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Deceiver of fools

Fortsetzung zu 'The Revenge'
von

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Heimkehr

Ihre Stiefel knirschten auf dem Schotter der breiten Zuwegung, als sie endlich stehen blieb und erschüttert auf das Bild der Zerstörung blickte, das sich direkt vor ihr gegen den langsam dunkler werdenden Himmel abzeichnete. Pechschwarz erhob sich der einstmals stolze Schattenriss der Feste, scharf abgegrenzt gegen das tief stehende Gegenlicht, gleich einem gähnenden Monster aus der Alten Welt.

Der böige Wind, der schon jetzt den kühlen Biss des nahenden Winters mit sich trug, heulte klagend um die schroffen Mauerecken, spielte mit dem am Boden liegenden Laub und trieb es in verspielten Wirbeln vor sich her, nur um es alsbald wieder raschelnd fallen zu lassen, als sei er diesem Spiel überdrüssig geworden. Auf den Spitzen der Wehrgänge hockten Raben und ihr heiseres Krächzen war der einzige Laut neben dem Wind, der hier zu vernehmen war. Gespenstische Stille hatte sich über die Feste und ihre angrenzenden Felder gelegt. Keine Stimmen, keine arbeitstypischen Laute. Einfach nichts.

Vorsichtig schritt Rhyan die Zuwegung weiter entlang. Ihre Sinne waren angespannt, als sie sich dem geborstenen Eingangstor näherte, und ihr langes Schwer ruhte wie selbstverständlich in ihrer Rechten, pendelte im Einklang ihrer Schritte direkt vor ihr. Was bei allen neun Höllen war hier geschehen?

Die mächtigen Steinquader der Außenmauer, einst nahtlos ineinander gefügt, waren schwarz vor Ruß. Tiefe Risse, in denen man bequem seinen Arm hätte schieben können, klafften nunmehr auf der gesamten Länge der Wehrfront und zogen sich wie ein Spinnennetz bis hinauf zu den Zinnen. Wo einst Holz gewesen war, ragten nur noch verkohlte Relikte hervor, gaben den uneingeschränkten Blick auf die offenen Fenster frei. Gleich leeren, seelenlosen Augen verfolgten sie die Schritte der jungen Frau, bis sie unter dem Torbogen hindurch schritt.

Rhyan schluckte, während ihr Blick weiter über die stummen Zeugen eines verheerenden Kampfes glitt, und versuchte das zunehmende Gefühl der Panik und das schiere Entsetzen, das dieser Anblick in ihr auslöste, zu verdrängen. Beim aasfressenden Unhold, sie war nicht lange fort gewesen, doch die Feste sah aus, als ruhe sie bereits sein vielen Mondumläufen in diesem Zustand. Sie schauderte. Voller Hoffnung war sie hier her zurückgekehrt, zu dem Ort, den sie in den letzten Sommern als ihr zu Hause erwählt hatte. Gemeinsam mit Kane. Und nun starrte sie auf die jämmerlichen Überreste dieser Hoffnung. Es riss ihr den Boden unter den Füßen weg.

Vor vier Tagen war sie aus Atlantis zurück in ihre Heimat gekommen. Der Weg vom Ring der Vorfahren hier her war ein weiter, selbst auf dem Rücken eines Drachen. Doch sie war sich sicher, dass sie es gespürt hätte, wenn der Angriff innerhalb dieser Zeitspanne stattgefunden hätte. Kane hätte es sie wissen lassen. Doch den Spuren der Verwüstung nach zu urteilen, musste sich der Kampf unmittelbar nach ihrem Aufbruch zugetragen haben.

Mit einem beklemmenden Gefühl der Schuld trat sie auf den im unwirklichen Licht des nahenden Abends liegenden Anger hinaus, legte den Kopf in den Nacken und blickte hinauf, wo Arokh träge im Aufwind segelte und sich mit offensichtlichem Unbehagen die Zerstörung aus der Luft ansah. Sein langer Schwanz zuckte unruhig, wie bei einer Katze auf der Jagt. Sie bemerkte, dass ein Großteil der Dächer eingestürzt war, so dass die schimmernden Strahlen der untergehenden Sonne breite Streifen aus Licht in die düsteren Höfe senden konnten. In ihrem Widerschein waren die ersten, behutsam ausgestreckten Finger des langsam aufsteigenden Nebels zu erkennen, der so typisch für diese Spätherbstabende war. Er schlich über die angrenzenden Felder und machte nicht halt, als er auf die schutzlos daliegende Feste traf. Fröstelnd zog Rhyan ihren Mantel enger um die Schultern. Hinter ihr, auf dem unebenen Pflaster des Hofes, erklang der dumpfe Hufschlag von Markor, der seiner Herrin in einigem Abstand ins Innere der Feste gefolgt war. Das Echo seiner Schritte klang unangenehm laut in der sonst so bedrückenden Stille.

Sie hätte niemals gehen dürfen. Nicht für eine so lange Zeit. Innerlich schalt sie sich einen Tor, wusste sie doch besser, dass sie vermutlich selbst dann nichts an all dem hier hätte ändern können. Wer auch immer hierfür verantwortlich war, hatte ganze Arbeit geleistet und seinen Schachzug wohl durchdacht. Wenn Kane nicht hatte standhalten können, wäre auch ihre Unterstützung zwecklos gewesen. Zudem war ihr Kontakt zu den Atlantern zu wichtig, um darauf verzichten zu können. Ein schwaches, trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Selbst wenn sie es wollte, auf einen ganz bestimmten Kontakt würde sie auch gar nicht mehr verzichten wollen.

Dennoch blieb der bittere Beigeschmack, welcher unweigerlich bei dem Gedanken aufkam, nicht zur Stelle gewesen zu sein. Beinah kam sie sich vor wie eine Verräterin. Während sie Lichtjahre von hier entfernt in Sicherheit war und in den Armen eines Mannes gelegen hatte, hatte Kane hier um sein Leben gekämpft und diesen Kampf offensichtlich verloren. Schmerzhaft zog sich Rhyans Magen zusammen. Daran durfte sie nicht einmal denken. Kane war noch am Leben. Jemanden wie ihn tötete man nicht einfach so. Doch er hatte dieses Gefecht verloren und der Teufel allein wusste, was dann passiert war. Wo war er?

Auf der Suche nach einem Hinweis auf diese Frage strich ihr Geist durch die leeren Katakomben der Feste. Doch erfolglos. Ihre Sorge stieg fast ins unerträgliche. Die Verwüstung war verheerend. Im Leben hätte sie sich nicht vorstellen können, dass diese Feste, ein wahres Bollwerk aus purer Kriegskunst, einmal derart zerrissen sein würde. Nichts glich mehr dem Bild, das Rhyan noch vom Tag ihrer Abreise vor dem inneren Auge hatte. Ihr Blick huschte über die scharfen Abbruchkanten, stumme Zeugen der gefallenen Dach- und Mauerfragmente, die nunmehr in gewaltigen Trümmerbergen in dem Anger verstreut lagen. Dass Kane selbst Verursacher dieser Zerstörung sein konnte, wollte sie nicht glauben.

Zumindest hatte es mal eine Zeit gegeben, in der das so gewesen war. Rhyan biss sich auf die Unterlippe und schlich tiefer in das Labyrinth der Trümmer hinein. Sie konnte nicht leugnen, dass sich der Krieger in den letzten Sommern verändert hatte. Aber sie beide hatten sich verändert.

Seit ihrem Triumph über den roten Priester Prirates war viel Zeit ins Land gegangen. Zeit, in der Rhyan an der Seite des Verfluchten ziellos durch die Landstriche gezogen war. Sie wusste um seine Vergangenheit, um sein dunkles Erbe, doch grade dieser Umstand schien das seltsame Band der Freundschaft, welches sich zwischen ihnen entwickelt hatte, nur noch zu stärken. Er hatte großes Geschick darin bewiesen, die von Prirates beinah vollkommen zerstörten Landstriche wieder bewohnbar zu machen. Lange Zeit waren sie einfach von Ort zu Ort gereist und hatten den Einwohnern geholfen, nach dieser grausamen Zeit der totalen Unterdrückung wieder Mut zu fassen.

Natürlich war ihr von Anfang an klar gewesen, dass Kane nicht aus Nächstenliebe so handelte. Wann immer er in Verhandlungen trat, leuchtete das unnatürliche Blau seiner Augen in einer unbarmherzigen Kälte. Es war nicht schwer zu erkennen, dass er die Situation des Landes gedachte dazu zu nutzen, selbst zurück in eine einflussreiche Stellung zu gelangen. In die einflussreiche Stellung überhaupt. Sein Wunsch zu herrschen war deutlicher und drängender geworden.

Rhyan hatte eingegriffen, wenn ihr die Sache zu bunt wurde, ließ den Krieger aber ansonsten seine Fäden ziehen. Die Menschen dieses Landes waren hilflos nach den Jahrzehnten unter dem Joch des roten Priesters. Man könnte wirklich behaupten, dass sie kaum noch lebensfähig waren und so war Kane, der ihnen Ordnung und klare Regeln schenkte, eine willkommene Konstante im völligen Chaos.

Sein Einfluss war gewachsen und mit ihm wurde auch sein Name weiter getragen. Ein Name, von dem man nach vielen Jahrhunderten geglaubt hatte, dass er in Vergessenheit geraten sei. Doch sie hatten sich beide getäuscht.

Der Name Kane, zusammen mit dem Erscheinungsbild des mächtigen, rothaarigen Kriegers, weckte Erinnerungen und belebte Legenden neu, die besser hätten im Verborgenen bleiben sollen.

Damit hatten ihre Probleme begonnen.

Man begegnete ihnen zuerst mit neugieriger Scheu. Doch mit der Zeit wurde aus dieser Scheu offenes Misstrauen, bis es in ablehnenden Hass umschlug. Und wieder einmal in ihrem Leben hatten sie fliehen müssen. Kane der Verfluchte war zurück und streckte ein Mal mehr seine Hände nach dem Land Carsultyal aus. Diesmal wehrten sich dessen Bewohner aber entschieden.

Vor ihrer Abreise nach Atlantis war der Krieger immer verschlossener geworden und seine Stimmung war finster und in sich gekehrt. Aber es war einfach unmöglich, dass er ihre Zuflucht, die sie nach langem Suchen endlich gefunden hatten, derart zurichtete. Viel zu häufig hatten sie ihren Aufenthaltsort wechseln müssen, da war ein solcher Ort, der Schutz und Zuflucht vor dem aufgebrachten Mob bot, viel zu wertvoll.

Das aufgebrachte Wiehern Markors riss sie unvermittelt aus ihren Grübeleien und sie wirbelte herum, um nach dem schwarzen Hengst zu sehen. Hoch aufgerichtet stand er in der Mitte des Angers und starrte mit aufgestellten Ohren in die tiefen Schatten der einstigen Schmiedegebäude. Seine Flanke bebte vor unterdrückter Anspannung. Grund genug für Rhyan, alle Sinne auf die Dunkelheit vor sich zu richten. Die Schwert vor sich haltend, dessen verschlungene Intarsien einen Rot glühenden Schimmer abstrahlten, trat sie langsam näher auf die Schmiede zu. „Wer da?“

Sie lauschte angestrengt und konnte tatsächlich auch Schritte hören. Verhaltene, stolpernde Schritte. Mindestens zwei Menschen versteckten sich dort drüben. „Wer ist dort? Ich werde nicht noch einmal fragen.“

Ein Wimmern drang an ihr Ohr, dann brachen urplötzlich zwei Gestalten aus den Schatten hervor und hetzten dem rettenden Haupttor entgegen. Ohne mit der Wimper zu zucken setzte Rhyan ihnen nach, das Geräusch der donnernden Hufe ihres Pferdes zu ihrer Linken. Der erste der beiden Flüchtlinge huschte grade noch rechtzeitig in die Unterführung des Tores, ehe das riesenhafte schwarze Tier schlitternd vor dem Gang zum Stehen kam und damit dem zweiten Läufer jegliche Hoffnung auf Flucht zerstörte. Seine Hufe schlugen Funken.

Mit einem verzweifelten Aufschrei wich dieser vor dem erzürnten Nachtmahr zurück, stolperte und fiel auf dem feuchten Pflaster der Länge nach hin. Rhyan war keine Sekunde später am Tor. Sie packte den Gestürzten am Kragen und riss ihn unsanft zurück auf die Füße. Blinde Wut pulsierte heiß durch ihre Venen, ließ sie drohend knurren. Jemand der sich hier versteckt hielt, konnte nur etwas mit dem Untergang der Feste zu schaffen haben. Ihre Augen glommen in einem satten Goldton, angefacht durch die Wut und die Hoffnung, endlich etwas in Erfahrung bringen zu können. „Ich werde dich das nur einmal fragen, also hör gut zu: Wer bist du, was hast du hier verloren und was, beim geheiligten Innor, ist hier geschehen?“ Sie drehte ihren Gefangenen so, dass er ihr direkt in die Augen sehen konnte – und erstarrte.

Aus weit aufgerissenen Augen, in denen die Tränen bereits überzulaufen drohten, blickte ihr ein Kind entgegen, das keine zehn Sommer gesehen hatte. Es zitterte am ganzen Leib und wimmerte in der unbarmherzigen Umklammerung der jungen Frau. Voller Entsetzen glotzte es Rhyan an.

Betroffen lockerte diese ihren Griff und wiederholte ihre Frage, diesmal jedoch um einiges sanfter. „Was machst du so spät noch hier draußen? Und wo sind all die Leute hin, die hier gewohnt haben?“

Der Junge antwortete nicht. Statt dessen wurde sein Wimmern lauter und die Tränen rannen ihm in dicken Tropfen über die blassen Wangen. Er wandt sich hilflos in dem fruchtlosen Versuch, frei zu kommen. Von der Straße vor dem Tor klang ein entsetztes Heulen zu ihnen und als Rhyan den Kopf hob, gewahrte sie ein zweites Kind, das voller Verzweiflung von einem Fuß auf den anderen trat und offenbar nach seinem Freund rief. Auch dieses Kind weinte.

„Bitte!“ Rhyans Stimme zitterte, sie konnte ihren jungen Gefangenen nicht gehen lassen, ohne eine Antwort auf diese sie so belastende Frage zu beklommen. „Ich werde dir kein Leid zufügen, aber wo sind sie hin?“

Das Kind schrie in wilder Panik.

„Bitte! Ich muss es wissen!“

Ein Blick voller Furcht bohrte sich in ihre Augen und Rhyan prallte zurück, als sie neben dieser Furcht noch einen unfassbar schwelenden Hass darin erkannte. Hass und kalte Abneigung. Wie konnte ein Kind jemanden derart ansehen?

„Sie sind tot. Verbrannt in dem Feuer, welches das Böse an diesem Ort ausgelöscht hat. Tot, alle sind sie tot. Tot, so wie auch du sein solltest!“

Entsetzt ließ Rhyan das kreischende Kind los, als hätte sie sich verbrannt. Sein blanker Hass traf sie beinah schon körperlich. Fassungslos starrte sie den Kleinen an.

Dieser stolperte rückwärts, bis er mit dem Rücken gegen die Außenmauer schlug, warf einen kurzen, angstvollen Blick auf den riesenhaften Hengst und schlüpfte dann zwischen der Wand und der Brust des Tieres hindurch in die Freiheit. Mit weit ausholenden Schritten stürmte er zu seinem wartenden Freund und verschwand mit ihm hinter der nächsten Kuppe.

Bestürzt blieb Rhyan zurück. Zu erschüttert, um für den Moment noch irgendetwas zu denken, starrte sie den davonlaufenden Kindern hinterher, bis sie hinter der Hügelkuppe verschwunden waren. Über ihr schwang sich Arokh lautlos dem Himmel entgegen, schraubte sich höher und höher, wohlweislich darauf bedacht, für ein menschliches Auge nicht mehr auszumachen zu sein. Er machte sich an die Verfolgung der Kinder. Mit etwas Glück würden sie ihn an einen Ort führen, an dem sie mit der Suche nach Antworten beginnen konnten.

Rhyan bekam nichts von alldem mit. Verloren in ihren eigenen Gedanken und nicht sicher, was sie fühlen sollte, wanderte ihr Blick zu ihrem durch die Abendsonne scharf umrissen Schatten an der Mauer neben sich. Tot, so wie du es auch sein solltest... Die Worte hallten in einem unerträglichen Echo in ihr wider, ließen sie gepeinigt erzittern. Der Hass dieses kleinen Menschen war grausam. Und doch, wenn sie ihren Schatten betrachtete, konnte sie ihn verstehen.

Für einen Moment fühlte sich ihre Brust zu eng zum atmen an und sie musste ihre Augen schließen, damit die Tränen darin nicht überflossen. Sie war nicht länger ein Mensch wie jeder andere, das sollte sie endlich verstehen. Schließlich zeigte ihr Schatten mit einer schmerzhaften Klarheit, was wirklich mit ihr in den zurückliegenden Sommern geschehen war. Wie sehr sie sich verändert hatte. Rhyan hatte es vermieden, sich selbst als Schattenriss zu betrachten, doch sie durfte sich nicht länger vor dieser Wahrheit verschließen. Die Reaktion des kleinen Jungen hatte es zu deutlich gemacht.

Äußerlich war sie noch ein ganz normaler Mensch, sah man von ihren schimmernden Raubtieraugen und den spitzeren Zähnen einmal ab. Und selbst die konnte sie, wenn sie bewusst darauf Acht gab, beherrschen und verbergen. Aber ihr Schatten zeigte ihr wirkliches Wesen unverfälscht. Ihre Hände und Finger wirkten unnatürlich langgliedrig und spitz, ihr gesamter Wuchs wirkte fremd und seltsam verzerrt, zumal in ihrem Rücken ein Schemen das Licht verdunkelte, als hätte man einen blinden Fleck auf dem Auge. Einen Fleck, der verdächtig nach konturlosen Schwingen aussah.

Rhyan ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte sich hinreißen lassen und dem Jungen einen Teil ihres Drachenerbes gezeigt. Kein Wunder, dass er vor Angst beinah gestorben war. Kein Mensch hatte Augen wie ihre, leuchtend wie geronnenes Gold, in dem gleich einem Halbmond eine geschlitzte, schwarze Pupille hing.

Abrupt wandte sie sich ab und stapfte zurück über den Anger. Sie würde die Nacht hier in den schützenden Ruinen ihres einstigen Zuhauses verbringen. Eine andere Wahl blieb ihr auch nicht und es gab genug, über das sie sich jetzt den Kopf zerbrechen musste. Sie musste nachdenken, und das gründlich.

Über den rußgeschwärzten Zinnen brach bereits die Nacht herein und bald schon würde jegliches Licht verschwinden. Die Wolken, die sie seit dem frühen Mittag am Horizont gesehen hatte, ballten sich jetzt immer schneller zu einer bedrohlich aussehenden Schlechtwetterfront zusammen. Es würde Schnee geben. Und Rhyan hegte nicht den Wunsch, unter diesen Voraussetzungen auf offenem Feld zu lagern.

Böses Erwachen

Unter dem halb verfaulten und eingebrochenen Holzdach eines kleinen Seitengebäudes, welches einmal als Futterlager für das Vieh gedient hatte, fand Rhyan schließlich einen halbwegs trockenen und windgeschützten Zufluchtsort. Es brauchte nicht viel und ein kleines, wärmendes Feuer spendete unstetes Licht. Fröstelnd zog sie ihren Mantel fester um die Schultern. Trotz alle dem würde diese Nacht kalt werden. Schon jetzt schaukelten flauschige Schneeflocken in die Lichtaura des Feuers, verschwanden wieder im Dunkeln oder vergingen zischend zu Nichts. Gedankenverloren verfolgte die junge Frau dieses so friedlich anmutende Schauspiel. Wo nur sollte sie anfangen mit ihrer Suche? Wohin könnte Kane sich gerettet haben? Sie hatte keine Antwort, nicht einmal den Hauch einer Ahnung und diese Tatsache ließ ihre Verzweiflung schier ins Unermessliche schnellen. Mit einem leisen Knurren lehnte sie den Kopf an die Mauer in ihrem Rücken, richtete den Blick auf das schwache Leuchten der beiden Monde, kaum zu erkennen hinter den dichten Wolkenfetzen. Ihr Atem stieg als rauchiger Nebel vor ihrem Gesicht auf, der rasch in dem hier herrschenden seichten Luftzug zerfaserte. Hätte sie es vorausahnen müssen? Hatte sie die Vorzeichen nur einfach nicht erkannt oder falsch gedeutet? Schließlich hatte es Anhaltspunkte dafür gegeben, dass irgendwas in Veränderung begriffen war. Auf der anderen Seite hätte sie dann jedoch die Möglichkeit verstreichen lassen müssen, zurück zu ihren Wurzeln zu finden. Und sie hätte die Liebe nicht neu entdecken können. Sie wäre verkümmert, eine verzerrte Hohngestalt ihres einstigen Selbst. Diese Erkenntnis gegen die Katastrophe hier aufzuwiegen zerriss sie innerlich.

Kane hatte sie gerettet. Damals, als sie sich selbst verloren hatte in der Verzweiflung nach Rhaegars Tod. Er war ein Freund und Weggefährte, den sie niemals so schändlich hätte im Stich lassen dürfen. Und dennoch... Er hatte um ihre Wurzeln gewusst. Er kannte ihre Geschichte. Wie hatte er da zulassen können, dass sie sich selbst so fremd wurde? Dass sie sich selbst vergaß? Tief in ihrem Innern verspürte sie einen schwelenden Zorn, wenn sie darüber nachgrübelte. Natürlich war sie auf der einen Seite mit einem unglaublichen Hochgefühl hier her zurückgekehrt. Endlich hatte sie sich wiedergefunden und die Schatten der Vergangenheit abgeschüttelt, und es hatte für sie nichts Wichtigeres gegeben, als Kane an diesem Glück teilhaben zu lassen. Doch auf der anderen Seite hatte sie ihn auch mit dieser Schuld konfrontieren wollen. Wollte der Sache auf den Grund gehen, die zum Verlust ihrer eigenen Geschichte geführt hatte. Das wiederum wäre eine wahrlich heikle Angelegenheit geworden. Er hätte all das verhindern können, doch offenbar hatte er sogar dazu beigetragen und den Fortschritt begünstigt, welcher zu ihrem Vergessen geführt hatte. Warum nur?

Und jetzt war nichts davon mehr möglich. Die Freude und der Ärger waren restlos ersetzt worden von der Sorge um den Gefährten.

Rhyan stocherte in der schwächer werdenden Glut herum und legte noch einen Arm voll Holz nach. Es war kalt und einsam hier, da wollte sie nicht auch noch in Dunkelheit versinken. Ihre eigene Stimmung war bereits düster genug. Natürlich war es einfach, die Schuld bei Kane zu suchen und die Vorwürfe gegen jemanden zu richten, der nicht da war. Aber eigentlich wusste sie besser. Sie wusste um Kanes Schlechtigkeit und seine schier endlose Vergangenheit aus Krieg und Zerstörung. Sie war gewarnt worden. Hatte dieses Massaker nur stattfinden können, weil sie sich dieser Dinge verschlossen hatte?

Zu genau konnte sie sich noch an den Nachmittag erinnern, der jetzt schon fast ein halbes Leben zurück lag, als sie auf der Suche nach dem roten Priester in einer altehrwürdigen Bibliothek über eine bereits stark verwitterte Schriftrolle gestolpert war. Damals hatte sie Kane erst wenige Mondumläufe gekannt. Die Schrift war verblasst und an einigen Stellen bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

Dennoch hatte sie die junge Frau gefesselt und mit wachsendem Entsetzen lesen lassen. Da sie sich in einer klösterlichen Bibliothek befand, musste der Text von einem seiner Priester geschrieben worden sein. Dort war von einem grausamen Herrscher die Rede gewesen, einem Irreführer der Narren. Offenbar hatte dieser Herrscher schon einmal das Land unter seinem Joch vereint und Rhyan war damals guter Dinge gewesen, endlich einen Hinweis auf Prirates in den Händen zu halten. Statt dessen sollte sie etwas über ihren Weggefährten lernen.

Der Verfasser der Schriftrolle sprach davon, dass sich dieser Herrscher durch die Angst und den Schmerz des Volkes stärkte, um einmal mehr an die Macht zu gelangen. Dass er in seinem unglaublichen Hass auf alles Lebendige den Glauben des Volkes erzwang und an sich band.

Rhyan hatte sich damals nur allzu gut daran erinnert, wie Kane ihr auf ihren langen Ritten von seiner Vergangenheit, seinem Schicksal erzählt hatte. Sie hatte geschaudert, wenn sie das dämonische Glitzern in seinen blauen Augen dabei gesehen hatte. Er hatte ihr die Geschichte erzählt, von einem Traum der nicht sein sollte und wie er zu dem wurde, was er jetzt war. Wie er durch geschickte Manipulation und Ränkespiele die Macht an sich gerissen und die Geschicke einer ganzen Ära geleitet hatte. Kane war ein Meister im Verdrehen der Wahrheit, der totalen Umkehr aller bislang geltenden Standards. Und wer sich ihm nicht freiwillig unterwarf, den bezwang er entweder mit seiner Magie oder überantwortete ihn ohne mit der Wimper zu zucken dem Tod.

Durch einen Fluch zum ewigen Leben verdammt, sollte es nicht irgendwer schaffen, ihm einen gewaltsamen Tod zu bescheren, hatte Kane alle Zeit der Welt gehabt, seine Schachzüge zu planen. Eine Welt des Zerfalls und der Zerstörung zu schaffen. Er war ein Geschöpf der Dunkelheit und doch hatte Rhyan ihn als ihren Weggefährten angenommen. Denn so verdorben seine schwarze Seele auch war, so zerfressen von Hass und Rache, hatte sie auch andere Seiten von ihm kennen gelernt. Und kein Licht in der Dunkelheit war zu klein, um gesehen zu werden. Solange man nur fest genug daran glaubte, gab es Hoffnung. Sie würde Kane nicht aufgeben. Er konnte seinen Hass beherrschen, die Dunkelheit in seinem Innern bezwingen. Zumindest für einige Zeit. Und solange man sich gegen ihn behauptete, würde er niemals wieder zu solch einem Usurpator aufsteigen.

Der Verfasser der Schriftrolle hatte seine Furcht in die wenigen Zeilen einfließen lassen und fast gewann Rhyan den Eindruck, als habe er dieses Schreiben in Hast und Eile gefertigt. So als stehe Kane bereits vor seiner Tür und klopfe an. Vermutlich sollte es ein Aufruf an die unterdrückte Bevölkerung sein, sich gegen den rothaarigen Krieger aufzulehnen.

Aus seinen Erzählungen wusste Rhyan, dass Kanes Pläne immer irgendwie gescheitert waren. Von Vornherein zum Scheitern verurteilt durch seinen Fluch. Doch er wurde nicht müde, es immer wieder zu versuchen. Die Zeit seines inneren Friedens hatte irgendwann ein Ende. Dann konnte er seinen Hass nicht mehr bezwingen, wollte ihn nicht mehr bändigen. Zumeist versank er dann in verschlossene Grübeleien, zog sich zurück und gab sich einer allesverzehrenden düsteren Stimmung hin. Rhyan kannte und fürchtete das.

Als sie ihn vor einiger Zeit zurückgelassen hatte, hatten sich erste Anzeichen eines solchen Stimmungseinbruches bereits bei ihm gezeigt. Und das war auch genau der Grund, aus dem sie vor ihren Selbstvorwürfen nicht fliehen konnte. Sie hatte es gesehen, hatte es erahnt, dass die finstere Seele in der Brust ihres Gefährten wieder erstarkte. Und trotzdem hatte sie ihm den Rücken zugekehrt. Das war unverzeihlich. Seine eigennützigen Bemühungen das Land nach Prirates Herrschaft wieder zu besiedeln hatten in ihr die ersten Zweifel aufkommen lassen. Doch so lange sie an seiner Seite geblieben war und ihm, wenn es denn nötig wurde, die Stirn geboten hatte, war alles noch in einem vertretbaren Rahmen geblieben. Jetzt aber, wo die Feste niedergebrannt und selbst ein Kind vor blankem Hass nur so strotzte, schwante ihr Böses. Innor allein wusste, wo er sich jetzt versteckte und was in seinem Kopf vorging. Sie musste ihn finden, so schnell es irgend möglich war.

Doch zur Zeit blieb ihr nur die Wahl bis zum Morgen zu warten, um dann den Spuren der Kinder zu folgen. Arokh war weitergeflogen, nachdem er das Dorf der beiden ausfindig gemacht hatte und befand sich bereits auf der Suche nach dem Krieger. Zwischen dem Drachen und ihm herrschte gewiss keine Freundschaft, doch die Lage, in welcher sie die Feste vorgefunden hatten, sorgten selbst bei Arokh für Unruhe und Sorge.
 

Sie musste eigenickt sein, denn sie schreckte hoch, als das Feuer schon gefährlich weit heruntergebrannt war. Ihr Nacken schmerzte höllisch von dem unbequemen Winkel, in dem ihr Kopf an der Mauer gelehnt hatte. Fluchend rieb sie sich die verhärteten Muskeln und wollte schon nach dem Stapel Feuerholz greifen, als sie erneut ertappt erstarrte. Sie hatte etwas gehört. Fern von ihrem Lager, aber bedrohlich.

Sie überließ das Feuer sich selbst und stand lautlos auf. Von ihrem Lagerplatz konnte sie nur schlecht auf den Anger und hinüber zum Haupttor blicken. Ein Eingeständnis, welches sie dem halbwegs intakten Dach geopfert hatte. Jetzt könnte sie sich dafür verfluchen. Leise schlich sie zu dem Loch in der Mauer, das einmal das Zugangstor zu dem Gebäude gewesen war und spähte um die Ecke. Ihre Sinne vibrierten. Mit einer knappen Handbewegung gebot sie Markor, der mit verhaltenem Hufschlag in ihrem Rücken erschienen war, still zu sein und ließ ihren Blick aus schmalen Augen über den nächtlichen Anger schweifen. Noch immer fiel Schnee, dichter jetzt und die ersten Flocken begannen auf der gefrorenen Erde liegen zu bleiben. Es war totenstill. Unwirklich hinter dem sanften Schleier aus Schnee zeichneten sich die Konturen der Feste ab, das Haupttor gähnte zu ihrer Linken und gab den Blick auf eine weiße Hügellandschaft frei, über die sich ein Tross schwarzer Gestalten bewegte. Alarmiert riss Rhyan die Augen weiter auf. Der Tross bewegte sich auf die Feste zu, war ihr sogar schon unangenehm nah gekommen. Und keiner der Dazugehörenden trug eine Fackel. Sie bewegten sich in absoluter Dunkelheit.

Einen unflätigen Fluch auf den Lippen verließ Rhyan ihren Platz an dem Mauervorsprung und setzte mit wenigen Schritten zu ihrer mageren Habe hinüber, die sie hastig zusammenraffte. Kein Zweifel welches Ziel diese Gestalten haben würden. Die beiden Kinder mussten in ihrem Dorf von ihrer Anwesenheit erzählt haben. Und Rhyan mochte sich nicht ausmalen wie grenzenlos der Hass und die Wut der Erwachsenen sein musste, wenn schon die Kinder derart vergiftet davon waren.

Ein Knirschen über ihrem Kopf ließ die junge Frau herumfahren. Ihr Blick schnelle hinauf zum Dachfirst, erhaschte einen kurzen Blick auf zwei geduckte Schatten, und veranlasste sie das baufällige Gebäude Hals über Kopf zu verlassen. Nur wenige Herzschläge später vernahm sie den dumpfen Aufprall zweier menschlicher Körper in ihrem Rücken. Der Tross draußen auf dem Feld war nicht die erste Angriffswelle. Sie war nachlässig gewesen und zahlte jetzt bitter dafür.

Sie verließ das Gebäude über eine Seitenöffnung und stand vollkommen unverhofft ihren ersten Gegnern gegenüber. Sie waren dick vermummt gegen die Kälte und vermutlich auch gegen die Erkennbarkeit. Rhyan hatte grade noch Zeit, einen Ausfallschritt zur Seite zu machen, als auch schon der erste, schlecht gezielte Streich auf sie zu raste. Ihr Angreifer führte einen furchterregenden Knüppel, an dessen äußerstem Ende Nägel in das Holz getrieben worden waren. Diese kreischten jetzt funkensprühend über das Mauerwerk. Der Zweite versuchte ihr offensichtlich den Weg abzuschneiden und Rhyan rammte ihn mit einem beherzten Schulterstoß zur Seite, geriet ins Taumeln und entwischte so eher durch Zufall dessen zupackenden Riesenpranken. Sie fing den drohenden Stutz ab und begann mit weit ausholenden Schritten zu rennen. Ihr erster Gedanke galt da dem Haupttor, allerdings musste sie mit Entsetzen feststellen, dass der Tross, den sie auf dem Feld entdeckt hatte, schon viel näher an der Feste dran gewesen war als angenommen. Genau genommen waren sie schon da und strömten jetzt durch die Mauerunterführung.

In wilder Verzweiflung stieß Rhyan ein lautes Knurren aus. Sie wollte nicht kämpfen. Sie wollte diese Menschen nicht töten. Aber die offensichtlich sie. Die Äxte und Knüppel in ihren Händen, alle dem ganz ähnlich, dessen Bekanntschaft sie bereits hatte machen dürfen, ließen keinen Zweifel.

Sie kreiselte herum, als sie aus dem Augenwinkel mehrere Gestalten auf sich zukommen sah. Drei hochgewachsene Männer hielten zielstrebig auf sie zu, allesamt bewaffnet mit doppelschneidigen Äxten. Das waren keine Werkzeuge, wie ein Bauer sie zum bearbeiten seines Holzes verwendete. Das waren Kriegswaffen.

Mit einem bedrohlichen Zwischen glitt 'Leid' aus Rhyans Rückenhalterung und richtete sich dem angreifenden Trio entgegen. Seine Intarsien leuchteten jetzt grell und ließen den fallenden Schnee in ihrer direkten Umgebung rot schimmern. Irgendwo knapp unter der Wahrnehmungsgrenze war der drohende Gesang des Schwertes zu hören. Es sang durch Rhyans Venen, ließ ihren Geist vibrieren in der Erwartung des bevorstehenden Kampfes.

Dann waren sie heran und die Klingen schlugen funkensprühend aufeinander. 'Leid' schrie wie ein verwundetes Tier, fraß sich in das Eisen der minderwertigen Axt und spaltete deren Heft fast bis zur Hand ihres Trägers. Mit einem Schritt zurück riss Rhyan die schlanke Klinge frei, verpasste dem nunmehr unbewaffneten Gegner einen Hieb mit der Breitseite gegen den Schädel und richtete ihre Aufmerksamkeit sofort auf die verbleibenden zwei Angreifer.

Ein harter Schlagabtausch folgte, in dessen Verlauf die junge Frau mehr und mehr an Boden verlor. Noch immer wollte sie diesen Menschen kein Leid zufügen, doch sie würde diesen Kampf verlieren, wenn sie dabei blieb. Voller Wut zog sie die Lippen zurück und entblößte sie ihre anormal spitzen Reißzähne. Ihr Drachenerbe drängte mit Macht die Oberhand über ihr Handeln zu erlangen und einen Augenaufschlag später waren ihre tiefbraunen, menschlichen Augen verschwunden und ein mal mehr durch das goldschimmernde Leuchten furchteinflößender Raubtieraugen ersetzt. Sie würde sich nicht abschlachten lassen wie die wehrlosen Bewohner dieser Feste. Sie würde sie rächen und dafür musste die leben.

Und um Kane zu finden.

Mit einer ungeahnten Schnelligkeit umkreiste sie die zwei Fechter, tauchte in ihrem Rücken auf und ließ das Schwert in einem weiten Bogen gegen deren ungeschützte Flanke fahren. Der erste stürzte von Krämpfen geschüttelt in den Schnee, der sich rasend schnell mit dem ausströmenden Blut vermengte. Der zweite schaffte es grade noch, den Streich abzulenken. Unbeholfen erwehrte er sich noch den folgenden Paraden, ehe Rhyan eine Lücke in der Verteidigung entdeckte und 'Leid' schnell wie eine Viper vorschnellen ließ. Die Klinge fraß sich in die ungeschützte Kehle und beraubte den Sterbenden seiner Stimme.

Zitternd blickte Rhyan auf das Schlachtfeld vor ihren Füßen. Der bittere Geschmack in ihrem Mund ließ sie beinah würgen. Das hatte sie nicht gewollt. Das war falsch. Diese Menschen sollten nicht ihre Feinde sein. Und doch hatten diese sie töten wollen.

Markor weckte sie aus ihrer Starre, als er schlitternd neben ihr zum Stehen kam. Die Ohren dicht an den Kopf gelegt, musterte er sie einen Moment lang aus seinen unergründlichen Augen. Dann warf er mit einem schrillen Wiehern den Kopf zurück. Ein Kampfaufruf an die näher rückenden Feinde. Rhyan zögerte nicht länger und schwang sich in einer fließenden Bewegung auf den Rücken des Hengstes. Wenn sie nicht noch mehr töten wollte, musste sie fliehen. Sofort.

Auf sanften Druck ihrer Schenkel wandte Markor sich wieder dem Haupttor zu. Den Kopf stolz erhoben trabte er furchtlos auf die Reihe vermummter Gestalten zu. Rhyan konnte seine Erregung spüren, die Entschlossenheit seine Herrin unversehrt aus dieser Lage heraus zu holen. Der Nachtmahr konnte ein furchtbarer Gegner sein und sie hoffte inständig, dass die Menschen ihm keinen Anlass geben würden, dies unter Beweis zu stellen. Sein Atem stieg in dichten Dampfwolken auf und verschleierte ihren Blick auf die näher kommende Front noch zusätzlich. Grimmig umfasste sie das Heft ihres Schwerstes fester. Sie musste ihr Mitleid zurückdrängen, sonst würde sie nicht mit klarem Kopf kämpfen können.

Schon hatten sie die Angreifer erreicht und Rhyan führte 'Leid' in einem schimmernden Bogen gegen den am nächsten Stehenden. Ein kurzer Schlagabtausch, dann flog der Knüppel in den Schnee und ließ den Unglücksraben unbewaffnet zurück. 'Leid' zuckte noch einmal vor und beraubte diesen noch zusätzlich seiner rechten Hand.

Indes hatte Markor die Reihe der Angreifer durch seine schiere Masse auseinander gedrängt. Zwar versuchten diese nun das fliehende Duo zwischen sich fest zu setzen, doch niemand wagte es, den mächtigen Hufen des Pferdes wirklich zu nahe zu kommen. Der Hengst stieg und nachdem seine wirbelnden Vorderläufe zwei der Zurückweichenden getroffen und niedergestreckt hatten, hielten sie respektvoll Abstand. Nur wenige mutige Vorstöße versuchten den ungeschützten Bauch des Tieres aufzuschlitzen. Doch Markor war zu flink. Wo Rhyans Klinge eine Lücke in der menschlichen Barriere schuf, ging ein weiterer Angreifer mit einer tödlichen Schädelfraktur zu Boden. Das Pflaster war schlüpfrig und trügerisch durch den Frost, den Schneematsch und das Blut, doch grade das machte das strauchelnde Pferd zu einer unberechenbaren Waffe.

Dann endlich waren sie durchgebrochen. Rhyans Welt hatte nur aus dem engen Kreis bestanden, den ihr die Reichweite ihres Schwertarmes diktiert hatte. Wie viele Gegner es wirklich waren, die sich ihnen entgegengestellt hatten, wusste sie nicht. Es war auch unrelevant. Die Hauptsache war, dass der Weg durch das Haupttor jetzt frei war, und so gab sie Markor einen Schlag mit der Breitseite ihres Schwertes auf die Hinterhand und suchte ihr Heil in der Flucht.

Das schnelle Staccato der donnernden Hufe verstummte in dem Moment, in dem sie den Zufahrtsweg verließen und querfeldein weiter ritten. Weiß stob der feine Schnee hinter ihnen auf, blieb einen Moment in der Luft hängen, als sei er verwirrt ob dieser unerwarteten Störung, und senkte sich dann langsam wieder zu Boden. Ein Blick über die Schulter zeigte, dass sich Vereinzelte aus der Gruppe der Angreifer auf eigene Pferde geschwungen hatten und sich an die Verfolgung machten. Rhyan fluchte unwirsch. Diese Bastarde waren wirklich hartnäckig. Im langgestreckten Galopp flogen sie über das offene, winterhelle Feld. Der Wind war eisig. Er riss den Atem vor dem Gesicht davon und entzog einem derart schnell die Körperwärme, das Rhyan schon bald ihre Arme und Beine kaum noch spürte. Verbissen klammerte sie sich in die dichte Mähne ihres Hengstes, längst nur noch darauf konzentriert auf seinem Rücken zu bleiben. Die Verfolger konnte sie nicht hören, aber sie spürte, dass sie ihnen noch immer auf den Fersen waren. Sollten sie nicht zeitnah die Verfolgung abbrechen, würde es wirklich eng werden.

Sie waren noch immer erschöpft von dem langen Weg, den sie vom Ring der Vorfahren bis zur Feste zurückgelegt hatten. In der Annahme, an ihrem Ziel auf eine warme und sichere Unterkunft zu stoßen, in welcher man in Ruhe wieder zu Kräften kommen konnte, hatten sie sich nicht geschont. Die Freude auf eine baldige Heimkehr war groß gewesen. Jetzt würde ihnen dieser Fehler zum Verhängnis werden, wenn ihnen das Glück nicht schleunigst hold sein würde.

Aus dem Dunst des dichten Schneetreibens tauchte der schwache Umriss eines Nadelwaldes auf. Die Bäume mussten gigantische Ausmaße haben und die immergrünen Zweige neigten sich majestätisch unter ihrem Gewicht. Rhyan gab Markor ein Zeichen auf diesen Wald hinzu zu steuern. Sie würden ihr Glück dort versuchen oder bei dem Versuch untergehen. Kurz bevor sie die Baumgrenze erreichten, warf die junge Frau noch einmal einen Blick zurück. Ihre Verfolger waren langsamer geworden und fielen zurück. Offenbar behagte ihnen der neue Kurs ihrer Beute nicht. Sie lächelte wölfisch. Um so besser.

Ohne auch nur einen Hauch von ihrer Geschwindigkeit zu reduzieren, tauchten sie in das grüne Zwielicht des Waldes ein. Der Wind erstarb, die beißende Kälte verschwand. Der Wald hatte seinen schützenden Mantel über die Fliehenden geworfen und verschlang sie in seiner ehrfürchtigen Stille.

Auf verblassenden Pfaden

Nachdenklich kaute sie auf den letzten Überresten ihres mageren Frühstückes herum, während sie den Blick unverwandt auf der kleine Ansammlung von Häusern ruhen ließ. Das Dorf drängte sich an die Flanke eines seichten Hügels, auf dessen Kuppe Rhyan zusammengekauert wartete, und war durch einen jämmerlichen Schutzwall gegen die ärmlichen Ländereien abgegrenzt. Sie verharrte nun schon seit einer halben Ewigkeit hier im Schutz eines kleinen Haines, auf ihren Fersen hockend und das wenige Treiben auf den Wegen des Dorfes beobachtend. Und sie dachte nach.

Drei Tage lang hatte sie jegliche Nähe zu Menschen und ihren Ansiedlungen gemieden und hatte einen Abstand zwischen sich und die Feste gebracht, dass man vermutlich kaum noch die Verbindung zwischen ihr und dem nächtlichen Gefecht knüpfen würde. Und so beobachtete sie diesen kleinen Weiler also seit dem Morgengrauen und versuchte sich Mut zu machen, endlich einen Fuß zwischen seine Mauern zu setzen. Wollte sie Antworten auf ihre Fragen, würde sie nicht um Gespräche mit der Landbevölkerung herum kommen.

Der angenagte Knochen flog mit einem leisen Rascheln in das Gebüsch an ihrer Seite und Rhyan richtete sich auf. Schluss mit den Grübeleien. Sie würde hier sonst noch ewig sitzen und doch keine bessere Lösung finden. Markor wies sie an, außer Sichtweite des Dorfes auf sie zu warten. Eine junge Frau wie sie, die ein solches Pferd besaß, würde unweigerlich Argwohn hervorrufen. Dann verließ sie den Schutz der windschiefen Birken und hielt mit langen Schritten auf die Häuser zu. Aus den wenigen Schornsteinen kräuselte sich Rauch, auseinander getrieben von Niederschlag und Wind, und bildete einen leichten Nebel über den baufälligen Häuschen, die vermutlich trotz aller Bemühungen die Kälte des nahenden Winters nur schwerlich vor den Türen halten konnten. Die Felder, an denen sie auf ihrem Weg zum Wall vorbei kam, lagen allesamt brach. So hoch, wie das Unkraut darauf wucherte, dürfte es lange her sein, seitdem der Boden das letzte Mal fachmännisch bearbeitet worden war. Es war ein trauriges, trostloses Bild. Das allesverschlingende Grau des Spätherbstes schien sich über den ganzen Landstrich gezogen zu haben.

Niemand erwartete sie an dem baufälligen Tor, das seiner Aufgabe ohnehin nicht mehr wirklich gerecht wurde. Die Lücken in dem Schutzwall waren aus der Nähe betrachtet noch um einiges größer und im Grunde genommen konnte man aus jeder beliebigen Richtung das Dorf betreten. Rhyan hatte aus purem Anstand das Tor gewählt, war aber nicht undankbar, dass es keine neugierigen Wachen gab, die Ärger machen konnten. So zog sie ihre weite Kapuze tiefer über ihr Gesicht und war dankbar für den unangenehmen Graupel, der aus tiefhängenden, düsteren Wolken fiel. Niemand würde sich so darum scheren, weshalb sie sich so tief in ihren Mantel hüllte und es waren bis auf einige wenige kaum Menschen auf den Wegen unterwegs. Sie hielt sich dich an den lehmigen Wänden der gedrungenen Häuser und bewegte sich ziellos tiefer in das Innere des kleinen Ortes.

Nach nur wenigen Weggabelungen trat sie unverhofft auf einen offenen, sorgsam gepflasterten Platz. In seiner Mitte plätscherte müde ein kleiner Brunnen vor sich hin, der kaum mit den Wassermassen mithalten konnte, welche sich aus den Wolken stürzten. Nur wenige kleine Stände kauerten sich in einem weiten Kreis um diesen Brunnen zusammen, die meisten von ihnen dunkel und verbarrikadiert.

Rhyan hielt sich am Rand des Marktplatzes. Sie zauderte noch immer, den wenigen Menschen, die hier Handel trieben, entgegen zu treten. Den Blick auf das hastige Treiben im Zentrum des Platzes gerichtet, übersah sie beinah den kleinen Verschlag, der sich dich an die Mauer eines Wohnhauses schmiegte.

„Wenn du hier her gekommen bist, um mit anderen Händlern zu feilschen, muss ich dich enttäuschen.“

Rhyan wirbelte erschrocken herum und starrte auf den kleinen, grimmig dreinblickenden Mann, der sich hinter seiner Verkaufstheke verschanzt hatte und unter gerunzelten Brauen zu ihr herauf starrte. „Heutzutage kommen nur noch wenige hier vorbei und meistens bleiben sie nicht lange genug, um an unserem kleinen Markttag teilzunehmen. Ich kaufe ihnen ab, was nützlich und rentabel ist, um es dann an unsere Bürger weiter zu verkaufen.“ Seine wenigen Zähne blitzten, als er verschlagen grinste. Kein Zweifel, dieser Mann war ein Händler mit Leib und Seele. Rhyan konnte das verräterische Glitzern seiner Augen nur zu deutlich sehen. Offenbar hegte er Hoffnung, in der jungen Frau einen spendablen Kunden gefunden zu haben. Wahrlich ein Glücksgriff bei diesem Wetter.

Sie beschloss, zumindest zum Schein ein Stück auf sein Spiel einzugehen und drängte sich unter das schmale Dach des Standes, während der Händler seine kratzige Stimme erneut erhob: „Tatsächlich sind Fremde wie du hier ein äußerst seltener Anblick. Womöglich sogar ein erfreulicher, aber wer weiß das schon?“ Seine dunklen Augen verfolgten jede noch so kleine Bewegung ihrer Finger. „Offenbar trägt unsere närrische, neu erworbene Freiheit nun doch endlich Früchte.“

„Wie meint Ihr das?“ Rhyan fingerte gedankenverloren an vereinzelten Waren herum, um den Anschein zu erwecken, die Auslagen in Augenschein zu nehmen. Offenbar war sie hier an jemanden geraten, der nur mit einiger Mühe Neuigkeiten preis geben würde. Sie würde sich anstrengen müssen, wollte sie überhaupt irgend etwas aus ihm heraus bekommen.

„Wie ich das meine? Na, du scheinst wirklich von weit her zu kommen, Mädchen. Unser ganzer Landstrich wurde in den Wochen nach unserem - wohl bemerkt äußerst erfolgreichen - Schlag gegen den dunklen Fürsten von Mann und Maus gemieden wie die Pest. Die Menschen fürchteten die Rache des Fürsten. Pha!“ Brummend zog er seinen Mantel aus Ölzeug enger um die Schultern. „Große Wahrheiten müssen sich halt erst langsam in den Geistern der Menschen festsetzen, ehe sie wirklich daran glauben. Wir haben gesiegt und sind endlich frei. So propagieren es zumindest unsere Dorfältesten. Dein Auftauchen wird ihnen Hoffnung machen, dass endlich auch Menschen aus anderen Teilen der Welt hier vorbei kommen und das Leben wieder einfacher wird. Sie denken nur ungern darüber nach, dass wir seit dieser glorreichen Schlacht nur mehr Probleme haben als vorher. Seit der Markt nicht mehr in den Mauern der Feste stattfindet.“

Rhyan nickte unbehaglich. Sie konnte sich nur allzu gut denken, was der Händler andeuten wollte. Die Bevölkerung war schon vorher kaum in der Lage gewesen, sich selbst zu ernähren. Rhyan hatte sich daher bemüht, den Handel wieder zu beleben. In den Mauern der Feste, um ein Auge darauf zu haben. Auf sich selbst gestellt würde jeder versuchen, den anderen nach allen Regeln der Kunst über den Tisch zu ziehen.

Sie behielt diese Gedanken für sich, legte die grade begutachtete Trinkflasche zurück auf die Theke und lächelte den Mann schüchtern an. „Ich bin schon durch die Lande gereist, als ich noch ein Kind war. Eigentlich wollte ich in der Feste für einige Wochen einkehren und mir ein Dach über dem Kopf und etwas warmes im Magen durch Geschichten und Erzählungen verdienen. Wenn man so viel herum kommt, gibt es eine Menge, das man erzählen kann.“ Sie konnte sehen, wie das Leuchten in den Augen des Händlers erstarb und sich Enttäuschung auf dessen Zügen breit machte. Nun, ein wandernder Geschichtenerzähler war in jedem Dorf gern gesehen, grade in Zeiten wie diesen, wo Informationen nur selten und bruchstückhaft weitergetragen wurden. Nur Händler mochten diesen Menschenschlag nicht, da sie ganz genau wussten, dass mit ihnen kein fairer Handel möglich war.

„Ich hätte nie gedacht, dass sich in dem Jahr, in dem ich hier nicht mehr vorbei gekommen bin, derart viel verändern könnte.“ Rhyan zog eine Grimasse. „Der Fürst war kein geiziger Gastgeber und ich hatte auch den Eindruck, dass die Bevölkerung hinter ihm steht. Als ich neulich an der niedergebrannten Ruine vorbeigekommen bin, war ich sehr verwundert. Was ist geschehen?“

Der Mann lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und Rhyans Gedanken überschlugen sich. Wenn sie ihn jetzt verlor und er entschied, dass sie seiner Geheimnisse nicht würdig war, war diese ganze Farce von Schauspiel umsonst. Und so etwas hasste sie. „Es muss ein atemberaubendes Spektakel gewesen sein und ich kann gar nicht glauben, dass mir die Kunde eines solchen Ereignisses auf meinen Reisen noch gar nicht zu Ohren gekommen ist.“

„Das könnte daran liegen, dass dieses 'Spektakel', wie du es nennst, noch nicht allzu lange zurück liegt.“ Seine buschigen Augenbrauen zogen sich so weit zusammen, dass sie sich beinahe berührten. „Wie gesagt, es kommen wenig Fremde hier vorbei, welche die Kunde über diese Schlacht weitertragen könnten.“

Rhyan grinste. „Das ist ja wunderbar! Eine Schlacht, ein vernichtender Schlag gegen den finsteren Lord. Das ist der Stoff aus dem Legenden sind. Erzählt es mir und ich verspreche Euch, dass Euer Dorf und seine Bürger als Helden in die Herzen eurer Nachbarn einkehren werden.“

Der Händler lächelte kalt. „Wenn du Geschichten hören willst, dass solltest grade du doch wissen, solltest du dir eine passable Schänke suchen. Am meisten Glück wirst du wohl in der 'Gebrochenen Achse' haben. Die Gasse hier direkt gegenüber bis zum Ende und dann rechts.“

Die junge Frau verneigte sich leicht und schenkte ihm noch einmal ihr breitestes Grinsen. „Ich danke Ihnen, werter Händler.“ Dann wandte sie sich ab und machte sich auf den Weg.
 

Die 'Gebrochene Achse' war eine Schänke, wie sie im Buche stand. Die aus dickem Glas bestehenden Fenster waren winzig und blind und kaum ein Lichtschein drang durch sie hindurch auf das feuchte Pflaster. Rhyan fürchtete bereits niemanden im Innern anzutreffen, doch auch hier bestätigte sich das Vorurteil, dass Schänken zu jeder Tageszeit ihre Stammgäste besaßen. Und an Tagen wie heute, wo es regnete und selbst der Markt gemieden wurde, waren es vermutlich sogar eher mehr Gäste als weniger.

Sie schüttelte sich das Wasser aus dem Mantel und durchschritt den düsteren Raum, wobei sie einen aufmerksamen Blick in die Runde warf. Die Anwesenden hatten ihre Gespräche bei ihrem Eintreten kurz unterbrochen und musterten sie nun mit beiläufiger Neugier. Doch noch ehe Rhyan die Theke erreicht hatte, waren die meisten wieder in die Gespräche mit ihrem Gegenüber oder dem Weinkrug vor sich vertieft. Sie lies sich also an einen kleinen Holztisch in direkter Nähe zur Theke, aber geschützt von den hervortretenden Wänden, nieder und streifte den nassen Mantel ab. Der herannahenden Bedienung schenkte sie ein warmes Lächeln. Die Frau war in ihren Augen viel zu alt für diesen Knochenjob, doch vermutlich hatte sie keine andere Wahl, wollte sie ihr Essen verdienen. Es gab ihr einen Stich. Zusammen mit Kane hatte sie dieses Unrecht beheben wollen. Doch irgendetwas war schief gegangen.

Rhyans Freundlichkeit verfehlte ihre Wirkung nicht und die Bedienung erwiderte das Lächeln sogar, sichtlich entspannter. „Willkommen Fremde. Ihr seht erschöpft aus, etwas warmes zu Essen könnte da Abhilfe schaffen.“ Sie zwinkerte. „Oder lieber ein Schluck heißen Bieres?“

Entsetzt fiel der jungen Frau ein, dass sie überhaupt kein Geld bei sich trug. Bei dem Händler hatte sie nicht einmal darüber nachgedacht, da sie ohnehin nichts hatte kaufen wollen. Doch jetzt wurde aus ihrer kurz erdachten Ausrede eine Notwendigkeit und sie konnte nur hoffen, dass eine gut vorgebrachte Erzählung tatsächlich noch immer ein Essen wert war. „Ich, äh... es tut mir Leid, aber ich habe kein Geld.“ Ehrlich zerknirscht starrte sie ihr älteres Gegenüber an. „Ich bin auf Wanderschaft und hatte eigentlich geplant, in der nahen Feste etwas zu verdienen, indem ich Geschichten und Neuigkeiten aus den Nachbargebieten vortrage. Aber ich musste feststellen, dass die Feste niedergebrannt ist und jetzt... ja jetzt weiß ich nicht weiter. Euer Dorf war das erste, auf das ich gestoßen bin.“

„Ach Kind, da mach dir mal keine allzu großen Gedanken. Ich habe noch ein wenig Eintopf übrig und wenn du die ein oder andere Erzählung heute Abend mit uns teilen magst, brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen.“ Mit einem beeindruckenden Rascheln ihrer weiten Schürze stob sie davon, nur um unmittelbar darauf mit einem Teller in der Hand, aus dem es verführerisch dampfte, wieder aufzutauchen. Scheppernd wurde er vor Rhyan abgestellt und die junge Frau glotzte mit runden Augen auf das warme Essen. Ihr Magen knurrte hörbar.

„Wir haben so selten Besuch. Da ist es eine willkommene Abwechslung zu hören, was bei unseren Nachbarn so alles im Argen liegt.“ Sie schmunzelte und reichte Rhyan einen Löffel. „Den wirst du brauchen.“

Verlegen nahm Rhyan das Besteck entgegen und beherrschte sich meisterlich, nicht wie ein Wolf über das Essen herzufallen, obgleich sich ihre Eingeweide vor Verlangen schmerzhaft zusammenzogen. Die Bedienung lies sich indes auf einem Stuhl zu ihrer Rechten nieder. Offenbar war sie dankbar für diese kleine Pause. „Du musst wahrhaftig von weither kommen, wenn du noch nichts über den Kampf um die Feste gehört hast.“

Rhyan wiegte den Kopf, den Mund voll warmen, wohlschmeckenden Eintopfes. Das war ihr nicht neu.

„Aber ich vermute eher, dass sich die Kunde von unserem Sieg einfach nur sehr langsam verbreitet. Der Handel zwischen den verschiedenen Siedlungen in diesem Landstrich liegt noch immer am Boden und Reisende gibt es kaum. Wie sollen sich da Neuigkeiten ausbreiten?“ Die Frau seufzte tief, während sie sich mit der Schürze den Schweiß aus dem Gesicht wischte. „Vielleicht kannst du ja etwas daran ändern, hm?“ Sie lächelte schief. „Unseren Nachbarn erzählen, was sie doch für ein feiges Pack waren. Uns in unserer größten Not und im Angesicht eines unmöglichen Krieges einfach im Stich lassen. Natürlich im gleichen Atemzug mit dem Versprechen, alte Handelsbeziehungen wieder aufleben zu lassen.“

Rhyan schluckte hörbar und musterte die Alte verwundert. Wenn sie das eine vermittelte, würde das andere wohl kaum mehr in Frage kommen.

Da die Bedienung Rhyans Erstaunen offenbar bemerkt hatte, lenkte sie gleich mit leisem Gelächter ein. „Schon gut, das sollte ein Scherz sein. Du musst verstehen, wir alle hier sind nicht mehr allzu geübt im Witze machen. Unser Humor ist beinah zusammen mit uns untergegangen.“ Trotz der zur Schau gestellten Heiterkeit war die Verbitterung in ihrer Stimme deutlich zu hören. Es war bitter und Rhyan fühlte sich schlecht. Sie hätte hier sein sollen. Sie hätte Kane aufhalten müssen. Statt dessen war sie weit fort gewesen, um sich in der Liebe eines anderen Mannes zu sonnen.

Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, versuchte sie das Gespräch weiter in die gewünschte Richtung zu lenken. „Es liegt bestimmt schon mehr als einen Sommer zurück, dass ich durch diese Gegend gekommen bin, aber damals war noch vieles anders. Ich bin für einige Tage in der Feste untergekommen.“ Sie rührte nachdenklich in der Schüssel und überlegte. „Der Fürst ist recht großzügig gewesen und ich hatte den Eindruck, dass die Bevölkerung gut unter seiner Herrschaft zurecht kommt. Anscheinend habe ich mich getäuscht.“ Sie warf der Bedienung einen verstohlenen Blick zu, während sie einen weiteren Löffel Eintopf zum Mund führte.

Die Frau schnaubte. „Also von dieser Großzügigkeit haben wir hier nicht allzu viel mitbekommen. Er scheint dich gemocht zu haben, Mädchen.“ Ihre Fingernägel kratzten über das raue Holz des kleinen Tischchens. Die Erinnerung wühlte sie sichtbar auf. „Selbstverständlich waren wir froh und dankbar, als nach diesen Zyklen unter dem Joch des Roten Priesters jemand auftauchte, um an unserer Seite zu stehen und uns dabei zu helfen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Aber es ist ähnlich wie bei einem Kind. Irgendwann muss man es frei lassen, damit es eigenständig handeln kann. Das hat er nicht getan. Er wollte es gar nicht. Jeder Versuch von unserer Seite, ein Stück mehr Unabhängigkeit zu bekommen, wurde im Keim erstickt. Wir sind kein hilfloses Volk mehr, weiß du? Wir brauchen keinen Leumund, der für uns das Wort ergreift. Aber als wir ihm das zu Verstehen geben wollten, hat er uns ausgelacht.“ Verärgert starrte sie aus dem trüben Fenster in Rhyans Rücken, an dem der Schneeregen in langen Schlieren herablief. „Er hat nicht erkannt, dass wir uns weiterentwickelt hatten. Damit hat er sich das eigene Grab geschaufelt, dieser Teufel. Ich bin nicht traurig darum, glaube mir.“

Rhyan sparte es sich, darauf zu antworten, da ihr ohnehin nichts Gescheites einfallen wollte. Außer dass sie froh war, dass es sich scheinbar für sie gelohnt hatte, ihre Anwesenheit an Kanes Seite so unauffällig wie möglich zu halten. Zum einen wegen ihres dämonischen Erbes, zum anderen wegen Arokh. Niemand hätte einem Duo wie ihnen über den Weg getraut, wenn sie mit einem ausgewachsenen Drachen an ihrer Seite aufgetaucht wären.

Das alles war ein großes Rätsel, welches im Grunde nur eine logische Erklärung zuließ. Nur dass ihr diese ganz und gar nicht gefiel. Sie würde sich eingestehen müssen, dass Kane in den Mondumläufen ihrer Abwesenheit den Kurs ihres gemeinsamen Planes drastisch geändert haben musste. Er hatte sehr wohl erkannt, dass sich die Einwohner weiterentwickelt hatten. Gefährlich weit in seinen Augen. Ließ er es zu, würde er sie nicht mehr unter Kontrolle halten können und sie würden sich seinen manipulativen Fängen entziehen. Was sie schlussendlich auch getan hatten, nachdem er sie mit seiner unbarmherzigen Härte hatte unterdrücken wollen. Er hatte nur den Fehler begangen und vergessen, dass sie erst wenige Zyklen zuvor einem Usurpatoren unterworfen gewesen waren. Den Widerstand, um nicht erneut in eine solche Lage zu geraten, hatte er offensichtlich jämmerlich unterschätzt.

Wie um ihre Gedanken zu bestätigen, sprach die Bedienung weiter. „Es hat einfach gereicht, verstehst du? Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem man einfach nicht mehr so weiter machen kann wie bisher. Wir haben lange Zeit seine Kapriolen hingenommen. Es war an der Zeit, dass etwas unternommen wird.“ Sie seufzte tief, schloss gequält die Augen. „Zumal einigen von uns langsam ein Licht aufging, wer er wirklich war. Ich konnte es nicht glauben. Wollte es nicht glauben. Ich war noch ein kleines Mädchen gewesen, als die letzten Taten von Kane dem Verfluchten zu Legenden wurden. Er war ein Schreckgespenst der Kinderzimmer und der Winternächte vor dem Feuer. Doch so wie mein Vater die Geschichten erzählte, wusste ich, dass es keine erfundenen Märchen sein konnten.

Ich bin nur ein einziges Mal in der Feste gewesen, weißt du? Um meine Ware auf dem Mark dort zu verkaufen. Ich begegnete dem Fürsten in einer der Seitengassen. Innor allein weiß, was er dort zu suchen hatte. Wir standen uns gegenüber, aber er sprach kein Wort. Musste er auch nicht. Seine Augen!“ Die Stimme der Bedienung brach in einer Angst, die sie selbst jetzt noch, nach so vielen Jahre verspürte, als wäre das Zusammentreffen erst gestern gewesen. „Es sind die Augen eines Mörders gewesen. Des Verfluchten. Ich habe meine Ware fallen gelassen und bin davon gerannt, um niemals wieder in die Feste zurück zu kehren. Und als ich meine Sorge mit einigen unserer älteren Bürger teilte, erkannte ich, dass nicht nur ich allein diesen furchtbaren Verdacht hatte. Zusammen mit seiner stetig wachsenden Brutalität konnte es nur bedeuten, dass Kane zurückgelehrt war, um uns wieder unter seine Herrschaft zu zwingen. Selbst Prirates wäre im Vergleich eine wohlsorgende Mutter gewesen.

Das war der Zeitpunkt, an dem unser Volk beschloss, sich gegen des Fürsten aufzulehnen.“

Traurig fuhr sie sich mit der Hand über die Augen, als wolle sie ihre Tränen vor Rhyan verbergen. „Auch wenn es uns große Verluste eingebracht hat. Der Hinterhalt war gut durchdacht und der Verfluchte schöpfte keinen Verdacht, als die Händler mit ihren Karren zum Markttag in den Hof der Feste rollten. Doch statt Waren hatten sich Männer und Frauen in den Karren verborgen. Am helllichten Tag haben sie angegriffen. Du musst dir das einmal vorstellen! Sie haben zu allem gegriffen, was ihnen in die Hände gekommen ist. Ich kann mir nicht erklären, wie sie es geschafft haben den Fürsten tatsächlich zu stürzen. Ich bin hier geblieben und habe um die gebangt, die ausgezogen sind. Hättest du mich gefragt, ich hätte nie erwartet auch nur einen von ihnen lebend wieder zu sehen.“

Rhyan schauderte und warf einen kurzen Blick auf die niedrige Zimmerdecke, als der Wind heulend an den losen Dachlatten zog. Sie wusste nur zu gut, dass Kane in seinem Zorn ein rücksichtsloser Mörder sein konnte und sie musste nicht in die Augen der Bedienung blicken um zu wissen, dass der rothaarige Krieger ein erbarmungsloses Gemetzel veranstaltet hatte.

„Es war ein beispielloses Schlachten. Doch irgendwann, so sagte man mir, stand die Feste in Flammen. Ein Brand, der unsere wackeren Männer und Frauen zum Rückzug zwang. Sie sagen, die Flammen seien so heiß gewesen, dass das Gestein der Wehrmauer zu Glas verbrannte.“

Ein schwerer Klotz senkte sich urplötzlich in Rhyans Magen und beinah hätte sie den letzten Bissen wieder ausgespuckt. Ihr wurde übel. Sie hatte dieses Glas gesehen, dass nur durch unfassbar heißes Feuer entstehen konnte. Etwas wie Drachenfeuer oder vergleichbar. Ein solches Feuer konnte nur magischer Herkunft sein. Also hatte Kane entweder von sich aus ihr Heim in Brand gesetzt, oder aber unter der Bevölkerung existierte ein unbekannter Magier. Das allein schon war Grund zur Sorge. Aber ein Feuer wie dieses könnte Kane durchaus gefährlich werden. Sie zwang sich zur Ruhe und blinzelte. Die Bedienung durfte ihr die Bestürzung nicht anmerken. „Dann ist der Lord in den Flammen ums Leben gekommen?“ Sie konnte nicht beschreiben, welche Furcht sie vor der Antwort empfand. Ihre Welt durfte nicht in so kurzer Zeit derart aus den Fugen geraten!

„Das... ja diese Gewissheit würde uns alle wieder friedlicher schlafen lassen. Aber sie ist uns nicht vergönnt. Noch immer ziehen Sucher aus, in der Hoffnung in den Trümmern die Überreste des Fürsten zu finden. Doch bislang blieben sie ohne Erfolg. Die Angst, dass er entkommen konnte und womöglich bereits seine Rache gegen uns plant, ist beängstigend.“ Ihre alten Knochen knackten laut, als sie sich die Hände rang, um das deutliche Zittern zu verbergen.

Beklommen starrte Rhyan auf die weiß hervortretenden Knöchel. Die Erleichterung, die diese Worte beschert hatten, war fast lähmend. Kane lebte! Daran bestand nun kein Zweifel mehr. Doch die Bedienung hatte nicht Unrecht. Der Krieger würde sich nach der Rache verzehren, jeden einzelnen Herzschlag, den er nicht Vergeltung üben konnte. Und das war in der Tat eine schlafraubende Bedrohung. Sie musste ihn finden. Jetzt noch dringender als zuvor.

Die leere Schüssel von sich schiebend blickte sie der Älteren offen in das Gesicht. „Vielleicht gibt es nichts mehr, dass eure Sucher finden können.“

Ihr Gegenüber seufzte ein weiteres Mal tief und man sah ihr an, dass sie Rhyan nur allzu gerne Glauben schenken würde. „Ich möchte es ja glauben, Kind. Doch die Berichte derjenigen, die ihn nach dem Brand gesehen haben wollen, reißen nicht ab. Immer wenn man glaubt, dass es nun endlich vorbei ist mit den Phantomsichtungen, erscheinen neue, beängstigende Berichte. Es ist verhext. Niemand hat ihn aus dem Inferno entkommen sehen. Die Feste war umstellt. Doch als die ersten Sucher gegen Abend des nächsten Tages zurückkehrten, um die Ruine nach der Leiche des Fürsten abzusuchen, behaupteten einige unter ihnen, auf einem der südlichen Hügel jemanden gesehen zu haben. Einen Hünen auf einem großen, dunklen Ross. Es kann ein Fremder, ein Reisender gewesen sein. Doch niemand ist in unserem Dorf eingekehrt, niemand hindurchgeritten. Nur wenige Tage später erreichte uns dann die Kunde, dass eines unserer Nachbardörfer niedergebrannt worden sei. Keine Überlebenden. Sie waren ungeschützt und hatten ihre Häuser entlang der Küstenstraße errichtet. Auch das kann ohne weiteres auf das Konto von Gesetzlosen gehen. Aber ich glaube es nicht.“

Eine Gänsehaut überzog Rhyans nackte Unterarme und sie verbarg sie hastig unter dem Tisch. Es war schlimmer als angenommen. Kane war schon jetzt vollkommen außer Kontrolle. Wenn er schon ein unschuldiges, schutzloses Dorf auslöschte, musste sein Hass sein rationales Denken bereits tief vergiftet haben. „Wohin führt denn diese Küstenstraße?“ Ihre Stimme klang selbst in ihren Ohren fadendünn.

„Zu den südlichen Ausläufern der Klippen Carsultyals. Sie haben einst über die große Stadt gewacht und die Landbevölkerung vor Angriffen von der Seeseite gewarnt.“

Rhyan nickte gedankenverloren. Vor langer Zeit war sie einmal dort gewesen. Es war eine raue, von wilder Schönheit gezeichnete Gegend. Geprägt von stetigem Wind und dem Geschrei der Sturmjäger. Jener eleganten Vögel, die den Ozean zu ihrem angestammten Heim erkoren hatten und nur zum Schlafen in den Schutz der Klippen zurückkehrten. Wenn Kane auf dem Weg dorthin war, konnte es nur einen einzigen Ort geben, an den er gehen würde. Sie, Rhyan, würde den selben Weg beschreiten, in der Hoffnung, ihren Freund nicht zu spät zu erreichen. Sie wusste nicht was sie tun konnte, wenn Kanes dunkle Seite bereits zu sehr Besitz von ihm ergriffen hatte. Daher klammerte sie sich an die Hoffnung, dass er stark genug sein würde.

Für einen kurzen Moment wurden ihre Augen blicklos und sie versank in leichter Trance, als sie ihre Gedanken aussandte. Arokh antwortete prompt auf ihren mentalen Ruf, lauschte ihrem knappen Bericht und drehte dann bei, um ebenfalls den Klippen entgegen zu fliegen. Er würde vor Rhyan die Küste erreichen.

Mit einem warmen Lächeln legte sie dann ihre Hand auf den Arm der Bedienung. Ihre Haut war rau und warm und tiefes Mitleid ließ Rhyan das Herz eng werden. So war das alles nicht geplant gewesen. „Ich danke Euch für diese kleine Geschichtsstunde. Das ist der Stoff aus dem Legenden sind. Ich werde demnächst viel zu tun haben, wenn ich all das in einer gesellschaftstaugliche Erzählung zusammenfassen will. Die Helden dieses unscheinbaren Landstriches werden nicht vergessen sein. Das verspreche ich Euch.“

Die Augen der alten Frau schimmerten feucht und sie erwiderte Rhyans Berührung mit einem sanften Druck. „Das wäre wunderbar. Wenn du das tun würdest...“ Sie wischte sich verstohlen eine Träne fort. „Vergiss die Bezahlung für dein Essen, Mädchen. Versprich mir... versprich mir nur, dass du hier her zurückkehren wirst und deine Erzählung in meiner Schänke zum Besten geben wirst, wenn sie fertig ist.“

Rhyans Lächeln weitete sich zu einem verschmitzten Grinsen. „Ich verspreche es. Ihr werdet die Ersten sein, die diese Erzählung zu hören bekommen. Selbstverständlich.“ Sie ließ die Hand der Bedienung los und griff nach ihrem Mantel. Sie hatte was sie wollte und kannte ihr nächstes Ziel. Es wäre dumm, ihren Aufbruch unnötig länger aufzuschieben. „Dann werde ich jetzt auch wieder aufbrechen. Mein Weg ist noch weit und ich brauche Ruhe, um die Erzählung in die rechten Bahnen zu lenken.“

Rhyan unterband den Protest der alten Frau, indem sie diese kurzerhand an sich drückte. „Passt auf euch und eure Lieben auf.“ Dann war sie auch schon durch die Tür, zurück in den kalten Graupel, welcher noch immer aus den tief hängenden Wolken fiel.

Die Suche beginnt

Sie machte sich noch am selben Tag auf den Weg, nachdem sie ihre Vorräte aufgestockt hatte. Es gefiel ihr nicht, aber da sie über keinerlei Geld verfügte, blieb ihr keine andere Wahl, als einen Moment der Unaufmerksamkeit zu nutzen und die wenigen Händler auf dem Marktplatz um einige wenige Gegenstände zu erleichtern.

Kaum dass sie außer Sicht des Weilers war, traf sie sich mit Markor und gemeinsam wandten sie sich der Küstenstraße zu. Es würde ein Ritt von mehreren Tagen werden und Rhyan hoffte inständig, dass sie auf diesem Weg über weitere Hinweise stolpern würden, die ihnen Auskunft über den Verbleib von Kane geben konnten. Doch die Straße war ausgestorben und an den wenigen Wegstationen, an denen sie vorbei kamen, hatte seit langer Zeit niemand mehr gerastet. Überhaupt war die ganze Straße, einst eine gepflegte, mit Wagen gut zu befahrende Handelsstrecke, ein einziges Schlammloch. Tiefe Pfützen hatten sich in den Wagenspuren gebildet und stellenweise wurde der Schotter bereits von der Vegetation zurück erobert. Als sich die Straße durch ein verwildertes Waldgebiet schlängelte, verschwand der Streckenverlauf sogar vollständig im Unterholz und Rhyan sah sich gezwungen abzusteigen, um mit Hilfe ihres Schwertes einen Weg zu schlagen.

Durchnässt und hungrig beschloss sie deshalb in der dritten Nacht nach Verlassen des Weilers in einer der befestigte Wegstationen zu übernachten. Der Wind hatte nachgelassen, doch der Regen hatte eine unangenehme Dauerhaftigkeit angenommen und konnte nicht einmal mehr durch ihren Ölzeugmantel angehalten werden. Selbst Markor zeigte dieses Mal keinerlei Ambitionen die Nacht unter freiem Himmel und allein zu verbringen, wie sonst üblich. Er lies sich in seinem Teil des Schuppens nieder und schaute Rhyan aufmerksam dabei zu, wie sie ein kleines Feuer schürte. Die Wärme der Flammen verbreitete sich rasch in dem beengten Raum.

Rhyan ließ sich neben dem schwarzen Hengst auf das ausgebreitete Stroh fallen, lehnte sich mit dem Rücken an seine Flanke und angelte nach den Resten ihrer Vorräte. Sie war wirklich müde und dankbar, ein dichtes Dach über dem Kopf zu haben. Die Klippen waren nicht mehr sehr weit entfernt, mit etwas Glück konnten sie die ersten Ausläufer am frühen Abend des nächsten Tages erreichen. Auf jeden Fall würden sie aber in den nächsten zwei Tagen auf das Meer stoßen. Die junge Frau lächelte. Sie liebte das Meer.

Das war auch der Grund, weshalb sie sich in Atlantis so wohl gefühlt hatte. Einer der Gründe. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Es hätte alles ganz anders kommen sollen. Sie hatte seit langer Zeit wieder die Hoffnung verspürt, endlich wieder ihr Gleichgewicht zurück zu bekommen, eine innerliche Ausgeglichenheit die allein darauf beruhte, dass endlich alles so war, wie es sein sollte. Das sie, Rhyan, endlich wieder ganz war und ihr Leben aus freien Stücken und mit all dem Wissen bestreiten konnte, das ihr zustand. Sie hatte die Pegasus-Galaxie zurückgelassen, weil sie spürte, dass sie im Grunde ihres Herzens hier her gehörte. Das dies ihr zu Hause war. Nicht die atemberaubende Stadt der Antiker. Hier hatte sie ihr Leben verwurzelt, hier war Arokh.

Natürlich hatte sich ihre Sicht der Dinge verändert, seitdem sie ihre wahre Vergangenheit wiederentdeckt hatte. Erkannt hatte, dass sie eigentlich gar nicht hier her stammte und ihre Wurzeln ganz woanders lagen. Dass ihre Heimat die Erde war. Dass sie den Menschen auf Atlantis näher war als den Menschen auf diesem Planeten. Dennoch verband sie zu viel mit diesem verfluchten Landstrich, als dass sie all das einfach hinter sich lassen wollte. Zumal sie in ihrer Andersheit selbst in Atlantis fremd war. Hier konnte sie sein wer sie wollte, es scherte niemanden. Nur eine einzige Person war ihr wichtig, die verstehen sollte, was mit ihr geschehen war. Doch diese Person war für sie jetzt unerwartet unerreichbar geworden. Was hatte sich Kane bloß dabei gedacht?

Es traf sie unerwartet tief, dass Kane so schnell so unberechenbar geworden war. Beinah wünschte sie sich noch in Atlantis zu sein. Weit fort von hier in Johns Armen zu liegen, umschlossen von seiner zärtlichen Wärme. Aufzuwachen und noch einmal durch den Ring der Vorfahren treten zu können, um alles so vorzufinden, wie erwartet.

Sie hatte sich schweren Herzens von den Atlantern verabschiedet und nun hatte sie nichts mehr. Weder ihre Freunde aus Atlantis, noch ihre Freunde hier. Alles lag in Trümmern und sie fühlte sich elend. Und sie fürchtete sich vor dem, was sie vorfinden würde, wenn sie auf Kane traf. Sie war es ihm schuldig, dass sie ihn suchte. Dass sie ihm beistand und nichts anderes wäre für sie in Frage gekommen. Doch sie konnte nicht verhindern, das sie Angst empfand. Vor dem, was Kane geworden war. Seine wirkliche, verfluchte Seite kannte selbst sie nur aus Legenden und Aufzeichnungen. In den Jahren ihrer gemeinsamen Wanderschaft hatte sie immer nur einen kurzen Blick auf diesen Abgrund in seiner Seele werfen können. Er hatte sich beherrscht, hatte seinem Hass nie gestattet vollständig Kontrolle über sein Handeln zu erlangen. Aber selbst die wenigen Male, die sie seinen selbstzerstörerischen Zorn mit eigenen Augen gesehen hatte, genügten ihr, um ihn im Grunde ihres Herzens zu fürchten oder doch zumindest einen gesunden Respekt zu wahren. Sie mochte sich nicht ausmalen wie er sein würde, wenn diese Beherrschung fortgefegt wurde.

