und die Wellen leise vor sich hin spielen. Im Schatten ist das Wasser des Sees so dunkel, dass man glauben könnte es sei so tief wie ein Ozean und im Lichte… es funkelt im Sonnenlicht. Als Blexy hineingesprungen ist, spritzte das Wasser und jeder Tropfen glitzerte im Lichte, dass es aussah, als würden mehrere kleine Regenbögen sich in diese winzigen Teile vereinen. Wenn die Luft nicht mit das Wasser von seiner starren Haltung löste, wirkte das ganze wie eine weite offene Fläche, auf der man gerade zu entlang tanzen wollte. Das Gras grünt so grün, wie in Pygmalion, wenn Spaniens Blüten blühen. Jason und ich saßen stundenlang am Ufer, ohne auch nur ein Wort über unsere Lippen zu lassen, oder gar in vollkommendes Schweigen zu treten, wenn wir nicht gerade Blexy riefen…

Es war aber angenehm, einmal nicht gezwungen zu werden zu sprechen. Zu sagen was man denkt und sich der Umwelt anzupassen, wie es gerade nötig ist. Als es zum Abend dämmerte meinte Jason wir sollten aufbrechen und auf einmal war der ganze Zauber dahin, als wir wieder auf betonierten Straßen entlang gingen.

„Komm doch vorbei, wenn du noch einmal raus möchtest“, meinte er, bis er und Blexy rein gingen.

Komischer Junge. Wirklich komisch. Mit einem Zug drehte ich mich um meine eigene Achse und zog die Decke etwas höher. Vielleicht würde ich wirklich noch einmal zu ihm gehen. Aber nur weil ich mich im Wald alleine vermutlich verlaufen würde, legte ich mir meine Aussage im Kopf schon zu recht, während ich wohlig einschlummerte…

Als ich am nächsten Tag aufwachte, bemerkte ich einen kleinen gelben Zettel, der an meiner Tür hing. Normale Menschen würden den auf den Küchentisch legen, meine Tante klebte ihn mir an die Tür, jawohl. Mühselig schleppte ich mich aus dem Bett und las die Nachricht, die Melissa mir hinterlassen hatte: „Hallo Kleine.“ Schon dabei verdrehte ich die Augen.

„Essen steht alles unten bereit, musst es dir nur warm machen. Ich bin heute in der Großstadt, wenn du etwas brauchst, schreib mir eine SMS. Ich bin heute gegen acht zurück. Mach keine Dummheiten.“ Ein erneutes Augenverdrehen.

Was dachte sie eigentlich? Dass ich ein kleines sechsjähriges Kind bin? Ich schüttelte nur meinen Kopf bei dem Gedanken dabei. Ich hatte sie lieb, aber mit der Fürsorge nahm sie es zu ernst. Ein Blick auf die Uhr genügte und ich wusste dass ich noch viel Zeit zum Duschen hatte, dennoch beeilte ich mich und schlang das Essen hinunter, als würde es um alles oder nichts gehen. Vielleicht ging es dabei auch um alles oder nichts. Wer weiß, wer weiß.

Ich schnappte mein Handy, die Schlüssel und schlüpfte in meine Schuhe, rannte hinaus auf den Weg zum Wald. Auf den Weg dorthin überlegte ich. Sollte ich Jason mitnehmen? Besser nicht.

Also ging ich zügig an seinem Haus vorbei, geradewegs in den Wald. Den Zauberwald, wenn ich es mir wohl überlegte. Ich sah mir die ganzen Abbiegungen genau an, bis ich dann entschied, spontan rüber zu gehen, irgendwann würde ich eh wieder an diese eine Stelle kommen.

Hier waren viele Moose, Sträucher… ich wusste nicht mehr alles, wo wir gestern vorbei kamen. Ich drehte mich um und wollte schauen, wie viel ich eigentlich schon zurückgelegt habe, als ich auf einen Busch trat, stolperte und nach hinten fiel… genau ins Wasser. Ich strampelte und versuchte oben und unten herauszufinden, während ich viel Wasser schluckte. Ich spürte etwas Festes und klammerte mich daran fest. Ich spuckte viel Wasser und keuchte, während ich meine Haare irgendwie nach hinten kippte. „Na super“, brabbelte ich leise und fing an zu bibbern.

Das Wasser war genauso kalt, wie es aussah. Ich robbte mich auf das Ufer und drehte mich auf den Rücken. Mein Handy ist aus der Tasche gefallen vorm Sturz und lag trocken und ruhig auf diesen dummen Busch. Ich musste schnell aus den Sachen hinaus. Schnell rappelte ich mich auf und versuchte den Weg zurückzulegen, aber ich verirrte mich immer mehr, bis ich mich mit meinen nassen Sachen auf den Boden fallen ließ und anfing zu schluchzen. Ich war hier allein, kalt, nass, frierend und hatte mich auch noch im Wald verlaufen. Alleine. Meine Freunde hatten sich von mir getrennt, ich sei zu schwierig, meine Eltern stritten sich nur noch die ganze Zeit und nun war ich in diesen Nest gefangen, allein, hilflos und in diesen Wald verlaufen!

Konnte es noch schlimmer kommen?

„Blexy, komm her“.

Oh nein, das durfte doch nicht sein. Nicht er. Ich machte mich so klein wie möglich, in der Hoffnung er würde mich nicht finden. Doch der Hund kam schon und wedelte voller Freude, als es mich entdeckte.

„Blexy…du bist eine Verräterin“, sagte ich und fing nun richtig an zu weinen.

„…“, auf einmal trat Jason hervor und hielt inne, als er sich zu mir beugte: „Hey… was ist denn los, Louise…?“, fragte er nach und legte eine Hand auf meine Schulter, doch zog sie sofort zurück. Vermutlich stank ich auch noch…und war ekelig! Meine Tränen kullerten immer mehr herunter und ich konnte nichts dazu sagen.

„Louise.. was… Blexy, aus!“ er trat von einen Fuß auf den anderen. „Louise…komm mit“, sagte er sanft und hob mich am Oberarm hoch, als wäre ich eine Feder, kein nasser Mensch.

Ich ließ meinen Kopf hängen, versuchte alles zu verbergen. Ich weinte, war… war einfach hoffnungslos und er, ausgerechnet er fand mich auch noch.

Er führte uns zum Waldweg zurück und wir gingen anschließend zurück. Es war komisch. Sobald er mich aufgehoben hatte so gesagt, ließ er mich sofort los. Er ging langsam, sagte kein Ton. Ich dachte, er wolle mich wirklich nur zur Straße zurückführen, doch er machte das Gartentor auf und wartete darauf, dass ich hindurch ging. Ich schüttelte jedoch nur meinen Kopf und wollte weitergehen, nach Hause. Oder besser gesagt mein vorläufiges Zu Hause.

Ich hörte ein paar Schritte und auf einmal wurde mir eine Jacke umgelegt. „Louise.“

Er sagte das so komisch, dass ich anhielt und mich umdrehte, seit dem ich seine Stimme im Wald gehört hatte, hatte ich es vermieden ihm in die Augen zu schauen. Doch nun, nun blickte ich ihm geradewegs in seine glänzenden Augen.

Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte nur verhalten. „Komm mit rein…du wirst dich nur erkälten“.

Ich nickte nur. Warum hörte ich auf ihn?

Jason legte wieder seine Hand auf meine Schulter und schob mich durch das Gartentor und führte mich direkt in sein Haus. Warum berührte er mich nun, wo die Jacke da war, aber eben nicht?

Sein Haus war wirklich klein, ob hier noch jemand wohnte? Zu Besuch kam? …?

Er schob mich weiter durch die Tür links und wir standen in ein schwarz getäfeltes Badezimmer. Er nahm mir die Jacke von der Schulter und zuppelte an meinem Shirt, doch ich schlug ihm auf die Finger. „Hey!“, sagte ich empört, doch er grinste nur.

„Du musst aus den nassen Sachen raus, meine Kleine! Also..“, versuchte er sich zu rechtfertigen, mir an die Wäsche gegangen zu sein. Ein böser Blick meinerseits genügte und er hob die Arme zur Verteidigung hoch, drehte sich um und gab mir zwei Handtücher.

„Ich komme gleich wieder und bringe dir trockene Sachen.“ Und schon war er aus dem Bad. Ich sah ihm nach, wartete bis er um die Ecke war und begann mich auszuziehen und schnell mich in das Handtuch zu wickeln. Blexy kam angewackelt und leckte an mein Bein. Ich hockte mich zu ihr hin und streichelte ihr über den Kopf, während ihre Augen mich treu anschauten. „Ach.. Blexy… ich weiß ich bin doof“, murmelte ich leise.

„Ja…alleine in den Wald.. als Neuling.. also bitte. Wie bist du nass geworden?“, fragte Jason mich, er war wieder da und stand an der Tür. Wieder ein böser Blick meinerseits, und er gab mir die Sachen und drehte sich zum Flur.

„Tut mir leid.“, nuschelte ich und stieg in seine Sachen hinein, versuchte diese dumme Hose irgendwie zu zukriegen...warum war der Knopf denn bitteschön auf der anderen Seite?

„Busch. Nicht gesehen. Drüber gefallen. Nass.“, beendete ich dann meine doch so lange Geschichte. Jason schüttelte nur den Kopf und wartete geduldig, bis ich ihm auf die Schulter klopfte. Er musterte mich kurz und ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht, verschwand aber ganz schnell wieder.

„Komm… du kriegst noch eine Decke um, du musst doch kalt sein“, sagte er und ging mit Blexy weiter den langen Flur entlang. Die Räume wirkten viel größer, als es von draußen den Anschein hatte. Überall hingen Fotografien vom Ort und vom See, doch man sah nirgends auch nur eine andere Person mit drauf.

Im Wohnzimmer, wo er letztendlich mich hinführte, klopfte er auf eine große dunkle Couch und schmiss mir die Decke zu, also gehorchte ich wieder brav und ruschelte mich mit Decke ins Sofa.

„Also…“

Uh, wie ich das hasste. Gleich würde eine Ansprache kommen, was mir alles im Wald hätte passieren können und wie dumm ich gewesen bin und was…-

„Warum hast du geweint? Es kann doch einmal passieren, sich zu verlaufen..“, sagte Jason ruhig und sah mich mit seinen mandelförmigen Augen an, die keine meiner Bewegungen verpassten.

Ich blinzelte nur verwirrt. Er fragte mich tatsächlich, warum ich geweint hatte? Einen Moment dachte ich selber darüber nach, bis ich dann zum Boden schaute und die Decke enger um mich zog. „Meine langweilige Lebensgeschichte willst du sicher nicht hören…“, brummte ich nur leise, doch als Antwort bekam ich nur ein empörtes Schnaufen.

„Würde ich das nicht wissen wollen, hätte ich gar nicht danach gefragt, Louise.“, sagte er verärgert. Als ich hochblickte, konnte ich nicht genau sagen, was er gerade dachte. Sonst besaß ich eine gute Menschenkenntnis und konnte meist schon anhand der Augenbrauen sagen, was ein Mensch dachte und fühlte, doch bei ihm kam ich mir etwas nutzlos vor. Jason blickte mich ernst, verwirrt, besorgt und belustigt zu gleich an. Ohje, und ich hatte mir immer etwas auf meine ‚Gunst‘ eingebildet.

Ist es das was einen Menschen ausmachte, dass er sich irrte?

Bedächtig zuppelte ich an der Decke herum, die Jason mir vor wenigen Minuten gegeben hatte. Immer noch merkte ich seinen Blick auf mich ruhen, was erwartete er nun? Dass ich ihm alles erzählte, wieso ich weinte, wie ich aufgewachsen bin, was für eine Grundschule ich besucht habe und wie mein erster Zungenkuss war? Dass ich ihm das erzählte… Jason, den ich erst ein paar Tage kannte?! Dachte er das wirklich?

Dann hatte Jason eine wirklich verdammt gute Menschenkenntnis, denn genau das würde ich tun. Ich brauchte es einfach. Von der Seele reden konnte ja so befreiend sein!

„Was soll ich dir denn schon großartig sagen…was willst du denn hören?“, fragte ich leise nach und sah weiter in Blexys Augen, doch auch sie schienen mich zu durchlöchern, so dass ich meinen Blick abwandte.

„Louise…warum bist du bei deiner Tante? So oft bist du nicht hier, sonst würde ich dich schon länger kennen“, sagte Jason ruhig und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er wie ein Herrscher die Beine üb erschlug. Nein… es erinnerte mich nicht an irgendeinen König oder so, eher an einen Psychologen. Die Hände aneinander gepresst und mit seinen forschenden Augen die keine meiner Bewegungen außer Acht ließen. Verdammt, warum fühlte ich mich denn trotz, dass ich wie ein Psycho behandelt wurde, dennoch so sicher bei ihm?

Was wusste ich denn schon von ihm?

Er hatte einen Welpen namens Blexy, wui, darüber könnte ich schon eine Biographie schreiben. Mit ein bisschen Spucke und Fantasie war doch alles möglich heutzutage. Yeah.

„Meine Eltern streiten sich gerade. Sie denken, dass ich es nicht mitkriegen würde und schicken mich deswegen hierher… möglicherweise hoffen sie, dass sich alles einrenkt. Oder dass alles geklärt ist wegen der Scheidung, wenn ich da bin.“, antwortete ich monoton, was ich sah bemerkte ich nicht einmal. Stocksteif saß ich da und sah mit meinen ‚Inneren Auge‘.

