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Ti odio.

Xanxus X Reader
von

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Akt I.

Du bist dir sicher, dass du noch nie etwas so Dummes getan hast. Auf der ganzen Welt gibt es überhaupt nichts Dümmeres als das. Was auch immer die Menschheit in ihrer ewigen, dummen Geschichte getan hat, es war nicht so dumm wie das hier.

Und dennoch muss es sein. Dumm mag vielleicht ein lustiger, umgangssprachlicher Begriff sein, aber eigentlich stehst du vor einer verdammt ernsten Sache. Vor einer verdammt ernsten Sache, die du verdammt nochmal hinter dich bringen musst, weil du sonst verdammt nochmal nie wieder verdammt glücklich werden wirst.

Allerdings hegst du den Verdacht, dass du auch nach der Sache nicht glücklich werden wirst. Deshalb ist es ja so dumm.

Aber einen Versuch ist es wert, einen Versuch ist es immer wert, und eigentlich bist du ja eine optimistische Person. Optimistisch und emanzipiert.

Wärst du nicht beides, hättest du auf die Dauer wohl nicht in der Varia überlebt. Wenn man dort als Frau klarkommen will, muss man seinen Mann stehen. Es klingt komplizierter, als es ist: Man muss einfach nur selbstsicher sein, mit ihnen fluchen und ihnen ab und zu androhen, sie zu töten, so, wie man das innerhalb dieser Gruppierung eben macht – und du musst optimistisch genug sein, um daran zu glauben, dass sie dich irgendwann respektieren werden.

Wahrscheinlich haben sie das mittlerweile sogar getan, aber eben nur, weil du die Freundin ihres Bosses bist. Nicht etwa, weil du selbst eine erfolgreiche Größe innerhalb der Mafiaszene bist, nein, das ist völlig egal, sobald du die Varia-Residenz betrittst, denn selbst du und deine Famiglia könnt nie und nimmer so gut sein wie sie. Und das lassen sie dich spüren.

Aber du schweifst ab. Es geht nicht um sie. Sie sind in Ordnung, sie sind Auftragskiller und Männer, daran hast du dich gewöhnt. Es geht um ihren Boss.

Ja, du und Xanxus, ihr seid zusammen, seit einer Weile schon. Ihr habt euch vor Jahren auf einer Mission kennengelernt, aber du gehst davon aus, dass er das bereits vergessen hat.

Und damit nähern wir uns deinem Problem. Es hat lang gedauert, bis ihr wirklich zueinander gefunden habt, bis ihr beide fähig dazu wart, dem anderen vorzugrummeln, was ihr fühlt. Es war nicht romantisch, nein. Ihr seid euch danach nicht in die Arme gefallen und ihr habt euch nicht geküsst. Er hat die Hände in die Hosentaschen geschoben und mit seinen warnend roten Augen zu dir hinabgesehen, mit einem Blick, als hättest du ihm etwas furchtbar Schlimmes angetan. Und du hast die Arme verschränkt und zu ihm hochgesehen, mit einem Blick, als habe er euch beiden großen Mist eingebrockt.

Und so eine Beziehung hat keine Zukunft. Keine Beziehung mit Xanxus hat Zukunft. Das wusstest du von Anfang an, aber es war so schwer, zu widerstehen. Der Mann ist schlichtweg ein Mysterium und wird es immer bleiben, und Mysterien sind manchmal verflucht anziehend. Du wolltest wissen, wie weit er gehen kann, wie viel er dir sagen kann, ob er dich jemals küssen wird, ob er dich manchmal umarmen und nach deinem Tag fragen wird.

Letzteres hat er nie getan. Aber ihr habt miteinander geredet. Nie wirklich über Triviales, oft über Geschäfte, selten über Gefühle. Wenn er sehr betrunken war, hat er dir manchmal gesagt, dass er dich liebt. Umarmt und geküsst habt ihr euch, wenn ihr unter euch wart.

Es war durch und durch eine spezielle Beziehung. Ab und zu hat er dich geschlagen. Aber dabei ist es nicht geblieben, denn du hast zurückgeschlagen. Wie gesagt, du bist emanzipiert. Du lässt dich nicht einfach so von deinem Freund vermöbeln, wenn er meinte, handgreiflich werden zu müssen, dann mutierte das meistens zu einer Prügelei. Du warst ihm trotzdem meist unterlegen, seine immense Kraft ist einfach nicht wegzureden, aber um das Ergebnis ging es dann gar nicht mehr. Es ging dann nur noch darum, dass du dich wehrtest, dass du dich wehren konntest, dass er nicht immer der Boss war.

Eine spezielle Beziehung. Nachdem ihr euch fertig geprügelt und ein wenig verarztet habt, seid ihr meistens im Bett gelandet. Und was ihr da getrieben habt, könnte man eigentlich fast schon wieder als Prügelei bezeichnen.

Es war aufregend, keine Frage. Eine spezielle, aufregende Beziehung. Aber alles, was aufregend ist, ist auf die Dauer auch ermüdend.

Es war, wie aus einem Traum zu erwachen, in dem man seltsame Dinge getan hat. Du bist irgendwann aus dem Bett aufgestanden und mit O-Beinen ins Bad gewankt, hast dich aufs Waschbecken gestützt und dein Spiegelbild angestarrt. Dein blaues Auge war schon fast wieder weg, seine Beule in Stirnnähe hingegen noch deutlich spürbar. Dich freute das, ihn regte es auf. Deine Haare waren verwuschelt, dein Gesicht blass und fahl, an deinem Hals war ein gigantischer Knutschfleck, wobei du diese Bezeichnung sehr euphemistisch findest, seit du mit Xanxus zusammen bist. Bei ihm war es nicht wie knutschen, eher so, als wolle er dich fressen. Nicht essen. Fressen.

Jedenfalls standest du an diesem Morgen vor dem Spiegel und hast dich gefragt, was um Himmels Willen du da tust. Es schien nicht mehr richtig. Es schien nicht mehr aufregend, nicht mehr speziell. Nur noch falsch und dumm. Du wolltest keinen Freund mehr, mit dem du dich schlugst, selbst, wenn er nicht der typische Saufen-und-Prügeln-Freund war, weil du ja immerhin zurückprügeltest, es war nicht richtig. Und du wolltest etwas Richtiges, du wolltest einen richtigen Freund.

Die Erkenntnis weitete deine müden Augen und du warfst langsam einen Blick über die Schulter zu Xanxus, der noch immer schlief, als fürchtetest du, dass er deine Gedanken gehört hatte.