Schaudernd dachte sie an die geschwärzten Gerippe des kleinen Dorfes, an dem sie während des zweiten Tages vorbei gekommen war. Es musste der Ort sein, den die Bedienung in der 'Gebrochenen Achse' gemeint hatte und der Kanes Zorn auf seiner Flucht zum Opfer gefallen sein musste. Es war ein furchterregendes Bild gewesen, welches sich tief in Rhyans Geist geprägt hatte. Kein Haus war von der Feuersbrunst verschont geblieben. Die Ställe waren ebenso dem Erdboden gleich gemacht wie die Wohnhäuser und vereinzelt ragten die Spitzen weißer Knochen aus der Asche, die sich gleich einem Leichentuch über das Szenario gelegt hatte. Nur der seichte Wind wirbelte den Ruß auf und ließ ihn in der Luft tanzen, als würden die Geister der Verstorbenen über dem Schlachtfeld wandeln. Niemand war diesem Wütend entfesselten Zorns entkommen.

Was bloß konnte der Auslöser für diese Katastrophe gewesen sein? Ihr Unterbewusstsein raunte ihr zu, dass sie der Auslöser war. Dass sie nicht hätte gehen dürfen. Doch sie verdrängte diesen Gedanken ärgerlich. Sie war nicht an Kane gebunden und noch weniger war sie für ihn verantwortlich. Aber es war schwer, keine Schuldgefühle zu empfinden. Erst recht, wenn man mit solch unvorstellbarem Grauen konfrontiert wurde. Kein Wegelagerer hätte solch eine perfekte Zerstörung hinterlassen.

Derart in Gedanken versunken, rutschte sie schlussendlich an der Seite Markors herab in einen unruhigen Schlaf. Sie fand keine Erholung in dieser Nacht, dämmerte auf der Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit und fühlte sich schrecklich, als sie das Ringen schlussendlich aufgab und aufstand. Wenn sie schon keine Ruhe fand, konnte sie genau so gut weiter reiten.

Doch das ungute Gefühl blieb, selbst als sie schon eine ganze Weile zurück auf der Straße war. Das Gefühl, dass sie nicht ruhig hatte schlafen lassen. Rhyan wurde misstrauisch, hob den Kopf und lauschte angestrengt in die Stille der Nacht. Der Morgen war nicht mehr allzu fern, hinter den Wipfeln der hohen Bäume zeichnete sich bereits der erste schwache Lichtschein ab. Doch hier, am Fuße des Hohlweges, der sich durch die bewaldeten Hänge des Forstes wandt, war es nach wie vor finsterste Nacht.

Sie ließ Markor in einem langsamen Schritt voranschreiten, so dass seine Hufe kaum ein Geräusch auf dem laubbedeckten Untergrund verursachten, schloss die Augen und sandte ihren Geist aus. Zuerst war es nur die Natur, mit all ihren kleinen, nachtaktiven Bewohnern, die sie um sich herum spürte, weshalb sie ihren Radius ausweitete. Und prompt fündig wurde. Als ihre Augen wieder aufsprangen, glommen sie in einem warmen Goldton. Die Pupillen geweitet, warf sie einen Blick über ihre Schulter, in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und entdeckte drei Reiter. Sie hielten sich jenseits der Straße im Unterholz und die Tatsache, dass sie hierbei keinerlei Geräusche verursachten, stimmte sie nachdenklich. Wer immer ihr da folgte, verstand sein Handwerk. Und war auch nicht zufällig auf ihrer Spur.

Markor, der die Unruhe seiner Herrin spürte, beschleunigte seine Schritte, bis er im weit ausholenden Trab entlang der Grasnabe lief. Seine Ohren spielten, als er das leise Geräusch des gezogenen Schwertes vernahm. 'Leids' Intarsien leuchteten hell, reflektiert von den dicht beisammen stehenden Büschen und Sträuchern. „Wir müssen diesen Hohlweg verlassen, bevor sie auf den Gedanken kommen, uns anzugreifen.“ Eine Hand ruhte auf dem warmen Hals des Nachtmahrs, die andere hielt das schlanke Schwert fest umklammert. „Ich will wissen, wer die sind und warum sie uns folgen. Wenn es nur Wegelagerer sind, können wir froh sein.“ Irgendwie wusste sie, dass dem nicht so war und dass die drei Verfolger in direktem Zusammenhang mit ihrem unerfreulichen Erlebnis auf der Feste standen. Sie hatte sich bemüht, all ihre Spuren zu verwischen und im Nichts zu verschwinden. Doch offenbar hatte sie irgendwo einen Fehler gemacht.

Wütend knirschte sie mit den Zähnen. Sie wollten einen Kampf? Sie konnten ihn haben.

Auf leichten Schenkeldruck machte der schwarze Hengst einen Satz nach vorne, um dann im gestreckten Galopp voran zu preschen. Sollten sie versuchen, sie einzuholen. Kein normalsterbliches Pferd würde je einen Nachtmahr einholen.

Die Straße verlief in scharfen Windungen, doch der Wald endete schon bald und sie traten hinaus in das diffuse Licht vor Sonnenaufgang. Noch schienen die Farben der Welt gedrückt und grau. Das zarte Glühen am Horizont versprach aber eine baldige Wende.

Sie ließen die dem Wald vorgelagerten Wiesen hinter sich, ehe sie auf der Kuppe eines flachen Hügels stoppten. Ihre Verfolger hatten das Dickicht noch nicht verlassen, würden sie aber bereits von weitem sehen können. Ein Schattenriss gegen die heller werdende Korona der Sonne. 'Leid' locker zum Boden gerichtet, standen sie da und warteten. Jede Faser ihrer Körpers angespannt und zum Kämpfen bereit.

Doch nichts geschah.

Mit gerunzelter Stirn suchte Rhyan den Waldrand ab, sandte ihre Gedanken aus und fand nichts. Die drei Reiter waren verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.

Anfangs war sie sich sicher gewesen, dass sie die Verfolgung aufgenommen und das Tempo erhöht hatten. Doch jetzt... Unruhig rutschte die junge Frau auf dem Rücken des Hengstes herum. Auch eine zweite Suche führte zum selben Ergebnis. Und es gefiel ihr nicht.

Ohne 'Leid' wegzustecken, bedeutete sie Markor zu wenden und weiter in die Richtung zu laufen, in der die Küste lag. Wenn man sie verfolgte, so hatten die Reiter dann keine andere Wahl mehr, als den Schutz der Bäume zu verlassen. Hier auf offener Ebene würde sie jeden frühzeitig entdecken. Zumindest ein Angriff aus dem Hinterhalt war hier nicht mehr möglich.

Aber sie fühlte sich unwohl. Beständig hatte sie den Eindruck, dass sich der Blick verborgener Augen in ihren Rücken bohrten. Mehrfach blieb sie stehen und ließ den Blick ihrer scharfen Augen über die sanften Wiesen gleiten, die nun immer weiter abfielen. Die Klippen konnten demnach nicht mehr weit sein. Die Vegetation änderte sich und die Luft roch bereits salzig.

Sie verließen die Straße und folgten ihrem Verlauf in einiger Entfernung, bis sie endlich, auf einer kleinen Anhöhe stehend, das Meer sehen konnten. Erst jetzt fiel die Anspannung von der jungen Frau ab und wurde von einem seligen Lächeln abgelöst. Die atemberaubende Weite und Wildheit des Ozeans ließen ihr jedes Mal aufs Neue das Herz weit werden. Mehr Freiheit konnte es nicht geben. Kein Lebewesen war freier und ungebundener als die waghalsigen Sturmjäger. Gedankenverloren verfolgte Rhyan deren Flug. Sie würde noch genügend Gelegenheit haben, ihren Flugkünsten zuzusehen, da sie der Küste von nun an einer geraumen Weile folgen würde. Doch diesen Moment der Freude musste sie einfach genießen.

Mit einem letzten Blick über die Schulter, der nur eine menschenleere Ebene offenbarte, verließen sie die Anhöhe und flogen mit weit ausgreifenden Sprüngen auf die Klippen zu. Erst wenige Schritte vor dem Abgrund warf sich der große Hengst herum, um entlang seiner Abbruchkante gen Süden zu jagen. Am Fuße der schwindelerregend hohen Wand zerschellten die Wellen in glitzernde Tropfen. Das Donnern und Beben war noch bis hier oben zu verspüren.

Rhyan wusste nicht genau, wo sich ihr Ziel überhaupt befand und war sich auch nicht sicher, wie weit südlich sie sich tatsächlich befanden. Daher war sie überrascht, als sie bereits am späten Nachmittag dem scharfen Umriss eines Leuchtturmes ausmachte. Von einem Herzschlag zum nächsten fühlte sich ihre Kehle trocken, ihre Brust zu eng zum Atmen an. Sie würden diese Nacht wieder ein Dach über dem Kopf haben. Und vielleicht würden sie schon nicht mehr alleine sein. Sie hoffte, dass Kane dort war, während ein anderer Teil froh darüber sein würde, wenn er es nicht war.

Ihre Unruhe nahm nur noch ein Stück zu, als sich ein großer, dreieckiger Schatten von dem Gemäuer des Turmes löste und auf dem Wind segelnd langsam in ihre Nähe kam. Sie hatte seit zwei Tagen keinen Kontakt mehr zu Arokh gehabt. Das allein war schon merkwürdig. Doch sein unerwartetes Auftauchen bekümmerte sie noch zusätzlich. Markor stoppte, als der Drache sanft vor ihnen zur Landung kam.

„Wir sind zu spät. Es tut mir leid.“

Entsetzt riss Rhyan die Augen auf. „Was soll das heißen, wir sind zu spät?“ Sie hasste es, wenn Arokh sich so doppeldeutig ausdrückte. Doch anscheinend konnten Drachen manchmal gar nicht anders. Zusammen mit seiner Entschuldigen, befürchtete die junge Frau das Schlimmste und sie schaute voller Grauen hinüber zu dem Leuchtturm.

Arokh brummte tief und schüttete seine langen Flügel. Eine Geste, die Ärger ausdrückte. „Das Kane nicht mehr dort ist, das soll es heißen. Ich muss ihn knapp verpasst haben. Dennoch konnte ich seine Spur nicht finden.“

„Aber er war hier?“ Markor setzte sich wieder in Bewegung und Seite an Seite näherten sie sich dem verfallenen Bauwerk.

„Selbstverständlich.“

Der Leuchtturm hatte einmal zu einem von Kanes liebsten Rückzugsorten gehört. Daher war es naheliegend, dass er auch diesmal hier her kommen würde, wenn die Wogen um ihn herum zu hoch aufbrandeten. Er lag etwas exponiert auf einer Felsnase, weit entfernt von jeglicher menschlicher Siedlung, und ragte weit in die aufgewühlte See hinaus. Umschlossen von einigen knorrigen, windgezeichneten Bäumchen, ragten seine verwitterten Mauern zehn Mannslängen in den Himmel. Seine Kuppel war durch Wind und Wetter spröde geworden und eingebrochen und auch einige der Fenster hatten ihr Glas eingebüßt. Vereinzelt baumelten noch hölzerne Fensterläden an rostigen Angeln. Gepaart mit dem melancholischen Geschrei der Sturmjäger wirkte der Ort einsam und verwunschen.

Dass Kane dieses Domizil bereits wieder verlassen hatte, bereitete ihr Sorge. „Wann bist du hier angekommen, Arokh?“

„Vor zwei Tagen. Ich hatte einen Moment gebraucht, um deine Hinweise zu verstehen.“

Rhyan bedachte ihn mit einem finsteren Blick, unterließ es jedoch, darauf zu antworten.

„Er kann nicht lange vor meiner Ankunft abgereist sein, doch er hat sich größte Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen. Ungewöhnlich viel Mühe.“ Der Drache schaute mit einer Mischung aus Erwartung und Neugierde auf Rhyan hinab. „Es kommt mir beinah so vor, als wolle er bewusst verhindern, dass ich ihn entdecke. Er weiß ganz genau, dass ich ihn suchen würde, wenn du es wünschst und niemand sonst hätte auch nur den Hauch einer Chance zu erkennen, dass er überhaupt hier war.“

„Was willst du damit andeuten? Dass er nicht gefunden werden will?“ Der Trotz in ihrer Stimme verwunderte sie selbst und sie ließ sich von Markors Rücken gleiten, um ihre Gefühle zu verbergen. Kane und sie waren Weggefährten. Freunde, die sich so nahe standen wie nur irgend ein Geschwisterpaar. Warum würde er verhindern wollen, dass sie ihn fand?

Als sie durch die baufällige Eingangstür in das Innere des Turmes trat, umfing sie staubiges Zwielicht, der Geruch von Salz und Moder lag in der Luft.

Arokh, dazu verdammt draußen zu warten, setzte die Konversation im Geist fort. „Mach dir doch nichts vor, Rhyan! Selbst du musst erkennen was all das zu bedeuten hat. Kane ist außer Kontrolle und er versucht dir aus dem Weg zu gehen, weil er ganz genau weiß, dass du dich ihm in den Weg stellen würdest.“

Beklommen starrte Rhyan auf das wenige Mobiliar, welches vergessen und zum Teil zertrümmert an den runden Wänden kauerte. Hier unten konnte sie keinerlei Hinweise finden, dass sich bis vor kurzem noch jemand hier aufgehalten hatte. Zweifel nagten an ihr, dass Arokh Recht haben könnte. Zweifel, die ihr Herz schwer werden ließen und tief in ihrer Seele einen ungeahnten Schmerz hervorriefen. Kane würde sie nicht so einfach aufgeben. Er musste wissen, dass er sie nicht fürchten brauchte.

„Närrin!“ Sie zuckte unter dem Zorn in Arokhs Stimme unwillkürlich zusammen. „Er fürchtet dich nicht. Er fürchtet niemanden, nicht einmal mich. Aber für das was er vor hat, braucht er dich nicht. Du wärest ihm im Weg, das ist alles.“

Die Worte verletzten sie tief. Vor allem, weil ihr dieser Gedanke bereits selbst gekommen war. Aber sie hatte ihn nie laut ausgesprochen und sie wünschte, dass auch Arokh es nicht getan hätte. „Er würde mich nicht einfach fallen lassen!“ Sie erreichte das nächste Stockwerk über eine düstere und unangenehm enge Wendeltreppe, und auch das darüber bot ein gleichbleibendes Bild. Staub, alte Möbel und Schimmel. Keine Spur menschlichen Lebens. Aber Kane hatte nie viel benötigt.

Sie hörte Arokh außerhalb der Mauern verärgert knurren und konnte ihre Wut selbst kaum bändigen. Weshalb sie so zornig war, konnte sie selbst kaum begreifen. Es musste die Trauer sein, vor einem derartigen Scherbenhaufen zu stehen, wie Kane ihn hinterlassen hatte. Und vor dem Haufen unbeantworteter Fragen, die sie dem Verfluchten nur allzu gerne gestellt hätte. Ihre Zähne knirschten, als sie die Kiefer entschlossen aufeinander presste. Sie würde sie ihm stellen. Und sie würde ihn finden. Er würde schon sehen.

Als sie das zerstörte obere Stockwerk erreichte, verrauchte auch der Rest ihrer Hoffnung, einen Hinweis auf Kanes Verbleib zu finden, und sie stützte sich schwer auf die Lücke, die durch herabgefallene Dachziegel in das Mauerwerk gerissen worden war. „Ich versteh das einfach nicht.“

Sie schloss kurz die Augen vor dem aufwirbelnden Schmutz, als Arokh sich anschickte, auf der Turmspitze zu landen. Den langen Schwanz um den Turm geschlungen, kauerte er auf den letzten Überresten des Daches. „Es tut mir leid, Rhyan. Wir beide wussten, dass Kane früher oder später seinem Fluch erliegen würde. Wir hätten nichts tun können.“

Heißer Zorn wallte in ihr auf. „Wo warst du, während ich in Atlantis gewesen bin? Wo? Warum bist du nicht bei ihm geblieben, wenn du so etwas schon geahnt hast?“ Tränen stiegen ihr in die Augen, die sie wütend fortwischte. „Du hättest es verhindern können!“

Mit einem drohenden Fauchen entblößte der Drache seine langen Reißzähne, die Flügel leicht abgespreizt. „Rede nicht so mit mir! Du weißt genau, dass ich Kane nur geduldet habe, weil DU ihn zu deinem Weggefährten erwählt hast. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe keinen Grund ihm zu vertrauen und ich habe keinen Grund seine Amme zu spielen, wenn du meinst dem Phantom deiner Vergangenheit nachjagen zu müssen.“

Rhyan prallte zurück. Selten hatte sie Arokh derart aufgebracht gesehen. Dennoch verletzte sie die Art, wie er über ihre Suche nach der Wahrheit sprach. Er musste doch wissen, wie viel ihr das bedeutet hatte, endlich zu erfahren, woher sie wirklich gekommen war.

„Niemand hätte es verhindern können und du solltest froh sein, nicht dort gewesen zu sein, damit du seinem Hass auch noch zum Opfer fallen konntest. Sieh es endlich ein! Kane ist nicht mehr die Person, die du zurück gelassen hast.“

Halb erstickt vor Entsetzen, Verzweiflung und Wut rutschte Rhyan an der Mauer herab und zog die Knie an. Es musste einen Weg geben, Kane zu retten. Und sie würde daran festhalten, bis sie sich mit eigenen Augen vom Gegenteil überzeugt hatte. Dass Kane nicht gefunden werden wollte, war naheliegend. Doch sie zweifelte daran, dass er auch von ihr nicht gefunden werden wollte. Er würde seine Verfolger ebenso abzuschütteln haben wie Rhyan die ihren. Dass er über Fähigkeiten verfügte, die ihm das in besonderem Maße erlaubten, war nicht verwunderlich und es sollte sie nicht wundern, dass er seine Mittel auch verwendete. Zitternd stieß sie den Atem aus. Und selbst wenn Kane wirklich nicht mehr zu helfen war, so war es ihre Pflicht ihn daran zu hindern, dieses Land erneut mit Krieg und Sklaverei zu überziehen. Sie durfte nicht zulassen, dass er zu dem Monster aus den alten Legenden wurde.

Rhyan hob den Kopf, als der warme Atem des Drachen über sie hinweg strich. Er hatte seinen mächtigen gehörnten Schädel zu ihr herab gesenkt und mustere sie aus uralten Augen. „Wohin könnte er wollen“

Die junge Frau lächelte schwach und streckte die Hand aus, um über die warmen Schuppen zwischen den beiden gewaltigen Nüstern zu streichen. „Ich weiß es nicht.“ Sie rutschte ein Stück von der Wand ab, lehnte ihren Kopf an Arokhs Schnauze und überlegte. „Gibt es einen Ort, den die Menschen meiden? Einen Ort, an dem er Frieden und Ruhe hat, um seine durchkreuzten Pläne zu vollenden?“

„Solche Ort gibt es viele. Ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte. Selbst wenn ich alleine fliegen würde, bräuchte ich Monate, um alle in Frage kommenden Plätze aufzusuchen.“

Sie nickte niedergeschlagen. „Also werden wir auf Glück weiter suchen müssen.“ Forschend sah sie dem Drachen ins Gesicht. „Wirst du mir denn trotzdem helfen?“ Sie durfte nicht vergessen, dass sie ihn freigegeben hatte und dass er nicht mehr an sie gebunden war. Daher konnte sie nicht einfach von ihm verlangen etwas zu tun, von dem er nicht vollkommen überzeugt war. Wenn er Kane nicht traute, konnte sie auch nicht erwarten, dass er zu dessen Rettung eilen würde.

Arokh grummelte tief in seiner Kehle und wackelte mit dem Kopf, was ihm einen verblüffend lächerlichen Ausdruck verlieh. Im Grunde fehlte nur noch, dass er mit seinen großen Augen rollte und Rhyan begann zu grinsen. Nach Jahren an der Seite dieses Drachen hatte sie gelernt, dessen Mimiken zu entziffern.

„Als wenn ich dich allein auf solch eine Hasenjagd gehen lassen könnte. An dir würde ja nicht mal ein unversehrtes Haar bleiben.“

„Zu gnädig, Mylord.“ Rhyan war erleichtert, dass die Spannung zwischen ihnen vergessen war, strich noch einmal über die schwarz-roten Schuppen und stand dann auf. „Ich werde über Nacht hier bleiben. Vielleicht kann ich...“

Das aufgebrachte Wiehern Markors schallte zu ihnen herauf und Drache und Reiter lehnten sich über die Brüstung, um hinab zum Fuß des Leuchtturmes blicken zu können.

Der Nachtmahr kam auf fliegenden Hufen auf den Turm zu. Er musste die freie Zeit genutzt haben, um auf die Jagd zu gehen und offenbar hatte er dabei irgend etwas gefunden. Grassoden flogen durch die Luft, als er zum Stehen kam, auf die Hinterhand ging und erneut sein herausforderndes Wiehern in die salzige Luft schickte.

Beunruhigt suchte Rhyan den im leichten Dunst versinkenden Horizont ab, doch Arokh war derjenige, der die Reiter zuerst entdeckte. Seine Augen waren schmale Schlitze, während er versuchte, mehr zu erkennen. „Eine Reiterschar. Sie kommt direkt auf uns zu. Vielleicht acht oder zehn Pferde. Das kann kein Zufall sein.“

Rhyan wartete nicht einmal mehr das Ende des Satzes ab. Drei Stufen auf einmal nehmend stolperte sie die enge Wendeltreppe hinab. Jetzt wusste sie, wohin ihre drei Verfolger von heute morgen verschwunden waren. Sie mussten geahnt haben, wohin sie wollte und waren zu dem Rest ihrer Gruppe zurückgekehrt, um jetzt mit geballter Macht anzugreifen. Wütend verfluchte sie ihre Nachlässigkeit, sie hätte es besser wissen müssen und die drei gleich ausschalten sollen.

'Leid' fest in der rechten Hand trat sie durch die Eingangstür hinaus in die Abendsonne. Noch konnte man die Reiter nicht mit dem bloßen Auge sehen, sie waren verbogen hinter den sanften Hügeln des Küstenvorlandes. Aber das Donnern der Hufe drang bereits bis zu ihnen. In ihrem Rücken stieß sich Arokh von seinem Platz auf dem Leuchtturm ab, schraubte sich den verstreuten Wolken entgegen und war schon nach kurzer Zeit nicht mehr gegen die tief stehende Sonne auszumachen. Er kannte die Grenzen der menschlichen Augen und wusste genau, wie er sich zu verhalten hatte, um wie aus dem Nichts unerkannt angreifen zu können.

Rhyan verdrängte die Schuldgefühle, die in ihr aufkamen, wenn sie daran dachte wie wehrlos die Reiter einer Attacke des Drachen ausgeliefert sein würden. Diese Menschen waren darauf aus, sie zu töten. Oder doch zumindest zu fangen. Und das konnte sie unter keinen Umständen zulassen.

Als die Schar die letzte Anhöhe vor dem Leuchtturm erreichte, kam Arokh lautlos aus den Wolken gefallen. Die Flügel nur leicht ausgestellt, um auf der seichten Meeresbrise segeln zu können, sank er hinter den Reitern immer tiefer, bis seine Vorderklauen die Nachhut ergriffen. Das entsetzte Schreien der tödlich verwundeten Pferde war grauenvoll, ihre Reiter aber hatten nicht einmal mehr die Chance, ihre Kameraden zu warnen. Ein Dritter wurde von Arokhs rasiermesserscharfen Zähnen zerrissen.

Für einen Moment kam der Vormarsch der Reiterschar ins Stocken. Vier der verbliebenen Sieben drehten sich zu dem Geschrei in ihrem Rücken um, unfähig der nächsten Attacke des Drachen zu entgehen. Zwei weitere Pferde mit samt ihren Reitern flogen stoffpuppengleich durch die Luft, getroffen von dem langen peitschenden Schwanz ihres Angreifers. Sekunden waren nur vergangen, und doch war die Schar bereits um die Hälfte dezimiert worden.

Erst jetzt war der hinterhältige Überfall auch bei den ganz vorn Reitenden angekommen und sie wandten sich mit lautlosem Entsetzen zu dem Drachen um. Es war nur allzu deutlich, dass sie mit so etwas nicht gerechnet hatten.

Da Arokh seinen Schwung verbraucht hatte, gewann er bereits wieder mit kräftigen Flügelschlägen an Höhe, entfernte sich so mühelos aus der Reichweite der ihm entgegen gereckten Schwerter. Zwei der Fünf blieben zurück und behielten ihn im Auge. Die anderen Drei gaben indes ihren Tieren die Sporen und jagten im gestreckten Galopp dem Leuchtturm entgegen. Rhyan lächelte wölfisch. So würde auch noch ein wenig Spaß für sie bleiben.

Kurzerhand schwang sich auf Markors Rücken, um ihre Angreifer in stoischer Ruhe zu erwarten. Wenn das die näher kommenden Reiter in irgendeiner Form beunruhigte, zeigten sie es nicht. Narren. Sie ahnten nicht gegen wen sie ritten.

Das vorderste Pferd scheute, als ihr Nachtmahr unmittelbar vor dem Zusammentreffen auf die Hinterhand ging, und entging so nur knapp einem Treffer durch seine mächtigen Hufe. Donnernd schlugen sie auf dem weichen Untergrund auf, dann blitzte auch schon 'Leid' in einer traumwandlerischen Schnelligkeit vor und klirrte gegen das erhobene Schwert seines verwirrten Reiters.

Mit runden Augen glotzte dieser auf die gekreuzten Klingen, die nur wenige Zoll vor seinem Gesicht zum Stehen kamen. Rhyan knurrte wütend und veranlasste Markor mehrere Schritte seitwärts zu gehen, wodurch er das ohnehin schon verstörte Pferd mit seinem Leib zurück drängte. Gleichzeitig nahm sie ein Stück des Drucks gegen die gegnerische Waffe zurück, die daraufhin hell klingend abrutschte. Aus dem Gleichgewicht geraten, wankte der Reiter auf dem Rücken seines Tieres und hatte nicht den Hauch einer Chance, der zurückschnellenden schwarzen Klinge auszuweichen. 'Leid' trennte ihm den Kopf von den Schultern.

Sofort löste sich Markor von dem entsetzten Reittier des Sterbenden. Es schlug mit den Hinterläufen nach seinen Kameraden, schüttelte sich, um das tote Gewicht von seinem Rücken zu stoßen, und schoss dann in weit ausholenden Sprüngen davon. Die Verwirrung, die dadurch unter den restlichen Zweien entstanden war, kam Rhyan nur grade recht.

Der Nachtmahr stieg erneut. Sein rechter Huf schrammte über den Schädel des ihm am nächsten stehenden Pferdes und raubte diesem damit sein Augenlicht. Dann warf er sich herum und verbiss sich in dem ausgestreckten Schwertarm des Reiters. Konfrontiert mit dem Raubtiergebiss des schwarzen Hengstes und dem unnachgiebigen Druck, welchen seine Kiefer auf den Waffenarm ausübten, kreischte der Angreifer in Todesangst, ließ sein Schwert fallen und schlug mit der freien Hand auf die Nüstern des Teufels in Pferdegestalt ein. Blanke Panik war ihm ins Gesicht geschrieben.

Derart abgelenkt blieb Rhyan nun lediglich noch die Aufgabe, den Letzten der unseligen Angreifer zur Strecke zu bringen. Auch ihm war deutlich das Entsetzten und die Angst anzusehen. Die Hand um das Heft seines Streitkolbens zitterte und Schweiß rann ihm in dicken Perlen über das junge Gesicht. 'Leid' in grader Linie zu ihm ausgestreckt, zwang die junge Frau ihn in seinem Vorstoß inne zu halten.

Von den zurückgebliebenen Reitern drohte keine Gefahr mehr, da Arokh bereits zu einem zweiten vernichtenden Luftangriff ausholte, dem niemand unbeschadet begegnen konnte. Die Schenkel fest um den Körper des kämpfenden Nachtmahrs gepresst, blieben ihr also ein paar Atemzüge um zu erfahren, wer ihre Verfolger waren.

„Wer seit ihr und warum verfolgt ihr mich?“ Das grimmige Leuchten der Intarsien auf 'Leids' Klinge schienen ihre Worte noch zu unterstreichen.

Unruhig huschte der Blick des Mannes von Rhyans Augen, aus denen ihn geschlitzte Pupillen in leuchtendem Feuer musterten, auf die unwirkliche Beschaffenheit des Schwertes vor sich. Die Spitze der Klinge schwebte nur wenige Finger breit vor seinem Gesicht, aber er glaubte nicht, dass es sich allein um einen Sehfehler seinerseits handelte. Die Luft in der unmittelbaren Nähe des Schwertes schien zu wabern, beinah als würde ein grauer Nebel einen direkten Blick verwehren. Die Proportionen wirkten verzerrt, düster und ein kalter Schauder jagte ihm über den Rücken. Durch diesen verzerrten Nebel leuchtete das drohende Rot der verschlungenen Maserungen, der eingravierten Intarsien. Diese Waffe verzerrte die Wirklichkeit, wo sie mit dem Jetzt und Hier aufeinander traf.

„Sprich! Ich weiß, dass ihr mich bereits gestern Nacht beobachtet habt, doch ich ließ euch ziehen. Und dann taucht ihr hier mit einer Übermacht auf, was nichts anderem als einem kriegerischen Akt gleichkommt.“ Sie scherte sich nicht, dass der junge Mann bei ihren Worten noch blasser wurde. Als sie das gurgelnde Wiehern des Pferdes in ihrem Rücken vernahm und gleich darauf den dumpfen Aufschlag eines reglosen Körpers auf dem Boden, lächelte sie nur kalt. „Also?“

Langsam senkte der Reiter seinen Streitkolben, doch in sein Gesicht trat eine unerwartete Entschlossenheit. Beinah trotzig fand er endlich seine Worte wieder. „ Nicht wir haben diesen Kampf angefangen. Oder wer hat unsere Kameraden in der Feste niedergemetzelt, wenn nicht du?“

Rhyans Augenbraue hob sich verwundert. „Daher weht der Wind. Verstehe.“ Sie legte den Kopf schief, ihre Augen nur noch schmale Schlitze. „Was auch immer man euch gesagt hat, man hat mir aufgelauert und man wollte mich im Schlaf überfallen. Warum sonst sollte sich eine ganze Kompanie vermummter Gestalten des nachts bei Schnee aus ihren Häusern wagen, um eine zerstörte Festung zu besuchen?“

„Es waren Sucher!“ Der Ausruf hallte unerwartet laut über die weite Ebene und Rhyan stockte. „Es waren Sucher, die sich im Schutz der Dunkelheit an die Aufgabe machen wollten, die Überreste des dunklen Lords zu finden. Sie wussten nicht, dass ihr dort wart, aber ihr habt sie getötet.“

Für einen Moment geriet Rhyans Überzeugung ins Wanken und sie ließ 'Leid' sinken. Sollte sie wirklich aus ihrer Verblendung heraus unschuldige Menschen getötet haben? Aber sie hatten Waffen, sie hatten sie angegriffen.

Beinah zu spät erkannte sie, dass sie einer Täuschung aufgesessen war und nur die schnelle Reaktion des Drachen bewahrte sie vor einem tödlichen Schlag eines Streitkolbens gegen den Kopf. Sein Schwanz zuckte vor und schleuderte den Reiter aus seinem Sattel, dass er mehrere Meter durch die Luft segelte. Dort im Schlamm liegend, senkte sich die gewaltige Pranke Arokhs auf ihn nieder und nagelte ihn zwischen armdicken Krallen an den Boden. Starr vor Angst blickte der Junge auf die drohend geöffneten Kiefer. An den Zähnen haftete noch immer das Blut seiner Gefährten.

„Lügner!“ Arokhs Stimme bebte durch den Körper seines Opfers. „Ihr nennt euch vielleicht Sucher und womöglich seid ihr auch aus eben dieser Gruppe hervorgegangen. Doch ihr seid nichts anderes als Kopfgeldjäger.“ Heißer Atem versengte die Brauen des Mannes. „Ihr habt in der Feste gelauert und seid ihr gefolgt, nachdem sie euch offensichtlich feindlich gesonnen war. Und in der Hoffnung, dass sie euch zu Kane bringen würde. Denn wer sonst würde die niedergebrannten Überreste seiner Behausung freiwillig aufsuchen?“

Rhyan erschien an seiner Seite, 'Leid' bereits wieder in seiner Rückenhalterung tragend. Sie wusste, dass das Spiel für diesen Mann vorbei war.

„Tötet mich ruhig. Wenn wir nicht bis zum Abend des nächsten Tages zu unseren Kameraden zurückkehren, wird man wissen, was geschehen ist. Und man wir euch suchen. Sie alle werden euch suchen.“ Seine Stimme zitterte, doch er schien überzeugt von dem was er da redete.

„Sollen sie kommen.“ Rhyan ging neben den Klauen des Drachen in die Hocke. Ihr Blick war unergründlich, konnte aber nicht gänzlich die tiefe Trauer verbergen, die sie hierbei verspürte. „Ich wollte niemanden töten. Auch du hattest eine Chance verdient. Aber wenn man mich dazu zwingt, werde ich nicht zögern, deine Kameraden zu richten. Ihr solltet euch von Dingen und Gegebenheiten fern halten, von denen ihr keine Ahnung habt. Ihr könnt gegen Kane nicht bestehen.“ „Dann sollen wir aufgeben? Niemals!“ Die Inbrunst des Mannes war beeindruckend, den Rhyan mit gerunzelter Stirn zu Kenntnis nahm.

Dann stand sie auf und bedeutete Arokh, seine Beute frei zu lassen. „Kehre zurück zu deinen Kameraden und richte ihnen das Gesprochene aus. Haltet euch daran und kommt mir nicht noch einmal in die Quere. Das ist meine letzte Warnung an euch.“

Damit ließ sie ihn in seinem Schmutz liegen, stieg auf Markors Rücken und ritt gemächlich davon. Arokh folgte ihr nur wenige Herzschläge später. Er knurrte den jungen Mann an, entfaltete die langen Flügel und warf sich hinauf in die Brise, die vom Meer her auf das Festland wehte.

Kopfgeldjäger

„Du glaubst nicht wirklich daran, oder? Dass es etwas nutzt, was du ihm da gesagt hast. Dass es die Menschen tatsächlich davon abhalten wird weiterhin nach Rache und Wiedergutmachung zu dürsten.“ Arokh schwebte als grauer Schatten in den Aufwinden des Kliffs, an dessen Kante entlang sie sich weiter gen Süden bewegten, und blickte auf seine junge Weggefährtin hinab. Sie ritt unter ihm dahin, zusammengesunken auf Markors Rücken und tief in Gedanken.

Sie fühlte sich schlecht. Selbst Stunden nach dem Scharmützel mit den Suchern konnte sie sich eines latenten Schuldgefühls nicht erwehren und im Grunde hegte sie nicht den Wunsch darüber zu sprechen. Natürlich war ihr bewusst, dass der Bote zu seinen Freunden zurückkehren würde, um ihnen genau das Gegenteil zu berichten. Dass es lebensnotwendig wäre ihr und dem Drachen zu folgen, wollte man dem Land endlich Frieden schenken. Doch sie hatte ihm diese Chance geben müssen. So würden sie nicht mehr behaupten können, sie hätte sie nicht gewarnt.

„Rhyan, sie müssen sich selber schützen! Eine andere Wahl haben sie nicht, denn du wirst allein gegen Kane nichts ausrichten können. Du kannst nicht versuchen etwas zu reparieren, dass schon weit über die Grenze des Reparierbaren hinausgeht. Der Schaden ist angerichtet und du wirst es nicht schaffen Schaden zu verhindern, indem du allen mit dem erhobenen Finger drohst.“

Mit kalter Wut starrte sie zu ihm hinauf. Was glaubte er, sollte sie denn sonst machen? „Erzähl mir nicht, dass ich nichts ausrichten kann. Wenn du ihn bereits aufgegeben hast, dann bitte. Dich hält nichts hier. Aber ich hätte erwartet, dass die Jahre, die er an meiner und an deiner Seite sein verfluchtes Blut vergossen hat, deinen Respekt verdienen.“

Der Drache seufzte tief, ein volltönendes Brummen in seinem Brustkorb. „Hör auf so um dich zu schlagen.“ Es klang eher resigniert als verärgert. „Ich will nur nicht, dass du dich hoffnungslosen Illusionen hingibst und deine Chancen realistisch betrachtest. Glaube mir, dass ich diesen Mann auf eine andere Weise kenne als du es tust. Ich kann mir bis heute nicht erklären, woher diese Bindung zwischen euch kommt und ich will mich nicht einmischen. Ich habe keinen Grund dich anzulügen, Rhyan. Den habe ich niemals gehabt. Aber, bitte! Mach deine Augen auf.“

Sie schwieg verbissen und so drehte Arokh schließlich mit einem unwirschen Schlagen seiner Flügel ab und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Rhyan wollte nicht auf ihn hören und würde es auch in nächster Zeit nicht, so sehr er sich auch bemühen mochte, sie zu überzeugen. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als ein wachsames Auge auf seine junge Reiterin zu haben, sie ansonsten jedoch ihren Weg allein finden lassen. Er würde niemals zulassen, dass Kane ihr ein Leid zufügte. Doch wenn es der einzige Weg war, um Rhyan erkennen zu lassen, mit wem sie es tatsächlich zu tun hatten, musste er wenigstens ein Stück weit erdulden, dass sie sich am offenen Feuer verbrannte. Es machte ihn wütend, ihre Naivität machte ihn wütend und das Unverständnis darüber, was bei allen neun Höllen sie derart an den Krieger band.

Sie hat nicht gesehen, was ich gesehen habe. Der Drache schnaubte und schloss für einen Moment beinah verzweifelt seine Augen, als dieser Gedanke leise in seinem Kopf flüsterte. Sie hatte ja keine Ahnung, hatte keine Chance das ganze Ausmaß von Kanes Sinneswandel zu verstehen. Und so sehr er sich auch wünschte sie schützen zu können, so wusste er doch auch, dass seine Gefährtin durchaus die Wahrheit sprach wenn sie behauptete, dass sie nicht einfach tatenlos zusehen konnten. Wenn nicht für Kane, so mussten sie allein schon für diese Generation verhindern, dass der Krieger seine volle Stärke wiedererlangte. Viel zu oft hatte er schon mit ansehen müssen, wie Menschen und Dynastien zu Staub wurden unter dem Joch des Verfluchten. Diese Welt war jung. Diese Menschen waren jung und sie waren voller Hoffnung und gutem Willen, nach den Sonnenwenden der Unterdrückung durch Prirates wieder zurück ins Leben zu finden.

Arokh seufzte tief und endlich wurden auch seine Flügelschläge wieder gleichmäßiger und entspannter. Rhyan hatte Recht. Sie hatten keine andere Wahl, auch wenn diese Erkenntnis bleischwer auf seinem alten Herzen lastete. Er würde ein mal mehr gegen Kane in den Krieg ziehen. Denn ein Krieg war es, auch wenn er mit anderen Mitteln ausgefochten werden würde. Und er konnte insgeheim nur hoffen, dass Rhyan vielleicht Recht hatte und ihre Bindung zu dem Krieger etwas bewirken könnte, das größeren Schaden verhindern würde.
 

Entgegen all ihren Erwartungen blieben sie die nächsten Tage vollkommen unbehelligt. Rhyan war froh darüber, doch es bedrückte sie auch, wie verlassen und still die einst durch freudiges Leben erfüllte Küstenregion geworden war. Immer wieder kam sie an kleinen Farmen vorüber, deren Ackerland in wüstem Zustand brach lag. Wenn sie an den windschiefen Holzgebäuden entlang ritt, hörte sie nur selten die Stimmen von Menschen aus dem Inneren. Viele der Gehöfte waren ganz verlassen und verfielen bereits in der feuchten Luft des Ozeans, die den deutlichen Biss des nahen Winters in sich trug. Wer nicht unbedingt musste, verließ den Schutz eines trockenen Hauses kaum.

Zwei Mal schon war sie auf größere Höfe gestoßen, die aus drei oder mehr Gebäuden bestanden und deren angrenzende Felder und Wiesen die Anzeichen menschlicher Bewirtschaftung zeigten. Schafe und manchmal auch magere Kühe weideten auf notdürftig umzäunten Koppeln und aus den Schornsteinen wallte dichter Rauch in die klare Luft. Voller Hoffnung hatte sie sich diesen Ansiedlungen genähert, doch sobald man sie erblickte, hatten sich die Bewohner in die Häuser zurückgezogen und Türen und Fenster verschlossen. Auf Klopfen wurde ihr nicht geöffnet.

So hegte Rhyan auch keine allzu großen Hoffnungen, als sie ein mal mehr auf ein kleines Gehöft stieß, auf dessen gelblichen Wiesen eine überschaubare Zahl von Schafen und Ziegen weidete. Die Häuschen kauerten sich in den Windschatten des nahen Waldrandes, der sich wie ein schützender Ring um drei Seiten des Anwesens schmiegte, ohne jedoch die Sonne fern zu halten. Der Duft frischen Brotes stieg ihr in die Nase, ließ ihren Magen knurren und ein Blick auf den halb verfallenen Schuppen neben dem Hauptgebäude zeigte einen frisch geschlachteten Schafbock, der an seinen Hinterkäulen zum Ausbluten aufgehängt worden war. Sie hatte unglaublichen Hunger.

Vorsichtig lenkte sie Markors Schritte durch das sorgsam angelegte Beet, den Blick suchend auf die Gebäude gerichtet. Sie konnte die Stimmen der Menschen hören, gedämpft, aber fröhlich. Die Hufe des schwarzen Hengstes erzeugten ein dumpfes Klappern, als sie schlussendlich den gepflasterten Hof zwischen den Häusern erreichte, der beinah unter dem wuchernden Unkraut versank. Einst musste dieser Hof einer begüterten Familie gehört haben. Die Zeichen einstigen Wohlstandes waren noch immer zu erkennen.

Der Hufschlag war nicht unbemerkt geblieben und so spähte das junge Gesicht eines kleinen Mädchens aus der offen stehenden Eingangstür. Doch noch ehe Rhyan ihre Hand zum Gruß heben konnte, war sie schon wieder verschwunden. Die Stimmen im Innern des Hauses wurden lauter, dann erschien eine grimmig dreinschauende Frau in der Tür, bekleidet mit einer verschmutzten Schütze, und warf die Holztür mit einem hallenden Krachen ins Schloss.

„Wartet bitte!“ Markor trabte auf das Gebäude zu und Rhyan hob in hilfloser Geste die leeren Hände, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet war, doch schon wurden die Fensterläden geschlossen. Und niemand antwortete auf ihr Rufen. Frustriert blieb sie vor der Gebäudefront stehen.

„Was hast du erwartet? Das man dich einlädt? Dass man dir gestattet das wenige Essen, das hier auf den Tisch kommt, zu rauben?“

Rhyan wendete den Nachtmahr und blickte auf einen gebeugten, in zusammengeflickte Lumpen gekleideten Mann. Er stand am Rand der kleinen Koppel, auf seinen hölzernen Hirtenstab gestützt und musterte sie aus feindseligen, kleinen Augen. Sie runzelte die Stirn. „Nichts dergleichen. Nein. Ich hatte nichts Böses... „

„Dann mach, das du weiter kommst! In Zeiten wie diesen ist jeder sich selbst der Nächste. Wir können hier keine Fremden gebrauchen.“ Er schien sich ein Stück weit aufzurichten, so als wolle er seine Worte durch feste Entschlossenheit unterstreichen. Doch die Geste wirkte ärmlich, aufgrund seines schweren Haltungsschadens. „Niemand, der die Straßen dieser Gegend bereist, hat Gutes im Sinn. Wegelagerer, Banditen, Kopfgeldjäger. Zu welchem dieser ehrbaren Gruppen gehörst du?“ Seine grauen Augen blitzten und blieben an dem Griff ihres Schwertes hängen, welcher unter dem Umhang hervorlugte und über ihre linke Schulter hinausragte. Missbilligend wurden seine Augen schmal und als er seinen Stab in ihre Richtung stieß, tänzelte Markor mit einem besorgten Grollen zurück. Auch Rhyan runzelte die Stirn. Kopfgeldjäger?

Der Alte, der Rhyans Verwirrung zu bemerken schien, ließ den Stab wieder sinken. Beinah wütend schleuderte er ihr die nächste Frage entgegen: „Wo, bei Innor, bist du die letzten Mondumläufe gewesen, Fremder? Die Straßen sind nicht mehr sicher. Ob es nun der Verfluchte ist, der des Nachts vor deiner Tür umher schleicht, oder die Gesetzlosen, die all ihr Hab und Gut an seinen Jähzorn verloren haben. Was macht es für einen Unterschied? Und nun diese Kopfgeldjäger. Sie sind keinen Deut besser, auch wenn sie sich damit brüsten, dass sie die Gerechtigkeit in dieses Land zurück bringen werden. Sie alle hinterlassen nur Verwüstung und Leid und werden es doch nicht schaffen, das Unglück, dass sie sich selbst ins Haus geholt haben, zu vernichten.“

Rhyan schluckte. Sie hatte auf ihrem Weg immer wieder Spuren von gedankenloser Zerstörung gesehen und viele davon hatten die Handschrift des rothaarigen Kriegers getragen. Anzeichen, das dunkle Magie gewirkt worden war, um die Zerstörung vollkommen zu machen, ließen keinen Zweifel. Wieso wunderte sie sich überhaupt noch, dass die Menschen hier nicht einmal mehr ihrem eigenen Schatten trauten?

Sie ließ Markor noch ein paar Schritte rückwärts gehen, ehe sie ihn von den Häusern fort lenkte. „Es tut mir leid. Ich werde gehen.“ Dann gab sie dem Nachtmahr einen unauffälligen Klaps auf die Schulter und ließ den Hof in Windeseile hinter sich, zutiefst erschüttert und durcheinander.

Lange Zeit flogen sie so über die offene Ebene entlang des alten Forstes, der sich noch in Sichtweite des offenen Meeres erstreckte. Sie mochte sich nicht in das düstere Dickicht der alten, verschlungenen Pfade zurückziehen, noch die verletzliche Offenheit des Küstenvorlandes riskieren. Die Neuigkeit, dass Kopfgeldjäger auf den Straßen unterwegs waren, hatte sie zu sehr aufgewühlt. Tief in Gedanken versunken bemerkte sie erst, dass Markor aus seinen Galopp in einen verhaltenen Schritt gefallen war, als seine Hufe gedämpft auf Gestein aufsetzten und schließlich ganz zum Stillstand kamen. Mit steil aufgestellten Ohren musterte der Nachtmahr die vor ihnen liegenden Ruinen eines weiteren, niedergebrannten Dorfes. Rhyan wurde das Herz schwer. Mit jeder zurückgelegten Meile schien Kanes Zorn zuzunehmen. Zwar wusste sie auf diese Weise, dass sie noch immer seiner Spur folgte, aber das Ausmaß der zurückgelassenen Zerstörung brannte sich erbarmungslos in ihren Geist. „Was tust du bloß?“ hauchte sie leise in den Wind und ihr Atem kondensierte zu einer grauen Wolke vor ihrem Gesicht.

Nur mit Mühe konnte sie Markor dazu bewegen tiefer in die rußgeschwärzten Gebilde, die nichts mehr mit Häusern gemein hatten, vorzudringen. Anders als bei dem ersten Dorf waren hier jedoch nicht alle Gebäude gänzlich von dem Feuer erfasst worden. Manche hatten nur Teile ihrer Bebauung an die Flammen verloren.

Als sie eine mannshohe Steinmauer passierten, an welcher das Feuer vergebens genagt hatte, legte Markor plötzlich mit einem drohenden, seltsam anmutenden Fauchen die Ohren an und blieb mit weit gespreizten Vorderläufen stocksteif stehen. Rhyan konnte seine angespannten Muskeln unter sich beben fühlen. Suchend wandte sie den Blick in die Richtung, in welcher der Grund für das Ungemach des Nachtmahrs liegen musste, und erstarrte. Sie spürte, wie sich die feinen Härchen auf Armen und Nacken aufrichteten und wie ihr Herz für einen Schlag aussetzte.

Keine drei Armeslängen von ihnen entfernt, ragte ein kohlschwarzer Stützpfeiler in den makellos blauen Himmel. Seltsam exponiert stand er als einziges Bauteil des einst großen Gebäudes noch aufrecht, umgeben von wahren Trümmerbergen. Und an ihm festgenagelt, durchbohrt von einer langen Eisenstange, baumelte der leblose Körper eines Mannes. Tiefe Wunden zogen sich über seinen Rumpf, das herausgeronnene Blut hatte sich in die dicken Wollsachen gesogen und war dort im Wind gefroren, so dass es jetzt sanft in der Sonne glitzerte. Zu seinen Füßen lagen drei weitere Leichen, auf das Grausamste entstellt.

Rhyan glitt von Markors Rücken und ging mit hölzernen Beinen zu den Leichen hinüber. Sie waren Opfer eines Kampfes, der nicht hier an dieser Stelle stattgefunden hatte. Wer immer ihr Henker gewesen war, hatte die Toten eben aus jenem Grund hier her gebracht, um sie vorbeikommenden Wanderern zu präsentieren. Sie schauderte. Nur mit Mühe konnte sie sich überhaupt dazu bewegen, die Sachen der Gefallenen zu durchsuchen, fand aber nur wenig Brauchbares. In der Hosentasche des Gepfählten fand sie ein Stück Papier und neugierig entfaltete sie es, darauf bedacht die durch Blut verklebten Stellen behutsam voneinander zu lösen. Ihre Augen weiteten sich, als sie las, was darauf geschrieben stand. Es war eines der Schreiben, auf dem das Kopfgeld für die Ergreifung Kanes geschrieben stand. Nein, nicht für die Ergreifung, für seine Tötung. Man wollte den Krieger tot sehen, eine andere Option gab es nicht.

Ein Geräusch hinter den hoch aufragenden Geröllhaufen schreckte sie auf und sie starrte mit klopfendem Herzen hinüber zur nächsten Ruine. Natürlich konnte sich Schutt gelöst haben, ob durch Wind oder schlichte Materialschwäche. Aber ihr hatte die ganze Atmosphäre schon nicht gefallen, als sie den Ort betreten hatte und nachdem sie die Leichen gefunden hatte, noch viel weniger. Diese Männer waren noch keine drei Tage tot, vielleicht vier oder fünf, wenn man die Witterung berücksichtigte. Also konnte es durchaus sein, dass sich ihre Mörder noch immer hier aufhielten. Immerhin waren einige der Häuser noch soweit intakt, dass man problemlos in ihnen leben konnte.

Mit einem überraschten Ausruf kreiselte sie herum, als sie Markor warnend schnauben hörte und völlig unerwartet eine Stimme zu ihrer Linken vernahm. „Sieh an, sieh an, wen haben wir denn da?“

Aus dem Schatten einer verfallenen Scheune lösten sich die Gestalten mehrerer Männer. Sie sahen keineswegs so aus, als gehörten sie zu den Einwohnern dieses Ortes. Eher hielten sie dem Vergleich mit einem Wolfspack stand, welches nun auf eine leicht gefundene Beute zu schlich. Jeder von ihnen trug eine Bewaffnung, sei es ein schlichter Knüppel oder ein verrostetes Schwert. Und sie machten keinen Hehl daraus, gegen wen sie diese Waffe einzusetzen gedachten.

Rhyan wich unwillkürlich zurück, die Hand am Heft ihres Schwertes.

„Das solltest du besser lassen, wenn du weißt, was gut für dich ist, Schlampe.“ Ein hochgewachsener, hagerer Kerl führte diese verwahrloste Truppe an und blickte Rhyan mit unverhohlenem Hass entgegen. Sein Gesicht war durch eine noch nicht gänzlich verheilte Narbe entstellt. „Nun? Jetzt, wo du mich so unverschämt anstarrst, erinnerst du dich? Weißt du, wem ich diese verfluchte Narbe zu verdanken habe?“ Seine Stimme zitterte und er reckte ihr die geborstene Spitze seines Schwertes entgegen. „Die Zeiten sind gut für Männer wie mich und meine Kameraden. Offiziell ist man nur an der Beseitigung des verfluchten Kriegers interessiert. Aber ich bin mir sicher, dass auch eine schöne Summe dabei herausspringt, wenn man seine dreckige Hure vor den Richtblock bringt.“

Entsetzt von dem wahnsinnigen Funkeln in seinen Augen und erschüttert, so leicht als Kanes Gefährtin erkannt worden zu sein, stolperte Rhyan rückwärts, bis sie den bebenden Körper Markors in ihrem Rücken spürte. Langsam fächerte die Gruppe aus. Sie waren nicht viele, doch sie würden versuchen, sie einzukreisen. Mit einem wütenden Zischen zog sie 'Leid' aus der Rückenhalterung.

„Dieses Dorf gehörte uns. Bis zu dem Tag, als dein verfluchter Bock von einem Krieger hier vorbei kam. Er hat uns alles genommen. Er hat unsere Frauen und Kinder ebenso dem Tod übergeben wie unser Vieh und unsere Alten. Mit keiner Wimper hat er gezuckt. Diese Männer,“ er deutete auf die Leichen, „haben versucht das Unglück abzuwenden. Mutige Männer, jeder einzelne von ihnen. Doch sie sind gescheitert.“ Einen Moment hielt er inne, als müsse er die Gewalt über seine Stimme zurück gewinnen und Rhyan wurde kalt vor Grauen. Sie hatte es nicht glauben wollen, nicht sehen wollen. Doch Kane hatte dieses furchtbare Exempel statuiert und es gefror ihr das Blut in den Adern.

„An diesem Tag habe ich mir geschworen, ihr Handwerk weiter zu führen und meine Kameraden haben es mir gleich getan. So wie viele andere auch, denen das selbe Schicksal zuteil geworden ist.

Nicht viele erinnern sich an dich. Wo doch die Furcht und der Hass auf Kane allesverschlingend ist. Da wird gerne vergessen, dass es noch jemanden gab, der an seiner Seite gestanden hat. Wohl wissend, was er unserem Volk antun wird. Und dann, als du in die Feste zurück kehrtest, obwohl Kane schon lange von dort verschwunden war, wussten wir, wer du bist. Wenn wir schon Kane nicht zu fassen bekommen, so sollst du uns reichen.“ Er grinste verschlagen. „Und in der Zeit, die wir brauchen um dich zum Richtblock zu geleiten, werden wir mit Sicherheit sehr viel Spaß miteinander haben.“

Rhyan grollte angewidert und es kostete sie all ihre Beherrschung, nicht einfach auf diese Menschen los zu stürmen. Sie spürte, wie sich ihre Hand um das Heft ihres Schwertes krümmte, wie ihre Finger zu Klauen wurden und ihre Nägel zu tödlichen Krallen. Das Blut pochte laut in ihren Ohren. Sie wollte nicht schon wieder töten. Hier war bereits genug unschuldiges Blut vergossen worden, genug Unrecht geschehen. Diese Menschen waren zerfressen von Trauer und Hilflosigkeit, sie waren nicht sie selbst. Der Blick ihrer Augen flackerte und für einen winzigen Moment war das Braun einem satten Goldton gewichen. Sie musste fort.

Gewand schwang sie sich auf den Rücken des Nachtmahrs und noch ehe sie richtig Halt gefunden hatte, schoss das riesenhafte Tier davon. Einer der Männer wagte es, sich ihm in den Weg zu stellen, doch er pralle hilflos an der breiten Brust des Hengstes ab und stützte besinnungslos zu Boden.

„Ihr nach!“

Sie hörte den gellenden Schrei der hinter ihr zurück fallenden Männer und musste mit Erschrecken feststellen, wie gleich aus mehreren Verschlägen Reiter auf ihren Pferden hervorbrachen und sich an ihre Verfolgung machten.

Fluchend grub sie die freie Hand in Markors wie ein Banner flatternde Mähne und duckte sich tief über den Hals des Tieres. Die Wange gegen das warme Fell gedrückt, murmelte sie leise: „Lauf. Bring uns fort von hier.“

Markors Schritte wurden weit, der Boden flog unter ihnen dahin. Doch sie waren die letzten Tage weit geritten und waren mehrfach in schnellem Tempo gereist. Das rächte sich nun und Rhyan spürte, wie die Kräfte des Nachtmahrs schnell erlahmten. Unwillig warf der Hengst den Kopf in den Nacken, schmetterte ein herausforderndes Wiehern in die Luft. Er würde sich lieber zum Kampf stellen, doch Rhyan duldete es nicht. So hetzte er über die offene Ebene des Küstenvorlandes, ohne den Abstand zwischen den Verfolgern nennenswert vergrößern zu können.

Schon bald bedeckte weißer Schaum die unter heftigem Atem fliegenden Flanken und langsam begann Rhyan zu zweifeln, ob eine Flucht tatsächlich die richtige Entscheidung gewesen war. Ihre Verfolger waren viele, eine ungeheure Menge an rachwütiger Männer und wenn es jetzt zu einem Kampf kam, würde der erschöpfte Nachtmahr kaum noch kämpfen können. Zu allem Überfluss verringerte sich der Abstand auch noch zusehends.

Rhyan fluchte. Wäre sie aufmerksamer gewesen, hätten sie dieses Dorf vielleicht gar nicht erst betreten. Oder zumindest wäre ihr aufgefallen, dass es nicht wie die anderen verlassen war. Sie schloss die Augen und sandte mit einem tiefen Impuls der Verzweiflung einen Ruf aus.

Tatsächlich konnte Arokh nicht allzu weit entfernt gewesen sein, denn schon wenige bange Meilen später sah sie seinen Schatten dicht über den Wipfeln des Forstes auf sie zu jagen. Auch bei ihren Verfolgern blieb der Schatten nicht unbemerkt und sie konnte den ein oder anderen sehen, der wild gestikulierend in die Richtung des Drachen wies. Vereinzelte Reiter begannen sogar zurück zu fallen. Es gab nicht mehr viele Drachen in diesem Abschnitt des Landes, die meisten hielten sich abseits jeglicher menschlicher Zivilisation. Doch der markante, dreieckige Schatten war unverkennbar und wurde noch immer von vielen gefürchtet.

Arokh stieß ein markerschütterndes Brüllen aus, als er beidrehte. Die Bäume rauschten unter dem Wind, den seine schlagenden Flügel verursachten. Zorn lag in jeder einzelnen seiner Bewegungen. Die Flügel schräg gestellt bremste der Drache dicht vor der vordersten Front der Reiter ab und spie eine bläuliche Feuerlohe unmittelbar vor die Hufe der Pferde. Chaos breitete sich aus. Die Hitze und die Flammen wurden gleich einem Feuersturm über sie hinweg gefegt, verursacht durch die Schwingen des Drachen, und versengten Fell und Haare. Der Vormarsch geriet ins Stocken.

Mit einem erneuten, diesmal zufriedenen Brüllen, kreiselte Arokh katzengleich in der Luft herum und flog an die Seite des noch immer vorwärts jagenden Nachtmahrs. „Du hast in letzter Zeit ein Besorgnis erregendes Händchen dafür, in Schwierigkeiten zu geraten, Rhyan.“

Die junge Frau schnitt eine freudlose Grimasse und warf dann einen Blick über die Schulter. Mehr als die Hälfte der Verfolger hatten die Jagt abgebrochen und folgten ihr nur noch in verhaltenem Tempo. Der Rest hatte sich an den brennenden Bodenstücken vorbeigeschlängelt und setzt ihr mit unverminderter Geschwindigkeit nach. „Die sind verteufelt hartnäckig.“

Auch Arokh wandte seinen gehörnten Schädel und zog mit einem sonoren Grollen die Lefzen zurück. „Offenbar wissen sie nicht, was gut für sie ist.“ Er wollte schon wieder umkehren, als Rhyan eine Hand zu ihm ausstreckte.

„Nein, warte! Lass sie.“ Sie schluckte, als sie das Unverständnis in den Augen der großen Echse sah und schüttelte nur kurz den Kopf. „Ich erkläre es später, aber für den Moment... Markor wird ihnen allein mit Leichtigkeit entkommen.“

Der Drache schnaubte. Dann setzte er neben Markor auf, die Klauen tief in die frostharte Erde gewühlt. Die Flügel weit gespreizt und den Rachen aufgerissen, drohte er den näher kommenden Reitern, während Rhyan behände von Markors Rücken auf die Flanke des Drachen sprang. Sie schaffte es grade noch rechtzeitig zwischen die hoch aufragenden Schulterblätter, da stieß sich Arokh auch schon wieder ab und warf sich dem blauen Himmel entgegen. Für einen Moment wurde sie von dem pfeifenden Wind niedergedrückt und konnte sich nur an dem Rückenkamm festklammern. Die Flügel schlugen peitschend rechts und links von ihrem Kopf. Dann hatte Arokh seine Flughöhe erreicht und der Wind ließ nach.

Schnaufend richtete sie sich auf und spähte hinab. Markor war lediglich noch ein schwarzer Punkt, der sich pfeilschnell von den anderen entfernte. Sie war entkommen. Doch das flaue Gefühl in ihrem Magen wollte nicht weichen. Zu sehr hatte sie das Zusammentreffen mit diesen Menschen erschüttert. Es gab vieles, über was sie nachdenken musste,

Die Kranor-Rill Sümpfe

Die folgenden zwei Tage vergingen ereignislos. Rhyan hätte niemals geglaubt, dass es tatsächlich so lange dauern könnte, einen Wald zu überfliegen, und so betrachtete sie die hoch aufragenden Bäume, die noch immer in den leuchtenden Farben des Spätherbstes strahlten, aus ganz anderen Augen. In seiner Stille strahlte er eine respekteinflößende Würde aus.

Erst gegen Abend des zweiten Tages ließen sie den Waldrand hinter sich zurück und die Landschaft, die nunmehr unter ihnen vorbei huschte, hatte nichts mehr mit dem fruchtbaren Küstenvorland gemein. Bäume und Sträucher wurden kleiner und seltener und weite Steppenlandschaften dehnten sich aus, immer wieder durch zerklüftete Felsgrate durchbrochen, die wie ein Gerippe unverhofft aus der Erde hervorbrachen. Nur wenige Menschen hatten sich hier nieder gelassen. Die wenigen Weiler, die sie sahen, waren heruntergekommen und erweckten den Anschein, als würden die Hütten aus gutem Grund derart einfach konzipiert sein, um sie jederzeit ab und wieder aufbauen zu können. Die Einwohner schienen ein Leben als Nomaden zu führen. Ziellos, heimatlos.

Schließlich ging Arokh auf dem zerklüfteten Grat eines Felsrückens zur Landung. Die aufragenden Zinnen würden sie vor unerwünschten Blicken und dem kalten Wind, welcher hier unbarmherzig über die offene Steppe heulte, schützen. Der Drache streckte sich und schüttelte seinen langgliedrigen Körper, ehe er mit einem tiefen Stöhnen zu Boden sank und sich einrollte. Den gehörnten Schädel auf den Vorderklauen beobachtete er, wie Rhyan eine windschiefe Felsnase erklomm und sich mit zusammen gekniffenen Augen umschaute. Der Wind zerrte an ihrem Mantel, stahl vereinzelte Strähnen aus ihrem zu einem losen Zopf gebundenen Haar und ließ sie frösteln. Kurz bevor sie gelandet waren, hatte sie am Horizont einen dunklen Streifen ausgemacht und sie wollte sehen, ob sie diesen auch von hier oben würde sehen können.

„Die Sümpfe von Kranor-Rill. Wir nähern uns ihren ersten Ausläufern.“ beantwortete Arokh die stumme Frage seiner Gefährtin. Dann schnaubte er belustigt, wie sie voller Ehrfurcht die Augen aufriss, als sie den für sie nur schwer erkennbaren düsteren Landstrich durch seine Augen erblicken konnte. Auch wenn die Verkettung ihrer Seelen bereits viele Jahre in der Vergangenheit lag, war es ihnen noch immer in eingeschränkter Weise möglich, in solch eine enge Verbindung zu treten.

Rhyan blinzelte und betrachtete die schier unfassbare Ausdehnung des nebelverhangenen Sumpfgebietes. Es war ein bedrückender, trauriger Anblick. Das Licht der Sonne schien dort gedämpft, verschluckt von dem aufsteigenden grauen Zwielicht.

Der Nebel sammelte sich über Quellen modrigen Wassers und Rhyan schauderte unwillkürlich. Die aufsteigenden Gase verursachten tanzende Lichter, verzerrt und surreal in dem wabernden Dunst. Hier und da reckten knorrige Birken ihre annähernd blattlosen Zweige, verkrüppelte Finger die nach der Sonne griffen. Wenn sie genau hinhörte, konnte sie das Gurgeln des Wassers und das Rascheln des kniehohen Sumpfgrases bis hier hören.

Kranor-Rill war ein Ort, den man besser meiden sollte. Und ein Ort, der perfekt dazu geeignet war, sich der Aufmerksamkeit anderer zu entziehen. Ein perfektes Versteck für einen verfolgten Flüchtling. Rhyan konnte verstehen, weshalb Arokh sich dazu entschlossen hatte, grade hier mit der Suche nach Kane fortzufahren. Das Moor war schon einmal ein Zufluchtsort für den Krieger gewesen, der über mehrere Jahre unter den Kreaturen des Sumpfes gelebt hatte. Ihm dürfte es also nicht schwer fallen, dort zu überleben. Eine weise Wahl. Doch Rhyan standen die Haare zu berge, wenn sie auch nur daran dachte, einen Fuß in dieses Gebiet setzen zu müssen.
 

Dieses ungute Gefühl nahm noch zu, als sie am nächsten Vormittag tatsächlich in die zarten Nebelschleier über dem Sumpf eintauchten. Aufgewirbelt durch den Luftzug von Arokhs Schwingen, schlossen sie sich beinah sofort wieder in ihrem Rücken und blendeten die hinter ihnen zurückbleibende Steppe mit all ihren Lauten aus. Die Luft war schwer und roch faulig, wenn sie über größere Wasserlöcher hinweg flogen. Und obwohl vor den Toren von Kranor-Rill der Winter bereits nahe war, herrschten hier Temperaturen, die einem den Schweiß auf die Stirn zwangen. Es war nicht heiß, doch der aufsteigende Dampf war unangenehm klebrig und schwül.

Arokh war gezwungen langsamer zu fliegen. Rhyan war es ein Rätsel, wie er sich orientieren konnte, wo doch alles in ihrer Umgebung gleich aussah. Aber sie vertraute ihm, kauerte sich zwischen seinen Schultern nieder und versuchte vergebens die Nebelschwaden mit ihren Blicken zu durchdringen.

„Wohin fliegen wir?“ Ihre Stimme erschien ihr unnatürlich laut in der gedämpften Atmosphäre des Sumpfes, die lediglich von dem sonoren Quaken einiger Kröten unterbrochen wurde und dem ständigen Plätschern und Gurgeln des Wassers. Sie fuhr erschrocken zusammen, als aus einem kleinen Birkenhain mehrere schwarze Vögel unter lautem Gezeter aufflogen und vor dem Drachen flohen. Wie konnte man bloß freiwillig hier her kommen?

Zu sehr auf ihren Weg konzentriert antwortete Arokh nur in ihren Gedanken: „Zuerst einmal müssen wir den äußersten Gürtel des Sumpfgebietes hinter uns lassen. Kranor-Rill breitet sich seit seiner Entstehung immer weiter und weiter aus. Die thermalen Quellen unter der Erdoberfläche brechen langsam immer tiefer in die Steppen und Felder ein, über die wir zuvor hinweg geflogen sind. Hier sind sie am aktivsten und deshalb ist hier auch der Nebel am dichtesten. Weiter im Innern der Sümpfe ist es leichter.“

Rhyan betete dass er damit Recht haben möge. Ihr Orientierung hatte sie schon lange verloren, sie hätte nicht einmal mehr gewusst, in welche Richtung sie sich hätte wenden müssen, um die Sümpfe wieder zu verlassen.

„In den inneren Bezirken des Sumpfes liegen die Lebensräume der hier lebenden Wesen. Und die Ruinen von Menschen, die in grauer Vorzeit versucht hatten, sich den Sumpf zu Nutzen zu machen. Letzten Endes sind sie alle gescheitert, ob an den Konflikten mit den Sumpfkreaturen oder an dem Sumpf selbst.“ Er korrigierte seine Flugrichtung ein kleines Stück und segelte mit weit gespreizten Flügeln auf der aufsteigenden Wärme. Es war nur zu offensichtlich, dass ihm das Klima hier nicht unangenehm war.

„Werden wir auf diese Sumpfwesen treffen?“ Sie hatte keinen Schimmer wie Wesen aussehen mochten, die an ein Leben im Sumpf angepasst waren. Und sie konnte sich auch nur schwer vorstellen, dass diese auch nur über bruchstückhafte Intelligenz verfügten. Doch Arokh hatte derartiges angedeutet und ihr war unheimlich zumute, wenn sie sich vorstellte, auf einen aufrecht gehenden Frosch zu treffen, der womöglich auch noch sprechen konnte.

Der Drache schnaubte. „Möglich wäre es. Unser gemeinsamer Freund hat sich schon einmal mit ihnen verbündet, um seine Ziele zu erreichen. Daher ist es nahe liegend, dass er es wieder tun wird. Wenn er sich denn überhaupt hier aufhält.“

Rhyan brummte nur und verfiel wieder in Schweigen. Kranor-Rill übte auf sie ein befremdliches Gefühl des nicht erwünscht seins aus, und sie hatte den abergläubischen Eindruck durch unnötiges Reden die Aufmerksamkeit des Sumpfes auf sich zu ziehen. Also schwieg sie.

Tatsächlich lichtete sich der Nebel wie vorhergesagt nach einer ganzen Weile. Er verschwand nicht, wurde aber deutlich dünner und gewährte einen genaueren Blick auf die öde Landschaft. Fast wünschte sich Rhyan, dass die Nebelschwaden geschlossen geblieben wären, schließlich kehrte ihre Orientierung dennoch nicht zurück. Die allumfassende Trostlosigkeit senkte sich schwer auf ihre ohnehin bereits düstere Stimmung.

Wohin das Auge blickte wurde das Schilf und das harte Riedgras von Wasserläufen durchzogen, welche trügerisch unter den tief hängenden Ästen der Büsche und Krüppelbirken verschwanden. Rhyan hätte nicht einmal sagen können, ob sie hier überhaupt landen konnten.

Arokh schien das nicht zu beunruhigen. Er kreuzte zielstrebig durch die zerfaserten Nebelbänke und schon bald verlor Rhyan neben ihrer Orientierung auch noch jegliches Gefühl für die verstrichene Zeit. Das wenige Licht, das sich den Weg bis zu ihnen hindurch kämpfte, war gleich bleibend dumpf, wie an einem trüben Regentag. Und ihre Umgebung änderte sich kaum. Erst als weit vor ihnen dunkle Schemen aus dem Dunst hervor ragten, änderte sich das schlagartig. Jede Müdigkeit war vergessen. Sie hatte sich unweigerlich in Rhyans Geist und Glieder geschlichen, hatte sie unaufmerksam und träge werden lassen. Es war so ermüdend, wenn man derart lange nichts anderes sah als Nebel.

Arokh hielt auf die Schemen zu, die nur langsam besser zu erkennen waren. Ihre scharfen Umrisse hoben sich deutlich von den verwaschenen Umrissen der Sumpfvegetation ab und ließen keinen Zweifel, dass es sich hierbei um Bauten intelligenter Wesen handelte.

Neugierig beugte sich Rhyan über die Schulter des Drachen und spähte hinab. Keines der Gebäude war vom Zahn der Zeit und der sich in rasender Geschwindigkeit ausbreitenden Vegetation verschont geblieben. Sie waren kaum mehr auszumachen unter der Last von Schlingpflanzen und Büschen. Diese Siedlung lag seit langer Zeit verlassen.

Woher die Erbauer einst die Materialien zum Errichten dieser Siedlung bezogen hatten, war Rhyan ein Rätsel. Aber wenn Arokh behauptete, dass Kranor-Rill sich immer weiter ausdehnte, konnte es durchaus sein, dass dies vor vielen Jahren einmal eine Stadt am Rande des Moores gewesen war.

Immer häufiger stießen sie jetzt auf solche Rudimente und hin und wieder war es Rhyan, als würde sie Bewegungen und huschende Schatten in den ansonsten verlassenen Ruinen sehen. Teils hoffte sie, teils fürchtete sie Exemplare der legendären Sumpfkreaturen zu sehen. Dass Menschen hier leben konnten, bezweifelte sie. Doch Arokh dementierte diesen Gedanken, als Rhyan ihn drauf ansprach. Offenbar gab es sogar ein eigenes Volk, welches sich auf das Leben im Sumpf eingestellt und über die Generationen annähernd perfekt an die Umstände angepasst hatte. Sie lebten neben den hier ansässigen Kreaturen, ohne dass es jemals zu Auffälligkeiten gekommen war.

Um seiner Gefährtin seine Worte zu beweisen sank er tiefer, verließ den latenten Schutz des Hochnebels. Unweit eines großen Sees, dessen genaue Ausdehnung gar nicht zu erkennen war, weil seine Ufer in schlammiges Moor übergingen, standen einige Pfahlbauten aus Holz dicht beieinander. Aus ihren Türen und Fenstern schimmerte der sanfte Schein von Feuern und Rauch stieg auf. Zwischen ihnen bewegten sich schmächtige, leicht bekleidete Menschen. Sie hoben nur kurz den Kopf, um den vorüber segelnden Drachen zu sehen. Dann gingen sie wieder ihren jeweiligen Tätigkeiten nach. Seine Anwesenheit schien sie nicht in Schrecken zu versetzen und Rhyan war sich nicht sicher, ob sie das wirklich als gutes Zeichen werten sollte. Wenn ein Drache hier nicht als Bedrohung angesehen wurde, was in allen neun Höllen mochten dann noch für Wesen hier hausen?

Zu ihrem geheimen Entsetzen ging Arokh bei dem nächsten Dorf zur Landung. Er ging ein Stück abseits der Pfahlbauten nieder, schritt dann aber ohne Furcht auf die Siedlung zu. Rhyan, die aus Respekt vor dem Drachen abgestiegen war, folgte ihm zögernd. Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich seltsam weich und warm an, ließ ihre Fantasie Kapriolen schlagen die ihr vorgaukelten, sie bewege sich über ein lebendes Wesen. Wolken aus Insekten senkten sich auf sie herab und sie trat hastig näher an den Drachen heran. Die von ihm ausstrahlende Körperwärme schien die Plagegeister fern zu halten.

Arokh selbst sank tief in den Morast ein. Seine Klauen furchten den Boden und wühlten ihn auf. Rhyan musste sich ein Grinsen verkneifen als sie sah, wie er sich angestrengt bemühte, seinen langen Schwanz über dem Boden zu halten.

Einige wenige der kleinen Menschen waren stehen geblieben und erwarteten das ungewöhnliche Paar am Dorfrand. Noch ehe sie in Hörweite kamen, raunte Arokh: „Ich werde das Gespräch führen. Ich weiß nicht wie sie Kane gegenüber eingestellt sind. Sie haben sich schon einmal seiner Macht unterworfen und sollte er sich tatsächlich hier aufhalten, könnten sie dies wieder getan haben. Es wäre nicht ratsam sie wissen zu lassen, welches unsere wirklichen Beweggründe sind, ihn zu finden.“

Perplex nickte Rhyan. Wie genau der Drache seine Worte meinte, war ihr schleierhaft. Aber es war zu spät, um noch einmal nachzufragen, ohne dass man sie hören würde.

Tatsächlich eröffnete Arokh das Gespräch in einer ihr völlig fremden Sprache. Es klang grausam verzerrt, mit Lauten die sie nicht einmal im berauschten Zustand hätte aussprechen können. So beschränkte sie sich darauf ihre Gegenüber zu mustern und auf diesem Wege etwas über sie zu erfahren. Sie waren furchtlos, schienen sich sogar über die Anwesenheit eines Drachen zu freuen. Als Schutz gegen die unzähligen Stechmücken trugen sie leichte Umhänge aus beinah durchsichtigem Stoff, die sie mit wenigen Bändern an Armen und Beinen befestigt hatten, damit sie nicht behinderten. Sie waren schlank, beinah schon asketisch, und hatten dunkle Haut. Vermutlich erlaubte ihnen dieser Umstand vollkommen mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, wenn sie das denn wollten. Rhyan schauderte bei der Vorstellung, welche Vorteile sie dadurch in einem Kampf erringen würden.

Die älteren Dorfbewohner wiesen Tätowierungen auf, immer auf unterschiedlichen Körperteilen und unterschiedlich verzweigt. Und sie alle wirkten seltsam haarlos. Zusammen mit den langen Fingern und den weit auseinander stehenden Augen hatten sie etwas tierhaftes an sich. Vielleicht ein bedingter Umstand, der sich durch das Leben mit dem Sumpf über die Generationen eingeschlichen hatte.

Den Worten konnte Rhyan nicht einmal ansatzweise entnehmen, um was sich das Gespräch zwischen Drache und Mensch drehte. Aber Arokh neigte nach nicht allzu langer Zeit seinen Kopf zum Gruß und wies sie an, wieder auf seinen Rücken zu steigen. Die Menschen traten einige Schritte zurück, als er seine Flügel entfaltete. Dann schmolz der Boden auch schon unter ihnen dahin und der Nebel umschloss sie erneut wie eine heimliche Geliebte.
 

Rhyan brauchte nicht lange darauf warten, dass Arokh ihr von dem Gespräch berichtete. Ihre Anspannung und ihre damit verbundene Zappeligkeit übertrugen sich ohnehin auf den Drachen und ließen ihn schließlich verdrießlich schnauben. „Würdest du bitte aufhören auf meinen Schultern herum zu trampeln? Wenn du nicht mehr sitzen kannst, setze ich dich gerne ab.“ Er wandte ihr kurz den Kopf zu und blies ihr seinen warmen Atem ins Gesicht. „Mein Gefühl hat sich nicht getäuscht. Kane ist hier. Hier in Kranor-Rill.“

Rhyans Herz machte einen Satz und schlug mit einem nervösen Flattern weiter, was eine kribbelnde Wärme in ihren Gliedern verursachte. Dieser eine kleine Satz hatte die verschiedensten Gedanken ausgelöst, die nunmehr wie wild in ihrem Kopf umher rasten. Sie hatten Kane tatsächlich gefunden. Endlich.