„Jedes Mal wenn sie zu viel eingekauft hatte, zerschnitt er ihre Kleider. Wenn Papa zu viel getrunken hatte, mischte sie Bittersalz oder andere Abführmittel in den Schnaps, in der Hoffnung diese Aversionstherapie hilft, aber im Gegenteil. Was er alles mit seinen Abführprodukten gemacht hat, will ich nun nicht näher erläutern…“, sagte ich nur leise, verzog das Gesicht und an den Gedanken daran wurde mir sofort schlecht.

„Hey.. Louise…geht es dir gut?“, hörte ich in der Ferne und sah nur auf, auf einmal verschwand das Bild von meinen Vater im Bad, wie er betrunken dalag in seiner eigenen… und Jason tauchte wieder auf. Er blickte so nervös, hatte sich nach vorne gebeugt. „Ja, klar, geht schon. Ich bin ja nun einige Wochen von denen weg, vielleicht kriegen sie sich wieder ein.“, sagte ich lächelnd, doch ich musste es mir förmlich heraus quälen.

„Wenn du das sagst. Hast du so an sich ein gutes Verhältnis zu deiner Tante? Anscheinend nicht, sonst wärst du ja öfter hier.“, fragte Jason dann ruhig weiter, lehnte sich wieder nach hinten.

Ich strich meine nasse Strähne nach hinten und legte den Kopf schief. So an sich würde ich schon sagen, dass ich meine Tante liebte und es genoss, Zeit mit ihr zu verbringen, doch sein Argument ließ mich zögern zu antworten.

„Ähm….“, in meinen Augen war das schon ein super Anfang.

Doch Jason ließ nicht nach, fragte einfach weiter nach. Anscheinend sagte meine Bedenken im Zögern mehr aus als tausend Worte.

„Und was ist mit deinen Freunden?“

Schläfrig kuschelte ich mich in das Sofa und schwieg einfach. Stille würde wenigstens bedeuten, dass ich nichts Falsches antworten würde. Schließlich hatte man mir noch vor wenigen Wochen bzw. Tagen gesagt, dass Reden Silber und Schweigen Gold sei und ich es nötig hätte, einfach mal die Klappe zu halten.

Bald lugten nur noch meine Stirn und meine Augen hervor, den Rest hatte ich wohlbehütet im Umschlag versteckt.

Eine Zeitlang sagten wir beide gar nichts, sondern sahen uns einfach nur gegenseitig an. Ich wusste kaum wie mir geschieht, doch manchmal ist da mehr als man auf den ersten Schein sieht, denn unsere Blicke tauschten irgendwie mehr aus, als man in Worte ausdrücken kann. Plötzlich wurde ich abgelenkt, als ich etwas Salziges auf der Lippe spürte. Ich strich mit meiner Hand die Lippe entlang und merkte, dass es Tränen waren. Ich weinte…? Wortlos stand er auf und setzte sich neben mich, schloss mich in seine Arme und drückte mich vorsichtig an sich heran. Sofort spürte ich Jasons Wärme durch die Decke hindurch und legte vorsichtig meinen Kopf an seine Schulter, schloss die Augen.

„Ich werde jetzt nichts sagen, bevor ich nicht weiß, was ich zu sagen hab.“, flüsterte ich. Oder war er es? Sicher war er es, die Stimme drang so in mein Ohr hinein, dass ich dachte, ich habe es gesagt. Wie dumm. Wie kindlich! Doch warum hatte Jason das eben so merkwürdig gesagt?

„Ich muss es dir schonend beibringen.“

Nervös schaute ich zu Jason auf, warum verstellte er seine Stimme so komisch? „Was musst du mir schonend beibringen?“, fragte ich nach, doch er runzelte nur die Stirn. „Ich habe kein Wort gesagt, meine Kleine!“

Misstrauisch blickte ich ihn weiter an, doch er strich nur sanft über meinen Rücken, doch seine verräterischen Augen wirkten nicht mehr so glänzend und voll und groß, wie vorhin oder gestern. Nein. Sie schienen mich eher zu warnen, dass ich ganz weit wegrennen sollte…

Sollte ich?

„Wohnst du hier alleine?“, fragte ich vorsichtig nach. Auf einmal war mir seine Nähe lästig… wieso jetzt erst? Ich redete mir immer und immer wieder ein, dass es daran lag, dass er mir fremd war. Doch immer wieder kam der kleine Aspekt in meinen Sinn, dass ich es für wenige Minuten nicht mühselig empfunden habe, sondern sicher, warm, wohlig, einfach nur gut.

Jason wich meinem Blick auf einmal aus und nahm auch seinen Arm weg. „Blexy und ich wohnen hier. Sonst keiner. Meine Mutter ist tot. Mein Vater ist auf Reisen.“, kam es ziemlich trocken von ihm.

„Oh.. das tut mir leid…?“, fragte ich nach, da ich anhand seiner Stimmlage partout nicht wusste, wie man darauf reagieren sollte. Er wollte das Thema anscheinend schnell abgeharkt haben und nicht weiter darüber reden.

Blexy schien auf einmal an zu winseln, als Jason wieder aufstand und sich wortlos in den Sessel gegenüber dem Sofa hinsetzen wollte. Schnell lief sie in einen anderen Raum, schmiss irgendwas um und jaulte leise vor sich hin.

Ich sah ihr nach und drehte mich überrascht zu Jason um, der sich hingesetzt hatte ohne davon Kenntnis zu nehmen, doch dieser hatte seinen Kopf zu Boden geneigt, seine kurzen Haare fielen nach vorne und seine Hand, die stützend auf seiner Schläfe und teilweise Stirn lag, nahm mir die Sicht auf seine Augen. Was sollte das hier alles?

„Jason…? Ist alles okay?“, fragte ich nach und stand auf, die Decke strich von meinen Körper und fiel zu Boden. Mit schnellen Schritten war ich bei ihm und hockte neben seinen Sessel, seine Armhaare stellten sich auf und er seufzte leise… oder war das ein Stöhnen gewesen? Hatte er Schmerzen?

„Was ist mit dir, du hast mir nun zwei Fragen nicht beantwortet. Hast du Schmerzen, wenn ja, musst du mir sagen wo, ich hole dann den Arzt…“, sagte ich und sah mich nach einen Telefon um, doch er griff so schnell meine Hand, dass ich aufschrie und nach hinten kippte, ihn schreckerfüllt ansah.

„Keinen Arzt!“, zischte er böse und starrte mich an.

So ungestüm er mich angesehen hatte, so flüchtig besann er sich eines besseren und schaute weg.

Doch eines blieb mir immer in Erinnerung an diesen Moment.

Auch als er mich wieder packte und mich nach vorne zum Ausgang scheuchte, mir eine Jacke in die Hand drückte und die Tür hinter mir verriegelte, nachdem er mich raus geschubst hatte, alle Gardinen vor die Fenster zog, ich würde es nicht vergessen.

Ich wusste wirklich nicht, was ich getan hatte, indem ich ihm helfen wollte, aber deswegen gleich der Rauswurf?

Ich zog mir seine viel zu große Jacke an und ging frierend nach Hause, um mir dann einzugestehen dass meine Sachen noch bei ihm lagen, bis auf den Schlüssel, den hatte ich in der Hand gehalten die ganze Zeit.

Melissa war noch nicht da und ich nutzte die Chance um zu duschen, wer weiß was in diesen See alles für Bakterien lauerten, zudem war ich ziemlich kalt geworden. Da ich eh schon gefroren habe und nun im Wind nach Hause ging, war die Erkältung am nächsten Tag kein Wunder.

Meine Tante kam früh nach Hause und freute sich, dass ich anscheinend draußen war und wollte mir mit in die Stadt fahren, quasi als Belohnung, doch ich wollte nur noch ins Bett.

Was war das? Ich verlaufe mich im Wald und er findet mich.

Jason.

Jason nimmt mich mit nach Hause und ist freundlich zu mir, fast freundschaftlich! Bis auf einmal sich alles ändert. Die Stimme, sein Verhalten, Blexys Flucht….und was mir am meisten zu denken gibt, war dieser Blick als er mich anfauchte, er wollte keinen Arzt.

Seine sonst so schönen Mandelförmigen Augen waren zu hässlichen schwarzen Schlitzen verzogen.

Ist es das? Das Monster bei jedem, das rauskommt wenn die Wunden wieder anfangen zu bluten?

Bei einen in Aggression, bei anderen in einer Kaufwut, bei anderen in Schönheitsoperationen oder Prostituierten, Apathie, Flucht in die Einsamkeit, Übermäßiger Verzehr von Tabletten, Nahrung, Drogen...

Und bei Jason anscheinend wortwörtlich monströs.

„Lou, du bist sicher du kommst klar? Ich kann heute auch zu Hause bleiben…“

Leicht verdrehte ich meine Augen und stöhnte auf, doch Melissa fasste dies nicht als Zeichen des Nervens auf, sondern so, dass ich vor Schmerzen solche Laute von mir gab.

„Geh. Bitte. Du hast mir alles besorgt, wahrscheinlicher bin ich hier besser ausgerüstet mit Medikamenten als im Krankenhaus, Melissa. Es ist nur eine Erkältung“, sagte ich und nahm kurz ihre Hand, die auf meiner Bettdecke ruhte, während sie mich mit scharfen Blicken durchlöcherte.

„Okay.. okay. Ich hole heute Abend dann was zu essen. Ich beeile mich. Und wenn du irgendwas hast, zöger nicht mich anzurufen, ja Kleines?“, sagte sie immer wieder und entschloss sich dann doch zur Arbeit zu fahren und ihre Nichte zu Hause zu lassen. Mal ganz ehrlich, ich war alt genug um auf mich aufzupassen und nur weil ich etwas Fieber hatte, war ich nicht gleich behindert.

Melissa fuhr nun also dahin und ich ging ins Land der Träume bis zum Nachmittag, als mich ein Klingeln aufweckte. Und eine Stimme.

„Lou…schöner Spitzname.“

Ich rieb mir nur verschlafen meine Augen und sah mich um, doch dann bemerkte ich, dass es das offene Fenster war, was mich geweckt hatte. Und die Hausklingel, die jede halbe Minute anfing herum zu plärren, so kam es mir zumindest vor.

Langsam wickelte ich meinen Schal neu um meinen Hals, während ich herunterging und die Haustür zu öffnen.

„Hey, Lou.“

Mein Blick war anscheinend nicht schlecht, als ich Jason sah, denn dieser fing an zu grinsen. Er lehnte am Türrahmen, hatte diesmal eine Lederjacke drüber geworfen und sein Blick war einfach so herzergreifend, dass ich ihm gar nicht böse sein konnte, dass er mich gestern rausgeworfen hatte. Und seine Augen? Hell und strahlend wie vorher auch.

Ob das eine optische Täuschung gestern war?

Ich zog nur die Augenbrauen hoch und rieb meine Arme, mir war kalt, draußen wehte es heftig und ich hatte nur ein Shirt und eine kurze Hose an.

„Oh.. du frierst…darf ich reinkommen?“, fragte Jason mich und ich schürfte nur meine Lippe, doch nickte und ließ ihn eintreten, deutete nach oben, ich wollte schließlich in mein Bett wieder, drehte mich auf der Ferse einfach um und stolzierte den Weg zurück und kuschelte mich in mein Bett, ohne Jason vorher etwas zu Trinken oder einen Platz anzubieten. Er hatte das einfach nicht verdient, sauer war ich dennoch, trotz seiner Hundeaugen.

„Was hatte nun Blexy gestern?“, fragte ich nach und zog die Decke wieder bis zur Nasenspitze hoch, sah ihn genau an. Wie er einfach in mein Zimmer hineinspazierte, ohne sich auch nur einmal umzuschauen. Er setzte sich einfach auf den Schreibtischstuhl und sah mich genau an. Wieder zog ich meine Decke höher. Wenn ich in fremden Wohnungen drin bin, schau ich mich doch wenigstens einmal um…oder etwa nicht? Genauso würde vermutlich jeder Junge einmal an mir herunterschauen, nicht weil ich besonders hübsch bin, sondern weil kurze Sachen immer dazu animieren. War Jason schwul?

Ich bekam es nicht auf die Reihe.

„Anscheinend hat es nicht geholfen, dass du gleich trockene Sachen bekommen hast. Das tut mir leid“, fing er nach einer kurzen Stille an zu erzählen und musterte mich. Kurz lehnte ich mich zur Seite und nieste einmal, schnaubte meine Nase und sah ihn wieder an. „Es hätte geholfen, wäre ich nicht vor die Tür gesetzt worden, als es angefangen hatte zu stürmen.“, sagte ich monoton und sah Jason akribisch an.

Ich nahm einen Schluck Tee und wich seinen Blick nicht aus, bis er auf einmal aufsprang und zum Bett kam. „Auch das tut mir leid“, sagte er leise und setzte sich auf die Bettkante, meiner Meinung nach viel zu nah. Was hatte der immer mit diesen Nah-kommen, verdammt noch einmal, wir kannten uns nicht, da hat er auf diesen dummen hässlichen Stuhl meiner Tante sitzen zu bleiben, wetterte ich innerlich, doch äußerlich war ich die Ruhe selbst.

