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Herren der Drachen

von

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Der Anfang und das Ende

Am Anfang der Welt stehen die Drachen. Sie sind der Anfang und das Ende. Keiner weiß, woher sie kamen, oder wohin sie gehen werden, doch das sie Beginn und Abschluss, Geburt und Tod sind, liegt jenseits jeden Zweifels.

Der Erste von ihnen tauchte irgendwann auf, als unsere Welt noch verheert danieder lag. Dieser Anblick brach ihm schier das Herz, und so weinte er. Tage, Wochen, Monate, Jahre. Er beweinte das tote Land, bis es voll von Flüssen und Ozeanen war, erst dann hatte er keine Tränen mehr.

Der Zweite kam zu ihm und tröstete ihn, indem er das Wunder bestaunte, welches der Erste vollbracht hatte. Dabei fiel sein Blick auf den endlosen Himmel über ihnen, und Sehnsucht erfüllte sein Herz. Er wollte hinauf in die Unendlichkeit und um dies zu erreichen pustete er und schlug mit seinen Flügeln. Das tat er ebenso lange, wie der erste Drache geweint hatte, und erfüllt somit die Welt mit dem Wind, der ihn in den Himmel trug.

Da tauchte der dritte Drache auf. Auch er bestaunte voll Ehrfurcht, was die anderen getan hatten, doch durch die kalten Winde und das kalte Wasser erkältete er sich allzu bald. Er wurde krank. Während er da saß und fror, da musste er niesen, und er nieste laut. Dabei verließ ein Flammenball seinen Rachen und setzte sich am Himmel fest, wo er das Land erwärmte.

Nun kam ein vierter Drache dazu, doch trotz der anderen drei Artgenossen war es ihm zu einsam. Er buddelte ein Loch und legte einen Samen hinein. Der wuchs und gedieh und trug bald schon Früchte. Und aus diesen machte er weitere Bäume und Pflanzen, solange bis das karge Land grün war.

Da kamen die Tiere und die Welt war voll von Leben jeder Art. Das freute die Drachen, den sie liebten die Vielfalt des Lebens. Nun kamen auch immer mehr Drachen zu ihnen, doch sie lebten niemals so lange, wie die Vier.

Das verwunderte sie, bis sie herausfanden, dass die anderen Drachen ihr Herz verschenkt hatten. An ein Lebewesen, das sich selbst als Mensch bezeichnete. Diese Wesen waren wirklich faszinierend für die Drachen, wenn sie waren so anders als alle anderen Lebewesen, und sie verstanden, warum die anderen ihr Herz gaben.

Da kam der Tag, als der erste Drache ebenfalls sein Herz verlor. Er beschloss bei einem jungen Mädchen zu bleiben, und er wollte, dass sie nicht mehr von einander getrennt würden. Und so geschah es dann auch, denn kaum hatte das Mädchen ihn berührt, waren sie fortan verbunden, durch ihren Körper und ihren Geist.

Und als das Mädchen nach Jahrzehnten irgendwann ihr Leben aushauchte, da starb auch der Drache mit ihr und er war glücklich darüber, denn er hätte nicht mehr ohne sie leben wollen. Auch die nächsten beiden taten es ihm gleich, und starben in jenem Moment, als der, den sie ihr Herz schenkten, den letzten Atemzug taten.

Nur der letzte, der die Welt zu einer grünen Oase gemacht hatte, wollte es nicht, denn er liebte das Leben. Doch er sah so viele Wesen kommen und gehen, dass es ihn sehr, sehr traurig machte. Traurig legte er sich nieder und beschloss, auf den einen zu Warten, den er sein Herz schenken konnte. Darüber schlief er ein, und er schlief lange. Jahrtausende vergingen, bis er wieder erwachte.

Als er wieder erwachte, stand ein Mensch vor ihm, der ihn mit großen Augen erstaunt anblickte.

»Ich habe auf dich gewartet«, sprach der Drache und schaute den Mensch lächelnd an.

»Auf mich?«, fragte der erstaunt.

»Ja. Ich habe gewusst, dass du kommen würdest, ich habe von dir geträumt. Ich möchte dir mein Herz schenken. Willst du es annehmen?«, fragte er.

Der Mensch überlegte nicht lange, sondern lächelte glücklich und nickte.

»Natürlich, den wer würde schon das Herz eines Drachen ablehnen?«, fragte er.