Heute Nacht hast du nicht bei ihm geschlafen, sondern bei dir. Es fühlte sich unheimlich gut an, mal wieder bei deiner eigenen Famiglia zu sein, sich nicht mit Psychopathen zu umgeben und keine fliegenden Whiskeygläser aus der Luft zu pflücken, nur um sie wieder zurück zu ihrem Ursprung zu werfen. Und dann bist du wieder aufgestanden und wieder vor den Spiegel getreten. Und hast den Entschluss gefasst. Heute muss es sein.

Du hast Angst. Große Angst. Denn du hast keine Ahnung, wie er reagieren wird. Wenn du ihn einschätzen kannst, ist alles halb so wild. Wenn du weißt, dass er austicken und auf dich losgehen wird, ist das in Ordnung, weil du dich vorbereiten und verteidigen kannst. Aber du weißt nicht, ob er das tun wird. Denn du weißt etwas Anderes: Er hat dich geliebt. Ob er es noch immer tut, da bist du dir nicht sicher. Aber irgendwann hat er es getan. Und es ist gut möglich, dass das sein Verhalten umkrempelt.

Tief und seufzend atmest du durch, starrst die Tür an. Es muss sein. Du kannst so nicht weitermachen. Du erträgst diese Beziehung nicht mehr.

Es muss sein.

Du hebst die rechte Hand und klopfst mit den Fingerknöcheln gegen das schwere Holz. »Xanxus?« Deine Stimme zittert nicht, darüber bist du heilfroh. »Ich bin’s. Ich muss mit dir reden.«

Er gibt einen undefinierbaren Laut von sich, den du über die Jahre als »Komm doch bitte rein, Liebling« identifizieren konntest. Für einen Moment schließt du die Augen. Jetzt oder nie. Du drückst die Türklinke herunter und trittst ein.
 

Es dauert nicht lang. Du versuchst, ihm schonend zu erklären, dass eine Beziehung wie eure nicht gesund ist und du sie nicht mehr aushältst, und schließt mit dem einen, bedeutungsschwangeren Satz.

Xanxus sitzt zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen in seinem Sessel und sieht dich an. Sonst nichts. Seit du den Raum betreten hast, hat sich nichts in seiner Mimik verändert. Seine Augen ruhen so auf dir, wie sie immer auf dir ruhen. Etwas mürrisch, nicht ganz offen, vielleicht sogar ein wenig gelangweilt.

So steht ihr euch gegenüber und keiner rührt sich. Er starrt dich an, du starrst zurück. Er sitzt, du stehst. Niemand zittert oder schwitzt, niemand sagt ein Wort. Dein Herz schlägt dir bis zum Hals, aber das lässt du dir nicht anmerken. Du bist Profi.

Und dann bewegt er sich. Nur ganz wenig. Ganz kurz. Es dauert höchstens eine Sekunde. Eine Sekunde, die eure Beziehung beendet.

Er nickt.

Das ist alles. Du hast ihm gesagt, dass du Schluss machst, dass du mit Xanxus, dem Boss der gefürchteten Varia Schluss machst, und er nickt.

Immerhin greift er mich nicht an, denkst du dir, und drehst dich der Tür zu. »Ich bin bei meinen Leuten«, sagst du, ohne ihn anzusehen. »Hab nichts hiergelassen. Oh, und ich hab den Jungs nicht Bescheid gesagt, aber ich nehme an, es interessiert sie sowieso nicht.«

Er antwortet nicht. Diesmal hast du damit gerechnet. Du verlässt sein Büro und schließt die Tür hinter dir, dann gehst du ohne Umschweife die Treppe hinab, durchquerst die Eingangshalle und verlässt die Varia-Residenz.

Du willst froh sein. Endlich hast du diese zerstörerische Beziehung beendet, endlich kannst du dich wieder auf deine Familie konzentrieren und musst dich nur noch mit denen schlagen, die deinen Geschäften schaden, und das Ganze hat dir noch nicht einmal eine weitere Prügelei eingebrockt. Man könnte fast sagen, ihr seid friedlich auseinandergegangen.

Aber du bist nicht froh. Du kannst nicht. Natürlich nicht. Natürlich musst du dir die unweigerliche, furchtbar nervige Frage stellen.

Hast du ihm denn so wenig bedeutet?

Du hast ja nicht erwartet, dass er in Tränen ausbricht, nein, das wäre nun wirklich sehr befremdlich gewesen. Aber er hat überhaupt nicht reagiert. Er hat es abgenickt. Wie einen seiner Aufträge. Ich liebe dich nicht mehr, ich kann dich nicht mehr lieben, und deshalb werde ich dich verlassen. – Gut. Dieses Nicken bedeutete Gut. Gut, dass du gehst. Gut, dass wir uns trennen.

Dabei war es nicht gut. Nicht vorrangig. Es war traurig.

Jedenfalls denkst du dir das, während du dich durch den orangen, italienischen Sonnenuntergang auf den Weg zu deinem Wohnsitz machst und ein paar einsame, zögerliche Tränen verlierst.

Akt II.

Es ist schwer zu sagen, ob die Varia in diesen Tagen mehr Rekruten oder mehr Alkohol loswird. Der Whiskey-Verschleiß ist gigantisch und jeder, der sich in die Nähe des Bosses wagt, ist des Todes. Selbst gewisse fünf Männer an der Spitze der Gruppe mussten schon diverse Angriffe ertragen.

Wieder tastet Squalo über die kleine Beule an seinem Hinterkopf. Vor zwei Tagen hat er Xanxus wohl ein bisschen zu lang angesehen, wenig später barst eine leere Flasche an seinem Schädel. Er hat lang gebraucht, um die letzten Scherben aus seiner Kopfhaut zu ziehen und die Blutung zu stoppen.

Ärgerlich.

Er stochert gerade mit dem Brotmesser im Holz der Tischplatte herum, als Belphegor laut gähnend in den Speisesaal spaziert. Niemand grüßt. Stattdessen ertönt von draußen lautes Knallen – wieder mal. Die Gruppe zuckt flüchtig zusammen, reagiert sonst aber nicht. Man frühstückt schweigend und toleriert einander.

Aus dem Garten kommt erneuter Lärm, gefolgt von hohem Gekreische und tiefen, italienischen Flüchen.

Belphegor legt den Kopf schief. »Was’n da draußen los?«, nuschelt er mit vollem Mund, sodass Squalo tiefe Einblicke in den Zustand seines Brötchens gewinnt.