Er nahm mir die Tasse aus der Hand und stellte sie auf meinen vollgestopften Nachtschrank, sah mich danach sehr genau an.

Los, hau ab, hau ihn mit der Gemüsekelle, schlag ihm die Tasse um die Ohren, alles in meinen Körper schrie förmlich danach, dass ich mich wehrte, doch ich ließ es zu, wie er meine Hand nahm.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dich gestern anscheinend so verschreckt habe, Lou.“, sprach Jason leise aber mit einer sehr angenehmen Tonlage. Doch warum klopfte mein Herz so heftig?

Ich nickte nur und befreite meine Hand wieder.

„Was willst du, Jason?“, fragte ich nach. Ich hatte nach dem gestrigen Erlebnis eigentlich kein Verlangen nach, mich weiter mit diesen monströsen Menschen aufzuhalten, Freundschaften hatte ich ja eh nicht im Sinn. Wäre ich erst einmal wieder zu Hause, würde ich meinen Alltag wieder nachgehen, stundenlang mich am PC aufhalten und einfach stupide zur Schule zu gehen. Wieso auch nicht? Wenn es mich glücklich machte, dann sollte ich einfach so weitermachen. Hätte ich meinen Abschluss, würde ich eh von zu Hause wegziehen und ein neues Leben anfangen. Auf Familie und angebliche Freunde war eh kein Verlass mehr, wie ich herausstellen durfte. Und auf diesen hier vor mir auch nicht, der weder zum einen noch zum anderen zählte.

„Was ich will…?“, fragte mich Jason und ich nickte nur zur Bestätigung.

„Hm… ich denke ich sollte nach Hause gehen“, sagte er dann leise und stand wieder auf und wollte zur Tür gehen, doch ich stand auf. Besser gesagt, das wollte ich, aber ich verhedderte mich in der Bettdecke und flog geradewegs vom Bette herunter, wenn Jason mich nicht auf einmal halten würde. Scheiße, hatte er gute Konditionen.

Einen mehr oder weniger langen oder kurzen Atemzug hing ich halb auf dem Bett, halb in seinen Armen und spürte, wie mein Herz einen schnellen Takt annahm. „Uh..“, murmelte ich nur leise und blickte dann hoch und zuckte kurz zusammen, wieder waren Jasons Augen merkwürdig verzerrt, doch mit dem nächsten Wimpernschlag war alles wie vorher, seine Augen waren zwar groß, doch wohl eher vor Schrecken. Er zog mich vom Bett und hielt mich so lang fest, bis ich wieder stand, was einfacher gesagt war als getan.

„D-danke“, stotterte ich aufgeregt und setzte mich erst einmal wieder auf das Bett. Er blieb vor mir stehen und hockte sich vor mir hin, legte eine Hand an meine Stirn und fühlte.

„Du hast Fieber… du solltest nicht aufstehen. Genauso das Fenster auf…also wirklich…“, sagte er vorwurfsvoll und drückte mich wieder ins Bette hinein und wischte auf einmal die Decke über mich, während ich das Klappen des Fensters hörte.

Wieder hockte er sich vor meinem Bett hin und untersuchte die vielen Medikamente die da standen. „Hey… das ist nur eine leichte Erkältung, mir geht es gut, warum macht ihr euch alle solche Sorgen immer?“, fragte ich leicht genervt, die Aktion von Melissa heute hatte mir schon gereicht.

„Ich würde dich gerne wieder mitnehmen zum Angeln, und dafür brauche ich dich gesund“, antwortete er karg und suchte dann die passenden Pillen raus und drückte mir diese in meine Hand, während er nebenbei mir ein Glas Wasser eingoss.

Ich schluckte notgedrungen die Medikamente herunter und sah ihn muckend an. „Und was ist, wenn ich nicht will?“

Auf einmal verzog er sein Gesicht zu einer enttäuschten und ein wenig wütenden Miene, aber die Enttäuschung siegte.

Erst sagte Jason gar nichts. Lange Zeit saß er einfach auf den Fußboden und blickte zum Bett, dann zu den Medikamenten, bis er sich unwirsch über das Gesicht strich und leise seufzte.

Diesen Prozess wiederholte er einige Male, bis er dann endlich sprach.

„Hör zu, Louise. Wir haben uns immer und immer wieder getroffen aber jedes Mal auf den falschen Fuß. Ich denke ich bin dir einiges schuldig, was Erklärungen angeht. Du hast mich total überrascht. Ich meine… wer ist so dumm und geht allein als Neuling in den Wald? Du hättest dich viel schlimmer verlaufen können. Und dann auch noch in den See gefallen..ich bitte dich, so komisch kannst auch nur du sein.“, sagte er grinsend und sah mich einen Moment kurz an, doch dann wurde er wieder ernst.

„Ich würde dich liebend gerne noch einmal kennenlernen, und diesmal achte ich auf das was ich sage und mache, versprochen. Ich schmeiße dich nicht einfach wieder raus, wenn es mir zu schwierig wird“, sagte Jason und biss sich dann auf die Lippe.

Ich lehnte mich nach hinten und dachte einen Augenblick nach.

Ach… warum vertraute ich diesen räudigen Hund hier nur? Es lag an Blexy, ganz eindeutig!

„Nagut. Nagut. Machen wir einen Neustart. Ich komm zu dir, wenn es mir besser geht. Du darfst mich gerne besuchen, aber nun möchte ich alleine sein.“, sagte ich dann und ruschelte mich ins Bettchen, in der kurzen Zeit war es immer noch schön warm. Herrlich. „Lou… du musst es aber verstehen…“

Ich sah auf und blickte verwirrt zu Jason, doch dieser freute sich und war aufgesprungen. „Alles klar. Alles klar. Ich lasse dir meine Telefonnummer da, Handy habe ich nicht… also wenn du mich besuchen willst, ruf vorher durch, ich bin für dich da, ich bin dein Mann“, sagte er munter und ging an den Schreibtisch und zog einen Zettel hervor unter dem Haufen von Wäsche.

Woher wusste er das…? Und was sollte das: Ich bin dein Mann? Wollte ich denn einen? Sah ich so aus?

Interessiert blickte ich ihn weiter an und streckte mich kurz, doch war schon etwas munter. Wenigstens gab er zu, dass es unhöflich war. Und er versprach Besserung, was wollte man mehr von einem Mann?!

Vorsichtig strich er über seine Jacke und richtete sich dann. „Ich geh dann… ich geh auch alleine runter, den Weg kenne ich ja und du kurierst dich. Ich schau mal, ob ich morgen oder übermorgen oder so vorbeikomme… sterbe in der Zeit nur nicht“, versuchte er zu scherzen, doch anhand meines Gesichtes konnte er wohl sehen, dass der Witz nicht gerade gelungen war.

„Oh...sorry… das muss ich noch üben…“, sagte er leise und rieb sich den Nacken, was total niedlich aussah.

Einen Moment in der Ungewissheit, was er nun tun sollte, stand Jason da, bis er sich einfach drehte und ging.

Ich lag auf meinen Bett und starrte anschließend an die Wand, die ach so geliebte Wand. Ich dachte über die Welt nach, was wirklich zählt und ich weiß genau, was mich so quält.

Vorher war ich genervt und frustriert, weil in meinen Leben einfach nichts passieren wollte und schon hatte ich das Gefühl, dass gerade etwas Besonderes von Statten ging und ich war wieder nicht glücklich. Ich schaute wieder auf die Uhr. Sie wollte einfach nicht vergehen. Wann kam Melissa mit dem Essen?

Manche Menschen wissen einfach nicht zu schätzen was sie haben. Auch wenn sie vorher ihren tristen Alltag so verhasst haben, sind sie immer noch unzufrieden, wenn sich etwas ändert. Vorher saß ich nur herum, habe die Zeit umzubringen versucht mit Langeweile. Und nun?

Sollte es nicht befriedigend sein, einmal herauszugehen und der Welten Farbenglanz mitzubekommen, der anscheinend hinter meinen Laptop nicht zu finden war? Hatte mich irgendjemand gefragt, ob ich das wollte?

Nein. Niemand fragt einen, wenn du jung bist.

Dann denken immer alle, dass man mir die Entscheidungen abnehmen kann.

Und bisher ist der Weltenfarbenglanz ziemlich stumpf und rostig.

Erschreckt schnappte ich nach Luft, richtete mich auf und fühlte an meinen Hals. Nichts. Keine Monster die versuchen mich zu beißen, zu enthaupten.

Leise keuchend ließ ich meine Hand fallen, suchte nach der Wasserflasche die immer sorgsam neben meinem Bette stand, doch heute mir anscheinend den Dienst verweigerte. Sie war leer.

Mühselig schleppte ich mich aus dem Bett und tapste in die Küche. Das Licht ließ ich aus, Tante Melissa hatte so einen Tick immer gleich hinterher zu rennen um zu schauen ob ich was brauche. Zumindest durfte ich das die ersten Tage immer feststellen, als ich hier her kam. Meine nackten Füße strichen vorsichtig über die Holzstufen und bahnten sich immer ganz langsam ihren Weg zur Küche. Meine Hände strichen über die Paneele und spürten auf einmal den Türrahmen. Ich war da. Immer wieder mit Bedacht fühlte ich mich auf der Arbeitsplatte entlang bis ich beim Kühlschrank war und öffnete diesen. Ha! Melissa wusste eben, dass ich gerne diesen Eistee trank, wunderbar! Gleich aus der Tüte wurde getrunken und den ersten Durst beseitigt, bis…

Ich schreckte zusammen als ich auf einmal einen Stein gegen die Fensterscheibe klatschen hörte. Die Tüte fiel mir beinahe aus der Hand, doch schnell fing ich sie afu, stellte sie hin und rannte zur Tür. Diese Kinder werde ich den Marsch blasen, wenn die noch einmal unser Haus mit Steinen bewerfen!

Doch kaum war ich draußen und der eisige Wind meine Haut traf, bereute ich meinen euphorischen Typus. Ich rieb mir die Arme und sah mich nach links und rechts, doch es war niemand hier. „Scheiße…“, murmelte ich nur und ging wieder hinein, doch auf einmal griff eine Hand nach mir und zog mich in den Schatten, legte etwas vor meinen Mund, dass ich nicht schreien konnte.

Selbst wenn es nicht da gewesen wäre… Wie sollte ich denn Schreien, wenn ich noch nicht einmal Luft geholt habe?

„Hey… ganz ruhig… du schreist nicht, Louise, oder?!“, fragte mich auf einmal eine Stimme an meinen Ohr und ich fiepte nur. Meine Lunge schrie nach Luft, ich musste atmen!

Auf einmal wurde mein Mund befreit und ich schnappte nach Luft, stemmte mir die Hand an die Seite.

„Hey.. was hast du?“, fragte eine bekannte Stimme und ich drehte mich um. „Du?!“

Jason stand vor mir, doch irgendwie auch wieder nicht. Er sah so traurig aus… was hatte er denn nur? „Ich muss mit dir reden Lou…Komm bitte, sobald du gesund wieder bist, zu mir, ja?!“, fragte er mich und nahm für einen Moment kurz meine Hand, doch ließ sie ganz schnell wieder los. Sofort erinnerte ich mich daran, dass dies schon einmal passiert war. Als er mir aufhelfen wollte. War denn meine Haut so eklig? Ich hatte keine Krankheiten und keine Unreinheiten. Was sollte das also?

„Warum sollte ich?“, fragte ich kühl und rieb mir wieder die Arme, doch Jason packte mich an den Schultern, drehte mich auf der Ferse um und drückte mich an die Wand.

„Ich muss es dir erklären. Aber vorerst..schließe dein Fenster, und hänge das auf.“, sagte er und gab mir einen Traumfänger. Was sollte der Kram? War er ein Indianer?

Binnen weniger Millisekunden hatte er mich losgelassen und wollte schon gehen.

„Ach noch was. Pass auf dich auf. Geh abends nicht mehr raus… tu mir den Gefallen!“, sagte Jason und verließ mich darauf, verschwand in einen der Schatten, aus denen er vermutlich gekommen ist.

Was sollte denn das? Ich fragte mich das später in der Nacht immer wieder, während ich den Traumfänger musterte. Komischer Junge. Und wenn er doch ein Monster ist? Heißt es nicht, wenn man ein Monster sieht, muss man es doch vernichten?
 

Es war schon nach Mittag, als ich aufstand. Den Schlaf hatte ich erst mit der aufgehende Sonne gefunden und ich hatte böse Kopfschmerzen. Meine Schläfe pochte die ganze Zeit unangenehm und ich hatte meine Müh und Not aus dem Bett herauszukommen.

Als ich vom Duschen wiederkam sah ich aus dem Fenster, es war ein schöner Tag, hell und freundlich und in der Ferne konnte man Menschen am See lachen hören.

Eigentlich sollte ich ja noch im Bett liegen bleiben, aber eigentlich sagte doch nichts gegen einen schönen Spaziergang, oder?