Und sie war erleichtert, freute sich, dass die Unsicherheiten endlich ein Ende haben würden. Zu viel Zeit für zu viele Gedanken war ihr in den letzten Tagen geblieben und das war nicht gut. Zweifel, Sorge, Ärger hatten sich mit wiederkehrender Zuverlässigkeit abgewechselt. Sie wollte endlich wissen, was vorgefallen war, ohne dabei die Übertreibungen und Ausschmücke des erzählenden Volkes berücksichtigen zu müssen. Ihre Hände glitten über die warmen Schuppen von Arokhs langem Hals. Eine Geste, die ihre aufgewühlten Gefühle beruhigte. „Haben sie dir, außer von seinem Aufenthaltsort, noch mehr erzählt?“

Der Drache schlug sanft mit seinen Flügeln und drehte gen Osten bei, tiefer in das Herz von Kranor-Rill hinein. „Nur wenig. Er ist vor einigen Tagen hier vorbei gekommen. Aber wie es klang, war das nicht das erste Mal.“ Er schwieg einen Moment lang, als müsse er sich seine nächsten Worte erst zurecht legen. „Rhyan, hast du irgendetwas davon gewusst, dass er sich schon früher hier aufgehalten hat? In der näher zurück liegenden Vergangenheit meine ich. War er mal für längere Zeit fort gewesen?“

Rhyan runzelte die Stirn ob der versteckten Andeutungen hinter diesen Fragen. Sie konnte sehr wohl Eins und Eins zusammen zählen und sich denken, worauf der Drache hinaus wollte. „Du willst wissen, ob er Zeit und Gelegenheit gehabt hätte seine Züge zu planen?“ Es ärgerte sie, aber sie zwang sich objektiv darüber nachzudenken. Sie beide hatten immer mal wieder kleinere Reisen unternommen, bei denen der andere nicht dabei gewesen war. Auch über mehrere Tage. Es wäre ihm demnach also durchaus möglich gewesen, seine alten Kontakte wieder herzustellen und die Weichen für die spätere Zukunft zu stellen. „Ich bin nicht sein Schildknappe. Natürlich ist er auch mal allein unterwegs gewesen.“

Arokh knurrte. „Also gut. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. Die Menschen sprachen davon, dass er sich in der Nähe der alten Stadt Arrelarti niedergelassen haben soll. Dort existieren noch immer verstreute Ruinen, einstige Vorposten der Stadt. In einem von ihnen soll er sein Lager errichtet haben. Ich denke nicht, dass wir lange suchen müssen.“

Den rest des Weges legten sie schweigend zurück. Rhyan war viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, zerbrach sich den Kopf in dem Versuch sich vorzustellen, wie ihr Zusammentreffen mit Kane aussehen würde. Schon auf ihrem Weg vom Ring der Vorfahren zur heimatlichen Feste hatte sie darüber nachgedacht. Ihre Gefühle waren geprägt gewesen von der Freude, wieder daheim zu sein und dem Zorn, von Kane hintergangen worden zu sein. Denn nichts anderes war es in ihren Augen. Ein Verrat an ihr und ihrer Loyalität, nur dass sie seine Beweggründe nicht kannte. Noch nicht. Jetzt sah all das nicht viel anders aus, bloß dass noch eine ganze Menge anderer Sachen hinzu gekommen waren. Wem würde sie gegenüber treten? Sie hatte sich bereits mit dem Gedanken abgefunden, dass es nicht mehr der Kane sein würde, den sie verlassen hatte. Aber es sorgte sie, was sie tatsächlich zu sehen bekommen würde.

Es war schon fast zu dunkel, um überhaupt noch irgend etwas erkennen zu können, als sie unter sich die verwitterten Überreste mehrerer Bauten ausmachen konnten. Arokh verringerte seine Geschwindigkeit und sank in einer langgezogenen Schleife tiefer. Aufmerksam musterten er und seine Gefährtin den still daliegenden Ort und tatsächlich konnten sie den unsteten Schein von Feuer erkennen, verborgen hinter dem grünen Schleier der Vegetation.

Das kniehohe Gras rauschte, als der Drache landete. Seine Klauen gruben sich tief in das weiche Erdreich und sein Schwanz zuckte unruhig, ehe er sicheren Stand gefunden hatte. Der Untergrund hier war tückisch und in der einsetzenden Dunkelheit war es fast unmöglich die vielen kleinen Bachläufe zu erkennen.

Auch Rhyan sank bis über die Knöchel im Schlamm ein, als sie von Arokhs Schultern sprang. Die Frösche, die bei ihrer Landung entsetzt verstummt waren, nahmen zögernd ihren hallenden Gesang wieder auf und vervollständigten die Geräuschkulisse neben dem Zirpen von Zikaden. Sie roch den schwefeligen Geruch verbrennenden Holzes und konnte das Flackern einer einzelnen Fackel durch die Blätter hindurch sehen. Ansonsten gab es keinerlei Anzeichen menschlichen Lebens.

Unmittelbar vor ihnen erhoben sich die Überreste eines langgezogenen Gebäudes, welches in seiner Blütezeit imposant anzusehen gewesen sein mochte. Jetzt aber lag es vergraben unter der Fülle der rankenden Pflanzen. Kleinere Bäumchen und Büsche hatten das Gestein aufgesprengt und sich an den unmöglichsten Stellen einen Lebensraum geschaffen. Nur noch an wenigen Stellen konnte man den blanken Stein erkennen. Dazu kam noch, dass das gesamte Gebäude scheinbar in die Erde eingesunken war. Es wirkte verzerrt, asymmetrisch und Vorsprünge ragten hervor, wo das Mauerwerk abgesackt war.

Mühsam löste Rhyan ihre Füße aus dem Morast und und stapfte auf dieses Gebäude zu. Von dort kam auch der Fackelschein. Sie schob mehrere herab hängende Zweige zur Seite und legte so den Blick auf ein schwarz gähnendes Loch frei, welches unzweifelhaft einmal das Eingangstor gewesen sein musste. Jetzt, verschoben und zerbrochen wie es war, glich es eher einem aufgerissenen Maul, bereits jeden zu verschlingen, der es wagte seine Schritte hinein zu lenken.

Sie warf einen Blick über die Schulter zurück zu Arokh. Er würde ihr nicht hinein folgen können, aber sie zweifelte nicht daran, dass er nach einem anderen Weg suchen würde. Sein gehörnter Schädel neigte sich leicht. „Rufe, wenn du mich brauchst.“

Rhyan nickte nur stumm, dann trat sie unter dem einstigen Türsturz hindurch in die absolute Dunkelheit. Selbst für ihre Augen, die unter normalen Umständen äußerst gut im Dunkeln sehen konnten, war diese Finsternis annähernd vollkommen. So tastete sie sich langsam voran und verließ sich auf den Rest ihrer Sinne. Der Stein unter ihren Fingern war feucht und glitschig und je tiefer sie in das Gebäude vordrang, desto leiser wurde das Quaken der Frösche in ihrem Rücken. Statt dessen vernahm sie jetzt das federleichte Rascheln und hochfrequente Zirpen von Fledermäusen. Die Luft wurde dumpfer, wärmer und weniger feucht, und endlich wurden auch die Fackeln häufiger, die in unregelmäßigen Abständen in dem Gang verteilt worden waren. Es war deutlich zu erkennen, dass hier jemand lebte. Spuren in dem Schmutz auf dem Boden und zurückgelassene Gegenstände sprachen eine deutliche Sprache. Trotzdem erschrak Rhyan heftig, als sie unverhofft auf zwei der Bewohner stieß.

Allerdings lag das wohl eher an deren ungewöhnlichem Erscheinungsbild. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihre Gegenüber an, ehe sie begriff, dass sie wahrscheinlich grade vor zwei Exemplaren der besagten Sumpfkreaturen stand. Als sie ihren Blicken begegnete entschied sie, Arokhs Ausführungen über deren Intelligenz Glauben zu schenken.

Die Kreaturen schauten sie neugierig und verstört an. In ihren langen Fingern, die über vier Gelenke statt über drei verfügten, ruhten hölzerne Speere. Ihre Haut hatte eine krankhaft grünliche Färbung und schimmerte im Licht der Fackeln feucht.

Rhyan spreizte hastig ihre Finger in dem Bestreben, harmlos zu erscheinen. Sie wollte nicht so ungeniert auf diese beiden Kreaturen starren, aber ihre extreme Andersheit machte das fast unmöglich. Ihre pupillenlosen Augen waren unheimlich. So Schwarz wie sie waren konnte Rhyan nur erahnen, ob sie direkt angesehen wurde. Ihre Schädel waren haarlos und erinnerten in unangenehmer Weise an das Erscheinungsbild der Menschen, denen sie am Nachmittag begegnet waren. Sie standen aufrecht, bekleidet nur mit einem ledernen Lendenschurz und die langen Muskelstränge unter ihrer Haut erstickten jeglichen Gedanken an schutzlose Froschmenschen im Keim.

„Verzeiht mein unerlaubtes Eindringen. Ich bin Rhyan und hatte gehofft, Kane hier finden zu können.“ Sie hatte keine Ahnung, ob die Kreaturen sie überhaupt verstanden, wo doch schon die Menschen eine eigene Sprache besaßen. Aber die Wesen nickten, tauschten untereinander schnarrende Laute aus und bedeuteten ihr dann mit einer Geste, ihnen zu folgen.

Der Zweite verschwand schon bald vor ihnen im Zwielicht der Flure. Vermutlich würde er Kane über ihr Erscheinen in Kenntnis setzen. Es gab der Drachenreiterin ein bisschen das Gefühl wie ein Bittsteller behandelt zu werden. Wie ein gewöhnlicher Gast, der um eine Audienz beim Hausherren gebeten hatte. Aber sie schalt sich einen Tor, denn schließlich konnte sie den Krieger hier schlecht allein in den weitläufig angelegten Bereichen des Gebäudes finden. Sie war auf einen Führer angewiesen.

Sie folgte der Sumpfkreatur durch die Zimmer und Flure, wobei sie sich ständig aufmerksam umschaute. Hin und wieder trafen sie auf andere Geschöpfe ihrer Art und aus der Ferne konnte Rhyan sogar den ein oder anderen Menschen ausmachen. Zwischendurch wehte der köstliche Geruch frisch gebratenen Fleisches zu ihnen herüber, was ihren hungrigen Magen sehnsüchtig stöhnen ließ. Schüsseln klapperten und leises Stimmengewirr hallte von den Steinwänden wieder.

Dann verließen sie diese recht belebten Gefilde und bogen in einen schwach erleuchteten Seitengang ein. An dessen Ende war eine deckenhohe Eichentür in das Mauerwerk eingelassen und vor dieser standen zwei der Sumpfkreaturen in ein zischendes Gespräch vertieft. Einer von ihnen schien der Bote zu sein, der ihnen vorausgeeilt war. Sein Gesprächspartner hatte sich vor der Eichentür aufgebaut und versperrte mit verschränkten Armen den Zutritt.

„Was ist?“ fragte Rhyan misstrauisch, als sie zu der Diskussion hinzu stießen. Was sie sah gefiel ihr nicht. „Ist Kane dort drin?“

Die Kreaturen unterbrachen ihr Gespräch und wandte die leeren Blicke zu dem Menschen. Man richtete einige zischende Laute an sie und das Wesen, das noch immer vor der Tür stand, hob in abwehrender Geste die Hände. Es war offensichtlich. Man wünschte nicht, dass Rhyan durch diese Tür trat.

Verärgert zog sie die Brauen zusammen. Sie war nicht gewillt, sich von diesen Kreaturen davon abhalten zu lassen, ihren Freund zu sehen. „Ich will ihn sehen und ich bin mir sicher, dass auch er nichts gegen ein Zusammentreffen einzuwenden hat.“

Wieder schnarrten die Stimmen ihrer Begleiter. Alle drei schüttelten ihre Köpfe.

Damit war Rhyans Geduld am Ende. Vermutlich hatten sie keine Ahnung wer sie überhaupt war und sie würde sich nicht wie einen zweitklassigen Speichellecker behandeln lassen. Ihre Lippen zogen sich mit einem drohenden Knurren über die langen Eckzähne zurück und ihre Augen flammten von einem Herzschlag auf den nächsten in einem feurigen Gelb auf. Sie sah, wie das Wesen ihr gegenüber erschrocken zurück wich, dann schnellte ihre rechte Hand vor. Sie schloss sich um die schutzlose Kehle der Kreatur und schleuderte sie rücklings gegen die Eichentür, wo sie erbarmungslos zudrückte. Das Holz ächzte unter der Last. „Lasst mich zu Kane! Jetzt.“ Ihre scharfen Fingernägel bohrten sich in unmissverständlicher Drohung in das empfindliche Fleisch des Halses.

Vor Entsetzen gelähmt starrten alle drei Kreaturen auf Rhyan und rührten sich nicht. Die Angst, die wie eine Wolke von ihnen aufstieg, war beinah greifbar.

Verächtlich blickte die Drachenreiterin auf ihr Opfer. „Wenn ich dich gleich loslasse, wirst du diese Tür frei geben und mich passieren lassen. Hast du mich verstanden?“ Sie spürte das Nicken eher, als dass sie er sah, und löste ihren Griff. Der erwartete Angriff der Kreaturen blieb überraschender Weise aus. Statt dessen machte man ihr ohne weitere Wiederworte den Weg frei.

Mit noch einem letzten, drohenden Blick auf die Sumpfkreaturen trat Rhyan an die Tür heran und legte ihre Hand auf die gusseiserne Klinke. Kühl schmiegte sie sich in ihre Handinnenfläche. Dann drängte sie tief durchatmend ihre nagende Sorge in ihr Innerstes zurück, öffnete die Tür und trat entschlossen hindurch.

Abgründe einer schwarzen Seele

Rhyan trat unter dem gemauerten Türbogen hindurch, der mehrere Armlängen tief war, und blieb zögernd stehen. Ihre Augen mussten sich erst an das hier vorherrschende Zwielicht gewöhnen. In gusseisernen Wandhaltern steckten Fackeln und an der kurzen, rechten Zimmerseite klaffte ein mächtiger offener Kamin, in dem ein helles Feuer loderte und zuckende Schatten an die Steinwände des Raumes malte. Davor stand ein abgewetzter Lehnstuhl und ein Beistelltisch, auf dem sich mehrere Papiere und eine irdene Karaffe tummelten. Doch der Stuhl war leer.

Sein Eigentümer stand, den breiten Rücken der Tür zugewandt, vor dem offenen Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Schwere Vorhänge wehten sacht in der kühlen Brise, ebenso wie der lange Mantel, den der Krieger um seine Schultern trug. Rhyans Brust wurde eng. Er wandte sich nicht um, genoss statt dessen den Luftzug und drehte seinen Trinkbecher in der linken Hand. „Du hättest dem armen Snark nicht so übel mitspielen müssen Rhyan. Er hätte dich schon noch passieren lassen.“

„Offenbar hat es ihm aber auch nicht geschadet. Schließlich sollte er eine ähnliche Behandlung gewohnt sein, nehme ich an.“ Sie versuchte, es als Scherz hinzustellen, was ihr allerdings gründlich misslang. Ihre Anspannung war ihrer Stimme deutlich anzuhören und es beunruhigte sie, dass Kane sich noch immer nicht zu ihr umdrehte.

Er hob seinen Becher und nahm einen genussvollen Zug. Der volle Geruch von Rotwein drang an Rhyans Nase. „Du kommst spät.“

Sie schluckte. Nichts in seiner Stimme wies darauf hin, dass er sie auf den Arm nehmen wollte oder seine Bemerkungen nicht so meinte. Viel mehr klang er abweisend, desinteressiert. Weder wütend, noch erfreut. „Kane, ich...“ Entschlossen trat sie weiter in den Raum hinein, wagte es aber noch immer nicht, ihn zu berühren. Die Stimmung gefiel ihr nicht und machte sie nervös. „Es tut mir leid, Kane. Hätte ich gewusst, was hier passiert ist...“

Abrupt brach sie ab, als er nun endlich seinen Kopf drehte und sie aus seinen eisblauen Augen ansah. Sie schob es auf das unstete Licht des Feuers, aber seine Augen schienen in einem kalten, blauen Feuer zu glühen. Rhyan kannte seinen Blick und wusste, dass in seinem Innern ein unsagbarer Zorn lodern musste, wenn er sich derart in seinem Blick niederschlug. Aber der Hass, der ihr durch diese Augen entgegen schlug, ließ das Blut in ihren Adern langsamer fließen.

Sie straffte die Schultern und starrte trotzig zurück. Er würde sie nicht einschüchtern. Und wenn er sauer auf sie war, weil sie ihn in dieser schwierigen Lage allein gelassen hatte, sollte er im Umkehrschluss ihren Zorn zu spüren bekommen, den sein Verrat in ihr ausgelöst hatte. „Wieso versteckst du dich hier? Wie ein Geächteter?“

„Weil ich ein Geächteter bin, Rhyan!“ Er drehte sich vollends zu ihr um. Sein schulterlanges, rotes Haar hatte er durch einen Stirnreif gebändigt und es wehte ihm leicht ins Gesicht. Er trug sein wattiertes Lederwams, kniehohe Stiefel und Hosen aus festem, dicken Leder. Rhyan konnte erkennen, dass er sein Wehrgehänge trug. So als würde er kurz vor einem Kampf stehen.

Sie brummte nur und dachte fieberhaft darüber nach, wie sie die Spannung zwischen ihnen abbauen konnte. Es war unerträglich. „Es war nicht leicht für mich, dich zu finden. Und als ich an der niedergebrannten Feste angekommen bin, habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet.“ Sie spreizte in hilfloser Geste die Finger, um ihm deutlich zu machen, dass sie sich aufrichtige Sorgen gemacht hatte. Doch augenscheinlich interessierte ihn das wenig.

Der Krieger schnaubte, zog eine Augenbraue nach oben und nahm dann einen weiteren Schluck aus dem Becher. „Du hast mich doch gefunden, oder nicht? Ich konnte schließlich schlecht darauf warten, dass du von deiner kleinen Abendteuer-Tour zurück kehrst. Bis dahin hätten mich diese Ratten schon längst eingeäschert.“

Rhyan spürte heiße Wut in sich aufsteigen, die sie mühsam unter Kontrolle zwang. Er war zu weit gegangen. Kane hatte gewusst, wie wichtig ihr die Reise nach Atlantis, zu anderen Menschen, gewesen war. Hatte sie sogar ermutigt mit ihnen zu gehen. Da hatte er nicht das Recht jetzt derart abfällig darüber zu reden. Mit schmalen Augen musterte sie ihn und ihre Stimme war leise und drohend, als sie fortfuhr: „Meine kleine Abendteuer-Tour, wie du sie nennst, hat mir geholfen mich selbst wieder zu finden. Ein Umstand der dir zur Zeit offenbar auch gut tun würde, mein Freund. Ich habe meine Wurzeln wieder gefunden und meine Vergangenheit aus der Versenkung geholt. Ich weiß wieder wer ich bin und jetzt beantworte mir bitte diese eine Frage: Weshalb, bei allen neun Höllen, hast du zugelassen, dass ich all das vergesse? Warum Kane?“ Sie konnte nicht verhindern, dass all ihr Vorwurf und all die Anklage, die sie in sich verspürte, in diesen einen Satz strömten.

„Also daher weht der Wind. Verstehe.“ Seine blauen Augen hoben sich, doch sein Blick blieb undurchdringlich. „Du hast einen weiten Weg hinter dir, nur um mir das zu sagen.“

Fassungslos schnappte Rhyan nach Luft. Glaubte er das wirklich? Das sie nur deswegen zurück gekehrt war? Verbittert schluckte sie, sie wollte nicht, dass er hörte wie sehr ihre Stimme zitterte. „Du weißt, dass das nicht wahr ist. Aber du warst bereits verschwunden, als ich die Feste erreichte.“

Der Krieger ging hinüber zu dem kleinen Beistelltisch und schickte sich an, sich neuen Wein einzugießen. Rhyan bot er keinen an.

Noch bevor er die Karaffe ergreifen konnte, war die Drachenreiterin an seiner Seite. Sie packte ihn am Arm und drehte ihn unsanft zu sich herum, dass er ihr in die Augen blicken musste. Forschend musterte sie seine Züge. „Weich mir nicht aus, Kane. Warum? Du hast es die ganze Zeit gewusst und niemals auch nur mit einem Wort erwähnt.“

Er hielt inne und starrte einen Moment lang wortlos hinab auf ihre Hand. Seine seildicken Muskelstränge spannten sich unter der Haut. „Ich hatte meine Gründe, mehr musst du nicht wissen.“

Der jungen Frau wurde abwechselnd heiß und kalt. Das sollte alles sein? Er hatte seine Gründe? Für einen winzigen Moment zeigten sich ihre spitzen Zähne, ehe sie sich wieder halbwegs im Griff hatte. Das lief nicht so wie sie geplant hatte. „Kane, verdammt noch mal, es ist mein Leben. Meines! Du hattest kein Recht mir meine Vergangenheit vorzuenthalten.“

Mit einem Knurren, das tief aus seiner Brust zu kommen schien, knallte er den Becher auf den Tisch und riss seinen Arm los. „Ich hatte jedes Recht, das mir zustand.“ Seine Stimme war schneidend und als er sich vor Rhyan aufbaute verschwand sie beinah in seinem breiten Schatten. Sie musste zu ihm aufschauen, da er annähernd einen Kopf größer war als sie. „Diese Vergangenheit, die dir so sehr am Herzen liegt, hätte dich beinah getötet. Damals. Ich hatte keine andere Wahl.“

Bestürzt und verstört durch den Mann, der da vor ihr stand, wich Rhyan mehrere Schritte zurück. Ihre leuchtenden Augen waren riesig in dem Feuerschein, die sonst so schmalen Pupillen geweitet. Wollte er ihr damit sagen, dass er an ihrer Amnesie Schuld gewesen war? Das er aktiv dazu beigetragen hatte, dass sie vergaß was sie einst ausmachte? Es verschlug ihr schier den Atem. Sie wusste, dass er zu so etwas fähig war, dass er die dunklen Künste beherrschte, die für einen Zauber dieser Art notwendig sein würden. Doch sie hätte niemals, nie in ihrem Leben vermutet, dass er schwarze Magie gegen sie einsetzen würde.

Ihr schwindelte. Für einen kurzen Moment lang schien es, als fange der Boden unter ihren Füßen an zu beben. Das Drachenerbe in ihrem Innern verlangte Genugtuung, verlangte an die Oberfläche und damit außer Kontrolle zu gelangen. Rhyan ächzte. Es kostete sie all ihre Beherrschung, das zu verhindern. Die Hände zu Fäusten geballt, damit ihre zu Klauen gewordenen Finger nicht doch noch ein Eigenleben entwickelten und sich gegen den Krieger wanden, trat sie noch drei Schritte zurück.

Kane hingegen ließ sich in den Lehnstuhl sinken und musterte sie unter seinen grimmig zusammengezogenen Brauen hinweg. Das Feuer des offenen Kamins ließ das Rot seines Haares und seines kurzen Bartes wie Kupfer schimmern. „Wie ich sehe, tat ich gut daran.“

„Wie konntest du!“ spie sie ihm entgegen. „Es wäre niemals so weit gekommen, wenn du mein tiefstes Selbst nicht durch deinen Zauber aus dem Gleichgewicht gestoßen hättest.“

„Glaubst du das wirklich, Rhyan?“ Er blieb vollkommen unbeeindruckt, lehnte sich zurück und wies dann mit seiner freien Hand auf den ihm gegenüber stehenden Stuhl. „Setz dich und ich werde es dir erklären.“

Trotzig blieb sie stehen. Wenn er ihr etwas zu sagen hatte, konnte er das genau so gut gleich tun, ohne dieses lächerliche Höflichkeits-Geplänkel. Wahrlich, sie hatte sich das Wiedersehen mit ihm anders vorgestellt und sie hatte nicht gewollt, dass ihr Groll sich so sehr steigerte und sich in blanke Ablehnung gegen ihn verwandelte. Er war ihr Freund und er brauchte sie, so kämpfte sie händeringend gegen dieses Gefühl an. Aber seine Offenbarungen machten ihr diesen Weg alles andere als leicht. Sie ahnte, dass Kane nicht ohne guten Grund so gehandelt hatte. Aber es änderte nichts daran, dass er ihr Vertrauen missbraucht hatte.

„Rhyan, setz dich, verflucht!“

Sie starrten sich an und für mehrere Herzschläge schien das Licht der Fackeln dunkler zu werden. Von Kane strahlte eine ungeheure Aura aus. Sie dehnte sich aus, ließ das Feuer kleiner werden und umschloss alles in diesem Raum befindliche mit einer erdrückenden, unbarmherzigen Kälte. Rhyan keuchte. Der Krieger war um einiges mächtiger geworden in den Wochen ihrer Abwesenheit.

Ihr erschrockenes Aufbäumen schien Kane wieder zur Besinnung zu bringen. Er brummte und fuhr sich mit dem Unterarm über das Gesicht. „Bitte.“

Widerstrebend setzte sich Rhyan also, zutiefst beunruhigt. Sie hatten einen denkbar schlechten Start gehabt. Doch jetzt schien der Krieger sich einen Ruck zu geben und so würde auch sie ihren Groll schlucken und einen weiteren Anlauf wagen. Aufmerksam beobachtete sie ihr Gegenüber. Er sah noch immer genau so aus wie an dem Tag, an dem sie gegangen war. Aber das war keine Überraschung. Kane würde selbst in hundert Zyklen noch so aussehen, als stünde er in der Blüte seiner Jahre. Zeit konnte dem Verfluchten nichts anhaben. Doch seine Ausstrahlung war eine ganz andere. Seine Haltung und sein Blick waren lauernd.

Er drehte den irdenen Becher in seinen großen, aber erstaunlich feingliedrigen Fingern. Seine Augen verfolgten die Bewegungen der darin enthaltenen roten Flüssigkeit. „Rhaegars Tod hätte dich damals um ein Haar innerlich zerrissen. Du verändertest dich von Tag zu Tag, wurdest unberechenbar und gefährlich.“ Als er sie nun ansah, schien der Glanz des Wahnsinns und der Hass schwächer zu werden. Aber er verschwand nicht vollständig. „Rhyan, du trägst etwas in dir. Das Erbe deiner Bindung mit einem Wesen der Altvorderen, einem Drachen. Und es verändert dein Wesen und deine Seele. Und du bist nicht stark genug, um es unter Kontrolle zu halten.“

Rhyan brummte, unschlüssig ob sie mehr verärgert oder verwundert war. In der Tat war sie ein wenig unberechenbar, wenn sie in Rage geriet. Aber es war nie so, dass sie die Oberhand zu verlieren drohte. Und grade jemanden wie Kane dürfte dieser Umstand eigentlich wenig sorgen. Er selbst konnte zu einer anderen Person werden, wenn er dem Blutrausch verfallen war.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fuhr er fort: „Ich habe eingegriffen, bevor es soweit kommen konnte. Und ich werde mich nicht dafür entschuldigen, denn es gab keine andere Möglichkeit. Der Schmerz deiner Erinnerung, die du nicht abzuschütteln vermochtest, hat dich labil und anfällig gemacht. Du hattest nicht die innere Stärke, dich dem verlockenden Ruf zu widersetzen.“ Er trank den Wein aus und stellte den Becher dann bedacht zur Seite. Ein Ausdruck, der Schmerz oder Leid bedeuten konnte, huschte über seine Züge. Seine Zähne mahlten, spannten die Muskeln unter seinem dichten Bart. „Glaube mir, Rhyan, ich konnte nicht daneben stehen und einfach so zusehen, wie du von deiner Qual überwältigt wirst. Viel zu oft habe ich am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, zu verlieren. Und jemanden wie uns, die wir über eine längere Lebensspanne blicken als die meisten anderen Lebewesen dieser Welt jemals werden, trifft ein solcher Verlust besonders schwer. Weil er uns immer wieder ereilen wird und alte Wunden immer und immer wieder von Neuem aufreißt. Niemand kann dieses Leid über einen längeren Zeitpunkt ertragen.“

Sprachlos saß Rhyan da. Nach dem vorangegangenen Streitgespräch hatte sie nicht erwartet, dass Kane so offen sprechen würde. Zumal es sie traf, in seinem Blick mehr zu lesen, als er mit seinen Worten hatte aussprechen können. Sie hatte nie darüber nachgedacht was es bedeutete, für so viele Zyklen zu leben und genau zu wissen, dass man noch hunderte weiterer Zyklen überdauern würde, wenn nicht ein gewaltsamer Tod eintrat. Noch dazu verdammt, den Großteil dieser gewaltigen Zeitspanne allein zu verbringen. Sie hatte es vermieden, sich darüber intensiver als unbedingt notwendig Gedanken zu machen.

Kane war ein grausamer Krieger, unbarmherzig und brutal. Gefürchtet seit vielen Menschengenerationen. Doch irgendwie war es Rhyan nie in den Sinn gekommen, dass auch dieser Mann Verlustschmerz empfinden konnte. Er verbarg diese Gefühle sehr gut. Aber nach dieser Offenbarung wurde Rhyan erst klar, weshalb er damals, als sie nach einem vernichtenden Angriff durch Prirates und der Lebensbedrohlichen Verletzung Arokhs, am Rande des Totenreichs gestanden hatte, mit solch verzweifelter Vehemenz um ihr Leben gekämpft hatte.

Sie hatte soeben einen tiefen Einblick in seine Seele erhalten, wie in den ganzen Sommern zuvor nicht. Und vielleicht, so sagte sie sich, war vielleicht genau das der Grund für seine unnachgiebige Härte.

„Man lernt damit umzugehen. Zwangsläufig. Und ich ziehe es vor, derartige Umstände zu vermeiden. Aber du warst mitten drin.“

Rhyan nickte langsam, schluckte mühsam den Knoten in ihrem Hals. „Ich hätte es auch gelernt. Lernen müssen. Kane, das ist ein Teil von mir. Ein wichtiger Teil, weil genau daraus der Grund hervorgeht, warum ich damals überhaupt diese Bindung mit Arokh eingegangen bin und die Bürde eines Drachenerbes auf mich nahm. Warum ich jetzt das bin.“ Sie breitete ihre Arme aus und ließ ihn ihre lodernden Augen mit den senkrechten Pupillen sehen. „Du hast mich um meine Trauer gebracht. Und du hast mich Rhaegar vergessen lassen. Nenn mir nur einen Grund, aus dem ich nicht wütend sein sollte!“

Der Rothaarige seufzte brunnentief, lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. „Hasse mich dafür, wenn es dir dann besser geht. Möglich, dass es im Nachhinein einen anderen Weg hätte geben müssen. Aber zu diesem Zeitpunkt, Rhyan, hätte ich dich verloren, wenn ich nicht gehandelt hätte.“

Schweigen senkte sich über den Raum, nur unterbrochen von dem Knistern des Feuers und dem allgegenwärtigen Quaken, das durch das offene Fenster herein wehte. Rhyan hatte nicht gewusst, welche Umstände dazu geführt hatten, dass Kane ihren Geist mit dunkler Magie manipulierte. Und natürlich hatte sie gehofft, dass es einen guten Grund für solch einen krassen Eingriff gegeben hatte. Was sie aber gesagt bekommen hatte, übertraf dies bei Weitem. Sie musste das Gehörte erst einmal verarbeiten.

Als sie das nächste Mal zu Kane hinüber sah, war dieser schon wieder in brütendes Grübeln versunken, den Blick auf die zuckenden Flammen gerichtet. Rhyan beachtete er nicht mehr, so als sei sie gar nicht anwesend. Dabei hatte sie gar nicht mal so lange ihren eigenen Gedanken nachgehangen.

Verunsichert durch diesen plötzlichen Wandel wagte sie es nicht, das Thema auf die aktuellen Geschehnisse zu lenken. Eine düstere Aura schien den Krieger einzuhüllen, ein Nebel, der abweisend und bedrohlich wirkte. Unruhig rutschte Rhyan auf ihrem Stuhl umher. „Kane?“

Er reagierte nicht. Weit entfernt mit seinen Gedanken.

„Kane, was ist los mit dir?“

Als bewege er sich durch zähen Sirup, wandte er endlich den Kopf und schaute zu ihr herüber, die Stirn verärgert gefurcht. Und plötzlich fühlte sich Rhyan fehl am Platz. So als dürfe sie gar nicht hier sein. Seine düstere Aura schien sich auszubreiten und flutete ihr entgegen, legte sich auf ihre Brust und erschwerte ihr das Atmen. Erschrocken lehnte sie sich dagegen auf, zwang die schleichende Kälte zurück und honorierte dieses Fehlverhalten Kanes mit einem unflätigen Fluch. „Bei Innor, hör auf damit, Kane! Ich bin nicht dein Feind.“ Sie schüttelte sich. „Was ist bloß in dich gefahren?“

Anstatt zu antworten, stand der Krieger auf, um an seinen Platz an dem Fenster zurück zu kehren. Auf Rhyans erboste Frage reagierte er keinen Faden weit. „Du wirst müde sein von der Reise. Der Weg durch dir Sümpfe ist kein leichter. Selbst auf dem Rücken eines Drachen nicht. Snark wird dir ein Quartier zuweisen, in dem du zur Ruhe kommen kannst.“

Wie vor den Kopf gestoßen fiel Rhyan nicht ein, was sie darauf hätte erwidern sollen. Er warf sie raus. Einfach so. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren erhob sie sich und verließ den Raum durch die selbe Tür, durch die sie auch gekommen war. Sie musste sich stark beherrschen, nicht kopflos hinaus zu stürmen.

Das Krötenwesen, Snark wie sie vermutete, wartete noch immer in dem Flur und zuckte verängstigt zurück, als Rhyan ihn unfreundlich anknurrte, damit er aus dem Weg ging. „Bring mich zu meinem Quartier.“

Hastig übernahm er die Führung und machte zum Glück keine weiteren Anstalten, sich um die junge Frau kümmern zu wollen. Diese war ohnehin viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt und achtete nicht weiter auf ihre Umgebung. Es war ihr egal, wie weit weg von Kane man sie unterbringen würde. Zur Zeit zog sie es vor, seine Gesellschaft zu meiden.

Etwas stimmte nicht. Ihr Freund wirkte wie ausgewechselt, aber sie konnte es nicht benennen, nicht mit dem Finger darauf zeigen. Sie hatte diese dräuende Gefährlichkeit, welche von ihm ausging wie Hitze von einem Feuer, bereits wahrgenommen, als sie den Raum betreten hatte. Etwas, das unterschwellig an ihren Nerven gezupft hatte. Dann, im Verlauf ihres eher durchwachsenen Gesprächs, wäre sie beinah zu der Überzeugung gelangt, dass sie sich getäuscht hatte. Trotz der anfänglichen Auseinandersetzung hatten sie den Draht zueinander wiedergefunden und Kane erschien ihr wie der Alte.

Das hatte sich dann jedoch schlagartig und auf unerklärliche Weise verändert. Es gefiel ihr nicht und sie konnte es sich nicht erklären. So sehr sie sich auch den Kopf darüber zerbrach. Es kam ihr fast so vor, als stehe Kane an der Gabelung eines Scheideweges, auf einem schmalen Grat balancierend. Mal schwankte er zu der einen, mal zu der anderen Seite, wie eine Weide im Sturm. Ob er letzten Endes abrutschen und in den gähnenden Abgrund seiner im tiefsten Herzen schwarzen Seele stützen würde, war noch nicht entschieden.

Was heute zwischen ihnen gesprochen worden war, hatte sie zutiefst verstört und keinen Platz für einen klaren Kopf gelassen. Und den brauchte sie dringend, um mit dem wankelmütigen Krieger umgehen zu können, ohne sich um Kopf und Kragen zu reden. Daher war sie eigentlich froh, jetzt ihr Zimmer aufsuchen zu können, um in Ruhe über alles nachzudenken. Zwar hatte sie der kühle Rauswurf getroffen, aber sie beschloss, jetzt nicht weiter daran zu denken. Sie hatte Kane gefunden und es würde Zeit genug für sie geben, ihn zu beobachten und mit ihm zu reden. Es war spät und wer wusste schon, wann der Krieger das letzte Mal zur Ruhe gekommen war. Möglicherweise war er einfach nur viel zu erschöpft, um mit ihr die Nacht zu durchwachen.

Das dünne Stimmchen, welches in ihrem Kopf lachte und sie darauf hinwies, dass Kane alles andere als erschöpft gewirkt hatte – eher das Gegenteil war der Fall – überhörte sie geflissentlich.

Ein immer währender Fluch

Der nächste Morgen war erstaunlich kühl und drängte sein Licht nur zögerlich durch die schweren Nebelfetzen. Sie strichen um die verborgenen Mauern des Außenpostens und überzogen alles mit einem feinen Film aus Feuchtigkeit. Eine gespenstische Stille lag über dem Sumpf, die Kröten waren verstummt und nur das Krächzen von Raben drang ab und zu an ihre Ohren.

Rhyan zog ihren Mantel enger um sich. Sie war früh erwacht, nach einer Nacht voller unruhiger Träume und sie war hinaus gegangen. Zum einen, um der stickigen Luft im Innern der Flure zu entgehen und einen klaren Kopf zu bekommen. Zum anderen um sich ein wenig umzusehen und sich ein Bild von dem Vorposten zu machen. So stapfte sie durch das nasse Gras, erstaunt über die weite Verzweigung des Komplexes.

Aus einem gedrungenen, hölzernen Verschlag zu ihrer Rechten erklang das aufgeregte Geschnatter von Sumpfkreaturen. Es krachte laut und das scharfe Splittern trockenen Holzes hallte dumpf in der nebeligen Geräuschkulisse wider. Neugierig ging Rhyan darauf zu und spähte durch eine offen stehende Doppelflügeltür.

Drinnen herrschte das Chaos. Mindestens sechs Exemplare der Sumpfkreaturen rannten in wilder Flucht durcheinander, verzweifelt bemüht, den wirbelnden Hufen des schwarzen Alptraumes in ihrer Mitte auszuweichen.

Verblüfft riss Rhyan die Augen auf. Offensichtlich hatte Markor seinen Weg hier her gefunden und widersetzte sich jetzt vehement der erfolglosen Versuche seiner Häscher, ihn in eine der Boxen entlang des Mittelganges zu drängen. Sie gingen mit spitzen Lanzen gegen ihn vor, piekten ihn immer wieder in Brust und Flanke und fachten seinen Zorn so nur noch mehr an.

Mit einem lauten Knall zerbarst eine Trennwand unter der Wucht seines auskeilenden Hinterhufes, dann zersplitterte eine der Lanzen zwischen seinen zuschnappenden Fängen. Seine rot glühenden Augen rollten in blinder Wut.

„Markor!“ Rhyan stürzte in den Stall, schleuderte die ihr im Weg stehenden Kreaturen aus dem Weg und schlug das Wesen nieder, das sich soeben anschickte, den Nachtmahr mit seiner Lanze in den ungeschützten Bauch zu stechen. „Wage es nicht, du jämmerliche Kreatur.“ fauchte sie dem am Boden Liegenden entgegen.

Dann baute sie sich vor dem tobenden Hengst auf, breitete die Arme aus und zog die Aufmerksamkeit des Tieres durch pure Willenskraft auf sich. Sie durfte nicht zulassen, dass er vollkommen die Beherrschung verlor. Ein Nachtmahr, ungebändigt seiner Wut verfallen, würde nur schwer wieder zu bändigen sein. „Ho, mein Freund. Beruhige dich.“

Die Nüstern blähten sich empört und noch immer stampften die mächtigen Hufe auf den Lehmboden. Er war wirklich wütend. Rhyan hatte ihn bisher nur selten so aufgebracht erlebt.

Markor schüttelte seine lange Mähne, die Kreaturen, die sich noch immer schnatternd hinter Rhyan zusammendrängten, nicht aus den Augen lassend. Es stand außer Frage, dass er sie mit seinen Fängen zerreißen würde, wenn er nur eine Gelegenheit bekäme.

„Ruhig, mein Freund. Sie werden dich nicht mehr bedrängen.“ Rhyan legte eine Hand auf seinen Hals, die langen Muskeln unter dem Fell bebten. Mit der anderen strich sie über seine Nase, eine Geste, welche ihn unter normalen Umständen beruhigt hätte. Doch jetzt entzog er ihr den Kopf unwillig.

Ein böser Verdacht keimte in der Drachenreiterin und sie wirbelte zu den nervösen Sumpfkreaturen herum, die Brauen verärgert zusammen gezogen. „Was zum Teufel ist hier passiert?“

„Wir wussten nicht, dass dieser Nachtmahr zu dir gehört.“ Ein kleiner, dunkelhäutiger Mensch, der Rhyan zuvor gar nicht aufgefallen war, trat zwischen den Kreaturen hervor. Er deutete eine schwache Verbeugung an. „Du musst verstehen, wir bekommen hier nur noch selten Wesen seiner Art zu sehen. Meine Arbeiter haben seinen Wert erkannt und gedacht, dass er ein guter Fang für den Master wäre.“

Der Hengst schnaubte aufgebracht.

„Dann solltet ihr wissen, dass ein Nachtmahr seinen Gefährten selbst wählt und nicht als ein Geschenk übergeben werden kann.“ kommentierte Rhyan kühl. „Deine Arbeiter können froh sein, dass Markor sie nicht zu seinem Morgenmahl erwählt hat. Hat irgendeiner von euch sein Horn berührt?“

Ein reinrassiger Nachtmahr entstand nur dann, wenn man einem Einhorn das Horn raubte. Es war ein grauenvoller und Schmerzhafter Akt, welcher die Tiere in über fünfzig Prozent aller Fälle tötete. Die Qual, die der Verlust des Hornes mit sich brachte, war einfach zu groß.

Und oft geschah es, dass das Horn nicht vollständig abgesägt werden konnte, sondern durch die Gegenwehr des sich vor Schmerzen windenden Tieres abbrach. So wie bei Markor. Zurück blieb ein scharfkantiger Stumpf, der furchtbar empfindlich auf jegliche Berührung reagierte.

Oftmals ging dieser Wandel einher mit einer seelischen Veränderung. Nicht nur das Fell wechselte von Weiß zu Schwarz. Was einst liebenswürdig und sanft gewesen war, wurde gefährlich und böse. Dem einstigen Einhorn wuchs ein Raubtiergebiss, die Augen färbten sich Rot und es benötigte von nun an Fleisch, um überleben zu können. Eine perfekte Kampfmaschine für die Horden des Unterreiches.

Markor jedoch war nie ganz seiner dunklen Seite verfallen. Er war nicht böse oder gar mordsüchtig. Und so bereitete es ihm noch größere Pein, wenn jemand sein Horn berührte und diese grauenvolle Erinnerung zurück in seinen Geist rief.

Der kleine Mensch zuckte unter Rhyans Frage sichtlich zusammen. Antwort genug für sie. In flammendem Zorn knurrte sie ihr Gegenüber an. „Sei dankbar, dass ich dich und deine Brut nicht gleich hinrichte für diesen Frevel.“

„Bitte!“ Er schickte sich tatsächlich an, vor ihr auf die Knie zu gehen und Rhyan verspürte große Lust, ihm einfach den Kopf von den Schultern zu schlagen. „Es bringt einem Glück, das zerstörte Horn eines Nachtmahrs zu berühren.“

„Diejenigen, die diese Dummheit überleben vielleicht.“ fauchte sie. Die Blasphemie dieser Wesen ekelte sie an.

Schließlich löste Rhyan den Blick von der vor ihr kriechenden Kreatur und ließ ihn durch den kleinen Stall gleiten. Nur wenige Stellplätze reihten sich entlang des Mittelganges auf, aber alle von ihnen waren leer. „Wo sind die anderen Tiere?“ Es roch deutlich nach Mist und dem warmen Schweiß von Pferden.

Noch bevor sich der Mensch zu einer Antwort durchringen konnte, die ihm augenscheinlich nicht gefiel, hörte Rhyan von draußen lautes Wiehern und das Rascheln von Tieren, die sich einen Weg durch das Sumpfkraut suchten. Kurzerhand schwang sie sich auf den Rücken ihres Hengstes und verließ den Stall, um nachzusehen. Und diese widerwärtigen Kreaturen aus dem Blick zu bekommen. Sonst würde sie dem inneren Drang, ihnen weh zu tun, nicht mehr lange widerstehen können. Diese Hurensöhne.

Unweit des Stalles hatte sich eine kleine Ansammlung eingefunden. Sie scharten sich um Kane, der auf seinem Schlachtross saß und Befehle in der zischenden Sprache des Sumpfes erteilte. Er sah prächtig aus, mit der leichten Rüstung und dem Breitschwert, das in seinem Rücken hervorlugte. Wams und Hose waren in einem matten Schwarz gehalten, nur der Griff des Schwertes schimmerte in kaltem Silber.

Sie alle waren zum Aufbruch gerüstet und würden wohl in den nächsten Augenblicken los reiten.

Rhyan verspürte den Anflug leisen Ärgers, dass Kane sie offenbar nicht mit einbeziehen wollte. Aber vielleicht hatte er sie gesucht und bloß nicht gefunden, weil sie ihr Zimmer schon so früh verlassen hatte.

Sie lenkte Markor also auf die kleine Gruppe zu und begegnete Kanes Blick mit einem Lächeln. „Kann ich mich deiner kleinen Reisegesellschaft anschließen?“

Der Krieger brummte nur, machte aber keine Anstalten, sie daran zu hindern. Für einen winzigen Moment, einen Herzschlag nur, huschte ein Ausdruck über seine Züge, der Rhyan aufhorchen ließ. Doch er war genau so schnell verschwunden wie er erschienen war und Rhyan nahm an, dass sie sich einfach getäuscht hatte.

Dann brachen sie auch schon auf und es ging in raschem Tempo hinein in den Sumpf. Markor fand mühelos seinen Weg durch die trügerischen Untiefen. Die Ohren steil aufgestellt und nach vorne gerichtet, ließ er sich nicht von Kanes erfahrenem Ross abschütteln.

„Wohin reiten wir?“ Rhyan beobachtete ihren Freund, dessen wachsamer Blick auf den Boden unmittelbar vor ihnen gerichtet war. Offenbar folgte er einer Spur, die für Rhyans ungeübte Augen unsichtbar war.

„Du wirst es sehen, wenn wir dort sind.“ war alles, was sie als Antwort bekam. Angespannt wie er war, ließ er sich auf keine weiteren Gespräche ein und Rhyan beschloss, geduldig zu sein.

Statt dessen beschäftigte sie sich damit, ihre Umgebung genauer zu betrachten. Es war erstaunlich, welch unterschiedliche Gesichter Kranor-Rill hatte. Beim Überfliegen des Sumpfes war ihr das so gar nicht aufgefallen.

Wie in der Steppenlandschaft vor dem Sumpfgebiet ragten auch hier immer wieder zerklüftete Felsen aus dem Morast, oftmals umgeben von kleineren Hainen bestehend aus knorrigen Eichen und Zypressen. Immer wieder wurde der Wald aus Schlingpflanzen und bodennahen Gewächsen so dicht, dass ein Vorwärtskommen nicht möglich war. Dann wandelte sich der Sumpf in Mangroven, aus schmalen Rinnsalen wurden Bäche oder gar kleine Flüsse, welche zu verschlammten Tümpeln zusammenflossen. Rhyan konnte in dem trüben Wasser verborgene Bewegungen ausmachen. Kleine Wellen kräuselten sich und verursachten ein rhythmisches Gurgeln, ohne den Verursacher zu offenbaren.

Dann wiederum wandelte sich das Erscheinungsbild Kranor-Rills derart, dass der Sumpf zu einem trockeneren Moor wurde, durchzogen von flachen Erhebungen, die eine verhältnismäßig weite Sicht zuließen. Dann konnte man seinen Blick über die Tupfer grüner Zypressen und Heidekraut gleiten lassen. Das schwache Tageslicht reflektierte in den versprengten Tümpeln.

Und über allem hingen die Schleier des allgegenwärtigen Nebels. Dazwischen leuchteten die blassen Lichter der Sumpfgase, gespenstisch ungreifbar in dem diffusen Licht.

Schweigend zog die keine Gruppe durch diese wilde Landschaft, Kane an ihrer Spitze. Niemand sprach ein Wort, nur das Geräusch der Hufe, die in Wasser oder Morast traten, unterbrachen die Stille. Auf einem Hügel, nahe der Grenze zwischen einem Moorgebiet und einem Mangrovengebiet, stoppte der Krieger plötzlich und starrte mit schmalen Augen auf das verworrene Dickicht vor ihnen.

Rhyan, die neben ihm zum Stehen kam, versuchte vergebens, irgendetwas ungewöhnliches zu entdecken. „Was ist los?“

Zum ersten Mal an diesem Tag stahl sich ein Lächeln auf Kanes Züge. Und als er zu ihr herüber schaute, glomm in seinen Augen ein kaltes Feuer. „Wir sind nahe. Dort unten, im Schutz der Mangroven, verbergen sie sich.“ Mit der Schwertspitze deutete er auf mehrere tief eingesunkene Spuren in der weichen Erde. „Diese sind noch ganz frisch.“

Rhyan musterte die Abdrücke, die für sie nichts sagend waren und freute sich im Stillen, dass sie offensichtlich auf der Jagd waren. Es war lange her, dass sie gemeinsam mit dem Krieger auf die Pirsch gegangen war und sie sah es als etwas besonderes, dass er ausgerechnet heute, an ihrem ersten Tag des Aufenthaltes, jagen ging, um ein anständiges Essen garantieren zu können. Bloß was sie jagten, konnte sie nicht erahnen. Sie wusste nicht, was es hier in den Sümpfen an jagbarem Wild geben könnte.

Neugierig folgte sie Kane die Flanke des Hügels hinab. Sie würden absteigen müssen, wenn sie ihre Beute in diesem Dschungel verfolgen wollten. Und so kam sie nur wenige Sekunden nach dem Krieger auf dem feuchten Untergrund auf. Sie strich Markor kurz über den Hals, dann verschwand sie dicht hinter Kane in der verschlungenen grünen Hölle der Mangroven.

Unter dem dichten Dach aus Laub war das Licht noch diffuser und die Luft schien still zu stehen. Rhyan hatte den Eindruck, als halle ihr Atem unnatürlich laut wider und sie hatte Schwierigkeiten, Kanes breiten Rücken nicht aus den Augen zu verlieren. Fast vollkommen geräuschlos glitt dieser durch das Dickicht, Ein Umstand, der Rhyan maßlos ärgerte. Der Krieger war wesentlich größer als sie und noch dazu massiger. Trotzdem hatte sie keine Chance, auch nur annähernd so leise vorwärts zu kommen wie er.

Sie lockerte 'Leid' in ihrer Rückenhalterung und huschte geduckt durch die Schatten. Es kam ihr tatsächlich so vor, als könne sie vor sich das Geräusch verhaltener Schritte hören. Manchmal plätscherte Wasser, dann wieder knackten Zweige oder raschelte Laub. Ihre Beute musste sich in der Tat unmittelbar vor ihnen befinden.

Rhyan grinste wölfisch und ihre Augen wechselten von Braun zu glühendem Gold. Lange hatte sie kein vernünftiges Fleisch mehr gegessen, so dass allein der Gedanke an ein am Spieß bratendes Reh ihren Magen grollen ließ.

Sie wurden schneller. Zwischenzeitlich war Rhyan gezwungen durch knietiefes Wasser zu waten oder drohte in dem festen Schlamm der Uferböschung stecken zu bleiben. Aber das Jagdfieber hatte auch sie jetzt vollständig ergriffen, so dass sie sich gedankenlos los riss und weiter eilte. Sie würde Kane nicht allein den ganzen Spaß überlassen.

Insgeheim schienen sie Glück zu haben und der Grundwasserpegel des Sumpfes war abgesunken, die Bachläufe und Tümpel verhältnismäßig flach. Sie wollte sich nicht ausmalen wie diese ganze Region unter Wasser stehen würde, wenn es Regenzeit war.

Unmittelbar in dem Gebüsch vor sich sah Rhyan plötzlich etwas Grünes schimmern. Zischend glitt 'Leid' aus der Scheide und schlagartig schien das Licht noch düsterer zu werden. Für das normale Gehör nicht zu vernehmen sickerte der Gesang der unnatürlichen Klinge durch das Dickicht und ein hoher Pfiff schallte den Jägern entgegen. Voller Furcht und Hilflosigkeit. Was auch immer sie jagten, das Wesen schien in der Lage zu sein, die Ausstrahlung des Schwertes zu spüren. Und sie machte ihnen Angst.

Rhyan freute sich diebisch. Das Adrenalin der Jagd pulsierte kribbelnd durch ihren Körper, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie genoss es. Kurz blitzten ihre scharfen Zähne auf, als sie ein gieriges Knurren nicht unterbinden konnte.

Endlich lichtete sich das undurchsichtige Dickicht ein Stück weit und der Boden wurde trockener, ebener. Auf ein stummes Zeichen des Kriegers, schlicht Rhyan zu ihrem Freund und kauerte sich neben ihn in den Schutz einiger Dornbüsche. Seine blauen Augen brannten und als er sie kurz ansah, spielte ein gefährliches Grinsen um seine Mundwinkel. Mit jeder Faser seines Körpers war er jetzt ein Jäger. Unsichtbar, unbarmherzig. In seiner linken Hand ruhte sein carsultyalisches Breitschwert. „Spürst du es? Wir sind ganz nah.“ Seine Stimme war kaum zu vernehmen, trotz dem er sich nahe zu ihr beugte und beinah ihr Ohr mit seinen Lippen streifte. „Sie sind dort vorne.“

Rhyan richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Gebüsch vor sich, aber sie konnte nichts erkennen. Dennoch spürte sie die Anwesenheit anderer Lebewesen. Und es waren nicht ihre Begleiter, denn diese hielten sich mit einigem Abstand in ihrem Rücken auf. Zwei Kreaturen, eine für sie, eine für Kane. Es war perfekt.

Mit einer Geste wies er Rhyan an, sich nach rechts zu bewegen. Er selbst würde nach links gehen. Eingekesselt zwischen ihnen und den nachrückenden Sumpfkreaturen, würde es für die Beute keinen Weg mehr zur Flucht geben.

Behutsam schob sich Rhyan durch die Ranken der Schlingpflanzen. Ihre Hand hielt das Heft des Schwertes in festem Griff. Sie war angespannt und neugierig, was ihre Beute sein würde. Welches Wesen würde in diesen Tagen in der Lage sein, die Freude zu Kane zurück zu tragen?

Das Buschwerk vor ihr öffnete sich und gab unerwartet den Blick auf eine kleine Lichtung frei. Fetzen von Nebel trieben über einer trüben Schlammpfütze, deren Oberfläche von aufsteigenden Gasen gekräuselt wurde. Grünliche Leuchtfeuerchen, wie Rhyan diese seltsamen Lichterscheinungen mittlerweile für sich nannte, tanzten über der Pfütze.

Kaum zu erkennen in dem Dunst bewegten sich zwei Gestalten. Große, runde Augen zuckten unruhig die Gebüschgrenze entlang. Sie ahnten etwas.

Noch ehe Kane das Zeichen zum Angriff geben konnte, fuhr eine Gestalt herum und floh geduckt in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Blanke Panik musste es kopflos gemacht haben. Rhyan setzte ihr ohne zu zögern nach. Sie würde nicht darauf warten, dass der Flüchtling den Sumpfkreaturen in die Arme lief und diese ihr womöglich noch den Jagderfolg streitig machten.

Sie ließ alle Heimlichkeiten fahren und hetzte so schnell wie es ihr unter diesen Umständen möglich war hinterher. Einem Impuls folgend steckte sie 'Leid' zurück in seine Scheide. Diese Beute würde sie mit bloßen Händen töten. Die Klinge ihres Schwertes mit dem Blut eines solchen Feiglings zu beschmutzen, schien ihr nicht angemessen.

Lachend überholte sie ihr Opfer, als dieses schließlich ins Straucheln geriet und zu Boden stürzte. Die Finger der Drachenreiterin hatten sich bereits zu gefährlichen Klauen gekrümmt, ihre tödlich scharfen Nägel zum Zuschlagen gestreckt. Der Triumph war nah.

Mit einem Satz war sie an der Seite des Gestürzten. Ihre Rechte zuckte vor, traf das Opfer am Schädel und streckte es zum zweiten Mal nieder. Ihre Klauen schlitzten die Haut auf, dass grün-gelbliches Blut austrat. Ein unmenschlicher Schrei scheuchte einen Schwarm Sumpfdohlen auf.

Dann war der Kampf auch schon vorbei. Mit einem widerwärtigen Krachen war das Rückgrat des Wesens gebrochen, hatte den Schrei abreißen und den Körper in Rhyans Fingern erschlaffen lassen.

Siegessicher blickte die junge Frau auf ihre Beute – und erstarrte.

In ihren Händen hing der tote Körper einer nicht ganz ausgewachsenen Sumpfkreatur. Die grünliche Haut wirkte blass und brüchig, viel zu trocken für ein Wesen seiner Art. Anklagend starrten die nunmehr leblosen Augen zu seiner Jägerin auf.

Mit einem keuchenden Stöhnen ließ Rhyan den Körper fallen und trat zurück. Jegliches Hochgefühl, das die Jagd in ihrem Innern ausgelöst hatte, war verpufft und an seine Stelle war die lähmende Kälte blanken Entsetzens getreten. Was hatte sie getan?

An ihren Fingern klebte das bereits kalt werdende Blut der Kreatur und als sie den Blick hob, begegnete sie den Augen derer, die sie bei der Jagd begleitet hatten. Die amphibischen Wesen verharrten am Rande des Dickichts, bewegungslos, ausdruckslos.

In ihrem Rücken erklang ein weiterer Schrei und das Klirren von Metall. Fast hätte Rhyan das zweite Wesen vergessen. Voller Entsetzen wirbelte sie auf dem Absatz herum und stürmte zurück zu der kleinen Lichtung. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warum jagte und tötete Kane diese Wesen, die ihm doch eigentlich leuyal ergeben waren? Das machte einfach keinen Sinn. Und warum zwang er die anderen, bei diesem Mord zuzusehen?

Sie erreichte die Lichtung schwer atmend und starrte voller Grauen auf das Bild, welches sich ihr bot.

Die Sumpfkreatur, im Gegensatz zu ihrem Opfer augenscheinlich ausgewachsen, wies bereits eine Vielzahl tiefer Schnittwunden auf, aus denen unaufhörlich das dickflüssige Blut quoll. Es war in die Knie gebrochen und hatte jeglichen Widerstand aufgegeben.

Kane ragte über der wehrlosen Gestalt auf - riesenhaft, tödlich - und das Breitschwert zog einen schimmernden Bogen durch den Nebel, als es auf den ungeschützten Hals niederfuhr. Ein einzelner Schlag hatte genügt, und der Kopf der Sumpfkreatur rollte davon, versank in der Pfütze brodelnder Gase.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Rhyan auf die Stelle, an welcher der Schädel versunken war. Den kopflosen, noch zuckenden Leib der gehenkten Kreatur mochte sie nicht einmal aus dem Augenwinkel betrachten. Ihr war übel, Beine und Kopf fühlten sich schwammig und leicht an. Was, bei Innor, hatten sie getan? An was für einem Teufelswerk hatte sie sich hier beteiligt?

Kanes harsche Worte, die er an die nach und nach hervortretenden Begleiter richtete, rüttelten sie aus ihrer Starre. Die Froschwesen hatten sich rund um die kleine Lichtung aufgestellt, die langen Speere in ihren Fingern und als Kane seine kurze Ansprache beendete, riefen sie zwei für sie nicht zu verstehende Worte. Und sie unterstrichen ihre Worte, indem sie mit den Holzschäften gegen einen nahestehenden Baum schlugen. Das knallende Geräusch, welches dadurch verursacht wurde, hallte laut und weithin hörbar durch die Kranor-Rill Sümpfe.

Rhyan schauderte.

Ohne einen weiteren Blick auf sein Opfer, verließ Kane schlussendlich die kleine Lichtung, nachdem er die blutverschmierte Klinge seines Schwertes gesäubert hatte. Völlig ungerührt, als habe er soeben lediglich ein Kaninchen für ihr Mittagessen erlegt.

Das machte alles überhaupt keinen Sinn!

Aufgewühlt und noch immer von einer inneren Kälte gelähmt, beeilte sich Rhyan ihrem Freund durch das dichte Buschwerk zu folgen. Ihr Gedanken überschlugen sich und als sie endlich wieder aus dem Dickicht heraustraten und auf ihre Reittiere zusteuerten, überholte sie den Krieger mit einigen schnellen Schritten und versperrte ihm den Weg. Ihre unmenschlichen Augen glommen in fassungslosem Zorn. „Kane, was bitte war das da grade?“

Ein Ausdruck hitziger Ungeduld huschte über die Züge des Rothaarigen und für einen Moment sah es so aus, als wolle er Rhyan einfach zur Seite stoßen. Doch er beherrschte sich. Statt dessen verschränkte er die nackten Arme vor seiner mächtigen Brust und blickte ihr furchtlos in die Augen. „Ich hatte nicht darum gebeten, dass du mich begleitest, vergiss das nicht. Du wolltest unbedingt mitkommen, also stelle meine Handlungsweise nicht in Frage.“

„Und wenn ich es doch tue?“ Sie reckte trotzig das Kinn. „Ich möchte bloß verstehen, warum du deine eigenen Leute wie Vieh abschlachtest. An meinen Fingern klebt das Blut dieser Wesen, ich hätte gerne früher erfahren, dass dieser Ausflug lediglich dazu gedacht war, deine kranke lange Weile zu vertreiben.“

„Du gehst zu weit Rhyan.“

Ihre Augen wurden schmal. Die unterschwellige Drohung hatte sie sehr wohl vernommen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, aber sie durfte jetzt nicht zurückweichen. „Und wenn schon. Was willst du machen? Mich ebenso hinrichten wie du diese beiden hilflosen Geschöpfe getötet hast?“

Kanes Gesicht verzerrte sich in blanker Wut. Die zuvor locker verschränkten Arme fuhren auseinander und Rhyan konnte nur noch entsetzt die Luft einziehen, als er mit einem tiefen Knurren auf sie losging.

„Kane, um Himmels Willen, halte doch nur einmal inne und sie dich an! Sieh dich an! Das bist nicht du.“ Sie war mehrere Schritte rückwärts gestolpert, bis sie mit dem Rücken gegen die warme Flanke Markors stieß. Der Hengst hatte die Ohren flach an den Kopf gelegt und fletschte drohend seine Zähne in Richtung des Kriegers. Die Situation drohte jeden Augenblick in eine Katastrophe umzuschlagen.

„Was verstehst du schon davon?“ Mit einer schnellen Seitwärtsbewegung seines linken Armes schlug er das schnappende Maul des Nachtmahrs zur Seite. Er stand nur wenige Zoll von Rhyans Gesicht entfernt, doch er griff sie nicht weiter an. Das kalte Feuer in seinen blauen Augen brannte grell, verzehrend. „Du hast keine Ahnung von dem, was hier vor sich geht.“

„Dann erklär es mir.“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte und ungewollt leise klang.

Mehrere Herzschläge vergingen, indem sie sich schweigend in die Augen starrten. Der eine in rasender Wut, die andere mit einer Mischung aus Trotz, Furcht und Verzweiflung. Dann stieß der Krieger mit einem langen Seufzen den Atem aus und trat von Rhyan zurück.

„Diese beiden, denen wir heute hier her gefolgt sind, gehörten nicht zu meinen Leuten. Sie gehörten der anderen Seite, meinen Feinden, an. Es waren Spione, die sich unter dem Vorwand, sich meinen treu ergebenen Ryliti anschließen zu wollen, in meinen sensibelsten Bereich eingeschlichen hatten.

Ich habe meinen Fehler bemerkt, noch bevor der Schaden zu groß werden konnte. Und heute habe ich diesen Fehler beseitigt.“ Er blickte grimmig auf die hinter ihnen liegenden Mangroven. „Zumindest habe ich angefangen.“

Rhyan, die sich nur langsam wieder einigermaßen in den Griff bekam, runzelte die Stirn. „Angefangen?“

Kane seufzte wieder und gab ihren Begleitern dann den Befehl zum Aufsitzen. „Steig auf. Ich erkläre es dir auf dem Weg nach Hause.“

So ritten sie nebeneinander her, den Tieren die Suche nach dem sichersten Weg überlassend. Anfangs fürchtete Rhyan schon, dass der Krieger wieder in ein langes Schweigen verfallen würde. Aber er schien lediglich darüber nachgedacht zu haben, wie er seine Erklärung beginnen sollte.

„Wie dir auf deiner Reise hier her bereits aufgefallen sein dürfte, bin ich in den Gebieten außerhalb dieses Sumpfes ein Geächteter. Ein Gejagter, auf dessen Kopf eine horrende Summe an Kopfgeld ausgeschrieben ist. Ich bin hier her nach Kranor-Rill gekommen, um mich zum einen dem unmittelbaren Griff meiner Häscher zu entziehen, aber auch um mich zum anderen auf meine Verteidigung vorzubereiten.“ Dass dies mit Hilfe der Sumpfkreaturen und wenigen Menschen in Kranor-Rill geschehen sollte, war überflüssig zu erwähnen. „Vor vielen vielen Zyklen habe ich schon einmal hier gelebt. Die Ryliti, wie der korrekte Name für die amphibischen Einwohner dieses Sumpfes ist, folgen mir damals wie heute und sind bereit für mich zu kämpfen. Aber es gibt Ausnahmen.“

Dieser letzte Satz hing wie ein dunkles Omen in der nebelverhangenen Luft und Rhyan begann zu ahnen, auf was ihr Freund hinaus wollte.

„Auch hier formiert sich mehr und mehr ein Widerstand gegen mich. Vor allem die Siedlungen, die nahe der Grenze liegen und einen losen Kontakt mit den außen liegenden Ländereien pflegen, machen mir das Leben schwer. Sie versuchen mich zu infiltrieren.“

„Und das kannst du nicht zulassen. Verstehe.“ Rhyan warf ihm nur einen kurzen, verächtlichen Blick zu. „Anstatt ihnen die Wahl zu lassen, tötest du diejenigen, die sich gegen dich wenden. Ein schlauer Plan.“

Kane zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er nickte. „Wenn du es so verstehen willst. Es herrscht Krieg, Rhyan, auch wenn er als solcher vielleicht noch nicht erkennbar ist. Aber er wird ausbrechen. Man will mich töten und ich werde mich dagegen zur Wehr setzen. Mit allen Mitteln, die mir dafür zur Verfügung stehen. Und wenn ich diejenigen töten muss, die von ihrem Vorhaben nicht absehen wollen, ist es so.“

Sie schwiegen einen Moment, jeder für sich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Dann fuhr Rhyan fort: „Aber wir sind schon früher einfach weiter gezogen, wenn es an einem Ort für uns nicht mehr möglich war zu leben. Wir haben alles hinter uns gelassen und doch immer wieder einen Platz gefunden, zum Verweilen. Was ist jetzt anders?“

Der Krieger antwortete nicht sofort und ein dunkler Schatten legte sich über seine Züge. „Weil egal wo wir auch hingehen, der Name Kane früher oder später aus der Vergessenheit auftaucht und die Menschen erinnert. Egal wo wir auch hingehen, sie werden sich immer gegen mich wenden. Sie werden mich immer töten wollen, egal wie viel Zeit und Mühe wir auch investieren.“ Leidenschaft glühte in seinen Augen, als er sie jetzt ansah. „Kane, der Verfluchte, wird niemals in Vergessenheit geraten. Das ist Teil meines Fluches. Wo immer ich auch hinkomme, werde ich keinen Frieden finden. Und ich werde nicht ewig weglaufen.“

Erschüttert nahm Rhyan das Gesagte zur Kenntnis. Das klang nicht gut. Gar nicht gut. „Aber du gibst ihnen grade jetzt erst wieder einen neuen Grund, dich zu hassen. Kane, so wird das niemals ein Ende finden!“

Der Krieger betrachtete sie, beinah traurig, mitleidig. „Wie recht du hast, Rhyan. Wie recht.“

Wenn die Hoffnung stirbt

Rhyan hatte sich auf dem breiten Fensterrahmen in ihrem Zimmer nieder gelassen und ließ gedankenverloren die Beine nach draußen baumeln. Der Wind hatte ein wenig aufgefrischt und brachte kühle, angenehme Luft mit sich. Er spielte rauschend im Gras und wiegte die schlanken Zypressen, die den kleinen Hof begrenzten, der am Fuße des Gebäudes lag. Zum ersten Mal seit sie hier war schimmerte ein klarer Himmel. Zumindest der Hochnebel hatte sich zurück gezogen. Hinter ihr in dem kleinen Kamin brannte ein Feuer.

Die Drachenreiterin konnte diese spätabendliche Stimmung jedoch nicht so recht genießen. Zu sehr war sie gedanklich noch immer mit den jüngsten Geschehnissen beschäftigt. Und sie erwartete die Ankunft Arkohs. Er hatte seinen Besuch für diesen Abend angekündigt, um mit ihr zu reden.

In letzter Zeit hatten sich die Nachrichten über steigende Unruhen in der Bevölkerung vermehrt. Der nahe Winter machte die Menschen nervös, zumal die latente Bedrohung aus den Sümpfen noch dazu kam.

Kane hatte in den letzten Tagen keinen Hehl daraus gemacht, dass er keinen Widerstand gegen sich oder seine Pläne duldete. Erst vor zwei Tagen hatte sie ihn von einem Ausritt zurück kehren sehen, begleitet von einem kleinen Trupp Froschkreaturen. Er hatte den Vorposten noch vor dem Morgengrauen verlassen und als sie sein Fehlen bemerkt hatte, war es bereits zu spät gewesen.

Es hatte sie tief getroffen, dass der Krieger so ohne weiteres über sie hinweg gegangen war und sie nicht einmal in seine Pläne eingeweiht hatte. Warum er das getan hatte, wurde erst später deutlich.

Arokh, der dem kleinen Tross unauffällig gefolgt war, berichtete von Ereignissen, die Rhyan in tiefe Besorgnis gestürzt hatten.

Offenbar hatte der Krieger ein grenznahes Dorf aufgesucht und deren einfach gestrickte Einwohner mit einer simplen, aber wirkungsvollen Machtdemonstration von seiner Überlegenheit überzeugt. Allerdings hatte diese beinhaltet, dass der Dorfvorstand in Gänze vor den Augen der Bewohner getötet worden war und das Dorf nunmehr führungslos und hilflos war. Vollkommen der leitenden Hand des Kriegers ausgeliefert.

Es würde sich nicht mehr gegen ihn auflehnen. Vielmehr drohte es im Falle eines Angriffes zwischen den Fronten zermahlen zu werden.

Allein bei der Vorstellung, wie sich diese Katastrophe zugetragen haben musste, wurde Rhyan von innen heraus eiskalt. Kane war schon immer rücksichtslos gewesen und hatte leicht die Belange anderer aus den Augen verloren, wenn es darum ging seine Interessen durchzusetzen. Aber dass er derart rücksichtslos mit den Leben seiner potenziellen Untergebenen umsprang, hätte sie nicht gedacht..

Sie konnte nicht leugnen, dass ihr die Felle weg schwammen. Was auch immer sie versuchte, Kane hörte ihr nicht einmal zu. Wo sie früher noch lenkend hatte eingreifen können, stieß sie jetzt auf eine unüberwindliche Mauer. Es war ein beklemmendes Gefühl, welches von Tag zu Tag deutlicher wurde. Ganz besonders seit ihrem gemeinsamen Erlebnis auf der Jagd.

Rhyan schauderte. Bislang hatte sie es vermieden näher darüber nachzudenken, was an diesem Tag wirklich geschehen war. Sie schämte sich maßlos für das, was sie getan hatte und es fiel ihr sehr schwer sich selbst zu betrachten, wie sie dieses wehrlose Wesen tötete. Nichts desto trotz waren diese Bilder unwiederbringlich in ihren Geist gebrannt.

Was war bloß in sie gefahren? Sie hätte merken müssen, dass etwas faul war. Das sie nicht auf der Fährte eines beliebigen Wildtieres gewesen waren.

Doch das Adrenalin der Jagd war stark. Und die Freude, an Kanes Seite zu reiten und das blinde Vertrauen, welches sie diesem noch immer entgegen gebracht hatte, hatten sie blind gegenüber dem Offensichtlichen werden lassen.

Verbittert dachte sie daran zurück, wie naiv sie dem Krieger gefolgt war. In dem Vertrauen, dass er gewisse Grenzen noch immer einhalten würde. Sie hatte nicht geahnt, dass er schon so unbarmherzig geworden war. Hätte sie doch nur auf Arokh gehört. Hätte sie doch einfach mal hingesehen.

Ihre Faust schlug hart auf das steinerne Sims.

Sie wusste sehr gut, dass es nicht allein ihre naive Blindheit gewesen war, die sie verleitet hatte, die Warnhinweise zu übersehen. Und derer hatte es genügend gegeben.

Vielmehr musste sie sich eingestehen, dass ihr Drachenerbe mehr und mehr begann ihr Wesen zu verändern. Sie hatte dergleichen schon früher bemerkt, aber sie konnte nicht einmal vermuten, was genau das für sie in Zukunft bedeuten sollte.

Versonnen blickte sie auf ihre Hände und ließ zu, dass die feinen Schuppen hervortraten und sich ihre Nägel in Krallen wandelten. Klauen, die jederzeit den Tod bringen konnten.

Sie hatte Kane noch nicht lange gekannt, als sie diese Fähigkeiten dazu genutzt hatte, gegen den roten Priester zu kämpfen. All das verschaffte ihr einen ungeheuren Vorteil und steigerte ihre kämpferischen Fertigkeiten. Aber sie bargen auch tückische Gefahren und das hatte sie erst in den letzten Sommern wirklich erkannt.

Ihr Bedürfnisse nahmen animalische Züge an und es kam immer mal wieder vor, dass sie sich in diesen verlor. So wie vor drei Tagen bei dieser verfluchten Jagd. Sie hatte sich mitreißen lassen von Kanes Begeisterung, hatte sich ganz dem berauschenden Gefühl hingegeben, dem Wunsch ihre Klauen in warmes Fleisch zu schlagen.

Übelkeit stieg in ihr auf. Hätte sie nur gewusst, dass sie kein Wild jagte... Beschämt ließ sie ihre Hände wieder sinken. Sie war ein Monster und nicht viel besser als Kane.

In ihrem Rücken fiel ein Holzscheit laut knackend in sich zusammen und sandte einen Schauer heller Funken in den Kaminabzug. Rüttelte Rhyan aus ihren trüben Gedanken und lenkte sie zurück auf ihr eigentliches Thema.

Als Kane am frühen Nachmittag in den Vorposten zurück gekehrt war, hatte er äußerst zufrieden gewirkt. Das verschlagene Lächeln, welches er der Drachenreiterin hatte zukommen lassen, sprach Bände. Das Massaker hatte ihn befriedigt, seine dunkle Freunde genährt. Die unsagbare Grausamkeit hinter seinen Taten schien ihn in keiner Weise zu kümmern.

Rhyan konnte sich diesen Wandel nicht so recht erklären.

Natürlich war ihr immer bewusst gewesen, dass Kane nach Macht hungerte und schwerlich eine Gelegenheit ausließ, diese zu untermauern. Aber in der Vergangenheit hatte es ihm genügt, diese Macht auf subtilere Weise zu festigen und seine Fäden im Verborgenen zu spinnen. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass es ihm teuflisch gefiel die Machenschaften der Menschen zu steuern, ohne dass es diesen überhaupt bewusst war.

Da passte eine so offene Machtdarstellung nicht ins Bild.

Arokh hingegen vermutete, dass Kane auf diese Weise versuche die Grenze sicherer zu machen, für den Feind schwerer einzunehmen. Und das würde wiederum bedeuten, dass der Krieger einer offenen Auseinandersetzung nicht mehr aus dem Weg gehen würde. Diese vielleicht sogar absichtlich forcierte.

Der Drache hatte berichtet, dass sich außerhalb Kranor-Rills der Widerstand immer besser organisierte und man plane, die drohende Gewaltherrschaft des Verfluchten durch einen offenen Krieg zu verhindern. Die versprengten Siedlungen schlossen sich zusammen, selbst ernannte Führungsmänner übernahmen die Organisation der wenigen Menschen.

Die Einwohnerzahl Carsultyals war noch immer verschwindend gering und die Menschen waren gezeichnet von den Jahren unter Prirates Herrschaft. Doch Widerstand konnte auf dem fruchtlosestem Boden gedeihen.

Kane war nicht länger ein unbekannter Feldherr, worum sie sich beide in den ganzen zurückliegenden Zyklen immer bemüht hatten. Unwissenheit war ihr bester Schutz gewesen. Doch jetzt tauchten überall Menschen auf, die von Sagen und Erzählungen zu berichten hatten, die sich um den rothaarigen Hünen rankten. Die Legende des Kane kehrte zurück in die Köpfe der Bevölkerung.

Und Kane hatte beschlossen, sich nicht mehr länger zu verstecken.

Erschwerend kam hinzu, dass der Widerstand auch hinter den Grenzen der Sümpfe immer mehr Anhänger fand. Rhyan wusste aus getuschelten Gesprächen zwischen den Sumpfmenschen, dass sich bereits ganze Dörfer gegen ihren Freund gewandt hatten. Und sie wusste auch, wie Kanes Antwort auf diese Auflehnung aussehen würde.

Die Zeichen standen für Krieg.

Mehrfach hatte sie schon versucht mit ihrem Freund zu sprechen. Hatte versucht ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er chancenlos war, wenn sich ganze Bevölkerungslinien gegen ihn stellten. Wenn er seinen Kurs weiter verfolgte, würden auch die Sumpfkreaturen nicht viel länger auf seiner Seite stehen.

Aber diese Gelegenheiten waren selten. Viel zu selten.

Die meiste Zeit verbrachte Kane in seinem Quartier, in düsteres Schweigen gehüllt und über halb zerfallenen Schriftrollen brütend. An manchen Tagen kam es ihr beinah so vor, als sei nur noch sein Körper anwesend, während sein Geist auf rastloser Wanderschaft war.

All das machte ihr zusehends mehr Sorgen. Zumal sie allmählich den Eindruck bekam, lediglich geduldet zu werden. Und das verletzte sie tief.

Sie sah Kane straucheln, sah ihn mehr und mehr abrutschen. Und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.

Unglücklich zog Rhyan ihre langen Beine an, schlang die Arme darum und starrte in das warme Glühen des Kaminfeuers. Es durfte nicht so enden. Sie konnte nicht jetzt schon resignieren. Sie brauchte Kane, und Kane brauchte sie. Allein fürchtete sie, ihrem inneren Drachen nicht gewachsen zu sein.

Natürlich hatte es sie rasend wütend gemacht, dass Kane mit solcher Leichtigkeit erkannt hatte, welche Schwierigkeiten ihr diese neue Seite ihres Wesens bereitet hatte. Und es hatte ihren Zorn geweckt, dass er sie deswegen hinters Licht geführt hatte.

Trotz allem war ihr die ganze Zeit insgeheim bewusst gewesen, dass dieser Schutz nötig gewesen war.

Es musste einen Weg geben, diese Misere zu lösen. Und sie würde nach diesem Weg suchen

Ein Schatten verdunkelte den sternenklaren Himmel und unterbrach nun endgültig ihr rastloses Grübeln. Arokh landete federleicht auf dem Dach über Rhyans Fenster.

Kurz kam ihr der Gedanke, dass das ganze Gebäude unter dem Gewicht des Drachen versinken könnte, aber bis auf ein paar Ziegel, die protestierend knackten, geschah nichts.

Arokhs Augen schimmerten wie flüssiges Feuer, als er den gehörnten Schädel zu ihr herab senkte und sie mit einem behutsamen Stoß mit der Schnauze begrüßte. „Unheil zieht auf. Du solltest besser von hier verschwinden.“

Verwundert musterte sie das Gesicht des Drachen. „Wie meinst du das?“ Ihre Finger glitten die Linien seiner Schuppen entlang, rau und scharfkantig, aber so wundervoll warm.