Er knurrt leise und zuckt mit den Schultern. »In letzter Zeit steht er ständig früh auf und knallt draußen Vögel ab…«

»Der Boss?«

»VOI! Natürlich der Boss!«

»Brüll nicht so, der Prinz ist müde…« Langsam reißt er ein weiteres Stück von seinem trockenen Brötchen ab und schiebt es sich in den Mund, nur um dann wieder ohne zu schlucken weiterzusprechen: »Und was hat er für’n Problem?«

Die Zeitung ihm gegenüber wird mit lautem Rascheln auf den Tisch gedonnert, die schwarzen Gläser von Lussurias Sonnenbrille, die er aus irgendwelchen Gründen sogar hier trägt, blicken ihn gemeinsam mit einem verstimmt verzogenen Mund vorwurfsvoll an. »Ihr Holzklötze habt es also wirklich nicht bemerkt, ja?«

Squalo und Bel werfen sich einen ratlosen Blick zu und zucken mit den Schultern. »Was?«, fragt letzterer.

Mit einem Seufzen schüttelt Lussuria den Kopf. »Seine niedliche kleine Freundin ist weg«, erklärt er. »Schon seit fast drei Wochen.«

»Na und…«, setzt Squalo an, doch Lussuria war noch nicht fertig.

»Hat einfach ihre Sachen gepackt und ihm den Laufpass gegeben.«

Darauf ist es still am Esstisch. Levi sieht langsam von seinem Käsebrötchen auf. »Sie hat ihn verlassen?«

»Shishishi… Scheint nicht sonderlich an ihrem Leben zu hängen.«

Squalo schnaubt spöttisch und zieht einen Mundwinkel hoch. »Das ist ihm noch nie passiert, oder? Ärmlich, wie er jetzt austickt…«

»Alle anderen hatten wohl zu viel Angst, ihn zu verlassen«, sagt Lussuria, noch immer mit diesem theatralischen Unterton. Er hat dich gemocht.

»Zurecht«, brummt Levi.

»Na ja, das erklärt den Krach in letzter Zeit«, sagt Belphegor leichthin, diesmal sogar ohne sein halbes Frühstück im Mund. »Ich halt mich lieber von ihm fern. Und einer von euch sollte dafür sorgen, dass wir immer genug Alkohol im Haus haben.«

»VOI! Einer von uns? Du hast hier nicht das Sagen, und du wirst dich nicht einfach auf deinen faulen Arsch setzen und…«

Lussuria hat gerade jeweils ein knallhartes Brötchen an die Köpfe der beiden geworfen. »Vertragt euch, Herzchen.« Und sein Ton duldet keine Widerrede. »Wir mobilisieren einfach die übrig gebliebenen Rekruten dafür.«
 

Mit einem lauten Krachen fliegt die Eingangstür auf. Er stapft mit schweren, starken Schritten hinein und wirft das völlig leergeschossene Gewehr achtlos zur Seite, wo es scheppernd in die nächste Ecke rutscht. Eigentlich ist er auf direktem Weg zur Treppe in Richtung Büro, und er stolziert durch die Eingangshalle, als hätte er Scheuklappen auf, weil er wirklich – wirklich – nichts und niemanden sehen will.

Aber natürlich wird ihm nicht einmal das gegönnt. Nein, natürlich muss ihm der hässliche gepiercte Vollidiot in den Weg springen. »Boss!«, fängt er an, weiter kommt er aber nicht.

»Non mi rompere le palle, coglione [Geh mir nicht auf den Sack, Arschloch]«, raunt Xanxus. Er sieht ihn nicht einmal an, die raue Tiefe seiner Stimme reicht, um Levi sofort wieder aus seinem Blickfeld verschwinden zu lassen.

Umso aufgebrachter (das Schießen auf die Vögel beruhigt ihn selten, aber irgendwie kann er trotzdem nicht damit aufhören) stampft er die Treppe hinauf, während er, wie so oft in den letzten Tagen, Flüche vor sich hinmurmelt. »Donnaccia… Porca puttana… [Schlampe… Verdammte Scheiße…]«

Das ist selbstverständlich nicht an Levi gerichtet. Seit diesem Morgen weiß jeder im Haus, wem es eigentlich gebührt.

Zum Glück für alle Beteiligten begegnet ihm auf dem restlichen Weg niemand mehr und als Xanxus endlich die Tür zu seinem Büro hinter sich schließen kann, lehnt er sich lang ausatmend dagegen.

Er hat ein Problem.

Fast augenblicklich löst er sich wieder vom schweren, dunklen Holz, um zu seinem Schreibtisch zu gehen; in einer blinden, fließenden Bewegung nimmt er sich auf dem Weg eine Flasche aus dem Wandschrank mit.

Eigentlich hat er viel wichtigere Dinge zu tun, denkt er sich, während er sich in seinen Sessel fallen lässt, die Füße auf die Tischplatte legt und etwas umständlich nach dem leeren Whiskeyglas angelt. Er ist Boss der verfluchten Varia. Er hat Geschäfte zu erledigen. Da draußen warten eine Menge Leute, die noch sterben wollen.

Und trotzdem kann er nicht aufhören, sich über diese Sache aufzuregen.

Diese Sache. Diese verdammte Sache.

Die Flüssigkeit rinnt kühl und brennend seine Kehle hinab. Er hofft, dass der Alkohol ihn beruhigen wird. Nein, er will es, er will es wirklich, er will sich beruhigen. Wenigstens ein bisschen, sodass er wieder auf seinem normalen »Wut-Level« ist. In seinem jetzigen Zustand kann er nicht arbeiten. In seinem jetzigen Zustand kann er nur Vögel erschießen und Rekruten den Hals umdrehen – wortwörtlich.

Und das ist erbärmlich. Das ist verflucht erbärmlich, es ist verschissen erbärmlich, es ist scheiße.

Dann ist er eben verlassen worden, schön, er hat sowieso nie viel Wert auf dich gelegt. Was warst du schon? Letztendlich nur irgendeine Göre, die ihm ständig widersprochen und ihn im schlimmsten Fall auch noch geschlagen hat – na ja, oder es zumindest versucht hat. Es ist ja nicht so, dass du jemals eine Chance gegen ihn gehabt hättest.

Du bist ihm doch sowieso nur auf die Nerven gegangen und hast ihn behindert. Das hatte er bisher bei jeder Beziehung bemerkt, den Punkt, an dem sie nur noch lästig geworden war und seine Geschäfte gestört hatte. Und an dem Punkt hatte er sie immer achtkantig rausgeworfen (wenn sie Glück gehabt hatte). Warum hat er diesen Punkt bei dir übersehen? Er ist ihm erst aufgefallen, als du ihm gesagt hast, dass du gehen willst.