Melissa hatte mir schon wieder Suppe gelassen und dazu noch einen kurzen Brief, in dem sie sich entschuldigte. Eigentlich hatte sie Urlaub beantragt, stattdessen haben sie ihr mehr Arbeit gegeben, aber es sollte sich bald ändern. Nun ja.. im Moment war ja mit mir eh nicht viel anzufangen, also legte ich den Zettel unwirsch weg und machte mich am späten Nachmittag auf den Weg. Binnen weniger Minuten war ich schon an mein Ziel angelangt: Jasons Haus. Was wollte ich denn hier? Zweimal drückte ich auf die Klingel.

Nichts.

Er war wohl nicht da…

Ich sah nach links und nach rechts, musterte wieder das Haus ob irgendwas merkwürdig daran erschien und seufzte nur. „Es ist dumm, es ist dumm, es ist dumm…“, sagte ich mir immer wieder, während ich um das Haus herum schlich und eine offene Tür oder Fenster suchte. Doch nichts. Alles zu und verriegelt. Verdammt auch noch einmal!

Ich seufzte und lehnte mich hinten auf die Fensterbank, sah hinein, doch konnte nichts erkennen. Hatte er hier getönte Scheiben? Warum fiel mir das nicht schon früher auf?

Langsam schlenderte ich wieder nach vorne und sah mir die Tür an. Von oben nach unten musterte ich sie und blieb an der komischen kleinen Engelsfigur hängen, die neben der Tür stand und eine Laterne in der Hand hielt. Als ich in die Knie ging um mir das ganze näher zu begutachten, fiel mir auf, dass in der Laterne ein Schlüssel hing. „Tada“, sagte ich grinsend und nahm diesen, öffnete die Tür und flitzte schnell hinein.

Wie beim ersten Mal sah hier alles ziemlich unordentlich aus. Gemütlich auf eine Art und Weise, aber unordentlich. Langsam ging ich den langen Flur entlang und suchte nach der Küche, die ganz klein und versteckt hinter dem Wohnzimmer lag. Hier waren keine Fenster.. merkwürdig.

Als ich den Kühlschrank öffnete konnte ich auch nichts Ungewöhnliches finden, doch als ich einen der anderen Schränke öffnete, wurde mir beinah schlecht. Ein bestialischer Geruch kam mir entgegen und zwei Augen in einen Einmachglas schauten mich an. Ich hielt mir schnell die Hand vor den Mund und schmiss die Schranktür zu und rannte aus der Küche. Was sollte denn das!? Langsam ebbte die Welle der Übelkeit ab, nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, doch das Bild aus meinen Augen bekam ich nicht mehr heraus. Kopfschüttelnd sah ich mir die Treppe an und ging einfach hoch. Würde Jason nun wiederkommen, würde er mich hundertprozentig finden, schlich mir der Gedanke in den Sinn, doch mein Körper ging einfach hoch.

Oben waren drei Zimmer, bei dem ersten sah man schon ein Bett, ein großes Himmelbett sogar! Und viele unterschiedlich große Traumfänger hingen über den Bett…

„Der Junge hat sie nicht mehr alle, denkt er, er sei eine männliche Pocahontas?“, redete ich mit mir selber um das Ganze zu bagatellisieren und mir selber die Angst zu nehmen, doch die Gänsehaut auf meine Arme, die sich seit der Entdeckung der Augen gebildet hatten, ging einfach nicht mehr weg. Wie vorher schon einmal schrie mein Verstand danach, dass ich zügig meine Beine unter die Arme nehmen sollte und weglaufen musste, aber ich blieb. Meine Neugier war zu groß.

Ich ging in das nächste Zimmer und blieb im Türrahmen stehen. Bücher über Bücher. So an sich interessant, ich liebte Bücher, aber diese waren vermutlich nur von irgendwelchen Sekten oder so… könnte ich mir bei Jason gut vorstellen. Dass ich mich in ihn so getäuscht hatte… er war nett, hatte sich um mich gekümmert und schmeißt mich dann raus. Seine Augen, seine Haltung… und dann kommt er nachts und erschreckt mich, hält mich fest um dann wieder zu verschwinden und nun diese Augen!

„Lou, hör auf sowas zu denken“, ermahnte ich mich wieder laut selber und ging in den letzten Raum auf der oberen Etage. Die Tür war verschlossen, doch es steckte ein Schlüssel darin. Ich schaute kurz aus dem Fenster, ob man irgendwie Jason sah, doch es fing schon an dunkler zu werden. Abendröte flutete die Landschaft in eine bunte Welt. Doch keine Anzeichen von Jason.

Ich drehte mich zur Tür undwollte den Schlüssel herumdrehen, als mir etwas auffiel.

Auf der Tür waren Flecke. Farbkleckse. So an sich könnte man denken, sie seien vom Streichen dort, aber im ganzen Haus befand sich kein rotes Zimmer. Es hatte schon einen sachten Ton von Blut… wieder rieb ich mir über die Arme.

Wie sie da angeordnet waren, könnte man denken, es sollte ein Kreis aus Punkten und Klecksen darstellen. An irgendwas erinnerte mich das…

Ich blickte noch lange darauf und je mehr ich darauf schaute, dachte ich, sie bewegen sich. „Gestaltgesetze…“, murmelte ich nur langsam. Unvollständige Reize werden zu einen Bild zusammengefügt, weil der Betrachter sie als zusammengehörig sieht.

„Unvollständige Reize…“, flüsterte ich und war total versunken darin, dass ich nicht mitbekam wie jemand die Treppe hoch ging. Die Kleckse und Punkte, die Striche und Kreise, alles fing an sich zu einen Bild zusammenzufügen.

Kreise, Striche, Punkte… Besteht nicht alles nur aus Punkten? Jeder Satz, jedes Wort, jeder Mensch, alles ist ein Punkt.

Ich sah hin und wie von einer magischen Hand geführt fügten sich die Farbkleckse zusammen. Sie zeigten mir Figuren, erst dachte ich, es wären nur willkürlich irgendwelche, doch daraus wurden Menschen.

Schreie. Ich höre Schreie. So fasziniert von diesen Schauspiel was sich mir hier bot, zuckte ich nur kurz zusammen, doch sah nicht einmal hin, was die Quelle dieses Geräuschs war.

Und auf einmal dreht sich der Raum. Ich falle.

Ich falle in ein tobendes Feuer, kullerte weiter und spürte die Hitze der Flammen auf meinen Armen. „Scheiße…was soll das?“, fragte ich atemlos und rappelte mich schnell wieder auf, wollte schon anfangen zu schreien vor Schmerzen.. doch ich fühlte nur die Wärme des Feuers, es verbrannte mich aber nicht.

„Was…?“, fragte ich nur und sah in das Feuer, die Flammen versuchten nach den Himmel zu greifen.

„Ich muss es dir erklären, Lou…“ Diese Stimme…

Kann ich ihr vertrauen?

Ab wann kann man einem Menschen vertrauen, nach einen Jahr? Zehn Jahre? Oder geht das schon nach einigen Tagen…?

Alles woran ich mich erinnern kann war folgendes.

Nachdem diese Stimme mich angesprochen hatte, den Satz gesagt hatte, der immer und immer wieder in meinen Gedächtnis herumschwirrte, fiel ich schon wieder. Doch diesmal lag es nicht am Raum, sondern an mir selber. Ich bin einfach in Ohnmacht gefallen. Umgekippt. Habe das Bewusstsein verloren.

Nach einer langen Zeit, in der schier die Dunkelheit siegte, wachte ich auf. Ich richtete mich auf und saß kerzengerade in einen Bett. Wie kam ich hierher?

Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit und ich konnte nichts sehen. Es war schon spät abends anscheinend, ich musste nach Hause. Dringend, sofort!

Melissa machte sich bestimmt schon Sorgen. Langsam schlug ich die Decke zurück und schwang meine Beine aus dem Bett, doch merkte schon, dass alles in mir kribbelte. Egal, ich muss da nun durch. Schritt für Schritt ging ich langsam nach vorne und versuchte irgendwas abzutasten, bis ich gegen etwas trat und mir die Tränen in die Augen schossen. Was war das denn? Hatte hier jemand eine Gabel hingestellt?

Doch es war nicht eine Gabel, es war mehr so eine Art Draht, der hier gespannt war. Und dahinter… ein Fenster!

In der Ferne sah ich einige Lichter und dann fiel es mir wieder ein. Jason. Ich war bei Jason. Ich bin hineingegangen (Dass ich eingebrochen bin in Wahrheit…. Ließ ich mal unter den Teppich kehren. Schließlich war ich nicht diejenige, die Augen im Glas hatte!) und dann hoch zu dieser Tür, mit den Mustern… Während ich so überlegte versuchte ich verzweifelt das Fenster zu öffnen, doch immer wieder piekste ich mich an etwas. „Warum geht dieses scheiß Ding hier nicht auf..“, brummte ich leise und wollte gegen hauen, als mich jemand an den Schultern packte und nach hinten riss.

„Was machst du da denn bitteschön?!“, fragte Jason mich erbost. Ich schluckte, seine Stimme ließ vermuten, dass er nicht gerade mit mir Kaffee oder Tee trinken wollte.

„Ich wollte es öffnen, hier ist es so stickig gewesen“, sagte ich kleinlaut und stand vom Boden auf, auf den er mich geschmissen hatte.

Warum konnte er mich so gut sehen in der Dunkelheit?

Mit einen Mal wurde ich am Oberarm gepackt und hochgezogen, wieder zum Bett gebracht und drauf gesetzt.

„Leg dich hin, du bist noch zu instabil“, sagte Jason wieder wütend und diesmal traute ich mich nicht, irgendwas zu sagen und deckte mich wieder zu.

Seine Schritte hallten zum Fenster hin und er versuchte dort einiges zu machen, es klang als ob er einen Vorhang davor zog, der aber ein wenig metallisch war. Ein Kettenvorhang? Wohl eher nicht.

Er ging wieder auf mich zu und auf einmal holte er anscheinend ein Feuerzeug heraus und machte Licht an, zündete zwei drei Kerzen an, die den Raum in warmes Licht fluteten. Hatte er keine Nachttischlampe?

Ich sah zum Fenster und bemerkte, dass Jason einen stinknormalen Vorhang vor dem Fenster zugezogen hatte, doch ich war mir sicher, er wollte nur etwas damit verbergen. Die Frage war nur, WAS?

Mein Blick ging nun zu Jason, der noch andere Kerzen anzündete, bis er wohl der Meinung war, es reicht aus und kam dann zu mir und setzte sich auf die Bettkante.

Er sah müde aus, geschafft, wie letzte Nacht. „Ich..ich…“, fing ich an, wollte eine Ausrede mir einfallen lassen, was ich hier zu suchen hätte, doch er unterbrach mich flugs. Schnell und ehrlich. „Wie du dich da rausreden willst, dass du in mein Haus eingebrochen bist, das brauchst du mir nicht zu erklären. Die Frage ist wohl eher, warum du das getan hast und was du an der anderen Tür gesehen hast“

Bedächtig zog ich die Decke an mich heran und versuchte sie zu glätten, aber sie war zu stark dafür. Zu schwer. Also musste ich ihn doch anschauen und es erklären.

„Ich habe schon etwas Angst vor dir. Du tauchst auf und verschwindest und dann… und dann…Du bist komisch, Jason“, sagte ich zögerlich und auf einmal fing er an zu lachen. Was war daran denn zu lachen?

„Das Kompliment darf ich dir zurückgeben, Lou“, sagte er grinsend und lehnte sich an den einen Stützpfeiler. „Du hast Angst vor mir und brichst dennoch in mein Haus ein? Das nenne ich nicht mehr komisch, sondern lebensmüde“, sagte er grinsend und ich sah beschämt zur Decke. „Das war von mir auch eher eine Kurzschlussreaktion… denke ich mal, hoffe ich mal“, sagte ich nur leise und biss mir auf die Lippe. Er hatte Recht, das war wirklich nicht eine meiner besten Ideen gewesen. Er hätte mir etwas tun können! Stattdessen hatte er mich vom Boden aufgehoben und auf sein Bett gelegt, soviel zu gefährlich. (Naja… vielleicht hatte er sich ja einen runterholt, während ich hier Dornröschen gespielt habe. Oh Gott, ich will gar nicht daran denken…)

Ein leises Seufzen kam von mir und ich merkte seinen Blick auf mir ruhen.

„Woran denkst du, Lou?“, fragte er leise, der Spott in seiner Stimme war ganz weg. Jason war einfach nur neugierig. „Ich denke an dich, Jason. Ich frage mich, was die Augen wohl im Glas zu bedeuten haben, ob du die für Rituale brauchst, einfach nur pervers bist oder was die sonst für einen Zweck haben. Und all die anderen tausend Kleinigkeiten, die mir mehr oder weniger aufgefallen sind“, sagte ich ehrlich. Auch wenn ich vorher einen Augenblick an seine Hormonlanze gedacht habe, fragte ich mich diese Dinge wirklich.

Wieder verzogen sich seine Lippen zu einen Lächeln. „Typisch Frauen, hm? Gucken in den Vorratsschrank, um zu schauen was sie zum Kochen gebrauchen können, hm?“, fragte er und bekam dafür als Antwort ein Kissen gegen den Kopf gehauen.

„Nein nein..ich bin ja schon ehrlich. Ich brauche sie für ein Ritual.“, sprach er, doch ich unterbrach ihn sofort. „Wo ist Blexy?“, fragte ich schnell und sah mich um.