»Dann will ich ab heute mit dir gehen und alles Übel dieser Welt von dir fern halten, solange es in meiner Macht steht. Denn ich werde nicht Kämpfen. Kampf bedeutet Tod und den Tod verabscheue ich«, sprach der Drache.

»Sei mir nur ein guter Freund, in einer Welt, in der ein Freund mehr zählt, als alles andere auf der Welt. Du musst niemals für mich kämpfen, du musst mir nur das Paradies zeigen. Den ohne das Paradies wird sich alles Übel dieser Welt dir entgegen stellen und dich vernichten wollen«, erklärte der Mensch.

»Ich werde es dir zeigen. Aber du wirst einen Hohen Preis dafür zahlen müssen. Wirst du es tun?«

»Für das Paradies zahle ich jeden Preis. Zeig es mir, auf das ich allen in Not den Weg weisen kann.«

»Dann wirst du dies in Dunkelheit tun müssen«, erklärte der Drache und erhob sich. Und obwohl der Mensch wusste, was ihn erwarten würde folgte er dem Drachen. Und der zeigte ihm das Paradies.

Doch der Mensch musste seine Schuld begleichen und erschrak darüber so sehr, dass er den Weg vergaß. So kehrte er zu den seinesgleichen zurück, doch der Drache blieb bei ihm. Denn auch der letzte der alten Drachen hatte nun sein Herz verschenkt. An den einzigen Menschen, der es ihm wert erschien. Und so fanden und verloren die Menschen das Paradies und so trat der letzte der Alten in Erscheinung. Doch wie seine Geschichte Enden wird, das weiß allein das Schicksaal.

Eine neue Bekanntschaft

»Erzählt er ihnen wieder Märchen, Ayra?«, Gora blickte fragend und auch ein wenig Missmutig das Mädchen an, das durch die Tür getreten war.

»Ja«, antwortete diese, »diesmal die Geschichte über den Anfang der Welt.«

»Solch ein Humbug, er sollte den Kindern nicht solche Flausen in den Kopf setzen, am Ende glauben sie es noch«, knurrte Gora.

»Nun, auch Dura wird alt, und du weißt doch: Alte Leute erzählen gerne, also nimm es ihm nicht übel«, versuchte Ayra zu beschwichtigen, auch wenn sie sehr genau wusste, das es eigentlich keinen Sinn hatte.

»Leider…«, knurrte Gora böse. »Er sollte die Kinder lieber ihre Aufgaben verrichten lassen, damit würde er uns bessere Dienste tun. Du ahnst ja gar nicht, mein liebes Kind, wir gut es tut, das du nicht mehr stundenlang bei ihm sitzt und dir seine Hirngespinste anhörst.«

»Ab und an höre auch ich noch gerne seinen Geschichten zu. Aber natürlich erst dann, wenn ich alles getan habe, was zu meinen Aufgaben gehört«, lachte sie.

»Gelegentlich ist da auch nichts gegen einzuwenden«, begann Gora vorsichtig in einem Ton, bei dem mit Sicherheit noch ein >aber< folgen würde. Und so wunderte es Ayra nicht, als es auch kam. »Aber nicht den ganzen Tag lang und auch nicht, wenn wir weiß Gott besseres zu tun haben!«

»Ach, gönne ihnen doch diese kleine Freude«, meinte Ayra lächelnd. Sie wusste nur zu genüge, das Gora gerne über alles tobte und von jedem eine schlechte Meinung hatte, das ganze aber meist gar nicht so böse meinte.

Gora sah sie giftig an und Ayra wusste, das sie jetzt besser nichts mehr sagte, wenn sie nicht wollte, dass die ganze aufgestaute Wut sich auf ihr entlud. Gora war wirklich nicht gut auf den alten Geschichtenerzähler zu sprechen.

Also schwieg sie, doch in ihren spöttisch blitzenden Augen sah ihr Ziehvater auch so die Worte, die sie nicht auszusprechen wagte.

»Los, geh und hol Lera her. Er sitzt ganz gewiss auch wieder bei Dura und horcht seinen Märchen und lässt dabei unsere Schafe von den Wölfen fressen«, knurrte er.

»Nicht unbedingt, als ich eben gekommen bin, saß er nicht bei den anderen Kindern. Vielleicht war dein Sohn ja heute zur Abwechslung einmal brav und hat Schäfer gespielt«, widersprach Ayra.