Er hätte aufmerksamer sein müssen. Du warst ja nichts Besonderes – wer weiß, was ihn abgelenkt hat.

Auf jeden Fall ist es gut, dass du weg bist, es ist gut, dass er den Weg wieder frei hat, es ist gut, dass er sich nicht mehr mit dir rumschlagen muss. Warum in aller Welt fühlt er sich dann nicht gut?

Na gut, eigentlich liegt das auf der Hand. Weil du ihn verlassen hast. Weil das so nicht läuft. Xanxus wird nicht verlassen, Xanxus wirft raus oder bringt um.

Und dass es jetzt dieses eine Mal anders gelaufen ist, bestätigt ihn in seinem Weltbild. Sonst hat er damit kein Problem. Die Menschheit ist hoffnungslos verblödet, schwach und nervig, er ist allein, weil ihn niemand haben will (außer vielleicht Levi, aber den will er ja nicht), und das ist gut so.

Das ist gut so. Er hat sich nie daran gestört, dass er den Weg allein gegangen ist. Es war immer besser so gewesen, und das ist keine theatralische Ausrede eines einsamen Kindes, es ist die Wahrheit. Er wollte den Weg allein gehen. Also hat es ihn nie gestört, wenn er in der Überzeugung bestätigt wurde, dass das alles auf Gegenseitig beruht. Dass nicht nur er keine Gesellschaft will, sondern dass auch umgekehrt niemand ihn als Gesellschaft will. Warum hätte er damit auch ein Problem haben sollen? Es war immer egal.

Jetzt nicht mehr. Warum jetzt nicht mehr?

»Diese verfickte Schlampe«, brummt er und nimmt den letzten Schluck aus dem Glas.

Er hat keine Lust mehr, darüber nachzudenken. Zu einem vernünftigen Ergebnis wird er ja eh nicht kommen und am Ende wird es nur sinnlose Gefühlsduselei. Dafür hatte er noch nie viel übrig. Verstehen wird er es wohl nie. Will er auch gar nicht. Vielleicht tut der Alkohol endlich das, was er soll, denn ihm fällt jetzt ein, dass er wirklich Wichtigeres zu tun hat, als über dich nachzudenken.

Er hat ein Problem. Und es besteht Handlungsbedarf.

Das kann er nicht ganz abstreiten: Deine Abfuhr nagt an seinem Ego. Es stellt seine Macht in Frage, findet er. Und wenn jemand die Macht des Varia-Bosses in Frage stellt, bleibt nur noch eines übrig.

Rache.

Akt III.

Es ist jetzt zwei Monate her, dass du ihn verlassen hast. Fast auf den Tag genau. Du hast darauf geachtet, nicht an dem Tag zu kommen, nicht an dem Datum, an dem es wirklich zwei Monate gewesen wären. Nein, du bist zwei Tage zu früh. Absichtlich. Du glaubst nicht, dass Xanxus das aufgefallen wäre, du glaubst eher, dass er nie vor hatte, sich das Datum zu merken und durch gewisse bewusstseinsverändernde Flüssigkeiten schon längst vergessen hat, wie du überhaupt aussiehst oder mit Vornamen heißt. Aber für dich zählt es. Du hättest an diesem Tag nicht das Varia-Anwesen betreten können.

Du bist immer noch nicht darüber hinweg. Dabei hast du es dir viel einfacher ausgemalt. Die Tage vor der Trennung schienen noch so eindeutig. Er beleidigt dich, er schlägt dich, er ist ständig betrunken, du musst ihn verlassen. Fertig, aus.

Pustekuchen.

Und damit sind wir wieder beim Anfang: Es war aufregend. Es war etwas Besonderes. Speziell. Immerhin warst du die Frau, die der gefürchtete Xanxus in sein Schlafzimmer ließ.

Na ja, jetzt bist du die Frau, die dem gefürchteten Xanxus den Laufpass gegeben hat.

Innerhalb deiner Famiglia behandelt man dich mittlerweile wie ein rohes Ei. Wenn du nicht der verdammte Boss wärst, würden sie dich nicht mal allein aufs Klo gehen lassen. Sie waren alle froh, als du ihnen gesagt hast, dass du die Beziehung beendet hast, keine Frage. Die meisten von ihnen haben sich von Anfang an Sorgen gemacht. So ist Familie eben. Aber jetzt, wo du wirklich Schluss gemacht hast, haben sie auch Angst. Angst, dass er kommt und dir etwas antut. Angst, dass er aus dem Hinterhalt angreift.

Angst, dass es sie trifft.

Dummerweise ist diese Angst ganz und gar nicht unbegründet. Sie hat den gleichen Grund wie dein von Übelkeit und unheimlich schlechter Laune begleitetes Erscheinen vor der Varia-Residenz.

Es hat sie bereits getroffen.

Im vergangenen Monat sind deine Untergebenen gestorben wie die Fliegen. Erst waren es nur irgendwelche Neuankömmlinge, unbedeutende Mitarbeiter von der untersten Schicht, aber als von denen kaum noch welche da waren, waren die oberen Ränge dran. Profikiller. Spione. Ratgeber. Deine wirklich engen Freunde, deine geliebten Blutsverwandten, hast du sofort in Sicherheit gebracht. Bisher hat es niemanden getroffen, den du wirklich liebtest, du musstest um niemanden trauern, aber jemand hat deine Famiglia angegriffen. In deinem Metier bedeutet das Krieg.

Deine engste Beraterin hat darauf bestanden, an deiner Seite zu bleiben. Steif und fest. Bis letzte Woche. Letzte Woche ist die Leiche von einem deiner Spione im Garten aufgetaucht. Und jemand hat scheinbar eines seiner charakteristisch geschwungenen Wurfmesser darin vergessen.

Obwohl du Prince the Ripper eigentlich nicht zutraust, so etwas einfach zu vergessen. Wahrscheinlich hat er es absichtlich stecken lassen. Wahrscheinlich war das der Zeitpunkt, an dem du dir sicher sein solltest, wer dahinter steckt.

Dabei warst du das vorher schon. An diesem Tag hast du deine Freundin und Beraterin angebrüllt, so laut du konntest. Du weißt jetzt, wie sich Squalo nach einem langen Tag fühlen muss. Du hast sie angeschrien und gestikuliert und mit deiner Waffe vor ihrer Nase herumgefuchtelt, dass sie Italien gefälligst verlassen soll, wenn sie nicht will, dass du sie noch vor der Varia tötest.