„Die ist unten in der Stube. Sie traut sich nicht hoch, sie hat Angst.“, bekam ich zur Antwort.

„Angst? Wovor denn? Dass du so dolle schnarchst?“

Sein Lachen war echt angenehm, tief, seine Stimme war immer etwas rau danach, ziemlich attraktiv.

„Nein. Sie hat Angst vor dem Raum, an dem du zusammengebrochen bist“, sagte er ruhig und sah mir genau in die Augen. Irgendwas in mir verlangte danach zu wissen, was in dem Raum sei, doch ich hielt mich zurück.

Es war vermutlich eine Art Blickduell, das wir hier veranstalteten. Wer zuerst blinzelt, hat verloren und muss in die Unterwelt, oder so.

Doch er legte den Kopf etwas schief und strich sich den Hals entlang, sah auf einen Punkt neben mir.

„Bitte trink etwas. Ich habe dir dort Tee und Wasser hingestellt. Du bist noch nicht vollkommen gesund, dass du umgekippt bist. Also wirklich. Nächste Mal, wenn du in ein Haus einbrichst, sei gesund und pass auf, dass du den Schlüssel zurücklegst, sonst kriegt es jeder gleich mit.“, tadelte er, doch lächelte immer noch.

Ich sah Jason noch einen kurzen Moment an. Hatte es einen Grund warum er diese Sachen anhatte? Alles in Schwarz und dann noch so eine komische Tasche um seine Hüfte, ebenso hatte er verschiedene Gurte. Ich verzog eine nachdenkliche Miene und nahm mir dann das Glas Wasser, nippte vorsichtig daran.

„Du hast doch Fragen auf dem Herzen. Trau dich doch“, sagte Jason leise, wisperte es mir förmlich zu. Er gab freiwillig zu, dass er etwas zu verbergen hatte und wollte mir nun alles sagen?

Das war doch eigentlich ein Wink mit dem Zaunpfahl, eigentlich schon ein Klaps auf den Hintern!

Ich stellte vorsichtig mein Glas ab, nahm es mir doch noch einmal und trank einen Schluck, stellte es wieder ab und schmiss die Decke zurück, krabbelte auf Jason zu und kniete mich vor ihm hin.

Seine mandelförmigen Augen ließen keiner meiner Bewegungen außer Sicht und man merkte, dass er förmlich verwirrt war.

„Okay. Jason?“, fragte ich dann leise, leckte mir über die Lippe.

Er nickte nur, doch ehe ich etwas sagen konnte, legte er einen Finger auf meine Lippen.

„Bevor ich dir irgendwas beantworte…versprich mir, nicht weg zu rennen. Du würdest es nicht überleben.“; hauchte er und schon stellte sich gleich mein Weglauf-Reflex ein. Ich würde es nicht überleben, weil… er mich köpfen würde?

„Okay. Also.. we..-“, ich wollte gerade einwilligen, als etwas an der Scheibe klopfte, anfing zu schreien. So hoch, dass mir die Ohren weh taten. Jason sprang auf und bückte sich und zog ein Schwert unter dem Bett hervor, näherte sich dem Fenster. Vorsichtig zog er den Vorhang zurück, während ich nach hinten an die gegenüberliegende Wand krabbelte.

Was zum Vorschein kam, hatte ich wirklich noch nie in meinen Leben gesehen.

Große Augen. Zwei große dunkle Augen starrten mich an, während eine schwarze lange Zunge über die blutverschmierten Fangzähne leckte. Und schrie.

Und mit einem Mal war es weg, das Monster verstummte.

Ich sah verwirrt zu Jason, doch er ging zum Fenster und beobachtete das Geschehen draußen.

„Komm her…aber ehe du schreist“, sagte Jason und deutete auf den Platz neben sich. Ich schlich mich vorsichtig an ihn heran, stellte mich jedoch hinter ihn und schaute über seine Schulter aus dem Fenster.

Ein kleiner Spalt in der Erde tat sich auf, aber es blieb nicht dabei. Er schien zu wachsen, Stück für Stück brach der Boden auf und gab eine Hand mit spitzen, langen Klauen frei. Kurz darauf gefolgt von einer weiteren. Die Pranken waren gigantisch und mit Sehnen überzogen, man konnte geradezu sehen wie das Blut in den Adern pulsierte – es war mit nichts irdischem vergleichbar, zumindest fiel mir gerade nichts ein. Meine Hände legte ich auf Jasons Schulter und sah ihn kurz erschrocken an, doch er deutete mit seinem Kinn nach unten, das Schauspiel war anscheinend noch nicht vorbei.

Der zuvor eher schmale Spalt wurde breiter und offenbarte einen monströsen, schwarzen Schädel, leere, tiefe Augen blickten hervor und spähten nach etwas Essbarem. Als die Kreatur ihren Kopf in die Höhe streckte, war erneut ihr markerschütternder Schrei zu hören. Sie schien sich über die Enge in ihrem Verließ zu beschweren.

Langsam suchten ihre Finger den Weg über den Boden, bis die Klauen sich urplötzlich in die Erde krallten, so zog sie sich vorsichtig aus ihrem Gefängnis, nun waren ihre ledrigen Flügel zu sehen. Stück für Stück kam der muskulöse Körper zum Vorschein, sie bleckte die Zähne bei dem Gedanken an verschmutze und traurige Seelen, die sie bald fressen könnte.

Zunächst konnte sie sich nur auf allen Vieren vorwärts bewegen, stumpf war das Knacken der Knochen zu vernehmen, als sie sich vollkommen durch den Spalt gezwängt hatte. Ihre Bewegungen wirkten unkoordiniert als es über den dreckigen Grund krabbelte und versuchte aufrecht zu stehen. Sein Freund von eben krabbelte auf ihn zu und gemeinsam schrien sie sich an, sahen zum Fenster hoch und verschwanden in der Dunkelheit.

„Scheiße, was war das denn?“, fragte ich Jason und war mir eben erst seiner Nähe bewusst, die ich hervorgerufen hatte durch das heran drücken.

„Seelenfresser“, sagte Jason und trat einen Schritt beiseite und legte seine Waffe wieder unter das Bett.

„Wie bitte?“, fragte ich und trat erst einmal weit vom Fenster zurück. „Du brauchst keine Angst haben, die Fenster sind aus Panzerglas. Bis die das geknackt haben, dauert es Stunden und wenn bin ich ja noch da.“, sagte er ganz seelenruhig, als würde er von einen Gewitter sprechen oder eine kleinen winzigen UNGEFÄHRLICHEN Spinne!

Ich zog nur die Stirn kraus und ging aus dem Raum raus, die Treppe hinunter und spürte wie Jason mir hinterher kam, mich festhielt. „Wo willst du hin? Da kannst nicht raus, es würde dein Tod bedeuten!“, sagte er scharf und zog mich gegen meinen Willen die Treppe wieder hinauf. „Lass mich…ich wollte zu Blexy…denn verzeih mir die Ehrlichkeit, du bist nicht gerade vertrauenswürdig mit deinen Augen im Glas und dem Schwert unter dem Bett!“, zischte ich.

Augenblicklich ließ er mich los, und sah mich einen Moment merkwürdig an. „Komm mit ins Schlafzimmer, da ist es am sichersten. Ich tu dir auch nichts. Und ich versuche zu erklären…“, sagte er leise und sah auf den Boden, wartete darauf was ich machen würde.Blexy war nur ein Welpe… „Wieso kommt sie nicht mit hoch? Wenn es oben doch am sichersten ist?“, fragte ich nach, doch er deutete nur auf den Raum mit den komischen Figuren und Farben.

Er sah zum Raum und deutete dann auf sein Schlafzimmer.

„Bitte komm mit. Ich will das hier nicht im Flur klären, das ist ein wenig dämlich.“

„Als ob es im Schlafzimmer mit uns beiden anders wäre“, antwortete ich nur bissig und ging dann wieder rein, anders würde ich ja nicht zu meinen Antworten kommen.

Ich setzte mich auf das Bett und nahm mir mein Glas, trank noch einen Schluck.

Er sah aus dem Fenster und setzte sich dann wie vorher so hin, dass er sich an die eine Stütze lehnen konnte.

„Also...“, fing er an und sah mich kurz an. „Das war ein Seelenfresser. Früher war es einmal ein Mensch, hatte ein Leben, Freunde, war ganz normal, wie du und ich“, doch dann stoppte er sich wieder selber. „Nun ja.. so normal sind wir nicht, das sind schlechte Beispiele… aber du weißt ja was ich meine“, sagte Jason grinsend. Wieso war ich denn nicht normal?

„Sie wurden grausam hintergegangen, sie wurden ermordet, vergewaltigt, was weiß ich, auf jeden Fall werden sie nie in Frieden ruhen können. Ihre Leiche geht in den Boden hinein und heraus kommt so eine Kreatur. Die langen scharfen Fangzähne, die du schon gesehen hast fressen jegliche Seele, die sie finden können. Sie bohren sich in jeden Leib, in der Hoffnung ihren Frieden durch diese Rache zu kriegen und ihren Körper zu behalten, doch sie zerfleischen wohl eher ihre Opfer. Eigentlich sind es arme Viecher...“, endete Jason seinen kurzen Vortrag und schaute wieder aufmerksam aus dem Fenster, doch es war alles still. Nichts war zu hören oder zu sehen.

„Und warum meintest du, ich wäre nicht normal?“, fragte ich leise an und Jason drehte sich zu mir, musterte mich einen Moment, bis er sich vorbeugte und mir gefährlich nahe kam, doch er legte nur seine Hand auf meine Stirn.

„Diese Seelenfresser suchen gleichgesinnte.“, antwortete er stattdessen und ich zog die Augenbrauen zusammen, doch dann fiel es mir auf, was er mir damit sagen wollte. „Willst du sagen ich wäre wie so ein Vieh? Was weiß ich..kann niemals in Frieden ruhen und suche nach Rache?! Also, das ist ja die...“, fing ich an, doch er schüttelte nur den Kopf.

„Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass du so nach Rache dich suchst. Du bist eher ein kleines Mädchen, was viel zu neugierig ist“, fügte er stattdessen hinzu und ich verschränkte nur die Arme.

Er musste lachen.

„Ich habe deiner Tante eine Nachricht hinterlassen von deinem Handy, du pennst heute hier. Ich kann dich nicht mehr nach Hause bringen, es wäre zu gefährlich für uns beide. Zudem… können wir uns so besser unterhalten“, fügte er lächelnd hinzu, doch es minderte nicht gerade meine Angst. So machen es also heutzutage die modernen Kidnapper, schreiben einfach eine SMS nach Hause vom eigenen Handy und haben so mehr Zeit einen hier zu behalten, dachte ich sarkastisch, doch nickte nur. Würde ich ehrlich sein, wollte ich noch gar nicht Hause, aber das musste man diesen Neunmalklugen Jungen hier nicht sagen.

„Wieso wohnst du hier alleine, wenn sie dauernd einen angreifen?“, fragte ich nach und schon erlosch sein Lächeln.

„Ich sorge dafür dass diese Viecher keinen angreifen. Und keinen neuen verwandelt werden. Wenn man ein Monster sieht, muss man es doch vernichten, oder? Leider sehen zu wenige Leute diese Viecher.“, sagte er seufzend und meine Alarmanalgen innerlich schrillten auf. Das hatte ich schon einmal gehört. Von mir, wenn man es genau nimmt. Scheiße, was sollte das?

„Wer bist du, Jason?“, fragte ich nach und war mir nicht einmal sicher, ob es draußen wirklich gefährlicher sein sollte, als mit diesen Jungen.

Seine Zähne blitzten gefährlich auf und seine Augen wurden schon wieder so dunkel, leer… finster!

Ich schreckte zusammen.

„Ich bin wie du und doch nicht wie du. Ich bin ein Mensch und doch kein Mensch. Ich rette Leben und bin immer hilflos. Ich bin alles und ich bin nichts“, antwortete er flüsternd und schlich auch mich zu, doch ich schmiss mein Glas gegen seinen Kopf. Er zuckte zurück und hielt sich die Hand gegen die Stirn, stöhnte auf. Ich nutzte die Chance und sprang auf, rannte herunter, doch die Vordere Haustüre war verschlossen und kein Schlüssel war in Sicht. Ich rannte zum Wohnzimmer, Blexy sprang auf und bellte mich freudig an, dachte ich würde mir ihr spielen, doch ich rannte zu diesen Fenster, doch alles war versiegelt. Ich hörte oben Schritte. Scheiße. Scheiße!

Ich rannte in die Küche und nahm mir das lange Messer aus dem Schneideblock, flitzte in die Badestube und stieg in die Wanne um an das Fenster ranzukommen und tatsächlich, es ließ sich öffnen. „Halleluja“, seufzte ich und riss es auf und kletterte schon auf das Fenstersims und wollte hinausstürmen, als auf einmal ein schreiendes Gesicht vor mir erschien. Der Seelenfresser. Es fauchte und sprang auf mich zu, ich hielt das Messer nur oben, doch wirklich bewegen konnte ich mich nicht oder mich bewegen. Es würde seine langen Zähne in mein Fleisch versenken und mich zerstückeln. Scheiße. Scheiße! Verdammte Scheiße!