»Ich würde mich nicht darauf verlassen, also sieh zu, das du ihn findest und hol ihn nach Hause. Er ist eh schon spät dran, egal ob er nun aufgepasst, oder albernen Geschichten gelauscht hat«, für Gora war hier das Gespräch sichtlich beendet, denn er wandte sich um und arbeitete an seiner Schnitzerei weiter.

Ayra blieb noch einen Moment lang sitzen, dann erhob sie sich mit einem Seufzer, und ging zur Tür. Schnell streifte sie sich ihre Jacke über und schlüpfte in den kalten Herbstabend hinaus. Goras Haus lag sehr Zentral im Ort, weswegen ihr Weg zum Dorfplatz, an dem Dura seine Geschichten zu erzählen pflegte, nicht weit war.

Hier erbot sich ihr nun ein Anblick, den sich die Leute aus den anderen Dörfern der Umgebung nur zu sehr gewünscht hätten, zumindest gelegentlich. Trotz der bitteren Kälte, die dieses Jahr früh in das Land eingezogen war, saßen alle Kinder des Dorfes still lauschend beisammen und ließen sich von einem alten Mann erzählen, wie einst die Welt entstanden war. Nur ein Kind fehlte. Sie konnte Lera beim besten Willen nicht entdecken.

»Dura, ist Lera gar nicht hier?«, fragte sie zur Sicherheit noch einmal nach. Sogleich hielt der Mann in seinen Erzählungen inne, um ihr zur Antworten.

»Nein, meine Schneeblume, er ist nicht hier. Ich habe ihn den ganzen Tag schon nicht zu sehen bekommen, ich dachte, er habe sich erkältet, nachdem er gestern in den Fluss gefallen war«, antwortete Dura. Er nannte sie immer Schneeblume, auch wenn Ayra nicht wusste, wieso, und er bei einer entsprechenden Frage nur wissend lächelte.

Sie hatte Vermutungen angestellt, sich selbst mit einer Schneeblume vergleichen, ohne auch nur ein einziges Mal eine Ähnlichkeit festzustellen. Schneeblumen waren immerhin wunderschöne, reinweiße Blumen, die nur sehr selten und auch nur in ganz wenigen Gegenden blühten. Unter den Reichen und Mächtigen dieses Landes waren sie heiß begehrt, sodass die Dörfler diese seltenen Blumen abpflückten und verkauften, wann immer sie eine fanden. Doch Ähnlichkeit hatte Ayra mit ihnen weiß Gott nicht, zumindest empfand sie es so. Bisher hatte sie sich selbst nur im Bach sehen können, nie in einem richtigen Spiegel, doch so groß würde der Unterschied schon nicht sein, hatte sie immer schon gefunden. Sie war eben keine Schönheit, ob nun in einem Bach oder in einem richtigen Spiegel war da letzten Endes einerlei. Eine andere Eigenschaft der Schneeblumen war, dass sie nur bei Schnee blühten, Ayra mochte zwar den Schnee, aber nur wenn sie drinnen im warmen sitzen konnte. Kälte und Nässe war ihr zuwider. Die einzige Verbindung lag vielleicht darin, das Ayra im Winter zur Welt gekommen war. Keiner hier zählte die Tage oder die Wochen, hier galten nur Jahreszeiten, nichts anderes und der Tag ihrer Geburt war mitten in einem sehr harten Winter gewesen, in dem es mehr geschneit hatte, als üblich. Und dennoch, ihrer Meinung nach war auch das kein Grund, dass sie jemand Schneeblume nennen mochte.

Doch in diesem Augenblick war das alles egal und schon gar nichts, worüber man sich Gedanken machen würde. Sie wollte schnell Lera finden und wieder ins Warme, zurück an das brennende Feuer, das ihr Wohnzimmer mit so behaglicher Wärme erfüllte.

»Nein, Lera ging es heute Morgen gut, da hat Gora ihn zum Schafe hüten in die Berge geschickt. Vielleicht hat er ja ausnahmsweise einmal getan, was Gora wollte«, erklärte sie. »Aber trotzdem danke.«

»Nichts zu danken, Ayra. Ich würde mich übrigens sehr freuen, wenn du in den nächsten Tagen einmal zu Besuch kommen würdest«, lud Dura sie ein.

»Gerne. Bis dann«, antwortete Ayra und ging weiter.