Alles, was in Italien von deiner Famiglia übrig geblieben ist, sind also ein paar kleine Würmer, die durch viel Glück überlebt haben. Sie sorgen sich trotzdem um dich und du willst auch nicht, dass sie jetzt noch sterben, aber sie nutzen dir auch nichts. Du bist jetzt allein. Und so wie es aussieht, hast du die gesamte Varia gegen dich.

Wegen verletzten Männerstolzes.

Du schnaubst und stiefelst kopfschüttelnd den Pfad zur Eingangstür hinauf. Der Garten ist wie immer piekfein gepflegt und es duftet trügerisch nach Blumen, obwohl du dir sicher bist, dass du in der Einfahrt mindestens fünf tote Vögel gesehen hast. Du willst überhaupt nicht wissen, wo die wieder herkommen.

Vor der riesigen, schweren Holztür bleibst du stehen. Es ist wie vor zwei Monaten. Du hast Angst und dein Herz fühlt sich an, als wolle es dir wild schlagend geradewegs aus der Mundhöhle springen, aber du weißt, dass du es tun musst. Es geht nicht anders. Und vielleicht wird es danach besser.

Die rechte Hand ruht an deiner Waffe. Du hast nicht vor, jemanden anzugreifen, aber man kann ja nie wissen. Gerade bei diesen Leuten. Mit der linken klopfst du an, sie ist zur Faust geballt und eigentlich ist »klopfen« auch das falsche Wort, weil du dir sicher bist, dass man das Donnern im ganzen Haus hören kann.

Es dauert ein paar Sekunden, dann hörst du laute, energische Schritte. Die Tür wird geöffnet und dank deiner mangelnden Körpergröße siehst du dich lediglich einem schwarz gekleideten Oberkörper gegenüber.

Für einen Moment ist alles still. Für einen sehr kurzen Moment.

»VOOOOI! Was willst du denn hier?«

Du beißt die Zähne zusammen und atmest schnaubend aus. Die Mühe, ihm ins Gesicht zu sehen, machst du dir gar nicht. Stattdessen rammst du ihm den linken Unterarm in den Brustkorb und schiebst ihn damit kraftvoll zu Seite. Er ist so überrascht davon, dass das sogar klappt und du einfach an ihm vorbei in die Eingangshalle stapfen kannst.

»HEY –!«

»Halt die Schnauze, Squalo!«, fährst du ihn an. Wahrscheinlich nicht besonders klug. Eigentlich hattest du dir vorgenommen, ruhig zu bleiben, aber dieser edle Vorsatz ist mit dem ersten Zentimeter Bewegung der Tür verpufft.

Natürlich wirft er dir ein noch längeres, noch lauteres »VOI!« hinterher. Du hörst die Klinge ausfahren. »Was willst du?«

Aufgebracht stöhnst du auf und drehst dich schwungvoll um hundertachtzig Grad. Sein Gesicht ist mindestens genauso wutverzerrt wie deines, was dich irgendwo im Unterbewusstsein wundert, weil du ihm ja eigentlich noch nichts getan hast. Du weißt ja nicht, was für einen Stress eure Trennung der armen, armen Varia beschert hat.

»Dreimal darfst du raten!«, fauchst du. »Ich will euren lächerlichen Chef davon abhalten, den Rest meiner Familie auch noch kaltzumachen! Und wenn du noch weiter versuchst, mich aufzuhalten, dann schwöre ich dir, schiebe ich dir dein verfluchtes Schwert samt Arm so tief in den Arsch, dass du…«

Der letzte Teil deines Satzes geht unter, weil du selbst leiser wirst, als zu deiner Rechten dieses nervige, irre Kichern ertönt. »So funktionieren Ratespiele aber nicht«, meint Belphegor in seinem üblichen Singsang und grinst dich, in einem Türrahmen lehnend, an. »Du hast ja die Lösung schon verraten.«

Einen Moment lang überlegst du. Dich mit beiden anzulegen wäre ziemlich dumm. Gegen einen allein hättest du vielleicht eine klitzekleine Chance, weil du wütend bist und ihn nicht besiegen, sondern im günstigen Moment einfach abhauen und weiter in Richtung Büro stürmen würdest. Aber gegen Squalo und Belphegor anzutreten wäre reiner Selbstmord.

Da bleibt nur noch die Flucht nach vorn.

»Ach, leckt mich doch am Arsch«, sagst du und drehst dich wieder um. Die Treppe liegt direkt vor dir. Mit festen Schritten gehst du auf sie zu, stellst den Fuß auf die erste Stufe – und wirst nicht aufgehalten.

Argwöhnisch siehst du über die Schulter. Die beiden haben sich nicht bewegt. Bel lehnt noch immer im Türrahmen, aber er grinst nicht mehr, sondern lächelt nur noch schmal. Squalo steht noch immer mitten in der Eingangshalle, doch auch er sieht ruhiger aus. »Worauf wartest du?«, knurrt er.

»Geh«, sagt Belphegor. Das Amüsement in seiner Stimme ist nicht zu überhören. »Geh zu ihm und… Shishishi, und sprich mit ihm. Dann wird er dich erledigen. Erspart uns den Ärger. Also geh nur.«

Das ist der Moment, in dem dir das Herz in die Hose sinkt. Sie haben Recht, er wird mit größter Wahrscheinlichkeit versuchen, dich zu töten. Damit hast du schon von Anfang an gerechnet. Aber es so ausgesprochen zu hören, stärkt dein Selbstbewusstsein nicht unbedingt.

Du antwortest nichts darauf und drehst den Kopf zurück, steigst weiter die Stufen hoch. Die Treppe scheint dir plötzlich viel steiler.

Oben stehst du dem Gang gegenüber, an dessen Ende sein Büro liegt. Auch er wirkt länger als vorher und du fragst dich unwillkürlich, ob sie wohl in deiner Abwesenheit umgebaut haben.

Ha, ha. Sehr witzig.

Einer deiner Mundwinkel zuckt nervös, mehr kannst du nicht. Deine Füße bewegen sich stetig über den Boden und du glaubst, selbst wenn du ihnen jetzt befehlen würdest, wieder anzuhalten, würden sie es nicht tun. Es gibt kein Zurück mehr. Du würdest dich nur blamieren.

Du rufst dir ins Gedächtnis, was du dir gesagt hast, bevor du vor acht Wochen mit ihm gesprochen hast. Du bist optimistisch und emanzipiert. Du läufst nicht geradewegs in dein Verderben. Nein, das tust du nicht…

Dein ganzer Körper ist klamm, plötzlich ist der Gang doch zu kurz, denn du stehst schon vor der Tür. Du wunderst dich, dass deine Beine noch durchhalten. Scheinbar denken deine Muskeln anders als du, denn eigentlich würdest du am liebsten schreiend weglaufen und dich irgendwo zusammenkauern, doch du stehst völlig aufrecht und gerade da.