Ungeduldig entzog er sich ihren liebkosenden Händen. Ein tiefes, volltönendes Stöhnen drang aus seiner Brust. „Rhyan, hör doch endlich auf dich blind zu stellen. Du weißt ganz genau, wie ich das meine. Rund um diesen Vorposten herum regt sich der Widerstand und du willst mir allen Ernstes Weiß machen, dass du nichts davon mitbekommst?“

Missbilligend schützte Rhyan die Lippen. Arokh versuchte ständig sie davon zu überzeugen, die Seite von Kane zu verlassen. Aber in den letzten paar Tagen waren diese Versuche wirklich lästig geworden. Der Drache war schon fast aufdringlich hartnäckig. „Du weißt warum ich hier bin. Es kommt für mich nicht in Frage Reißaus zu nehmen.“

„Du läufst bereits über Scherben. Siehst du das denn nicht?“ Sein langer Schwanz peitschte die Nacht. „Du sagst selbst, dass du nicht zu Kane durchdringen kannst. Er ist außer Kontrolle und wenn du weißt, was gut für dich ist, ziehst du dich zurück. Hier wird es schon bald sehr viel ungemütlicher. Kane rennt mit offenen Augen in sein Verderben. Begleite ihn nicht in seine selbst geschaffene Hölle!“

„Und überlasse ihn seinem Schicksal?“ Verärgert starrte sie ihren Freund an. Warum nur konnte er nicht begreifen, dass sie die Einzige war, die Kane überhaupt noch stoppen konnte?

„Dieses Schicksal begleitet ihn seit Jahrhunderten und wird ihn nicht einfach aus seinem Netz entkommen lassen, bloß weil du keinen Gefallen daran findest, Rhyan. Selbst du kannst ihn jetzt nicht mehr aufhalten. Die Räder haben sich bereits zu weit gedreht, die Geschehnisse nehmen schon jetzt ihren Lauf. Es gibt nichts, was du dagegen ausrichten könntest.“

Scharrend hob sie ihre Beine über den Fensterrand und zog sie unter sich. „Aber vielleicht kann ich den angerichteten Schaden begrenzen.Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“

Heiß legte sich Arokhs Atem auf ihr Gesicht, als dieser aufgebracht schnaubte. „Glaubst du das wirklich? Den Schaden begrenzen. Ich bitte dich. Merkst du nicht, dass du ihm ein Dorn im Auge bist? Dass du ihm, bei dem, was er plant, im Weg bist?“

„Aber genau das will ich doch!“ rief Rhyan aufgebracht und sprang auf. „Genau das. Mehr Möglichkeiten habe ich nicht. Vielleicht fällt es ihm irgendwann auf...“

„Er wird das nicht dulden. Selbst von dir wird er sich eine solche Behinderung seiner Pläne nicht gefallen lassen. Rhyan, du bewegst dich auf sehr sehr dünnem Eis.“

Perplex so ungehobelt unterbrochen worden zu sein, starrte sie Arokh an. „Was willst du damit sagen? Er wird mir kein Leid zufügen.“

„Dein Wort in Innors Ohr! Ich hoffe für dich, dass du Recht behalten wirst, aber ich glaube es nicht. Wenn du seine Pläne durchkreuzt, wird er dich das spüren lassen.“ Beinah unglücklich musterte er seine Gefährtin. Wie sie mit geballten Fäusten und Wut verzerrtem Gesicht vor ihm stand. Er hatte sich nicht mit ihr streiten wollen. „Ich werde nicht immer da sein können, um dich vor ihm zu schützen.“

Aus schmalen Augen starrte sie ihn an. Ihr strikte Weigerung, auf seine Worte zu hören, zeigte ihm deutlich, dass sie selbst schon auf diese Gedanken gekommen war und sich vor dieser Wandlung der Dinge fürchtete. Andernfalls würde sie nicht so fauchen und fluchen. Aber ihre unglaubliche Sturheit hinderte sie daran, der Vernunft nachzugeben. Die gleiche Sturheit, welche sie jetzt daran hinderte sein Friedensangebot zu akzeptieren.

„In deinen Augen hatte er doch nie eine Chance!“ schleuderte sie ihm entgegen. „Und? Deine Befürchtungen sind nicht eingetreten. Was du so düster orakelt hast ist nie passiert. Dieses Mal ist es nicht anders. Ich kann ihn aufhalten.“

Das spöttische Lachen, das sich seinen Weg aus Arokhs Brust suchte, erstarb, als ein lautes Dröhnen aus dem Innern des Vorpostens erscholl und die Grundfesten beben ließ.

Aus großen Augen blickte Rhyan zu ihm herauf. „Was war das?“ Ihre Stimme war nicht lauter als ein Hauch.

Dann war das helle Klingen von Waffen zu vernehmen, Geschrei wurde laut.

„Wir werden angegriffen.“ Der Drache schwang sich im selben Moment in die Lüfte, als Rhyan von ihrem Platz auf dem Fenstersims sprang, nach ihrem Schwert griff und aus dem Zimmer rauschte. Es war mitten in der Nacht. Der helle Mond hatte sich hinter den wenigen über den Himmel eilenden Wolkenfetzen verborgen. Wer auch immer ihre Angreifer waren, dieser Überfall war geplant, der Moment des Zugriffes bewusst gewählt.

Überall in den Gängen herrschte hektisches Treiben. Rhyan musste sich ihren Weg durch die umher wuselnden Sumpfkreaturen mühsam erkämpfen. Zuerst hatte sie versucht Zusammenstößen auszuweichen. Aber das wurde ihr schon nach wenigen Augenblicken zu bunt und so stieß sie die ihr in den Weg laufenden Wesen unsanft zur Seite. 'Leid' ruhte bereits in ihrer Rechten und glühte in zornigem Rot.

Ein Umstand, welcher ihr unverhofft das Leben rettete. Sich an einem Mauervorsprung festkrallend, wirbelte Rhyan um die letzte Biegung des Ganges, der sie hinaus in den Innenhof führen würde, und stieß mitten im Lauf zwei Froschwesen zur Seite. Sie kamen ihr entgegen gerannt und kaum dass sie zu Boden stützten, sah Rhyan den hellen Schimmer von Metall auf sich zu rasen. Geistesgegenwärtig riss sie 'Leid' vor sich.

Die gegnerische Waffe klirrte protestierend und glitt gefahrlos an der schwarzen Klinge ab. Funken sprühten, als beide Schwerter durch die Wucht des Zusammentreffens gegen die Steinmauer schlugen.

Drei Angreifer drängten aus dem Innenhof in den Gang und nachdem Rhyan die beiden Sumpfkreaturen halb besinnungslos geschlagen hatte, war sie die einzige Verteidigung an dieser Stelle. Sie fluchte laut.

Mit einem beherzten Tritt schleuderte die Drachenreiterin den ihr am nächsten Stehenden zurück, befreite 'Leid' aus dem Biss mit der gegnerischen Klinge und ging zum Angriff über.

Das schlanke Schwert zuckte vor. Es unterlief die ihm entgegen stehende Verteidigung mühelos, fraß sich tief in den ungeschützten Brustkorb seines Gegenübers. Noch während dieser sterbend zu Boden sackte, sprang Rhyan über ihn hinweg und zwang seine beiden Begleiter zurück in den Innenhof. Dort würde sie die Reichweite ihres Schwertes und ihre Wendigkeit erst voll entfalten können. Der Gang war ihr zu beengt und düster. „Euer Tod trägt den Namen Rhyan.“

Der Mond hatte sein Versteck hinter den Wolken wieder verlassen und Rhyan konnte einen genaueren Blick auf ihre Angreifer werfen. Es waren Menschen. Kleine, dunkelhäutige Menschen wie die hier ansässigen Bewohner. Einen kurzen Moment lang fürchtete die junge Frau, einem Irrtum aufgesessen zu sein und ihre eigenen Leute zu bekämpfen. Doch da nahte schon die nächste Attacke und zwang sie zu einem hastigen Ausfallschritt. Diese hier gehörten ganz sicher nicht zu Kanes Leuten

Mit einer Drehung ihres Handgelenks entriss sie ihrem nächsten Widersacher die Waffe. Sirrend flog sie durch die Luft und verschwand in den Schatten.

Nur wenige Herzschläge später lagen beide Angreifer am Boden, langsam verblutend. Sie hatten keine Chance gehabt und Rhyan wunderte sich, wie sie mit solch entsetzlichen Fähigkeiten überhaupt einen Überfall hatten wagen können.

Ein Blick über den kleinen Innenhof, der nur spärlich von Fackeln beleuchtet wurde, zeigte, dass an den unterschiedlichsten Orten kleinere Gefechte ausgetragen wurden. Kane trat soeben aus einem gut verborgenen Mauereinsturz und fiel einer Gruppe in den Rücken, die mehrere Sumpfkreaturen in die Defensive getrieben hatte. Demnach war die linke Flanke des Hofes geschützt und sie wandte sich den Kämpfenden auf der rechten Seite zu.

Mit wenigen Schritten war sie an der Seite einiger Verteidiger und half ihnen, wieder sicheren Stand zu erlangen. 'Leid' zog einen rötlich schimmernden Streifen durch die Schatten, nur schwer zu erkennen für das menschliche Auge und so fielen die Angreifer, ohne auch nur eine Chance zur Gegenwehr zu bekommen.

Anschließend huschte sie lautlos hinüber zu dem einzigen Zugang. Eingestürzte Mauern hatten eine Schneise in die Bebauung des Vorpostens gerissen, welche allerdings annähernd zugewuchert war. Die Dunkelheit war dicht und undurchdringlich, aber Rhyan konnte nichts hören, was auf weitere, nachrückende Angreifer schließen ließ. So schlüpfte sie hindurch, verharrte aber einige Augenblicke bewegungslos, ehe sie das Buschwerk verließ. Dabei spähte sie zwischen den Zweigen hindurch.

In einiger Entfernung konnte sie Bewegungen ausmachen. Mehrere Gestalten, die sich offensichtlich bemühten mit den Schatten der Sumpfpflanzen zu verschmelzen. Warteten sie? Und wenn ja, worauf? Sie mussten doch hören, dass es bereits zu harten Kämpfen gekommen war.

Behutsam verließ sie den Durchbruch, glitt einige Schritte an der Mauer entlang und näherte sich dann dem Schatten, der ein Stück exponiert von den anderen wartete. Entsetzt fuhr dieser zusammen, als sich die kühle Klinge ihres Schwertes an seinen Hals schmiegte. Das Glühen der Intarsien ließ sein Gesicht noch blasser erscheinen.

Rhyans Stimme klang rau, als sie dicht am Ohr ihres Opfers raunte: „Wer seid ihr und was habt ihr hier verloren?“ Dabei unterband sie dessen Versuch, der scharfen Schneide zu entkommen, mit einem unmissverständlichen Druck auf seine Schultern. „Rede, bevor ich es mir anders überlege und bei deinen Begleitern nach willigeren Mitteilern suche.“

Ein scharfes Sirren lenkte sie ab und eher aus Instinkt zog sie den Kopf zwischen die Schultern. Zwei Pfeile schossen dicht neben ihrem Gesicht vorbei, den Luftzug konnte sie noch auf den Wangen fühlen, und schlugen federnd in den Boden hinter ihr. Man hatte sie entdeckt.

Fluchend rollte sie sich zur Seite, nicht ohne vorher den Körper ihres eigentlichen Opfers an sich zu pressen, und konnte so grade noch verhindern, dass weitere Pfeile sie trafen. Mit einem dumpfen Schmatzen schlugen sie in den Oberkörper des wehrlosen Mannes, der sofort tot zusammen sackte.

Rhyan kroch hastig in den Schutz einiger Dornbüsche. Dort kauerte sie sich nieder und wartete, bis der Beschuss abflaute. Sie würde nicht den Fehler begehen und ein einfaches Ziel bieten. Man würde schon kommen und sie suchen müssen.

Tatsächlich näherten sich zwei Gestalten im Schutz der Bogenschützen. Aber sie waren unschlüssig, wo genau sich ihr Feind versteckte. Ein tödlicher Fehler.

'Leid' zuckte vor, zwischen den Ästen des Gebüschs hindurch, und durchtrennte die Sehnen der Beine, unmittelbar unter den Knien. Beide Angreifer fielen schreiend zu Boden. Zwar verrieten sie dadurch, wo sich Rhyan verborgen hielt, doch auch die Verteidiger wurden auf den Tumult vor den Mauern aufmerksam.

Ohne sich weiter um die sich windenden Männer vor sich zu kümmern, sprang Rhyan aus ihrem Versteck. Hinter ihr schlug bereits die nächste Salve ein. Das schmerzhafte Keuchen, welches unmittelbar darauf an ihre Ohren drang, ließ keinen Zweifel daran, dass mindestens einer der beiden Unglücksraben durch die Geschosse ihrer eigenen Männer getroffen worden war. Das ersparte ihm wenigstens weitere Qualen.

Ein Blick zur Mauer zeigte ihr, dass Kane den Innenhof verlassen hatte und nunmehr auf der Mauerkrone aufragte. Bewaffnet mit zwei doppelschneidigen Äxten, wirkte sein Schattenriss unheimlich und beängstigend. Fast glaubte sie, das kalte Leuchten seiner Augen bis hier erkennen zu können. Nur einen Herzschlag stand er dort, sich einen schnellen Überblick verschaffend. Dann war er verschwunden und Rhyan brauchte einen Moment, um seinen massigen Schatten vor dem Mauerwerk ausmachen zu können.

Im Zick-Zack hetzte er auf die Linie der Angreifer zu. Ein ganzer Schwarm schwarzer Pfeile regnete auf ihn nieder, aber wie durch ein Wunder wurde er nicht getroffen. Rhyan konnte hören, wie Kanes Äxte in den Körper des erstbesten Widersachers einschlugen und ihn förmlich in zwei Hälften spalteten. In dem schwachen Mondlicht glitzerte das aufgewirbelte Blut.

Dann war der Krieger heran und kam wie ein entfesselter Teufel über die Formation des Feindes. Beide Äxte rotierten in seinen Händen als wären sie Spielzeug. Sie fraßen sich in die ungeschützten Körper der Angreifer, rissen tödliche Wunden und trennten Gliedmaßen ab. Unaufhaltsam schlug der Krieger den Widerstand nieder, selbst wenn es nur wenige waren, die es überhaupt wagten, gegen ihn ihre Waffen zu erheben. Viele ergriffen schon vorher die Flucht, waren allerdings in den meisten Fällen nicht schnell genug.

Eine kleine Gruppe versuchte sich im Rücken des rothaarigen Kriegers anzuschleichen und tatsächlich schien es, als wäre Kane zu sehr mit dem Gefecht vor sich beschäftigt, als dass er den Hinterhalt bemerkt hätte. Zu dumm, dass sie offenbar vergessen hatten, dass es noch einen zweiten Feind gab.

Rhyan schlich heran, tief hinter die Grasbüschel geduckt. Sie würde so lange warten, bis die Gruppe unmittelbar hinter Kane gelangt war. Wenn sie dann zum Angriff überging, wären sie zwischen ihr und dem Krieger eingeschlossen. Eine aussichtslose Lage.

Noch bevor sie überhaupt ihren Ruf ausstoßen konnte, kreiselte Kane zu ihnen herum. Sein letzter Gegner war gefallen, die Breitseite der Axt hatte ihm den Schädel zertrümmert, und so hatte er nun doch die Schritte der näher Kommenden vernommen.

Die Gruppe bremste abrupt, gelähmt in der Erkenntnis, dass ihr Hinterhalt nicht mehr funktionieren würde und sie sich doch einem offenen Kampf stellen mussten. Die rostigen Waffen in ihren Händen wirkten deplatziert.

Dann griffen Kane und Rhyan gleichzeitig an.

Alle Augen waren auf den rothaarigen Krieger gerichtet und die Äxte, welche mit einem bedrohlichen Zischen auf die Gruppe zuschossen. So merkte der Letzte nicht einmal, wie 'Leid' zwischen seinen Schulterblättern in den Körper eindrang, um an der Brust wieder auszutreten. Erstaunt schaute er an sich herab und musterte die blutverschmierte Klinge. Selbst als der Tod ihn fand, schien er noch nicht begriffen zu haben, wie sein Leben ausgelöscht worden war.

Rhyan duckte sich unter den Schneiden von Kanes Äxten hindurch. Sie waren sich gefährlich nahe gekommen und standen sich im Grunde zu nah gegenüber. Warm sprühte Blut in ihr Gesicht. Bislang war noch nicht ein Schrei gefallen.

Beim Aufrichten stieß sie ihr Schwert von unten in den Rücken des ihr am nächsten Stehenden. Gleich darauf fiel auch der Letzte dieser hoffnungslosen Gruppe. Sein Gesicht war nur noch eine einzige klaffende Wunde.

Schwer atmend standen sich die beiden ungleichen Freunde gegenüber und blickten sich an. Die Waffen blutverschmiert und noch immer erhoben. Ungezähmter Hass loderte in den Augen des Kriegers. Sein Gesicht, befleckt vom Blut seiner Opfer, war zu einer grimmigen Grimasse verzerrt die keine Ähnlichkeit mehr mit dem Mann hatte, den Rhyan vor so vielen Mondumläufen zurück gelassen hatte. Sie konnte nicht länger zweifeln. Kane hatte sich verändert.

Synchron wirbelten sie herum, als aus der Richtung des Vorpostens eine Gestalt auf sie zu gerannt kam. Sein seltsam eckiger Lauf identifizierte sie als eines der Froschwesen. Die schmale Brust hob und senkte sich hektisch und die Worte, die es in schneller Folge von sich gab, klangen noch verwaschener als ohnehin schon.

Doch Kane schien verstanden zu haben. Mit einem bösen Lächeln gab er der Kreatur eine Antwort, die daraufhin kehrt machte und zurück zur Mauer lief, dann forderte er Rhyan mit einer knappen Kopfbewegung auf ihm zu folgen.
 

Sie hasteten durch die langen Flure, in denen sie immer wieder über die Körper der Gefallenen hinweg steigen mussten. Angreifer und Verteidiger waren gleichermaßen bei dem Kampf um den Vorposten ums Leben gekommen. Rhyan sah sich bestätigt, dass es sich bei den Angreifern um Menschen handelte. Ihre Siedlungen lagen fast ausschließlich in den Randbezirken Kranor-Rills und die junge Frau ahnte, was der Auslöser für diese Attacke gewesen sein könnte. Eine düstere, bittere Ahnung.

Kane begab sich zielstrebig in den großen Saal. Der einzige Raum, der weitläufig war und nicht vom allgegenwärtigen Verfall betroffen. Nach drei Seiten öffneten sich Fenster und ihnen gegenüber, auf der Gebäudevorderseite, gähnte ein beinah deckenhohes Portal. Seine schweren Eichentüren waren noch intakt und geschlossen.

Die Tür, aus der sie traten, lag verborgen hinter der hoch aufragenden Lehne eines mächtigen Stuhls. Dieser wiederum war auf einer Empore errichtet worden, von welcher man einen guten Überblick über den Raum inne hatte.

Rhyan kam nicht umhin. Dieser Stuhl sah ihr verdächtig nach einem Thron aus. Er war alt und verwittert, das Holz war ergraut und wies Spuren von Gebrauch auf, so dass sie davon ausgehen musste, dass er schon länger hier stand. Aber dass Kane diesen Saal, diese erhöhte Position so gerne als seinen Empfangsraum nutze, missfiel ihr sehr.

Warum sie überhaupt hier her gekommen waren, wusste sie noch immer nicht. Kane sprach kein Wort. Statt dessen lief er unruhig entlang der Fensterflucht auf und ab. Eine Axt hatte er achtlos neben dem Thron zu Boden fallen lassen, die Zweite drehte er unaufhörlich in seinen Fingern. Dass sich das Blut, welches noch immer an der Schneide haftete, dadurch im halben Raum verteilte, scherte ihn nicht.

Rhyan beobachtete das seltsame Gebaren ihres Freundes von ihrem Platz neben dem Fenster. Tief in Gedanken versunken war sein Blick grimmig und verschlossen. Und er verfinsterte sich nur noch, je mehr Zeit verstrich.

Irgendwann warf er sich mit einem tiefen Aufstöhnen in den Thron. Die Axt gegen die Armlehne gestellt, barg er sein Gesicht in den großen Händen und wurde still.

Verwundert runzelte die junge Frau die Stirn. Ein solch wechselhaftes Verhalten hatte sie bei dem Krieger noch niemals zuvor gesehen. War er ihr noch während seiner unruhigen Wanderung unnahbar und gefährlich wie ein verwundeter Bär vorgekommen, so hatte sich das jetzt wie von Geisterhand geändert. Die Aura, ablehnend und getränkt von Zorn, war verschwunden. Statt dessen erweckte er jetzt fast den Anschein, als übermanne ihn das Geschehen. Als sei er in einem inneren Kampf mit sich selbst verwickelt.

Rhyan wusste nicht, was ihr mehr Sorgen bereitete.

„Kane?“ Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Dieser Moment der scheinbaren Schwäche konnte auch jeden Augenblick wieder in das Gegenteil umschlagen. Und sie mochte nicht einmal erahnen, wie er dann auf sie reagieren würde. Ein Mensch, so sehr im Zwist mit seinem innersten Selbst, war unberechenbar.

„Kane, bitte!“ Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an. Sie hatte keine Ahnung, was sie überhaupt sagen sollte. Nur, dass sie irgendetwas sagen wollte. Sagen musste. „Worauf warten wir hier?“

Ohne die Hände vor seinem Gesicht zu entfernen, murmelte er kaum hörbar: „Auf zwei Gefangene die festgesetzt werden konnten. Sie werden uns sagen können, was hinter diesem Überfall steckt.“ Eine deutliche Drohung lag in diesem letzten Satz.. Rhyan hatte keinen Zweifel, wie der Krieger an diese Informationen gelangen würde. Er würde diesen beiden armen Kreaturen kein gnädiges Verhör zukommen lassen.

Um den Gesprächsfaden nicht wieder zu verlieren, fuhr sie fort: „Sie werden uns nichts Neues mitteilen.“ Auf den fragenden Blick Kanes hin, verließ sie ihren Platz neben dem Fenster. „Kane, es ist offensichtlich warum sie uns angegriffen haben. Das muss selbst dir in den Sinn gekommen sein. Vor zwei Tagen erst hast du ein ganzes Dorf gedemütigt, indem du vor aller Augen die Dorfältesten hingerichtet hast. Diese Kunde wird sich in den umliegenden Siedlungen schnell herumgesprochen haben – was du ja wahrscheinlich auch so geplant hast. Aber mit einem anderen Ergebnis, als von dir beabsichtigt.“ Aufmerksam beobachtete sie ihren Freund. Sie musste wachsam sein, wollte sie erfolgreich auf diesem Grat weiter balancieren.

„Ich weiß nicht, was du dir erhofft hast. Aber wenn du auf diesem Weg weiter gehst, wirst du all diejenigen, die dir einst freiwillig gefolgt wären, verlieren. Niemand wird sich an deine Seite stellen, wenn du bei jeder noch so kleinen Verfehlung tötest.“

Seine blauen Augen leuchteten bedrohlich in dem schwachen Licht des großen Raumes. „Trifft das auch auf dich zu?“

„Ich weiß nicht wie lange ich dir noch auf diesem Weg folgen kann, Kane.“ gab sie offen zu. „Du bist mir fremd geworden in den letzten Mondumläufen. Du hörst mir nicht zu, während du in deiner Rücksichtslosigkeit alles nieder trampelst, was dir in die Quere kommt.“ Unsicher hielt sie inne, war sie zu weit gegangen? Aber Kane reagierte nicht. Das Kinn auf die Hand gestützt, schweifte sein Blick unstet durch den Raum und Rhyan runzelte verärgert die Stirn.

„Hörst du was ich sage?“ Sie trat auf ihn zu und baute sich entschlossen in seinem Blickfeld auf. Normalerweise genügte es, wenn sie derart unverschämt mit ihm redete, dass er aus seiner Lethargie erwachte. Aber offenbar musste sie ihn diesmal stärker reizen.

„Halte ein, Kane. Hör auf mit diesem Wahnsinn, kämpfe dagegen an.“ Ohne seine Augen frei zu geben, sank sie vor ihm in die Hocke. Ihre blutbefleckte Hand ruhte federleicht auf seinem Unterarm. „Ich weiß dass du es kannst. Lass dich nicht von deinem Hass beherrschen. Du kannst nur verlieren.“

Sein Blick flackerte. „Ich habe diesen Krieg nicht angefangen, Rhyan. Sie wollten den Kampf, sie sollen ihn haben.“ Trotz allem Zorn, den sie in der Stimme des Rothaarigen wahrnehmen konnte, klang er flach, leise. „Sie lassen mir keine andere Wahl. In ihren Augen bin ich eine zu große Gefahr, die sie nicht einfach außer Acht lassen können. Der Name Kane... Jahrhunderte der Furcht werden mit mir in Verbindung gebracht. Glaubst du, sie würden mir glauben, wenn ich jetzt plötzlich vorgeben würde, ein anderer zu sein? Sie haben mich verurteilt, noch ehe sie mich wirklich kannten. So ist es immer gewesen. Wer bin ich, dass ich mir das jedes Mal von Neuem gefallen lassen sollte?“

Betroffen musterte die junge Frau die Züge ihres Freundes. „Du lebst länger als jede Seele in diesem verdammten Sumpf und lässt dir deine Taten von ihnen diktieren? Das sieht dir gar nicht ähnlich. Das ist kein Teufelskreis aus dem du nicht ausbrechen könntest. Du bestätigst sie doch jedes Mal in ihrer Überzeugung, wenn du so weiter machst.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach statt dessen tun? Hier sitzen und abwarten, dass sie mich in meinen eigenen vier Wänden niederbrennen?“

Noch ehe Rhyan darauf antworten konnte, flogen die großen Flügeltüren des Portals auf und gewährten neben der kühlen Nachtbrise einem Trupp Sumpfkreaturen Einlass, der zwei zusammengesunkene Gestalten in seiner Mitte vorwärts stieß. Beide Männer konnten sich kaum mehr aus eigener Kraft auf den Beinen halten. Ihre Körper waren gezeichnet von den Klingen der Speere, ihre Kleider hingen in Fetzen.

Kane machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu erheben, sondern blieb auf dem hochlehnigen Stuhl sitzen. Er beobachtete aus schmalen Augen, wie die Gefangenen vor der Empore auf die Knie gezwungen wurden und lächelte dann verschlagen. Rhyan verlor jede Hoffnung, dass ihre Worte etwas in ihrem Freund bewirkt haben mochten.

„Herr, bitte...“

Dumpf schlug das stumpfe Ende eines Speers auf den Hinterkopf des Sprechers. Die zischelnden Laute des Froschwesens waren unmissverständlich. Ohne Aufforderung hatten die Gefangenen nicht die Stimme zu erheben.

„Falls ihr gekommen seid, um mich anzubetteln und meine Zeit mit eurem armseligen Gewimmer zu vergeuden, sage ich euch gleich, dass es vertane Mühe sein wird.“ Als wäre es reiner Zufall, senkte sich seine Hand auf den aufragenden Schaft seiner Axt. „Alles was ich wissen will ist Folgendes: Warum kommt ihr klammheimlich in der Nacht hier her, um euren Tod zu suchen?“

Keiner der beiden wagte es zu antworten. Während der Rechte vor Furcht beinah verging, starrte sein Gefährte nur voll unverhohlenem Hass zu dem Krieger auf. Eine Herausforderung, die nicht unbeantwortet bleiben würde.

Schneller als Rhyan es für möglich gehalten hätte, war Kane aus seinem Stuhl aufgesprungen, die schwere, doppelschneidige Axt in der Hand. Die tödliche Waffe jagte auf die ungeschützte Kehle des Mannes zu und kam nur wenige Zoll davor zum Halten. Ein dünnes Blutrinnsal suchte sich seinen Weg über das unrasierte Gesicht. Die Axt hatte den Kopf nur um Haaresbreite verfehlt.

„Glaube ruhig, dass du stark genug sein wirst, dich mir zu widersetzen.“ Der Krieger lächelte wölfisch. „Du wirst der Erste von euch beiden sein, dem ich seine verfluchte Seele herausreiße.“ Wie um seine Worte noch zu bestärken, begann die Axt von innen heraus in einem düsteren, fahlen Licht zu glühen. Eine unnatürliche Kälte kroch hervor, ausgehend von dem Krieger, streckte seine gierigen Finger aus und umschloss Herz und Verstand der Anwesenden.

Rhyan fröstelte und wich unwillkürlich mehrere Schritte zurück. Es war die selbe Wirkung, die sie zuvor schon mehrfach als eine Art Aura bei Kane bemerkt hatte. Nur war es jetzt viel intensiver, lebendiger. Fast als würde die ausgesandte Furcht ein Eigenleben besitzen.

Kanes Gegenüber wurde blass und deutlich konnte Rhyan die Furcht in den sich weitenden Augen erkennen. Er stöhnte. Kalter Schweiß brach ihm aus und schüttelte den mageren Körper unwillkürlich. Dennoch musste er eine ungeheure Willenskraft besitzen, wenn er sich so gegen Kanes Magie zur Wehr setzen konnte.

Sein Gefährte neben ihm strauchelte auf seinen Knien, krümmte sich und barg das angstverzerrte Gesicht hinter den bebenden Händen. Ein stetiges Wimmern drang hinter den verkrampften Fingern hervor.

„Du bist stark. In der Tat. Aber es wird dir nichts nutzen.“ Der klammernde Griff der Furcht nahm noch zu, als Kane die Magie verstärkte. Jetzt konnte man sie sogar als nebelhafte Schlieren erkennen, die sich beinah liebevoll um den Kopf seines Opfers wanden. Sie vergifteten sein Denken, zerstörten seine Hoffnung und zwangen das vor Angst zitternde Herz, langsamer und langsamer zu schlagen. „Rede, du Wurm!“

Mit einem Aufschrei warf sich der Gefährte des Opfers auf die flachen Stufen der Empore, wo er sich bebend zu Füßen des Kriegers wand und versuchte, diesen zu ergreifen. Aber nicht in Form eines Angriffes. Es war ein verzweifeltes Betteln um Gnade.

„Rache. Alles was wir wollten war Rache. Für das, was du unseren Familien angetan hast. Unseren Freunden und Verwandten.“ Seine hohe Stimme kam einem Kreischen gleich, das Rhyan bis ins innerste Mark erschütterte. Blanke Angst zwang diese Kreatur zu sprechen. Ihr gefror das Blut in den Adern. Sie hatte nicht einmal geahnt, dass Kane zu so etwas fähig war. Selbst sie konnte sich nur mit Mühe der Furcht erwehren.

Verächtlich blickte der Krieger auf das krakeelende Häufchen Elend herab, das daraufhin in stummem Entsetzen verharrte. „Jemand wie du wollte Rache nehmen? Du solltest Dankbarkeit verspüren, dass ich dich und deine Brut von diesem Elend erlöse.“

„Die Rache wird dich suchen und Gerechtigkeit wird dir widerfahren.“ Die schwache Stimme war gezeichnet von Schmerz und Furcht. „Warte nur die Zeit ab. Mein Volk wird sich nicht ewig von dir drangsalieren lassen, Verfluchter.“ Es kostete den anderen Gefährten sehr viel Kraft mit einer solchen Bestimmtheit zu sprechen. Deutlich traten die Adern an Hals und Schläfe hervor.

Bedächtig drehte Kane den Kopf, ließ seinen Blick von dem winselnden und brabbelnden Kleiderhaufen zu dem noch immer vor ihm knienden Menschen gleiten. Erstaunlich, zu wie viel Widerstand dieser kleine Mann fähig war.

Die Zähne zu einer irren Grimasse gefletscht konnte der Krieger nur mühsam seinen Zorn beherrschen. Dann, auf eine kurze Geste seiner freien Hand, löste sich der Nebel der Furcht von seinem direkten Gegenüber und stürzte sich mit all seiner geballten Macht auf den am Boden Liegenden.

Dessen Kopf ruckte mit einem gequälten Ächzen in den Nacken. Krämpfe schüttelten den Körper und die rotgeränderten Augen fixierten das Gesicht seines Peinigers. Dann wich schlagartig das Leben aus dem geschundenen Leib.

Die danach einsetzende Stille war niederschmetternd, ließ nichts als lähmendes Entsetzen in Rhyan zurück. Sie konnte es nicht fassen. Kane hatte durch bloße Angst getötet und er hatte nicht einmal Worte der Macht nutzen müssen. Sie hatte sich entsetzlich getäuscht, was sein Können anbelangte.

„Glaubst du jetzt immer noch, dass dein Volk sich mir widersetzen kann?“ Kanes Stimme hallte tief und bedrohlich durch den stillen Saal und als er die Verzweiflung in dem Gesicht seines Opfers sah, lachte er böse. „Jetzt endlich verstehst du.“

„Du Bastard! Du widerwärtiger Teufel. Wenn du nicht schon verflucht wärst, ich würde dein Leben an den nächstbesten Dämon verschachern.“ krächzte der Mann mit all der Beherrschung, die er noch aufbringen konnte. Tränen rannen ihm über die schmutzigen Wangen. „Indem du uns tötest, hast du dein Schicksal besiegelt. Wenn wir nicht zurück kehren, werden sich die anderen erheben und gegen dich marschieren. Sie werden deinen Bau nieder reißen und dir dein schwarzes Herz herausreißen, solange es noch schlägt, und es an die Sumpfkreaturen verfüttern.“

Das war weit übers Ziel hinaus. Kanes Gesicht verzerrte sich in feuriger Wut, dann fraß sich die Axt knirschend von der Schulter abwärts in den Oberkörper des kleinen Sumpfmannes und hauchte ihm das Leben aus.

Kane brüllte indes seinen Zorn hinaus, dass der noch immer anwesende Trupp aus Froschwesen erschrocken zusammenzuckte, riss die schwere Waffe frei und stürmte ohne ein weiteres Wort zu verlieren aus dem Saal. Im Vorbeilaufen nahm er noch die zweite Axt an sich, dann war er auch schon in einem der schmalen Flure verschwunden.

Flammendes Inferno

Wie vom Donner gerührt verharrte Rhyan an Ort und Stelle. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die beiden toten Sumpfmenschen und das Blut, das sich Rot schimmernd weiter und weiter um die Leichen ausbreitete. Es sickerte in die Fugen und suchte sich seinen Weg, näher und näher auf Rhyans Fußspitzen zu.

Sie verfolgte das langsame Fließen mit versteinerter Mine, das nervöse Schnattern der Kreaturen um sich herum nahm sie gar nicht wahr. Was hier gerade geschehen war, hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.

Kane war mit offenen Augen über die Grenze gesprungen. Fast schien es, als sei er beseelt von dem Wunsch, wieder zu diesem entfesselten Dämon zu werden. Und das erschütterte sie. Sie hatte nicht erwartet, dass er so sehr in dieser Rolle aufgehen würde.

Gepackt von einem urplötzlich zuschlagenden Entsetzen, erwachte die Drachenreiterin aus ihrer Starre. Das Blut hatte ihre Stiefel fast erreicht. Es war nicht schwer zu erraten, was Kane als nächstes vor hatte. Sein Zorn würde sich ein Ventil suchen. Suchen müssen. Und es würde nur ein Mal mehr eines der schutzlosen Sumpfdörfer treffen. Eines oder mehrere. Unzählige Menschen würden dabei ihr Leben verlieren. Daran zweifelte sie keinen Augenblick.

Mit weit ausholenden Schritten stürzte sie den Flur entlang, hinter dem tobenden Krieger her. In seiner Wut hatte er zerschmettert, was ihm auf seinem Weg in die Quere gekommen war. Eine Tür hing zerborsten in den Angeln, zwei Ryliti waren gestürzt und sammelten aufgeregt die auf dem Boden verteilten Papiere auf, und mehrere antike Vasen waren zu Bruch gegangen.

Sie holte Kane auf der Treppenflucht ein, die hinunter in die Stallungen führte. Immer zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, hetzte er voran.

„Kane? Kane, bei allem was dir lieb ist, halte ein!“ Die Stufen waren zu schmal, erlaubten es ihr nicht, direkt neben dem Krieger her zu laufen. Erst als sie den Fuß der Treppe erreicht hatten, konnte Rhyan die Schulter ihres Freundes ergreifen, in dem Versuch ihn aufzuhalten.

Doch er riss sich mit einem kehligen Grollen los und brachte Rhyan auf diese Weise gefährlich aus dem Gleichgewicht.

„Bitte Kane, denk doch nur einen einzigen Augenblick darüber nach, was du da tust. Das ist Wahnsinn!“ Sie stolperte die letzten Stufen hinab, wobei ihre rechte Hand über den rauen Putz der Mauer schrammte, in dem mühsamen Versuch die Balance zu halten. Dabei versuchte sie noch immer verzweifelt Kanes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch vergebens.

Er rauschte den Gang hinunter und sprengte mit einem einzigen Tritt das Gatter zum innen liegenden Freilaufgehege der Pferde auf. Es schlug mit einem ohrenbetäubenden Krach gegen die Steinmauer. „Sardaî!“ Seine herrische Stimme übertönte mühelos das erschrockene Schnauben der versammelten Tiere.

Keinen Herzschlag später kam sein Schlachtross zu ihm getrabt. Sein zottiges Fell aus dichtem, schwarz-grauem Haar wirkte zerwühlt und unsauber. Aber er war mächtig und damit äußerst einschüchternd in seinem Erscheinungsbild. Ein wahres Kriegspferd, unerschrocken und stark.

Ohne Erfolg versuchte Rhyan zwischen Kane und sein Pferd zu gelangen, der Krieger stieß sie kurzerhand grob zur Seite. Haltlos fiel sie in das am Boden ausgelegte Stroh. „Hör mir zu! Hör mir nur ein verdammtes Mal zu, du Sturkopf.“ Aus vor Wut flammenden Augen starrte sie zu ihm auf, während er nach Sattel und Zaumzeug griff.

Sardaî bewegte unwillig den Kopf, da auch ihm diese unsanfte Behandlung nicht zusagte, doch Kane ließ sich nicht beirren. Verbissen zurrte er den Bauchgurt fest.

„Dort draußen wartet dein sicherer Tod. Wenn du jetzt dort hinaus gehst, wird es für dich keinen Weg mehr zurück geben, Kane. Bitte, schalte deinen Kopf ein.“

Hastig kroch die junge Frau zur Seite, als sich der Krieger mit einem einzigen Satz auf Sardaîs Rücken schwang, seine Stiefel huschten nur wenige Zoll vor ihrem Gesicht durch die Luft. Die ganze Zeit über hatte er Rhyan nicht mal einen Blick zukommen lassen. Nicht ein Zeichen, dass er überhaupt hörte, was sie sagte.

Der Drachenreiterin kam es vor, als rede sie gegen eine Wand und sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zunehmend lauter und aggressiver wurde. „Das ist ein verfluchtes Himmelfahrtskommando, siehst du das denn nicht?“

Wortlos riss Kane sein Pferd herum, dass es protestierend wieherte und auf die Hinterhand ging. Dann rammte er ihm die Fersen in die Flanke und stob davon. Die anderen Tiere konnten nur in heilloser Flucht zur Seite springen.

„Du suchst doch den Tod, du verfluchter Hurensohn!“, brüllte Rhyan in ohnmächtiger Verzweiflung. Doch Kane war schon zu weit entfernt, um sie noch verstehen zu können.

Mit wild klopfendem Herz blieb sie unter dem offenen Außentor stehen und blickte dem dunklen Schatten hinterher. Ihr Freund entglitt ihr immer mehr und sie schwankte gefährlich zwischen der resignierten Verzweiflung, die ihr Herz langsam von innen heraus zerfraß, und dem kalten Trotz, der sich nichts desto trotz eisern dagegen stellte.

Entschlossen zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. Sie konnte Kane nicht aufhalten. Aber wie sie zuvor schon zu Arokh gesagt hatte, vielleicht konnte sie den angerichteten Schaden begrenzen. Auf jeden Fall konnte sie den Krieger nicht alleine brandschatzend und mordend durch Kranor-Rill ziehen lassen. Sie stieß einen hellen Pfiff aus, der Markor an ihre Seite rief.
 

Der Nachtmahr setzte sich auf die noch frische Spur von Kanes Reittier und flog mit weit ausholenden Sätzen über den weichen Sumpfboden. Sie würden schon alsbald aufgeholt haben, aber Rhyan fürchtete, dass es dennoch zu spät sein würde.

Die Nacht war mittlerweile weit fortgeschritten und Mond und Sterne lieferten mit ihrem fahlen Licht eine bizarre Beleuchtung. Wirkten die Sümpfe am Tage schon befremdlich, so erweckten sie jetzt, im Schutz der Dunkelheit, einen noch bedrückenderen Anschein. Rhyan hatte fast den Eindruck, als spiegele die Landschaft ihre mentale Verfassung wider. Düster, hoffnungslos, trügerisch.

Zudem war es gespenstisch still. Man könnte meinen, dass Kranor-Rill in furchtsamer Erwartung den Atem anhielt.

Rhyans Gedanken schweiften ab. Was konnte sie überhaupt noch tun, um das Rad der Zeit aufzuhalten? Arokh hatte vollkommen Recht, wenn er sie wegen ihrer naiven Kurzsichtigkeit und ihrem hartnäckigen Glauben an Kanes gute Seite auslachte. Jedes seiner Worte entbehrte eine unverrückbare Wahrheit.

Kanes stille, berechenbare Seite war fast vollständig verblasst. Statt dessen entfaltete nun der Dämon, das verfluchte Ich des Kriegers, seine Schwingen und unterdrückte all jene Charakterzüge, die ihm noch hätten Einhalt gebieten können. Fast so, als hätten die Zyklen, in welchen diese Seite unerkannt und gebändigt in einer dunklen Ecke von Kanes Seele gelauert hatte, dessen Macht und Hass aufgestaut.

Demnach war es ohnehin nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieser Charakterzug wieder stark genug werden würde, um sich die Oberhand wieder zu erzwingen. Arokh hatte ihr dies immer und immer wieder prophezeit. Doch Rhyan hatte ihre Augen absichtlich davor verschlossen. Das musste sie sich nun zerknirscht eingestehen.

Zumal sie dadurch möglicher Weise den Moment verpasst hatte, an welchem sie das Ruder hätte herumreißen müssen. Mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Jetzt war sie gestrandet und musste zusehen, wie sie wieder frei kam. Sie brauchte Handlungsspielraum.

Hatte Kane ihr diesen in der Vergangenheit immer zugestanden, so würde sie jetzt hart darum kämpfen müssen. Sie durfte den Geschehnissen nicht mehr einfach nur hinterher hetzen. Sie musste sie aktiv lenken, um Kane in eine Lage zu zwingen, in welcher ihm keine andere Wahl bleiben würde, andere Stimmen anzuhören.

Aufgewühlt biss sie sich auf die Lippe. Der Krieger würde schließlich nicht einfach in seinem Tun inne halten, bloß weil sie das von ihm einforderte. Auch hier entsprachen die Worte des Drachen der Wahrheit. Kane würde es nicht dulden, wenn sie sich seinen Plänen in den Weg stellte.

Es war an der Zeit, andere Seiten aufzuziehen. Sie musste aufhören ausschließlich an das Gute in ihm zu appellieren. Sie würde immer daran glauben, dass der Kane, wie sie ihn kannte, nicht gänzlich verging. Aber sie durfte sich deshalb nicht selbst beschneiden.

Erschüttert sog die Drachenreiterin den Atem ein. Ihr eigener innerer Dämon schien hämisch zu lachen. Er schlich sich in ihre Gedanken und lenkte sie in für ihr Naturell ungewohnte Bahnen. Niemals zuvor hatte Rhyan auch nur im Traum daran gedacht, ihr Drachenerbe gegen den Verfluchten einzusetzen. Und auch jetzt schauderte sie allein bei dem Gedanken daran. Aber sie musste sich eingestehen, dass sie diese Option ernsthaft überdenken musste und nicht einfach ignorieren durfte.

So weit durfte es nicht kommen!

Verzweifelt presste sie die Lider zusammen und kämpfte gegen die erdrückende Trauer, die diese Erkenntnis mit sich brachte. Und gegen das Aufbegehren ihres inneren Drachen.

„Arokh.“ Ihr mentaler Ruf hallte durch die stille Nacht über Kranor-Rill. Hilflos, verzweifelt. „Arokh, bitte. Eile voraus und halte ihn auf. Stoppe Kane, bevor er sein Ziel erreichen kann.“

Doch der Drache antwortete nicht. Seit dem Gefecht um den Außenosten hatte sie ihn aus den Augen verloren und auch jetzt konnte sie seine Präsenz nirgends spüren. Als ignoriere er ihr Rufen absichtlich.

Erfolglos suchten ihre Augen den nächtlichen Sternenhimmel ab. „Arokh, ich flehe dich an. Hilf!“

Nichts. Kein dreieckiger Schatten verdunkelte das Licht der Sterne und keine Antwort erklang in ihrem Geist. Der Drache schwieg.

Grimmig zogen sich Rhyans Augenbrauen zusammen.. Sollte er den Beleidigten spielen. Sie würde selbst zusehen, wie sie Kane aufhalten konnte. Sie würde sich ihm zum Gefecht stellen, wenn es nicht anders ging und hoffen, dass er ihr nichts antun würde. Mehr blieb ihr nicht.

Wasser spritzte auf und durchnässte ihre Hose, als Markor durch einen langgezogenen Tümpel hetzte, ohne seine Geschwindigkeit zu verringern. Aufgescheucht durch die Wellen und das Klatschen des Wassers, stob eine Schar Moorschwalben aus dem nahen Uferdickicht, empört zeternd ob der nächtlichen Störung, und verschwand in der Dunkelheit.

Ihre Umgebung hatte sich verändert und anstatt des nassen Sumpfuntergrundes breitete sich jetzt die wilde Schönheit einer Moorlandschaft vor ihnen aus. Sie erklommen einen seichten Hügel, auf dessen Kuppe Rhyan den Hengst zum Stehen brachte, um sich genauer umschauen zu können.

Die Nüstern gebläht, sog das Tier die kühle Nachtluft ein. Seine Ohren spielten nervös. Nicht weit von ihrer Warte entfernt war der dreuende Schimmer von Feuer zu sehen. Rauch kräuselte sich gen Himmel und der Wind trug einen schwachen Brandgeruch mit sich.

In den trockeneren Gebieten Kranor-Rills konnte es durchaus einmal passieren, dass Feuer ausbrach und die ausgedörrte Vegetation verzehrte. Aber Rhyan glaubte hier nicht an einen Zufall.

Aus dieser Entfernung konnte sie zwar nicht überblicken, wie groß das betroffene Gebiet wirklich war und ob sich auch ein Dorf dort befand. Aber wenn Kane sich schon die Mühe machte, als Brandstifter zu agieren, musste sie zwangsläufig damit rechnen. Ihre Vermutungen entsprachen demnach der Wahrheit.

„Schnell jetzt, mein Freund. Bring uns dort hin.“ Sanft drückte sie dem Hengst die Fersen in die Flanken.

Dieser ließ sich nicht zwei Mal bitten. Wie ein Pfeil, der von der Sehne gelassen wird, schnellte er los, ließ den Hügel hinter sich und eilte auf den heller werdenden Feuerschein zu.

Je näher sie kamen, umso mehr Funken tanzten in der Luft. Sie wurden aufgewirbelt wo morsches Gehölz in sich zusammen stürzte oder der Wind die Glut anfachte und glichen Glühwürmchen, die ihnen den Weg ins Zentrum des Feuers leiteten. Es wurde zunehmend wärmer und heller. Überall nahmen die Brandherde zu. Waren es erst noch vereinzelte Glutnester, schlugen die Flammen schon alsbald höher, leckten an den trockenen Zweigen der Büsche und Bäume und fraßen sich so immer tiefer in das Land hinein.

Furchtlos setzte der Nachtmahr über die Flammen hinweg und landete inmitten der brennenden Überreste zwei kleinerer Hütten. Rhyan stöhnte entsetzt, als der Rauch sich ein wenig lichtete und den Blick auf die am Boden liegenden Leichen einer Familie preisgab.

Außer schwarzen, verkrümmten Leibern war nicht mehr allzu viel zu erkennen, aber anhand der unterschiedlichen Größen war klar, dass mindestens drei Kinder in den Flammen den Tod gefunden hatten. Warum waren sie nicht geflohen?

Der Schädel eines ausgewachsenen Skelettes war eingeschlagen, direkt daneben lag eine Holzfälleraxt, fast bis zur Unkenntlichkeit verbogen durch die Hitze. Eine leidliche Waffe, um sich gegen die gezielten Attacken eines vor Wut tobenden und kampferprobten Kriegers zur Wehr zu setzen.

Bei genauerem Hinsehen wurde zudem deutlich, dass auch die anderen Toten keines natürlichen Todes gestorben waren. Sie waren schon tot, als die Flammen ihre Körper zu zerfressen begonnen hatten.

Tränen der Wut ließen Rhyans Blick verschwimmen. Sie wusste wessen Handschrift sie hier betrachtete und schrie auf. „KANE!“ Dabei spürte sie, wie sich das Drachenerbe erneut in ihr regte, sich aufbäumte und nach Freiheit begehrte. Die Augen der Drachenreiterin begannen zu glühen.

Sie würde sich ihrem Freund in den Weg stellen, selbst wenn Arokh sie eindringlich davor gewarnt hatte. Sollte er sie tatsächlich angreifen würde er sehen, dass auch sie zu kämpfen verstand. Aber sie durfte nicht länger zusehen, wie er unschuldige Leben auslöschte. Es war Zeit, dass sie ihren eigenen Standpunkt einnahm und diesen auch vertrat. Sie durfte sich nicht länger der Illusion hingeben, dass sich diese ganze Sache noch zum Guten wenden würde.

Also riss sie Markor herum und verließ diesen Schauplatz des Grauens so schnell wie irgend möglich. Eine lähmende Kälte hatte sich in ihrem Innern festgesetzt, breitete sich aus und umschloss ihr wild schlagendes Herz. Sie musste den Krieger finden.

Der Nachtmahr, der ihren drängenden Wunsch zu spüren schien, jagte noch schneller als zuvor über das brennende Moor.

Schon drang das Geschrei von Menschen an ihre Ohren. Zwar ging es beinah in dem Brüllen der Flammen unter, die immer höher und höher in den nächtlichen Himmel schlugen, doch sie näherten sich zusehends der Quelle dieser Unruhen.

Es war schwer irgendetwas zu erkennen, die Luft um sie herum flirrte und ließ die Umgebung verschwimmen. Dahinter konnte sie die Schemen von Gebäuden ausmachen und hier und da sah sie Gestalten durch die Korona des Feuers taumeln. Hier kam jegliche Hilfe zu spät, sie waren bereits zu wandelnden Fackeln geworden.

Bei den meisten Gebäuden hatten bereits die Dächer Feuer gefangen, das von dort aus mühelos auf benachbarte Hütten überspringen konnte. Ein seelenloses Wesen, das hungrig nach neuer Nahrung suchte. Aus Fenstern und Türen leckten die Flammen, Rauch kräuselte sich und erschwerte das Atmen noch zusätzlich.

Und zwischen diesen Bildern erschien immer wieder der große Schatten Kanes, der auf dem Rücken seines Pferdes durch die Flammenhölle zog und den Tod brachte. Sie hatte ihn also tatsächlich gefunden. Ihre dunkle Ahnung hatte sie nicht getäuscht.

Mehr als ein Mal sah sie seine Axt niederfahren, einen hilflosen, vor Angst kopflosen Menschen aufschlitzen. Die verzweifelten Schreie drangen gedämpft zu ihr, ließen die feinen Härchen auf ihren Armen zu Berge stehen. Doch wann immer sie den Ort erreicht hatte, an dem das gefallene Opfer in seinem Blut lag, war Kane schon lange wieder in den Rauchschwaden verschwunden.

Er war wie ein Geist, schwer zu greifen. Ihr Rufen hörte er nicht.

Markor suchte sich seinen Weg zwischen den brennenden Hütten hindurch, während Rhyan angestrengt versuchte, die unruhigen Schatten mit Blicken zu durchdringen. Es war wie in einem höllischen Alptraum. Kane könnte stellenweise eine Pferdelänge neben ihr reiten, sie würde ihn nicht sehen.

Lautes Geschrei zu ihrer Rechten erweckte schließlich Rhyans Aufmerksamkeit. Hinter den äußersten Hütten gab es einen kleinen Teich mit Trinkwasser. Der Grund, aus dem sich die Bewohner an dieser Stelle niedergelassen hatten. Die Flammen mieden diesen Ort und eine Gruppe von vielleicht zehn Menschen hatte sich bis über die Hüften in das feuchte Nass gedrängt.

Unter ihnen befanden sich auch einzelne Ryliti. Allerdings wirkten sie apathisch. Sie hatten sich so weit in das Wasser sinken lassen, dass lediglich noch ihre Köpfe hervor guckten und die langen Kiemen an ihren Hälsen bewegten sich angestrengt. Die Hitze und trockene Luft mussten ihnen unsagbare Qualen bereiten.

Dieser Gruppe gegenüber, im seichten Ufer des Teiches, stand Kane. Beide Äxte auf dem Sattelknauf vor sich gekreuzt, thronte er auf dem Rücken seines Schlachtrosses und lauschte scheinbar belustigt der leidenschaftlichen Rede des Mannes, der sich als Rädelsführer der kleinen Gruppe dem Krieger entgegen gestellt hatte.

Rhyan verharrte wo sie war und beobachtete mit klopfendem Herzen die Szene. Verstehen konnte sie nichts, dazu war das Toben der Feuersbrunst einfach zu laut. Aber noch wollte sie sich nicht zeigen. Die in der Luft liegende Spannung war fast greifbar. Es war schwer, sich ihrem fesselnden Bann zu widersetzen.

Als der Mann am Ende seiner kurzen Rede angelangt war, machte Sardaî plötzlich einen Satz nach vorne und brachte ihn so aus dem Gleichgewicht. Seine Hufe tauchten triefend nass aus dem Wasser auf, trafen die ungeschützte Brust des Armen und rissen ihn endgültig von den Füßen. Prustend ging er unter und tauchte nicht wieder auf. Das Gewicht des Pferdes lastete zu schwer auf seinem Körper.

Kane hatte indes in aller Seelenruhe seinen Bogen von der Schulter genommen und legte nun den ersten Pfeil auf. Einen Herzschlag später sirrte das Geschoss von der Sehne und durchschlug den Hals einer weinenden Frau. Ihr Schluchzen erstarb.

Schlagartig brach Panik in der Gruppe aus. Die Menschen kreischten und versuchten rudernd und strauchelnd in dem tiefen Wasser zu fliehen, wohl wissend, dass der gefiederte Tod schneller war. Nur vier von ihnen erreichten das rettende Ufer.

Selbst über diese Distanz konnte Rhyan das böse Leuchten in den Augen des rothaarigen Kriegers sehen, als dieser sich an der offensichtlichen Furcht seiner Opfer ergötzte. Er verstaute den Langbogen wieder, tauschte ihn gegen die doppelschneidige Axt und gab Sardaî den Befehl, den Flüchtlingen zu folgen. Für ihn begann es jetzt erst richtig Spaß zu machen.

„Kane, nein!“ Endlich erwachte Rhyan aus ihrer entsetzten Starre und setzte ihm nach. Überrascht registrierte sie dabei den mächtigen Schatten Arokhs, der dicht über den Flammen hinweg strich und sich ebenfalls auf die Spur des Kriegers setzte. Offensichtlich hatte er es sich doch noch anders überlegt und beschlossen, sich seiner Gefährtin wieder anzuschließen bei dem Versuch, den Krieger zu stoppen. Rhyan lächelte finster.

Die fledermausgleichen Schwingen des Drachen zerrissen den Rauchschleier über dem Moor und pressten die Flammen dicht an die Erde, so als würden sie sich unter seiner Macht ducken. Auf diese Weise ermöglichte er es der jungen Frau, Kane und seine Opfer nicht aus dem Augen zu verlieren.

Mit Grauen musste sie also beobachten, wie der Vorsprung der flüchtenden Menschen rasend schnell dahinschmolz. Der Langsamste von ihnen wurde von Sardaî schlicht über den Haufen gerannt.

Dann endlich hatte Markor den Krieger eingeholt.

Dieser schickte sich soeben an die restlichen drei Flüchtlinge in die Enge und in ihren sicheren Tod zu treiben. Seine Axt fuhr auf den ungeschützten Hals einer Frau nieder, beendete ihren verzweifelten Schrei und trennte ihr den Kopf von den Schultern, ohne auch nur an Geschwindigkeit zu verlieren. Der zweite, von unten geführte Schlag, hätte ihren Begleiter direkt in den Unterleib getroffen. Doch unerwartet traf die Schneide auf Widerstand.

Kreischend glitt die Axt über die schwarze Klinge 'Leids', sprühte Funken und verkeilte sich dann endlich an der Parierstange des Schwertes. Dessen Intarsien schienen den Schein des Feuers widerzuspiegeln.

„Hör auf! Hör endlich auf und komm zu dir, Kane.“

Die beiden Hengste standen Brust an Brust, in einer ebenso engen Berührung wie ihre Reiter und deren Waffen. Sie schnauften angestrengt, weißer Schaum flockte von ihren Flanken. Und auch Rhyan spürte den Schweiß, der in wahren Sturzbächen über ihr Gesicht und unter ihrem Wams ihren Rücken herab rann.

Die geretteten Flüchtlinge verloren indes keine weitere Zeit und verschwanden in den Schatten zwischen den Flammen.

Kane starrte sie mit vor Zorn lodernden Augen an. Sein kaltes Blau traf auf das heiße Feuer ihrer unmenschlichen Augen. Ihre Pupillen hatten sich in dem Licht der Flammen zusammengezogen.

„Warum tust du das?“, knurrte er rau. Deutlich traten die seildicken Muskeln an seinem Waffenarm hervor. Er drohte jeden Augenblick die Beherrschung zu verlieren und Arokh, der nur als verzerrtes Schemen abseits des Schauplatzes zu erkennen war, knurrte warnend.

Kane scherte sich nicht darum. „Sie haben den Tod verdient. Warum hältst du mich auf?“

Als der Drachenreiterin darauf keine Antwort einfallen wollte, lachte er bellend. „Ich dachte du verstehst, was ich tue. Dabei bist du nicht besser als dieser Abschaum.“

„Das ist nicht wahr!“ Erschüttert über diesen Vorwurf löste Rhyan ihr Schwert aus der Umklammerung mit Kanes Waffe. „Ich bin auf deiner Seite. Schon immer gewesen und auch jetzt. Jetzt noch viel mehr. Ich versuche nur zu verhindern, dass du dich verlierst!“

„Ich verliere mich nicht.“, grollte er und löste Sardaî mit einem unsanften Ruck von Markor.

„Wie würdest du es denn sonst nennen? Es wäre dir noch vor einigen Mondumläufen nicht einmal in den Sinn gekommen, Jagd auf wehrlose Kreaturen zu machen.“

„Meinst du?“ Kanes Lippen verzogen sich zu einem hässlichen Grinsen. „Was unterscheidet dich von mir? Ich konnte deine Erregung riechen, deine Freude, als wir ihrer Spur gefolgt sind. Du hast nach Blut gelechzt und hast es dir genommen. Du hast sie mit Freude getötet.“

Rhyan wurde schlecht. „Hätte ich geahnt was wir verfolgten... Niemals hätte ich meine Hand gegen sie erhoben. Du hast mich absichtlich in die Irre geführt!“

Als der Rothaarige daraufhin in ein schallendes Gelächter ausbrach, hätte sie ihn am liebsten niedergeschlagen. Ihre Züge verhärteten sich. Er hatte sie verraten. „Kehre um, Kane. Kehre um, solange du noch kannst und wende dich von deinem dunklen Selbst ab.“

Der Krieger lachte noch immer, wandte sich endgültig ab und lenkte Sardaî in die Richtung, in welcher die letzten zwei Flüchtlinge verschwunden waren. „Stell dich mir nicht noch einmal in den Weg, Rhyan.“ Die Drohung in diesen Worten war überdeutlich.

Und als er an Arokh vorbei ritt, fügte er noch mit einem düsteren Raunen hinzu: „Auch du nicht. Ich habe schon einmal in meinem Leben gegen einen Drachen bestanden.“ Dann gab er seinem Pferd die Sporen und schoss davon.

„So einfach wirst du uns nicht los, Kane!“, schrie Rhyan ihm mit vor Wut überschlagender Stimme hinterher. Niemand bedrohte sie oder Arokh, nicht einmal Kane. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und sie knurrte tief, was ihre scharfen Eckzähne deutlich hervor treten ließ.

Augenblicklich verfiel Markor in Galopp und nahm die Verfolgung wieder auf. Kane mochte geschickt sein und sich gut in diesem Moor auskennen. Doch sein Reittier blieb ein Pferd und konnte einem Nachtmahr nichts entgegen bringen.

Die beiden unglücklichen Flüchtlinge waren noch nicht allzu weit gekommen und als sie den herannahenden Hufschlag vernahmen, brach ihr letzter Überlebenswille endgültig zusammen. Einer stürzte und wurde von den Hufen Sardaîs zerschmettert. Der andere blieb einfach stehen, erschöpft und am Ende seiner Kräfte. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft zu schreien.

Entschlossen wenigstens ein Leben zu bewahren, lenkte Rhyan Markor auf den Krieger zu. Sie würde nicht mehr rechtzeitig zwischen seine Axt und den Körper des Flüchtlings gelangen. Aber sie konnte Sorge tragen, dass der Hieb seiner Waffe das Ziel verfehlte.

Der Nachtmahr stieß ein herausforderndes Wiehern aus, dann kollidierte er mit dem anderen Pferd und schleuderte es zur Seite. Der Zusammenstoß war hart und beide Tiere mussten kämpfen, um nicht zu Boden zu gehen.

Gefahrlos zerschnitt die Axt die Luft mehrere Armlängen neben dem Sumpfmann und schlug dann dumpf in den Stamm einer toten Birke, wo sie stecken blieb.

Rasend vor Zorn wirbelte Kane im Sattel herum. Er brüllte seinen Ärger über das erneute Einmischen der Drachenreiterin heraus und vertrieb damit die Erleichterung, welche sich für einen winzigen Moment in Rhyan geregt hatte.

Aus dem Augenwinkel sah sie seine zweite Axt als undeutlicher Schatten auf ihre ungeschützte Seite zurasen. Und vermutlich wäre sie in zwei Hälften geteilt worden, hätte sie sich nicht geistesgegenwärtig vom Rücken des Nachtmahrs fallen gelassen. „Markor verschwinde!“

Der Hengst wich der tödlichen Waffe tänzelnd aus, blieb aber wo er war. Er wieherte zornig, die Ohren dicht an den Kopf gelegt. Er würde seine Herrin verteidigen, wenn sie es nicht verhinderte. Seine scharfen Zähne zuckten vor und rissen die Schulter Sardaîs auf.

„Markor! Bei allen neun Höllen, hau ab!“

Für einen winzigen Moment schien es, als wolle die Zeit stehen bleiben oder doch zumindest langsamer vergehen, als der Hengst endlich widerwillig zur Seite trat und damit nichts mehr zwischen dem Krieger und seiner Herrin stand. Zeitgleich erhob sich Rhyan, wich zurück und erwiderte den Blick ihres einstigen Freundes unverwandt. Aber sie konnte nichts in seinen Augen lesen. Nichts außer dem grenzenlosen Hass auf alles Lebendige. Einem Hass, der plötzlich auch sie mit einbezog.

Etwas veränderte sich. Rhyan spürte es eher als dass sie es sah. Die Luft schien sich zu verdichten, lud sich auf und schmeckte nach Elektrizität. Wie vor einem schweren Gewitter. Gleichzeitig hüllte sich die Gestalt des Kriegers in einen Schatten aus undurchdringlichem Nichts. Um seine erhobene Faust sammelte sich die Finsternis. Verschlingend und lebendig. Materialisierte Furcht.

Lähmende Angst strömte davon aus, pulsierte durch Rhyans Venen und ließ sie erstarren. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie das unheimliche Schauspiel, unfähig auch nur einen Finger zu rühren. Sie ahnte, dass sich diese gebündelte Energie schon alsbald freisetzen würde. Und dass sie diesen Moment vermutlich nicht überleben würde.

„Meine Warnung war durchaus ernst gemeint gewesen.“, knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Dann öffnete Kane seine Faust, streckte sie in die Richtung der wehrlosen Drachenreiterin und entließ die Finsternis.

Rhyan sah sie auf sich zurasen, Fasern absoluter Dunkelheit. Sie fächerten auf und schickten sich an von drei Seiten gleichzeitig auf die Drachenreiterin einzustürmen. Ein Ausweichen war unmöglich. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich bereits in der dunklen Magie vergehen.

Da plötzlich erklang ein markerschütterndes Brüllen, das Rhyans Ohren zum Summen brachte, und Arokh stürzte aus dem nächtlichen Himmel. Nur einen Augenaufschlag bevor die Finsternis seine Gefährtin erreichte. Staub und Ruß wirbelte unter seinen Klauen auf und Rhyan wurde zu Boden geworfen.

Sie konnte den Drachenkörper über sich spüren, sah, wie er seine Schwingen ausbreitete und schützend um sich und die junge Frau schlang. Sein brennender Zorn und seine entsetzliche Sorge um sie strömten durch ihren Geist wie warmes Wasser.

Dann verschwand ihre Welt für mehrere Herzschläge in gleißendem Licht, Hitze und Lärm. Sie fühlte Schmerz, der nicht ihr eigener war. Dann nichts mehr.

Nur langsam ebbte die Wirkung des Zaubers ab, gestattete ihrem Geist wieder aufzutauchen. Ihr schwindelte und hätte ihr jemand gesagt, dass sie für den Rest ihres Lebens blind und taub sein würde, hätte sie es geglaubt.

Erst dann drang das fauchende Brüllen Arokhs zu ihr hindurch. Aus seinem aufgerissenen Maul ergoss sich das blau-orangene Drachenfeuer und hüllte Kane und sein Pferd ein. Aber ein magischer Schild hielt die zerstörerische Wirkung der Flammen fern.

Taumelnd kam sie auf die Füße. Sie fühlte sich schwach wie ein kleines Kind.

„Flieh!“

Es dauerte einen Moment, bis Rhyan begriff, dass Arokh in ihren Gedanken sprach. Und einen weiteren Augenblick benötigte sie, um die Bedeutung des einen Wortes zu entschlüsseln.

Dann verließ sie den Schutz des Drachenkörpers und begann stolpernd zu laufen. Wohin spielte keine Rolle, Hauptsache fort.

Flucht nach Atlantis

Blindlinks hetzte Rhyan voran, den Blick fest auf den vorbei huschenden Boden vor sich gerichtet. Hinter ihr wurde der Lärm des Feuers und des magischen Gefechts zwischen Krieger und Drache nur langsam leiser, bis es endlich vollends verklang. Doch Rhyans inneres Entsetzen blieb.

Sie hatte rein instinktiv gehandelt, als sie Arkohs mentalen Ruf vernommen hatte. Die Macht seiner Emotionen war durch ihren Geist getobt, hatte sie wachgerüttelt, als ergieße sich ein Eimer kalten Wassers über ihr. Er hatte sie davor bewahrt, gänzlich in den gähnenden Abgrund der Besinnungslosigkeit zu stürzen, und sein Erschrecken ob der unerwarteten Macht des Kriegers hatte sich auf sie übertragen und ihr Beine gemacht.

Arokh hatte auch alle guten Gründe zu befürchten, dass Kane seine Attacke ausweiten und schlussendlich die Verteidigung des Drachen durchbrechen würde. Keiner hätte auch nur erahnen können, dass der Verfluchte über derart ausgeprägte Fertigkeiten verfügte.

Etwas in Rhyans Seele war zerbrochen, als ihr einstiger Freund sich gegen sie gewandt hatte. Ihre Hoffnung war erloschen, oder doch zumindest so weit heruntergebrannt, dass sie nicht mehr als ein schmächtiges Glühen war.

Viel zu tief war der Krieger bereits seiner dunklen Seite verfallen und vermutlich hatte Arokh Recht gehabt, als er behauptete, dass schon bei ihrem ersten Zusammentreffen keine richtige Hoffnung mehr bestanden hatte. Sie hatte es bloß nicht sehen wollen. Und das hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.

Dazu kam noch, dass ihr um ein Haar sämtliche Beherrschung abhanden gekommen wäre, als Kane seine Attacke so unvermittelt gegen sie gerichtet hatte. Das Drachenerbe in ihr hatte blitzartig auf den direkten Angriff reagiert und die Kontrolle über Rhyans Körper an sich gerissen.

Diese hatte einen unmenschlichen Schrei ausgestoßen, hatte Kane ihre dämonische Form in vollkommener Vollendung gezeigt. Brennender Zorn hatte jedes noch vorhandene Gefühl verschlungen und hatte sie mit dem Wunsch beseelt, sich auf den rothaarigen Krieger zu stürzten, um diesen auszulöschen. Ihre Klauen hatten gezuckt und von ihren Fängen war der Geifer geronnen, als sie drohend die Zähne gefletscht hatte. Auf den unzähligen kleinen Schuppen, die sich auf ihren Unterarmen und in ihrem Gesicht bildeten, hatte das Licht der Flammen gespielt.

Nur das Eingreifen des Drachen hatte verhindern können, dass sie diesen Plan in die Tat umsetzen konnte. Er hatte sie zu Boden geworfen und sie ihrer seelischen Zerrissenheit überlassen. Dem übermächtigen Wunsch nach Rache und der bodenlosen Verzweiflung, keine Chance mehr zu haben, das Ruder herum zu reißen.

Als der Schmerz der magischen Attacke, welcher nicht ihr eigener sondern der des Drachen war, durch ihre Adern strömte, errang ihr Verstand wieder die Beherrschung über ihren Körper. Was hier geschah war Wahnsinn.

Unfähig sich den weiteren Geschehnissen zu stellen, hatte Rhyan gehorcht und war von dem Schauplatz des Duells geflohen. Kopflos, verzweifelt. Dann hatte sich die dichte Vegetation in ihrem Rücken geschlossen und die beiden Kämpfenden aus ihrem Blickfeld gewischt. Nicht aber ihre bodenlose Verzweiflung.

Nur langsam bekam sie ihre aufgewühlten Gefühle wieder in den Griff. Sie zwang sich stehen zu bleiben, kauerte sich im Schutz eines Dornenstrauchs zusammen und konzentrierte sich mehrere Herzschläge darauf, ihren Puls wieder in ruhigere Bahnen zu lenken. Deutlich spürte sie das heiße Feuer ihres Drachenerbes in sich pulsieren, noch immer unruhig und gierig nach Freiheit. Aber sie drängte es zurück.

Vor ihrem inneren Auge erschien noch einmal das Gesicht Kanes, gezeichnet von dem verblüfften Erschrecken, als er Rhyan in ihrer hybriden Form vor sich stehen sah. Diesen Blick würde sie ihr Lebtag nicht mehr vergessen. Sie durfte es nicht vergessen, musste sich daran erinnern, damit so etwas nicht wieder geschehen konnte.

Das Knacken von Ästen schreckte die Drachenreiterin auf.

Regungslos verharrte sie und blieb wo sie war, lugte vorsichtig zwischen dem verwachsenen Astwerk des Gebüschs hindurch. Ihre Augen glommen dabei sanft, ermöglichten ihr eine bessere Nachtsicht als ihre menschlichen Augen.

Zuerst konnte sie gar nichts erkennen, außer den bizarren Scherenschnitten der Zypressen und Birken und dem verspielten Tanzen der Irrlichter. Das verhaltene Tappen, das sie meinte gehört zu haben, war verstummt.

Doch dann entdeckte sie eine Bewegung, halb verborgen hinter einem kleinen Hain krummer Bäume. Nicht weit von ihr zu ihrer Linken. Mit schmalen Augen schaute sie genauer hin. Mehrere Schatten bewegten sich dort und die ungewöhnlichen Gestalten ließen sie darauf schließen, dass es sich um Ryliti handeln musste.

Was machten sie hier? So weit entfernt von dem Vorposten? Sie konnte nur vermuten, dass die Wesen Kane und ihr gefolgt waren, als sie so überstürzt aufgebrochen waren. Dass es wilde Kreaturen sein könnten, nahm sie nicht an. Dafür bewegten sie sich zu gezielt, zu organisiert.

Hinter sich vernahm sie jetzt auch die schnarrenden Laute, in welchen sich die einheimischen Kreaturen untereinander verständigten. Also waren noch mehr von ihnen in ihrer Nähe.

Rhyan duckte sich tiefer in die Schatten der Pflanzen und verließ lautlos ihr Versteck. Sie konnte die Beweggründe nur erahnen, welche Kanes Untergebene hier her geführt hatten. Aber sie glaubte nicht, dass sie sich lediglich verlaufen hatten. Eher musste Rhyan davon ausgehen, dass der Krieger sie ausgesandt hatte, um nach ihr zu suchen. Demnach musste der Kampf zwischen ihm und Arokh beendet sein. Mit welchem Ergebnis wagte sie nicht zu raten.

In jedem Fall wusste sie, dass sie ihrem Freund jetzt nicht unter die Augen treten wollte. Sie brauchte Abstand. Und Ruhe, um gründlich nachzudenken.

Vorsichtig stahl sie sich durch das dichte Unterholz. Dabei waren all ihre Sinne hellwach. Immer wieder hielt sie inne, um nach den schwachen Geräuschen ihrer Verfolger zu lauschen und diesen nicht versehentlich in die Arme zu laufen. Glaubte Rhyan sie endlich abgeschüttelt zu haben, erklang nur wenig später erneut das leise Plätschern von Schritten oder das unterdrückte Schnattern der Kreaturen.

Es gefiel ihr nicht und insgeheim verfluchte sie sich dafür, dass sie so kopflos davon gelaufen war. Denn jetzt musste sie feststellen, dass sie keine Ahnung hatte, wo genau sie sich überhaupt befand. Also lief sie weiter in der Hoffnung, auf ein geeignetes Versteck zu treffen, in dem sie sich vor ihren Häschern verbergen konnte und die nötige Ruhe fand, um die jüngsten Ereignisse zu überdenken. Doch das Glück war ihr nicht hold.

Statt dessen musste sie sich eingestehen, dass der Abstand zu den Ryliti bedrohlich zusammengeschmolzen war. Hatte sie ihre Schatten zuerst nur selten zu sehen bekommen, so konnte sie den modrigen Geruch ihrer feuchten Haut jetzt sogar riechen. Rhyan knurrte leise. Da sie hier beheimatet waren, fiel es ihnen um einiges leichter, sich auf den unsichtbaren Pfaden des Sumpfes zu bewegen, als ihr. Ein klarer Vorteil, welcher Rhyan durchaus gefährlich werden konnte.

Als sie an einer alten Eiche vorbei kam, ergriff sie kurzerhand einen der tief hängenden Äste und zog sich hinauf in die dichte Krone. Das Holz knarrte bedenklich, aber es hielt. Geschützt von einer mächtigen Astgabel, sank die Drachenreiterin in die Hocke und spähte in die Dunkelheit hinaus.

Kranor-Rill war in ein samtenes Schwarz gehüllt und wurde von blassem Nebel durchzogen. Gleich ruhelosen Seelen strich er um die Zypressen und Büsche. Dazwischen leuchteten immer wieder die kleinen Irrlichter auf, tanzten, änderten ihre Position, verschwanden und erschienen von Neuem. Irgendwo über ihr im Baum erklang der klagende Ruf einer Eule.

Diese friedliche Stimmung wurde nur gestört durch die Kleingruppen der umher schleichenden Sumpfwesen. Von ihrer erhöhten Position konnte Rhyan jetzt deutlich erkennen, dass nicht weniger als vier Gruppen a sechs Kreaturen auf ihrer Fährte waren.

Ein Trupp verharrte unweit ihres Baumes und Rhyan veränderte behutsam ihre Position. Sie konnte die verzerrten Stimmen hören und mit etwas Glück würde sie verstehen können, was die Wesen untereinander zu besprechen hatten. Nicht umsonst hatte sie sich in den zurückliegenden Mondumläufen bemüht, die Sprache der einheimischen Kreaturen zumindest im Ansatz zu erlernen.

Dicht an den Ast unter sich gepresst, rutschte sie so weit nach vorne, wie sie der altersschwachen Krone noch traute. Das wenige Laub raschelte dabei verräterisch, aber die Kreaturen kümmerten sich nicht darum.

Zitternd ließ die junge Frau ihren Atem entweichen und lauschte.

Es war schwer, sich in die abgehakten Silben und kehligen Laute einzufühlen, zumal sich der Trupp dort unten gerade mächtig zu streiten schien. Wortfetzen konnte sie auffangen, aber es war unmöglich ganze Sätze zu verstehen. Auf jeden Fall war nach wenigen Herzschlägen klar, dass Gegenstand des Streits niemand geringerer war als die Drachenreiterin. Und Kane.

Demnach hatte sie richtig vermutet und der Krieger wünschte ihre Anwesenheit. Um dieses Ziel zu erreichen hatte er seinen Kreaturen sogar erlaubt, sie im Falle eines Widerstands zu binden und Gewalt in einem begrenzten Rahmen einzusetzen.

Rhyan konnte ihre Empörung darüber nur schwer bändigen. Ihre Hände krallten sich um den Ast. Was glaubte Kane, wer er war? Zuerst hatte er ihr keinen Deut seiner Aufmerksamkeit zukommen lassen, und jetzt plötzlich versuchte er ihrer mit den absonderlichsten Mitteln habhaft zu werden.

Wenn sie die Worte richtig übersetzte, musste es etwas äußerst Wichtiges geben, das der Krieger mit ihr besprechen wollte. Mehr hatte er seinen Untergebenen aber wohl nicht mit auf den Weg gegeben. Einige verlangten zu erfahren, weshalb sie sich hier herumtreiben und in Gefahr bringen mussten. Doch ihr Anführer schien genau so wenig Ahnung bezüglich der tieferen Gründe zu haben wie der Rest seines Trupps. Bedauerlich.

Insgeheim freute es die Drachenreiterin natürlich diebisch, dass die Ryliti in latenter Angst davor lebten, ihr unverhofft über den Weg zu laufen und in einen Kampf verwickelt zu werden. Offenbar hatten auch sie ihre hybride Form zu sehen bekommen. Sollten sie nur Angst haben. Sie würde sich nicht fangen lassen.

Und sie erfuhr, dass Kane es gewesen war, der den Kampf mit Arokh beendet hatte, bevor einer von beiden ernsthafte Verletzungen davontragen konnte. Scheinbar vermuteten die Sumpfwesen, dass es ein schlichtes Kräftemessen zwischen diesen ungleichen Gefährten gewesen sei.

Das glaubte Rhyan nun weniger, aber wenigstens wusste sie nun, dass der Drache unversehrt war. Über die Beweggründe des rothaarigen Kriegers würde sie sich später noch Gedanken machen. Warum er den Angriff aus freien Stücken abgebrochen hatte, wo er den Streit doch begonnen hatte und davon hatte ausgehen müssen, dass Arokh keineswegs so viel Gnade würde walten lassen, war ihr schleierhaft. Sollte er seinen Fehler wirklich erkannt haben?

Das Gespräch verstummte schlagartig, als der Anführer mit einem für menschliche Ohren äußerst unangenehmen Ausruf für Ordnung unter seinen Begleitern sorgte. Rhyan rieb sich leise fluchend die Ohren. Seine widerlich langen Finger deuteten nach Westen, die Richtung in welcher sie ihre Suche fortsetzen wollten. Zwar schien keiner der kleinen Gruppe sonderlich erfreut über diese Wahl, da sich irgendetwas auf diesem Weg befinden musste, das ihnen fürchterliche Angst machte. Aber sie fügten sich dem Befehl dennoch.