Doch auf einmal wurde ich am Kragen nach unten gezogen, ich fiel unsanft in die Wanne. Kurz war alles dunkel vor meinen Augen, doch als ich sie wieder aufmachte sah ich wie Jason über mir stand und das Fenster zugeknallt hatte, nachdem es mit einer Waffe auf das Monster geschossen hatte. Auf seine Stirn war rannte das Blut nach unten, mein Glas hatte ihn ziemlich verletzt. Und doch hatte er mich gerettet. Oder wollte er mich nur für sich haben?

Er drehte sich zu mir, seine Augen waren immer noch so dunkel und gefährlich. „Louise, was denkst du dir denn? Ich habe nicht umsonst gesagt, geh nicht raus, du dummes Ding“, schrie er mich an und fasste sich kurz an die Schläfe, seufzte und rieb sich die Augen. Als er mich wieder anschaute war alles wie vorher, normal. Immer noch traute ich mir nicht mich zu bewegen.

„Komm her… Komm aus der dummen Badewanne raus“, sagte er nur leise und gab mir seine Hand, die ich missachtete.

Er beugte sich runter und griff meinen Oberarm, zog mich mit einem Ruck hoch. „Autsch..“, wimmerte ich leise.

„Verstehst du nicht? Sie wollen deine Seele, gehst du raus bist du des Todes geweiht. Ich wollte dich nicht verschrecken…“, sagte er leise und sah mich wieder scharf an, als hätte er Angst ich könnte umkippen, oder wieder etwas nach ihm werfen. Das Messer hatte ich immer noch in der Hand.

„Ich muss dir einiges erklären… aber du musst verstehen, ich will dir nichts böses, egal wie ich bin und was ich mache.“, sagte Jason eindringlich und ließ seinen Blick nicht von mir.

„Und warum wollen sie meine Seele?!“, fragte ich leise nach, zitterte immer noch wie Espenlaub.

„Alles zu seiner Zeit…“

Wir beiden standen nun in der Badewanne, Jason war am bluten und ich am zittern. Konnte ich ihm vertrauen oder nicht?

Lange Zeit, zumindest kam es so für mich vor, starrte der junge Mann mich weiter an, bis er dann aus der Wanne stieg und mich einfach hinterher zog.

„Ich nehme dich wieder mit nach oben. Ich bringe dich zum Bett und du setzt dich dahin. Wehe du läufst wieder weg, dann muss ich dich zu deiner eigenen Sicherheit fesseln, Louise“, sagte er brummend und ich nickte nur, wisperte ein kurzes ‚ja‘ damit er es auch vernahm, dass ich gehorchen wollte. Wieder fasste er sich an die Stirn und stöhnte nur leicht und ich kräuselte die Stirn, doch dann fiel es mir wieder ein, dass ich ja an der ganzen Misere schuld war. Hatte ich ihm doch das Glas an den Kopf geworfen, selbst wenn er der Böse sein sollte, solche Kopfschmerzen hatte wohl niemand verdient.

„Wo hast du Verbandszeug und Arznei? Das muss irgendwie behandelt werden“; sagte ich leise und schämte mich selber, dass meine Stimme so zittrig war. Jason starrte mich noch einmal an, schaute vermutlich, ob ich es ernst meinte und nickte dann und deutete auf den Badezimmerschrank hin. Ich bückte mich und sah einen großen Korb mit allen was wir brauchten. Flugs holte ich ihn heraus und sah ihn an, er nickte nur und ging die Treppe hoch und schaute immer wieder, ob ich ihm folgte. Selbst wenn er der Böse war…. Diese Geschichte eben mit dem Seelenfresser oder was das für Gestalten waren, das war mir eine Lehre, heute Nacht gehe ich nicht mehr vor die Tür.

„Wie kommt es, dass diese Viecher nicht die Hauswand durchbrechen oder so?“

Meine Frage schien ihn zu amüsieren, denn ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Deswegen brauche ich die Augen… auch wenn einige Kräuter und Rituale sie abhalten in Häuser einzubrechen, es sei denn jemand macht mutwillig das Fenster auf“, betonte er extra und sah mich nur vorwurfsvoll an, doch erzählte dann weiter als wir im Schlafzimmer wieder waren „so an sich aber können Schweineaugen vom Metzger sie nicht töten.“

Ich musste fast lachen bei dem Gedanken. Als ob er einen Blumenstrauß voller Kräuter hier aufhängt, Salz um das Haus streut und die Augen quasi als Traumfänger auf hängt. Im gleichen Moment schaute ich an die Decke des Schlafzimmers und kontrollierte alle Fänger, nicht dass es wirklich so war.

Wieder ließ Jason ein fast lachendes Geräusch von sich und ich sah ihn böse an. „Das sind ganz normale Traumfänger… wie man sie halt braucht“, sagte er nur zur Beruhigung und setzte sich auf das Bett. Ich stellte die Kiste neben ihn hin und stellte mich vor ihm, sah mir die Wunde an. „Tut mir leid...“, sagte ich leise und zog eine Miene, doch er brummte nur vergnügt. „Mir haust du ein Glas gegen den Kopf, so einen doofen Seelenfresser starrst du nur an. Was soll ich dabei denken?“; sagte er neckend und ich zog nur eine Miene. Das Vieh hätte mich angreifen können und normale Wesen hau ich eins mit dem Glas rüber. Wie dumm ich doch war…

Ich sah in die Kiste und suchte alles raus was ich brauchte. Desinfektionsspray, Nadel und Faden, damit man wenigstens im Notfall einen Stich machen konnte, und Pflaster.

„Hey… schau nicht so. Das sollte ein Witz werden“, sagte er dann leise und ich spürte seinen Blick auf mich ruhen, doch ich sah ihm nicht in die Augen.

„Haha. Stille halten.“, brummte ich nur leise. Jetzt wollte er mich auch noch beruhigen, na toll. Hallo schlechtes Gewissen. Gründlich tat ich meine Arbeit und sah ab und zu zum Fenster, doch es war alles still. Keine Viecher, die einen noch irgendwie bedrängten.

„Sie kommen diese Nacht vorerst nicht mehr, keine Sorge. Sie hauen ab, beraten sich… sofern das möglich ist. Vermutlich schreien sie sich nur wieder an“, kam es leise von meinen ‚Patienten‘. Ich nickte nur und klebte vorsichtig ein Pflaster auf seine Stirn und sah Jason etwas lächelnd an.

„So.. und noch einmal Entschuldigung. Es tut mir wirklich leid.“, murmelte ich nur leise und setzte mich neben ihn.

Einen Moment sahen wir uns beide lange an, musterten den anderen und dann seufzte ich leise.

„Ich denke ich sollte schlafen… darf ich...?“, fragte ich und deutete auf das Bett und er nickte nur.

„Gute Nacht, Lou. Und entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten…. Ich mach die Kerzen aus, dann kannst du besser schlafen“, sagte er liebevoll und stand auf. Während ich mich ins Bett legte und die Decke so hoch wie möglich zog, stand Jason auf und machte eine Kerze nach der anderen aus, bis das Zimmer dunkel wurde und meine Müdigkeit erstickend wurde und ich in einen tiefen Schlaf fiel.

Es dämmerte gerade, als ich wieder aufwachte. Nachdem ich meine Augen rieb und mich einmal umdrehte, fing ich an zu schreien. Vor mir lag ein Junge!

Mit einem Ruck hatte ich ihn aus dem Bett befördert.

„Hey!“, sagte dieser ganz böse und versuchte wieder ins Bett zu krabbeln, wuschelte sich durch die Haare. Jason.

Ich räusperte mich nur und zog die Decke etwas höher bis zur Nase und sah mich um. Genau, ich war ja immer noch bei ihm. Bedächtig schwang ich meine Beine aus dem Bett und ging zum Fenster, öffnete die Vorhänge und zog die Augenbrauen hoch. Hier war tatsächlich ein Draht gespannt. Ganz dünn und mit winzigen Stacheln versehen zog er sich quer vorm Fenster hin.

„Kommen sie morgens denn nicht oder am Tage?“, fragte ich nur nach. Schließlich waren wir ja auch im Wald tagsüber und so ist mir ja auch nichts passiert.

Der junge Mann legte sich wieder ins Bett und schloss seine Augen wieder. „Nein.. irgendwas haben die mit der Sonne. Früher dachte ich es wären irgendwie …sowas wie Vampire. Mit den Zähnen und der Sonnenphobie und so… nur leider half damals kein Kreuz gegen sie“

Wie er das sagte, als ob er etwas bereut… Ich drehte mich wieder um und ging zum Bett.

„Was ist passiert?“

„Nichts. Nichts Wichtiges…“

Damit schien die Unterhaltung beendet zu sein. Nach einer halben Stunde meinte er nur, dass er mich nach Hause bringen würde und wenn ich Lust hätte, würde er mich heute Nachmittag abholen, mit Blexy in den Wald gehen.

Ich nickte nur und er brauchte mich nach Hause, ohne noch etwas zu sagen. Seine Wunde am Kopf war verkrustet und ich hatte ein schlechtes Gewissen.

An manchen Tagen fragte ich mich echt, was Leben hieß.

Ob die Wunden schneller heilen, die man einen zu fügt. In einer Parabel wurde einmal beschrieben, dass egal was für eine Wunde ist, und egal wie sehr man der Person verzeiht die einen das zugefügt haben, man immer eine Narbe als Andenken trägt.

Die äußerlichen Wunden kann man überschminken.

Einige tun das, andere tragen die Narben die ihnen das Schicksal zufügte mit Stolz, wieder andere um sich mit Schrecken vor Augen zu halten was passiert wenn und wieder andere verbinden Erinnerungen mit ihnen.

An gute wie auch schlechte Zeiten.

Aber Wunden die tiefer gehen... Die lassen sich nicht einfach überschminken, heilen oder sonst was.

Wie sollte man auch ein gebrochenes Herz reparieren, wie könnte man den Stolz, der einem zerbrochen ist, wieder zusammenflicken?

Und wie bringt man eine Seele, die schon lange ihren Glanz verloren hat wieder zum strahlen?

Kann man das Vertrauen in sich selbst einfach wieder herstellen?

Ich denke, dass Jason ganz gewaltig Hilfe bräuchte. Und ich würde versuchen diese ihm zu geben.

Ich schlug meine Augen auf und befand mich im Wald. Was war los?

Meine Erinnerung schien mir einen Streich zu spielen, ich hatte wirklich keine Ahnung wie ich in den Wald gekommen bin. Alles war dunkel, in der Nähe hörte ich etwas knistern. War da jemand?

Schnell rappelte ich mich auf und versuchte die Geräuschquelle ausfindig zu machen, drehte mich immer wieder um meine eigene Achse und hielt sogar den Atem an. Was war das? Mal erklang es hinter mir, dann neben mir, und immer wenn ich mich drehte kam das Geräusch woanders her. Aber eins war sicher, es kam immer näher.

Die Panik packte mich und ich lief einfach los, versuchte im Wald mich irgendwie zu orientieren, doch es kam mir so vor als würde es immer dunkler werden, bis ich auf einmal auf einer Lichtung stand.

Ich keuchte, dieser kleine Sprint hatte mir irgendwie förmlich meine Luft weggeschnappt. Das Adrenalin ließ das Blut in meinen Adern einen Marathon laufen, bzw. fließen und ich hörte nur das monotone Pochen meines Herzens.

Bis..

Ein markerschütternder Schrei fiel, ein bekannter Schrei. Ich lief mitten auf die Lichtung zu, dort konnte ich wenigstens mehr sehen und sah mich um. Und noch ein Klageton und noch einer…

Ein Fehler, hier mitten auf der Lichtung zu stehen, wie mir schmerzlich bewusst wurde, als etwas mich anspring. Damit konnte ich nicht nur besser sehen, sondern wurde auch selber besser gesehen.

Der Schrei drang in meine Ohren, ich versuchte zu entkommen, drehte mich auf den Rücken um wenigstens meinen Angreifer zu sehen und blickte in das Gesicht eines Seelenfressers.

Noch einmal schrie es und ich sah mich um, überall kamen diese Viecher her, bildeten einen Kreis um uns, fast so, als würden dem Schauspiel beiwohnen wollen, wie ich gleich gefressen werde… die Wut stieg in mir auf.

Mein Blick ging schnell wieder zum Seelenfresser über mir, seine Klauen bohrten sich in mein Fleisch und seine langen Zähne blitzten gefährlich auf, als er mich mit seinen leeren, trüben Augen ansah. Doch so leer waren sie auf einmal nicht, sie kamen mir bekannt vor…

„Jason?“, fragte ich nur verwirrt, doch in dem Moment schlug der Seelenfresser seine Zähne in meine Brust, der Schmerz war schier unerträglich und ich schrie auf….

Mit einem Ruck saß ich gerade auf meinem Bett, das Shirt klebte an meinen Rücken und einzelne Schweißperlen suchten ihren Weg über meine Stirn.

Es war hell, meine Digitaluhr am Bett zeigte 14:38 an. Es war Tag, und ich saß in meinem Bett. Hier bei Tante Melissa. In meinen Bett.

„Es war nur ein Traum…“, murmelte ich als auf einmal die Tür aufgeschlagen wurde. Melissa hatte heute frei und nur komisch geguckt, als Jason mich heute früh nach Hause gefahren hatte.