Tief und seufzend atmest du durch, starrst die Tür an. Es muss sein…

Du hebst die Hand um zu klopfen, wieder die linke, weil die rechte den Griff der Waffe mittlerweile fest umklammert. Aber es kommt nicht dazu.

»Ich weiß, dass du es bist. Komm rein.«

Du erstarrst. Dein linker Arm hängt noch lächerlich in der Luft, aber du kannst dich einfach nicht bewegen. Du kannst nicht einmal atmen.

»Ich werd dich kein zweites Mal bitten.«

Das saß. Und du versuchst, dir zu sagen, dass du dieses Zimmer ja auch betreten willst. Verdammt, du bist überhaupt nur deshalb hergekommen, weil du dieses Zimmer betreten willst. Dass er dich jetzt auch noch hereinbittet, macht keinen Unterschied.

Deine Gesichtszüge verhärten sich automatisch, es ist Zeit für die Fassade. Ein letztes Mal nickst du zu dir selbst, dann drückst du dir Türklinke herunter und trittst in Xanxus‘ Büro.
 

Der Raum stinkt nach Whiskey. Der Geruch von Alkohol hat sich in den Tapeten festgesetzt, in den Vorhängen, im Holz – in der Luft. Das war früher auch schon so, aber nicht so extrem. Dein erster Impuls ist, dir die Nase zuzuhalten und dich zu übergeben, aber du rührst dich natürlich nicht. Du stehst mit dem Rücken zur Tür und starrst in seine roten Augen, die dich über den Rand seiner Schuhe, wie immer auf der Tischplatte, hinweg fixieren.

»Wie edel von dir, deine Spitzenkräfte aus dem Land zu schicken«, sagt er leise. Nicht zum ersten Mal denkst du, dass es ein Wunder ist, dass die Frequenz seiner unwahrscheinlich tiefen Stimme überhaupt noch wahrnehmbar für das menschliche Ohr ist. »Dann bist du jetzt ganz allein…«

»Ein klein wenig Personal habt ihr noch übrig gelassen«, sagst du trocken.

Seine Mundwinkel zucken kaum merklich. »Die zählen nicht.«

Ein paar Sekunden lang sagt keiner von euch beiden etwas. Dir fällt auf, dass er dunkle Ringe unter den Augen hat, sehr dunkle, dunklere als sonst. Und du siehst, dass kein Whiskeyglas auf seinem Schreibtisch steht, kein volles und kein leeres. Stattdessen hat er eine noch halbvolle Flasche in der Hand. Du hast ihn noch nie aus der Flasche trinken sehen.

Du beschließt, es schnell auf den Punkt zu bringen. »Hör auf«, forderst du. Auch deine Stimme ist leise, aber neben der geplanten Drohung findest du mit etwas Frustration auch eine gute Portion Verletzlichkeit darin.

»Nein«, antwortet er.

Das ist typisch. Wenn es nach ihm ginge, wäre die Diskussion jetzt beendet. Aber das lässt du natürlich nicht auf dir sitzen. »Es ist lächerlich, Xanxus«, sagst du, und du bist dir der Lebensgefahr, in der du nun schwebst, durchaus bewusst. »Was du da tust, ist eine Kriegserklärung gegen meine Famiglia. Und das weißt du. Ich weiß, dass du es weißt. Du erklärst uns Krieg. Weil ich mit dir Schluss gemacht habe. Ein erwachsener Mensch würde nicht so handeln, es ist pathetisch, es ist unnötig. Ich habe einfach nur unsere Beziehung beendet und du tötest einen Haufen Leute. Und, seien wir doch mal ehrlich, es schien dich ja nicht groß gestört zu haben, als ich dir gesagt habe, dass ich gehe.«

Nichts in seinem Gesicht erinnert mehr an die kurze, sarkastische Bewegung seiner Mundwinkel. Er sieht dich an, als könne sein Blick dich schmerzhaft aufspießen, und für einen Moment hast du sogar Angst, dass er das tatsächlich schafft.

Langsam, sehr langsam bewegt er sich. Und es gefällt dir nicht, wie er sich bewegt. Es bedeutet nichts Gutes. Er nimmt die Füße vom Tisch und erhebt sich bedächtig aus seinem Sessel. Die durchsichtige Whiskeyflasche hat er noch immer in der Hand, während er auf dich zugeht.

Er wankt. Seine Schritte sind fast unerträglich langsam und es scheint pures Glück zu sein, dass er nicht umkippt, aber sobald du in sein Gesicht siehst, ist die Aura des Säufers verschwunden. Seine Augen sind absolut klar. Und sie starren dich an.

»Es hat mich gestört.« Seine Stimme ist kaum noch hörbar, trotzdem kommt es dir vor, als würde er dich anschreien. »Es hat mich verdammt gestört. Sonst hätte ich deine unfähige kleine Familie ja in Ruhe gelassen, nicht?«

Du verziehst das Gesicht. Das hätte wirklich nicht sein müssen. »Warum benimmst du dich nicht einfach wie ein normaler Kerl?«, fragst du, und du sprichst deutlich lauter als er. »Wenn es dich gestört hat, hättest du es mir sagen können. Ich stand hier in diesem Raum, ich stand dir gegenüber, ich bin nicht einfach so abgehauen. Ich hab dir die Chance gegeben, mit mir zu reden. Und selbst danach hattest du die Chance noch. Du hättest dich jederzeit melden können. Wir hätten darüber sprechen können, du hättest keinen meiner Leute umbringen müssen.«

Als er dich schweigend ansieht, fällt dir auf, wie sinnlos deine Aussage war. Du hast Xanxus gerade gesagt, er hätte mit dir reden können. Du hast Xanxus gerade gesagt, er hätte eine Chance gehabt, mit dir über seine Gefühle zu sprechen. Das ist nun wirklich das Absurdeste, das du hättest behaupten können.

»Mir ist leider erst ein bisschen später aufgefallen, wie sehr es mich stört«, sagt er dann. Kurz wandern seine Augen zur Flasche, dann holt er aus und wirft sie einfach weg. Klirrend kommt sie weiter hinten im Zimmer auf, der Whiskey läuft aus, du fährst ungewollt zusammen. Die jetzt freien Finger seiner Hand bewegen sich flüchtig, schließen sich dann zu einer lockeren Faust zusammen. Du wappnest dich. »Und ich laufe niemandem hinterher… Wenn du weg bist, bist du weg.«

»Ich kann aber nicht ganz weg sein, wenn du deine Psychopathen meine Familie abschlachten lässt«, presst du zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Du zwingst dich, hoch in diese roten Augen zu sehen, und nicht zu seiner Hand, die immer weiter auszuholen scheint. Das würde nur Schwäche und Angst zeigen.