Wenig später war Rhyan wieder allein mit ihrem Baum.

Am Horizont hatte sich mittlerweile ein blasser Mond erhoben. Sein weißes Licht glitzerte in den Wasserläufen und Tümpeln und als die Drachenreiterin zu ihrer Astgabel zurück kletterte, fiel ihr Blick auf die scharfen Konturen einer Vielzahl von Gebäuden, die vom seinem Licht deutlich umspielt wurden.

Verwundert richtete sich Rhyan ein wenig auf, in dem Versuch besser sehen zu können. Das waren nicht die Umrisse eines Außenpostens. Dafür dehnten sich die steinernen Bauten zu weitläufig aus. Zumal einige der Gebäude wesentlich größer waren als die verfallenen Ruinen ihrer Bleibe. Was immer sie da vor sich sah, dort würde sie sicherlich einen geeigneten Ort finden, um sich dem Zugriff der Suchtrupps zu entziehen.

Sie prägte sich ein, in welche Richtung sie sich bewegen musste. Dann schwang sie sich aus der Baumkrone und landete federnd auf dem weichen Sumpfboden. Einen Herzschlag verharrte sie und lauschte, ob man sie bemerkt hatte. Dann setzte sie sich rasch in Bewegung und verschmolz wieder mit der Nacht.

Schon bald konnte sie vor sich die ersten Umrisse ausmachen, trutzig und abweisend. Eine Aura unfassbaren Alters strahlte von dort aus und zwang Rhyan unweigerlich Ehrfurcht ab.

Neugierig trat sie zwischen die Gebäude, lautlos einen Fuß vor den anderen setzend. Sie fürchtete, überhaupt irgend ein Geräusch zu verursachen, in der absurden Sorge die Aufmerksamkeit dieses uralten Ortes auf sich zu ziehen. Daher hielt sie auch größtmöglichen Abstand zu den Mauern.

Die Wege waren einst gepflastert gewesen. Jetzt waren die handgearbeiteten Steine aufgebrochen, wölbten sich gegen die hervorquellende Vegetation, die zwischen den Fugen wucherte und stellenweise nur noch erahnen ließ, wie es einst hier ausgesehen haben mochte.

Doch je tiefer Rhyan in das Herz der Stadt vordrang, desto schwächer wurde auch der würgende Griff der Natur. Fast als würde diese aus irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Gründen das innere Labyrinth der Gebäude meiden.

Gänsehaut breitete sich auf Rhyans bloßen Unterarmen aus. Ihr war unheimlich zumute. Sie hatte nicht verstehen können, wovor sich die Sumpfwesen gefürchtet hatten, aber sie hatte sich auf ihrem Weg zu den Gebäuden nach Westen bewegt und war nun hier her gekommen. Lag es da nicht nahe, dass sich die Angst der Kreaturen auf diese alte Stadt bezogen hatte?

Schon fand sie ihre Idee, hier einen Unterschlupf für sich zu suchen, gar nicht mehr so verlockend.

Erschrocken fuhr die Drachenreiterin zusammen, als aus einer der kleineren Seitengassen unvermittelt das schleifende Geräusch von Schritten erklang. Ein schneller Blick um die Ecke zeigte gleich mehrere Gestalten, die sich von dort ihrem Standort näherten.

Leise wich Rhyan in die Schatten der Mauern zurück. Dort verharrte sie, um einen besseren Blick auf diesen unerwünschten Besuch werfen zu können und knurrte dann verärgert, als sie in ihnen ihre Verfolger erkannte. Diese Ryliti waren hartnäckiger als gedacht und verstanden es, ihre Furcht zu bekämpfen.

Geduckt huschte sie von Häuserecke zu Häuserecke und sah zu, dass sie verschwand. Dabei vermied sie es, die wenigen, offenen Plätze direkt zu überqueren. Trotzdem erhärtete sich nach nicht allzu langer Zeit ihr Verdacht, dass sich die Kleingruppen aufgeteilt haben mussten und sie jetzt gezielt von einer Straße in die nächste trieben. Bis es für sie keinen Ausweg mehr geben würde.

Rhyan fluchte. Falls sie wirklich glaubten ihrer so leicht habhaft zu werden, würden sie sich noch umgucken.

Kurzerhand wandte sie sich einem der größeren Gebäude zu und drang durch das offen stehende Portal in dessen Inneres ein. Die langgezogene Treppe davor brachte sie schnellen Schrittes hinter sich, aber nicht ohne vorher noch einen hastigen Blick über die Schulter geworfen zu haben. Noch war niemand in den Zuwegungen zu sehen und so trat sie aufatmend unter dem Türbogen hindurch und ließ die Straßen hinter sich.

Drinnen war es erheblich dunkler, denn obwohl Fenster und Türen offen stranden, reichte das fahle Mondlicht nicht allzu weit. Deren scharf umrissene, helle Quadrate zeichneten sich auf dem steinernen Fußboden ab und teilten den großen Raum in ein befremdliches Kunstwerk. Spinnenweben, die in den Ecken der Fensterrahmen hingen, schaukelten sacht in der nächtlichen Brise und verursachten gespenstische Schatten. In der Luft lag ein Geruch nach Staub, Alter und verwittertem Humus.

Rhyan bedauerte fast ein wenig, dieses fremde Gebäude nicht näher in Augenschein nehmen zu können. Es unterschied sich enorm von der Bauweise des kleinen Vorpostens. Die gesamte Architektur wirkte imposanter, genauestens durchdacht und nicht allein auf Nutzen ausgelegt. Hier hatte auch die Schönheit eine Rolle gespielt, nach all den Jahren verblasst und stumpf.

Doch Schritte auf der Außentreppe verrieten ihre nahenden Verfolger. Scheinbar hatten sie ihre Augen überall und verfolgten jeden Schritt ihrer Beute. Die junge Frau hätte ihnen schon längst entkommen müssen. Statt dessen kam es ihr so vor, als ahnten die Kreaturen schon im Voraus, was sie als nächstes tun würde.

Mit einem letzten, staunenden Blick auf die aufwendige Deckenkonstruktion, verfiel Rhyan also in einen lockeren Lauf und durchquerte die große Halle mit ihren himmelreichenden Säulen. Mehrere gähnende Schlünde, die in schmale Flure führten, gingen von dieser ab und die Drachenreiterin entschied sich willkürlich für einen im Mittelschiff.

Sie duckte sich behutsam unter den Schleiern der Spinnenweben hindurch, verwischte die Spuren, die ihre Stiefel in dem dicken Staub am Boden hinterlassen hatten, und tastete sich dann halb blind tiefer in das Gebäude hinein. Dabei glitten ihre Fingerkuppen neben dem weichen Pelz von Moos auch immer wieder über die verschlungenen Einkerbungen verzweigter Wandreliefs. Nicht nur das Entré war demnach mit sehr viel Aufwand gestaltet worden. Was mochte sich in diesem Bau noch alles verbergen?

Rhyan beschloss, irgendwann hier her zurück zu kehren, um sich in aller Ruhe ein Bild von der Stadt und ihren vergessenen Schätzen zu machen.

Der Gang mündete nach unzähligen Windungen, Steigungen und Gefällen in einem wabenförmigen Zwischenraum. Einem Knotenpunkt zwischen den Fluren, die dieses Gebäude wie Ameisenstraßen durchzogen.

Den Kopf im Nacken drehte sich Rhyan einmal um ihre eigene Achse. Die Decke war ein offener Lichtschacht, durch den der sanfte Mondschein herein sickerte, und von jeder Breitseite des Raumes zweigten weitere Röhren voller Finsternis ab. Die Akustik hier musste gewaltig sein, wenn selbst ihre leisen Schritte ein vielfaches Echo erzeugten.

Allerdings hörte sie diese noch immer, als sie schon längst stehen geblieben war. Mit gerunzelter Stirn und leicht schräg gelegtem Kopf versuchte die Drachenreiterin vergebens zu orten, aus welchem der Gänge die Geräusche stammten. Es war verwirrend, ein gespenstisches Wispern wie von ruhelosen Seelen.

Ihre Spuren im Staub verrieten, aus welchem der Flure sie gekommen war. Also baute sie schlicht und ergreifend darauf, dass ihre Verfolger aus der gleichen Richtung kommen würden. Wenn sie dann den Gang direkt gegenüber wählte, dürfte sie niemandem begegnen. Schnell beseitigte sie ihre Spuren und tauchte dann erneut in die Dunkelheit des Flursystems ein.

Es kamen noch viele solcher Schnittstellen, nur selten gelangte sie in größere Räume oder Hallen. Allesamt verlassen und halb verfallen. Ihre Hände ertasteten dabei immer mal wieder das raue Holz von Türen. Aber sie waren durch die allgegenwärtige Feuchtigkeit so extrem aufgequollen, dass es unmöglich war sie zu öffnen. Und so führten die Flure sie immer weiter und weiter. Wie groß war dieses Gebäude bloß?

Als sie Licht vor sich erkennen konnte, verfiel sie erneut in einen leichten Trab. So hell wie es schimmerte musste es entweder ein Innenhof oder sogar ein Ausgang sein. Erleichterung machte sich in Rhyan bemerkbar. Nach ihrer anfänglichen Begeisterung hatte sich ihr Wunsch, dieses riesenhafte Gebäude näher zu erkunden, deutlich abgeschwächt. Dieses Labyrinth aus Fluren begann ihr mächtig auf die Nerven zu gehen.

Innenhof traf es vermutlich eher, aber das war nicht der Grund, weshalb die Drachenreiterin wie angewurzelt stehen blieb, nachdem sie den Gang verlassen hatte. Die hohe, gewölbte Decke wies fünf mächtige Öffnungen auf, durch die man den sternenklaren Himmel sehen konnte. Die hindurch scheinende Helligkeit fiel in schrägen Bahnen in den Raum und bündelte sich in dessen Mitte, umhüllte das dort errichtete Bauwerk mit gespenstisch silbrigem Licht.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Rhyan auf den imposanten Ring, der sich erhaben gegen den schattenverborgenen Hintergrund abhob, das Mondlicht einfing und schimmernd reflektierte. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit hier ein Stargate zu finden.

Nur langsam erwachte sie aus ihrer Starre und trat zögernd auf den Ring der Vorfahren zu. Er wirkte... alt. Unglaublich alt und verwittert. Die fleischigen Ranken von Schlingpflanzen hatten sich um die Wölbung gewunden und wiederum anderen Schmarotzerpflanzen Raum zum Wachsen gegeben. Sogar vereinzelte, natürlich verdorrte Blüten konnte Rhyan erkennen. Es sah nicht so aus, als wäre es in den letzten hundert Zyklen verwendet worden.

Dem DHD erging es nicht besser. Die Steuerkonsole stand mehrere Schritte abseits und war ebenso mit Pflanzen bevölkert wie das Stargate. Zudem war es dort, wo eine Bodenfliese gesprungen war, mit einer Seite mehrere Zoll in die Erde eingesunken. Als Rhyan behutsam die Flechten davon entfernte, schimmerte die Oberfläche stumpf, verblasst. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Anlange noch funktionsfähig war, erwies sich als äußerst gering.

Gedankenverloren strich Rhyan über die Symbole, mit deren Hilfe man die verschiedensten Adressen in diese Galaxie anwählen konnte. Sie hätte sich Rat holen können, Unterstützung in ihrem fruchtlosen Bemühen, Kane aufzuhalten. Aber diese Chance musste sie wohl oder übel verwerfen. Dass sie bis zu dem anderen Ring der Vorfahren durchdringen konnte, der sie ursprünglich hier her zurück geführt hatte, glaubte sie nicht. Der Weg war unfassbar weit und würde sie zudem durch Feindgebiet führen.

Nur allzu deutlich wurde Rhyan ihre Ausweglosigkeit wieder bewusst, weckte ihre Verzweiflung von neuem und nagte an ihr. Da stolperte sie so unverhofft über eine einmalige Gelegenheit und konnte sie doch nicht nutzen.

Verbittert ballte sich ihre Hand zu einer Faust, dass die Knöchel weiß hervor traten. Es war nicht gerecht! Wo war Rodney, wenn man ihn brauchte? Sie kannte sich mit dieser Technologie überhaupt nicht aus und hatte keine Möglichkeit, den Ring wieder zu aktivieren.

Dazu kam noch, dass ihre Verfolger noch immer auf ihrer Spur waren. Sie konnte sie spüren, wie sie näher kamen. Nicht mehr lange, und sie würden diesen Raum ebenfalls betreten.

Und sie werden das Stargate finden.

Rhyan biss die Zähne zusammen. Ob Kane um den Ring der Vorfahren wusste, konnte sie nicht sagen. Sie konnte es sich aber gut vorstellen. Doch für die geringe Wahrscheinlichkeit, dass er diese Anlage nicht kannte, musste sie Sorge tragen, dass er diese nicht für seine Zwecke missbrauchen konnte. Wer wusste denn schon, ob der Magie begabte Krieger nicht einen Weg fand, die defekte Steuerkonsole wieder zum Laufen zu bringen?

Das andere Tor war zur Zeit für ihn unerreichbar und ihm keine Hilfe. Mit dieser neuen Entdeckung änderte sich das nun. Der Weg durch das Stargate würde ihm unendliche Möglichkeiten verschaffen, seine Zielerreichung zu forcieren. Dort draußen gab es immer jemanden, der für Krieg und Macht alles stehen und liegen ließ. Außerdem wollte sie die Gefahr nicht eingehen, Kane durch den Ring der Vorfahrten treten zu lassen, so lange sich dieser in solch einem gefährlichen Zustand befand und Gefallen daran finden könnte, seine Terrorherrschaft auch anderswo auszuüben.

Noch während sie auf das DHD starrte und sich den Kopf darüber zerbrach, was sie tun sollte, huschten in ihrem Rücken die ersten Gestalten verstohlen in die Halle. Ihr leises Tappen wurde von den hohen Wänden zurückgeworfen, erfüllte den Raum mit zunehmendem Rascheln.

Misstrauisch hob Rhyan den Kopf. Mit schmalen Augen versuchte sie die Dunkelheit jenseits der hellen Lichteinfälle zu durchdringen und lauschte. Die schlichte Größe der Halle verzerrte die Geräusche und narrte ihre Wahrnehmung.

Langsam wanderte ihre Hand zur rechten Schulter und schloss sich um das Heft ihres Schwertes. Jetzt war es ohnehin egal, ihre Häscher hatten ihr die Wahl abgenommen und da sie sich nach wie vor nicht fangen lassen wollte, würden Köpfe rollen. Den Rücken zum DHD baute sie sich auf, 'Leid' vor sich haltend. Sollten sie nur kommen.

Aus den Schatten löste sich nebeneinander hergehend eine Handvoll Ryliti. Sie schienen noch unsicher, wie sie gegen die wehrhafte Drachenreiterin vorgehen sollten. Das rote Glühen der schlanken Klinge und deren urtümlicher Gesang versetzten sie in Furcht.

Rhyan lächelte böse. „Traut ihr euch nicht, ihr schwächlichen Missgeburten? Kommt und holt euch euren sicheren Tod.“

Nervöses Schnarren antwortete ihr. Dann griff das erste Sumpfwesen an. Ihre im Grunde genommen so ungelenke Bewegungsweise täuschte gewaltig über ihre Schnelligkeit und Wendigkeit hinweg. Die sehnigen Beine erlaubten es ihr kraftvolle Sprünge von bestechender Präzision zu vollführen. Breite Fußsohlen und große Hände ermöglichten sicheren Stand und ein Vorwärtskommen in aufrechter Haltung oder auf allen Vieren.

Kaum dass der erste Angreifer heran war, fiel auch von dem Rest der Wesen die Bewegungslosigkeit ab und sie fächerten auseinander, um Rhyan einzukreisen.

Die erste Kreatur tötete sie mit einem schnellen Vorstoß ihres Schwertes, das sich unmittelbar unter der Kehle in den breiten Hals fraß. Noch im Sterben trat sie den erschlaffenden Körper mit einem beherzten Tritt von sich weg, direkt in die Arme der nächsten zwei Angreifer, und verschaffte sich so ein wenig Luft.

Hastig kreiselte sie herum, drückte sich vom Boden ab und sprang kurzerhand auf die Steuerkonsole. Für einen kurzen Moment musste sie um ihr Gleichgewicht kämpfen und wäre fast wieder abgerutscht, mitten zwischen ihre heranstürmenden Gegner. Aber sie nutzte ihr Straucheln, indem sie sich herum warf und ein Bein mit Schwung gegen den Schädel eines Ryliti führte.

Schmerz explodierte und strahlte von ihren Zehen bis in ihr Becken aus. Aber die getroffene Kreatur stürzte und brachte so den Vormarsch seiner Gefährten ins Stocken.

Zeit genug für Rhyan, wieder sicheren Stand zu bekommen. Drohend richtete sie sich auf ihrem erhöhten Podest auf, zeigte der Horde ihre unmenschlichen Augen und scharfen Reißzähne. Das diffuse Licht gaukelte dem Betrachter vor, dass sich schattenhafte Schwingen aus ihrem Rücken entfalteten.

Erst jetzt konnte sie das ganze Ausmaß ihrer Misere wirklich erfassen. Es waren unglaublich viele Ryliti, die sich in der weitläufigen Halle tummelten. Viel zu viele. Aber Rhyan war wild entschlossen, sich so lange wie irgend möglich ihrer Ergreifung zu erwehren. Sie würde nicht kampflos klein beigeben.

Gleich einer Sense fuhr 'Leid' auf die herannahenden Wesen nieder, durchtrennte Knochen und Muskeln, ließ die Angreifer bluten und Körperteile verlieren. Hin und wieder gelang es einer Kreatur, nach den Beinen der Drachenreiterin zu langen und zwangen diese zu hastigem Zurückweichen oder waghalsigen Sprüngen. Dabei gelang es ihr erstaunlich oft, bei der Landung Handgelenke und Unterarme ihrer Widersacher zu brechen.

Schon bald hallte der Chor unzähliger Schmerzensschreie von den Wänden wider. Aber die Flut der Angreifer ebbte nicht ab.

Viel mehr wurde die Oberfläche der Steuerkonsole durch das viele Blut immer glitschiger und die Leiber der Gefallenen ermöglichten es ihren Gefährten annähernd auf gleicher Augenhöhe mit Rhyan zu kämpfen. Sie knurrte hasserfüllt und lehnte sich verzweifelt gegen diese pure Übermacht auf. Aber es gelang ihr immer seltener die Angriffswellen erfolgreich zurück zu drängen.

Dann geschah, was unweigerlich geschehen musste. Die Drachenreiterin glitt aus und fiel auf der Steuerkonsole auf die Knie. Dabei verkantete sich 'Leid', bohrte sich tief in das Herz des DHDs und saß fest. Voller Entsetzen starrte Rhyan auf die schwarze Klinge. Das konnte nicht wahr sein, so durfte sie nicht verlieren.

Instinktiv wich sie einem Angriff aus, tötete dessen Verursacher mit einem Schlag ihrer gekrümmten Finger gegen die ungeschützte Kehle, ohne ihre Aufmerksamkeit von dem festsitzenden Schwert zu wenden. Sie rüttelte daran, schrie ihre Wut heraus und lehnte sich schlussendlich mit ihrem ganzen Körpergewicht dagegen. Sie musste 'Leid' frei bekommen, sonst würde es hier zurück bleiben.

Zeit, um sich darüber zu wundern weshalb die Kreaturen mit einem Mal nicht weiter auf sie eindrangen, blieb ihr nicht. Dafür überschlugen sich ihre Gedanken zu sehr. Erst als die Klinge mit einem gepeinigten Kreischen aus dem Material heraus brach, fiel der Blick ihrer weit aufgerissenen Augen auf das Leuchten, das aus dem Innern der Steuerkonsole zu kommen schien und sanft pulsierte. Kaum dass 'Leid' frei war, wurde es wieder schwächer.

Einen Moment war Rhyan ebenso perplex wie die Sumpfkreaturen um sie herum. Dann schlug die Erkenntnis wie eine Welle eiskalten Wassers über ihr zusammen. Offenbar gelang es der magischen Klinge, die schlafende Energie des DHDs zu überbrücken und das Leben zurück in die Anlage zu bringen.

Kurzerhand rammte sie das Schwert zurück in die Konsole, wodurch das Leuchten erneut an Intensität zunahm und ein wölfisches Grinsen auf die Züge der Drachenreiterin zauberte. Wahrhaftig, 'Leid' ermöglichte das Unmögliche.

Die Ryliti waren indes nervös schnatternd zurück gewichen und hielten ängstlich Anstand zu dem teuflischen Gerät. Es war offensichtlich, dass sie dergleichen noch nie vor Augen gehabt hatten.

Das kam Rhyan natürlich äußerst recht. So würde ihr Zeit genug bleiben, die gewünschte Adresse in die Konsole einzugeben. Sie glitt vom DHD herunter, wischte das restliche klebrige Blut fort, um die Symbole erkennen zu können, und begann mit der Anwahlsequenz. Die Unterlippe zwischen den Zähnen betete sie inständig, dass sie sich noch richtig erinnern konnte, welche der acht Chevron sie nach Atlantis bringen würden.

Die ersten beiden Symbole leuchteten auf und mit einem tiefen, vibrierenden Summen erwachte der Ring der Vorfahren zum Leben. Rhyan hätte jubeln können, es funktionierte tatsächlich.

Derweil rief die erstarkende Aktivität des Tores ein entsetztes Kreischen in den Reihen der Kreaturen hervor. Diejenigen, die dem Tor am nächsten standen, begannen zurück zu weichen, prallten gegen die hinter ihnen stehenden Gefährten und eine rüde Rempelei nahm ihren Anfang.

Ein kurzer Blick auf ihre Widersacher machte deutlich, dass ein Großteil von ihnen noch immer im direkten Wirkungsbereich des Stargates standen. Aber darauf würde Rhyan jetzt keine Rücksicht mehr nehmen.

Das letzte Chevron wurde eingeloggt, sandte einen bläulichen Blitz um den Ring und strahlte ein statisches Knistern aus. Dann etablierte sich der Ereignishorizont und explodierte in einer fauchenden Wolke in die Halle, riss dutzende von Ryliti in den Tod. Von ihnen blieb nichts, nicht einmal mehr Staub. Panik brach aus.

Mit wild klopfendem Herzen blickte die Drachenreiterin auf das unebene Blau, das sich gleich einem Wasserspiegel im Innern des Rings gebildet hatte. Sein schimmerndes Licht tauchte die ganze Halle in mattes Licht. Sie hatte es geschafft, hatte wieder Grund zu hoffen. Um die Aufregung unter den Sumpfwesen, die begann sich immer mehr auszubreiten, kümmerte sie sich nicht.

Viele hatten bereits in kopfloser Furcht die Halle verlassen, ihren eigentlichen Auftrag längst vergessen. Selbst als Rhyan ihren Platz an der Steuerkonsole verließ und auf den Ring der Vorfahren zutrat, unternahmen sie nichts, um sie aufzuhalten.

Schweren Herzens blickte die Drachenreiterin noch ein Mal zurück. Kane zurück zu lassen machte sie nicht glücklich. Ein Beigeschmack blieb, den Freund im Stich zu lassen. Dieses Mal wirklich. Aber sie sah keine andere Möglichkeit mehr.

Beinah eben so schwer fiel es ihr, 'Leid' zurück zu lassen. Sie konnte die Klinge nicht aus dem DHD entfernen, sonst würde das Wurmloch in sich zusammenbrechen. Zwar konnte niemand etwas mit dem Schwert anfangen, solange es Rhyan nicht gestattete und würde demnach unbeweglich an Ort und Stelle stecken bleiben. Aber sie hatte sich noch nie zuvor von der Klinge getrennt. Sie gehörte zu ihr, war ein Teil von ihr. Nur der Gedanke, dass sie zurückkehren und es wieder holen würde, konnte ihre aufgewühlten Emotionen besänftigen.

Entschlossen wandte sie sich ab. Ihr Entschluss war gefallen und sie würde nicht mehr davon zurück treten. Sie atmete tief ein, dann tauchte sie in das schimmernde Blau des Ereignishorizonts und ließ ihre Heimat ein mal mehr hinter sich zurück.

Ein verzweifelter Plan

„Unplanmäßige Gateaktivierung von außen.“

Annähernd synchron schossen John Sheppard und Dr. Elizabeth Weir aus ihren Stühlen in dem kleinen Büro der Expeditionsleiterin, als die Stimme des jungen Chuck aus der Kommandozentrale zu ihnen herüber schallte. Sie hatten sich gerade erst hier eingefunden, um über einen der zurückliegenden Außeneinsätze zu sprechen. Es befand sich kein Team mehr auf einer Mission und Besuch erwarteten sie auch keinen.

Mit weit ausgreifenden Schritten verließ der Colonel das Büro, wobei er einen neugierigen Blick durch das bodentiefe Fenster auf das Stargate eine Ebene tiefer warf. Die aufleuchtenden Symbole auf dem Ring bestätigten ein eingehendes Wurmloch. Hastig verschloss er seine taktische Weste wieder. „Was haben wir?“

Chuck blickte von der Steuerkonsole auf, dem hochgewachsenen Mann entgegen, und schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, Sir. Wir empfangen keinen ID-Code, aber es scheint, als versuche Carsultyal uns zu erreichen.“

Verwundert schoss Sheppards linke Augenbraue nach oben. Carsultyal? Rhyan war noch nicht so lange fort, dass es einen planmäßigen Besuch erklären würde. Nachdem ihnen allen der Abschied recht schwer gefallen war, hatte er angenommen, dass sich die Drachenreiterin erst einmal in ihrer alten Heimat zurückziehen und über ihr neu erworbenes Wissen nachdenken würde.

Allerdings hätte Chuck selbst dann keinen Grund so verstört dreinzuschauen.

„Es scheint?“ Sheppard verharrte kurz am oberen Ende der geschwungenen Treppe, welche hinab auf die Ebene mit dem Stargate führte, und ermöglichte es Elizabeth zu ihm aufzuschließen. „Wenn es Carsultyal ist, sollten Sie das Schild besser deaktivieren, sonst...“

„Sir, etwas an der Adresse ist merkwürdig.“

Nur widerwillig schweiften die Augen des Schwarzhaarigen für einigen winzigen Moment zu dem Techniker. Er hasste es so sehr, wenn seine Leute nicht zum Punkt kamen. „Also? Ich will nicht, dass unsere neu gewonnenen Freunde auf ihrer Seite durch das Gate treten, nur um gegen unseren Schutzschild zu prallen und zu verglühen.“

Hilflos hob der junge Mann die Schultern. „Ich habe dergleichen noch nie zuvor gesehen. Es ist definitiv Carsultyal, aber die Frequenz ist eine andere.“

Einen flüchtigen Moment schien Sheppard abzuwägen, was genau ihm diese Erkenntnis mitteilen sollte. Er war Soldat, kein Wissenschaftler, und konnte daher nicht allzu viel aus den Worten des Technikers entnehmen. Aber Carsultyal war kein Planet mit welchem sie in Streit lagen. Also kein Grund, das Wurmloch zu blockieren.

„Schild deaktivieren. Und rufen Sie McKay. Der soll sich diese Unregelmäßigkeit genauer ansehen.“, rief er über seine Schulter und sprang dann zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunter. Ein Trupp aus sechs Soldaten hatte bereits rund um den Eintrittsbereich Stellung bezogen und sicherte das Tor mit erhobenen P90-Maschinenpistolen.

„Schild ist deaktiviert.“

Kaum dass dieser Satz über Chucks Lippen gekommen war, stürzte eine schmutzstarrende Person aus dem Blau des Ereignishorizonts und taumelte in den Kreis aus erhobenen Waffen. Schwankend blieb sie dort stehen, einen unsicheren Blick in die Runde werfend. Dann blieben ihre flimmernden Augen an Sheppard hängen und ein schwaches Lächeln stahl sich auf ihre Züge.

„Rhyan!“ Mit wenigen Schritten war der Colonel bei der jungen Frau und fing sie gerade noch rechtzeitig auf, ehe ihre Beine endgültig entkräftet nachgaben und sie in seine Arme sackte. Sie bebte am ganzen Körper, Hitze und der stechende Geruch von Rauch gingen von ihrem Körper aus und ihr Atem ging schleppend.

„Bist du verletzt?“ Forschend blickte Sheppard in das schmutzige Gesicht und sank dann mit ihr zu Boden. Sie wurde immer schwächer. Ein kurzer Blick auf seine Finger zeigte zudem eine Menge Flüssigkeit, die ihn nur allzu sehr an Blut erinnerte. „Rhyan, hörst du mich?“

„Abschalten.“, krächzte sie rau. „Ihr müsst das Stargate abschalten. Gleich.“

Weir, die in der Zwischenzeit an der Seite des Colonels angelangt war und bestürzt auf die Drachenreiterin blickte, bellte einen entsprechenden Befehl zur Kommandozentrale hinauf. „Und wir brauchen hier ein ärztliches Notfallteam. Chuck, rufen sie Dr. Beckett! Schnell.“

Keinen Herzschlag später fiel das Wurmloch in sich zusammen, das strahlende Blau verschwand und der Raum sank zurück in sein ursprüngliches, sanft grünes Licht.

Unbeholfen lehnte Sheppard die halb bewusstlose Frau gegen seine Schulter und versuchte mit einigen kurzen, routinierten Handgriffen zu erforschen, was ihr überhaupt fehlte. Seine Finger tasteten über ihren Rücken und verharrten an einem tiefen Riss in dem bearbeiteten Leder. Darunter spürte er ein warmes Pulsieren.

„Rhyan, zum Teufel...“ Als er eine Hand hob, um seine Finger betrachten zu können, klebte helles, frisches Blut an ihnen. Sein Blick verdüsterte sich und auch Elizabeth neben ihm sog scharf die Luft ein.

„Scheinbar ist Carsultyal doch kein so friedlicher Planet wie wir angenommen haben.“ Es lag kein Tadel in den Worten der Expeditionsleiterin. Viel mehr eine tiefe Erschütterung. Dann blickte sie auf und trat zur Seite. „John, das Notfallteam.“

Behutsam hob der Colonel den erschlafften Körper der Drachenreiterin an, barg ihren Kopf an seinem Hals und ließ sie dann sanft auf die bereitgestellte Trage gleiten. „Halte durch, Rhyan.“ Er hauchte einen flüchtigen Kuss auf ihre heiße Stirn, dann wich er zurück, um den Ärzten nicht länger im Weg zu stehen und blickte dem davon huschenden Pulk mit sorgenvoller Miene hinterher.
 

Ihre Augenlider fühlten sich bleischwer an und widersetzten sich beharrlich ihren Bemühungen, die Augen zu öffnen. Der Schmerz war aus ihrem Körper verschwunden. Statt dessen fühlte sie sich, als wäre sie in warme, flauschige Watte gepackt, welche sich bis in ihren Geist erstreckte und ihre Gedankengänge zäh und träge werden ließ.

Sie konnte sich noch erinnern, dass sie durch das Stargate getreten war. Und genau so konnte sie sich an das sirrende Geräusch einer heran fliegenden Waffe und deren dumpfen Aufschlag erinnern, als sie ihr in den Rücken schlug. Schmerz hatte sie fast besinnungslos werden lassen und sämtliche darauf folgenden Erinnerungen ausgelöscht. Die Tatsache, dass sie jetzt schmerzfrei war, ließ die Drachenreiterin hoffen, dass sie es bis nach Atlantis geschafft hatte.

Erneut unternahm sie einen Versuch die Augen zu öffnen und zwang sie dieses Mal für wenige Zoll auseinander. Das Licht um sie herum war gedämpft und schmeichelte ihren gereizten Augen. Niemand lief umher, keine Stimmen waren zu hören.

Als sie vorsichtig den Kopf drehte, fiel ihr Blick auf eine zusammengesunkene Gestalt neben ihrem Bett. Den Kopf auf den Armen, schlief er tief und fest, sein Klemmbrett noch immer fest umklammert. Behutsam streckte Rhyan einen Arm aus und berührte den Schlafenden an der Schulter. „Dr. Beckett?“

Carson fuhr mit einem dumpfen Stöhnen aus seiner unbequemen Haltung in die Höhe, blinzelte verwirrt und strahlte die junge Frau dann mit einer herzerweichenden Wärme an, welche sie unweigerlich mit einem schiefen Grinsen erwidern musste. Seine Haare standen in wirren Strähnen von seinem Kopf. „Du bist wach!“

Sie beschränkte sich auf ein vorsichtiges Nicken. Das Bewegen fiel ihr seltsam schwer.

„Wunderbar. Damit hast du das Gröbste überstanden. Eine zähe junge Frau haben wir da, in der Tat.“ Er stand auf und schickte sich an, Rhyans Lager zu verlassen.

„Doktor...“ Ihre Stimme hörte sich schlimmer an als eine rostige Winde und kratzte erbärmlich in ihrem Hals. Zumal sie den Eindruck hatte, ihre Zunge sei um das doppelte angewachsen.

Carson hielt inne und drehte sich wieder zu ihr um. „Sei unbesorgt. Ich bin gleich wieder zurück, um all deine Fragen zu beantworten. Ich will nur schnell die anderen holen.“ Er zwinkerte verschmitzt. „Dann bleibt es dir auch erspart, alles zwei Mal zu erzählen.“

Rhyan hatte damit gerechnet, dass mit den anderen Dr. Weir und John gemeint sein würden. Um so erstaunter war sie, als neben diesen beiden auch Teyla und Ronon an ihrem Krankenbett erschienen. Selbst von Rodney wurden Grüße überbracht.

Ihr Herz wurde weit vor lauter Freude. Sie hatte ihre Freunde vermisst und dass sie so spät in der Nacht noch zu ihr kamen, erfüllte sie mit warmer Glückseligkeit. Wahrscheinlich grinste sie gerade wie eine Idiotin. „Zu viel der Ehre.“, krächzte sie mühsam.

„Keineswegs. Du hast uns die letzten Tage ordentlich in Atem gehalten und für reihenweise schlaflose Nächte gesorgt.“ Teyla setzte sich an das Fußende des Bettes. „Es ist gut, dass dies nun ein Ende hat.“

„Wie lange war ich...“

„Drei Tage.“, half der Doktor ihrer Gedächtnislücke auf die Sprünge. „Vier um genau zu sein. Es war später Abend, als du durch unser Stargate gestolpert bist.“

„Drei Tage?“ Mit großen Augen starrte sie den Schotten an.

„Allerdings. Deine Verletzung war keine Kleinigkeit, auch wenn der Angreifer seinen Treffer genau berechnet haben muss. Organe wurde keine getroffen, aber nur wenige Zentimeter weiter und die Schneide hätte deine Wirbelsäule getroffen. So viel Glück kann man nicht haben.“

Rhyan grinste schief, war sich da aber nicht so sicher. Die Ryliti waren zwar ausgesprochen gute Kämpfer, doch mit Waffen, die ihrer Art fremd waren, konnten sie nur bedingt umgehen. Vermutlich ein verzweifelter Versuch ihren Schritt durch das Tor zu verhindern.

Als sie Anstalten machte sich von ihrem Lager zu erheben, sank Sheppards Hand auf ihre Schulter, um sie mit sanftem Druck wieder zurück in die Kissen zu drücken. „Nicht so hastig, Mylady.“

Er lächelte leicht, als ihm die so Angesprochene einen giftigen Blick zukommen ließ. Seine Hand ließ er wo sie war. „Ansonsten bin ich hier immer der Unvernünftige, aber dieses Mal muss selbst ich gestehen, dass du besser noch ein Weilchen hier bleibst, damit sich die Wunde vernünftig schließen kann.“ Voller Unbehagen musste er an das viele Blut denken, dass an seinen Händen geklebt hatte.

„Der Colonel hat Recht.“ Carson nickte, ganz der pflichtverschriebene Arzt, und Rhyan stöhnte ergeben.

„Du hast viel Blut verloren. Mehrere Blutgefäße wurden durchtrennt, die ich nur mit Mühe wieder zusammenflicken konnte. Sie brauchen Zeit, damit sie nicht bei der nächstbesten Bewegung wieder aufbrechen.“ Als er den störrischen Blick der Drachenreiterin gewahrte, fügte er noch hastig hinzu: „Dann liegst du hier noch länger, bedenke das.“

„Aber ich habe diese Zeit nicht.“ Ihre Augen funkelten. „Ich bin nicht gekommen, um hier viel Zeit zu verbringen und auf der faulen Haut zu liegen.“

Dr. Weir, die dem Treiben bislang schweigend gefolgt war und am Fußende des Bettes Aufstellung bezogen hatte, musterte die junge Frau aus nachdenklichen Augen. „Was ist überhaupt geschehen?“

Rhyan schob sich mühsam in eine aufrechtere Position und versuchte damit ihr Unbehagen zu verbergen. Sie hatte gehofft, mit dieser Erklärung noch ein wenig warten zu können. Zumindest so lange, bis sie sich entsprechende Worte hatte zurechtlegen können. Überhaupt hatte sie eigentlich erst mit John sprechen wollen, ehe sie mit ihrem Anliegen zu Elizabeth vordrang.

Zumal sie ja selbst nicht einmal genau wusste, was sie überhaupt von den Atlantern wollte. Hilfe, ja. Unterstützung. Aber in welchem Rahmen?

Sie konnte die Blicke ihrer Freunde spüren. Ihre Ungeduld.

„Rhyan, verdammt, hör auf uns so auf die lange Bank zu schieben.“ Sheppard sank neben ihr in die Hocke.. Ehrliche Sorge stand in seinen grünen Augen. „Geht es Arokh gut?“

Sie wich seinem Blick aus. Die Frage traf sie tief. „Ich... denke schon.“ Ihre Brust wurde eng, als ihr klar wurde, dass sie bislang noch gar nicht so recht darüber nachgedacht hatte. Dass sie diesem Gedanken immer und immer wieder ausgewichen war. Zwar hatte sie gehört, dass Kane den Kampf gegen den Drachen eingestellt hätte. Aber das bedeutete nicht, dass Arokh auch unversehrt war. Tränen schossen ihr in die Augen. „Ich bin mir nicht sicher.“

„Was... soll das heißen?“ In Teylas Stimme schwang deutlich das Entsetzen mit, welches sie bei dem Gedanken an den verletzten oder gar toten Drachen verspürte. Den anderen erging es nicht viel anders. Wussten sie doch, wie eng die Verbindung zwischen ihm und seiner Gefährtin war.

Nur mühsam beherrschte sich die Drachenreiterin, aber ihre Stimme zitterte noch immer, als sie kurz und knapp umriss, was sich seit ihrer Rückkehr nach Carsultyal alles zugetragen hatte.

Von ihrer Absicht, dort hin zurück zu kehren und hierfür die Unterstützung der Atlanter zu erbitten, sagte sie jedoch noch nichts. Das wollte sie wirklich zuerst allein mit John besprechen. Ihn zu überzeugen würde nicht allzu schwer werden und sie würde seinen Rückhalt brauchen, wenn sie auch Dr. Weir von der Notwendigkeit dieser Mission überzeugen wollte.

Hinter den Fenstern der Krankenstation wurde der Himmel allmählich heller und nahm das zarte Rosa des nahenden Morgens an, als Rhyan ihren Bericht beendete und Carson die anderen, entsetzt über die verstrichene Zeit, davon scheuchte. Sie alle waren müde und selbst Rhyan verspürte eine tiefe Erschöpfung nach all dem Reden.

Den sanften Kuss, welchen Sheppard ihr zum Abschied noch auf die Stirn hauchte, bekam sie nur noch am Rande ihres Unterbewusstseins mit. Dann sank sie in die willkommene Schwärze eines erholsamen Schlafs.
 

Rhyan konnte nicht verhindern, dass sie nervös auf ihrer Unterlippe kaute, während sich das Schweigen in dem Besprechungsraum ausdehnte und jeder der Anwesenden gebannt drauf wartete, dass Elizabeth etwas zu dem geplanten Vorhaben der Drachenreiterin sagte.

Sheppard hatte die Bürde auf sich genommen, und seiner Vorgesetzten erläutert, wie genau dieser Plan aussehen sollte. Mit allen Winkeln und Kanten. Zwar hegte er keinen Zweifel, dass Rhyan nicht überzeugend genug sein könnte in ihrem leidenschaftlichen Bestreben die Hilfe der Atlantis-Expedition zu erringen. Doch befürchtete er, dass ihre heißblütige Ader sie allzu leicht über das Ziel hinaus schießen lassen würde.

Damit wäre Dr. Weirs Zuspruch verloren und so bereitwillig diese auch immer wieder die notwendige Hilfe zugestand, es brauchte ein geschicktes Vorgehen, um diese Bereitwilligkeit in vollem Maße zu erhalten.

Jetzt, wo der Colonel seine Ausführungen beendet hatte, blieb nur noch banges Warten und Hoffen. Und es machte die Drachenreiterin noch um ein vielfaches unruhiger, als sie ohnehin schon war.

Das Sitzen tat ihrem Rücken noch immer empfindlich weh, auch wenn die Verletzung bereits gut verheilt und ihr dauerhafter Aufenthalt auf der Krankenstation damit endlich beendet war. Aber die in Mitleidenschaft genommenen Muskeln schmerzten erbärmlich und so rutschte sie auf ihrem Stuhl umher, verzweifelt auf der Suche nach einer annehmbaren Haltung.

Es war ihr nicht möglich in dem Gesicht der Expeditionsleiterin zu lesen. Deren Augen hatten sich im Laufe von Sheppards Bericht auf Rhyan gerichtet und waren seither nicht mehr von ihr gewichen. Als könne sie durch ihre Brust direkt in ihr Herz und in ihre Seele blicken.

John hatte sie auf ganz ähnliche Art und Weise gemustert, als sie ihm ihr Vorhaben an diesem Morgen unterbreitet hatte. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, dass Carson ihr zum ersten Mal gestattete, die Krankenstation ganz zu verlassen, und hatte zusammen mit John einen etwas abgelegeneren Balkon aufgesucht.

Die frische Luft hatte ihren müden Geist wieder aufgerüttelt, das strahlende Licht der Sonne auf dem schier endlos weiten Meer hatte ihr Trost und Zuversicht gespendet. Viel länger durfte sie nicht mehr warten, ihre Bitte vorzubringen. Zeit genug, um über die passenden Worte nachzudenken, hatte sie gehabt.

Sheppard, der hinter ihr gestanden und ihren Körper mit seinen Armen umschlungen gehalten hatte, hatte geduldig gewartet. Sie hatte seinen warmen Atem in ihrem Nacken gespürt, das sanfte Heben und Senken seiner Brust im Einklang mit seinem Herzschlag in ihrem Rücken, und seine Hände, die immer wieder wie zufällig über ihre bloßen Arme glitten.

Es war ihr schwer gefallen mit ihren Gedanken bei der Sache zu bleiben, doch auf der anderen Seite hatte sie sich in dieser schützenden Geborgenheit derart gestützt gefühlt, dass sie den nötigen Mut für ihre Worte zu finden vermochte.

Den Blick fest auf den Ozean zu ihren Füßen gerichtet, begann sie zuerst stockend, dann immer sicherer von Kane zu erzählen. Wie sie ihn kennen gelernt hatte, wie er ihr wieder und wieder das Leben gerettet hatte und ihr in ihrem verzweifelten Ringen mit ihrem Drachenerbe zur Seite gestanden hatte. Weshalb er ihre Vergangenheit hinter einem Vorhang des Vergessens hatte verschwinden lassen.

Sie zwang sich dazu, auch von seinem Fluch zu reden, von seinen schwarzen Abgründen, die ihn nunmehr vollends verschlungen zu haben schienen. Und ihrem verzweifelten Kampf, welcher in ihrer halsbrecherischen Flucht nach Atlantis geendet hatte.

Sheppard hatte sie nicht ein einziges Mal unterbrochen und auch als sie mit ihrem Bericht ans Ende gelangt war, schwieg er nachdenklich. Seine Hände glitten über ihre Arme, verursachten einen wohligen Schauer.

„Rhyan, habe ich das richtig verstanden, dass du hier von dem selben Mann redest, der Arokh angegriffen und dich hat verfolgen lassen? Der Selbe, der dieses Dorf niedergebrannt und dessen Einwohner hingerichtet hat?“ Seine Nase wühlte sich in ihr Haar. „Es erscheint mir sehr... merkwürdig, dass dir solch eine Person derart am Herzen liegt. Auch nach allem, was du vorher erwähnt hast. Dieser Mann hat dein Leben und das deines Drachen bedroht.

Ich verstehe, dass du unsere Hilfe brauchst, um diesen Kane aufzuhalten und um Arokh zu schützen. Wir werden alles nur erdenkliche unternehmen, dich und Arokh hier her und in Sicherheit zu bringen. Aber...“

„John.“ Rhyan löste sich behutsam, aus seiner Umarmung und drehte sich zu dem Schwarzhaarigen um. Ihre dunklen Augen blickten ihn voller Verzweiflung an. „Das allein ist es nicht. Ich...“ Vergebens suchte sie nach den richtigen Worten.

Ihre Hände strichen über Sheppards Brust, nahmen die Wärme wahr, die sie durch das schwarze Shirt spüren konnte. Herrgott, sie sehnte sich so verzweifelt nach seiner Nähe. In seinen Armen das Vergessen zu finden und sich einfach nur seiner allumfassenden Zuneigung hinzugeben. Es wäre so einfach, diese Last zumindest für einige wenige Stunden abzustreifen.

Aber sie würde Kane nicht in dieser Art und Weise verraten.

„John, er ist kein Monster! Dieser Fluch... er zerreißt seine Seele seit Jahrhunderten. Jeder von uns würde dem Wahnsinn nahe stehen, wenn er so wie Kane immer und immer wieder das selbe Leid erfahren müsste. Alles verliert seinen Wert, wenn nichts außer das eigene Leben beständig ist.“

Aufrichtig schaute sie dem Colonel ins Gesicht und Tränen schimmerten in ihren Augen, die sie nicht länger zu verbergen vermochte. „Er ist für mich wie ein Bruder, den ich nie hatte. Ein Weggefährte, der zu weit mehr wurde als das. Jahre lang war er meine ganze Familie. Ich kann und werde nicht daneben stehen und zusehen, wie sein Hass seine Seele zerfrisst. Aber dazu brauche ich eure Hilfe. Allein schaffe ich es nicht.“

Sheppard nickte langsam, aber seine Züge blieben nachdenklich. „Ich sehe, dass es dir ernst ist. Sehr ernst. Auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Allerdings bin ich durchaus bereit, dir zu glauben, wenn du sagst, dass Kane keineswegs dieses Monster ist, welches deine Geschichten erschaffen.“

Er hob seine Hand, legte sie federleicht auf ihre Wange und zog mit seinem Daumen den Schwung ihres Wangenknochens nach, wischte eine verirrte Träne fort. „Du würdest das nicht behaupten, wenn du nicht daran glauben würdest. Aber Rhyan, wie stellst du dir unsere Unterstützung vor? Ich kann für einen militärischen Ausgleich sorgen. Für Waffen. Aber das erscheint mir nicht der Weg, den du gutheißen würdest.“

Darauf hatte sie keine Antwort finden können. Sie wusste es doch selber nicht, wie man diese verzwickte Lage überhaupt noch ohne militärische Gewalt lösen konnte und sie hatte so sehr gehofft, dass ihr hier jemand diese Frage würde beantworten können. Dass diese Hoffnung vielleicht falsch gewesen war, ließ den gähnenden Abgrund der Verzweiflung in ihrem Innern um vieles wachsen.

Wortlos hatte Sheppard sie zurück in seine Arme gezogen und festgehalten, bis das Zittern ihren Körper wieder freigegeben hatte.

Dieses Zittern kehrte nun zurück, während sie alle gebannt auf eine Antwort der Expeditionsleiterin warteten.

Sheppard hatte nicht gezögert und neben Elizabeth auch Teyla und Ronon gebeten, an der Beratung teilzunehmen. Er baute darauf, dass sie mit Hilfe von Dr. Weirs diplomatischem Hintergrund und Teylas umfangreichen Wissen über fremde Bevölkerungen ein Idee finden würden, Rhyans Ratlosigkeit zu beheben.

Für ihn selber stand nicht zur Debatte, dass ein Usurpator wie Kane es zu sein schien, keinerlei Gnade verdient hatte. Jemand der derart rücksichtslos mit dem Leben seiner wehrlosen Untergebenen umsprang, verdiente ein entsprechendes Echo. Nur Rhyans offenkundige Loyalität gegenüber dieses Mannes hatte ihn stutzig werden lassen.

Endlich beendete Dr. Weir das quälende Schweigen, indem sie ihre Worte an die Drachenreiterin wandte: „Ich gebe zu es missfällt mir, einem Kriegstreiber wie diesem Kane auch noch eine helfende Hand zu reichen. Warum sollten meine Leute das tun?“

Rhyan schloss kurz die Augen, um ihre Enttäuschung zu verbergen. John hatte sie gewarnt, dass Elizabeth trotz allem große Zweifel haben würde. „Nicht für seine Pläne, Carsultyal zu unterwerfen. Das will ich genau so wenig. Eine helfende Hand, um ihm einen anderen Weg zu ermöglichen, friedlich mit der Bevölkerung nebeneinander zu leben.“

Sie beugte sich vor und blickte die Expeditionsleiterin mit aufgestützten Ellenbogen an. „Bitte, Dr. Weir. Der einzige Grund, aus welchem Kane zu Gewalt gegriffen hat, ist, dass das Volk ihn zum wiederholten Mal gejagt und vertrieben hat. Sie haben ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt und sein Heim niedergebrannt. Sie haben zuerst Gewalt angewendet und deutlich gemacht, dass sie ihn töten würden, sobald sie seiner habhaft werden würden. Wie sonst hätte er reagieren sollen, wenn nicht selbst mit Gewalt?

Er hat ihnen nichts getan. Dieses eine Mal nicht. Im Gegenteil, er hat sie gemeinsam mit mir von der Terrorherrschaft des Hohepriesters Prirates befreit und mir dabei geholfen, diese Menschen wieder lebensfähig zu machen. Er hat eine Chance verdient! Diese Leute haben ihn einzig aus dem Grund gehetzt, weil längst vergessene Legenden wieder ans Tageslicht getreten sind. Ereignisse, die tief in der Vergangenheit ruhten und besser vergessen bleiben sollten.

Kane hat Fehler begangen, das streite ich nicht ab. Aber selbst jemand wie er hat es verdient, ohne die Schatten dieser Legenden zu leben. Zu beweisen, dass es auch anders geht. Aber die Menschen gestehen ihm dies nicht zu.“

Gebannt starrte Rhyan in die Augen ihres Gegenübers. „Bei allem Respekt, Ma'am. Ich kann verstehen, weshalb er den Weg des Krieges einschlägt, wenn sich doch offensichtlich eh niemals etwas ändert. Warum sollte man sich dann die Mühe machen, die Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, wenn sie es nicht anders wollen?“

Eine Augenbraue der Expeditionsleiterin hob sich in erstauntem Respekt. Niemand hatte erwartet, dass Rhyan so offen sprechen würde. „Und du glaubst, dass es möglich wäre?“

Die Lippen der Drachenreiterin wurden zu schmalen Strichen und sie lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück. Dabei huschte ihr Blick unsicher hinüber zu Sheppard, der jedoch nur mit ebenso fragender Miene den Kopf neigte. „Ich weiß es nicht.“

Fahrig strich sie sich einige widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn. Es war Blödsinn zu lügen, aber das allein war ihre letzte Hoffnung. „Es ist die letzte schwache Möglichkeit, die ich sehe. Ich selbst habe keine Ahnung von diesen Dingen, als dass ich in der Lage wäre, Kane einen derartigen Weg plausibel deutlich zu machen. Politik... ist nicht meine Stärke.“

Erstaunt musste sie feststellen, dass ein kaum erkennbares Schmunzeln Dr. Weirs Züge aufhellte. „Nun, da können wir möglicherweise tatsächlich Abhilfe schaffen. Aber ich muss noch einmal fragen: Wird Kane auf Verhandlungen eingehen, wenn wir es schaffen sollten, die Bereitschaft der Bevölkerung zu erringen?“

„Dafür werde ich sorgen.“

„Also gut.“ Elizabeth nickte Sheppard zu. Das schwache Schmunzeln hatte sich zu einem etwas schiefen Grinsen gewandelt. „Geht, aber seid vorsichtig. Bei dem geringsten Anzeichen, dass die Verhandlungen nutzlos sind, kehrt ihr nach Atlantis zurück.

Ich würde es selbst versuchen, aber ich werde hier gebraucht, tut mir Leid, Rhyan. Aber ich bin davon überzeugt, dass Teyla eine ebenso große Hilfe bei den Gesprächen sein wird.“ In ihrem klaren, unerschrockenen Blick lag viel Freundlichkeit, als sie der Drachenreiterin die Hand reichte. „Sie und ihr Drache werden hier auf Atlantis jederzeit willkommen sein.“

Rhyan erwiderte den Händedruck dankbar und ein wenig verlegen. Dr. Weir hatte ihr damit uneingeschränktes Asyl angeboten, sollten sich die Dinge in Carsultyal zum Schlechten wenden.

Zweifelhafte Aufrichtigkeit

Mehrere Stunden waren sie nun schon durch die drückende Hitze des Sumpfes gewandert, immer dicht auf den Fersen der Drachenreiterin, die in dem fruchtlosen Bemühen einen einigermaßen trockenen Weg durch das Labyrinth aus Tümpeln und Wasserläufen zu finden, die Führung der kleinen Gruppe übernommen hatte. Jeder von ihnen war mittlerweile bis zu den Knien von kaltem Schlamm bedeckt und Scharen von Fliegen, angelockt von unaufhaltsam rinnendem Schweiß, folgten ihnen auf Schritt und Tritt. Die Sonne, obwohl von einem dichten Dunstschleier verhangen, brannte unbarmherzig auf Kranor-Rill nieder. Dass jenseits der Grenzen des Sumpfes tiefer Winter herrschen sollte, konnte sich keiner der Atlanter so recht vorstellen.

Sheppard war nur dankbar, dass sie McKay mit seinem Wissenschaftsteam und einer kleinen Gruppe Soldaten in den Ruinen der Stadt zurück gelassen hatten. Er konnte sich nur allzu gut ausmalen, wie dieser Marsch ansonsten geendet hätte. Die Fliegen wären auf einen unbedeutenden Störfaktor geschrumpft im Vergleich zu Rodneys Schimpftiraden.

Das entsetzte Gezeter des Kanadiers war schon nervenaufreibend genug gewesen, als sie das Schlachtfeld zu sehen bekommen hatten, welches sich in dem weiten Saal vor dem Stargate eröffnet hatte, in dem er und sein Team arbeiten sollten. Zumal sich der Großteil der Leichen direkt vor dem DHD befand und somit Rodneys Bemühungen, dieses wieder funktionsfähig zu machen, erst einmal vereitelte.

Hinzu kam noch der damit verbundene stechende Gestank. Die Luft zwischen den hohen Mauern war unbeweglich und warm, hatte die Verwesung der Leichen vorangetrieben. Der Colonel beneidete die Wissenschaftler kein bisschen, dass sie unter solchen Bedingungen arbeiten mussten.

Notdürftig hatten sie die Toten zur Seite geschafft, wobei die Atlanter voller Abscheu auf die ihnen so fremden Froschkreaturen geblickt hatten, im Tod seltsam deformiert und aufgedunsen. Aber es hatte keinen Platz gegeben, an dem sie diese hätten verscharren können. Die Geruchsbelästigung würde demnach bestehen bleiben und bei diesen Temperaturen vermutlich auch noch zunehmen.

So hatten sie alle mit irgendwelchen Unannehmlichkeiten zu kämpfen.

Es war helllichter Tag gewesen, als sie durch den Ereignishorizont nach Carsultyal gekommen waren. Doch als sie jetzt aus dem Dickicht traten und unverhofft auf den Vorposten trafen, stand die Sonne schon tief und sandte ihre Strahlen in schrägen Bahnen durch die Wipfel der Büsche und Bäume. Die gedrungenen und halb verfallenen Gebäude wirkten schattendurchwirkt und bedrohlich.

„Wir sind da.“, murmelte Rhyan, nachdem auch sie einen Augenblick schweigend auf die Bauten gestarrt hatte. Das ungute Gefühl in ihrem Innern hatte sich zu einem harten Knoten in ihrem Magen zusammengeballt. Sie vermochte nicht zu ahnen in welcher Stimmung Kane sein würde, nachdem sie so unversöhnlich auseinander gegangen waren. Dazu kam noch, dass sie mit ihm fremden Personen aufkreuzte, was im Grunde genommen nicht die weiseste Entscheidung war, wenn man seinen momentanen geistigen Zustand bedachte. Ihr erneutes Zusammentreffen stand daher unter keinem guten Stern.

Sie würde darauf vertrauen müssen, dass er ihr die Möglichkeit gab, sich zu erklären. Dass er ihr zuhören würde. Er hatte sie gesucht, nachdem sie aus dem brennenden Dorf geflohen war. Jetzt war sie zurückgekehrt. Aus freien Stücken und nicht verschleppt von seinen Untergebenen. Es musste genügen, um den Krieger von ihrem Vertrauen zu überzeugen.

Die Atlanter folgten ihr in die nasskalten Tunnel nicht ohne einen gehörigen Widerwillen und Rhyan konnte es ihnen nicht verübeln. Sie war kaum in der Lage, ihre Nervosität vor ihren Freunden zu verbergen und sie selbst hatte sich bei ihrem ersten Betreten gefühlt, als steige sie in ein Grab hinab. Insgeheim war die Drachenreiterin daher auch durchaus froh, dass sie auf eine schwere Bewaffnung verzichtet hatten. Zum einen hätte ein solch militärischer Aufmarsch Kane keinerlei Spielraum gelassen, zum anderen wollte sie ein versehentliches Gefecht zwischen ihren Freunden und den fremdartigen Sumpfbewohnern vermeiden.

Lange hatte sie mit Sheppard darüber streiten müssen. Der Colonel war nicht bereit gewesen seine Leute so ungeschützt auf diese Mission zu schicken, nach all dem was Rhyan über Kane berichtet hatte. Und natürlich konnte sie seine Argumente verstehen, aber sie konnte es nicht zulassen.

Der Krieger kannte derartige Kriegswaffen zwar nicht, aber Rhyan zweifelte nicht, dass er deren Zweck äußerst schnell durchschauen und verstehen würde. Die nächste Gefahr bestünde dann darin, dass er sich die Macht dieser Waffen zu Nutze machen könnte, ob mit oder ohne dem Einverständnis der Atlanter. Das Volk Carsultyals hätte dann überhaupt keine Chance mehr, sich gegen den Krieger zur Wehr zu setzen.

Rhyan hatte nicht derart deutlich werden wollen, da sie befürchten musste, dass Sheppard auf Grund dieser neuen Informationen von dem Vorhaben zurücktreten würde. Aber aufgebracht wie sie während dieses Streits gewesen war, hatte sie ihm diese Fakten an den Kopf geworfen, ohne an die Konsequenzen zu denken.

Nach langem Hin und Her hatte der Colonel sich dann bereit erklärt, die Waffen bei dem Wissenschaftsteam in den Ruinen zurück zu lassen und im Falle einer drohenden Eskalation mit Hilfe von Arokh von dort zu holen. Mehr hatte sie nicht erwarten können.

Ohne weitere Umschweife leitete Rhyan die kleine Gruppe immer tiefer in die Eingeweide des Gemäuers und strebte dem Empfangssaal entgegen. Zu dieser Tageszeit hatte sich der Krieger immer gerne in dem weitläufigen Raum mit den vielen Fenstern aufgehalten, durch welche die untergehende Sonne herein schien. Scheinbar fand er dort zumindest für ein paar Augenblicke Frieden vor seinem rastlosen Geist.

Die wenigen Menschen und Ryliti die unterwegs ihren Weg kreuzten, blickten dem ungewöhnlichen Tross neugierig hinterher, machten aber ansonsten keinerlei Anstalten ihr Vorankommen zu behindern. Selbst die beiden Wachen, welche vor dem mächtigen Zugangstor des Saales postiert waren, öffneten die Eichenflügel ohne eine Aufforderung seitens der Drachenreiterin.

Da die rote Scheibe der Sonne bereits tief über dem dunstverhangenen Horizont schwebte, war der dahinter liegende Raum nur leidlich durch das versprengte Licht unruhig flackernder Fackeln erleuchtet. Vereinzelte Kohlebecken waren aufgestellt worden und der Kamin entlang der Westseite brannte in voller Ausdehnung. Die Nächte in Kranor-Rill konnten trotz den brütenden Tagestemperaturen empfindlich kalt werden.

Rhyan wurde bei diesem Anblick flau im Magen. Sie hatte Kane im Feuerschein verlassen und kehrte nun im Feuerschein zu ihm zurück. Entschlossen straffte sie die Schultern und trat dann mit Sheppard an ihrer Seite in den Saal. Sie durfte sich jetzt keine Schwäche erlauben.

Der Krieger saß wie erwartet auf seinem hochlehnigen Stuhl, leicht in sich zusammen gesunken und den Blick nach draußen in die dunkler werdende Abenddämmerung gerichtet. In seiner Rechten ruhte ein irdener Pokal, am Fuß des Hochsitzes standen zwei Flaschen. Ein davon war bereits vollständig geleert.

Mit dem einen Bein über der Armlehne hatte er den Neuankömmlingen seine Seite zugewandt und auch als er unerwartet zu sprechen begann, blickte er nicht zu ihnen herüber. „Hast du also deinen Weg hier her zurück gefunden, Rhyan? Du warst lange fort... ich dachte nicht, dich hier noch einmal wieder zu sehen.“

Der Krieger verstummte, so als erwarte er eine Antwort von der Drachenreiterin. Aber sie schwieg. Es gab nichts, was sie darauf hätte sagen können.

Enttäuschung huschte über seine Züge. Zu flüchtig, als dass es in dem Zwielicht aufgefallen wäre. „Es ist gut, dich wieder hier zu haben. Dass du an meiner Seite stehst. Die Lage hat sich verschlechtert, seitdem du... fortgegangen bist. Aber ich verstehe wenn du Zeit zum Nachdenken gebraucht hast. Dass du zurück gekommen bist spricht dann wohl für deine Entscheidung, gemeinsam mit mir zu beenden, was wir begonnen haben.“

Rhyan zauderte. Offenbar nahm Kane an, dass sie allein erschienen war, ansonsten würde er nicht so unbefangen sprechen. Aber sie wagte nicht, ihn zu unterbrechen. Seine zur Schau gestellte Lässigkeit und die Gleichgültigkeit, mit welcher er über die Tatsache hinweg ging, dass er sie, Rhyan, hatte verfolgen lassen, weckten ihre Streitlust von neuem. Nur war ihr zu gut bewusst, dass dies nicht der richtige Moment war, um ihrer Empörung über eine solche Behandlung Luft zu verschaffen.

„Ich hätte es bedauert, wenn du jetzt, so kurz vor der Erfüllung unserer Pläne, deine Meinung geändert hättest. Diese Menschen... sie verstehen einfach nicht, dass wir ihnen zu einem besseren Leben verhelfen können. Dass sie mit unserer Hilfe eine Entwicklung durchleben können, welche sie unter den gegebenen Umständen niemals erreichen würden. Sie sind dumm und beschränkt in ihren Gedanken.“ Er schnaubte verächtlich.

Die Kurzsichtigkeit des Volkes, so wie er deren Reaktionen scheinbar einschätzte, verärgerte ihn sichtlich. Was Rhyan immer wieder versucht hatte ihm klar zu machen, dass es nicht an ihren Ideen oder Plänen selbst lag, sondern an der Art und Weise wie Kane dies umzusetzen versuchte, schien vollständig in Vergessenheit geraten zu sein.

Mit einem langen Zug leerte der Krieger seinen Becher, nur um ihn dann achtlos zu Boden fallen zu lassen. Seine Züge hatten sich verdüstert. „Du bist geschickter im Umgang mit ihnen, das muss ich neidlos anerkennen. Immerhin verdanken sie dir überhaupt ihre jetzige Freiheit. Sie würden noch immer in Dreck und Elend leben.

Aber kaum dass man ihnen Erleichterung verschafft, werden sie undankbar und ketzerisch. Es ist immer das gleiche. Im Grunde sind sie weder deine noch meine Aufmerksamkeit wert.“

Er lachte böse. „Aber gut. Wenn sie es nicht anders wünschen... Ich denke, wir sollten ihrem Begehren nach einer starken Hand, die sie leitet, nachgeben. Meinst du nicht auch? Ich habe kein Interesse daran zuzusehen, wie sie unsere Bemühungen mit den Füßen treten, nur weil ihre kleingeistigen Seelen nicht begreifen wollen. Wenn man sie erst mit der Nase in den Dreck stoßen muss, damit sie ihn als solchen erkennen, werden wir ihnen eben dabei behilflich sein. Wenn sie erst einmal erkannt haben, dass man uns nicht einfach ignorieren sollte, wird der Widerstand ganz von allein verstummen.“

Die Drachenreiterin konnte ein Schaudern nicht mehr unterdrücken, als sie diese Worte hörte. Kanes Gedankengänge waren sprunghaft, schwer nachvollziehbar. Und gefährlich. Ihr gefielen diese scheinbar fixen Eingebungen keineswegs, zumal ihr die Falschheit seiner Annahmen gleich Leuchtbuchstaben vor Augen stand. Versunken in seinem verletzten Stolz, missverstanden von allen und jedem um sich herum, dämmerte er in einem wankelmutigen Zustand des Betrunkenseins und begriff nicht, was er da redete.

Zumindest wäre das bei dem Kane der Fall gewesen, den sie noch vor wenigen Mondumläufen gekannt hatte. Mittlerweile konnte sie nicht mehr mit Gewissheit behaupten, dass er diesen sträflichen Fehler auch jetzt noch als solchen ansah.

Ihr wurde heiß, als ihr das Blut in die Wangen schoss, und sie wagte es nicht zu Sheppard zu blicken, der noch immer schweigend und reglos neben ihr stand. Das Bild, welches der Krieger zur Zeit vermittelte, war abschreckend. Beinah beängstigend. Zwar signalisierte die Art, wie er auf dem riesenhaften Stuhl saß, Harmlosigkeit und Gelassenheit. Doch die von ihm ausstrahlende Aura strafte diesen Eindruck Lügen. Gleich zähflüssigem Nebel klebte Wut und Zorn an dem Verfluchten. Es hätte Rhyan nicht verwundert, wenn das Team um Sheppard postwendend den Saal wieder verlassen hätte und sie selbst ab sofort für geisteskrank halten würde.

Statt dessen wandte Kane endlich seinen Kopf und blickte zu der Flügeltür hinüber, als eine Reaktion seitens der Drachenreiterin erneut ausblieb. Milde Verwunderung schimmerte für einen winzigen Moment durch den dichten Nebel des Alkolhols, ehe sich sein Gesicht verschloss und er mit kalter Berechnung die Neuankömmlinge musterte. „Du bist also nicht allein. Verstehe...“

Er schwang sein Bein von der Armlehne, beugte sich vor und starrte jeden Einzelnen von ihnen unter seinen dichten Augenbrauen hinweg an. Er wirkte wie ein Raubtier, das jeden Moment zum Sprung ansetzen konnte. „Möchtest du mir deine Begleiter nicht vorstellen?“

In Rhyans Schädel überschlugen sich die Gedanken, als sie händeringend nach einem Beginn für ihre so säuberlich zurecht gelegte Erklärung suchte. Alles was sie sich vorher immer und immer wieder gesagt hatte, war verschwunden und durch ein gähnendes schwarzes Loch ersetzt worden.

Die blauen Augen des Kriegers schienen ihr bis auf die Seele zu blicken und fesselten sie, unfähig sich irgendwie dagegen zur Wehr zu setzen. In ihnen konnte sie seine verärgerte Anklage lesen. Der Krieger war mächtig erbost, dass sie mit Fremden bei ihm aufkreuzte. Erfüllt von dieser schwelenden Wut tat er es schon wieder. Er drang ein weiteres Mal mit seiner schmutzigen Magie auf Rhyan ein. Ihr blieb nichts, außer sich zähneknirschend dagegen aufzulehnen.

„Verzeiht unser spätes Eintreffen. Ich bin Lieutenant Colonel John Sheppard.“ Der Atlanter neigte leicht seinen Kopf, eher eine Andeutung als eine ehrliche Respektbezeugung. Ihm war die Stimmung in dem weitläufigen Saal keineswegs entgangen. Ebenso wenig wie Rhyans plötzliche Anspannung. Die Härchen in seinem Nacken kribbelten ob der deutlich spürbaren Gefahr, welche die Luft um sie herum wie vor einem Gewitter knistern ließ. Dieser rothaarige Teufel auf dem Stuhl vor ihm sollte wirklich ein Freund der Drachenreiterin sein?

Entschlossen drängte er seine Bedenken in den Hintergrund. „Das sind Ronon Dex und Teyla Emmagan. Rhyan hat sich an uns gewandt, da sie unsere Unterstützung bei den diplomatischen Verhandlungen mit Ihrem Volk als hilfreich einschätzt.“ Innerlich schnitt er eine Grimasse. Derart gestelzt hatte er sich schon ewig nicht mehr ausgedrückt.

Kanes Augen wurden schmal, als er den hochgewachsenen Mann eingehend musterte. Viele Herzschläge verstrichen. Dann lehnte er sich betont lässig in seinem Stuhl zurück, ein fadendünnes Lächeln auf den Lippen. „Ihr seid also die Menschen aus der Stadt in den Sternen. Atlantis, richtig? Rhyan erzählte mir von euch. Ihr stammt von der selben Welt wie sie.“

Sheppard nickte. Die intensive Inaugenscheinnahme durch den Krieger war ihm unangenehm, aber da Rhyan neben ihm noch immer nicht aus ihrer Schweigsamkeit erwachte, blieb ihm keine andere Wahl, als das Gespräch weiter zu führen. Die Züge der Drachenreiterin waren angespannt und blass.

„Das tut sie. Daher ist es für uns auch selbstverständlich, unsere Hilfe anzubieten. Unsere Unterstützung kann ihr gewiss sein, sie hat sich als eine wertvolle Verbündete und gute Freundin herausgestellt.“ Er lächelte unverbindlich.

„Ist das so? Und wie glaubt ihr also, dass ihr Rhyan und mir behilflich sein könnt?“ Kanes Stimme war gefährlich leise. Noch immer entließ er Sheppard nicht aus seinem stechenden Blick. Auch nicht, als er sich unerwartet von seinem Sitz erhob und auf die Gruppe zuschritt. Seine Bewegungen waren geschmeidig, wie die einer Katze, und ließen die Selbstsicherheit und die Kraft des Kriegers spielerisch erscheinen. Sheppard verschwand fast vollständig in seinem Schatten, als er dich vor dem Atlanter zum Stehen kam und auf diesen herab schaute.

„Ich muss gestehen, dass ich nicht viel von Diplomatie, dem sinnlosen Austausch falscher Worte und Versprechungen, halte. Ihr kennt die Menschen dieser Welt nicht. Ihr habt keine Ahnung wie sie geschichtlich und kulturell mit sich und ihrer Vergangenheit verankert sind. Und dennoch taucht ihr hier auf und behauptet, eure Sache besser zu machen als Rhyan und ich zuvor? Erklärt mir, weshalb ich das nicht als Beleidigung ansehen sollte und warum ich euch nicht sofort für diesen Frevel töten sollte.“ Fast sah es so aus, als würde das kalte Blau seiner Augen in einem inneren Feuer auflodern.

Die Präsenz des Mannes war niederdrückend und Sheppard musste sich beherrschen, um nicht instinktiv zurück zu weichen. Der Krieger war ein Riese von einem Mann, bestimmt über zwei Meter, und schien aus nichts weiter als enormen Muskelpaketen und Sehnen zu bestehen. Er hatte einen Brustkorb wie ein Fass und Sheppards Oberschenkel waren weit nicht so kräftig wie dessen Oberarme. Sein rotes Haar schimmerte im Schein des Feuers kupfern, wurde durch ein Band zurückgehalten und fiel ihm bis knapp auf die Schultern. Ein Vollbart verdeckte das meiste des derben Gesichts. Dem Colonel fiel es unwahrscheinlich schwer, das Alter des Mannes zu schätzen. Ganz grob vielleicht irgendwo zwischen dreißig und vierzig Jahren.

Ronon, der hinter seinem Freund Aufstellung bezogen hatte, gab ob dieser unverkennbaren Herausforderung ein verärgertes Grollen von sich und schickte sich an, Kane entgegen zu treten. Doch Sheppard hielt ihn mit einer knappen Handbewegung zurück. Der Sateder sah diesen rothaarigen Hünen lediglich als einen würdigen Gegner an und er würde nicht zögern, sich mit dessen Kampfgeschick zu messen. Aber etwas an Kane warnte Sheppard, derart leichtsinnig zu sein.

Kanes Lippen verzogen sich zu einem dämonischen Lächeln. „Ihr nennt euch Freunde, redet von Respekt und Loyalität. Behauptet, dass diese Rhyan zustehen würde allein aus dem Grund, weil sie von eurer Welt stammt. Das ist eine lächerliche Lüge!

Ihr seid es doch gewesen, die sie überhaupt erst verstoßen habt. Ihr Menschen, die ihr euch für etwas Besseres haltet als Kreaturen, welche auch nur einen Funken von euren normalen Vorstellungen abweichen. Wo wart ihr, als sie ihresgleichen gebraucht hat?

In euren Augen ist Rhyan nichts anderes als ein Sonderling, eine Missgeburt, entstanden aus den kranken Launen eures nichtsnutzigen Gottes. Und jetzt kreuzt ihr hier auf, stolziert in ihr Leben und verschleiert ihren Geist mit Versprechungen, die ihr nicht zu halten vermögt. Hier hat sie wenigstens Freunde, Menschen die sie akzeptieren und ihre Situation verstehen. Die ihr ein Heim bieten können. All das könnt ihr nicht und habt oft genug bewiesen, dass ihr es auch nicht wollt.“

Ehrlich betroffen schielte Sheppard zu Rhyan hinüber. Sollten sie wirklich ein solch schlechtes Bild abgegeben haben? Schmerzhaft musste er sich daran zurück erinnern, welch ein Kampf es gewesen war, Rhyan überhaupt die Möglichkeit zu verschaffen sich frei in der Stadt der Antiker bewegen zu können. Das Misstrauen ihr gegenüber war allgegenwärtig zu spüren gewesen.

Die Drachenreiterin stand mit zu Fäusten geballten Händen neben ihm, angespannt bis in die Haarwurzeln, und starrte mit verkniffenem, wutverzerrten Gesicht auf den Krieger. Ansonsten blieben ihre Gedanken verborgen.

„Es mag sein, dass das Volk der Erde Unrecht begangen hat, als Rhyan ihren Weg zurück in ihre Gesellschaft gesucht hat. Für jemanden wie uns... ist es niemals leicht in einer solch geregelten Struktur zu existieren.“ Teyla lächelte vorsichtig. Sie hatte sich durch eine minimale Drehung ihres Oberkörpers in den Weg des Kriegers bewegt und so dessen Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Eine behutsame, doch gleichzeitig auch bestimmte Art und Weise das unruhige Umherwandern zu unterbinden. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit solch schwierigen Personen zu tun hatte. Aber sie musste sich eingestehen, dass Kanes einschüchterndes Wesen selbst jemanden wie sie zögern ließ.

Als der Krieger sie mit seinem düsteren Blick bedachte, meinte sie eine Spur Verwunderung darin zu erkennen und sah es als gutes Zeichen, dass er den verborgenen Wink in ihren Worten verstanden hatte. „Ganz recht. Auch ich stamme nicht von dieser Welt, die sie Erde nennen. Genau so wenig wie Ronon hier. Meine Heimatwelt war der Planet Athos, bis die Wraith ihn zerstört haben. Ich bin ihre Anführerin und doch habe ich mich den Menschen auf Atlantis angeschlossen. Wir werden toleriert und sogar akzeptiert. Wir haben Freunde und man vertraut uns.“ Teyla legte wie zum Beweis ihre Linke auf Rhyans bebende Schulter. „Und wir vertrauen ihr. Es ist keine Lüge, dass sie bei uns einen Zufluchtsort hat, wenn sie jemals einen benötigen sollte.“

Kane schnaubte nur, ein verzerrter Ausdruck eines emotionslosen Lachen, und starrte die Athosianerin vor sich an, die beinah zwei ganze Köpfe kleiner war als er. Doch Teyla hielt diesem Starren stand. Furchtlos erwiderte sie die Musterung. „Es liegt uns fern irgendwelche Kritik zu äußern, welche sich auf die bisherigen Vorstöße durch Rhyan und Sie bezieht, Ordnung unter dem Volk zu schaffen. Rhyan hat uns zwar zuvor ausführlich über die Lage der ansässigen Bevölkerung informiert, dennoch steht es uns nicht zu, über die fehlgeschlagenen Versuche für Frieden zu sorgen, zu urteilen.

Aber meine Freunde und ich haben schon viele Welten bereist und schon häufig erlebt, dass eine dritte, unparteiische Gruppe andere Möglichkeiten eröffnen und Wege beschreiten kann, die den eigentlichen Verhandlungspartnern nicht möglich waren. Manchmal ist es nur ein neuer Blickwinkel, der zu einer Lösung beitragen kann. Mehr wollen wir gar nicht anbieten.“

Schweigend ließ Kane seinen Blick über die Fremden schweifen und blieb dann an Rhyan hängen. Ihre glühenden Augen bohrten sich in flammender Wut in die seinen, da er die Drachenreiterin noch immer im Griff seiner dunklen Magie hielt. So als fürchte er ihre Einmischung in die Diskussion oder gar die Flut an berechtigten Vorwürfen, welche ohne Frage hinter dem erzwungenen Schweigen lauerten. Dann wandte er sich ab, tief in Gedanken versunken, und ging zurück zu seinem Stuhl. Dabei ließ er den Griff seiner Magie endlich verstreichen. „Also gut. Sprich weiter.“

„Ihre Welt, Ihr Volk und deren Vergangenheit bieten eine unerwartete Fülle neuer Entdeckungen. Nach dem Wenigen, was wir bisher zu Gesicht bekommen durften, würde sich Ihre Welt als wertvoller Handelspartner erweisen. Sie sind im Besitz von Technologien, die wir glaubten nirgends sonst mehr zu finden. Überschneidungen unserer gemeinsamen Vorfahren.“ Teyla hielt kurz inne und wägte ab, in wieweit sie dem Krieger von den Wissenschaftlern erzählen konnte, die sich zur Zeit ohne sein Wissen und ohne sein Einverständnis an den Relikten einer Kultur zu schaffen machten. Vermutlich keine gute Idee. Sie brauchte sein Wohlwollen und zumindest die Anfänge seines Vertrauens. Einen derartigen Vorstoß in sein Reich würde ein Mann wie Kane unweigerlich als Angriff werten.