Sie freute sich sichtlich, dass ich Anschluss gefunden hatte, aber ihr wäre es bei weitem lieber, wäre es ein Mädchen. Doch wenn sie nur wüsste…

Doch sie sagte nichts. Schließlich war ich alt genug und ‚ich‘ hatte ja Bescheid gesagt.

Melissa kam zum Bett und kniete sich neben mir, strich mir über den Kopf.

„Hey, hey.. alles klar?“, fragte sie und sah mich prüfend an. „Es war nur ein Traum, Honey, kein Grund zur Angst“, murmelte sie und lächelte mir gutherzig zu.

„Schon okay… entschuldige, ich habe gestern wohl zu viel Cola getrunken, man sagt ja von Süßes kriegt man Albträume und so“, sagte ich nur und schmunzelte. Aber hallo, wie viel Zucker musste ich denn intus haben, wenn ich mir das alles nur einbildete? Jeder Pfefferkuchenmann oder jede Zuckerwatte wäre neidisch auf mich!

„Hey.. Kleine, ich habe übermorgen Zeit, wollen wir ein wenig shoppen? Die Extraschichten in letzter Zeit werden gut bezahlt“, sagte sie grinsend und ich erwiderte es nur. Shoppen? Naja, warum denn nicht.

Ich nickte nur und sie wuschelte mir wieder über den Kopf. Wah…wie ich das hasse! „Ich gehe heute noch so einkaufen, brauchst du was, oder willst du mit?“

Erst war ich Feuer und Flamme gewesen, doch im selben Augenblick fiel es mir ein, dass ich zu Jason wollte.

Ich schüttelte also nur den Kopf und sie sah einen Moment verwirrt aus, doch stand auf und lächelte wieder. „Bring mit Chips mit“, sagte ich grinsend und schwang mich ebenfalls aus dem Bett.

„Ich geh noch einmal raus“, sagte ich eiligst und verschwand im Bad, ehe sie noch irgendetwas sagen konnte.

Nach ein paar Minuten konnte ich hören, wie sie das Haus verließ und ich beeilte mich, mich fertig zu machen, schnappte mir noch beim Anziehen das Telefon und rief Jason an, oder zumindest diese Nummer, die er mir gegeben hatte. Ich lag gerade auf den Rücken, versuchte diese dämliche Hose zu zukriegen, als auf einmal jemand ans Telefon ging. Und es klang gar nicht nach Jason, sondern nach einen älteren Herrn.

„Ja?“

Ich hatte meine Hüfte hochgehoben und blinzelte verdutzt.

„Entschuldigung, ich habe mich wohl verwählt…“, murmelte ich nur und wollte schon auflegen, als auf einmal... „Lou? Ich bin es, Jason.“

Mit einen Mal ließ ich mich auf den Boden krachen und stöhnte nur kurz, ich bin auf meine Bürste oder so gefallen.

„Oh Gott.. ich habe dich gar nicht erkannt!“, sagte ich nur leise und räusperte mich kurz, als ich ihn lachen hörte.

„Ja.. wenn ich genervt bin, und das war ich gerade von mir selber, kommt das schon einmal vor. Dann brumme ich meist…“, sagte er vergnügt und tatsächlich, es klang schon ‚heller‘, mehr nach ihm.

„Warum warst du denn genervt?“, fragte ich neugierig nach und wartete eine Antwort ab. Erst nach wenigen Sekunden hörte ich einen Seufzer, doch dann antwortete er: „Nun ja..ich dachte ich habe jemanden weh getan, indem ich nicht ganz ehrlich war. Teilweise etwas verschwiegen habe. Ich mag diese Person sehr gerne, sie …also die Person“, verhaspelte er sich schnell und ich musste grinsen, hob meine Hüfte und versuchte weiter mich in diese Jeans reinzukriegen. Dummes Ding aber auch!

„Nun ja.. und daher war ich genervt, weil ich nicht gedacht hatte, dass du noch anrufst“, sagte er auf einmal und ich lächelte wieder.

„Hm.. du magst mich also sehr gerne?“, stichelte ich ihn an, irgendwie war ich doch dämlich!

Bei dem einen Moment schlug ich ihm ein Glas gegen den Kopf, im nächsten hielt ich ihm ein Messer entgegen und dann scherzte und lachte ich mit ihm rum, dass wir beide im selben Bett geschlafen haben, lasse ich einmal außen vor.

Ein Glucksen war auf der anderen Seite des Hörers zu hören.

„Du meintest, wenn ich mich mit dir treffen mag und wir spazieren gehen wollen, soll ich anrufen…“, fing ich an und auf einmal verstummte das Glucksen.

„Noch da?“

„Ja ja… ich wunder mich nur gerade. Bist du dir sicher?“

„Sollte ich es nicht?“, fragte ich verwundert nach und erinnerte mich an die gefährlichen Augen, sein starrer Blick… eine leichte Gänsehaut überkam mich.

„Nein nein, ich freue mich. Ich hole dich ab, ich zeige dir ein paar schöne Schluchten am Strand. Wir können baden, die Sonne scheint ja und warm genug ist es auch. Also..falls du Lust hast…“, fing er gleich wieder an und ich musste grinsen.

„Gar kein Problem für mich.“

„Okay, ich komme gleich, bin in Zehn Minuten da“, sagte Jason dann munter und legte auf.

Ich lag auf meiner Bürste, immer noch oder besser gesagt schon wieder und schmunzelte nur. Er hatte sich tatsächlich Gedanken gemacht… doch ich hatte noch viele Fragen offen. Ich sah auf meine Uhr und stand schnell auf, verdammt, Baden fahren. Vielleicht sollte ich mich dann doch noch einmal umziehen!

Während ich in meinen Koffer verzweifelt kramte, fragte ich mich immer wieder selbst, warum er so war wie er war. Er war ein junger Mann, wie kam es, dass er ganz allein lebte, und sich der Jagd auf Seelenfresser versprochen hatte? Bis auf Blexy war alles ungewöhnlich im Haus. Und wo war seine Familie, gerade weil er noch so jung war, müsste es doch irgendjemand auffallen, was er da tat. Oder war es gerade, weil Jason anders war?

Schwamm der Fisch immer in der Menge, egal was passiert?

War es den anderen Antilopen gleichgültig, was geschah, weil der Löwe auf der Jagd war?

Einer für alle, aber niemand für ein Muskeltier?

Nennt man das eine funktionierende Gemeinschaft?

Als ich fertig war, alles zusammen hatte, fiel mir eins auf: Der See… er war so tief das man den Grund nicht sehen konnte. Was wäre wenn…?

Auf einmal klingelte es und riss mich aus meinen wirren und tiefen Gedanken. Schnell einen Zettel für Melissa geschrieben, übersprang ich danach schon einige Stufen der Treppe und rannte zur Tür, öffnete Jason die Pforte. Was für ein merkwürdiger Anblick? Er stand dort mit einer Badehose und einen Hemd, bei dem oben einige Knöpfe geöffnet waren und es wirkte dämlich.

Nicht er an sich, sondern diese Situation!

„Sicher, dass wir baden fahren wollen?“, fragte ich leise, sah ihm über die Schulter in den düsteren Himmel. Dunkle Wolken zogen auf…

„Na klar, stell dir vor, wir haben hier auch eine Schwimmhalle. Denkst du, bei diesen Wetter lasse ich dich baden, wo du eh schon krank warst von deinen letzten Planschen?!“, fragte mich Jason grinsend. Seine Mimik.. ich wusste noch immer nicht was ich von ihm denken sollte. An diese Kreaturen, diese Seelenfresser, sein Haus, seine Eigenarten, seine Augen...? An was sollte ich denken? Das waren wohl die Prägnantesten Merkmale von allen. Nun ja, nicht ganz…das prägnanteste von allen ist mein Traum.

„Hey, alles klar?“, fragte er besorgt und erinnerte mich an meinen Exfreund. Leicht nickte ich nur und ging zu seinen Wagen, er folgte mir geschwind.

Auf der Fahrt an sich sprachen wir gar nichts.

Nichts..? Gibt es das? Wie kann eine große Menge von Leere denn gleich null sein? Ist denn Null gleich nichts? Warum sagt man denn nicht immer: „Ich denke null.“?

Komisches Volk. Komisch, komisch. Ich denke null.

Die unangenehme Stille legte sich immer weiter über uns, es schien wie ein bestialischer Geruch in unser Bewusstsein und kam nicht mehr aus den Gedanken raus.

Es fing an zu regnen. Nur ganz leise. Das Prasseln der Tropfen auf den Scheiben sorgte dafür, dass die Ruhe wich.

Auch Jason wurde unruhig. Ich merkte seine Blicke, hörte wie er schwer atmete und wie er den Wagen stoppte. „Wir sind da“, so leise, wie er sprach, erinnerte mich das Ganze an eine Beerdigung. Nur war hier die Frage wer zum letzten Mal reingelegt wurde. Die Schwimmhalle an sich war klein, aber schön. Man sah schon von außen dass das Wasser glitzernd und sauber vom See kam. Die Fliesen waren mosaikförmig angeordnet und wirkte wie aus einer anderen Zeit.

Ich blieb stehen und sah mir noch die Schwimmhalle von draußen an, als Jason den Wagen zu schloss und sich umsah. „Wow, das Mädchen lebt immer noch? Das wusste ich gar nicht“, gab er schmunzelnd zu, doch ich sah nur eine etwas ältere Frau die gerade hinein ging. Unsicher schaute ich zu Jason, der seine Sachen nahm und mich dann munter ansah.

Ob er sie wirklich meinte?

„Nun komm schon, oder bist du wasserscheu?“, fragte er grinsend und lief zum Eingang, mittlerweile wurden die Tropfen immer mehr.

Nicht dass ich wirklich wasserscheu wäre, aber irgendwie war mir das alles nicht geheuer, mir war auch so an sich nicht wohl.

Ich ging einen Schritt, hörte noch das Rauschen des Windes. Noch einen Schritt. Das monotone Rauschen entwickelte sich zu einem tobenden Wind. Ich bekam einen Tropfen ab. Ich ging immer weiter. Alles wurde dunkel.

Ich ging nicht mehr mit Jason zu der Schwimmhalle, sondern stand mitten im tiefsten Wald. Als ich mich umdrehte, fielen mir blonde Strähnen ins Gesicht. Blond?

Hinter mir war niemand. Meine Augen suchten jeglichen Meter ab, aber nichts. Mein Herz schlug schnell, langsam ging ich rückwärts und hörte außer meinen keuchenden Atem vorerst nichts.

Auf einmal jedoch ertönte ein lautes, gequältes Schreien… ein Seelenfresser!

Mein Körper schreckte zurück und drehte sich um, wollte weiterlaufen, doch man sah nur die Augen des Widersachers.

Dunkle rote Augen, die gerade zu dursteten einen umzubringen…

Meine Arme hoben sich zur Verteidigung, doch das Monster sprang mich an, wir beide fielen nach hinten, ich versuchte zu schreien und schlug um mich, doch das Wesen rammte kreischend seine spitzen, langen Zähne in meine Schulter.

Es war, als ob alles aus meinen Körper herausgezogen wurde und es tat so unglaublich weh…

„Lou? Louise! Hallo? Hey, wach auf... Lou!”

Ich schlug die Augen auf und drehte kurz meinen Kopf, doch irgendwie sah ich nichts… mein Gesicht war nass.

Ganz verwundert blickte ich ihn an, seine Augen waren groß vor Schreck und ebenso voller Neugier.

„Hey, alles klar?“, fragte er leise, strich mir vorsichtig über die Wange. Ganz weit entfernt so gesagt nahm ich wahr, dass ich halb auf den Boden lag, halb in Jasons Armen lag und die Frau, das ‚Mädchen‘ wie Jason sie vorhin betitelt hat, uns merkwürdig anschaute.

Ich versuchte mich aufzurichten, doch er raffte mich nur mit einem Mal hoch und behielt mich in seinen Armen. „Jason.. ein Mädchen wird angegriffen, wir müssen sie retten“, jammerte ich herum und wollte aus seinen Armen mich befreien, doch Jason nahm mich einfach hoch, als wäre ich eine.. Puppe und kein Mensch.

Komisch, dass mir gerade dieser Vergleich einfällt… kein Mensch.

„Hey, schon gut“, murmelte er nur leise und sah mich sorgenvoll an. „Lass mich runter oder ich brech dir die Nase“, antwortete ich ihm in der gleichen Tonlage und tatsächlich, er ließ mich hinunter.

Er deutete nur auf das Auto und beobachtete mich genau. Ich versuchte gerade zur Beifahrertür zu gehen, als ich nach oben sah und einen Tropfen auf meine Nase abbekam. Irgendwie war mein Körper überhitzt, ich spürte diesen kalten einzelnen Tropfen auf meiner Haut, wie er herunter glitt…

Und alles wurde dunkel, der Wind heftiger.

Wieder ein Schrei. Und mit einem Mal lag ich auf den Fußboden, spürte den nassen Asphalt unter meinen Händen und wie sich auf einmal etwas unter mir bohrte und mich hochhob.

Jetzt wirkte ich erst recht wie eine Puppe in seinen Armen.