»Du hättest damit rechnen müssen, dass ich mich räche«, sagt er. Er klingt heiser und fast etwas belustigt.

Erneut verziehst du das Gesicht. »Ja, hätte ich«, gibst du zu. Ein bitteres, gequältes Lächeln schleicht sich auf deine Lippen. »Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass das solche Ausmaße annimmt, nur weil ich dich deiner Männlichkeit beraubt hab.«

Und damit hast du seine Hemmschwelle überschritten. Er knurrt etwas Unverständliches, holt aus und die Rückseite seiner Rechten fliegt auf dich zu. Aber so schnell verliert man seine Reflexe nicht, wenn man einmal mit ihm zusammen war. Du wirbelst herum, machst eine 360°-Drehung zur Seite und weichst seinem Schlag so aus, deine Hände bekommen sein Handgelenk zu fassen und schleudern es wuchtig gegen die Wand.

Er stolpert. Seine Füße schlittern kurz unkoordiniert über den Boden, dann stützt er sich an der Tür ab, vor der du eben noch gestanden hast und fängt sich. Und dann dreht er den Kopf zu dir.

Ein eiskalter Schauer läuft deinen Rücken hinab. »Ich werd mich nicht von dir vermöbeln lassen«, sagst du fest.

»Nein… Hast du ja noch nie«, antwortet er. Langsam richtet er sich auf, macht einen Schritt auf dich zu – und plötzlich bewegt er sich viel zu schnell für einen Betrunkenen. Seine linke Faust rast auf dich zu und du weichst nach rechts aus, bevor dir auffällt, dass der Angriff viel zu offensichtlich war: eine Finte.

Er fängt dich in deiner Bewegung nach rechts auf – am Hals. Du spürst die Luft an dir vorbeiziehen, im nächsten Moment drückt er dich schmerzlich gegen die Wand. Seine Finger bohren sich in deinen Hals, du bist dir sicher, dass er mit nur dieser einen Hand deinen Kehlkopf zerquetschen könnte, wenn er wollte.

Halt suchend rutschen seine Füße über den Boden, erneut ergreifst du sein Handgelenk, beißt fest die Zähne zusammen. Du musst würgen, deine Luftzufuhr ist erheblich eingeschränkt. »Es geht … immer nur um … dein Ego«, presst du mühsam hervor.

Kurz zuckt er mit den Schultern und beugt sich näher zu dir. Du erwartest fast, durch seinen Atem selbst betrunken zu werden. »Mein Ego wird eben nicht gern verlassen.«

Du schnaubst und versuchst, ihn zu treten, aber er rammt seinen Ellenbogen gegen dein Schienbein und alles, was dir bleibt, ist ein scherzerfülltes Fiepen. Dieser selbstgefällige Wichser, der deine Worte einfach nur abgenickt hat… »Warum hast du dann nicht einfach Schluss gemacht, wenn dir so wenig an mir lag? Dann wär dein beschissenes Ego jetzt zufrieden.«

Für einen sehr, sehr kurzen Moment, wirkt es, als würden seine Gesichtszüge entgleisen. Du bereitest dich darauf vor, erwürgt zu werden, aber er beherrscht sich. Anstatt auszurasten, sieht er dich an, als seist du das größte Rätsel der Menschheit. »Warum hätte ich Schluss machen sollen?« Du versuchst es, du strengst dich wirklich an, aber irgendwie kannst du keinen Sarkasmus in seiner Stimme finden. »Ich wüsste keinen Grund dafür…«

Ungläubig starrst du ihn an, dein Verstand wehrt sich gegen den Kern dieser Aussage. Er hat auf die Trennung nichts gesagt. Er hat nur genickt, er war stumm, er hat überhaupt nicht darauf reagiert – bis auf die Tatsache, dass er drei Wochen später angefangen hat, deine Famiglia töten zu lassen.

Die Finger lösen sich von deinem Hals; du hustest. Xanxus stemmt die linke Hand neben deinem Kopf gegen die Wand, die rechte hängt locker neben seinem Körper. Die Faust ist jetzt verschwunden.

»Was meinst du?«, fragst du heiser. Du hast schon einen Verdacht. Einen seltsamen Verdacht.

Einen aufregenden, speziellen Verdacht.

»Ihr Weiber wollt doch immer, dass wir über unsere Gefühle sprechen.« Sein Gesicht kommt dir immer näher. Sein schwarzes Haar kitzelt deine Stirn. Sein Blick liegt ruhig auf dir, völlig ruhig. Er hat sich verändert.

Du bist dir sicher, dass er dein Herz hämmern hören kann.

Eure Nasenspitzen berühren sich fast. Gelähmt starrst du ihn an. »Ti odio«, raunt er voller Inbrunst. Dann küsst er dich und du machst keine Anstalten, ihn davon abzuhalten.
 


 

---
 

Ob ihr das ganze Theater ein paar Wochen später nochmal wiederholt, bleibt deine Entscheidung.



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Maedhros
2011-01-17T22:45:01+00:00 17.01.2011 23:45
Wirklich goldig.
Xanxus ist immer so... liebevoll.
Beeindruckend wie er das immer hinkriegt, jeder Gentleman könnte von ihm lernen und …argh. Okay. Das war jetzt ein bisschen übertrieben.
Egal.
Das Ende ist drollig, ein wenig unlogisch, aber drollig.
Aber Xanxus ist sowas von gar nicht OoC, soweit man das bei einer „romantischen“ FF halt schaffen kann. Nein, eigentlich denke ich, dass er, wenn er überhaupt irgendwann mal eine Beziehung haben/auf die Reihe kriegen sollte, dann so eine hätte. Ich glaub der braucht das einfach, dass ihm mal jemand die Meinung geigt und zurückschlägt. Aber da er im Manga ja keine Ische hat werden wir wohl nie erfahren, wie er wirklich in einer Beziehung wäre. Beinah schade.
Und Squlao war toll, aber er ist immer toll. Er hat lange Haare.