„Handelspartner?“ Kane betrachetete die Athosianerin mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung. „Was lässt euch glauben, dass wir das Bedürfnis haben könnten, mit euch zu handeln? Und womit? Alles was wir benötigen bekommen wir hier.“

So leicht ließ sich Teyla nicht abschütteln. „Wir haben Möglichkeiten, die Ihrem Volk die Landwirtschaft erleichtern, die Ernte verbessern können. Es wird keinen Hunger mehr unter den Menschen geben. Und es gibt Wissen, welches wir untereinander teilen könnten.“

Wissen. Kane rieb sich nachdenklich über das bärtige Kinn. Viel Zeit war vergangen, seitdem er etwas wirklich Neues erfahren hatte. Wissen war etwas, das er nie bewusst verschmähte. Wissen war Macht. Die Wenigsten verstanden die Macht, welche durch Wissen erlangt werden konnte, und noch viel weniger hatten ihm jemals ein derartiges Handelsangebot unterbreitet. Er musste zugeben, dass sein Interesse geweckt war. „Wie also wollt ihr es anstellen? Diese Hilfe?“

Bevor Sheppard wieder das Wort an sich reißen konnte und damit womöglich das empfindliche Gleichgewicht dieser Verhandlung störte, fuhr Teyla fort: „Wenn es möglich ist, würde ich gerne mit den Dorfvorständen des Sumpfvolkes beginnen. Ein gemeinsames Gespräch, damit wir uns ein Bild von der herrschenden Stimmung machen können. Und um uns einen ersten Überblick über die Klagen und Forderungen machen zu können.“

„Wenn du denn wirklich glaubst, dass sie euch zuhören werden - bitte. Ich werde euch nicht im Wege stehen.“ Fast schien es, als würde dieser Gedanke den rothaarigen Hünen auf eine unerklärliche Weise erfreuen. Zwar lagen seine Züge im Schatten des Lehnstuhls, aber auf seinen Lippen war doch die Ahnung eines verschlagenen Lächelns zu erkennen.

„Rhyan weiß, wo sich die Quartiere hier befinden. Es ist spät geworden und vermutlich wollt ihr ruhen, ehe ihr zu den Dörfern aufbrecht.“ Mit diesen Worten hob er den am Boden liegenden Becher wieder auf und füllte sich nach. Ein deutlicher Fingerzeig, dass er das Gespräch für beendet ansah.

Wutschnaubend stürmte die Drachenreiterin aus dem Saal und überließ es den überrumpelten Atlantern, ihr durch die verwinkelten Flure zu folgen. Sie hatte ja geahnt, dass Kane nicht erfreut sein würde, wenn sie Fremde mit in seinen unmittelbaren Kreis brachte. Aber eine derartig demütigende Behandlung war schlicht und ergreifend unverschämt. Dieses ganze Theater hatte zu nichts anderem gedient, als ihr seine Macht zu demonstrieren. Eine Macht, die er auch über sie hatte, wenn er es denn wünschte.

Und das sorgte dafür, dass Rhyan außer sich war vor Zorn. In seinem durch Alkohol benebelten Geist hatte er einfach nicht begriffen, was sie für ihn und ihre gemeinsame Sache bereit war zu tun. Dass sie all das nur tat, damit ihre gemeinsame Heimat nicht einfach aus den Fugen geriet. Dieser ignorante Sturkopf!

Sie hatten ihre Chance bekommen. Erstaunlich genug. Aber Kanes Reaktionen hatten ihr deutlich gezeigt, wie er die Bemühungen der Atlanter einschätzte. Für ihn war es ein Zeitvertreib, ein kurzweiliges Schauspiel, dem er jederzeit ein Ende setzen konnte, wenn es ihn langweilte. Die Möglichkeiten dahinter erkannte er nicht. Und auch das machte Rhyan unfassbar wütend.

Ihre Augen glommen in dem düsteren Zwielicht der Gänge, als sie sich zu ihren drei Begleitern umdrehte und Teyla und Ronon eine kleine, spartanisch eingerichtete Kammer zuwies. Zumindest war sie trocken und sauber, mehr als man sonst in diesem Gemäuer erwarten konnte.

„Danke, Teyla, für deine Mühe. Zwar fürchte ich, dass Kane nicht ganz begriffen hat, was du ihm da tatsächlich offeriert hast, aber das soll uns nicht aufhalten. Wenn ihr Hunger haben solltet, die Küche befindet sich den Gang weiter auf der linken Seite. Ich schlage vor, dass wir uns morgen früh dort treffen und sehen, wie wir weiter vorgehen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten rauschte sie davon und nachdem Sheppard einen hilflosen Blick mit seinen Freunden gewechselt hatte, folgte er der Drachenreiterin schnellen Schrittes. Zwischen ihr und dem Krieger musste während des Gesprächs irgendetwas vorgefallen sein, das vollständig an ihm vorbei gegangen war. Er hatte keine Ahnung wie, aber Rhyan kochte vor mühsam gezügeltem Zorn.

Er holte sie in einem halb verfallenen Arkadengang ein, der einen verwilderten Blick durch einstmals kunstvolle Steinbögen in den nächtlichen Hof ermöglichte. Auf der anderen Seite dieser Bögen fügten sich vereinzelte Holztüren zu weiteren Zimmern ins Mauerwerk.

Als Rhyan trotz allem nicht stehen bleiben wollte, ergriff er sie am Arm und drehte sie mit sanfter Gewalt zu sich um. „Rhyan, was zur Hölle ist los mit dir?“

Sie blitzte ihm einen aufgebrachten Blick zu, begleitet von einem unwirschen Knurren. „Ach, dieser verdammte Idiot!“

Sheppard blinzelte verwirrt. „Wer? Ich?“

„NEIN!“ Rhyan schloss kurz die Augen. Dann stieß sie in einem langen Seufzen den Atem aus, zwang sich zur Ruhe. „Nein, tut mir Leid. Kane. Er ist der Idiot. Wie kann er es wagen...“ Sie brach ab, als ihre Stimme erneut brüchig wurde vor Wut. „Er begreift es einfach nicht.“

„Aber er hat uns wenigstens freie Hand gestattet, was die Verhandlungen angeht. Das ist mehr, als man bei manch anderen in so kurzer Zeit erreichen kann.“ Er neigte leicht seinen Kopf zur Seite und musterte die Drachenreiterin. „Mich würde viel mehr interessieren, was mit dir los gewesen ist.“

Es gefiel ihm gar nicht, wie Rhyan seinem Blick daraufhin auswich. „Es war ein langer und verdammt anstrengender Tag. Tut mir Leid, wenn ich euch keine große Hilfe gewesen bin. Ein wenig Schlaf, dann wird sich das wieder gegeben haben.“ Sie lächelte schwach. „Lieb von dir, dass du dich so sorgst. Wenn ich es irgendwie vermeiden könnte oder es einen anderen Weg gäbe, Kane von unserer Sache zu überzeugen... So bleibt nur zu hoffen, dass er das Gute hinter unseren Bestrebungen erkennt, wenn die Verhandlungen Früchte tragen.“

Widerstandslos ließ sie sich von Sheppard in die Arme schließen und lehnte sich dankbar an ihn. Die Stirn an seine Schulter geschmiegt ließ sie zu, dass die Anspannung langsam von ihr abließ. „Weißt du, es ist alles andere als leicht für mich und manchmal habe ich das Gefühl von all dem erdrückt zu werden. Ich hoffe so sehr, dass er einsichtig sein wird.“

„Du wirst sehen, wir werden einen Weg finden. Das habe ich schon einmal zu dir gesagt, ich weiß. Aber ich meine es auch so. Teyla ist eine begnadete Mediatorin und hat noch jeden um ihren Finger gewickelt.“ Er küsste Rhyan sacht auf die bloße Schulter. „Lass ihm Zeit, darüber nachzudenken. Niemand sieht es wirklich gerne, wenn sich Fremde in die persönlichen Angelegenheiten einmischen. Wir müssen ihm eine Chance geben und er uns. Warte einfach die ersten Gespräche ab. Dann kann man vielleicht schon ganz andere Prognosen stellen.“

Rhyan hoffte wirklich, dass Sheppard damit Recht haben würde. Aber sie kannte Kane viel zu gut, als dass sie seine dämonische Freunde außer Acht lassen konnte, die er dabei empfinden würde, wenn er irgendwann einen Vorwand fand, die Atlanter als Verräter festzusetzen. Früher hätte sie niemals geglaubt, dass er dergleichen mit ihren Freunden tun würde. Doch die Zeiten hatten sich geändert.

Außerdem fühlte sie sich schäbig, dass sie Kanes magische Begabung vor ihren Freunden verbarg. Sie konnte sich selbst nicht so recht erklären, warum sie das tat. Gleich einem Damoklesschwert schwebte diese Magie über ihrem Vorhaben.

Magie war etwas gegen das selbst die Technologie der Antiker nicht ankommen konnte. Dies war ihre Aufgabe, ihre Herausforderung und gemeinsam mit Arokh würde sie einen Weg finden, diese zu bewältigen. Es war schwarze Magie, derer sich der Krieger bediente. Und es würde Mittel und Wege geben, um sich dagegen zu verteidigen. Solange würde sie ihre Freunde nicht unnötig beunruhigen.

Rhyan hob den Kopf und küsste Sheppard fordernd. „Komm. In einem hat Kane Recht, die Nacht ist bereits weit fortgeschritten. Ich hoffe es stört dich nicht, dass du kein eigenes Zimmer zugeteilt bekommst.“

Der Schwarzhaarige grinste wölfisch. „Das kommt ganz auf den Zimmerservice an.“ Sie boxte ihn empört vor die Brust, dann ließ er sich ohne weitere Widerworte von der Drachenreiterin in das nächste Zimmer bugsieren.
 

Aus den Schatten der verwachsenen Zypressen löste sich eine Gestalt, als die Tür hinter dem Paar knarrend ins Schloss fiel. Kanes blaue Augen leuchteten in der Dunkelheit und er starrte mit versteinerter Mine auf die geschlossene Tür. Die Muskeln seiner Kiefer waren unter den mahlenden Zähnen deutlich sichtbar.

Kurz brach sich das Licht einer vereinzelten Laterne auf der Schneide seines Breitschwertes. Dann war der Krieger wieder mit den Schatten des Hofes verschmolzen.

Die Verhandlungen beginnen

Sie hatten sich noch vor dem ersten Morgengrauen wie abgesprochen in der großen Gewölbeküche des Vorpostens getroffen. Keiner von ihnen hatte die Nacht wirklich friedlich, geschweige denn in erholsamem Schlaf verbracht. Dementsprechend gedrückt war die Stimmung unter den Freunden.

Mit einiger Mühe hatte Ronon dem Küchenpersonal eine beachtliche Menge an Vorräten abgeschwatzt, wobei Rhyan bezweifelte, dass der hochgewachsene Sateder wirklich nur mit den anschließend auffällig verschreckten Sumpfmenschen geredet hatte. Aber sie ließ es dabei bewenden. Es konnte schließlich nie schaden, ausreichend Proviant mit in den Sumpf zu nehmen.

Glücklicherweise war Arokh im Laufe der Nacht ebenfalls zurück gekehrt und nachdem er sich den Plan der Atlanter aufmerksam angehört hatte, bot er kurzerhand an die kleine Delegation zum ersten Dorf zu transportieren. Dabei schlug er vor, dass sie sich an den größten Weiler wenden sollten, welcher keine Tagesreise von dem Vorposten entfernt errichtet worden war. Tatsächlich war es nicht von der Hand zu weisen, dass es von Vorteil wäre, jenes Dorf als Ort der Verhandlungen zu wählen, welches ohnehin bereits zu einem Knotenpunkt des Sumpfvolkes geworden war.

Da sie nichts mehr in den feuchten und kalten Wänden dieses verfallenen Gemäuers hielt, rafften sie schnellstmöglich ihre Sachen zusammen und suchten sich dann einen Platz auf Arokhs breitem Kreuz, der sie mühelos mit sich in die nebelverhangene Morgenluft hob und mit kräftigem Flügelschlag Kurs auf das Sumpfdorf nahm.

Trotz der noch dichten und tief hängenden Schwaden, kündigte sich ein weiterer, schwül-warmer Tag an. Der Himmel über dem Nebel war von einem reinen Blau, überzogen von dem stärker werdenden Glanz der aufgehenden Sonne. Schneller als es sich die Freunde gewünscht hätten, erreichten sie ihr Ziel.

Arokh ging ein ganzes Stück abseits des Dorfes zur Landung, um die Einwohner nicht unnötig in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber er begleitete die kleine Gruppe, als sie sich den ersten windschiefen Hütten, erbaut aus Torf und Schilfgras, näherten. Auf Grund der frühen Morgenstunde waren noch nicht allzu viele Menschen auf den ausgetretenen Wegen zu sehen.

Ihr Kommen wurde von einem aufmerksamen Kind entdeckt, welches unter lautem Geschrei tiefer in das Dorf hinein lief und die Erwachsenen aus der trägen Müdigkeit riss.

„Wer benötigt schon ein Signalhorn, wenn man Kinder hat?“, flaxte Sheppard und blieb zusammen mit den anderen am Dorfrand stehen, um zu warten. Sein Blick schweifte aufmerksam über ihre Umgebung. Hier war Armut an der Tagesordnung. Hunger und der immer währende Kampf gegen die Tücken des Sumpfes bestimmten den Tagesablauf dieser Bewohner. Er konnte sich nur schwer vorstellen, wie Kane in diesen Menschen eine Gefahr sehen konnte.

Eine Gruppe von zehn Menschen näherte sich ihrem Standort und sie wurden begleitet von mehreren leicht bewaffneten Ryliti. Sie alle blickten mit großen Augen zwischen den Atlantern und dem mächtigen Drachen hin und her und konnten ganz offensichtlich nur schwer ihre Furcht in Grenzen halten. Arokh hatte sich zwar so gut es ging hinter den Freunden zusammengerollt, aber seine Erscheinung war noch immer erschreckend genug. Zumal sein gehörnter Schädel wie eine stumme Drohung über den Köpfen von Rhyan und den anderen schwebte.

„Bitte. Habt keine Angst, wir sind Freunde.“ Teyla löste sich ein Stück von den anderen und trat auf die herannahende Gruppe zu. Dabei lächelte sie und zeigte ihnen ihre unbewaffneten Hände. „Wir sind hier, weil wir gerne mit eurem Dorfvorstand sprechen würden.“

„Niemand, der nicht in diesem Sumpf geboren worden ist, kam jemals her, um eine solche Forderung zu stellen.“ Ein junger Mann, ausgezehrt von den Entbehrungen des schlichten Lebens und gekleidet in einen groben Leinensack, ergriff die Wortführung. Seine dunklen Augen waren wachsam. Die froschähnlichen Wesen an seiner Seite hielten ihre Speere noch immer locker umfasst, doch ihre Spitzen hatte sich ein Stück weiter in die Richtung der Neuankömmlinge gesenkt.

„Es war uns nicht bewusst, dass es eine Beleidigung darstellt, wenn auswärtig Geborene um ein Treffen bitten. Verzeiht uns.“ Sie neigte leicht ihren braunen Haarschopf, als Zeichen des Respekts. „Wir hatten gehofft...“

„Wer hat euch geschickt? Sie da,“, die Spitze seines mannshohen Stabes deutete auf Rhyan, „ sie ist die Schlampe des Tyrannen, der unsere Kinder verhungern lässt und unsere Dörfer nieder brennt. Es gibt keinen Grund, aus dem wir mit den Hunden reden sollten, die seinen Worten folgen.“

Ronon und Sheppard spannten sich bei diesen herrischen Worten und auch Arokh ließ seinen Schädel ein Stück tiefer zu dem jungen Mann herab sinken, ein tief sonores Grollen ausstoßend. Doch Teyla hob beschwichtigend die Hände.

„Bitte! Ihr alle.“ Sie fixierte ihr Gegenüber, damit sein Blick nicht immer wieder zu dem Drachen hinüber glitt. „Wir sind nicht geschickt worden. Von niemandem. Aber wir sind hier, um mit euch über dieses Problem zu sprechen. Nur wollen wir das weder auf offener Straße tun, noch ohne dem Beisein eurer Dorfältesten.“

Der junge Mann schürzte die Lippen. „Wer garantiert mir, dass ihr nicht geschickt wurdet, um auch unsere Ältesten zu morden? So wie es bei unzähligen anderen Dörfern der Fall gewesen ist, die anschließend elendig zu Grunde gegangen sind?“

„Ich garantiere es.“ Arokhs Stimme vibrierte durch die Knochen der Menschen und ließ jeden der Anwesenden unwillkürlich zusammen zucken. Obwohl sie den Drachen nur in ihrem Geist hören konnten, war die Macht hinter seinen Worten beängstigend.

Mit funkelnden Augen bedachte er den jungen Mann, der nur heftig schluckte, aber keinen Ton hervor brachte. Die Ryliti schnatterten aufgeregt untereinander, wagten es aber nicht, gegen den Drachen vorzugehen. „Mein Wort, dass dem Dorf durch diese Menschen kein Leid widerfahren wird.“

Es brauchte noch einen Moment, bis der Mann sich soweit wieder gefasst hatte, dass er sprechen konnte. „Also gut. Wer kann schon sagen in was für Zeiten wir leben, wenn eine derart ungewöhnliche Delegation um ein Vorsprechen bittet. Folgt mir also.“ Mit einem zweifelnden Blick auf Arokh fügte er noch hinzu: „Und achtet bitte auf unsere Hütten.“
 

Es war nicht die einzige Hürde, welche die Freunde am heutigen Tag zu überwinden hatten. War der junge Mann nur skeptisch gegenüber den Neuankömmlingen gewesen, so waren die Dorfältesten erfüllt von Misstrauen und gaben ihre ablehnende Haltung nur nach mühsamem Zureden allmählich auf. Teyla musste all ihre Register ziehen und immer wieder konnte nur durch Arokhs Eingreifen ein kleiner Zwischenerfolg erlangt werden. Sei es allein, um Rhyans Anwesenheit bei dem Gespräch zu ermöglichen und ihr überhaupt die Möglichkeit zu verschaffen, das Wort an den Vorstand zu richten.

So lauschten die Sumpfmänner nur widerwillig ihren Ausführungen und ihren Vorschlägen, welche weitestgehend Frieden und Unabhängigkeit versprachen. Da aber niemand glauben mochte, dass dergleichen unter Einbeziehung Kanes möglich sein würde, drehten sie sich immer und immer wieder im Kreis.

Es war ermüdend und zog sich auf diese Weise zäh und schwerfällig über den Tag hin. Die Verhandlungen wurden lediglich in den kurzen Momenten unterbrochen, in denen Essen oder Getränke gereicht wurden, wobei auch die Atlanter ihre mitgebrachten Vorräte anboten. Eine Geste, die dankbar aufgenommen wurde, stellte die Nahrung doch eine nicht unerhebliche Abwechslung zu den normalen Speisen der Dorfbewohner dar.

Nach einem langen, ernsthaften Monolog Arokhs erbat sich der Vorstand schließlich eine ungestörte Bedenkzeit, und die Freunde zogen sich aus dem luftigen Ständerbau zurück. Das reedgedeckte Dach, welches frei auf einigen Holzpfählen ruhte, hatte angenehmen Schatten gespendet. Außerhalb dieses Schattens war der Tag in einen drückend heißen Nachmittag übergegangen. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, sah man von den dichten Schwärmen fettleibiger Sumpffliegen einmal ab.

Teyla und Ronon machten sich auf, um die ersten Gespräche mit den ortsansässigen Händlern aufzunehmen. Sheppard folgte Rhyan indessen zum nahe gelegenen Brunnen. Er befand sich ein kleines Stück außerhalb des Dorfes in einer schattigen Senke. Dort füllten sie ihre mitgebrachten Trinkflaschen mit frischem Wasser und auch einige der Tonkrüge aus dem Dorf.

Als Rhyan einen der Krüge über den Brunnenrand hob, rutschte ihr dieser plötzlich unkontrolliert aus den Händen und zerschellte mit einem lauten Klirren auf den unebenen Steinen. Einen Moment starrte sie auf ihre nunmehr nassen Füße, bis das Wasser im dunklen Humus des Bodens versickert war. Dann stieß sie ein tiefes Stöhnen aus, schloss die Augen und ließ sich auf den Rand des Brunnens sinken. Erschöpft und frustriert.

Sie hatte nicht erwartet, dass es leicht werden würde. Doch die Tücken dieser langwierigen Verhandlungen durchschaute sie einfach nicht. Die Entscheidung, Sheppard und sein Team um Hilfe zu bitten, war goldrichtig gewesen. Rhyan selbst wäre an diesen verstockten Greisen verzweifelt. Wenn es nach ihr ginge, hätte sie wenigstens die Hälfte von ihnen bereits windelweich geprügelt, um die Dummheit aus ihnen heraus zu holen.

Sheppard setzte sich neben sie und drückte sie kurz an sich. „Hab Geduld. Wir haben schon viel erreicht. Es ist unser Glück, dass diese Menschen so viel Respekt vor Arokh haben. Ohne ihn würden wir zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht einmal die Hälfte der Dinge erreicht haben.“ Seine grünen Augen blitzten schelmisch. „Jetzt weißt du, wie es mir bei fünfzig Prozent aller Missionen ergeht, wenn ich unsere Leute zu Verhandlungen mit anderen Welten begleite.“

Rhyan lachte freudlos. „Ich würde wahnsinnig werden. Wenn ich daran denke, dass wir erst am Anfang der Verhandlungen stehen...“ Sie schüttelte entgeistert den Kopf. Wie es Menschen geben konnte, die derartige Dinge freiwillig zu ihrer Arbeit machten, war ihr schleierhaft.

John drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe und stand dann auf, um sich mit den Trinkbeuteln zu behängen. „Bringen wir das Wasser ins Dorf. Zwar glaube ich es nicht, aber mit etwas Glück haben die Ältesten ja schon eine Entscheidung gefällt.“

Missmutig folgte die Drachenreiterin seinem Beispiel und stapfte hinter ihm den seichten Hang hinauf, hinter welchem sich das Dorf vor ungeliebten Blicken verbarg. Dabei glitt ihr Blick über die mit Sumpfgras und verkrüppelten Bäumen bewachsenen Hügel. Sie befanden sich hier in einem relativ trockenen Teil von Kranor-Rill, so dass man nicht auf jeden Schritt penibel achten musste. Da blieben ihre Augen an einem reglosen Schatten hängen, welcher im Schutz eines kleinen Haines verharrte. Ihre Pupillen glommen auf und wurden schmal, als sie langsamer wurde und angestrengt versuchte mehr zu erkennen. Es war ein Reiter und Rhyan war sich sicher, dass er zu ihr herüber schaute.

Kane!

Hastig warf die Drachenreiterin einen Blick zu Sheppard, der die Kuppe des Hügels längst erreicht hatte und sich nun zu ihr umdrehte, um zu sehen wo sie blieb. „Geh schon mal vor. Ich komme gleich nach. Hab was vergessen.“ Sie wollte nicht, dass der Atlanter und überhaupt irgendwer von den Dorfbewohnern bemerkte, dass der Krieger hier war. Er könnte alles was sie bislang erreicht hatten durch seine bloße Anwesenheit gefährden.

Und so rannte sie zu dem Hain hinüber, als Sheppard zwischen den Hütten verschwunden war. „Was machst du hier?“

Kane saß entspannt auf dem Rücken Sardaîs. Dabei sah er sie nicht einmal ein. Statt dessen ruhte der Blick seiner verschlossenen Züge auf dem friedlichen Dorf. „Einen Blick auf die Machenschaften deiner Freunde halten. Vielleicht vertraue ich dir, aber erwarte nicht, dass ich ihnen vertraue.“

Der seltsame Unterton in der Stimme des Kriegers machte Rhyan stutzig. Fast hatte es so geklungen, als ziehe er das Vertrauen zu ihr in Zweifel. Dass Kane sie und Sheppard schon seit einiger Zeit beobachtet hatte, ahnte sie nicht. Und sie wusste ebenso wenig, dass es ihm ein Dorn im Auge war, wie sie mit dem schwarzhaarigen Atlanter umging.

„Ich weiß.“, erwiderte sie steif. „Niemand erwartet, dass du ihnen blind vertraust. Aber sie haben eine echte Chance an den Rädchen zu drehen, an die wir beide nicht herangekommen wären. Bitte glaube mir, Kane. Du verlierst nichts, wenn du ihnen gestattest, uns zu helfen.“

Als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort: „Wir stehen kurz davor, einen Durchbruch in ihrer sturen Ablehnung zu erringen. Es ist schwieriger als ich dachte. Sitzt tiefer als ich dachte. Aber mit ein wenig Glück können wir zumindest diese Dorfältesten noch heute überzeugen, mit uns in Verhandlungen zu treten. Nur wäre es ein fataler Fehler, wenn du dich jetzt zu diesem frühen Zeitpunkt bereits in die Verhandlungen einschaltest.“

Betreten musterte sie das Gesicht ihres Freundes. Er blieb noch immer regungslos sitzen und zeigte keinerlei Anzeichen, dass er ihre Worte überhaupt zur Kenntnis nahm. Nur Sardaî schaute aufmerksam zu ihr und stieß sie sanft mit den weichen Nüstern an.

„Hör zu Kane. Was da zwischen uns passiert ist... in dem Dorf... ich mach dir keinen Vorwurf. Es tut mir Leid, dass ich mich so wenig in der Gewalt hatte und ich weiß, dass du mir nicht ernsthaft etwas angetan hättest. Aber wir beide stehen im Augenblick unter einem enormen Druck.“ Mechanisch strichen ihre Finger über das schwarze Fell des Hengstes. „Der Hass dieser Menschen sitzt tiefer als ich es jemals für möglich erachtet habe. Sie sind in der Tat wie verblendet, wenn sie über dich sprechen. Es ist frustrierend. Und ich kann verstehen, weshalb du ihnen nicht mehr glauben kannst, sie lieber zum Schweigen bringst. Es würde mir nicht anders gehen.“

Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie an die Blicke dachte, die man ihr im Dorf zugeworfen hatte. Zwar hatte sie sich noch keinen so unvergesslichen Namen gemacht wie Kane über die Zyklen seines niemals endenden Lebens. Doch es genügte, um das Volk gegen sie aufzubringen.

Als hätte Kane ihre Gefühle gespürt, blickte er endlich zu ihr. Zwar sprach er noch immer nicht, aber es kam ihr so vor, als lasse das wilde Flackern in seinen Augen ein Stück nach.

„Ich möchte dich nicht gänzlich aus den Verhandlungen raushalten. Das wäre nicht klug und wir haben beide das Recht anwesend zu sein, wenn man über uns und unser zukünftiges Zusammenleben mit den Sumpfbewohnern streitet. Aber ich bitte dich zumindest noch so lange geduldig zu sein, bis wir jeden der Dorfvorstände überzeugt haben, mit uns an einen Tisch zu kommen.“

Tatsächlich nickte der Krieger. Zwar zeigte sein noch immer angespanntes Gesicht, dass es ihm eine Menge abverlangte derart tatenlos zusehen zu müssen, wie andere in seiner Sache handelten, aber er konnte die Wahrheit hinter Rhyans Worten nicht leugnen.

„Aber ich werde in der Nähe bleiben.“ Seine Brauen zogen sich zusammen und der eindringliche Blick, mit welchem er die Drachenreiterin bedachte, ließ sie schaudern. Sein Wehrgehänge klirrte leise, als er sich in Sardaîs Sattel zurecht setzte. Wie üblich führte er sein Breitschwert mit sich, das im Augenblick in seiner Rückenhalterung verstaut war. Zusätzlich baumelten noch die beiden doppelschneidigen Äxte an der Seite des Schlachtrosses.

Erwartete er noch irgendetwas von ihr? Rhyan für ihren Teil hatte sich bereits entschuldigt. Jetzt war es an ihm, ein bisschen guten Willen zu zeigen.

Bevor das Schweigen wirklich unangenehm werden konnte, wendete Kane seinen Hengst und ritt gemessenen Schrittes davon, fort von dem Dorf. Das war vermutlich schon mehr, als sie erwarten konnte

Seufzend sah die Drachenreiterin ihm nach. Dann hob sie ihre Last aus Wasserkrügen wieder auf und eilte zurück zum Dorf.
 

Natürlich behielt Sheppard kein Recht und der Ältestenrat beriet sich noch bis spät in den Nachmittag hinein, bevor sie eine Entscheidung fällten. Im Endeffekt hatten sie sich dazu durchgerungen, dem Ansinnen der Atlanter nachzukommen, wobei Rhyan einfach nicht verstehen konnte, was daran nun so überaus schwierig gewesen sein sollte.

Noch bevor der Vorstand sie und ihre Freunde zu sich rief, schwärmten die ersten Boten aus. Sumpfmänner auf kleinen, drahtigen Ponys oder Ryliti, die keinerlei Reittier benötigten, um schnell über die unsicheren Pfade des Sumpfes zu gelangen. Sie alle machten sich auf den Weg zu den nahe gelegenen Dörfern, um von der geplanten Versammlung zu berichten und gegebenenfalls Gesandte mitzubringen.

Nach kurzer Diskussion machte sich außerdem noch Arokh auf, um diejenigen Dörfer in Kenntnis zu setzen, die für einen Boten in zu weiter Ferne lagen. Sie wollten mit dieser Versammlung so viele Einwohner des Sumpfes erreichen wie möglich und dafür war der Drache sogar bereit, die Gesandten dieser Dörfer auf seinem Rücken zu transportieren.

Damit war erst einmal getan, was getan werden konnte und Rhyan und ihren Freunden blieb nichts, als auf das Eintreffen der Delegationen zu warten. Und zu hoffen, dass möglichst viele ihrem Ruf folgen würden.

Sie verbrachten den Abend unter sich. Man hatte ihnen zwei Hütten zugewiesen, welche am Rande des Dorfes standen und alles in allem einen recht baufälligen Eindruck erweckten. Die Dorfbewohner wollten nichts mit den Fremden zu tun haben, erst Recht nicht jetzt, wo ihr Schutzpatron, Arokh, nicht mehr anwesend war. Das offene Misstrauen war nicht zu übersehen und so kamen die Freunde diesem stummen Wunsch nach und teilten sich ihr karges Abendessen zurückgezogen in diesen Hütten.

Dabei beratschlagten sie noch lange, wie ihre weitere Vorgehensweise aussehen sollte und obgleich sie alle müde und zerschlagen waren, ging der Abend in die Nacht über, wurde das Licht der untergehenden Sonne von dem Licht eines lebendigen kleinen Feuers ersetzt. Grillen erfüllten die nächtliche Stille mit ihrem vielstimmigen Gesang und endlich wich auch die drückende Hitze des Tages einem angenehm kühlen Wind.

Erst als einer der beiden Monde hinter den Wolken hervor trat, zogen sie sich endlich zum Schlafen zurück. Ohne eine wirklich gute Idee entwickelt zu haben, wie man das fehlende Vertrauen der Bevölkerung Kranor-Rills erringen konnte. Sie mussten einfach das Beste hoffen und geduldig warten, wie die Versammlung verlaufen würde.

Das Feuer war noch nicht vollständig herunter gebrannt und spendete noch ein schwaches, rot-goldenes Glühen, als Kane lautlos zwischen den Holzbauten des Dorfes erschien. Er wanderte lautlos durch die engen Gassen, um schließlich vor den Hütten der Antlanter stehen zu bleiben.

Niemand hatte sein Kommen bemerkt. Vielleicht wurde der Schlaf des einen oder anderen unruhiger oder ein schlechter Traum bemächtigte sich eines ahnungslosen Schläfers. Aber die Anwesenheit des Kriegers blieb unentdeckt. Zwar warf das Glimmen des sterbenden Feuers hier und da schwache Lichtreflexe auf die Eisenbeschläge von Kanes verstärktem Wams oder spiegelte sich in seinen Armschienen. Doch ansonsten verschmolz er fast vollständig mit den Schatten der Nacht .Das Heft seines mächtigen Breitschwertes ragte als dunkler Schatten über seine rechte Schulter.

Leise trat er an eine der beiden Hütten heran und schob den muffigen, schweren Vorhang zur Seite, welcher den Zugang zu dem einzigen kleinen Raum verhängte. Dahinter lag tiefe Dunkelheit und die Luft war schwer und stickig von der Hitze des Tages. Kein Fenster ermöglichte es der Luft auch nur minimal zu zirkulieren.

Trotz der Finsternis stellte es für Kanes scharfe Augen keinerlei Problem dar, Einzelheiten zu erkennen. Dem Eingang gegenüber, in die hintere linke Ecke gezwängt, stand ein schmales Bett. Darauf lagen zwei Schläfer, dicht aneinander geschmiegt. Der Krieger verzog missbilligend sein Gesicht bei diesem Anblick.

Rhyan lag eingerollt auf ihrer rechten Seite, hatte das dünne Laken fest um ihren Körper gewickelt und Sheppard in ihrem Rücken somit sämtlicher Bedeckung beraubt. Mit bloßem Oberkörper ruhte er zwischen der Drachenreiterin und der Holzwand, einen Arm um die Hüfte der jungen Frau gelegt, und schlief friedlich.

Es machte Kane krank, Rhyan so zu sehen. Gleich einem Schnitt durch Herz und Seele ließ es ihn innerlich erzittern. Es war nicht recht.

Nicht dass er für die Drachenreiterin jemals so etwas wie Liebe empfunden hatte. Liebe war etwas für Schwache, für die romantisch Verblendeten, die keine Ahnung davon hatten wie grausam das Leben spielen konnte. Aber sie war ihm ans Herz gewachsen. Unbemerkt, schleichend zuerst. Doch umso unerschütterlicher.

Rhyan war zu einer unvergleichlichen Gefährtin geworden, die ihn besser als irgendjemand zuvor verstand. Seine Sehnsucht nach dem Tod, die so vollkommen im Widerspruch stand zu seinem eisernen Willen, diesem immer und immer wieder zu trotzen. Sie wusste um seinen Fluch und die damit verbundene, immer wiederkehrende Bürde, und hatte ihn dennoch ohne über ihn zu urteilen angenommen.

Das hatte ihn widererwartend tief bewegt.

Hatte er Rhyan anfangs noch als interessanten Zeitvertreib und Versuchsobjekt angesehen, als er von ihrem außergewöhnlichen Erbe erfuhr und sah, dass sie damit vollständig überfordert war, so hatte sich das schlagartig geändert, als sie damals um Haares Breite dem Roten Priester zum Opfer gefallen wäre. Kane hatte unter dem Einsatz seines eigenen Lebens das ihre bewahrt. Seither waren sie unzertrennliche Weggefährten.

Er bedauerte aufrichtig, dass so vieles in den letzten Umläufen schief gegangen war. Wusste er doch ganz genau, wie sehr Rhyan ihn dafür verabscheute, dass er sie hatte jagen lassen, nachdem sie aus dem brennenden Dorf geflohen war. Aber die Tatsache, dass sich etwas zwischen ihnen ändern könnte, machte ihm mehr zu schaffen als er sich je eingestehen würde.

Und es ließ ihn die Atlanter, ganz besonders Sheppard, inbrünstig hassen. Niemand nahm ihm Rhyan weg. Nicht so.

Er glaubte ihnen kein bisschen, dass sie ernsthaft um Rhyan besorgt waren. Vielmehr war er davon überzeugt, dass sie nicht wirklich verstanden, was es bedeutete ein Freund der Drachenreiterin zu sein. Sie brauchte jemanden, der ihr Halt geben konnte und der sie leitete, wenn sie wieder einmal die Orientierung in ihrem Leben verlor. Bei jemandem, der so viele Zyklen überdauerte wie sie beide, konnte das schon manches Mal geschehen.

Und sie brauchte jemanden, der ein wachsames Auge auf ihr Drachenerbe hatte.

All das traute er den Atlantern nicht zu. Sie würden Rhyan fallen lassen, sobald sie auch nur ein paar Probleme bereitete. So machten es die Menschen schon seit Generationen. Aber er würde das nicht zulassen. Er würde seine Gefährtin vor diesem erneuten Schmerz schützen.

Als hätte Sheppard diese intensive Beobachtung in seinem Schlaf wahrgenommen, erwachte er plötzlich und blickte dem rothaarigen Hünen direkt in die unheimlichen blauen Augen. Er war nicht mehr als ein Schatten unter der Türzarge, halb verdeckt von dem schweren Vorhang. Diese Verstohlenheit ließ den Colonel schaudern. Wieso beobachtete der Krieger ihn und die Drachenreiterin im Schlaf?

Der Vorhang glitt zurück vor den Eingang, als Kane lautlos verschwand und Sheppard schlüpfte vorsichtig hinter der noch immer tief schlafenden Rhyan aus dem Bett, um ihrem Freund zu folgen. Schnell striff er sich seine Hose über, dann trat er auf bloßen Füßen hinaus in die Nacht.

Kurz hielt er inne, um sich an die hier draußen herrschenden Lichtverhältnisse zu gewöhnen, dann gewahrte er die Silhouette des Kriegers an der nächstgelegenen Häuserecke. Offenbar wurde er bereits erwartet.

John straffte sich innerlich und ging dann sicheren Schrittes zu dem hochgewachsenen Mann hinüber. Seine Züge blieben verschlossen, grimmig. Er würde nicht den Anschein erwecken die heimliche Bespitzelung ohne weiteres zu tolerieren.

Kane musterte den Atlanter abfällig, als dieser schließlich bei ihm ankam. Er selbst war gerüstet, als stehe er unmittelbar vor einem schweren Gefecht. Sheppard hingegen, lediglich mit einer Hose bekleidet, war lächerlich schutzlos und verletzlich. Ein viel zu leichtes Ziel für seinen schwelenden Hass.

„Hast du gesehen, was du sehen wolltest?“ Sheppards Verärgerung schwang deutlich in seiner Stimme mit. Seine grünen Augen blitzten. „Wenn wir beide ein Problem miteinander haben, sollten wir das vielleicht besser ausdiskutieren, damit du deine nächtlichen Nachstellungen ruhen lassen kannst. Es gefällt mir nämlich ganz und gar nicht.“

Der Krieger lächelte nur wölfisch. Dieser schwarzhaarige Mensch würde seine gähnende lange Weile zumindest vorübergehend angenehm befriedigen. Der Atlanter balancierte auf gefährlichen Seilen und merkte es nicht einmal. Was ein Spaß.

Unbemerkt ließ er einen schwachen Strom seiner dunklen Magie von sich abstrahlen, ließ sie auf sein Gegenüber zu kriechen und in fadendünnen Schlieren über dessen nackte Haut streichen. Sheppard würde schon merken, dass man nicht in dieser Art und Weise mit ihm redete. Er konnte sehen, wie sich die Härchen auf den Unterarmen des Atlanters aufrichteten und sich sein Körper unwillkürlich unter dem sachten Griff von Kanes Magie schüttelte.

Ohne große Mühe verstärkte er diesen Griff und Sheppard wich zurück. Für einen Menschen hatte er sich noch erstaunlich gut in der Gewalt, aber auf seinen Zügen zeigten sich die ersten Anzeichen seiner Verunsicherung.

Nun trat Kane einen Schritt vor und setzte sein Gegenüber so zwischen sich und der Häuserecke fest. Er würde nirgends hin ausweichen können und der Krieger konnte sich an dessen hilflosem Winden in voller Ausdehnung ergötzen.

„Was ich gesehen habe ist das Vorgaukeln einer widerwärtigen Lüge!“, zischte er Sheppard entgegen. Sein eiskalter Blick hielt dessen Augen eisern fest. „Eine Farce. Wie könnt ihr Rhyan das antun, ohne auch nur einen Hauch schlechten Gewissens zu empfinden?“

Sheppard verstand ganz offensichtlich nicht, worauf der Krieger hinaus wollte. Er war in keinem Augenblick unaufrichtig gegenüber der Drachenreiterin gewesen. Er behandelte sie mit Respekt und Ernsthaftigkeit. „Das ist nicht wahr.“

„Schweig!“ Kane sandte seinen Zorn in Schwaden schwarzen Nebels aus, für sein Gegenüber nur als eine Eintrübung der Sicht zu erkennen. Viel mehr spürte er diesen Zorn als schleichende, lähmende Kälte. Sie legte sich wie ein Schraubstock um sein Herz und seinen Magen, presste sie schmerzhaft zusammen.

„Lüg mich nicht an! Viel zu oft durfte ich Zeuge der Verlogenheit von euch Menschen werden. Ihr könnt mich nicht täuschen.“

Sheppard keuchte unterdrückt. Er war unfähig sich auch nur einen Zoll weit zu rühren und der Schmerz in seinem Innern nahm immer weiter zu. Was geschah da gerade mit ihm? Seine Brust wurde eng und machte das Atmen zu einer glühenden Qual.

„Rhyan mögt ihr blenden, aber ich werde nicht dabei zusehen, wie sie mit offenen Augen in ihr Verderben rennt. Ihr Platz ist hier, hier in Carsultyal. Nicht in irgendeiner legendären Stadt in den Sternen und auch nicht auf der Welt, die ihr Erde nennt.

Ich hätte sie vor diesem unnötigen Schmerz bewahrt, aber ihr musstet ihre Wunden wieder aufreißen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was ihr damit bei ihr anrichtet. Und dabei nennt ihr euch Freunde.“

Mühsam kämpfte der Colonel gegen den lähmenden Schmerz an. Seine Kiefer mahlten. „Sie hat ein Recht darauf zu erfahren, wer sie wirklich ist. Du hättest ihr das niemals vorenthalten dürfen.“ Schweiß trat ihm auf die Stirn.

„Ihr seid so armselig. Du weißt ja nicht, wovon du redest.“ Kane lachte freudlos. In seinen Augen flackerte ein Anflug seines Wahnsinns auf. Mit einer knappen Handbewegung wandelte er die Magie, die auf Sheppard wirkte, und sein Lächeln wurde zu einer diabolischen Fratze, als dieser unter Schmerzen aufstöhnte.

Von einer Sekunde auf die nächste begannen sämtliche seiner längst verheilten Verletzungen wie Teufel zu brennen. Die Haut wurde heiß und spannte sich über den Muskeln und Knochen, ehe sie erneut aufrissen. In dünnen Rinnsalen floss Blut seine Flanken hinab, zeichnete Linien auf seinem Rücken und seiner Brust. Noch immer konnte er keinen Finger bewegen, obwohl er sich mit aller Macht gegen diese unsichtbaren Fesseln zur Wehr setzte. Doch zwecklos.

Statt dessen nahm der Schmerz noch weiter zu, als Kane unverständliche Worte murmelnd seine Hände vor Sheppard hob. Ein fluoreszierendes Licht umspielte dabei seine Finger. Es war offensichtlich, dass er eine abstoßende Freude an dem Leid seines Opfers empfand. Und dass er diese Qualen noch zu verstärken gedachte.

Protestierend schrien Sheppards Muskeln auf, als dieser vergebens versuchte seinen Peiniger anzugreifen. Sein Puls schoss in die Höhe, raubte ihm beinah das Bewusstsein. Aber in verbissenem Ingrimm stemmte er sich gegen diese Macht. Schweiß bedeckte seinen Körper und biss noch zusätzlich in die frischen Wunden.

Da wurde er von einer unsichtbaren Kraft erfasst und hart gegen die Holzwand in seinem Rücken geschleudert, so dass ihm schlagartig sämtliche Luft aus den Lungen gepresst wurde. Schwarze Punkte standen vor seinen Augen. Dann riss der Schmerz plötzlich ab, als hätte es ihn nie zuvor gegeben. Der Griff von Kanes dunkler Magie löste sich auf und Sheppard ächzte erleichtert.

„Lass dir das eine Warnung sein.“, erklärte sein Peiniger das Geschehene und grinste hämisch. Dann beugte er sich vor, bis sein Gesicht nur noch wenige Zoll von dem Sheppards entfernt war. Heiß strich sein Atem über dessen schweißnasse Wangen, seine blauen Augen funkelten gefährlich. „Ich werde dich und deine Leute im Auge behalten, sei dir da gewiss.“

Dann endlich trat er mit einem tiefen Knurren von seinem Opfer zurück und verschmolz mit der Dunkelheit, verschwand wie der Geist eines bösen Traumes im Nichts.

Sheppard stieß zitternd den angehaltenen Atem wieder aus und sank für einen kurzen Moment an die raue Holzwand hinter sich. Sein gepeinigter Körper bebte und ihm schwindelte, aber als er seinen Blick an sich herab schweifen ließ, konnte er keinerlei Verletzungen mehr feststellen. Sie waren verschwunden, so als hätten sie gar nicht erst existiert, als hätte er das Blut nicht deutlich gespürt. Lediglich seine Narben wirkten dunkler.

Verrückt. Ihm war schon einiges widerfahren und es war auch nicht das erste Mal, dass man ihm unter Zufügen von Schmerz drohte. Aber das hier war denkwürdig und hatte den Colonel zutiefst beunruhigt. Nur langsam beruhigte sich sein wild jagendes Herz. Er würde mit Rhyan reden müssen. Offenbar gab es noch einige Dinge, die sie vor ihm verborgen hielt. Es war ihr gutes Recht. Aber nicht, wenn dies ihn und seine Leute in Gefahr brachte.

Sheppard strich sich das zerzauste Haar aus der Stirn und seufzte tief. Er würde die Warnung dieses rothaarigen Teufels beherzigen und seinerseits ein wachsames Auge auf ihn haben. Zusätzlich würde er noch McKay eine Warnung zukommen lassen und einen Jumper auf den Planeten beordern. Nur für den Fall.

Müde und zerschlagen kehrte er an Rhyans Seite zurück, die noch immer in friedlichem Schlaf lag.

Rhyans Verzweiflung

Es blieb keine Zeit, um Rhyan aus ihrem Schlaf zu wecken und ein Gespräch in Ruhe zu führen. Denn kaum dass Sheppard ihre gemeinsame Hütte betreten hatte, schallte der Ruf eines Horns durch die frühmorgendliche Stille des Dorfes und kündigte den ersten zurückkehrenden Boten an.

Am Horizont wandelte sich das tiefe Blau der Nacht gerade erst in ein schwaches helleres Schimmern und verriet, dass der eigentliche Sonnenaufgang noch eine ganze Weile auf sich würde warten lassen. Der Bote musste die ganze Nacht hindurch geritten sein, um zu dieser frühen Stunde schon wieder zurück zu sein.

Von da an ging es zu wie in einem Taubenschlag. In unregelmäßigen Abständen trudelten die Boten in Begleitung ihrer Gesandten ein und Sheppard wunderte sich leise, ob diese Leute keinen Schlaf benötigten. Er selbst fühlte sich wie gerädert und wünschte sich nichts sehnlicher, als zumindest noch ein paar Stunden ruhen zu können. Doch selbst wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, hätte er die Zeit nutzen müssen, um Rhyan über Kane zu befragen.

Jetzt aber erwachte das Dorf und offenbar war den Gesandten diese Versammlung derart wichtig, dass sie keine Rast einzulegen gedachten. In Windeseile wurde in dem Ständerbau, in welchem sie sich am Vortag bereits besprochen hatten, Platz für genügend Menschen geschaffen, um allen die Teilnahme zu ermöglichen. Und jeder der Gesandten wollte von dem ortsansässigen Vorstand begrüßt und den Fremden vorgestellt werden. Oder besser anders herum. Man wollte sich ein Bild von den Menschen machen, welche die Initiative zu einer solch nie dagewesen Zusammenkunft der Dorfgemeinschaften gegeben hatten.

Nachdem diese Tatsache den müden Atlantern zuerst mächtig an den Nerven gezehrt hatte, wurde allen nach und nach bewusst, wie elementar wichtig dieses erste Zusammentreffen für den weiteren Verlauf der Verhandlungen war. Hier fiel bereits die Entscheidung, die Grundeinstellung, mit der die Gesandten in die Versammlung hineingehen würden. Ob sie bereit waren das nötige Vertrauen zu haben oder ob eine bereits existierende Ablehnung noch zunahm.

Also rissen sich die Freunde zusammen und versuchten sich so gut es eben ging zu verkaufen, schüttelten Hände, tauschten Freundlichkeiten und gaben sich Mühe, einen möglichst harmlosen und friedfertigen Eindruck zu hinterlassen.

Als Arokh am späten Vormittag auf dem Vorplatz des Dorfes zur Landung ging, war klar, dass nunmehr alle in dem Dorf eingetroffen sein mussten, die an der Zusammenkunft teilnehmen würden. Die Versammlung konnte demnach beginnen.

Zum Glück hatten Sheppard und sein Team bei den ersten Begegnungen bereits die meisten Fragen und Streitpunkte, welche sie und ihre Einmischung anbelangte, beantworten und regeln können, so dass man im Grunde sofort zum Kern des Treffens kommen konnte. Diese Aufgabe wurde ein weiteres Mal von Teyla übernommen, da die Athosianerin von den Eingeborenen am offensten angenommen wurde und ohnehin die besseren Fähigkeiten besaß, was das Verhandeln über unbequeme Themen mit unwilligen Fremdvölkern anging.

Jedem der Gesandten wurde gestattet vor den Versammelten zu sprechen. Über die Sorgen, Ängste und Befürchtungen seines jeweiligen Dorfes und über die Vorstellungen, wie man die Zukunft gestalten wollte. Die Atlanter hielten sich in dieser Zeit zurück, trugen das Gesprochene zusammen und griffen nur dann lenkend ein, wenn die Diskussionen zu emotional wurden oder keine neuen Impulse mehr brachten.

Dabei wurde die Hilflosigkeit und die damit unweigerlich verbundene Verzweiflung der Sumpfbewohner in erschreckender und dramatischer Weise offen gelegt. Niemand wusste wirklich, wie man all die vorhandenen Missstände ändern könnte. Die Klagen überwogen bei Weitem die Initiativen für einen gemeinschaftlichen Neubeginn.

Und so laut der Aufschrei der Anwesenden auch war, was behauptete Unrechtmäßigkeiten seitens des Kriegers und der Drachenreiterin anbelangte, so mussten die Freunde dennoch zugestehen, dass mit Ausnahme einiger weniger Fälle die Handlungen der beiden als elementar überlebenswichtig anzusehen waren. Sie hatten durchaus Recht wenn sie behaupteten, dass das Volk ohne ihren Beistand nicht lebensfähig sein würde. Es war erschütternd, aber wahr. Der Einfallsreichtum der Bevölkerung war schlichtweg nicht vorhanden, der Drang selbst etwas zu bewegen und die hierfür benötigten Opfer zu bringen, war nicht zu erkennen.

Statt dessen war der Rachedurst auf Kane kaum zu bändigen. Zu seinen ohnehin schon fragwürdigen und brutalen Übergriffen der letzten Umläufe kamen nun auch die alten Legenden wieder hinzu, welche mit Feuereifer vor der Versammlung vorgetragen wurden. Immer wieder unterbrach Teyla derartige Ausflüge, da sie die Stimmung noch weiter aufheizten und zu steigender Aggressivität führten. Dinge, die sie zur Zeit herzlich wenig gebrauchen konnten.

Doch je weiter der Tag voranschritt, umso schwieriger wurde es den Anwesenden aufzuzeigen, welch positive Veränderungen durch Rhyan und Kane nach dem Sturz von Prirates eingeleitet worden waren. Teyla bemühte sich nach Kräften, all diese Punkte wieder und wieder in das Gedächtnis der Gesandten zu rufen. Doch sie scheiterte immer häufiger.

Man wollte es nicht hören, es war den Versammelten gleichgültig. Was zählte war die Notwendigkeit, ein drohendes Übel durch den Verfluchten abzuwenden. Jeder hier im Raum schien davon überzeugt zu sein, dass es zu einem weiteren Unglück, zu einer weiteren Schreckensherrschaft kommen würde, ließe man Kane weiterhin freie Hand.

Rhyan bebte vor unterdrücktem Zorn. Es war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Kane hatte wirklich viel getan und viel riskiert, um diese armseligen Leben zu bewahren. Und sie dankten es ihm, indem sie sein Leben forderten. Die Augen der Drachenreiterin glühten, spiegelten ihr aufgewühltes Inneres wider, und es war ihr egal, dass diese Tatsache keinesfalls zur Besänftigung der Versammlung beitrug.

Sheppard drückte ihr wortlos einen Krug kühlen Wassers in die Finger. Rhyans Gereiztheit war ihm nicht entgangen und als sich die ersten Schuppen auf ihren bloßen Unterarmen bildeten und ein leises, aber bedrohliches Grollen ihrer Kehle entwich, sah er sich gezwungen einen Ausbruch ihrer Gefühle zu verhindern. Würde die Versammlung die Drachenreiterin in ihrer hybriden Form zu Gesicht bekommen, wäre jegliche weitere Diskussion hinfällig.

Ihre Knöchel traten weiß hervor, während sie den Krug umschloss, aber sie nickte John dankbar zu. Es fiel ihr so schwer, diese Menschen waren so unfassbar engstirnig.

Arokh hingegen verhielt sich während der gesamten Diskussion auffällig ruhig und lauschte lediglich den Argumenten, ohne selbst direkt einzusteigen. Er zeigte damit deutlich, dass er nicht für den Krieger eintreten und keine Klaue krümmen würde, um ihn gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Schließlich hatten auch die Eingeborenen in vielen ihrer Punkte Recht. Nur wenn ihm die aufgebrachte Menge zu sehr aus dem Ruder zu laufen drohte, verwies er sie durch ein Knurren oder ein demonstratives Fletschen seiner mächtigen Fänge zurück in die Schranken.

Einer der Gesandten, der schon zuvor immer wieder für Unruhe gesorgt hatte und das Augenmerk der Versammelten ständig von Neuem auf Kanes Missetaten gelenkt hatte, setzte sich schließlich selbst über diese Zurechtweisung hinweg. Er stand von seinem Platz auf und trat vor, so dass ihn jeder der Anwesenden sehen konnte. Dabei würdigte er die verärgerten Atlanter keines Blickes, während er vor seinem Publikum auf und ab schritt und mit weit ausholenden Gesten darlegte, dass die Fremden keinesfalls dafür garantieren konnten, dass Kanes Boshaftigkeit zu keinem Problem werden würde. Dass es nur allein durch ihre Worte nicht gesichert war, dass der Krieger seine Schandtaten künftig einstellen würde. Niemand könne ihn aufhalten, wenn seine Mordlust erst einmal hervor brach, so wie in all den Zyklen zuvor.

Durch diese flammende Rede zog er jeden der Gesandten in seinen Bann. Sie hingen an seinen Lippen, die von der Schlechtigkeit und der Verschlagenheit des rothaarigen Hünen redeten, von den rücksichtslosen Morden an einigen Dorfvorständen und von der Brandrodung ganzer Dörfer. All das lag in noch nicht allzu ferner Vergangenheit und war jedem hier noch überdeutlich bewusst. Vereinzelt wurde beunruhigtes Gemurmel laut, sonst lag der Ständerbau in tiefem, gefesseltem Schweigen.

In dieses Schweigen hinein drang unerwartet ein kaltes, boshaftes Lachen. Ein Pferd schnaubte und verursachte ein vielfaches Klirren, als sich sein Zaumzeug bewegte.

Alle Augen, die bis eben auf dem Redner geruht hatten, schossen hinüber zu der Stelle, an welcher der Verursacher des Lachens stand. Nur als Schattenriss gegen den hellen Hintergrund zu erkennen, verharrte der Reiter unter dem Balkengewölbe des Ständerbaus. Niemand hatte den Hufschlag seines Schlachtrosses vernommen, zumal es sich der Versammlung von hinten genähert hatte. Und so konnte auch niemand sagen, wie lange der heimliche Besucher den Gesprächen schon gelauscht hatte.

Es war unverkennbar, wer sich da soeben der Zusammenkunft angeschlossen hatte und Rhyan stöhnte in ergebener Resignation auf. Sie hatte Kane gebeten zu warten. So lange, bis sie ihn rufen würde. Dass er nunmehr hier aufgekreuzt war, war kein allzu gutes Zeichen.

Seine blauen Augen schienen als einziges in seiner schattenhaften Silhouette zu leuchten, abgesehen von den kurzen Lichtreflexen, die sich auf seinen Waffen brachen. Deutlich war das Flackern seines Wahnsinns in ihnen zu erkennen und Rhyan meinte außerdem das unterschwellige Kribbeln zu verspüren, welches sie immer dann wahrgenommen hatte, wenn Kane seine dunkle Magie wirkte.

Arokh, der auf der freien Fläche neben dem Ständerbau gelegen hatte, richtete sich auf und zog die Leftzen zurück, entschied sich aber dann offenbar dazu, das Geschehen abzuwarten. Aufmerksam musterte er den Neuankömmling.

„Nicht gut. Gar nicht gut.“ Sheppard hatte sich bei dem Erscheinen des Kriegers ebenfalls aufgerichtet und schickte sich an, zu ihm hinüber zu gehen. Doch Rhyan hielt ihn zurück, stumm den Kopf schüttelnd. Würde er jetzt zu Kane gehen, würde dieser dem Atlanter in seinem Wahnsinn wer weiß was antun.

Der Krieger machte sich nicht die Mühe, von Sardaîs Rücken zu steigen. Die Hände lässig auf dem Sattelknauf verschränkt, ließ er seinen Blick über die Köpfe der versammelten Dorfältesten gleiten. „Es ist so erbärmlich, wie leicht ihr zu beeindrucken seid.“ Seine Stimme klang laut in der betretenen Stille. Selbst die Grillen, die ansonsten die Geräuschkulisse des Nachmittags beherrschten, waren verstummt. „Ihr glaubt lieber den ketzerischen Worten eines Einzelnen, den alten, verzerrten Geschichten eurer greisen Schamanen, als auch nur einen Augenblick über die Fakten nachzudenken, die euch hier von diesen Fremden vor Augen geführt werden.“ Er schnaubte abfällig.

Niemand wagte es zu sprechen. Sie alle starrten ihn aus schreckgeweiteten Augen an, als sei er die Reinkarnation allen Übels. Kane scherte sich nicht darum. Er hatte damit gerechnet. War es gewohnt. Und er genoss es. Sollten sie in ihrer Angst vergehen.

Mit einem scharfen Kratzen zog er sein Breitschwert aus der Rückenhalterung: „Ihr wollt meinen Tod?“ Die Spitze wies auf die Versammelten, schwenkte langsam und bedrohlich von einer Seite zur nächsten. „Wer möchte der Erste sein? Du? Oder vielleicht du?“

Die armen Teufel, auf welche das Schwert wies, zuckend wie eine Schlange vor dem Angriff, prallten zurück, sämtliche Farbe aus den Gesichtern verlierend.

„Kommt und holt euch mein verfluchtes Leben, ihr Feiglinge. Ihr werdet sehen, wie schnell ihr in eurem eigenen Elend versinkt, wie ihr an eurer eitlen Selbstherrlichkeit zu Grunde geht. Ich werde euch keine Träne nachweinen.“

Ronon gab ein kehliges Grollen von sich und machte mit einem bösen Lächeln einige wenige Schritte auf den Krieger zu. Er selbst war unbewaffnet, aber eine solche Einladung konnte er einfach nicht ausschlagen. Diesem selbstgefälligen Hünen würde er auch so mit Freuden eine Lektion erteilen. Doch sowohl Sheppard als auch Teyla hinderten den Sateder an einer solch leichtsinnigen Dummheit. Der finstere Blick des Colonels sprach Bände.

Als immernoch keiner Anstalten machte auf seine Herausforderung einzugehen, ließ Kane die Waffe sinken. Seine Züge waren eine einzige, hassverzerrte Fratze. „Ihr seid schwach. Wie Schafe, die bereits auf ihrem Weg zur Schlachtbank sind und trotzdem dem festen Glauben folgen, dass sie auf dem sicheren Weg in das Paradies sind.“ Seine Augen blitzten. „Und schwache Schafe verdienen es nicht zu leben.“

Entsetztes Murmeln setzte ein und Rhyan holte neben Sheppard scharf Luft. Kane redete sich um Kopf und Kragen und zerstörte gerade alles, was sie so mühsam aufzubauen versuchten. Außerdem konnte sie die Schwaden dunkler Materie sehen, die von dem muskulösen Körper ausgingen und auf die ahnungslosen Sumpfbewohner zukrochen. Mit einem solchen Selbstverständnis hatte Rhyan den Krieger noch nie zuvor mit der Macht der Magie umgehen sehen. Es war beängstigend. Und es durfte nicht sein.

Ihr Hand schloss sich um das Heft 'Leids'. Genau jetzt war sie sehr froh, dass sie darauf bestanden hatte, die Klinge bei sich zu behalten. Das Schwert war ein Teil von ihr und im Augenblick vermutlich ihre einzige Hoffnung, Kanes Magie zu blocken. Sie wollte 'Leid' nicht gegen ihren Freund wenden, aber seine Magie würde sie mit Verbissenheit bekämpfen.

Denn wenn er die Ältesten erst einmal im Würgegriff seiner unreinen Macht hatte, wären ihre Bemühungen um ein friedliches Ende gescheitert. Die Eingeborenen würden diesem Griff nicht aus eigener Kraft entrinnen können und Kane, wenn er erst einmal demonstriert bekam wie leicht er sich den Gehorsam seiner Untertanen erzwingen konnte, würde nicht mehr zu stoppen sein und der schwarzen Kunst vollends verfallen.

Sie konnte den Blick Sheppards spüren, wie er sie von der Seite her zweifelnd ansah, ehe er seinen Platz neben ihr verließ. Offenbar hatte er Sorge, dass es in Kürze zu einer blutigen Auseinandersetzung kommen könnte. Wie sollte er auch wissen, dass 'Leid' als Schild gegen dunkle Mächte eingesetzt werden sollte und nicht als Waffe gegen den rothaarigen Krieger? Aber jetzt war es zu spät für Erklärungen.

Die waffenlosen Hände vor sich haltend schritt der Colonel also langsam auf Kane zu. Diese Zusammenkunft stand unter dem Schutz seines Teams. Sie hatten sie einberufen und es war ihre Aufgabe, für die Sicherheit der Teilnehmer zu sorgen. Jeder der gegen diese Regeln verstieß, würde aus der Diskussion ausgeschlossen werden. Auch Kane.

Rhyans warnenden Ruf überhörte er geflissentlich. „Wir sind nicht hier, um den existierenden Streit noch mehr anzufachen und in eine schärfere, vielleicht nicht wieder zu behebende Dimension zu verlagern. Wir sind hier, um diesen Streit beizulegen. Da ist es nicht hilfreich, wenn man die Betroffenen bedroht.“ Furchtlos blickte er zu dem Krieger auf. Selbst auf diese Entfernung ließ ihn seine Präsenz schaudern. Er hatte die Begegnung in der Nacht nicht vergessen. Das Leid, welches dieser Mann ihm mit dem bloßen Wink seiner Hand zugefügt hatte.

Aber er durfte nicht zulassen, dass er das selbe mit den hier Versammelten tat. „Ich bitte dich, Kane, steck das Schwert weg. Wenn es dein Wunsch ist, hier teilzunehmen, so sei es. Aber wir dulden keine Drohungen und keine Gewalt.“

„Seit Generationen hat es kein Gesetzt gegeben, welches ehrlicher und wahrhaftiger ist als das, welches besagt, dass nur die Starken den nächsten Mondumlauf erleben werden. Wer es nicht wert ist diese Prüfung zu bestehen, der ist verzichtbar. Damals wie heute.“ Weiter ging Kane nicht auf Sheppards Worte ein. Statt dessen hob er die rechte Hand und wandte die bloße Handinnenfläche den Versammelten zu.

Unmittelbar darauf ging ein Aufstöhnen durch die Menge. Einige rutschten haltlos von ihren Schemeln, andere griffen sich an den Kopf oder erbrachen sich vor die Füße ihres Nachbarn.

Entsetzt starrten die Freunde auf dieses Bild, nur um dann von dem wütenden Brüllen Arokhs aus der Starre gerissen zu werden. Der Drache erhob sich mit lodernden Augen, die nicht mehr als schmale Schlitze waren, auf die Hinterhand. Die fledermausgleichen Schwingen weit gespreizt, schleuderte er eine kleine, kontrollierte Feuerlohe in die Richtung des Kriegers. Eine mehr als deutliche Warnung.

Auch Rhyan schoss davon, dicht gefolgt von dem entfesselten Sateder, und rannte mit langen Schritten auf Kane zu. Dabei glitt 'Leid' wie von selbst aus seiner Rückenhalterung in ihre Rechte. Die Intarsien glommen in einem tiefen, bedrohlichen Purpur, so als könne das Schwert die in der Umgebung allgegenwärtige Magie spüren. Es zischte, als seine Klinge mit einer den schattenhaften Schlieren in Berührung geriet. „Hör auf, du Schwachkopf! Kane, lass den Unsinn.“

Zu ihrer Linken brach ein Mann zusammen, verkrümmt in seiner Qual. Aus Nase, Ohren und Augen quoll dunkles Blut. Als die Drachenreiterin innehielt, um nach ihm zu sehen, war er bereits tot. Voller Grauen blickte sie auf. Was hatte Kane getan?

Offenbar hatte Sheppard einen ähnlichen Gedanken gehabt wie sie, denn er sprang in diesem Moment an Sardaî hoch, um den Krieger zu fassen zu bekommen und ihn aus dem Sattel zu ziehen. Eine mutige, aber selten dämliche Idee. Zumal er nicht wissen konnte, dass er mit bloßen Händen gegen Magie kämpfen wollte.

Kane sah die Bewegung aus dem Augenwinkel kommen und fuhr herum, schlug dem Colonel mit einem Rückhandschlag seiner behandschuhten Faust gegen den Kopf, dass dieser zur Seite geschleudert wurde und halb besinnungslos zu Boden stürzte. Die Nieten des Armschutzes hinterließen dabei blutende Striemen, die sich von der Schläfe bis in das dichte schwarze Haar zogen.

Rhyan glaubte, ihr müsse das Herz stehen bleiben. Der Angriff auf den Krieger war schlagartig zum Erliegen gekommen, da selbst Ronon innehielt, um einer schwankenden Frau, der das Blut aus Nase und Augen schoss, zu helfen.

„Lasst es euch eine Lehre sein, ihr armseligen Schwächlinge. Niemand fordert mein Leben, der nicht in der Lage ist, es sich selbst zu holen.“ Kane warf einen Blick auf die schreckensstarre Rhyan, die inmitten der sich windenden und wimmernden Menschen stand und unfähig war, sich auch nur einen Zoll zu rühren. Ihre unmenschlichen Augen blickten den Krieger anklagend an, der deutlich die Schuppen erkennen konnte, welche sich auf ihrem Gesicht bildeten und sofort wieder verschwanden. Der Widerstreit ihrer Gefühle zerriss sie innerlich, verursachte einen Kampf ihrer beiden Wesenszüge um die Vorherrschaft in ihrem Körper. Beinah tat es ihm Leid.

'Leid' glühte indes in dem grellen Zorn seiner Trägerin, einmal mehr ein schemenhafter Riss im Diesseits. Aber die Ohnmacht, die Rhyans Seele gefangen hielt, machte auch diese tödliche Waffe harmlos.

Es war Zeit für ihn zu gehen. Kane hatte seinen Standpunkt deutlich gemacht, nicht mehr und nicht weniger. Das sollte fürs Erste genügen. Also riss er Sardaî herum und sprengte im gestreckten Galopp davon.
 

Man hätte meinen können, dass nach dem Verlassen des Kriegers Panik das Dorf und die Betroffenen erfassen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Viel mehr erweckten die Einwohner den Eindruck, als stünden sie unter einem schweren Schock.

Mit Hilfe der Atlanter kümmerte man sich um die Verletzten und diejenigen, die nach der magischen Attacke zu schwach waren, um aus eigener Kraft in ihre Hütten zurück zu kehren. Die Gesandten wurden auf die Hütten der Dörfler verteilt. Für wen es keinen Platz mehr gab, dem wurde ein Lager in dem Ständerbau errichtet.

Auch Rhyan half wo sie konnte. Das Misstrauen, welches ihr anfangs aus verständlichen Gründen entgegen schlug, verschwand, sobald die Menschen erkannten, dass sie mit Hilfe ihres Schwertes Linderung für die Verletzten bringen konnte. Aber das alles erlebte sie nur wie aus weiter Ferne. Als beobachte sie jemanden Fremdes, der sich in ihrer Gestalt um das Leid kümmerte. Ihre eigenen Gedanken waren gefangen in den Geschehnissen der letzten Stunden. Bei dem Unverzeihlichen, was Kane getan hatte.

Als es für sie nichts mehr zu tun gab, stürmte sie aus dem Ständerbau und begab sich zu ihrer eigenen Hütte, um nach Sheppard zu sehen. Ronon hatte ihn irgendwann fortgebracht, seitdem wusste sie nicht mehr, wie es um ihn bestellt war.

'Leid' noch immer in der Hand, trat sie unter dem niedrigen Türsturz hindurch und befand sich sogleich mitten unter ihren Freunden. Der Sateder, der neben dem Eingang Wache gehalten hatte, ließ das eigene Schwert sinken, als er die Drachenreiterin erkannte. Teyla erhob sich bei ihrem Erscheinen aus der Hocke neben dem Bett, auf dessen Kante John saß und sich den schmerzenden Kopf hielt. Die Athosianerin schauderte. Was da vor ihnen stand war nicht Rhyan. Zumindest nicht die, die sie bislang zu Gesicht bekommen hatte. Diese Rhyan hielt eher dem Vergleich mit einem wilden Tier stand, als dem mit einem Menschen.

Die junge Frau strahlte noch immer eine fast körperlich spürbare Wut aus. Ihre Brust hob und senkte sich unter heftigem Atmen und ihre Augen glommen wild in der diffusen Dunkelheit des kleinen Raumes. Diese trug noch dazu bei, dass die Konturen der Drachenreiterin seltsam fremd aussahen. Ihre Gliedmaßen schienen unnatürlich lang und mehrgliedrig und aus ihrem Rücken ragten Schemen, die Flügeln nicht unähnlich waren. Das schwache Licht der Torflampen reflektierte auf unzähligen Schuppen. Das Schwert zitterte in ihrer Hand und als Teyla einen genaueren Blick auf diese Hand warf, so konnte sie lange, tödliche Krallen erkennen, die Rhyan anstatt Fingernägeln gewachsen waren.

Auch Sheppard erkannte diese Umstand, als er den Kopf hob und zu der Drachenreiterin blickte. Und es traf ihn zutiefst. Behutsam erhob er sich von seinem Platz auf der Bettkante, sowohl aus der Sorge heraus, einen erneuten Schwindel zu erleiden, als auch aus der Notwendigkeit, Rhyan nicht durch eine unüberlegte Geste zu erschrecken. Die Wildheit in ihren Augen ließ ihn fürchten, dass sie nicht gegen ihre Instinkte würde ankämpfen können und ihn und seine Freunde angreifen würde.

„Rhyan, es ist in Ordnung.“ Er hob seine Hände, konnte aber sein Zögern nur mit Mühe überwinden, mit dem er die junge Frau an den Schultern berührte.

Sie starrte ihn an, mit einem befremdlichen Flackern in den Augen. Dann riss sie sich los und schleuderte 'Leid' mit einem Aufschrei in die nächste Ecke. Teylas helfende Hand schlug sie unwirsch zur Seite und auch Ronon fauchte sie warnend an, als dieser ebenfalls versuchte, Hand an sie zu legen. Hätte sie Fell besessen, es wäre gesträubt wie das einer erbosten Katze.

Erschrocken hielten sich die Atlanter also von ihr fern und beschränkten sich erst einmal darauf, ihr Gebaren mit wachsamem Auge zu beobachten. Gleich einem Tier in Gefangenschaft schritt sie in dem kleinen Raum auf und ab. Dabei verlor sie sich in selbstverachtendem Fluchen. „Ich kann es nicht glauben. Ich kann nicht fassen, dass er das wirklich getan hat.“

Ihre Augen blitzten, als sie den Kopf hob und Sheppard ansah, der es tatsächlich wagte, sich ihrer unruhigen Wanderung in den Weg zu stellen. „Ich sollte zu ihm gehen und ihm eigenhändig den Kopf von den Schultern schlagen.“ Ihre verkrümmten Klauen zuckten.

Sie ließ John stehen und setzte ihr Wandern fort. „Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es kommen sehen müssen. Aber was? Ich versteife mich auf meinen naiven Glauben und lasse zu, dass er zu dem wird, was er jetzt ist. All diese Menschen da draußen,“, sie wies anklagend durch die Wand in die Richtung, in der sich der Ständerbau befand, „sie hätten nicht leiden müssen, wenn ich eher gehandelt hätte. Wenn ich diesem Teufelstanz ein Ende gesetzt hätte, anstatt immer und immer wieder zu zögern.“

„Such die Schuld nicht allein bei dir, Rhyan. Es gab immer Hoffnung und es gibt sie auch jetzt noch. Nur dass sie schwerer zu bewahren sein wird.“

Die Drachenreiterin wirbelte herum und starrte die Athosianerin an, schäumend vor Wut. „Wag es nicht von Hoffnung zu sprechen, wo es niemals Hoffnung gegeben hat. Du kannst es nicht beurteilen. Ihr alle könnt nicht beurteilen wie nah wir vor einer Katastrophe stehen.“ Sie nahm sich zurück, knurrte leise. „Kane ist das Ende aller Hoffnung.“

„Fakt ist aber, dass wir nicht einfach nach Hause gehen können.“ Ronon begegnete dem finsteren Blick der Drachenreiterin mit erstaunlicher Gelassenheit. „Wir tragen Verantwortung, weil all diese Menschen nur hierher gekommen sind, weil sie Hoffnung in dem gesehen haben, was wir planten. Wir können ihnen jetzt nicht einfach den Rücken kehren. Wir müssen beenden was wir angefangen haben.“

„Ich muss beenden was ich angefangen habe, Ronon.“, grollte sie mit einer Stimme, die nicht die ihre zu sein schien. „Ich allein.“

Sie hob ihr Schwert vom Boden und schickte sich an, die Hütte wieder zu verlassen, doch Sheppard versperrte ihr ein weiteres Mal den Weg. Und es war ein Mal zu viel.

Rhyan knurrte aufgebracht und ohrfeigte den Colonel, dass er rückwärts stolperte und um ein Haar zu Boden ging. Grelle Sterne tanzten vor seinen Augen und für einen Moment sah es so aus, als wolle ihn sein Bewusstsein dieses Mal ganz verlassen. Die gerade erst verarzteten Wunden an seiner Schläfe brachen wieder auf und bluteten erneut.

„Halt!“ Er biss die Zähne zusammen und richtete seinen verschleierten Blick auf Teyla. Mit der linken Hand hielt er Ronon neben sich zurück. Beide hatten nach dieser Attacke versucht die Drachenreiterin festzusetzen. „Teyla, Ronon, geht.“

Der Sateder machte keine Anstalten, sich auch nur einen Meter von ihm weg zu bewegen.

„Alle beide. Raus hier.“

Mit einem letzten, zweifelnden Blick auf ihren Teamleader, griff Teyla nach Ronons Arm und nahm ihn mit sich hinaus. Aufrichtige Besorgnis stand in ihren dunklen Augen, aber Sheppard schüttelte nur schwach den Kopf. Rhyan war vollkommen aus dem Gleichgewicht. Kane hatte prophezeit, dass Derartiges geschehen konnte und der Atlanter war nicht gewillt klein beizugeben. Der Krieger hatte sich geirrt wenn er wirklich glaubte, dass er Rhyan so ohne weiteres im Stich lassen und nicht um ihr menschliches Wesen kämpfen würde.

Erst als der Sateder und die Athosianerin hinter dem Vorhang verschwunden waren, erlaubte er sich wieder Atem zu schöpfen und sich aufzurichten. Etwas ungelenk wischte er sich dabei das Blut aus den Augen. „Also gut. Noch einmal von vorne.“

Rhyan stand vor ihm, 'Leid' noch immer vor sich haltend, als müsse sie sich vor Sheppard schützen. Sie beobachtete misstrauisch, wie er ihr seine geöffneten Hände entgegen streckte.

„Du siehst, ich bin nicht bewaffnet und ich werde dir kein Leid zufügen. Ich bitte dich einzig und allein darum mir zuzuhören.“ Als sie keine Anstalten machte ihn ein weiteres Mal anzugreifen, beschloss er fortzufahren: „Da hinaus zu gehen und Kane jetzt zu verfolgen und zu stellen, nachdem er mindestens genau so aufgebracht ist wie du, ist keine gute Idee, Rhyan. Ich habe keine Ahnung wie, aber er hat... doch eine sehr wirkungsvolle Art und Weise jemanden davon abzuhalten, ihm zu nahe zu kommen.“ Unwillig bewegte er den Kopf. Noch immer standen die Bilder der vergangenen Nacht lebhaft vor seinem inneren Auge.

„Er ist dein Freund, Rhyan, und auch wenn er eine Menge Unrecht getan hat bedeutet das nicht gleich, dass du ihn umbringen musst. Ihm den Kopf von den Schultern schlagen zu wollen... nun das erscheint mir gerade für jemanden wie dich etwas zu vorschnell.

Er hatte allen Grund wütend zu sein. Und wenn es stimmt was du sagst, dass er dergleichen immer und immer wieder über sich ergehen lassen musste, kann ich sogar in einem gewissen Grad nachvollziehen, dass er durchgedreht ist. Auch wenn es natürlich weit über das Ziel hinaus gegangen ist.“ Er konnte nicht mit Sicherheit behaupten, dass er zu Rhyan durchdrang. Aber zumindest schien sie ihm zuzuhören und über seine Worte nachzudenken.

„Ich will nicht leugnen, dass die Chancen für ein friedliches Miteinander jetzt auf einem ganz anderen Blatt stehen. Aber dafür haben wir jetzt eine neue Herausforderung und die heißt eine Eskalation in jeder Hinsicht zu verhindern, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Und das möglichst ohne jemanden töten zu müssen.“

„Aber es gibt keinen anderen Weg. Es wird keinen Frieden geben, solange Kane auf diesem Boden wandelt.“

Sheppard hob verwundert eine Braue und starrte Rhyan an. „Ist das dein Ernst? Du redest wie die da draußen, dabei hast du noch vor wenigen Stunden diese Sichtweise der Dinge energisch verurteilt.“

„Das weiß ich doch!“, blaffte sie wütend. „Aber ich darf nicht länger zulassen, dass mich meine naive Blindheit weiterhin daran hindert, das Offensichtliche zu erkennen. Ich belüge mich doch selbst, oder etwa nicht? Ich klammere mich an Dinge, die es früher vielleicht einmal zwischen Kane und mir gegeben hat, von denen jetzt aber nicht einmal mehr ein Schatten zurückgeblieben ist. Ich muss aufhören mir etwas vorzumachen, John.“

Ihr Atem ging noch immer flach und gepresst, als wäre sie eben erst eine weite Strecke gelaufen, und Sheppard konnte nach wie vor eine Spur dieses seltsamen Flackerns erkennen. Als würden ihre Augen irgendwo zwischen ihrer menschlichen Form und der ihres Drachenerbes festhängen. Es war beunruhigend zu beobachten.

„Ich muss vergessen, was einst gewesen ist. Er ist nicht mehr der Kane, mit dem ich befreundet gewesen bin. Dieser Kane ist ein Monster. Er ist es schon immer gewesen, nur dass er sich für meine armselige Menschenkenntnis zu gut verstellt hat. Das macht es beinah noch schlimmer.“ Ihre Hand krampfte sich um das Heft ihres Schwertes. „Und ich muss ihn jetzt stellen. Es ist höchste Zeit.“

Sie funkelte Sheppard mit streitsüchtig gesenktem Kopf an, als dieser noch immer nicht den Weg frei gab. „Geh mir aus dem Weg. Ich will dir nicht weh tun.“

„Das werde ich ganz bestimmt nicht und du wirst auch nicht da hinaus gehen. Erst wenn du mir verdammt noch mal zugehört hast.“ Er straffte sich, um einem eventuellen Angriff von ihr begegnen zu können. Sollte sie ruhig merken, dass nicht nur sie stur sein konnte. „Es bringt niemandem etwas, wenn du jetzt kopflos hinter ihm her rennst und dich in einen Kampf stürzt, den du nicht gewinnen kannst. Mal ganz davon abgesehen, dass du vermutlich die Einzige bist, die überhaupt noch irgendeine Chance hat zu Kane durchzudringen, glaube ich nicht, dass du dich derart in ihm getäuscht hast. Dass er dir all die Jahre nur etwas vorgemacht hat. Ich habe mit ihm geredet und glaube mir, ihm liegt sehr viel an dir.“

Ehrliche Verwunderung zeigte sich auf dem Gesicht der Drachenreiterin. Dass der Krieger mit Sheppard über sie gesprochen hatte, traf sie völlig unerwartet.