Jason sah mich ängstlich an und strich mir über die Wange. „Hey, kleine, kleine!“

Meine Augen schienen hin und her zu rollen, ich schaffte es partout nicht ihn anzugucken. Ich spürte nur seine Wärme und den Regen… Meine Augen schlossen sich wieder.

Schlafen…

Auf einmal wurde es eiskalt und ich schreckte auf, holte tief Luft.

„Alles klar wieder?“, fragte Jason grinsend und ich paddelte im Wasser umher. Hatte er mich tatsächlich ins Wasser geworfen, in den See?

Ich stand wie ein nasser Pudel da, sah ihn an und holte tief Luft.

„Nun komm..“, meinte er nur und holte die Decke. Langsamen Schrittes ging ich zum Ufer und wusste nicht ob ich mich nun wie ein Hund schütteln sollte oder einfach nur abtropfen sollte, doch Jason übernahm diese Entscheidung schon für mich, indem er mich in die Decke einrollte und wieder hochnahm.

„Nicht wieder einschlafen, hörst du?“, murmelte er nur leise und ich kam mir vor wie eine Mumie, bewegungslos und fest eingeschlagen. Er setzte mich auf den Beifahrersitz und als er dann selber im Auto saß, drehte er die Heizung hoch und fuhr los.

Ich zitterte und zitterte und sah zu ihm. „W-w-wa-warum- d-d-darf ich n-nicht schla-schlafen?“, fragte ich bibbernd und er sah mich mitleidig an und streckte den Arm raus.

Was denn nun? Merkwürdig blickte ich ihn an als er seinen Arm um meine Schulter legte und mich zu sich ran zog.

„Entschuldige..ich erkläre es gleich, wenn du im trockenen bist…versuch bis dahin nicht krank zu werden und nicht einzuschlafen.“

Was für eine bedeutende Aufgabe ich doch habe, dachte ich sarkastisch. Versuch nicht krank zu werden.

Aber wenn ich es gerade versuchte, nicht zu werden, war es doch genau das was man am Ende bekam, oder?

Versuch nicht krank zu werden, und man wird krank.

Versuch nicht dich zu verlaufen, und man verläuft sich.

Versuch dich nicht zu verlieben, und man verliebt sich.

Fall nicht hin, und doch fällt man.

Doofe Menschheit. Macht immer genau das Gegenteil.

Wieder einmal fuhren wir zu ihm nach Hause, er sah sich genau um und schloss dann auf, führte mich ins Badezimmer.

„Hey, ich habe ein Déjà vue“, sagte ich halbwegs grinsend und er verzog seine Lippen nur zu einen leichten Lächeln.

„Zieh dich um, ich geh kurz zu Blexy“, sagte er und ließ mich dieses Mal allein.

Binnen paar Minuten hatte ich mich umgezogen und ging ins Wohnzimmer, wo er mit Blexy auf dem Sofa saß und sie streichelte. Sie freute mich zu sehen und sprang herunter, eilte wedelnd auf mich zu.

Jasons viel zu große Hose rutschte dauernd herunter und ich hatte meine Müh und Not nicht hinzufallen, als ich ein wenig mit Blexy rumalberte. Er räusperte sich und ich sah auf, er nickte mit dem Kopf nach oben. Ich antwortete ebenfalls mit einen Nicken und wir beide machten uns ins Schlafzimmer.

„Wie ein altes Ehepaar, alles wird im Schlafzimmer besprochen“, murmelte ich nur und sah die Tür mit den komischen Zeichen merkwürdig an, bis ich ihm dann folgte.

Er setzte sich hin und rutschte etwas weg, als ich mich neben ihn hinsetzte.

„Hör zu.. ich denke ich habe dir einiges zu erklären..“, fing Jason an und ich zog nur die Augenbrauen hoch. Ich wurde fast angegriffen und nackten hässlichen Dingern, er verfolgte mich förmlich, nun hatte ich sowas wie einen epileptischen Anfall und nun kam der Herr auf die glorreiche Idee mir etwas einmal zu erklären: Na halleluja!

„Ich… hm… wie erkläre ich es… ich schmeiß dich einfach ins kalte Wasser, das bist du ja eh schon gewöhnt“, sagte er schmunzelnd und holte kurz Luft.

„Du bist nicht normal, du bist anders, weil du.. so eine Art Gegenstück bist und irgendwie auch gleich. Ich denke der Begriff Medium bezeichnet es gut.

Ich weiß nicht wie so etwas zu Stande kommt, wie jemand auserwählt wird, aber wenn sie von so einen jemand wissen... wollten sie nur eins: Ihn zu Ihresgleichen machen, oder umbringen.“

Er machte eine kurze Pause um mich das Ganze verdauen zu lassen, anscheinend hatte er befürchtet es könnte mich völlig aus der Bahn werfen, aber ich war die Ruhe in Person selbst.

„Wollen sie nicht immer töten? Warum sollte ich denn da etwas besonders sein?“

Diese Frage ließ ihn innehalten und seine Augen schauten mich aufmerksam an. „Sie wollen sonst nur aus Spaß an der Freude töten… dich wollen sie ganz- entweder als Seelenfresser oder als zerfetztes Überreste die man wahrscheinlich erst unter einen Mikroskop eindeutig sieht.“ Seine Worte gingen mir nun doch schon etwas unter die Haut, ich bekam eine Gänsehaut.

„Und was soll dieses Medium, bzw. was soll ich so besonderes können oder sein?“, fragte ich leise nach.

„Du kannst sie beeinflussen. Du hast gesehen was sie machen werden. Sie haben Angst vor dir. Du kannst sie töten und bist dennoch…“, fing Jason an doch unterbrach sich selbst indem er aufstand und meine Hand nahm, in den Flur ging geradewegs auf diesen mittlerweile doch verabscheuungswürdigen Raum mit den Farbkleksen.

Als ich das mitbekam sträubte sich alles in mir dagegen, ich lehnte mich etwas zurück, doch sein Griff wurde stärker.

„Vertrau mir“, sagte er ganz ruhig ohne sich umzudrehen, doch ich war mir sicher wie gerade seine Augen aussehen würden: Dunkel wie Molochs Schlucht. Gefährlich. Seelenlos.

Ich gab mir selber einen Ruck, irgendwann würde ich eh sterben, wenn nicht jetzt, wann dann?

‚In 60 Jahren, du dumme Nuss. Wenn du lange verheiratet mit deinen Mann am Strand sitzt und du an Altersschwäche stirbst, aber doch nicht so!‘, schrie mir eine innere Stimme entgegen, doch ich ignorierte sie gekonnt.

Jason zog mich vor die Tür, stellte sich hinter mir und legte seine Hände auf meine Schulter.

Ich starrte die ganze Zeit auf das Schlüsselloch, als Jason leise lachte.

„Lou.. Louise.. nun komm schon: Schau auf das Muster.“, sagte er und kniff ganz sanft zu.

Nachdem er das gesagt hatte, schaute ich widerwillig auf die Farben und das Schauspiel begann von vorne.

Alles fügte sich zu einen Bild zusammen, ich hörte Schreie und fiel in Ohnmacht vor Schmerzen.

Als ich wieder aufwachte roch ich einen sehr angenehmen Geruch. Männlichen Duft, wohl gemerkt. Ich starrte geradewegs auf einen Hals und fragte mich, was Jason da wohl gerade anstellte, dass er mir so nah kam, schwieg jedoch weil ich insgeheim den Geruch anhimmelte. Roch er schon immer so gut?

Nach einer gewissen Zeit lehnte er sich zurück und bemerkte, dass ich wach war. Mein Kopf dröhnte vor Schmerzen.

Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und sah mich tröstend an.

„Passiert das nun öfter, wenn du mir sagst ‚Vertrau mir. ‘?“, fragte ich leise nach und sah ihn lächelnd.

„Ich wollte, dass du siehst, dass du empfindlich bist. Ich werde dich nicht mehr nötigen zur Tür zu gucken. Ich werde auch bald ihren Inhalt leerräumen, dann wird endlich Blexy auch wieder bei mir im Bettchen mit schlafen.“, sagte er leise und blickte mir lange in die Augen.

Ich runzelte die Stirn und sagte nichts.

Inhalt…? Was für einen Inhalt?

Und mit einem Mal fiel der Groschen und ich richtete mich so schnell auf, dass Jason gar nicht mehr reagieren konnte.

„Du hast doch nicht… du wirst doch nicht…“, fing ich aufgeregt an und meine Wangen verfärbten sich leicht rot, ich wollte schon aus dem Zimmer stürmen, als Jason mich von hinten umarmte und ins Bett zurückzog.

„Doch. Experimente.“, sagte er und ich schloss die Augen.

Hatte er wirklich einen Seelenfresser in seinem eigenen Haus eingesperrt?! Und deswegen auch die Zeichen, sie waren wie eine heilige Schutzformel die ihn darin einsperrten.

Immer noch hielt er mich in seinen Armen und ich atmete schnell. Er ebenso. Die Stille erdrückte uns beide förmlich und ich drehte mich um zu ihm, wollte gerade etwas sagen, als er mich einfach küsste.

Ich war zuerst geschockt.

Er, der komischste junge Mann den ich je in meinen Leben getroffen habe (und den ich je treffen werde vermutlich!) sagte mir etwas das wie ein Schlag ins Gesicht war und küsste mich dann einfach!

Ich holte aus und ohrfeigte ihn in die Realität wieder, stand zügig auf und wollte wieder gehen, als er mich festhielt.

„Nicht… du bist schwach.“, sagte er leise, sogar flüsternd und schubste mich sanft Richtung Bett, gab mir gewisse Tabletten in die Hand und eine Tasse Tee und verließ das Zimmer.

Und er sagte tatsächlich noch, ICH wäre komisch.

Männer… sie fanden immer den ungünstigsten Zeitpunkt um so etwas zu bringen.

Vielleicht stimmte es ja wirklich, dass sie das Gegenstück zum weiblichen Geschlecht waren.

Und sprichwörtlich, gegensätzlich.

Doch hieß es nicht, Unterschiede ziehen sich an?

Was ist aber mit Gleich und Gleich gesellt sich gern?

Am Ende ist es nur eine Auffassung des Betrachters:

Wie man gerne das Ende der Geschichte hätte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Fresh_Ju
2010-12-11T21:46:31+00:00 11.12.2010 22:46
> Hallo Wand. Du hattest auch schon einmal bessere Tage erlebt, oder?

Ich musste laut auflachen XD
Der Satz war so witzig und geil!

'n paar kleiner Grammatik- Fehler sind mir aufgefallen :x Ich zähl se mal nacher auf, wenn ich weiterlese.
Von:  blechdosenfee
2010-10-24T10:11:34+00:00 24.10.2010 12:11
Hui.
Mit dem letzten Sätzen über die Menschheit hast du Recht. Es trifft immer genau das ein, was unbedingt verhindert werden soll.
Das Kapitel an sich fand ich... ich weiß auch nicht, lustig. Na ja, obwohl es schon erschreckend ist, dass sie - wie es scheint - sich genau in den Menschen wiederfindet, die gerade angegriffen werden. Schon erschreckend.
lg
Von:  blechdosenfee
2010-09-08T21:39:02+00:00 08.09.2010 23:39
Hey^^

Am Anfang war ich echt geschockt, als ich den Traum gelesen hab. Huh... verdammt, ey. Alpträume zu haben ist wahrlich nicht schön. Kann es sein, das in Jason ein Seelenfresser wohnt? Also, dass die Seelenfresser im Grunde ohne eine Hülle sind - eigentlich haben sie ja eine, weiß selber nicht, wie ich es beschreiben soll - und sich dann über gewisse Menschen her machen und Jason hat es nun auch erwischt, aber er kämpft dagegen an? Also, das ein Seelenfresser in ihm wohnt. Er teilt sich in gewissem Maß seinen Körper mit einem Seelenfresser.
Ich bin durch den Traum total verwirrt. Schließlich hast du ja im Alptraum geschildert, dass die Augen des Seelenfresser Lou an Jason erinnert haben. Hui... O.O Wer oder was ist er? Aber du hast ja geschrieben, das meine Fragen bald eine Antwort finden.

Was du auch gut hinbekommen hast, war diese Sache erstmal wieder in den Hintergrund treten zu lassen. Besonders als sie auf ihre Bürste gedonnert ist. Autsch! In dem Moment, während Lou mit Jason telefoniert hat, hab ich gar nicht mehr an den Traum gedacht, sondern nur daran, wie verrückt das Verhältnis der Beiden zueinander ist.

Freu mich schon aufs nächste Kap :)
P.S. hab gar nicht gewusste, das ein übermässiger Genuss an Zucker vor dem Schlafen gehen zu Alpträumen führen kann. ^^

lg
Von:  blechdosenfee
2010-09-06T21:31:19+00:00 06.09.2010 23:31
Hi, bin eben in den Genuss deiner Story gekommen. Ist ein wirklich interessanter Ablauf und Aufbau der Geschichte.
Bin echt gespannt, was es mit Jason auf sich hat. Ich frag mich nur, warum greifen die Seelenfresser die Menschen nicht in ihren Häusern an, wenn diese Schlafen. Schließlich hat nicht jeder Panzerglas und Draht vorgespannt.
Freue mich schon auf das nächste Kapitel.

lg ^^


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