Whatever. Ich mag deinen Schreibstil und den Aufbau der FF, der ist so... sinnvoll. Irgendwie. Die ganzen Charaktere hast du gut getroffen.
Aber das Ende ist, intelligenter weise oben schon schrieb, ein wenig unlogisch von der Seite des Lesers aus -Xanxus kann ich mir sogar beinah so vorstellen, lustig- weil so halbe Familia tot, aber whatever, vielleicht fang ich mit dem Typen ja doch noch was an, mal sehen, waren ja nur... random Figuren. Oder soH.
Naja, davon mal abgesehen eine sehr gelungene und charakterechte FF. Hat viel Spaß gemacht sie zu lesen. :D
(Und ich kann keine konstruktiven Kommentare schreiben. Schande über mich, meine Familie und meine Kuh. D: Aber ich hab's versucht. |D)

Von: abgemeldet
2010-10-23T11:52:13+00:00 23.10.2010 13:52
Mal wieder ein super Reader-Insert!
Ich glaube du wirst überhäuft von meinen Kommentaren :'D
Xanxus ist wirklich so wunderbar IC geblieben, das hat mich einfach wahnsinnig gefreut!
Schön viel Drama, dabei noch gut Humor reingebracht!
Besonders bemerkenswert finde ich, dass der Reader von dir sozusagen schon einen Charakter vorgefertigt bekommt und auch noch in jeder FF andere Charaktereigenschaften hat.
*arbeitet sich gleich durch die restlichen tollen FFs von dir durch*
Von:  BarbieTosa
2009-12-22T19:37:51+00:00 22.12.2009 20:37
So, Italinischlern mal anders! xP
Wozu das Wahlfach nehm, ich less es in den FFs und merks mir.^^
Nee, echt, das is hamma, vor allem die sache mit den vögl.
xD
Die könnten einem Faaast leid tun, aber nur fast.
CAC
Immerhin, sie werden runtergschosen weil er sauer is, das is dann schon merkwürdig, müsst der die dann nich immer runterballern?!
O__o
*drüber grübl*
Und was bei dem is Beruhigen?!?!?
*lachflash*
xDDD
Im großn und ganz zusammengefasst:
Das Kappi is super~♥
Von:  BarbieTosa
2009-12-22T19:34:31+00:00 22.12.2009 20:34
Das is... is...
Hitmäßig!
OAo
Wirklich, richtig gut gworden, mit der Beschreibung und alles.^^
Aber das geilste is ja das 'ich' mich wehr und Xanxus tatsächlich ne Beule an den Kopf prügl!!!
xDDD
Aber für den Knutschfleck hät ich den Grün und BLau geprüglt.
*__+
*die nich ausstehn kann*
Von: abgemeldet
2009-12-16T15:12:01+00:00 16.12.2009 16:12
XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Ah shit, ich hab schon wieder 'nen Lachanfall... Boah, was geht? Blödes inneres Fangirl. XDDD
Moment...
So. Jetzt geht's wieder.
Ein Happy End! Vielleicht.
Hm.
Und 'ich' hab ihm jetzt einfach so verziehen, dass er die meisten meiner Leute umgebracht hat? Na, 'ich' bin ja ganz schön nachsichtig. Andererseits muss man das wohl sein, um mit den Leuten der Varia klarzukommen... Außerdem waren's ja keine wichtigen. (Oh Gott, wo ist meine Menschlichkeit hin? ... Xanxus hat sie GEFRESSEN!)
Oh, ähm, gleich oben auf Seite 6 (ich weiß, dass das einem beim Bearbeiten nichts sagt^^') steht 'verzieht' statt 'verziehst'.
Nyo.
Das Ende ist halt wieder so 'ne Sache, wegen OoC-ness und so. Ich denke aber, du hast seinen Charakter gut hingekriegt. Also wenn er in so einer Situation wäre, wäre sein Handeln schon so in der Art, würd ich sagen.
'Meine' Leute umzubringen war sowas von Eindeutig IC, dass es mich (wie so vieles andere) zum Lachen gebracht hat...
Genau so wie die Sache mit Squalo, wo 'ich' ihm gedroht hab. Das war einfach genial.
Also, ich kann dich eigentlich nur loben. Und dir 'nen imaginären Keks schenken. Hier. *Keksdose hinhalt* :D
War super angenehm und spaßig zu lesen.
Danke!
Von: abgemeldet
2009-12-16T14:49:49+00:00 16.12.2009 15:49
Uh, böse.
War ja eigentlich klar, dass er das nicht so über sich ergehen lässt... Genau, Xanxus wird nicht verlassen. XD
Weiterhin alle wunderbar IC. Obwohl, Bel und Squalo haben sich ganz schön 'normal' unterhalten, oder? Aber wahrscheinlich waren sie nur müde. (Ich schreibe nicht vom Boss eingeschüchtert, denn das wäre ja uuuunmöglich! XD)
Übrigens, auf der ersten Seite irgendwo in der unteren Hälfte steht 'zuckten', da muss das t weg. ^^
Ich hatte auch hier wieder mehrere Lachanfälle... Besonders hier
> »Donnaccia… Porca puttana… [Schlampe… Verdammte Scheiße…]«
> Das ist selbstverständlich nicht an Levi gerichtet.
Ach nee! XDDDDDDDDDDDDDDD
Nyo. Die armen Vögel und Rekruten... Ts, ts.
Übrigens - kannst du italienisch? Ich war voll (positiv) überrascht über die italienischen Sätze und Begriffe. Wahrscheinlich eher Übersetzungsprogramm... Aber toll fand ich's trotzdem.
Von: abgemeldet
2009-12-16T14:36:20+00:00 16.12.2009 15:36
Ähm...
WIE SCHNELL SCHREIBST DU BITTE? XDDDD
Und verdammt, du schreibst so geil! Das stellt alle meine bisherigen OneShots in den Schatten, du hättest früher anfangen sollen, Reader-Inserts zu schreiben! :D
Also beim ersten Kapitel jedenfalls ist er super IC. Mehr IC wäre kaum möglich, denke ich. ^^
Uh, eiskalt abgenickt. Wah.
Ich bin gespannt, was in den anderen beiden Kapiteln passiert, denn generell könnte man hier aufhören... Ich bin aber sehr froh, dass es noch was zum Lesen gibt.
Und dass 'ich' ihn zurückschlage, find ich echt verdammt cool von 'mir'. Muha!
Ach, über die Erwähnung meiner Wenigkeit UND sogar meines OneShots freue ich mich natürlich. ^_____^
Irgendwas wollte ich noch schreiben...
Dein Schreibstil ist so hamma. Echt, sooooo hamma, ich will ihn adoptieren. XD
Oh und über das 'Fressen' musste ich voll lachen. XDDD Shit, jetzt schon wieder. XD *Lachflash habZ*


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