„Ich möchte dich lediglich davor bewahren vorschnell zu handeln, Rhyan. Ich verstehe all das hier noch nicht wirklich. Ich verstehe Kane nicht. Aber ich vertraue dir und ich glaube dir wenn du sagst, dass Kane noch zu retten ist. Wenn du aber jetzt in deinem Zorn das Gegenteil behauptest, stimmt da in meinen Augen etwas nicht.“

„Vielleicht ist es dieses falsche Bild, das nicht stimmt. Dieses Lügengerüst, auf das ich all meine Hoffnung gestützt habe. Es ist Zeit für Klarheit zu sorgen.“, erwiderte sie verbittert und trat auf Sheppard zu, schickte sich an, ihn kurzerhand zur Seite zu schieben. Offenbar war die Diskussion für sie damit beendet.

Brust an Brust standen sie sich gegenüber und starrten sich aus blitzenden Augen an. Für einen Moment war nur das Zirpen der Zikaden zu hören. Ein Luftzug ließ den Vorhang vor dem Eingang sanft wehen. Ansonsten war es still. Die Spannung zwischen den beiden beinah greifbar.

Rhyan versuchte es erneut, stieß Sheppard unsanft in die Rippen und fauchte dann wütend, als dieser daraufhin ihre Handgelenke mit eisernem Griff umschloss. „Lass mich gehen!“

Er schüttelte nur stumm den Kopf.

Es folgte ein kurzes, verbissenes Gerangel, aus dem Rhyan als klarer Verlierer hervorging und stolpernd zurück in die Mitte der kleinen Hütte taumelte. Klirrend fiel 'Leid' zu Boden. Sie blickten sich an, keuchend von dem ungleichen Kräftemessen, und versuchten ihr jeweiliges Gegenüber abzuschätzen. Dann warf sich die Drachenreiterin mit einem verzweifelten Aufheulen erneut auf Sheppard.

Mit Fäusten schlug sie wahllos auf seine Brust und seine Schultern ein.„Du sollst mich gehen lassen, verdammt noch mal. Ich muss es zu Ende bringen. Ich muss verhindern, dass noch ein Unglück geschieht. Du hast kein Recht mich aufzuhalten, John. Du hast es nicht. Und wenn ihr zu feige seid, um euch Kane in den Weg zu stellen, dann erdreistet euch wenigstens nicht auch noch mich aufzuhalten.“

Tränen schossen ihr unvermittelt in die Augen, als sie erneut erfolglos gegen den Schwarzhaarigen ankämpfte. Sie spürte, wie ihre Entschlossenheit Risse bekam, schwankte und wie ein Kartenhaus einzustürzen drohte. Sie durfte dieser Schwäche nicht gestatten Oberhand zu gewinnen. Sie durfte nicht wieder nachgeben. Jemand musste es tun und den Verfluchten endlich zum Schweigen bringen. Und sie würde diejenige sein, mochte ihr Herz auch noch so sehr dagegen rebellieren. Dieses Mal durfte sie nicht auf es hören.

„Hör auf mich einzusperren und wie ein bockiges Kind zu behandeln! Ich erwarte nicht, dass du mich verstehst und wenn du keinen Bock hast dich damit auseinander zu setzen, dann nimm deine Freunde und verschwinde. Hau ab. Geht zurück nach Atlantis und lasst mich diese Angelegenheit regeln, wie es sich gehört.“

Sie bebte am ganzen Körper und versuchte vor dem Colonel zurück zu weichen, seine Hände von sich abzuschütteln. Und mit ihnen die Zweifel, die nunmehr mit Macht hervortraten und ihre Überzeugung bröckeln ließen. Doch sie konnte nicht verhindern, dass vor ihrem inneren Auge all jene Erinnerungen aufstiegen, die sie Kane wie einen Bruder hatten lieben lassen. Dinge, die sie gemeinsam durchgestanden und die das Band zwischen ihnen immer härter geschmiedet hatten. Dinge, die man nicht einfach vergaß und von sich schieben konnte, als hätte es sie nie gegeben. Die man nicht einfach ohne Weiteres leugnen konnte.

Rhyan stöhnte gequält, lehnte sich in verzweifelter Traurigkeit dagegen auf. Trugbilder. Alles war ein Zerrbild und sie musste es zerschlagen. Mit einem jämmerlichen Aufheulen versuchte sie sich loszureißen und vor Sheppard und der Wahrheit zu fliehen. Doch er fing sie ein, unterband ihr ohnmächtiges Toben und barg sie in seinen Armen. Hielt sie fest, bis ihre Gegenwehr in ein schluchzendes Zittern überging. Die Hand, mit der sie eben noch auf seinen Oberkörper eingeschlagen hatte, schlang sich in sein Hemd, krallte sich an ihn.

Jeglicher Widerstand brach endgültig zusammen und die Tränen, die sie all die Mondumläufe eisern zurück gedrängt hatte, brachen sich Bahn. Hemmungslos weinend drängte sie sich an Sheppard und gab sich ihrem Schmerz hin. Ließ sich in seinen Schutz und seinen Trost sinken.

Verrat

Ein Mal mehr senkte sich die Nacht über Kranor-Rill und in dem kleinen Sumpfdorf kehrte endlich Frieden ein. Das hektische Treiben verebbte, die Menschen zogen sich in ihre Hütten zurück, um dort in den tiefen Schlaf der absoluten Erschöpfung zu fallen. Nichts regte sich mehr auf den verwinkelten Wegen.

Nichts außer einiger Schatten. Tief in lange Umhänge gehüllt, huschten sie verstohlen zwischen den niedrigen Bauten dahin und fanden sich ein kleines Stück außerhalb der Siedlung zusammen. Nicht mehr als zehn Gestalten. Ihre langen Stäbe, die sie bei sich trugen, wiesen sie als Angehörige des Ältestenrates aus. Angehörige aller Dorfgemeinschaften. Sie standen im Schlagschatten einiger gerupft aussehender Zypressen, wo das fahle Licht der beiden Monde nicht hinreichte.

„Auch wenn wir heute einen weiteren schrecklichen Schlag verkraften mussten, ist es eine Fügung des Schicksals, dass wir alle hier zusammen versammelt sind, um uns endgültig von dem Joch dieses rothaarigen Teufels zu befreien.“ Von dem hochgewachsenen, hageren Redner waren lediglich die Augen unter der weiten Kapuze zu erkennen. Mit ihnen musterte er die Anwesenden aufmerksam. Nicht von jedem der Dörfer war ein Mitglied erschienen. Aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Anders als die Ryliti waren die Sumpfmenschen an sich ein scheues und furchtsames Volk, nicht geschaffen um Konflikte mit Gewalt zu lösen. Aber Zeiten änderten sich nunmal.

„Jeder, der nicht bereit ist dieses Risiko einzugehen, kann jetzt diesen Ort verlassen. Wir werden seinem Dorf keinen Vorwurf machen. Allen von uns ist bewusst, wie groß die Gefahr ist, dass wir scheitern werden.“

Niemand rührte sich und ein wölfisches Grinsen huschte über die Züge des Sprechers. Die Entschlossenheit seines unterdrückten Volkes setzte sich endlich gegen dessen stumme Akzeptanz durch. „Der Verfluchte hat uns heute ein Mal mehr gezeigt, was er von uns, seinen Untertanen, hält.“ Das Wort Untertanen spie er angewidert wie ein faules Nahrungsstück aus. „Wir sind für ihn nichts weiter als Schmutz unter seinen Stiefeln. Verbrauchsmaterial auf seinem Weg zur Allmacht. Er unterscheidet sich kein bisschen von dem Usurpator Prirates, so sehr er und seine missgeborene Begleiterin es auch betonen.

Seht doch nur, was er den Ryliti angetan hat, die seinem Willen nicht treu ergeben waren. Er hat sie gehetzt und getötet wie Vieh. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er uns Menschen eine ganz ähnliche Behandlung zukommen lässt. Die ersten Dorfvorstände hat er schließlich bereits ausgelöscht.

Sie beide wollten uns in eine Falle locken mit dieser Zusammenkunft. Die Hure hat es mit Hilfe der Fremden so aussehen lassen, als sei sie ernsthaft an einer Lösung interessiert, um möglichst viele von uns hier her zu locken. Das ist ihr gelungen. Aber ihr Plan, uns mit einem Schlag auszulöschen, ging nicht auf.

Statt dessen hat sie sich nun selbst einen Dorn ins Fleisch gesetzt. Sie haben nicht damit gerechnet, dass sich Menschen und Ryliti zusammenschließen könnten. Nie zuvor sind wir so stark und handlungsfähig gewesen wie jetzt. Noch nie zuvor hatten wir die Chance einen groß angelegten Angriff zu beschließen und mit all unserer Kraft auch durchzuführen. Die Schläue der Menschen und die Kampfkraft der Ryliti wird uns den entscheidenden Vorteil für einen Sieg garantieren.“

Zustimmendes Murmeln wurde laut. Die leidenschaftlichen Worte sprachen jedem von ihnen aus dem Herzen, selbst wenn sie niemals aus eigenem Antrieb so weit gegangen wären. Dass sich jetzt jemand zu ihrem Rädelsführer aufschwang und ihnen somit die Hemmungen und Unsicherheiten nahm, glich einem Befreiungsschlag. Sie würden jedem folgen, der eine solche Zukunft prognostizierte.

Mit einer ausladenden Geste gebot der Sprecher Schweigen. „Es erfreut mein Herz zu sehen, dass ihr mit solch flammendem Herzen dabei seid. Aber wir müssen vorsichtig sein. Wir müssen mit Bedacht vorgehen, um kein Misstrauen zu erwecken. Weder bei dem Verfluchten, noch bei der Drachenreiterin und ihren fremden Freunden. Je länger sie sich in Sicherheit wähnen, umso einfacher wird es für uns, sie ungeschützt zu treffen. Wir werden diesem Übel ein für alle Mal ein Ende setzen.

Die größte Gefahr geht sicherlich von dem Verfluchten aus. Und er ist es auch, den wir zuerst eliminieren werden. Sein Tod wird die Drachenreiterin hoffentlich so weit verunsichern, dass sie und ihr Drache nicht mehr gegen uns vorzugehen wagen. Denn wenn wir es schaffen, Kane zu töten, ist auch ein Drache kein Gegner.“

Es war sehr sehr beschönigend gesprochen und eine glatte Lüge, dass Arokh leichter zu besiegen sein würde als Kane. Aber diesen Umstand musste er verschleiern, um die Moral und den Mut seiner leichtmütigen Männer nicht zu gefährden. Insgeheim hoffte er, dass Rhyan mit ihrem Drachen verschwinden würde, wenn Kane erst einmal gefallen war.

Aus dem Kreis der Zuhörer trat ein schmächtiger junger Mann hervor. Er trug keinen der langen Stäbe bei sich, der ihn als Mitglied eines Dorfvorstandes ausgewiesen hätte. Sein Mantel aber wirkte sorgfältig gearbeitet und war aus einem feinem, unbeschädigtem Material gefertigt. Offenbar stammte er aus einem der Dörfer, die nahe der Grenze Kranor-Rills lagen und die Handel mit den auswärtigen Städten betrieben. Nicht gerade eine Erscheinung, die das Wohlwollen der Anwesenden auf sich zog.

Seine Stimme klang dünn und nichtssagend, als er zu Sprechen anhob: „Ich werde den Krieger für euch töten. Es wäre mir eine Ehre, den Ältesten durch diese Tat zu Diensten sein zu können.“ Er verneigte sich leicht vor den Versammelten.

Mit unverhohlener Ablehnung musterte der Wortführer die schmale Gestalt vor sich. „Was lässt dich glauben, dass du zu einer solchen Tat in der Lage wärst? Noch dazu ganz allein wie mir scheint.“ Die Häme in seinen Worten war ätzend.

„Weil ich den Verfluchten schon ein Mal angegriffen und beinah getötet hätte.“, fuhr der junge Mann ungerührt fort. „Ich habe sein Heim über seinem Kopf niedergebrannt und habe ihn in die Verbannung geschickt. Zugegeben, er ist mir und meinen Kopfgeldjägern entkommen. Aber ich gedenke diesen Fehler nicht noch einmal zu begehen.“

Herausfordernd blickte er in die Runde. Dann streckte er einen seiner spindeldürren Arme unter der Robe hervor und ließ über seiner geöffneten Handfläche ein violettes Licht erscheinen. Gespenstisch spiegelte es sich auf seinem Gesicht und in den weit aufgerissenen Augen der gebannten Männer. „Ihr vergesst bei eurem kühnen Plan, dass der Verfluchte die Macht der schwarzen Künste besitzt. Wie wollt ihr seinen Schild durchbrechen, wenn er diese Macht gegen euch wendet? Ihr würdet verglühen wie ein Tautropfen in der Sommersonne.“

Das Licht flackerte kurz und erlosch dann wieder. Die Dunkelheit der Nacht schien dunkler als zuvor. „Ich kann dafür sorgen, dass er diese Macht nicht einsetzen kann. Und ich kann ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Nutzt einer von euch dann noch die Lücke in seiner Verteidigung, wird sein Herz dem kalten Stahl unserer Klingen nicht entkommen.“

„Du bist ein Mal gescheitert. Du könntest es wieder tun.“ Die Ablehnung war von dem Gesicht des Rädelsführers gewichen und hatte einem offensichtlichen Erstaunen platz gemacht. Aber dennoch schwangen Zweifel in seiner Stimme. Er hatte keinesfalls vergessen, dass Kane über schwarze Magie gebot. Sein Plan war gewesen schnell genug den tödlichen Stoß anzusetzen, bevor der Krieger diese Macht gegen sie verwenden konnte. Die hier offerierte Lösung war fast zu schön um wahr zu sein.

Der schmächtige Junge lächelte hässlich. „Haltet mir die Drachenreiterin vom Leib. Der Rest erledigt sich wie von selbst. Ihr werdet sehen.“

Die Versammelten berieten sich leise murmelnd, doch im Grunde gab es nichts an dem Vorschlag zu rütteln. Er klang perfekt. So perfekt, dass es einen wagemutigen Versuch rechtfertigte.

„Also gut. Du hast unser Vertrauen für diese Aufgabe. Ich kenne dich nicht, aber wenn der Verfluchte erst einmal im Reich unserer Toten weilt, wird die Entfremdung unserer Siedlungen hoffentlich ohnehin der Vergangenheit angehören. Es darf nie wieder so einfach sein unser Volk zu entzweien, wie in den vergangenen Zyklen.

Ich selbst werde hier bleiben und die Drachenreiterin und die Fremden so lange es mir möglich ist hier binden. Aber ich kann nicht versprechen, dass wir ihrer Macht lange gewachsen sein werden. Ihr müsst euch beeilen.“

Der junge Mann neigte erneut das kapuzenbedeckte Haupt. „Ich weiß dieses Angebot zu schätzen. Ich, der ich von den Wiesen und Wäldern vor den Grenzlanden Kranor-Rills stamme und hier her kam, um die Toten meines Volkes zu rächen, verspreche euch, dass das Verhältnis zwischen meinem Volk und dem Volk des Sumpfes in neuer Stärke erstrahlen wird, wenn gemeinsam die Bedrohung des Verfluchten besiegt worden ist. Mein Volk hat ebenso gelitten wie das eure und wie die Stämme der Ryliti. Das Feuer des Widerstandes brennt hell.

Gebt mir zwei eurer Vertrauten, die mich auf dieser Reise begleiten sollen, und wir werden noch in dieser Nacht aufbrechen. Wir können noch vor dem Morgengrauen den Vorposten erreichen und gemeinsam die Zeit des Leids und der Angst beenden.“

„So sei es.“ Die langen Stäbe der Versammelten schlugen dumpf auf die weiche Torferde. Die leidenschaftlich gesprochenen Worte des unscheinbaren Fremden hatten keinen der Anwesenden unberührt gelassen. „Reist auf sicheren Pfaden und bringt Carsultyal die lang ersehnte Freiheit.“

Lautlos trennten sie sich voneinander, um die letzten Vorbereitungen für den geplanten Aufbruch zu treffen. Der Transport zum Vorposten würde mit Hilfe der Ryliti geschehen. Das ermöglichte ein schnelles und sicheres Vorwärtskommen. Die Kreaturen waren stark genug, um die leichten Sumpfmenschen über eine weite Strecke zu tragen und sie waren Meister in der Fortbewegung im Sumpfgelände. Dazu kam noch, dass ihre großen Facettenaugen eine gute Nachtsicht gewährleisteten.

Während die letzten Handgriffe in angespanntem Schweigen getätigt wurden, schlich sich der Wortführer der Rebellengruppe zu den Hütten der Atlanter. Er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass niemand den Aufbruch der kleinen Truppe bemerkte. Vielleicht, so hoffte er, würde ihm einer dieser Fremdlinge einen Grund geben, ihm das Messer zwischen die Rippen zu jagen.

Doch die eine Hütte lag in tiefer Dunkelheit, der hünenhafte Krieger und dessen zauberhafte Begleiterin lagen in ungestörtem Schlaf. Aufmerksam schweifte der Blick des Mannes durch den kleinen Raum. Auch die Waffen der Fremden lagen abseits der Betten auf einem niedrigen Holztisch und waren damit nicht unmittelbar griffbereit. Er würde Wachen aufstellen, damit dies auch so blieb. Zufrieden zog er sich zurück.

Hinter dem Vorhang der zweiten Hütte sickerte noch der schwache Schein einer Lampe hervor, zeichnete ein scharf abgegrenztes Rechteck auf die blanke Erde davor. Alarmiert trat der unerwünschte Gast an den Eingang heran und schob den Sichtschutz lautlos ein kleines Stück zur Seite. Er würde den Aufbruch der Gruppe auf unbestimmte Zeit verschieben müssen, wenn die Menschen in dieser Hütte noch wach waren.

Das Licht einer einzelnen Torflampfe erhellte den beengten Raum und brach sich auf der schweißbedeckten Haut des Paares, das in enger Zweisamkeit die Laken des Bettes zerwühlte. Das schwere Keuchen der beiden drang an die Ohren des heimlichen Beobachters, zauberte ein dreckiges Grinsen auf seine Züge. Nun, das änderte natürlich einiges. Diese hier würden nichts von all dem mitbekommen, was sich jenseits der Wände ihrer Hütte abspielte.

Mit morbider Faszination beobachtete er, wie sich die Drachenreiterin unter dem Körper des fremden Mannes wand, sich ihm in betörender Hingabe entgegenwölbte und unter seinen harten Stößen unkontrolliert erzitterte. Sie hieß ihn mit willig gespreizten Schenkeln in ihrem Schoß willkommen, die langen Finger ihrer Linken hatten sich in das dichte schwarze Haar des Mannes geschlungen und unterstrichen ihren Wunsch, seine Lippen auf ihren entblößten Brüsten zu fühlen. Ihre andere Hand ruhte auf seinem zuckenden Becken.

Es erregte den Rebell, seine Feindin in einer solch prekären Situation zu sehen, weshalb er auch nicht sofort zu seinen Leuten zurückkehrte. Viel mehr ergötzte er sich an ihrem gepressten Atem und den leisen Schreien, wenn der Fremde das Tempo seiner wohl kontrollierten Stöße erhöhte und ihre Hüften mit festem Griff umschloss, um sie sich zu unterwerfen und ihre Bewegungen zu dirigieren. Willig folgte sie jeder einzelnen seiner Forderungen.

Er wünschte sich inbrünstig, sie auch in dieser Art und Weise beherrschen zu dürfen. Neidvoll glitt sein Blick über die Muskeln des fremden Mannes. Der glänzende Schweiß betonte sie noch zusätzlich, hoben die athletische Erscheinung des Fremden hervor und steigerten seinen eigenen Neid. Der Mann war stark. Nicht zu vergleichen mit seiner eigenen schwachen Körperkonstitution. Und es ermöglichte diesem offenbar auch die ungezügelte Leidenschaft der Drachenreiterin zu bändigen. Sie schnurrte wie ein Kätzchen.

Mit einem kehligen Stöhnen überwand der Schwarzhaarige in diesem Augenblick die Grenzen seiner Beherrschung, unterwarf sich der entfesselten Macht seiner Emotionen. Sein Körper bäumte sich mit einem leisen Klimpern auf, als die dünne Kette um seinem Hals gegen seine Brust schwang, und seine Hüften pressten sich bebend in die feuchte Wärme der Drachenreiterin.

Der Rebell quittierte es mit einem abfälligen Grunzen. Nicht zu fassen, dass dieser dahergelaufene Straßenköter seine Fruchtbarkeit in den Schoß dieses Weibes entlassen durfte. Angewidert wandte er sich ab und ließ den Vorhang zurück vor den Eingang gleiten. Hier gab es nichts mehr für ihn zu sehen. Wer weiß, wenn der Verfluchte erst einmal beseitigt war und sich die Aufmerksamkeit der Rebellen auf die Drachenreiterin und die Fremden fokussierte, vielleicht käme ihm dann irgendwann die Gelegenheit, ihren Liebhaber zu töten, um sich dann selbst zu nehmen was diesem zustand.

Eine durchaus erfreuliche Zukunftsvision, die seinen Gang federnd werden ließ und das Grinsen zurück auf sein hageres Gesicht zauberte. Er würde dieser wilden Hure schon Respekt und Demut beibringen. Und ihren räudigen Bock qualvoll vor ihren Augen dem Tod überantworten.

Aber jetzt galt es erst einmal die Weichen für diese Zukunft zu stellen und der kleinen Delegation zum Aufbruch zu verhelfen. Vielleicht würde schon morgen Abend er das Bett mit der Drachenreiterin teilen, während der Körper des Fremden in den Untiefen Kranor-Rills verrottete.
 

Als Rhyan endlich den letzten, klebrigen Fäden ihres Schlafes entkam, wandelte sich das dumpfe Dröhnen der Trommeln aus ihrem Traum in das stete Klopfen von Regentropfen, die auf das Schilfdach ihrer Hütte prasselten. Das Wetter war umgeschlagen, die sengende Sonne war durch tiefhängende Wolken verdrängt worden, aus denen sich wahre Sturzbäche auf den ausgedörrten Boden der Sümpfe ergoss. Die Drachenreiterin verlor sich einen Moment in einem schläfrigen Lauschen. Hoffentlich brachte der Regen auch die ersehnte Abkühlung. Bei ihrem Glück würde es jedoch nur schwüler werden.

Ein Blick über ihre Schulter bestätigte, dass Sheppard schon auf war und die Hütte bereits verlassen hatte. Jedoch nicht ohne ihre Kleidung zuvor in Reichweite vor das Bett gelegt zu haben und einen Krug frischen Wassers daneben zu stellen. Dankbar angelte Rhyan nach den Sachen und schmunzelte dabei leise vor sich hin. Vielleicht sollte sie öfters die Beherrschung verlieren, wenn John ihr anschließend so viel Aufmerksamkeit zukommen ließ.

Von draußen konnte sie durch das eintönige Rauschen des Regens laute Stimmen hören. Sie waren ein ganzes Stück entfernt, aber sie klangen für die Ohren der Drachenreiterin recht aufgebracht. Seufzend schlüpfte sie in ihre Stiefel. Was war nun wieder schief gegangen?

Als sie hinaus trat, musste sie sich erst einmal mit zusammengekniffenen Augen orientieren, ehe sie die Herkunft der Stimmen bestimmen konnte. Durch die dichten Schleier, die aus den Wolken zur Erde stürzten, war das Dorf nur als verschwommener Umriss zu erkennen. Die Wege zwischen den Gebäuden waren bereits aufgeweicht und große Pfützen bildeten ein wahres Labyrinth, welches es zu überwinden galt.

Natürlich. Die Gesprächsfetzen wehten aus der Richtung des Ständerbaus zu ihr herüber und so machte sich die Drachenreiterin missmutig auf den Weg dort hin. Schon nach wenigen Schritten war sie bis auf die Haut durchnässt und auch wenn es warmer Regen war, so fröstelte sie doch in dem leichten Wind, der die Nässe wie einen Vorhang vor sich her trieb. Sie war heilfroh, als sie unter dem Dach des Ständerbaus Schutz suchen konnte, von dem das Wasser in Kaskaden herab rann und auf diese Weise einen natürlichen Sichtschutz gegen unerwünschte Zuschauer bot.

Dort traf sie auf ihre Freunde und einen kleinen Teil des Dorfvorstandes. Dieses Mal jedoch war jemand anderes ihr Vorsprecher und Rhyan schnitt eine Grimasse, als sie in ihm den gleichen Kerl erkannte, der gestern immer wieder die Versammlung angeheizt, die Stimmung der Zusammenkunft ins Aggressive gezogen hatte. Nicht die beste Wahl, um die angespannten Verhandlungen weiter zu führen. Kein Wunder also, dass die aufgebrachten Stimmen durch den Regen bis zu ihrer Hütte durchgedrungen waren.

Der Sumpfmann wandte sich dem Neuankömmling zu und ließ ihr ein Lächeln zukommen, welches falscher nicht sein könnte. „Ich denke wir können diese Diskussion nunmehr beenden. Wo doch unsere Drachenreiterin jetzt meine Bedenken bestätigen kann. Wenn schon nicht ich Ihre Zweifel widerlegen kann, Colonel, so werden Sie doch wenigstens auf sie hören.“

Finster erwiderte Rhyan den anzüglichen Blick des Mannes und wischte sich einige Regentropfen aus der Stirn. Ihr Haar troff vor Nässe. Was für ein abstoßender Kerl. Sie hatte keine Ahnung worüber sich die Anwesenden bis eben unterhalten hatten und eigentlich verspürte sie auch keinerlei Lust, daran Teil zu haben. Jetzt wo auch noch die Verhandlungsspitze gewechselt hatte.

Doch Sheppard übernahm es, sie kurz und knapp über den aktuellen Stand der Dinge aufzuklären. Demnach verweigerten die Einwohner Kranor-Rills verständlicher Weise jegliche weitere Verhandlungsführung unter dem Beisein Kanes, erklärten sich aber bereit mit den Atlantern über mögliche Wege aus der Problematik zu sprechen. Nach dem verkniffenen Gesichtsausdruck des Colonels zu urteilen, waren diese Gespräche und die darin gestellten Forderungen allerdings in keinem akzeptablem Rahmen.

Bevor der Gesprächsführer des Dorfes wieder das Wort ergreifen konnte, wirbelte Sheppard zu diesem herum und fuhr ihm in die Parade: „Und nein, es ist nicht empfehlenswert, den Krieger allen Ernstes mit solchen Ansprüchen zu bedrängen. Die Zeit für so große Schritte ist noch nicht gekommen. Es braucht Zeit und Geduld, um eine Lösung zu erarbeiten, mit welcher sie alle zufrieden leben können.“ Wütend blitzte er den Mann an und stieß dann in einem langgezogenen Seufzen den Atem aus. „Wir haben das mittlerweile schon bis an unser aller Schmerzgrenze diskutiert, meinen Sie nicht? Wir alle haben gesehen was passiert, wenn Kane in die Ecke getrieben wird. Demnach müssen wir etwas Vergleichbares in Zukunft in jedem Fall vermeiden. Dass müssen Sie doch einsehen?“

Nach der anfänglichen Überraschung über das ungehobelte Verhalten des Colonels, blickte dessen Gegenüber mit kühler Verachtung auf den Atlanter. Es war ihm anzusehen, dass er den Fremden für dieses Verhalten liebend gern zur Rechenschaft gezogen hätte, dies aber aus Anstandsgründen nicht tat. „Niemand von uns hat behauptet, dass wir eine Lösung anstreben die beiden Seiten zupass kommt. Was für mich und meine Volksangehörigen von Bedeutung ist, ist einzig und allein die Freiheit vor dem Verfluchten. Wir wollen ihn nicht länger in unserem Land, in Kranor-Rill, beherbergen. Er ist ein Fremder, ein Eindringling. Er hat zu gehen. Wir sind lediglich bereit ihm zu zu billigen, dass er sich für die Suche nach einer neuen Niederlassung einen gewissen Zeitraum nehmen kann. Sollte er diesen Vorschlag nicht akzeptieren oder uns in dieser Zeit des Asyls in irgendeiner Form bedrohen, wird das Volk der Sümpfe ihm den Krieg erklären.“

Sheppard verdrehte nur die Augen. Sie bewegten sich im Kreis und das nun schon seit Stunden. Es war zum verrückt werden. Sie konnten sich den Mund fusselig reden, selbst Teyla war ein ums andere Mal kurz davor gewesen ihre Beherrschung zu verlieren. Diese Menschen sahen nicht, dass sie Kane unterlegen waren, egal was sie behaupteten. Der Krieger würde sie zerschmettern und das schneller, als Widerstand überhaupt möglich sein würde. Aber jeder Versuch, sie vor diesem folgeschweren Fehler zu bewahren, war vertane Mühe.

Sheppard war mittlerweile schon so weit, dass er es ernsthaft in Betracht zog, die Einwohner Kranor-Rills diesem selbst gewählten Schicksal einfach zu überlassen. Es war nicht seine Aufgabe, Blinden das Sehen zu lehren.

„Ihr werdet bei dem Versuch sterben und das wisst ihr.“ Rhyans Stimme war bar jeglicher Emotion. Sie starrte die versammelten Männer unter ihren zusammengezogenen Brauen hinweg an. „Es ist pure Blasphemie was ihr da redet. Armselig. Hört auf den Rat meiner Freunde, und ihr werdet ein Stück länger leben.“

„Was soll das für ein Leben sein, unter der Fuchtel eines wahnsinnigen Kriegers und seiner dämonenbesessenen Schlampe?“

Rhyan zog mit einem drohenden Grollen ihre Lippen zurück und entblößte damit ihre tödlichen Fänge. Niemand redete in dieser Art und Weise über sie, nicht einmal der Sprecher des Vorstandes. Doch Sheppard kam ihr zuvor.

Er packte den Mann an seinem Hemdskragen und drängte ihn einige Schritte vor sich her, bis ein Holzpfosten in seinem Rücken weitere Schritte unterband. Seine grünen Augen versprühten Blitze. „Es reicht! Wir sind hier fertig.“

Schweigend maßen sich die beiden ungleichen Männer. Dann ließ Sheppard das Hemd wieder los und trat zurück, nicht ohne seine Abscheu verbergen zu können. „Wir sind mit Sicherheit nicht hier her gekommen, um uns grundlos beleidigen zu lassen. Wenn ihr so sehr davon überzeugt sind, dass ihr den Konflikt ohne neutrale Hilfe lösen können – nur zu. Schaufelt euch euer eigenes Grab.“

„Niemand ist neutral, der mit dem Verfluchten im Bunde steht und auch noch der Deckhengst seiner Schlampe ist.“

Sheppard gefror mitten in der Bewegung und für einen Moment war nichts außer dem Rauschen des niederprasselnden Regens zu hören. Hatte er das gerade wirklich richtig gehört? Seine Kiefer mahlten, als er einen Blick über die Schulter warf und voll unterdrückter Wut auf den Sumpfmann blickte. Dieser hatte auch noch die Frechheit, ihn voller Häme anzugrinsen.

Noch bevor er überhaupt eine Chance hatte, seine Bewegung zu Ende zu führen, welche ihn unmittelbar vor diesem widerwärtigen Einfallspinsel zum Stehen gebracht und es ihm ermöglicht hätte, diesem die Faust in das feiste Grinsen zu schlagen, war Ronon an der Seite des Colonels und zerrte ihn von dem lachenden Sumpfmann fort.

Rhyan zappelte indes in Teylas eisernem Griff, schäumend vor Wut.

Amüsiert verfolgten die Versammelten dieses Schauspiel. Es hätte nur noch gefehlt, dass sich ihr Wortführer die Hände rieb. „Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass wir auf euer kleines Theaterstück hereinfallen, oder? Wir haben nie, keinen einzigen Augenblick in diesen... Verhandlungen... geglaubt, dass ihr uns aufrichtig helfen wolltet. Uns war durchaus klar, dass genau das Gegenteil der Fall gewesen ist. Dass ihr uns alle ausschalten wolltet, um dem Verfluchten den Weg zu bereiten.“

Fassungslos starrten die Freunde auf die versammelten Ältesten. Der Wind fauchte unter das Dach des Ständerbaus und rüttelte an der Konstruktion, als wäre er ebenso aufgebracht wie sie.

„Aber wir haben euch durchschaut und Maßnahmen eingeleitet, die eure Pläne durchkreuzen werden. Schon jetzt ist es viel zu spät für euch, um uns noch vor einem absoluten Triumph abhalten zu können.“ Er brach in schallendes Gelächter aus und wies einige der Umstehenden an, die Vier zu umstellen und festzusetzen. „Ihr werdet uns verzeihen, aber wir können selbstverständlich nicht dulden, dass ihr euch weiterhin frei auf unserem Territorium bewegt.“

Die schimmernden Spitzen der Speere richteten sich in einer unmissverständlichen Drohung auf ihre ungeschützten Kehlen und so mussten die Atlanter wohl oder übel zulassen, dass man ihnen die Hände mit einem rauen Strick auf dem Rücken zusammenband.

Rhyan hingegen setzte sich vehement gegen die Gefangennahme zur Wehr. Der Zorn über diesen Verrat ließ sie den Schmerz missachten, der durch ihren Körper zuckte, als sich gleich zwei der Speerspitzen in ihre linke Schulter bohrten. Ihre Augen flammten auf, dann kreiselte sie zu ihren Angreifern herum, die Zähne in einem wilden Knurren gefletscht. Niemand legte ungestraft Hand an sie oder ihre Freunde.

Keinen Herzschlag später gingen die beiden Speerträger sich überschlagend zu Boden, die Waffen wurden ihren Händen entrissen. Der Dritte Angreifer starb mit aufgerissener Kehle. Rhyan würde jeden töten, der es wagte ihnen ein Leid zuzufügen.

Wie aus weiter Ferne drang der Ruf des Wortführers durch ihren Wutrausch zu ihr und sie wirbelte herum, in der wilden Entschlossenheit ihn als nächsten zu töten. Doch was sie sah, ließ sie schlagartig inne halten.

Schneller als sie hätte reagieren können, fuhr der Stab des Sumpfmannes auf Sheppard nieder, der wehrlos ihm zu Füßen auf den Knien kauerte. Er traf ihn direkt ins Gesicht. Blut spritzte auf den staubbedeckten Boden. Der zweite Schlag traf ihn erneut gegen die Schläfe und hätte ihn gefällt, würde er nicht an seinen Fesseln aufrecht gehalten werden. Der Dritte war ein Stoß mit der stumpfen Stabspitze in den ungeschützten Unterleib des Colonels. Er ächzte gepeinigt.

Die Augen seines Peinigers glänzten in abstoßender Freude, als er seinen Stab zu einem vierten Schlag erhob und zu Rhyan blickte, um zu sehen wie sie darauf reagieren würde. „Greife meine Leute weiter an und ich schlage ihn vor deinen Augen tot.“

Die ängstlichen Blicke seiner Gefolgschaft ließ er an sich abprallen. Sie fürchteten sich vor Arokh, davor dass sie mit dieser Attacke zu weit gegangen sein könnten. Sie würden sehen, dass er ihnen einen Vorteil verschafft hatte, indem er die Fremden und die Gefährtin des Drachen als Pfand gegen ihn einsetzte.

Die Drachenreiterin zuckte, hin und her gerissen zwischen der Empörung und der Furcht, dass der Rebell die Worte wahr machen könnte. Sheppard keuchte und spie aus. Aus einer Platzwunde über dem rechten Auge sickerte Blut.

Rhyan presste ihre Lider aufeinander, kämpfte gegen ihren tobenden inneren Dämon. Alles in ihr schrie nach Rache für diese Brutalität. Aber sie durfte ihm nicht nachgeben. Es war schließlich nicht allein Sheppard, der sich in den Klauen dieser Sumpfbestien befand. Sie musste genau so an Teyla und Ronon denken. Bebend ließ sie sich zu Boden sinken und ohne weitere Gegenwehr binden.

„Kluges Mädchen.“ Der Mann grinste teuflisch. Dann ließ er seinen Stab mit schwindelerregender Schnelligkeit herumwirbeln. Ronons aufgebrachter Schrei übertönte für einen Moment den Regen und das dumpfe Geräusch des Aufpralls. Dieses Mal stürzte Sheppard in den Staub und rührte sich nicht mehr.

„NEIN! Du Bastard.“ Rhyan wollte aufspringen, doch die Spitze des Stabes schwebte bedrohlich über Johns schutzloser Kehle. Er brauchte den Stab nur fallen zu lassen, um das Ende des Atlanters zu besiegeln.

Mit Tränen in den Augen musterte sie den reglosen Colonel. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie sich der Sateder gegen seine Fesselung auflehnte und ebenfalls besinnungslos geschlagen wurde. Teyla hielt im letzten Moment inne, ehe sich die Wache ihr zuwandt und drohend den Speer auf sie richtete.

Die Worte, die der Sumpfmann vor ihr an Rhyan richtete, nahm diese gar nicht mehr zur Kenntnis. Sie fühlte in ihrem ganzen Körper nichts als eine kribbelnde Taubheit. Musste denn wirklich alles schief gehen? Sie kauerte sich zusammen, machte sich ganz klein und sandte dann ihren Geist in einem verzweifelten Hilfeschrei aus.
 

Es hätte keines Hilferufes bedurft, um Arokh in das Sumpfdorf zurück zu rufen. Der Drache hatte Kane bis zum Vorposten vor sich her gehetzt und doch nicht zu Fassen bekommen. Der Verfluchte war in den Eingeweiden des Bauwerkes verschwunden, bevor der Drache seine Klauen nach ihm hatte ausstrecken können.

Wutschnaubend war er danach über den Ruinen gekreist und hatte sich schlussendlich wieder auf den Weg zurück zum Dorf begeben, wo er dann unerwartet auf eine seltsame Gruppe aus Ryliti und Sumpfmenschen gestoßen war. Im Schutz der Nacht waren sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch den Sumpf gejagt, immer in Richtung des Vorpostens. Für wenige Meilen hatte er sich an ihre Fersen geheftet, bis er sich sicher war. Und Arokhs Sorgen hatten noch zugenommen. So schnell ihn seine Flügel trugen, hatte er sich auf den Rückweg gemacht und als Rhyans Ruf ihn erreichte, war er schon so gut wie am Dorf angekommen.

Die Hütte, welche in unmittelbarer Nähe zu dem Ständerbau errichtet worden war, explodierte in einem ohrenbetäubenden Brüllen zu einer blau-goldenen Feuersäule, deren Hitze ringförmig abstrahlte und jeden Grashalm zu Staub, jede Pfütze zu Wasserdampf verglühen ließ. Die Sumpfmenschen wurden von ihren Füßen gerissen und auch Rhyan und Teyla, die noch auf ihren Knien hockten, stürzten zu Boden. Offenbar hatte niemand mit einem so schnellen Erscheinen des Drachen gerechnet. Eine entfesselte Naturgewalt konnte nicht schrecklicher sein.

Erst nachdem sich der Staub und die Trümmer wieder gelegt hatten, war der dreieckige Schatten Arokhs durch die dichten Regenschleier zu sehen. Er schraubte sich aus dem wolkenverhangenen Himmel, kam in der Luft kurz vor dem Ständerbau zum Stehen und brüllte in beängstigender Wut. Das Holzuntergstell des Gebäudes knirschte verdächtig.

„Ihr wagt es...“

Die Stimme des Drachen bebte durch jeden einzelnen Geist. Sein Zorn ließ selbst Rhyans Zähne schmerzhaft knirschen. Teyla neben ihr stöhnte, doch der Effekt auf die Sumpfmenschen war ungleich stärker. Wer dem Druck der telepathischen Berührung nicht gewachsen war, sank wo er stand ohnmächtig in sich zusammen. Andere suchten in blinder Panik das Weite. Nur der feste Kern der kleinen Rebellengruppe drängte sich in der Mitte des Gebäudes aneinander, schob sich aus der Sicht des erzürnten Drachen. Vergebens.

Mit einem weiteren ungeduldigen Grollen riss Arokh kurzerhand das Dach des Ständerbaus von den Streben und schleuderte es zur Seite, als wäre es nichts weiter als ein Blatt Papier. Seine goldenen Augen funkelten. „Ihr elendigen Kreaturen.“

Er landete auf seinen Hinterläufen, die Schwingen noch immer eindrucksvoll gespreizt und die tödlichen Vorderklauen in unmissverständlicher Drohung erhoben. Sein gehörnter Schädel senkte sich zu der schlotternden Gruppe herab, die er mit sicheldünnen Pupillen musterte. „Ich gab euch mein Wort, dass eurem Dorf kein Schaden durch diese Menschen zugefügt werden wird. Ihr aber hintergeht dieses Versprechen, indem ihr meine Gefährtin und ihre Freunde als eure Gefangenen nehmt.“

„Nicht wir haben das Abkommen gebrochen.“ In einem wagemutigen Anflug von Größenwahn tat sich der Wortführer der Rebellen hervor und stellte sich vor die Nüstern des Drachen. Er hatte sein Kreuz durchgedrückt und die schmächtigen Arme vor der Brust verschränkt. Das Zittern seines Körpers konnte er dennoch nicht verbergen. „Eure Absichten sind in keinem Augenblick so ehrenwert gewesen, wie ihr uns glauben machen wolltet. Nicht, um mit uns über einen Ausweg aus der Unterdrückung zu suchen, habt ihr alle Stammesvorsitzenden zusammen gerufen. Nein. Eure Absichten waren viel subtilerer Natur und wir haben sie durchschaut, bevor es für uns zu spät war. Nun haben wir den Spieß umgedreht. Wir werden uns wehren und noch während wir hier stehen, wird der Verfluchte durch die Hände unseres Volkes fallen.“

Der Drache bleckte seine unterarmlangen Reißzähne. Geifer troff auf die Erde. Dann ging eine weitere der kleinen Holzhütten berstend und splitternd zu Bruch, als Arokh wutentbrannt mit seinem Schwanz zuckte. Die umher wirbelnden Trümmer rissen noch weitere Außenwände ein. „Stell das Wort eines Drachen niemals in Frage, du Wurm! Ihr habt mich hintergangen, mich und die Menschen, die unter meinem Schutz stehen. Ich werde euer Dorf in Schutt und Asche legen. Dann hast du das Recht zu winseln, deinem Volk sei Leid widerfahren.“

Zwischen seinen Kiefern leckten Flammen seines bläulichen Drachenfeuers. Ein deutliches Warnzeichen an die näherrückenden Speerträger. „Greift mich an, und es wird euer letzter Sonnenaufgang gewesen sein.“

Tatsächlich schleuderte ein Mutiger aus der letzten Reihe seinen Speer, sandte ihn sirrend über die Köpfe seiner Mitstreiter. Mit einem widerwärtigen Schaben glitt er über die Schuppen der Drachenschulter ohne auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. Stattdessen entfesselte er Arokhs schwelenden Zorn nun endgültig. Sein Brüllen ließ Rhyans Knochen klappern.

Ein ganzer Schwarm geworfener Speere senkte sich daraufhin auf den vom Regen feucht schimmernden Drachenkörper, doch Arokh schüttelte sich lediglich, als handele es sich nicht um Waffen sondern um lästige Insekten. Die Stangenwaffen wurden von seinen Schuppen abgewiesen und in einzelnen Fällen sogar derart abgelenkt, dass sie zurück in die Reihen seiner Angreifer stürzten. Mitten in dieses Chaos schreiender, sterbender und fliehender Menschen zuckte sein Kopf mit beängstigender Schnelligkeit vor und nur wenig später wurde der Boden vom Blut der Sumpfmenschen getränkt. Die Rebellengruppe fiel ohne nennenswerten Widerstand leisten zu können.

Mit seinen ausgestreckten Flügeln einen Schutzwall bildend, gegen welchen die wenigen verbliebenen Kämpfer vergebens anrannten, beugte Arokh sich schließlich zu den vier Freunden und ermöglichte es Rhyan und Teyla zwischen seine Schultern zu klettern. Die noch immer reglosen Körper von Ronon und Sheppard barg er in seinen Vorderklauen. Dann warf er sich den tiefhängenden Wolken entgegen.

Schlagartig nahm der Regen an Heftigkeit zu, peitschte ihnen ohne Unterlass in das ungeschützte Gesicht und durchweichte ihre Kleider in nur einem einzigen Augenaufschlag. Der Wind heulte klagend um die schlagenden Flügel des Drachen, als er noch einmal beidrehte und eine mächtige, alles vernichtende Feuerlohe auf das Dorf nieder gehen ließ.

Rhyan hielt den Atem an. Selten hatte sie bei Arokh einen solchen Zorn verspürt. Und selten hatte sie gesehen, dass er ein Ziel mit einem solch nicht enden wollenden Feueratem bedachte. Als er sich endlich abwandte und die Richtung zum Vorposten einschlug, war von dem Dorf nichts als schwarze Asche übrig. Wer sich hatte retten können, hatte Glück. Wer den Flammen nicht rechtzeitig entkommen war... Die Drachenreiterin schauderte.

Sie würde sich später ihre Gedanken zu diesem Wesenszug ihres Freundes machen. Jetzt mussten sie in erster Linie zusehen, dass sie Kane noch vor dem Rebellentrupp erreichten. Rhyan zweifelte nicht daran, dass die Überlebenden des Drachenfeuers die Nachbardörfer aufsuchen und einen Sturm auf den Vorposten organisieren würden. Auch dem mussten sie irgendwie begegnen, ohne ein Massensterben zu riskieren.

Arokh jagte dicht unter den schweren Regenwolken dahin, den schlanken Körper lang gestreckt und die Flügel hart im Wind. Das Wasser floss in Sturzbächen über seine Flanken und doch nahm er noch an Geschwindigkeit zu, bis sich Rhyan nur noch so klein wie möglich zusammenrollen konnte, einzig darauf bedacht nicht von den glatten Schuppen zu rutschen. Nie zuvor war sie so schnell geflogen.

Tod den Rebellen

Schon als sie sich dem Vorposten näherten, konnte Rhyan das Kribbeln spüren, das sich bei ihr immer dann meldete, wenn irgendwo im näheren Umkreis Magie gewirkt wurde. Sie zitterte ohnehin am ganzen Körper, da der kreischende Flugwind durch ihre durchnässten Kleider griff und sämtliche Wärme mit sich riss. Doch die Intensität der Magie, die ihnen jetzt mehr und mehr entgegen schlug, ließ dieses Zittern in ein heftiges Schütteln übergehen.

Auch Arokh musste bemerkt haben, dass hier etwas Außergewöhnliches vor sich ging. Seine Muskeln spannten sich zu einer letzten Anstrengung und katapultierten seinen schlanken Körper durch die Regenschleier. Etwas stimmte nicht.

Als sie endlich vor den Ruinen zur Landung gingen, war die magische Spannung beinah zu hören. Ein hochfrequentes Summen nahe der Grenze zum Schmerzhaften. Selbst Magieunbegabte dürften die Auswirkungen mittlerweile spüren können, auch wenn sie diese nicht als solche erkannten. Es würde sich durch ein starkes Unwohlsein bemerkbar machen, meist in Form von Kopfschmerzen.

Arkoh setzte Sheppard und Ronon behutsam neben seiner Gefährtin ab und Rhyan fiel ein Stein vom Herzen, als sie beide Männer bei klarem Bewusstsein vorfand. Zwar waren sie von dem Flug ebenso mitgenommen wie sie und Teyla, doch schienen ihre Verletzungen nicht so gravierend, wie anfangs befürchtet. Ronon gab nichts auf die noch immer blutende Platzwunde an seiner Schläfe, nur Sheppard rieb sich mit einem dumpfen Grollen den schmerzenden Kopf.

„Wo finde ich eure Freunde?“ Der Drache würde den Vieren zwar nicht in das Innere des Vorpostens folgen können, aber er würde kaum tatenlos vor den Mauern hocken bleiben und abwarten. Er wusste um das Wissenschaftsteam, welches mit Rhyan und ihren Freunden durch das Stargate gekommen war und nichts davon ahnte, dass es alsbald zu einem bürgerkriegsähnlichem Aufstand kommen könnte. Sie würden einem Überfall schutzlos ausgeliefert sein.

Einen Moment lang starrte Sheppard verständnislos in die tellergroßen Augen, ehe ihm klar wurde, welche Freunde der Drache meinte. Das Dröhnen in seinem Schädel machte sein Denken schwer und behäbig. „In Arellarti. Sie untersuchen dort das alte Stargate.“

Dabei kam ihm eine Idee: „Wenn du zu ihnen fliegst, richte McKay aus, dass er den Jumper flugbereit machen soll. Nur für den Fall, dass wir alle hier überstürzt abhauen müssen.“ Er lächelte unverbindlich, da er wusste wie sehr der Drache die kleinen Fluggeräte verachtete. „Du wirst uns schlecht alle tragen können, wenn es hart auf hart kommt.“

Arokh grollte tief in seiner Kehle als Zeichen seines Missfallens. Aber er war schlau genug zu wissen, dass der Colonel Recht hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Ereignisse hier bald überschlagen würden, war groß.

Bevor er sich zurück in den regennassen Himmel warf, blies er den ahnungslosen Freunden noch einen kräftigen Atemstoß entgegen. Heiß und Übelkeit erregend nach Verwesung riechend. Der unerwartete Windstoß hob die Vier beinah von ihren Füßen, doch er vertrieb die Kälte und die ärgste Nässe, so dass sich keiner zu einer Beschwerde hinreißen ließ.

Außerdem waren ihre Gedanken bereits mit wesentlich dringlicheren Dingen beschäftigt. Lediglich Rhyan ließ der Echse einen kurzen, tadelnden Blick zukommen, ehe sie sich an die Spitze der kleinen Gruppe setzte, um in das Innere des Gebäudes einzudringen. „Trödele nicht, Arokh. Es könnte sein, dass wir dich hier schon sehr bald dringend brauchen.“
 

Auf ihrem ganzen Weg zum großen Saal begegneten sie keinem einzigen Menschen und keinem Ryliti. Selbst die Küche, die sie durchquerten, lag in gespenstischer Stille da. Die Kochfeuer waren erloschen, die Mahlzeiten in den Töpfen und Pfannen erkaltet. Die Einwohner des Vorpostens hatten die schützenden Mauern längst verlassen und sich anderswo in Sicherheit gebracht. Vermutlich eine weise Entscheidung.

Außer ihren Schritten war nichts in der staubigen Stille zu hören. Rhyan hätte schwören können, dass auch das laute Klopfen ihres wild jagenden Herzens deutlich zu vernehmen sein musste. Sie schlich an der Spitze ihrer Freunde durch die verwinkelten Gänge und vertraute darauf, dass ihr Instinkt sie an den richtigen Ort führen würde.

Ihr Kopf und ihre Gedanken befanden sich indes ganz woanders. Denn je näher sie dem großen Saal und damit Kane kamen, um so deutlicher spürte sie eine kalte Furcht in ihrem Innern aufsteigen. Nie zuvor hatte sie derartiges verspürt und es beruhigte sie kein bisschen, dass sie die selbe Sorge auf den Gesichtern der Atlanter gespiegelt sah. Teyla war außergewöhnlich blass und hatte wie Sheppard die Zähne fest aufeinander gebissen. Ronon, der unmittelbar hinter Rhyan folgte, spähte mit verkniffen finsterer Mine die Gänge entlang.

Rhyan ahnte, was das bedeutete und beschleunigte ihre Schritte nur noch. Es war nicht mehr weit, sie konnte die offen stehende Flügeltür, welche in den großen Saal führte, bereits am Ende des Flures ausmachen. Ihre Furcht drängte sie entschlossen zurück, versuchte ihre Gedanken in andere Bahnen zu lenken.

Ein Mal mehr schweiften sie dabei zurück zu dem Tag, an dem sie in der Klosterbibliothek die halb zerfallenen Schriftrollen gefunden hatte, welche von dem verfluchten Krieger kündeten. Die davon berichteten, dass sich dessen dunkle Seele an der Angst und dem Schmerz seiner Opfer nährte. Und dass dessen wachsender Hass auf alles Lebende, untrennbar verbunden mit der dunklen Macht der Magie, den Glauben und die Gefügsamkeit seiner Untertanen unerschütterlich erzwingen würde.

Damals hatte sie nicht geglaubt, dass von dem selben Menschen die Rede sein konnte, der an ihrer Seite kämpfte und der ihre Schlachten schlug. Jetzt, viele unzählige Zyklen später, geriet diese Überzeugung ins Wanken. Sie hatte schließlich gesehen, wie er sich an der Verzweiflung und der Furcht seiner Untertanen ergötzt hatte, während sie vor ihm zu Kreuze gekrochen waren, für ein Minimum an mehr Nahrungsmitteln. Als trüge sie Scheuklappen, hatte sie all diese Hinweise offensichtlich nicht sehen wollen. Bis heute.

Geduckt traten die Freunde unter dem Türbogen hindurch in den schwach erleuchteten Saal. Die hoch aufragenden Säulen, welche entlang der Längsseiten die im Dunkeln verborgene Decke stützten, verwehrten einen freien Blick auf die Stirnseite. Aber die Stimmen mehrerer Männer wehten zu ihnen herüber und verrieten, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren. Und dass sie zu spät waren. Die Rebellengruppe war schon vor ihnen eingetroffen.

Rhyan fluchte unterdrückt und setzte ihren Weg tiefer in den Saal hinein fort. Dabei gab sie Acht immer im Schutz der Säulen zu bleiben. Weshalb sie das tat, konnte sie nicht einmal mit Genauigkeit sagen. Ein Gefühl, eine Ahnung. Mehr nicht.

Die Präsenz des verfluchten Kriegers wurde indes beinah unerträglich intensiv. Sie lastete wie ein Tonnen schweres Gewicht auf Rhyans Schultern und bremste sie schließlich so weit, dass sie sich nur noch langsamen Schrittes dem Thron näherte. Sie durchdrang alles in diesem Raum, beherrschte alles. Selbst den Jahrhunderte alten Granit schien sie zu durchdringen und mit Kanes Boshaftigkeit zu sättigen.

Deutlich drang jetzt die Stimme eines Mannes zu ihnen, gehetzt und ein wenig außer Atem, und die Freunde blieben stehen. Offenbar hatte es bereits eine Auseinandersetzung zwischen den verfeindeten Parteien gegeben. Rhyan konnte ihn noch nicht sehen, da sie noch immer hinter dem mächtigen Sockel einer Säule in Deckung blieb. Doch der Sprecher musste sich direkt auf der anderen Seite befinden.

Mit deutlicher Verzweiflung redete er auf seine Freunde ein, die offenbar dem Zauber Kanes zu erliegen drohten: „Er hat diese Geschichte schon so verdammt oft unter den freien Völkern Carsultyals erzählt. Von diesem Traum der nicht sein sollte. Das wisst ihr doch genau so gut wie ich. Eure Mütter haben euch diese Geschichten nicht umsonst erzählt!“ Er zitierte einige Zeilen aus dieser Erzählung: „Und als dann der Glaube in den Menschen an eine gute, bessere Zukunft verblasste, konnte er, der Verfluchte, erstarken. Weil sie das Missfallen über diesen Umstand akzeptiert und hingenommen haben, ohne sich dagegen aufzulehnen.“

Da nur Kane mit einem tonlosen Schnauben auf seine Ausführungen reagierte, nahm die Verzweiflung in der Stimme des Redners noch zu. „Und es passiert wieder. Dieses Mal nur unserem eigenen Volk. Merkt ihr das denn nicht? Ihr löst die Fesseln des Verfluchten, ihr befreit ihn, wenn ihr seinen Reden Glauben schenkt. Bei Innor, das dürft ihr nicht!“

Rhyan schauderte. Kane hatte wirklich sehr häufig von dieser Legende berichtet. Der Legende, die seine eigene Lebensgeschichte umfasste. Seine Entstehung, seine Beweggründe, seine Verfluchung durch einen wahnsinnigen Gott. Und er konnte grausam fesselnd darin sein.

Sie selbst hatte erlebt, wie er das Volk Kranor-Rills damit eingewickelt und beeinflusst hatte. Zumindest einen Großteil von ihnen. Denn wer fürchtete sich nicht vor dem Unbill eines solchen Gottes, selbst wenn dieser seit ewiger Zeit nicht mehr zu seinen Schöpfungen gesprochen hatte? Und wer nahm dann nicht den dargebotenen Schutz des Mannes an, der diesem Gott bereits seit unzähligen Sonnenzyklen trotzte? Koste es was es wolle?

Sie schüttelte sich erneut. Bislang waren die Wurzeln, auf denen der Hass des Kriegers gründeten, ihr noch nie so deutlich geworden. Ebenso wenig wie das Alter ihres Freundes. Doch sein Hass war tief verankert in den Ereignissen der frühen Menschheit und seither nicht schwächer geworden. Ganz im Gegenteil. Er hatte sich verstärkt und gegen diejenigen gerichtet, die einst nicht mutig, nicht stark genug gewesen waren, mit ihm gegen den Tyrannen, der sich Gott schimpfte, zu kämpfen. Die ihn hintergingen. Die Menschen und alles Leben.

Die Drachenreiterin hatte es gewusst und doch immer darauf gebaut, dass Kane auf seiner Suche nach seinem inneren Frieden diesen Fehler irgendwann einmal verstehen würde. Aber sie hatte sich getäuscht. Und das stürzte sie jetzt, wo ihr die Augen so gnadenlos geöffnet wurden, in einen tiefen inneren Konflikt.

Vorsichtig wagte sie einen Blick um die Wölbung der Säule und spähte hinüber zu dem hochlehnigen Stuhl, vor dem der Krieger stand. Breitbeinig, das mächtige Breitschwert aufrecht vor sich auf den Boden gestützt. Er hatte sich verändert und Rhyan atmete voller Schrecken scharf ein.

Ein Geräusch, welches dem Rothaarigen nicht verborgen blieb. Seine eisblauen Augen zuckten zu ihr herüber und bohrten sich in ihren schreckgeweiteten Blick. Ein schwaches, kaum erkennbares verschlagenes Lächeln auf den Lippen. Irrte sie sich oder wirkte er größer als er ohnehin schon war?

Wieder einmal war er umgeben von seiner finsteren Aura voller Hass und Ablehnung, aber dieses Mal wurde er von ihren wabernden Fäden beinah verschlungen. Sie wirkten abstoßend lebendig, umschmeichelten ihn und strahlten von ihm ab, um sich in dem gesamten Saal auszudehnen. Die Rebellen hatten sie bereits in einem festen Griff und wandten sich nun der Drachenreiterin und ihren Gefährten zu. Gleich lebenden Schatten krochen sie auf sie zu und riefen bei Rhyan eine Gänsehaut des Abscheus hervor.

Nur Kanes Augen, die von einem inneren Feuer beseelt waren, glommen durch diesen nebelhaften Vorhang.

Da plötzlich fuhr Schmerz wie ein heißer Strahl durch die Nervenbahnen der Drachenreiterin, versengten sie und ließen sie keuchend in den Schutz der Säule zurück zucken. Es waren nur Bruchteile eines Herzschlags gewesen. Aber sie hatten genügt, um ihr Herz vor Furcht fast zerspringen zu lassen. Wer auch immer dort vorne stand, es war nicht ihr Freund.

Zitternd atmete sie aus und schloss die Augen. Ronon, Sheppard und Teyla, die neben ihr im Schutz des Sockels kauerten und sie bestürzt ansahen, nahm sie gar nicht mehr wahr. Zu tief war sie in ihren eigenen Gedanken versunken. Ihr war bewusst, dass Kane gerade versucht hatte gewaltsam in ihren Geist einzudringen. Dass die Schmerzen ihrer Nerven von dem brutalen Zwang stammten, mit dem er sich Zutritt hatte verschaffen wollen. Und es auch für einen winzigen Augenblick geschafft hatte.

Und in diesem kurzen Moment hatte es Rhyan beinah den Boden unter den Füßen weggerissen. Die kalte Grausamkeit der geistigen Präsenz, diese abgrundtiefe Boshaftigkeit, hatten sie mehr erschreckt als alles andere jemals zuvor in ihrem Leben. Die Macht, welche diese Boshaftigkeit besaß. Es stand außer Frage, dass der Krieger vollständig in jeden Winkel ihres Geistes vorgedrungen wäre und ihn sich unterworfen hätte, hätte die Verbindung auch nur wenig länger bestanden.

Aber er selbst hatte den Kontakt wieder beendet. Rhyan wäre dazu nicht mehr in der Lage gewesen. Und er hatte es mit voller Berechnung getan, hatte mit ihrem Geist gespielt und ihr einen Ausblick gewährt, was sie erwartete, wenn sie gegen ihn antrat.

Blankes Entsetzen lähmte sie.

Sie schreckte aus ihren Gedanken, als in ihrem Rücken mit einem Mal ein Tumult losbrach. „Du elendiger Bastard. Betrüger der Dummen. Mich wirst du nicht länger in die Irre führen.!“

Ein greller Lichtblitz vertrieb die schleichenden Schatten und zwang Rhyan und ihre Freunde, die Augen zu schließen. Ein ohrenbetäubendes Grollen übertönte die Wut verzerrte Stimme des Sumpfmannes und Rhyans ohnehin schon gequälte Nerven schrien auf. Die Magiesättigung in der Umgebung war sprunghaft angestiegen. Schwarze Punkte tanzten auf der Innenseite ihrer Augenlider.

Wie war das möglich? Es gab keinen anderen Magier mehr in Carsultyal. Mit Ausnahme von Kane. Eine Hand schützend über ihre Augen haltend, spähte die Drachenreiterin wieder um die Säule. Die Neugierde war einfach zu groß.

Anfangs konnte sie in dem gleißenden Licht nur Schemen erkennen, die seltsame Gesten vollführten. Lichtblitze brachen und freie Energie schoss unkontrolliert zu allen Seiten davon und versengte sogar Rhyans Haare, als diese etwas spät den Kopf zwischen die Schultern zog. Sie konnte den Rebellenführer, der augenscheinlich tatsächlich über ein gewisses Maß an Magie verfügte, schreien hören.

Dann krümmte auch sie sich gepeinigt zusammen und schlug sich die Hände über die Ohren.

Kane stand hoch aufgerichtet in der Korona des gleißenden Lichts. Seine Hände wiesen auf die dreiköpfige Rebellengruppe und seine Lippen bildeten Worte, deren gewaltige Brutalität allein das Hören zu einer reinen Qual werden ließ. Es waren Worte der alten Sprache, Worte die heutzutage niemand mehr kannte. Worte, die eine verheerende Wirkung hatten.

Neben Rhyan brach Sheppard auf die Knie. Auch er hatte beide Arme um seinen Kopf geschlungen, um nur den Schmerz irgendwie zu lindern. Aus seiner Nase schoss Blut. Von Ronon und Teyla fehlte jede Spur.

Die Wirkung auf die Rebellen war hingegen eine ganz andere. Stand der Magier der kleinen Delegation Kane am nächsten, so wurde der Sumpfmann zu seiner Linken von Innen heraus zerfetzt. Er platzte wie ein Wasserschlauch, den man zu prall gefüllt hatte. Der feine Nebel seines Blutes senkte sich auf den erschütterten Magier, Teile des Körpers verschwanden in den dunklen Ecken des Saals.

Sein zweiter Gefährte brach zeitgleich in ein irrsinniges Geheul aus, das beinah das Knirschen und Bersten seiner Knochen übertönt hätte. Wie ein Kartenhaus sackte er in sich zusammen, Arme und Beine in seltsamen Winkeln abgespreizt. Dann brach sein Körper in der Mitte, das Rückgrat sprang mit einem Knall aus seinen Gelenken und beendete das Geschrei. Als hätte eine unsichtbare Hand ein Blatt Papier zerknüllt lag die Leiche des Sumpfmannes zu Füßen des schreckensstarren Magiers.

In die anschließende Stille klang nur Kanes höhnisches Gelächter. Er hatte nicht einen Tropfen Blut, nicht einen Tropfen Körperflüssigkeit abbekommen und stand da, als sei all das um ihn herum nichts weiter als harmloser Kinderspaß. In seinen Augen flackerte der wilde Schein seines perversen Irrsinns.

Er ernährt sich von Angst, vergiftet die Wahrheit, um ihren Glauben zu erlangen. Um den Weg zu weisen in eine Welt des Zerfalls. Rhyans Herz trommelte hart gegen ihre Rippen. Nur die Kälte der steinernen Säule in ihrem Rücken verriet, dass sie sich keinesfalls in einem schlechten Traum befand. Die Worte Arokhs, die er ihr damals als Warnung mit auf den Weg gegeben hatte, als sich Drache und Krieger zum ersten Mal begegnet waren, hallten in ihrem schmerzenden Schädel wieder. Kanes offenkundige Freude an dem Leid vor seinen Füßen war wahrlich grausam.

Sie konnte den Blick nicht abwenden, als der Letzte der Rebellen in beispielloser Verzweiflung auf den Verfluchten losstürmte. Das große Medaillion, welches er um seinen Hals trug, flammte in einem tiefen Grünton auf. Unmittelbar darauf schleuderte der Magier einen gebündelten Energiestrahl gegen seinen Kontrahenten. Abgelenkt durch diese Attacke, sah dieser den nahenden Stab des Angreifers beinah zu spät.

In einem schimmernden Bogen erwachte das Breitschwert zu tödlichem Leben. Selbst Rhyan hätte nicht für möglich gehalten, dass Kane diese wuchtige Waffe derart geschwind zu führen vermochte. Mit einem hellen Klirren stoppte die Schneide den Stab nur wenige Zoll neben dem Schädel des Kriegers und ließ ihn daran abgleiten, so dass das schwere Holz lediglich auf die gerüstete Schulter traf. Kane grollte, eher aus Verärgerung als auf Grund des Schmerzes, und ging zum Gegenangriff über. Ein bizarrer Kampf nahm seinen Anfang.

Der Sumpfmann verstand sich brillant darauf, mit einem Kampfstab zu kämpfen. Die lange Waffe war lediglich noch ein schattenhaftes Schemen in der Luft, das in gefährlichen Spiralen um den schmalen Körper seines Trägers wirbelte und eine schier unsichtbare Barriere schuf. Immer wieder wurde Kanes Breitschwert von dieser Barriere abgewiesen und ihm sogar beinah aus der Hand gerissen. Wenn sich die Waffen nicht berührten, zuckten Energien magischen Ursprungs zwischen den Gegnern.

Kanes Wut nahm dadurch allerdings nur noch mehr zu. Sein Gesicht war eine einzige Hass verzerrte Fratze, in der seine blauen Augen wie zwei Totenfeuer leuchteten. Er hatte plötzlich etwas animalisches, etwas urtümliches an sich.

Er wird dein Herz regieren um dann, wenn er diese Herrschaft errungen hat, deine Seele ohne zu zögern ins Grab zu schicken. Er gehört der Finsternis, er ist die Dunkelheit.

Rhyan wagte kaum zu atmen. Nie hatten Worte jemanden besser umschrieben als diese düsteren Weissagungen aus der Klosterbibliothek. Noch immer wünschte sich die naive Seite in ihrer Seele, dass sie sich alle täuschten. Dass es nicht wahr sein konnte. Aber ihre Augen belogen sie nicht und sie wurde Zeuge, wie Kane diesen Erzählungen immer gerechter wurde.

Er schmetterte den jungen Sumpfmagier zu Boden, als dessen Stab mit einem lauten Knall zerbarst und er schutzlos vor dem hünenhaften Krieger stand. Seine gepanzerte Faust traf ihn mitten ins Gesicht und katapultierte ihn rücklings auf die Steinfliesen, wo er noch mehrere Meter rutschte, ehe er zum Liegen kam. Doch anstatt die arme Seele endgültig zu vernichten, wandte Kane ihm eiskalt den Rücken zu.

„Verschwinde von hier. Geh und sag deinen Leuten, sie sollen sich wieder in ihre Dörfer zurückziehen, wenn sie ihr armseliges Leben noch etwas länger fristen wollen. Ich werde jeden töten, der meint mich herausfordern zu müssen.“ Gemächlich schritt er die paar Stufen zu seinem Lehnstuhl hinauf.

In seinem Rücken war der Magier allerdings alles andere als bereit, dieser Forderung nachzukommen. Schwankend kam er wieder auf die Füße und wischte sich das Blut aus dem deformierten Gesicht. Mit einer Hand musste er sich an der Säule in seinem Rücken abstützen, die andere hielt das Medaillon fest umschlossen. Zwischen seinen Fingern begann grünliches Licht heller und heller zu pulsieren. „Das Sumpfvolk Kranor-Rills und das Volk der Steppen und Wälder, wird sich dir nicht ein zweites Mal unterwerfen, Verfluchter. Wir werden kämpfen, um frei zu sein... oder kämpfen, um zu sterben. Aber wir werden niemals wieder deine Herrschaft anerkennen.“

Er machte sich bereit den mächtigen Zauber gebündelt gegen den Krieger zu senden. Doch noch ehe er auch nur die Hand von dem Medaillon nehmen konnte, hatte Kane den Lehnstuhl auf der kleinen Empore erreicht.

In traumwandlerischer Schnelligkeit packte er die doppelschneidige Axt, welche an der Seite des Stuhls gelehnt hatte, kreiselte herum und nutzte den Schwung, um die Waffe gegen den Sumpfmann zu werfen. Die Muskelstränge an seinen Armen schwollen an, dann verließ die Axt in einem schimmernden Tanz seine Hand, überwand die Entfernung mühelos und fraß sich mit einem widerwärtigen Krachen in die Brust des verblüfften Magiers, durchschlug sie. Von der Wucht des Einschlages wurde er zurück gerissen, von den Füßen geholt und gegen die Säule in seinem Rücken geschleudert, wo sich die Schneide der Axt in den Granit bohrte und stecken blieb. Das Glühen des grünen Lichts verlosch, das Medaillon fiel klappernd und zerstört zu Boden.

Totenstille legte sich über den Saal.

Betrüger der Narren

No light in the darkness

Is too small to see

There's always a sparkle of hope

If you just believe...
 

„Genug! Das reicht jetzt.“ Sheppard war der Erste, der sich nach diesem schockierenden Schauspiel wieder in den Griff bekam. Mit vor Wut funkelnden Augen trat er auf Kane zu. Eine solche Grausamkeit war ihm selten untergekommen und bis eben hatte er auch zumindest noch die Möglichkeit im Hinterkopf behalten, zu einer Einigung zwischen der Urbevölkerung des Sumpfes und dem Krieger zu gelangen. Irgendwie.

Aber Kane hatte nur zu deutlich bewiesen, dass dieser Weg für ihn nicht in Frage kam. Dass er die Menschen eher einen nach dem anderen niedermetzeln würde, wenn sie nicht seinem Willen folgten. Seine Gewalt würde ihm die Herrschaft über das Volk sichern und das war etwas, das so vollständig gegen Sheppards Überzeugungen rebellierte und kaum weniger im Einklang mit der Aufgabe stand, welche er für sich und die Atlantis-Expedition in der Pegasus-Galaxie sah, dass er gar nicht anders konnte, als sich diesem Usurpator in den Weg zu stellen.

War es bis vor wenigen Umläufen noch eine Angelegenheit zwischen Freunden gewesen, ein Gefallen gegenüber Rhyan, so hatte sich dies nun zu einer viel ausufernden Sache entwickelt, deren Auswirkungen noch über die Grenzen Carsultyals hinaus spürbar sein würden, wenn sie sich tatenlos abwandten. Und so sehr die kleine Stimme in seinem Kopf auch schrie, sich nicht mit diesem irren Hünen anzulegen, zwang sich der Colonel zu handeln. Dabei waren all seine Sinne hellwach, seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt.

„Es gibt Grenzen die man einfach nicht überschreitet. Regeln, die jeder zu respektieren und zu achten hat. Und es ist wenig förderlich, wenn du schlichtweg jeden umbringst, der dir nicht in den Kram passt.“

Er kam sich albern vor. Jedes denkende Individuum, welches sich in einer größeren Gemeinschaft entfalten wollte, verstand schon allein aus reinem Instinkt diese Gepflogenheiten. Sie einem erwachsenen Mann zu erklären, als erkläre man einem Kind den Sinn und Zweck, erschien ihm lächerlich.

Und scheinbar sah der Krieger das ganz ähnlich, denn das schwache Lächeln auf seinen Zügen breitete sich zu einem höhnischen Grinsen aus. „Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Grenzen sind da, um niedergerissen zu werden. Erzähl mir also nichts von hehren Zielen und menschlichem Anstand.“

Sheppards Blick verfinsterte sich. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sich Ronon schräg hinter ihm aufstellte, die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt. „Du hast mich einen Verräter genannt. Einen Verräter an Rhyans Freundschaft. Dabei bin nicht ich es, der sie hintergangen hat. Der sie belogen hat.“

Kane senkte angriffslustig seinen roten Schopf und starrte den Atlanter mit wutverzerrter Mine an. Das Grinsen war wie fortgefegt. Offenbar hatte Sheppard mitten ins Schwarze getroffen mit dieser Behauptung und auch wenn ihm keinesfalls entging, wie sich der sehnige Körper des Kriegers immer mehr anspannte, fuhr er unbeirrt fort: „Sie ist zurück gekommen, um dir deinen verfluchten Hintern zu retten. Sie hat für dich gekämpft, damit du deine Vergangenheit endlich hinter dir lassen kannst.

Und was tust du? Du trittst ihre Bemühungen mit den Füßen. Du behandelst sie wie Dreck unter deinen Stiefelabsätzen.

Rhyan hat nie die Hoffnung in dich verloren. Sie hat für dich gelogen und die Wahrheit soweit es ihr möglich war in ihren Schranken verbogen. Und du dankst es ihr, indem du all das in deinem blinden Irrsinn zerschlägst. Einzig und allein weil es dir Spaß macht und es zu lästig für dich wäre, einmal dabei an andere zu denken. Dieser Egoismus widert mich an.“
 

Dem Colonel war bewusst, dass er mit diesen Worten weit über das erträgliche Maß hinaus geschossen war. Und so konnte er dem urplötzlichen Angriff des Kriegers auch schnell genug ausweichen. Die Schneide des Breitschwertes zischte nur wenige Zoll über seinem Schädel durch die Luft und hätte ihm den Kopf von den Schultern geschlagen, wäre er nicht geduckt ein ganzes Stück nach hinten gesprungen.

Unterschätzt hatte er aber die Schnelligkeit des hochgewachsenen Mannes. Kane setzte ihm nach, stieß mit der Parierstange zu hämmerte sie seinem Gegner direkt auf die Rippen.

Sheppard taumelte, eine Hand auf die schmerzende Seite gepresst. Der Schlag hatte ihn nicht voll getroffen und trotzdem hatten seine Knochen protestierend unter der unsanften Behandlung geknirscht. Er mochte sich nicht ausmalen wie es sich anfühlen musste, wenn man einen Fausthieb des Kriegers ungebremst ertragen musste.

Noch bevor sich Sheppard gegen die nächste Attacke Kanes wappnen konnte, sprang ihm Ronon zur Seite. In seinen Händen hielt er das geschmiedete Gestänge eines Feuerkorbes und Funken stoben, als das Breitschwert des Kriegers mit einem hellen Klingen dagegen prallte. Nur mit Mühe schaffte er es, das sperrige und schwere Gebilde wie ein Schild vor sich und seinen Freund zu halten. Zumal Kane wie ein Berserker darauf einschlug. Immer wieder glitt die Waffe von dem blanken Eisen ab und schrammte nur knapp an den Schultern des Sateders vorbei.

Um nicht noch mehr Boden zu verlieren, drängte Ronon schließlich verbissen mehrere Schritt nach vorn. Seine Arme zitterten von der enormen Anstrengung, aber er schaffte es tatsächlich, Kane zurück zu zwingen.

Bis sich das Schwert in dem Gestänge verfing.

Es knirschte laut, dann wurden sowohl Kane als auch Ronon die Waffen aus den Händen gerissen. Der Druck hinter dem Zusammenprall war einfach zu groß.

Unbeeindruckt schickte sich der Sateder an, sein Gegenüber mit den bloßen Händen anzugreifen. Wie aus dem Nichts zauberte er dabei ein schlankes, kleines Messer zwischen seine Finger. Endlich bekam er die Chance, sich mit diesem Recken aus alten Legenden zu messen. Furcht verspürte er keine, er hatte schon gegen ganz andere Gegner kämpfen müssen.

Doch noch bevor er überhaupt in die Nähe des Kriegers gelangen konnte, sprach dieser einige wenige Worte und schleuderte dem Heranstürmenden einen schimmernden Bogen reiner Energie entgegen.

Ronon war viel zu schnell, als dass er noch hätte ausweichen können. Ihm blieb grade noch genug Zeit, um sich über diese unfaire Art des Kampfes zu ärgern, da traf ihn die Energie auch schon mitten vor die Brust. Aufheulend wurde er von der Wucht zurück geworfen, prallte gegen eine Säule und sank an deren Sockel reglos zusammen.

Sheppard, der die Ablenkung durch den Sateder genutzt hatte um in Kanes Rücken zu gelangen, zögerte und starrte bestürzt auf seinen besinnungslosen Freund. Das alles war so verdammt schnell gegangen, dass sein Gehirn ernsthafte Schwierigkeiten bekam, dem Geschehen in gebürtiger Schnelligkeit zu folgen. Er hatte gehofft, den Krieger gemeinsam mit Ronon angreifen und bezwingen zu können. Jetzt stand er urplötzlich allein gegen den rothaarigen Hünen. Keine allzu rosigen Aussichten.
 

Rhyan verfolgte den Kampf indes aus weit aufgerissenen Augen. Ihr Herz schlug hart gegen ihre Rippen und kalter Schweiß hatte sich über ihren gelähmten Körper ausgebreitet. Sie war unfähig sich auch nur einen Zoll weit zu bewegen. Diesmal aber nicht, weil sie durch einen Zauber gebunden war. Es war vielmehr ihr tiefes Entsetzen, das ihr jede Bewegung unmöglich machte.

Was sich dort vor ihren Augen abspielte war nicht zu begreifen und es zerriss sie innerlich. Ihre Gedanken überschlugen sich, drehten sich im Kreis. Als würde jemand in ihrem Innern an zwei unterschiedlichen Seiten ziehen. Was sollte sie tun? Es waren beides ihre Freunde, die sich da vor ihren Augen bekämpften. Sie konnte sich unmöglich entscheiden, auf wessen Seite sie sich stellen sollte.

Auch wenn der Kane, den sie jetzt vor sich sah, kaum noch etwas mit ihrem Weggefährten gemein hatte, so wollte etwas in ihr einfach nicht begreifen, dass es der Fluch seines Hasses war, der ihn beherrschte und der ihn dazu trieb. Es konnte nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein.

Zitternd stand sie da und beobachtete, wie sich Kane mit einem wölfischen Grinsen zu Sheppard umdrehte. Seine Augen glühten in wilder Vorfreude, diesen Kontrahenten in seine Schranken zu weisen.

„Rhyan? Rhyan bitte komm zu dir!“ Teyla hatte sich neben die schreckensstarre Drachenreiterin gekauert und versuchte verzweifelt, deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Doch jedes Rütteln, selbst ein unsanfter Stoß in die Seite, konnten Rhyans Blick nicht von der Szenerie vor dem mächtigen Lehnstuhl ablenken.

„Rhyan, höre auf mich. Du musst Kane aufhalten oder er wird uns alle töten! Wir schaffen es nicht ohne dich.“ Entschlossen schob sie sich in das Blickfeld der jungen Frau, umschloss ihr Gesicht und zwang sie so, ihr in die Augen zu sehen. In ihnen konnte Teyla das selbe unheimliche Flackern erkennen, dass sie schon am Vorabend in der Hütte bemerkt hatte. Was genau es bedeutete, wusste die Athosianerin nicht. Aber es konnte nichts Gutes sein.

Es behagte ihr keinesfalls, Kane und Sheppard den Rücken zu kehren. Der Colonel brauchte ihre Hilfe. Dringend. Aber alles nutzte nichts, wenn Rhyan wie versteinert blieb und tatenlos zusah, wie der Krieger das Team der Atlanter auslöschte. Und mit nichts anderem rechnete die Athosianerin.

Für einen kurzen Moment trafen sich die Blicke der beiden ungleichen Frauen auch und Rhyan schien ein Stück weit zu sich zu kommen. Aber dann gellte ein Schrei von den steinernen Wänden wider und beide drehten sich voll ängstlichem Erschrecken wieder dem Geschehen zu.
 

Sheppard rappelte sich soeben schwankend wieder auf. Was auch immer der Krieger gegen ihn gerichtet hatte, sein Hemd war gerissen, die ausgefransten Enden schwelten noch. Darunter war die Haut deutlich gerötet.

Noch ehe er sicheren Stand gefunden hatte, war Kane erneut an seiner Seite. Eine Hand ergriff den Schwarzhaarigen im Nacken und drückte ihn gnadenlos nieder. Direkt gegen das hervor zuckende Knie des Kriegers.

Schmerz explodierte in Sheppards Brust, machte das Atmen zu einer glühenden Qual und raubte ihm für einige Herzschläge die Sicht. Trotzdem gelang es ihm irgendwie das Bein seines Gegners zu fassen zu bekommen, als dieser ein zweites Mal zutrat. Zwar wurde ihm damit auch der Rest seiner Atemluft aus den Lungen gepresst, aber er zwang seinen Körper zu reagieren und hebelte Kane mit einer ruckartigen Drehung aus.

Haltlos stürzten die Kämpfenden zu Boden.

Der Ellenbogenstoß, den Sheppard vergebens gegen die Magengegend Kanes richtete, wurde durch dessen leichtes Kettenhemd abgefangen und verpuffte wirkungslos. Statt dessen jagte Taubheit bis in seine Fingerspitzen und sein Schultergelenk.

Kane lachte böse und rollte sich flink wie ein Wiesel auf die Seite. Es erfreute ihn doch jedes Mal aufs Neue, wenn seine Gegenspieler ihn so stark unterschätzten. Mühelos unterband er Sheppards verzweifelten Versuch aus der Reichweite des Kriegers zu krabbeln, umschlang seinen Hals mit seinem sehnigen Unterarm und zog den somit wehrlosen Atlanter an seine fassbreite Brust. Dann spannte er seine Muskeln.

In ohnmächtigem Zorn bäumte sich Sheppard im Griff des wesentlich größeren Mannes auf. Seine Finger kratzten wirkungslos über dessen Unterarm, bewirkte damit aber lediglich, dass sein Peiniger den Druck noch zusätzlich verstärkte. Mit dem Rücken an Kanes Leib gepresst hatte der Colonel keine Chance, sich dessen Bosheiten zu erwehren. Und die schwarzen Punkte vor seinen Augen wurden größer, tiefer. Pfeifend rang er nach Luft.

„Zappele nur, du armselige Kreatur. Ich habe dich gewarnt, also stell dich deinem Schicksal gefälligst ohne zu winseln wie ein Welpe.“

Sheppard schaffte es, seinen Kopf ein winziges Stück zu drehen, so dass sich die Blicke der Kämpfenden für einen Moment begegneten. Blanker Hass blitzte zwischen ihnen. Dann, mit einer letzten ungeheuerlichen Kraftanstrengung, katapultierte der Colonel seinen Körper nach hinten und entwandt sich dem tödlichen Griff durch eine Rolle. Den darauf folgenden Schwindel drängte er entschlossen zurück. Er hätte bei den Nahkampfübungen seiner Einheit einfach mehr aufpassen müssen.

Die neu gewonnene Freiheit währte nur leider nicht sehr lange. Kane kam fast ebenso schnell wieder auf die Füße und ging unmittelbar zum Angriff über. Sheppard blieb nichts anderes übrig, als den mächtigen Faustschlägen so gut es ihm eben gelang auszuweichen. Rückwärts vor dem Krieger zurück weichend, versuchte er der enormen Reichweite zu entgehen.

Jedes Mal gelang ihm das allerdings nicht. Er glaubte, ihm müsse der Schädel vom Rumpf brechen, als er einem angetäuschten Schlag gegen seine Schläfe nicht mehr rechtzeitig entgehen konnte. Die nächste Attacke folgte auf dem Fuße, der dritte Treffer sandte ihn ein weiteres Mal zu Boden. Schwer atmend blieb er liegen. Ihm fehlte die Kraft, um sich zurück auf die Füße zu bringen und weiter zu kämpfen. Kane war einfach zu stark.
 

Unter das stetige Rauschen des Regens, welches durch die offenen Fenster des Saales drang, mischte sich plötzlich noch ein anderes Geräusch, überlagerte sogar das angestrengte Keuchen der beiden Männer. Stimmen und Rufe wurden laut, irgendwo zerschellte Glas. Das aufgebrachte Sumpfvolk hatte sich offenbar schneller mobilisiert als erwartet und würde schon bald finden was es suchte.

Kane lauschte den Lauten mit geneigtem Kopf. Natürlich war ihm bewusst, was das für ihn bedeutete. „Ihr habt mich hintergangen. Ihr habt sie hier her geführt, um mich wie eine Ratte im Käfig zu fangen.“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten, grenzenloser Zorn flutete durch seinen Körper. Schnell wie eine Raubkatze wirbelte er herum und packte den noch immer benommenen Colonel an seinem zerrissenen Hemd, zerrte ihn unsanft zurück auf die Füße. „Aber so einfach bin ich nicht zu überlisten.“

Gleich einem Schraubstock schlossen sich seine Finger um die schutzlose Kehle des Schwarzhaarigen, sein Gesicht verharrte keinen Finger breit vor dessen Gesicht. „Jeder Tote, der heute fällt, wird auf euer Konto gehen. Ich lasse mich nicht behandelnd, als wäre ich ein Vogelfreier.“

Sheppard stieß einen verunglückten Schmerzensschrei aus, als Kane seine dunklen Fähigkeiten entfesselte und gegen sein Opfer richtete. Er glaubte von innen heraus zu verbrennen, sein Blut schien zu kochen und seine Venen zu schmelzen. Zeitgleich schnellte sein Puls in ungeahnte Höhen und ließ sein Herz an der Überforderung schier zerspringen. Er hatte nicht den Hauch einer Chance, die folgenden Faustschläge seines Gegners abzuwehren.

Und Kane machte keinen Hehl daraus, dass er die Wehrlosigkeit des Atlanters kalt auszunutzen gedachte. Sein Zorn hatte ein Ventil gefunden, zumindest für den Moment. Einen Schuldigen.

Wäre Rhyan nicht auf Sheppard und seine Leute getroffen, hätte sich die jüngste Vergangenheit vermutlich nie so entwickelt, wie sie es letzten Endes getan hatte. Rhyan wäre nicht fortgegangen, hätte ihm nicht den Rücken gekehrt. In seiner schwärzesten Stunde war sie nicht an seiner Seite gewesen, hatte ihn nicht wie sonst vor seinem Dämon bewahrt. Nein. Sie war bei diesen Menschen gewesen. Bei diesem Mann.

Und Kane war über den Abgrund gerutscht.

Der Angriff auf die Feste hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Um zu Leben hatte er kämpfen müssen. Um stark genug für einen Kampf diesen Ausmaßes zu sein, hatte er seinen schlafenden Schatten wecken müssen. Und er war ihm verfallen. So wie jedes Mal.

In seinem Griff hatte der Colonel aufgehört zu zappeln. Sein gepeinigtes Stöhnen war verstummt. Unter der brutalen Prügel des Kriegers hatte er das Bewusstsein verloren und hing nur noch wie ein nasser Sack Stroh schlaff in seiner Hand. Lippen, Schläfe und Wangenknochen waren aufgeplatzt und auf seinem Oberkörper zeichneten sich die ersten dunklen Prellmarken ab.

Der Spaß und die damit verbundene Befriedigung hatten nicht lange gewährt. Kane verzog missbilligend das Gesicht.
 

„Rhyan, um Himmels Willen, er schlägt ihn tot, wenn du nichts tust.“ Teylas Stimme drang wie aus weiter Ferne zu der Drachenreiterin, die ihr jedoch keinerlei Beachtung zukommen ließ. Verzweifelt rüttelte die Athosianerin an ihren Schultern. Das Entsetzen stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Rhyan, bitte!“

„Wach auf, du dummes Kind! Mach deine Augen endlich auf und sieh die Wahrheit.“

Arokhs Stimme hallte unverhofft im Kopf der Athosianerin wider und Dankbarkeit und Hoffnung durchströmten sie. Wenn sie es nicht schaffte, so musste es doch zumindest dem Drachen gelingen, zu seiner Gefährtin durchzudringen. Voller Furcht schaute sie zu Kane, doch er schien nichts von der Anwesenheit des Drachen mitbekommen zu haben. Bislang jedenfalls.

„Rhyan!“ Wie eine Peitsche knallte die zornige Stimme durch den Geist der schreckensstarren jungen Frau. „Kane kann nur existieren, wenn du glaubst was er erzählt. Wenn du seinen Trugbildern nachgibst. Erinnere dich wer du bist, was du bist, und dieses Luftschloss wird zerplatzen wie eine Wasserblase. Kämpfe dagegen. Besinne dich!“

Ein Beben durchlief den schlanken Körper der Drachenreiterin und tatsächlich. Das wilde Flackern in ihren Augen erlosch. Mit brennendem Blick starrte sie auf Kane und wie er Sheppards Körper mit harten Schlägen misshandelte. Beobachtete, wie die Gegenwehr des Colonels immer schwächer wurde und schließlich ganz erstarb. Sah das Blut.

Mit einem kehligen Grollen zog sie ihre Lippen zurück und entblößte ihre messerscharfen Fänge. Sich darauf besinnen, wer sie war und für was sie einstand... Rhyan wusste, für was sie stand.

Heiß wie Drachenfeuer fegte ihr Erbe durch ihren Leib und Teyla war gezwungen, hastig zurück zu weichen, als sich die junge Frau urplötzlich zu ihrer vollen Größe aufrichtete. Mit der Rechten befreite sie 'Leid' aus seiner Rückenhalterung und Mensch und Schwert verschmolzen augenblicklich zu einem unheimlichen, schattenhaften Wesen.

Die Intarsien der Klinge glommen in einem tiefen, wütenden Rot und waren deutlich auszumachen. Doch die Waffe selbst schien nicht vollständig in diesem Raum-Zeit-Gefüge zu existieren. Als verursache sie einen Riss in den Dimensionen. Sein kaum wahrnehmbarer, dissonanter Gesang verursachte Teyla eine Gänsehaut des Grauens.

Rhyan hingegen schien nichts mehr mit der verzweifelt gelähmten Frau gemein zu haben, die eben noch neben der Athosianerin gekauert hatte. Wilde Entschlossenheit strahlte von ihr aus. Und auch wenn ihr Körper in dem Zerrbild, welches 'Leid' schuf, kaum zu erkennen war, so schien es doch, als würden ihrem Rücken mächtige, dunkle Schwingen entwachsen. Das schwache Licht der wenigen Fackeln reflektierte deutlich auf den Schuppen, die sich auf Rhyans Haut gebildet hatten.

Draußen hatte das Heulen des Unwetters noch zugenommen. Der Wind fegte den Regen durch die Fenster und Teyla musste mit Schrecken feststellen, dass sie in dem hellen Aufleuchten eines Blitzes die ersten Schatten erkennen konnte, die vor den Mauern des Vorpostens entlang huschten. Zwar lag der Saal zu hoch, als dass die Rebellen direkt durch die Fenster steigen konnten, aber sie waren nah und würden nicht mehr viel Zeit brauchen, um ihren Weg hinein zu finden.

Prompt schallte ein Poltern und Hämmern durch das Gewölbe, als die Ersten das massive Eichenportal erreichten. Die Athosianerin zuckte bei dem unerwarteten Lärm zusammen und war heilfroh, dass sie zuvor gemeinsam mit Ronon die Flügeltüren verbarrikadiert hatte. Es würde die aufgebrachte Meute zumindest einen kleinen Augenblick länger aufhalten.

Als sie sich wieder der Szenerie vor dem Lehnstuhl zuwandte, sah sie gerade noch wie Rhyan mit erhobener Waffe gegen Kane anstürmte. Sheppard lag mittlerweile verkrümmt am Boden, fallen gelassen wie ein langweilig gewordenes Spielzeug.

„Betrüger der Narren!“ Rhyan schwang die schlanke Klinge in einem Bogen rötlich schimmernden Lichts gegen den waffenlosen Krieger. Das Schwert würde ihn in der Mitte zerteilen.

Nur war Kane ohne Waffen noch lange nicht wehrlos.

Schwaden seiner dunklen Macht lösten sich von seinen Fingerkuppen. Sie jagten auf die Drachenreiterin zu und trafen mit einem infernalischen Knistern auf 'Leid'. Unkontrolliert brach die Energie aus und zerstörte in einem wirren Zickzack Teile der Saaldekoration.

Kane unternahm einen zweiten Versuch und einen Dritten unter Verwendung eines gleißenden Lichtblitzes. Doch die Attacken wurden allesamt von dem schwarzen Schwert absorbiert oder abgelenkt. Schneller als ihm lieb sein konnte, sah er sich gezwungen in die Verteidigung zu gehen.

Und Rhyan rannte ohne Unterlass gegen diese Verteidigung an. Wie ein lebendiger Racheengel aus den alten Tagen warf sie sich dem Krieger entgegen. 'Leid' vollführte kaum nachvollziehbare Manöver, zuckte vor, wo Kane es nicht erwartet hätte und fügte ihm so immer mehr kleine Schnittverletzungen zu. Selbst durch sein Kettenhemd schnitt das Schwert mühelos.

Kane selbst hatte Rhyan das Kämpfen mit dem Schwert beigebracht. Er hatte sie kämpfen sehen und wusste daher, dass er sich in arger Bedrängnis befand. Hinzu kam noch, dass er bislang nur ein einziges Mal einen Blick auf ihre vollendete Hybridform hatte werfen können. Damals in dem brennenden Dorf. Und schon da hatte ihn dieser Anblick tief erschüttert.

Auch jetzt trat sie in ihrer ganzen Macht gegen ihn an. Nur ließ sich der Krieger dieses Mal nicht davon beeindrucken. Hatte ihn Rhyans Erscheinung in dem brennenden Dorf erschüttert, so schürte es jetzt nur zusätzlich seinen Zorn. Es machte ihn wütend, dass sie sich auf diese Art und Weise gegen ihn wandte. Dass sie diese Fähigkeiten nutzte, um ihn zu bekämpfen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie ihr Drachenerbe für ihn eingesetzt. Dass sie es nunmehr gegen ihn einsetzte, schnitt tiefer als jeder Verrat.

Sollte sie also ihren Kampf haben. Wenn sie sich keine Grenzen auferlegte, so würde auch er sich keinen Schranken unterwerfen. Nie zuvor hatten sie gegeneinander gefochten. Eine Klärung, wer von ihnen der mächtigere Gegner war, war schon lange überfällig.

Geschickt wich er den nächsten Attacken der Drachenreiterin aus, ließ sich zurückfallen und riss mit einer gekonnten Finte sein Breitschwert vom Boden. Rhyan würde er auch ohne die Hilfe seiner dunklen Künste bezwingen.

Funkensprühend klirrten die befremdlichen Waffen gegeneinander, verbissen sich und trennten sich wieder, nur um gleich darauf wieder aufeinander zu treffen. 'Leids' Intarsien leuchteten grell bei jedem Aufprall. Schlagabtausch folgte auf Schlagabtausch. Rhyan nutzte ihre Gewandtheit und tänzelte scheinbar mühelos um den Krieger herum, zwang ihn so immer wieder seinen Stand zu wechseln, seine Verteidigung neu auszurichten.

Trotzdem gelang es Kane, machtvolle Paraden gegen die junge Frau zu richten. Die Kraft, mit welcher das Breitschwert gegen die schlanke Klinge 'Leids' prallte, war ungeheuerlich und ließ das Material bis in Rhyans Finger vibrieren.

Keiner von beiden sprach ein Wort und keiner ließ den jeweils anderen aus den Augen. Ihre Blicke sprachen Bände. Es war keine Magie nötig um die Atmosphäre in dem Saal unerträglich werden zu lassen.

Die Schwerter trafen in immer kürzerer Folge aufeinander, das helle Klirren und der gepresste Atem der Kämpfenden wurde in einem grotesken Echo von den Steinwänden zurück geworfen. Zeitgleich wurde das Hämmern am Eichenportal lauter und das uralte Holz begann unter der enormen Belastung zu ächzen. Ein durchdringendes Knacken kündigte den ersten Erfolg der Rebellen an.

Kane entging diese Tatsache keineswegs. Er musste sich beeilen, wenn er nicht wieder in einem Gebäude eingesperrt werden wollte, das über seinem Kopf angezündet wurde. Er tauchte unter der urplötzlich auftauchenden Klinge 'Leids' hinweg, ließ seine Parierstange an dem Heft des schwarzen Schwertes abprallen und brachte Rhyan auf diese Weise aus dem Gleichgewicht.
 

Ein Patzer, den er der Drachenreiterin so nicht zugetraut hätte. Verwundert und aufmerksam musterte er seine Gegnerin.

Schweiß bedeckte ihr fahles Gesicht und ihre bloßen Arme. Ihre Brust hob und senkte sich hektisch unter den Anstrengungen des Kampfes, doch ihr Blick hielt seine blauen Augen in eisigem Griff. Dennoch beschlich Kane das Gefühl, als sei Rhyan nicht vollkommen bei der Sache. Als kämpfe sie trotz all ihrer blinden Wut nur halbherzig.

Ein dämonisches Grinsen stahl sich auf seine Züge. Aber natürlich.

Er täuschte einen Schritt nach vorne an, wich statt dessen aber nach links aus und kam unmittelbar neben dem besinnungslosen Sheppard zum Stehen. Als hätte er dieses 'Hindernis' nicht gesehen, trat er mit der Stiefelspitze zu, traf den Mann kurz unter den Rippen in den Bauch und drehte damit den reglosen Körper auf den Rücken. Sein Plan verfehlte seine Wirkung nicht.

Rhyan geriet außer sich vor Zorn und griff den Krieger blindlings an. Nur geleitet von ihrer unbändigen Rage. Die Schatten in ihrem Rücken, die Flügeln wirklich zum Verwechseln ähnlich sahen, streckten sich, als wollten sie den Krieger in eine tödliche Umarmung ziehen. Dazwischen stand die Drachenreiterin, eher dämonengleich als menschlich, das Raubtiergebiss entblößt, die lodernden Augen nicht mehr als schmale Schlitze. „Dein Tod heißt Rhyan. Ich nehme dir dein verfluchtes Leben.“

Kane lachte nur. Verhöhnte sie. Sie bewegte sich auf einem sehr schmalen Grat, irgendwo zwischen echter Gefährlichkeit und unkontrollierter Raserei. Nur ein kleiner Schritt würde genügen, und sie würde ein leichtes Opfer sein. Er beschränkte sich daher darauf ihren nächsten Attacken auszuweichen und so ihre Wut zu schüren. Und auch dieser Plan ging auf.

Es machte sie rasend, dass er sich dem direkten Kampf wieder und wieder entzog. Und das wiederum ließ sie unkonzentriert werden. Ein Moment der Unachtsamkeit musste so unweigerlich eintreten. Früher oder später.

Er kam schneller, als Kane zu hoffen gewagt hatte. In Rhyans Wechsel aus Angriff und Abwehr tat sich unerwartet eine Lücke auf und der Krieger stieß mit traumwandlerischer Schnelligkeit zu. 'Leid' glitt kreischend an der Breitseite seines Schwertes ab, verhakte sich an der Parierstange und setzte sich dort fest. Das nutzte Kane um die Drachenreiterin zu sich heran zu ziehen, ihren sicheren Stand zu brechen und anzugreifen. Ohne mit der Wimper zu zucken, schlug er ihr seine Faust in das Gesicht.

Von der Wucht wurde Rhyan zurück geworfen. Ihr Kopf schnappte mit einem unangenehmen Knacken nach hinten und ihr Griff um das Heft des schwarzen Schwertes wurde für den Bruchteil einer Sekunde schwächer.

Mehr brauchte Kane nicht. Er verkantete seine Waffe und riss 'Leid' mit einem gezielten Ruck aus Rhyans Hand. Sich überschlagend sprang es außer Reichweite und kam mit einem melodischen Klirren zum Erliegen.

Außer sich vor Wut fletschte Rhyan ihre Zähne. Blut rann aus ihrer verletzten Nase und einer hässlichen Schramme, die durch Kanes Panzerhandschuh verursacht worden war. Nur die Schuppen auf ihrer Haut hatten sie vor größerem Schaden bewahrt. Die Finger zu tödlichen Klauen verkümmt, stellte sie sich dem Krieger entgegen. Die Mühe, 'Leid' zurück zu holen, würde sie sich nicht machen.

Zumal Kane auch ohne großes Federlesen den nächsten Angriff begann.

Hastig sprang die Drachenreiterin vor dem heranzuckenden Breitschwert zurück. Sie würde darauf lauern müssen, dass sie eine Gelegenheit bekam, um Kanes Attacken zu unterlaufen. Auch wenn es ihr schwer viel zu warten. Sehr schwer. Ihr Blut kochte und der Dämon in ihr lechzte danach, seine Krallen in den Körper des Verfluchten zu versenken. Es erforderte beinah all ihre Konzentration, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Ihr Atem ging schwer, flach.

Als habe jemand ein heißes Stück Eisen auf ihren rechten Oberarm gepresst, zuckte unerwarteter Schmerz durch Rhyans Körper. Kanes Schwert hatte sie gerade eben noch mit der Spitze erwischt und ihr Hemd und die darunter liegende Haut aufgeschlitzt. Gleich darauf wiederholte sich der Schmerz an ihrem Oberschenkel. Warm konnte sie ihr eigenes Blut über ihre Haut rinnen fühlen.

Keuchend taumelte sie, für den Moment zu sehr abgelenkt, als dass sie der sich erneut nähernden Waffe hätte ausweichen können. Mit der Breitseite traf sie auf ihren Kopf und riss dennoch eine lange Strieme quer über Stirn und Schläfe. Rhyan wankte noch mehr. Ihr war schwindelig und sie konnte ihre Umgebung nur noch wie durch einen dichten Nebel ausmachen. Der fahrige Schlag ihrer Rechten ging wirkungslos ins Leere und wieder spürte sie den kalten Biss von Kanes Schwert.

Sie verlor die Orientierung, drehte und wendete sich, die blutigen Hände zum nutzlosen Schutz erhoben, und konnte den Krieger doch nicht ausfindig machen. Nur ihr Instinkt veranlasste sie dazu, ihren Körper in letzter Sekunde herum zu reißen, so dass der ansonsten tödliche Hieb fehl ging. Sie schrie ihren Schmerz hinaus, als sich die Klinge statt in ihre Brust in ihre Schulter bohrte, sich dort eindrehte und mit einem hässlichen Schmatzen wieder frei kam, als sie haltlos zu Boden stürzte. Taub wie ihr linker Arm war, schaffte Rhyan es nicht diesen Sturz abzufangen.
 

Schwer brach sie über Sheppards Körper zusammen und ihr Widerstand zerbrach wie hauchdünnes Eis in der Frühlingssonne. Angst und grenzenlose Verzweiflung löschten jeden noch so kleinen Rest ihres Zorns aus. Sie konnte fühlen, wie sie mit jedem Atemzug schwächer wurde, wie das Blut aus ihrem Körper floss und eine tödliche Kälte zurück ließ, unter welcher sie unkontrolliert zu zittern begann. Kane wünschte ihren Tod. Daran gab es keinen Zweifel mehr.

Das überhitzte, schweißnasse Gesicht an Sheppards Brust vergraben, erwartete sie den Schlag, der alles beenden würde. Der ihre Seele befreien und ihrem Leid ein Ende setzen würde. Sie hatte es nicht geschafft, Kane vor seiner Dunkelheit zu bewahren. Und damit hatte sie es nicht geschafft, das Böse zu bezwingen, das schon bald ganze Landstriche verwüsten, ganze Dörfer entvölkern würde. Sie hatte Recht behalten, Kane war das Ende aller Hoffnung.

„Es tut mir Leid, John.“, wisperte sie erstickt in das Hemd des Colonels, unfähig die Tränen verhindern zu können. Tief sog sie seinen Geruch ein, genoss die Wärme, die von ihm abstrahlte. Und die ihr Herz zusammenquetschte wie reifes Obst. Ihr hatte er zu verdanken, dass er und seine Freunde nun ebenso den Tod durch die Klinge des Verfluchten finden würden. Einzig und allein sie trug die Schuld an dem Tod des Mannes, der sie nach so vielen Zyklen quälenden Leids den Schmerz von Rhaegars Tod hatte überwinden lassen. Ihrem Herz gezeigt hatte, dass es durchaus noch so etwas wie Liebe empfinden konnte. Selbst wenn sie gewollt hätte, mit diesem Wissen könnte sie gar nicht mehr weiter leben.

Zitternd verharrte sie. Doch der vernichtende Schlag blieb aus.

Verwundert, was den Krieger in seinem Kampfrausch aufhalten konnte, blickte Rhyan über ihre Schulter auf. Dabei schlug ihr das Herz bis zum Hals. Kane stand unmittelbar neben ihr und Sheppard, das Breitschwert, von welchem dunkles Blut auf die Fliesen troff, vor sich haltend. Er betrachtete es, als sehe er es zum ersten Mal. Musterte die neu hinzu gekommenen Scharten und das Fließen des Blutes. Aber noch viel verstörender als das war der Ausdruck tiefer Bestürzung, der sich in die Züge des Mannes gegraben hatte. Seine blauen Augen wanderten zu Rhyan, begegneten ihrem schreckverzerrten Blick. Und das Verstehen sickerte wie zähflüssiges Gelee in Kanes Geist.

Eine allumfassende Trauer löschte jede weitere Emotion in dem Verfluchten aus. Das Flackern seines Wahnsinns verschwand. Dann ließ er das Schwert sinken.

„Kane?“

Das Bersten von massiven Holzbohlen kreischte durch den totenstillen Saal und verschluckte Rhyans weitere Worte. Den Rebellen war es gelungen eine Spante der Flügeltür zu brechen. Damit konnten sie das Portal selbst zwar noch immer nicht öffnen, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihnen auch das gelingen würde. Das Geschrei der tobenden Meute wurde schlagartig lauter.

Kane erwachte aus seiner Starre. Einen Blick zu dem beschädigten Portal werfend, verstaute er sein Breitschwert und hielt Rhyan dann die freie Hand entgegen.

Misstrauisch beäugte sie die blutigen Finger, rührte sich aber keinen Zoll weit. Sie konnte nicht so recht glauben, dass urplötzlich alles vergeben und vergessen war.

Hinter Kane konnte sie Teyla erkennen, die mühsam den noch immer benommenen Ronon auf die Füße wuchtete. Gehetzt huschten ihre dunklen Augen zwischen dem Tor, Kane und Rhyan hin und her. „Wir müssen schleunigst von hier verschwinden, wenn wir noch Hoffnung haben wollen dieser mordlüsternen Meute entkommen zu können.“

Kane nickte nur und blickte Rhyan herausfordernd an: „Deine Freundin hat Recht, Rhyan. Wir müssen fort, und zwar schnell. Komm jetzt.“

Wieder ertönte das Knirschen und das Loch in dem Portal wurde größer. Fackelschein fiel aus dem Gang auf die Fliesen des Saales und zeichnete groteske Schattenrisse auf das Gestein. Die Rebellen tobten.

Zaudernd versuchte Rhyan ihre rasenden Gedanken zu ordnen. Eine unlösbare Aufgabe, zumal jetzt nicht die Zeit war sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welches das größere Übel darstellte. Kane zu folgen oder sich den Rebellen entgegen zu stellen. Also schlug sie endlich ein und ließ sich von dem Krieger auf die Beine helfen. Augenblicklich erfasste sie Schwindel und ein glühender Schmerz pochte von Innen gegen ihre Stirn, ließ sie unsicher wanken. Verbissen kämpfte sie gegen die drohende Ohnmacht an.

Noch einmal loderte die Furcht und das Misstrauen in ihr auf, als sie mit verschwommenem Blick verfolgte, wie Kane an den bewusstlosen Sheppard herantrat und sich zu ihm herab beugte. Hatte er ihr Vertrauen benutzt, um den Atlanter nun endgültig töten zu können?

Doch Kane ergriff den schlaffen Körper nur, um ihn sich mit erstaunlicher Behutsamkeit über die Schultern zu legen. Sein Blick verfinsterte sich, als er die Verblüffung auf Rhyans Gesicht gewahrte. „Gehen wir.“
 

Die Drachenreiterin half Teyla dabei, den Sateder zu stützen und gemeinsam folgten sie dem Krieger aus dem Saal, hinein in die Dunkelheit der Gänge. Ihre Schritte beschleunigten sich automatisch, als das endgültige Splittern des Eichenportals zu ihnen vordrang, begleitet von dem Triumphgeheul der Rebellen.

„Verlasst das Gebäude!“

Arokhs Stimme ließ jeden der kleinen Gruppe erschrocken zusammenzucken. Selbst Kane knurrte verärgert ob dieser unerwarteten Ansprache.

„Die meisten der Rebellen durchkämmen das Innere des Vorpostens. Die Wenigen, die draußen zurück geblieben sind, stellen keine Gefahr dar. So lange ihr schnell genug seid.“

Kane tauschte einen schnellen, entschlossenen Blick mit Rhyan, die sich gerade fieberhaft fragte, ob der Drache bereits früher versucht hatte Kontakt mit ihr aufzunehmen. Doch verloren wie sie in ihrem Rausch gewesen war, konnte sie sich nicht entsinnen.

Niemand kannte sich in dem alten Gemäuer so gut aus wie der Krieger und so übernahm er auch weiterhin die Führung der Flüchtlinge. Den Freunden blieb nichts anderes übrig, als Kane zu vertrauen und ihm kreuz und quer durch das Labyrinth aus Fluren, Hallen und Treppenschächten zu folgen. „Wir werden bald da sein.“

Von den Wänden hallten die Rufe ihrer Verfolger wider und hin und wieder war der Schein von Fackeln am Ende einer Biegung zu sehen. Sie zwangen die kleine Gruppe, Umwege in kauf zu nehmen. Dann endlich wehte ihnen kühle Luft entgegen. Der Geruch regennasser Erde nahm zu und wenig später traten sie hinaus in den trüben Nachmittag. Schwere düstere Wolken jagten über den Himmel und schütteten wahre Sturzbäche über Kranor-Rill aus. Das tiefe Grollen eines entfernten Donners rollte ihnen entgegen.

Blinzelnd sahen sie sich um und versuchten sich zu orientieren. Von Arokh fehlte jede Spur. Statt dessen konnten sie aber mehrere Bewegungen im näheren Umkreis ausmachen. Darunter befand sich ein Trupp von vielleicht fünf Ryliti, die sich ihrem Standort näherten.

Hastig entfernten sich die Flüchtenden von dem Ausgang und liefen geduckt tiefer in den Sumpf hinein. Rhyan versuchte indes vergebens den Drachen zu erreichen.

Der aufgeweichte Untergrund war trügerisch, schlüpfrig und weich. Das Erdreich hatte sich vollgesogen wie ein Schwamm, überall standen Pfützen, die durch eine Vielzahl stetig anschwellender Rinnsale miteinander verbunden waren. Nach kürzester Zeit waren ihre Stiefel mit Wasser vollgelaufen.

Im Rücken der kleinen Gruppe schallte ein Horn. Rufe wurden laut und Kane verharrte einen Moment, um konzentriert zu lauschen. Seine Kiefer mahlten. „Sie wissen, dass wir nicht mehr im Vorposten sind.“ Ein Plätschern ganz in ihrer Nähe ließ ihn herumfahren. „Und sie haben scheinbar unsere Spuren entdeckt.“ Kane knurrte, schob sich Sheppard mit einem Ruck auf den Schultern zurecht und setzte dann seinen Weg durch die neu entstandenen Bachläufe fort. „Wo ist dieser verdammte Drache?“

Schlamm spritzend hetzten sie weiter. Überzeugt, dass nicht nur ein Trupp auf ihren Fersen war. Es verursachte ein unangenehmes Gefühl der Beklemmung, zumal der Regen noch zugenommen hatte und es unmöglich machte, weiter als ein paar dutzend Schritte zu sehen. Dazu kam noch, dass das Rauschen jedwedes Geräusch restlos verschluckte.

So auch das Geräusch der mächtigen Schwingen, die sich aus den Wolken näherten. Erst als der Drache unmittelbar vor den Flüchtenden landete, konnten sie seine geschmeidige Statur ausmachen.

Stolpernd kamen sie vor seinen Pranken zum Stehen. Sein langer Schwanz peitschte die gedrungenen Büsche, wodurch das Regenwasser in kleinen Fontänen von den Blättern spritzte. Dann, vollkommen unerwartet, schnappten seine mächtigen Kiefer zu und verfehlten Kane nur um Haares Breite.

Geistesgegenwärtig war der Krieger zurück gewichen, als er Arokh vor sich erkannte, und allein dieser Reflex hatte ihm und seiner Bürde das Leben gerettet. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er zu dem hoch über ihm schwebenden Schädel auf. Diese plötzliche Attacke hatte selbst ihn erschreckt.

Erbost spreizte Arokh seine Schwingen, wenig erfreut darüber, dass ihm sein Opfer entwischt war. Seine mächtige Brust wölbte sich, dann schmetterte ein ohrenbetäubendes Brüllen über den abendlichen Sumpf. Ließ die dich beieinander stehenden Freunde schaudern.

Kane stolperte wieder mehrere Schritte von dem Drachen zurück, den Kopf gegen die ungeheure Wucht des zornbebenden Schreis gesenkt, und wäre um ein Haar gestürzt. Mit dem reglosen Körper auf seinen Schultern war seine Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und erlaubte selbst die leichtesten Schritte nur unter größter Umsicht. Ein Umstand, welcher ihm fast zum Verhängnis wurde, denn Arokh schnappte ein zweites Mal nach ihm.

„Bist du wahnsinnig?“ Rhyan setzte mit einem Sprung an dem Krieger vorbei und baute sich schützend zwischen ihm und dem tobenden Drachen auf. Ihre glühenden Augen versprühten Blitze und sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, als die tödlichen Fänge keine zwei Finger breit vor ihrem Gesicht aufeinander schlugen.

Unerschrocken starrte sie zu ihrem Gefährten hinauf. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du hättest John eben so getötet wie Kane, ist dir das klar?“ Ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. Sie konnte es nicht fassen.

Arokh antwortete mit einem drohenden Knurren, das selbst im Boden als spürbare Vibration zu vernehmen war. „Wie kannst du ihn schützen? Nach allem was er getan hat.“ Seine Klauen zerwühlten den aufgeweichten Untergrund und verrieten die enorme Gereiztheit des Drachen. „Er verdient den Tod.“

Wieder setzte er dazu an, seinen Zorn in das Unwetter hinaus zu brüllen, da schlug Rhyan ihm kurzerhand die Faust auf die empfindlichen Nüstern. Es reichte. „Wirst du wohl damit aufhören? Du bringst uns noch alle in Teufels Küche mit diesem Geschrei.“ Wachsam huschte ihr Blick über die nähere Umgebung. Noch war keiner ihrer Verfolger zu sehen, aber schon das erste Gebrüll dürfte genügt haben, um die Suchenden auf die richtige Fährte zu setzen. „Kane ist meine Angelegenheit. Ich schütze ihn nicht, ich gehe lediglich einen Kompromiss ein, damit diese Flucht glückt. Aber ich werde nicht zulassen, dass du John in deiner blinden Raserei ein Leid zufügst. Hast du mich verstanden?“ Kalt blickte sie dem Drachen in die Augen.

Arokh bedachte seine Gefährtin im Gegenzug mit einem undefinierbaren Blick. Fast schien es, als überlege er ernsthaft, ob er sich über sie hinwegsetzen sollte. Das Ende seines Schwanzes zuckte nervös.

In dem Moment kündigten näher kommende Rufe die ersten Verfolger an. Weit waren sie nicht mehr.

„Arokh, bitte! Vertrau mir.“

Der Drache schnaubte, ein Laut purer Unzufriedenheit. Doch dann entspannte sich der lange, sehnige Körper. Fast schon resigniert ließ er den gehörnten Schädel sinken. „Ihr seid wie ein Beutel voller Fellwanzen, nur schwerer zu bändigen“, grollte er erbost. „Niemand sagte etwas davon, dass ihr in den Sumpf laufen sollt. Fast hätte ich euch nicht wiedergefunden.“

Kane funkelte den Drachen voll unterdrückter Wut an. Auch wenn die Situation zumindest für den Moment entschärft war, so konnte er den blanken Hass, welchen der Drache ihm gegenüber unverblümt zeigte, nicht ignorieren. Der Regen lief ihm in langen Rinnsalen aus der Stirn über das Gesicht. „Wären wir stehen geblieben wo wir waren, hättest du nichts mehr gehabt, was du finden könntest. Du bist es, der nicht wie vereinbart dort gewesen ist.“

Arokh fletschte seine tödlichen Fänge. „Wir waren da, du Schwachkopf. Genau so wie jetzt.“ Über den Schwingen des Drachen nahm plötzlich ein kubusförmiger Gegenstand Gestalt an und Teyla stieß neben Rhyan ein erleichtertes Seufzen aus.
 

Der Jumper drehte bei und ließ dabei die Heckklappe sinken. Da das kleine Fluggerät nicht auf dem sumpfigen Untergrund landen konnte, blieb den Freunden nichts anderes übrig, als mit Hilfe des Drachen in das trockene Innere zu klettern. Einer nach dem anderen wurde von den riesigen Vorderklauen Arokhs erfasst und angehoben. Kane bestand darauf, seine Bürde auch hierbei zu tragen.

Aus dem Cockpit schallte bereits die aufgeregte Stimme McKays zu ihnen: „Hinsetzen! Allesamt. Wo ist Sheppard?“ Mit großen Augen blickte er von Rhyan zu Kane, welcher den noch immer besinnungslosen Colonel auf einer der seitlichen Sitzbänke ablud. „Was ist mit ihm? Er sollte uns hier herausfliegen.“

Rhyan schüttelte nur stumm den Kopf und ging dann neben Sheppard auf die Knie. Behutsam wischte sie ihm den Regen und das Blut aus dem blassen Gesicht.

„Dr. McKay.“ Teyla nahm den geschockten Wissenschaftler am Arm und bugsierte ihn zurück zum Pilotensitz. Ronon hatte es aus eigener Kraft geschafft, in einem der Sitze Platz zu nehmen. Kane setzte sich Rhyan gegenüber auf die Sitzbank.

Beschwörend blickte die Athosianerin McKay in die Augen: „Sie werden derjenige sein, der uns hier herausfliegt, Rodney. Nichts besonderes, schließlich haben Sie schon oft einen Jumper manövriert. Eine Leichtigkeit für jemanden wie Sie.“

„Aber...“ McKay deutete hinaus durch die Windschutzscheibe, an welcher der Regen wie ein Wasserfall herab rann. „Das Wetter!“

Teyla lächelte gequält. „Rodney, bitte.“

Einen Moment lang starrte der Wissenschaftler noch auf die Frau vor sich, dann zogen sich seine Brauen zusammen und er wandte sich entschlossen der Steuerung zu. Die Heckklappe schloss sich und sperrte die Nässe und das Toben des Windes aus. „Also gut. Ihr solltet euch besser gut festhalten, Turbulenzen sind unvermeidbar.“ Das Summen der Maschinen steigerte sich zu einem lauten Heulen, dann gewann der Jumper an Höhe und beschleunigte.

„Wir folgen dem Drachen.“ Undeutlich war der Schatten Arokhs in den Regenschleiern vor ihnen zu erkennen. „Die anderen des Wissenschaftsteams sind bereits zurück in Atlantis. Wir werden das Stargate im Landesinneren ansteuern. Ich konnte herausfinden wie sich die Frequenzverschiebung auf beide Sternentore anwenden lässt, damit man beide auch weiterhin nutzen kann. Natürlich nicht gleichzeitig, aber...“

Der Jumper schlingerte bedrohlich und Rhyan wäre im Heck gestürzt, hätte Kane sie nicht geistesgegenwärtig aufgefangen. Sie tauschten einen undefinierbaren Blick.

„Ok, ich sollte aufhören zu reden.“ Rodney nagte an seiner Unterlippe. „Es ist doch recht kompliziert, gleichzeitig zu fliegen und zu reden.“

Teyla bedachte ihn mit hochgezogener Braue.

„Jaja, ich bin schon still. Das macht die Nervosität.“

Indes hatte Rhyan sich schon wieder aus Kanes Halt gelöst. Sie hatte noch immer nicht verarbeitet, was in dem Saal geschehen war und war auch noch nicht vollends davon überzeugt, ob sie dem Krieger trauen durfte.

Offenbar standen ihr diese Zweifel deutlich ins Gesicht geschrieben, denn Kane seufzte schwer. Er griff hinter sich und zog 'Leid' hervor, um es der Drachenreiterin mit dem Heft voraus zu überreichen. „Ich hoffe, das ist ein erster Schritt, damit du mir irgendwann wieder dein Vertrauen gewährst.“

Zögernd nahm Rhyan die Waffe entgegen. Ihre Gefühle befanden sich in heillosem Chaos. „Ich weiß es nicht, Kane.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich kann dir nicht sagen, ob ich dir irgendwann wieder vertrauen kann. Ich brauche... Zeit.“

Sie wandte sich ab und kehrte an Sheppards Seite zurück. Gedankenverloren zauste sie sein nasses Haar, um nur irgendwie ihre aufgewühlten Emotionen in den Griff zu bekommen. Um sich abzulenken. Sie ertrug es nicht, mit welcher Traurigkeit der Krieger sie ansah.

Langsam nahmen die Turbulenzen ab. Der Regen, der auf den Jumper trommelte, wurde schwächer und schließlich ließen sie das Unwetter und die Kranor-Rill-Sümpfe hinter sich. Vor ihnen lag jetzt noch ein Flug von vielleicht einer Stunde, bis sie den Ring der Vorfahren erreichen würden. Und mit ihm die Sicherheit von Atlantis.

Rhyan blickte hinaus auf den spätabendlichen Himmel. Die dichten Wolken rissen endlich auf und ließen den Blick auf ein tiefblaues Firmament zu, an dem sich bereits die ersten Sterne zeigten. Sie fühlte sich bedrückt, unsicher, obwohl sie eigentlich froh sein sollte, den Albtraum endlich hinter sich gelassen zu haben. Aber so war es nicht. Sie war sich nicht einmal sicher, ob der Albtraum auch wirklich schon vorbei war. Denn schließlich wusste sie nicht, was mit ihr oder mit Kane geschehen würde, wenn sie die Stadt der Antiker erreichten. Vieles war geschehen, viel Unrecht war begangen worden.

Sie seufzte tief und machte sich daran, Sheppards Wunden zu versorgen. Das würde sie beschäftigen und zumindest einen gewissen Zeitraum davon abhalten, zu schauerliche Szenarien zu ersinnen.
 

In my heart there is a place,

In my heart there is a trace

Of a small fire burning.

A sheltering ray shines through this night

Although it's small, it's bright

But darkness is lurking...

Epilog

Rhyan blinzelte zu der aufgedunsenen Scheibe der Sonne auf, deren fremdartiges Licht die Umgebung in einem sanften Rot erstrahlen ließ. Die langen Schatten ließen vermuten, dass es bereits später Abend war, dabei hatte der Tag auf diesem fernen Planeten gerade erst begonnen. Er begrüßte das Licht und das erwachende Leben. Und den Neuankömmling.

Im Rücken der Drachenreiterin ragte stolz der Ring der Vorfahren auf, errichtet auf einem kleinen Hügel, von welchem man einen wunderbaren Blick in die Ferne hatte. Das reine Azurblau des Ereignishorizonts schimmerte im krassen Kontrast zu dem allgegenwärtigen roten Sonnenlicht.

Die junge Frau wandte ihren Blick von der Sonne ab und ließ ihn statt dessen suchend über die Ebene am Fuße des Hügels gleiten. Dort entfernte sich eine einsame Gestalt langsam und schritt unerschrocken in diese fremde Welt.

Wieder spürte Rhyan den scharfen Biss des schlechten Gewissens. Ihr Herz lag bleischwer in ihrer Brust und doch wusste sie, dass es die Beste aller Lösungen war. Kane konnte nicht wie sie in Atlantis bleiben. Und natürlich erfüllte sie das mit Traurigkeit. Tiefer Traurigkeit. Denn so wie die Dinge zwischen ihr und dem Krieger zur Zeit standen, konnte sie ihm nicht in dieses Leben folgen. Es brauchte Zeit, bis die Wunden des Verrats und des Misstrauens verheilten. Bei beiden von ihnen.

Mehrfach hatte Kane in den letzten Umläufen versucht mit ihr zu reden. Doch Rhyan war noch nicht bereit dazu und hatte ihn wortlos abgewehrt. Ihr war natürlich nicht entgangen, dass etwas mit ihm geschehen war. Damals im Thronsaal. Genau so wenig wie ihr sein niederschmetterndes Bedauern, seine Trauer und sein Gram entgangen waren, welche sie jedes Mal, wenn er sie ansah, fast körperlich spüren konnte. Aber sie konnte nicht über ihren Schatten springen. Noch nicht.

Zumal sie auch sehr wohl bemerkt hatte, wie Kanes Interesse an der Technologie der Antiker erwacht war und wie rasant dieses Interesse berechnend geworden war. Kane war schon immer ein Mann mit großem Interesse gewesen, der sich für vieles begeistern konnte. Doch gerade bei Dingen, die ihm in irgendeiner Form von Vorteil sein könnten, konnte dieses Interesse zur Besessenheit werden. Und die Antikertechnologie war wahrlich etwas, das in keinstem Fall in die Hände des Kriegers gelangen durfte.

Schon bei ihrem ersten Flug im Jumper hatte Rhyan das Interesse in den blauen Augen des Mannes aufleuchten sehen. Aufmerksam hatte er das Innenleben des kleinen Fluggeräts betrachtet und sogar die ein oder andere Frage an McKay gerichtet. Als sie Kane dann nachts eher durch Zufall in der Stadt getroffen hatte, scheinbar ziellos umher streifend, hatte sie sich mit ihrer wachsenden Sorge an Sheppard gewandt.

Gemeinsam hatten sie daraufhin ein wachsames Auge auf den Krieger, was allerdings um ein Haar zu einem neuerlichen Eklat geführt hatte, da sich Kane durch den militärischen Kommandanten erheblich bedrängt und eingeengt gefühlt hatte und Sheppard aus diesem Grund ein Mal mehr beinah tödlich verletzt hatte.

Die Entscheidung, so sehr sie Rhyan auch bedrückte, war daraufhin allen Beteiligten leicht gefallen. Kane musste Atlantis verlassen und ein passender neuer Heimatplanet war auch schnell gefunden.

Und so stand sie nun hier, am Ring der Vorfahren, und blickte Kane mit schwerem Herzen hinterher, wie er seinen Weg in seine neue Heimat antrat. Allein.

„Armeen eroberten siegreich ganze Länder und sind doch am Ende gefallen. Königreiche sind aufgestiegen, nur um vom Sand wieder begraben zu werden.“ Verbittert folgte sie dem immer schwächer werdenden Schemen ihres Freundes, wie er in der Ferne verschwand. „Wir alle werden irgendwann vergessen sein, endlosen Ruhm gibt es nicht. Aber was auch immer wir tun, es wird niemals vergebens gewesen sein.“

Rhyan seufzte verzweifelt. Sie betete, dass es stimmte. Denn andernfalls hätte sie Kane und alles, was jemals zwischen ihr und dem Krieger gewesen war, mit dieser Entscheidung an den Teufel verraten. So aber hoffte sie, dass Kane in dieser Fremde zu sich zurück finden würde und sie irgendwann die Gelegenheit bekämen, das gegenseitige Vertrauen zurück zu erlangen. Das war alles, was sie sich aus ganzem Herzen wünschte.

Überrascht horchte die Drachenreiterin auf, als Teyla neben ihr die alte Weise, aus welcher ihre Worte von eben stammten, leise weiter sang: „Wir sind Teil einer Geschichte, Teil einer Legende. Wir befinden uns alle auf dieser Reise, niemandem ist es vergönnt zu verweilen. Wo auch immer diese Legende hinführen mag – welcher ist der richtige Weg?“

Die Athosianerin lächelte schwach und drückte in stummer Anteilnahme Rhyans Schulter. „Wir werden Kane hier nicht einfach seinem Schicksal überlassen, Rhyan. Das wäre denke ich nicht in deinem und auch nicht in unserem Interesse. Wir werden immer durch das Sternentor miteinander verbunden sein.“

Rhyan nickte mutlos. Teylas Worte mochten gut gemeint sein, aber im Moment gruben sie ihre Wunden nur noch tiefer. So nah und doch so unglaublich fern.

Als sie wieder nach der Gestalt des Kriegers Ausschau hielt, konnte sie ihn nicht mehr finden. Er war endgültig verschwunden und ließ Rhyan unsicher und voll schlechter Gefühle zurück. Sie hatten sich nicht einmal richtig verabschiedet. Selbst das hatte sie nicht über sich gebracht und jetzt schämte sie sich dafür. Kanes Züge hatten sich kaum merklich verspannt, dann hatte er ihr und ihren Freunden zugenickt, hatte seine wenigen Habseligkeiten genommen und hatte sich umgewandt. War den Hügel hinab gestiegen. Ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen. Rhyans Herz blutete.

„Wälder und Wüsten, Flüsse und tiefblaue Seen. Berge und Täler, nichts bleibt bestehen. Während wir noch glauben Zeugen zu sein, sind wir schon ein Teil dieses Geschehens. Diese niemals endende Legende, wo wird sie uns hinführen?“

Teylas Stimme klang getragen und schien Rhyans innere Pein aufzunehmen und mit dem Wind fortzunehmen. Sheppard war indes zu den beiden Frauen getreten und die Drachenreiterin schloss kurz die Augen, in dem nutzlosen Versuch sich im Griff zu behalten, als er ihr einen Arm um die Schultern legte und sie sanft an sich zog. Sie fühlte sich gerade jetzt so grenzenlos einsam, da war Johns tröstende Nähe ein willkommener Halt.

„Wir sind Teil einer Geschichte, Teil einer Legende. Manchmal ist sie wunderschön, manchmal schrecklich. Niemand erinnert sich noch, wie sie einst begann.“

War dem wirklich so? Gab es wirklich niemanden, der sich an den Beginn aller Erzählungen erinnerte? Rhyan wusste es besser. Es gab sehr wohl jemanden, der sich noch entsann. In dessen Kopf jedes noch so kleine Detail eingebrannt und unauslöschlich mit seinem Geist verschmolzen war. Doch nicht einmal er wusste, wo das Schicksal noch hinführen würde.

Teyla verließ Rhyans Seite und verschwand als Erste durch den Ereignishorizont. Es war an der Zeit zu gehen, das Wurmloch würde nicht mehr viel länger aufrecht erhalten bleiben.

Sheppard, der diesen wortlosen Wink durchaus verstanden hatte, hauchte der Drachenreiterin einen Kuss auf die Schläfe. „Komm. Zeit nach Hause zu gehen.“ Er löste sich von ihr, trat bis direkt vor die schimmernde blaue Fläche. Dort wandte er sich noch einmal um.

Rhyan stand noch immer wie in Stein gemeißelt, den Blick in die Weite gerichtet. Es schmerzte den Colonel sie so leiden zu sehen, aber auch er glaubte fest daran, dass Gutes aus dem erwachsen würde, was sie gemeinsam beschlossen hatten.

„Rhyan?“ Sie drehte sich um, Tränen auf den Wangen, und John streckte ihr seine Hand entgegen. „Komm nach Hause.“

Nach Hause...

Zwei Worte, die für Rhyan nunmehr eine ganz neue Bedeutung bekamen. Sie war sich ihrer zerrütteten Gefühle nicht sicher, doch wenn sie in Johns aufrichtige Augen blickte wusste sie, dass sie tatsächlich an einem Punkt, an einem Ort angekommen war, an welchem sie wahrlich zu Hause sein konnte. Einem Ort, der eng verbunden war mit ihrer Vergangenheit als Mensch, der ihr aber gleichzeitig Raum ließ, um ihr verändertes Wesen leben und sich entfalten zu lassen. Sie hatte Freunde. Und jemanden, der sie ernsthaft liebte.

Mit einem schwachen, noch etwas missglückten Lächeln, legte Rhyan ihre Hand in die von Sheppard. Sie würde nach Hause gehen.
 


 


 


 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  MorgainePendragon
2011-11-10T18:14:51+00:00 10.11.2011 19:14
So, das war es nun also. Eine unglaublich TOLLE Geschichte, eine gelungene Fortsetzung, das schonmal vorab. Bin schwer begeistert und verweise im Einzelnen auch gern auf meine vorherigen Kommies, was herausstechende, beeindruckende stilistische Mittel und kleine Fehler wie fehlende Buchstaben oder Kommata angeht.
Insgesamt, und hier kann ich nur für mich sprechen, mag ich den ersten Teil aber doch etwas lieber. Ich weiß nicht einmal genau warum. Nun ja, vielleicht doch. Es liegt wohl an der Verschmelzung der zwei Themen, SGA und deiner Geschichte. Das soll aber nicht heißen, dass ich es nicht gelungen finde, wie du beides verbindest. Alles durchaus schlüssig und allein schon durch die Dimensionsreisen erklärbar. Und gerade auch die Beziehung zwischen Rhyan und Kamikaze-Sheppard wirkt so natürlich, so passend und so RICHTIG. Aber irgendwie hängt mein Herz in deinem Fall an deiner Art „altertümliche“ Fantasy zu schreiben. So ganz ohne Sci-Fi. Und DAS ist eine Sache, die kannst du als Autor ja nicht beeinflussen. Das ist eine rein subjektive Empfindung meinerseits.
Aber dennoch liebe ich es. Ich werd das Buch in Ehren halten, dass du mir geschenkt hast. Ich hänge an Rhyan und an Arokh. Ganz, ganz extrem. Denn im Grunde ist das alles, was mir noch von meinem Faible für Drakan geblieben ist. Es lässt mich immer wieder daran erinnern, wie gern ich dieses Abenteuer mit Rhynn zusammen erlebt habe. Auch wenn es nur der Grundgedanke deiner Geschichte an sich ist. Aber das ist so schön. Nostalgie, Nostalgie…*blinzel*

Wirkt zunächst ein wenig befremdlich sich Teyla dabei vorzustellen wie die dieses Lied singt. Aber ich finde es ist ein wunderschöner, ruhiger, hoffnungsvoller Abschluss geworden. Und dann passt es auch wieder irgendwie. Zwei starke Frauen am Schluss. Das ist auch mal ein Bild. Alles echt gelungen und rund.

Also gehtst du nicht mehr weiter auf Kane und Rhyan ein. Gut, das ist kurz und schmerzlos. Vielleicht kommt ja irgendwann nochmal ein nächster Teil, in dem das passiert? Ist Kane jetzt nicht wieder traurig? Ich meine, wenn er zuvor schon so ausgetickt ist, weil sie ihm „für die Atlanter und für diesen Mann den Rücken gekehrt hat“, wird es ihm dann jetzt nicht wieder so gehen? Oder haben sie sich ausgesprochen? Wie dem auch sei, mir fehlt hier immer noch ein klein wenig was. Aber wer weiß, was du noch für zukünftige Story-Pläne hast^O~. Ansonsten verbleibe ich dabei, dass ich mich allerbestens unterhalten gefühlt habe! Vielen Dank! Und sorry, dass ich dafür so lange gebraucht habe… So ist das, wenn man selber auch schreibt und zeichnet und arbeitet… Oder kommst du öfter dazu, auch mal was von anderen zu lesen? Bin sicher, du kennst das Problem, oder?
Immer weiter so! Du hast solche unglaublichen Fortschritte gemacht, Nighty!
Nyo, ich fand’s klasse und demnächst werde ich mich dann mal Mally und Sculder zuwenden! *haaaaaaaach* *rumfreu*

Bis denne!
Deine Sado-Mado-sis


Von:  MorgainePendragon
2011-11-10T17:58:35+00:00 10.11.2011 18:58
???
Aha…
Ooookay… Ich bin noch dabei zu verarbeiten, genau wie Rhyan, aber… Der allererste Eindruck der sich mir sofort aufdrängte beim Lesen war dieser: Ging das nicht etwas ZU schnell mit seiner plötzlichen Veränderung? Dafür, dass Kanes Abstieg in seelische Abgründe so lange gedauert hat und stufenweise vonstatten ging, kam dieser Sinneswandel zum Guten doch sehr plötzlich. Oder nein, falsch ausgedrückt… (Ich hab aber gerade keine bessere Beschreibung fürchte ich…) irgendetwas erscheint mir da nicht stimmig oder zu fehlen. Sicher erschüttert es ihn, dass er Rhyan so heftig angegriffen hat und im Begriff war seine ehemalige Freundin nun wirklich zu töten. Aber WENN das so war, dann hättest du das vielleicht noch mehr herausstellen sollen. Aber da du mit keiner Silbe auf Kanes GEFÜHLE in dem Moment eingehst, nur auf den Ausdruck in seinen Augen, ist das kaum nachvollziehbar für mich. Zu schnell ist vielleicht nur die sekundäre Empfindung. Mit ein, zwei Sätzen mehr über seine Gefühle und was ihn dazu veranlasst das Schwert zu senken hätte ich das als noch mehr passend empfunden.
So ist das zwar auch gut, keine Frage, denn ich WILL ja um Gottes Willen auch, dass der Hübsche überlebt.^^ Aber iwie hat mir da an der Stelle noch etwas gefehlt. Aber vielleicht bringst du da ja noch etwas im Epilog dazu.
Andere Frage: Hast du das vielleicht aus DEM Grund weggelassen (also, die Beschreibung seiner genauen Gefühle und Beweggründe in dem entscheidenden Moment), weil du eben strikt aus Rhyans Sicht geschrieben hast? DAS erklärt natürlich dann wieder alles. Sie kann schließlich nicht wissen, was er gerade denkt. Dann nehm ich alles zurück.^^

Aber WAS für ein Kampf!!! Ow man… Das hat man ja irgendwie schon erwartet. Klar. Aber das zu lesen... Du hast so unglaublich tolle Umschreibungen drauf! So tolle Sätze wie „Mit einem melodischen Klirren kam das Schwert zum Erliegen…“. Ich sag nur, WOW. Wo hast du nur so viele tolle, stilistische Mittel gelernt? Ich liebe das. Teilweise auch die Ausdrucksweise, wenn gesprochen wird unter den Ureinwohnern zumindest. Dieses teilweise altmodische Gerede. Passt total! Alles sehr authentisch - im Rahmen der Fantasy versteht sich^^.
Am deutlichsten ist mir bei diesem Kapi echt ein Bild in Erinnerung geblieben. Ein GANZ starkes Bild, finde ich. Der Moment, als sich Rhan erhebt. Absolut genial. Absolute Liebe. Die Worte, die Szene, einfach alles. So mächtig. So voll von gerechtem Zorn und wilder Entschlossenheit. Gott ich LIEBE die Beschreibung von ihr, wie du die Schwingen schilderst, wie du die Dunkelheit des Schwertes umschreibst… Sie Stimme des Schwertes. Wie aus einer anderen Dimension. Das ist so genial! Ich wünschte, ich hätte mehr Worte um meine Begeisterung dafür auszudrücken, echt mal. Ganz viel Liebe.

Ach ja, und für mich hat Sheppie einen neuen Namen. Er ist jetzt Kamikaze-Sheppard. So ist das doch, wenn man in vollem Bewusstsein, dass man verlieren wird, gegen jemanden antritt? Er ist so tapfer. Aber - wie hast du mal so schön geschrieben? – auch selten dämlich… *patt-patt* Wat man nicht alles aus Liebe tut…

Und RODNEYYY!!! *jubel* I have missed you!

Na denn, auf zum Epilog^^

Von:  MorgainePendragon
2011-11-10T17:25:37+00:00 10.11.2011 18:25
Nein, Kane, NEIN!!!
T___________T
Okay.
Meine letzte Hoffnung ist dahin. Das war‘s dann. So ein Mist. Ich bin total traurig irgendwie. Nicht wütend oder erschrocken. Nur traurig. Ich habe weder ihm noch Rhyan so etwas gewünscht. Ich kann nicht aufhören ihn zu mögen, verdammt. Ich will nicht aufhören zu glauben, dass da nicht doch noch ein FUNKEN des alten Kane in ihm ist. Vielleicht sieht man diesen Funken nochmal, wenn er denn im Sterben liegt, könnt ich mir vorstellen. Dann, wenn es zu spät ist. Aber wirklich überzeugt bin ich davon nicht mehr…
Grauenvoll. Echt mal. Aber in einem Krieg fließt nun mal Blut und das hier hast du echt eindrucksvoll verspritzen lassen. *O*
Alles andere wäre auch zu harmlos gewesen. Spätestens jetzt sind alle wach und machen sich auch keine Illusionen mehr, was Kane angeht. Ich bin echt erschüttert. Ich will ihn nicht verlieren. Genauso wenig wie Rhyan das immer wollte. Ist aber wohl nicht mehr aufzuhalten.
Das ist doch nicht mehr ihr Freund. Oder…?
*kopf schüttel*

Von:  MorgainePendragon
2011-11-10T17:07:21+00:00 10.11.2011 18:07
DAS ist allerdings interessant. Wo du ja gerade im letzten Kapi so ausführlich geschildert hast, wie antriebslos das Volk auf die Atlanter gewirkt hat und wie initiativlos. Und siehe da, sie HABEN Pläne. Ganz egal was die Atlanter anstreben, anscheinend haben die schon länger vor Kane auszuschalten. Haben nur auf den Vorwand gewartet, um sich zu sammeln. Interessant…
Nun ja, ANTRIEBSLOS bezog sich hier wahrscheinlich nur auf die Tatsache, dass sie eben nicht gewillt wahren Frieden mit Kane zu schließen…
Und NOCH interessanter: JETZT sind die Dorfbewohner, das Volk, die Bösen. Zumindest hat man ein den Eindruck als Leser. Das ist ein gekonnter Schachzug von dir, Nighty. Das macht das Ganze plötzlich ultraspannend finde ich. Wer als Freund galt, ist jetzt Feind. Find ich gut gelöst.

Und heißt es echt Rädelsführer? Kommt das Wort nicht von der Rede? Also REDELSführer? Ist nur ne Frage.

Aber jetzt: HEIIIIIß! (Das musste ja jetzt noch kommen…^^) Wow, Sheppard… Also ich muss schon sagen… *poch* Wie LECKER!!! Also den würd ich auch net von der Bettkante schubsen. *anzüglich grins* Und dieser olle VOYEUR!!! *fuchtel* Aber wie schön, dass er noch etwas stehengeblieben ist und wir AUCH ein wenig genießen konnten, was er da sah. Ich wiederhole mich gerne: Echt LECKER!^^ Und es prickelt auch sehr schön. Hach Rhyan, da kann ich dich schon verstehen. More Poppen für diese Welt! *lol*(Ach ja, wie ist das eigentlich in solchen Momenten mit Arokh und Rhyan? Ich meine, mit der mentalen Verbindung die sie ja immer haben? Kann man die einseitig kappen oder bekommt der Drache alles mit, was sie da fühlt in dieser… privaten Situation? Interessiert mich mal.)

Dann noch Arokh am Austicken… Ich bin schwerst beeindruckt. Aber irgendwie hab ich immer schonmal auf sowas gewartet. Wenn es um Drachen geht hat man doch auch immer ein wenig SOLCHE Bilder vor Augen, nicht wahr? Ich meine, das ist der Stoff aus dem auch Drachenlegenden sind. Und jetzt hast du Rhyans Freund wahrhaftig mal entfesselt. So richtig. Das ist faszinierend und erschreckend zugleich. Das ganze Dorf ausgelöscht… Wahnsinn. Ich bin gespannt, ob ihn Rhyan irgendwann nochmal darauf anspricht, wie sie ja vorhat. Aber ob sie dazu noch kommen wird…

Von:  MorgainePendragon
2011-11-10T16:42:50+00:00 10.11.2011 17:42
Awww… Sie leidet so… Selbst in ihrem Zorn erkennt man deutlich ihre Verzweiflung. Wie gut du dich darauf verstehst das zu beschreiben, ohne auch zunächst nur ein Wort zu erwähnen. Da ist nur Wut. Aber man merkt es von Anfang an, wie sie leidet. Dass ihr Zorn nur Ausdruck ihrer Hilflosigkeit und Enttäuschung ist. Es wurde auch mal Zeit, dass sie loslässt, dass sie sich gehen lässt und vor Allem auch mal trauert. Kein Mensch hält das lange durch, wenn mal solche Gefühle verdrängt. Bravo, Sheppard! Hat sich bezahlt gemacht ihr zu zeigen, dass nicht nur sie allein stur sein kann *lol*!

Der Anfang dieses Kapis ist zäh. Natürlich. Aber ohne diese Fakten, ohne diese klaren, staubtrockenen Worte und Beschreibungen, diese Art von Bericht einer Tagung, wäre es auch kaum möglich als Leser zu verstehen, dass ja beinahe das gesamte Volk nicht nur wegen Kanes neuester Untaten gegen ihn steht, sondern schlicht und einfach wegen seiner Vergangenheit. Dass sie ihm daher nicht einmal eine Chance geben. Ein Teufelskreis, denn das wiederum stachelt ja nur Kanes Wut an und er lässt sie wieder am Volk aus, das ihn wiederum NOCH mehr hasst und so weiter… Wo soll das enden?

Schockierend, nach wie vor, wie leicht es ihm fällt ein lebendes Geschöpf zu töten. Ist da noch irgendetwas vom alten Kane in ihm? Ich habe immer gehofft. Aber so langsam bröckelt mein Optimismus gemeinsam mit dem von Rhyan dahin… Ach mench…

Von:  MorgainePendragon
2011-02-07T17:13:45+00:00 07.02.2011 18:13
Und auch hier stört es mich wieder ein wenig, wie du Arokh so am Rande wieder zur Gruppe zurückführst, nach all dem was passiert ist und vor allem nach dem letzten Kampf, den der Drache zurückbleibend für Rhyan zu Ende geführt hat. Oder kommst du darauf noch zu sprechen, was dann geschah? Oder haben sie vielleicht schon gedanklich darüber gesprochen, nur wir als Leser wissen nichts davon? Also wenn ich Rhyan wäre würde ich zumindest fragen, wie Arokh entkommen ist oder wie er Kane Einhalt gebieten konnte. Aber das ist ja nur meine persönliche Meinung.
Sheppards Spruch mit den Kindern und den Sirenen ist zum Schießen^^. Kann ich mir direkt vorstellen. Allerdings würde er einer kleinen Mini-Rhyan bestimmt auch nicht abgeneigt sein, wenn es denn je zu sowas kommen sollte… *sinnier*
Wär ein interessantes Kind…
Omg… was denk ich denn da? Naja, war nur so ein Gedankenspiel…^^
Hier bin ich ja beinahe froh, dass du die Diplomatie nur am Rande erwähnst. Hätte den Fluss der Geschichte auch extrem verlangsamt, wenn du näher darauf eingegangen wärst.^^
Und Kane… *seufz* Also, ich werd nicht schlau aus diesem Kerl, oder sagen wir mal, ich kann sogar ALLES was er denkt irgendwo nachvollziehen – so im Einzelnen. Aber der fühlt ja alles GLEICHZEITIG. Hass, Misstrauen und Zuneigung zu Rhyan… Dass der nicht den Verstand verliert ist auch schon alles. Wobei, vielleicht HAT er ihn ja schon verloren.
Ich mag den Moment, wenn du nochmal auf seine und Rhyans gemeinsame Vergangenheit eingehst, dass immerhin er es war, der sie damals rettete und dass du an das Band zwischen ihnen erinnerst, das man beim Lesen dieser Fortsetzung beinahe wirklich kaum mehr spüren kann. Dadurch wird es tiefer und bekommt noch mehr Sinn. Und ich kann ihn auch hier verstehen, in seiner Angst zurückgelassen zu werden und allein zurückzubleiben indem er Rhyan an Sheppard und die anderen verliert… Das ist etwas… Nun ja, ich finde du hast das sehr überzeugend beschrieben. Denn so und nicht anders würde wohl auch nicht nur er in einer ähnlichen Situation fühlen. Natürlich ist das alles überspitzt und übertrieben bei ihm. Aber nachvollziehbar.
Was NICHT nachvollziehbar ist und wieder voll ins Bild des Berserkers passt, ist wie er Sheppard dann quält… AU! Das ist echt fies… Also, man gut dass die Wunden verschwunden sind, denn wenn Rhyan DAS gesehen hätte, hätt sie wohl aller Freundschaft Bande vergessen und wäre auf Kane losgegangen. Ganz sicher.

Heißt es wirklich er „striff“ sich seine Hose über? Oder er „streifte“? Kam mir so komisch vor…

Oh und ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass DU zum Beispiel die Verwandlung von Anakin Skywalker zu Darth Vader ungleich BESSER hinbekommen hättest als George Lucas. Auf JEDEN Fall… DIR hätte man das sogar abgenommen…^^

Von:  MorgainePendragon
2011-02-07T17:12:45+00:00 07.02.2011 18:12
RONOOOOOOOON!!!! Gomene, aber das war mein erster, überschwänglicher Gedanke, als der Sateder knurrend Kane entgegentreten wollte. ^___^ Hach, ich LIEBE ihn! Wie konnte ich das auch nur einen Moment lang außer Acht lassen. Nun ja, vielleicht weil der Sheppi… Sheppard in deiner Story vollkommen nachvollziebarer Weise den Hauptpart einnimmt… Logisch.^^ Aber HACH wie ich mich freue, auch nur einen SATZ über ihn zu lesen.^^
Und dann dieses Blickduell zwischen dem Colonel und Kane… *bibber* Man kann die Spannung förmlich GREIFEN, die du da mit Worten heraufbeschwörst. Also ich hätt jetzt fast ALLES erwartet – sogar dass sie schon hier aufeinander losgehen.
Aber ich MUSS hier mal wieder mein absolutes Erstaunen ausdrücken, wie gewandt du in der Diplomatie bist, Nighty… Wow… Wie schafst du es, so verwinkelte und… POLITISCHE Sätze zu schreiben? So dass sie auch einen Sinn ergeben und in Teylas Worten sogar absolut überzeugend klingen? Für einen Moment dachte ich, ich wär bei Tom Clancy oder so gelandet, denn das war absolut brilliant erklärt. Ich weiß nicht, wie du das machst. Aber es zieht. Und selbst Kane wartet ja nun erstmal ab. Erstaunlich. Hätte ich nicht gedacht. Aber, wie ich im nächsten Kapi ja schon gelesen hab, er BLEIBT ja auch misstrauisch. Hätt mich auch gewundert.

Von:  MorgainePendragon
2011-01-19T10:47:23+00:00 19.01.2011 11:47
AHAAAAAAAAAAAAA, da war ja ihr angemessen schlechtes Gewissen, dass sie nicht mehr an Arokh gedacht hatte! Immerhin.
Aber ich glaube, dass sie es hätte spüren müssen, wenn dem Drachen wirklich etwas zugestoßen und das Band zerrissen wäre. Oder? Sie sind doch wirklich sehr eng miteinander verbunden.
Außerdem KANN Arokh nichts passiert sein. Basta.
^^

Es heißt aber glaube ich "Loyalität gegenüber DIESEM Mann", nicht "gegenüber dieses Mannes". Und an Stelle des Wortes "eh" (z.B., das klappt ja eh nicht...) würde ich "ohnehin" schreiben. Das klingt etwas reifer.^^

Und WIE ich mir das gedacht hab: Es WIRD besser mit meinem befremdlichen Gefühl von vorher. Es ist wieder wie bei deiner letzten Geschichte. Liegt natürlich auch an den wunderbaren, freundlichen Gestalten, die da wieder aufgetaucht sind und die sie so warm willkommen heißen. I love it^^.
"MyLady...." Hoioi! Der Sheppard zieht wieder alle Register! *lach* Etwas arg übertrieben^^.

Nun ja, ich stelle es mir unglaublich schwer vor ein Volk, dass sich einen Feind (und nicht von ungefähr, sondern aus gutem Grund) auserkoren hat vom Gegenteil zu überzeugen OHNE Waffeneinsatz. Dasselbe und ungemein mehr gilt für Kane. Ich weiß nicht, aber wie er zuletzt war ist er denke ich kaum offen für GESPRÄCHE. Ich bin mal gespannt, wie sie das hinbekommen wollen.

Und kleiner Nachsatz, der bei mir echt sein muss und von Herzen kommt:

*freu*
Hach,
CARSOOOOON!!!! *seufz*

Von:  MorgainePendragon
2011-01-19T10:08:42+00:00 19.01.2011 11:08
Tja, also JETZT hab ich ja gerade echt mal Zeit und kann nix anderes tun als rumzusitzen, da ist es doch schön, dass man noch was Nettes zu lesen hat.^^

Gut, also, als erstes: Rhyan hat Bedenken Kane und auch Leid zurückzulassen. Und was ist mit Arokh??? Von dem trennt sie sich schließlich auch! *armer drache* *pat-pat*

Dann: Also ein ganz klein wenig kann ich Jenny jetzt verstehen. Hier ist es... krasser, heftiger... was auch immer, als in deiner anderen Geschichte, in welcher du Rhyan nach Atlantis schickst. Der GEGENSATZ ist hier sehr stark. Da man die Revenge-Story noch in so guter Erinnerung hat - zumindest ich und in dem Sinne, dass ich sie bislang eine der besten finde, die du überhaupt geschrieben hast (und dabei hab ich deine überarbeitete Version noch nicht einmal gelesen...), dann ist ist die Tatsache, dass hier plötzlich mitten im Erzählfluss ein Sternentor auftaucht mit all seiner Technik etwas... merkwürdig.
Die Story KÖNNTE auch für sich selbst stehen, keine Frage. Doch dass du natürlich geliebte Charas wieder auftauchen lassen möchtest ist nur allzu verständlich und auch nur auf dieser Weise möglich. Auch klar.
Aber ich muss der Jenny mal ein wenig beipflichten. Irgendwie ist das noch etwas fremd inmitten dieser Geschichte. Ich meine, das war doch so, dass sie das auch so ähnlich empfand, oder?

Ich weiß einfach nicht, wie ich das anders ausdrücken soll. Und etwas merkwürdig finde ich mein eigenes Empfinden gerade auch, denn umgekehrt hat es ja doch funktioniert! Rhyan und Arokh in Atlantis, da hab ich mich nicht so befremdlich gefühlt. Merkwürdig.
Nun ja, egal, das ist ja nur mein eigenes Empfinden und vielleicht ändert sich das ja auch jetzt wieder, wenn sie erstmal angekommen ist. Ich denke schon, dass mich dann wieder dasselbe Gefühl überkommt wie bei deiner letzten Story.

Noch was zum Inhalt an sich und zur... Form. Ich liebe es, wie du mit Worten Atmosphären erschaffst, seien sie nun gruselig oder spannend. Diese Beschreibung des nebelverhangenen Sumpflandes, dass sie vom Baum aus erblickt oder die Hallen, in denen sie das Tor findet. Ich kann den Lichteinfall beinahe SEHEN - obwohl der ja ziemlich spärlich sein dürfte in der Nacht. Wenn ich mich nicht täusche, dann hast du ja von doch recht hellem Licht gesprochen. Wo kommt das her? Ich meine, BEVOR das Gate erwacht? (Kann mich auch täuschen.)

Aber ich mag den Schauder, der einen bei deinen Beschreibungen ergreift. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Stelle, wo du von den flüsternden Stimmen und den Schritten erzählst, die von überall zugleich herzukommen scheinen, wie die Stimmen verlorener Seelen oder so. DAS fand ich ja mal genial. *erschauer*
Einfach nur spitze. Ich les gern weiter! *hibbel*
Von:  MorgainePendragon
2010-12-16T14:04:21+00:00 16.12.2010 15:04
Da ich dieses Kapi auch wieder in deiner gedruckten Ausgabe geschmökert habe, nun hier gleich auch der Kommie dazu hinterher.^^

Also, ich kann mich täuschen, aber ich meine Arokh hat, als das Getöse im letzten Kapi losbrach und Rhyan und der Drache bei ihrem Streitgesppräch unterbrochen wurden, doch einen Kampfschrei oder sowas ausgestoßen. Seltsam, dass er dann erst "den beleidigten" spielt in diesem Kapi und erst zum Ende hin auftaucht, oder? er wirkte doch so... kampfentschlossen.^^ Aber DASS er dann noch auftaucht hat mich natürlich wieder versöhnlich gestimmt. Das wäre ja auch noch schöner. Die arme Rhyan... So völlig hin und her gerissen.

Kane sagte in diesem oder im letzten Kapi ja sowas wie er hätte keine andere Wahl, als gegen die Einwohner zu kämpfen. Und für einen Moment konnte ich seinen Stnadpunkt sogar wieder verstehen. Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz: Kane war böse und die Menschen haben Legenden über ihn verbreitet und jetzt, wo sie gegen ihn aufstehen, wehrt er sich (aus seiner Sicht) und schürt damit nur wieder NEUE Legenden, die ihn in Ungnade fallen lassen. Also ihm bleibt eigentlich nur stillzuhalten und zu sterben oder wegzulaufen. Und BEIDES würde er niemals tun, das wisen wir ja.
Doch die Art WIE er das ganze um- und durchsetzt ist durch und durch grausam und hat nichts mehr mit Verteidigung zu tun... Ganz klar.
Rhyan ist ein wunderbares Wesen, dass sie trotz allem und unter Einsatz ihres Lebens bis zuletzt noch um den Freund kämpft. Fast schon rührend. Furchtbar, dass er sie am Ende so enttäuscht... Uns alle... *schnief* *kane durchs rote haar flausch* *duck*

Gott wie grausam, ey. Hilflose Dorfbewohner. Frauen... Menno... Das geht GAR nicht. *kane am roten haar zieh* *wieder duck* Da muss, nein ich bin mir sicher, da WIRD noch was passieren.
Ich bleibe gespannt.^^






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