Sie musste also anscheinend doch den Berg hinaufklettern, um zu sehen, wo Lera geblieben war. Es kam nun wirklich nicht oft vor, aber ab und an dann doch, da wünschte sie sich, dass der Junge sich mal nicht an das hielt, was man ihm auftrug. Zumal es nun wirklich nicht oft vorkam. Den gesamten Sommer, wo es ihr nicht im Mindesten etwas ausgemacht hätte, hinaus zu gehen, war er im Tal geblieben, doch heute, wo es kalt und ungemütlich war, da blieb ihr wohl nichts andere übrig.

Sie fügte sich jedoch schlecht gelaunt ihrem Schicksaal und stapfte los. Doch lange musste sie nicht laufen, da kam Lera ihr mitsamt der kleinen Schafherde entgegen geeilt.

»Schön, dass ich dich doch nicht lange suchen brauche, Lera! Gora will, das du nach Hause kommst!«, rief sie ihm entgegen, sobald er in Hörweite war.

Doch kaum hatte der Junge ihre Stimme vernommen, scheuchte er die Tiere schneller gen Tal, was Ayra nicht verstand und deswegen die Stirn runzelte. Sie hatten eigentlich noch Zeit, hier auf den weiten Hängen kamen die Raubtiere nicht her, auch dann nicht, wenn es dunkel wurde, und selbst bis dahin war es noch mindestens eine halbe Stunde hin.

»Ayra! Du glaubst nicht, was mir passiert ist!«, rief er im Laufen, immer und immer wieder und wirkte dabei so aufgekratzt, wie damals, als sie den Puma davongejagt hatten.

»Ja, Himmel noch mal, was ist den geschehen? Warum bist du den so Aufgeregt?«, wollte sie neugierig, aber auch ein wenig Tadelnd wissen, und lief ihm entgegen.

Keuchend blieb Lera vor ihr stehen, als er sie erreicht hatte, und rang erst einmal nach Atem. Er schien den großteil des Weges schon in einem großem Tempo zurück gelegt zu haben, warum war für sie aber noch immer nicht ganz schlüssig, doch sie kannte Lera gut genug um zu wissen, das er es ihr gleich voller Begeisterung erzählen würde.

»Ich habe eine Drachen gesehen!«, rief er aus, als er wieder halbwegs bei Atem war. »Ich habe wirklich und wahrhaftig einen echten Drachen gesehen! So einen, wie in den Geschichten von Dura! Nur das er lebendig war!«

Ayra schaute den Jungen zweifelnd an.

»Einen Drachen? Aber Lera, du weißt genauso gut wie ich, das es Drachen nur in Märchen gibt«, war ihre Antwort darauf.

»Ja, das habe ich auch immer gedacht, aber der war echt! Wie in den Geschichten! Er hatte ganz grüne Schuppen und auch die Flughäute waren grün, und der Bauch auch und er war so riesig! Er war bestimmt so groß wie das Haus der alten Lara! Und zwar allein der Körper! Die Flügel waren bestimmt noch mal genauso groß! Die haben den Mond verdeckt, so groß waren sie!«, beschrieb Lera mit einer solchen Begeisterung, wie Ayra sie nie zuvor bei ihm erlebt hatte.

»Lera, noch einmal. Es gibt keine Drachen, weder blaue, noch rote, noch lila gemusterte, oder was auch immer du dir sonst einfallen lässt. Sie sind nur Gestalten aus Legenden, sie sind nicht wirklich«, sie versuchte ruhig zu bleiben, doch es fiel ihr schwer.

»Nur weil du noch keinen gesehen hast, heißt das nicht, dass es keine gibt. Dura hat schon mal welche gesehen, das hat er selbst gesagt«, antwortete Lera bockig.

»Natürlich. Du musst wissen, ich habe auch schon einmal ein fliegendes Schwein gesehen«, erwiderte Ayra sarkastisch.

»Aber das ist doch nicht das gleiche! Schweine können nicht fliegen, das weiß doch jedes Kind«, widersprach er.

»Und Dachen gibt es nicht, auch das weiß jedes Kind. Jetzt ruhe davon, und wenn du jemals wieder eine von Duras Geschichten lauschen willst, dann sagst du zu Gora kein Wort davon, verstanden?«, fauchte sie genervt.

»Die Rebellen haben auch Drachen«, versuchte er es ein letztes mal und in einem solch triumphierendem Tonfall, das es Ayra wirklich schwer fiel, ruhig zu bleiben.

»Die Rebellen, Lera, können angeblich auch Zaubern, glaubst du diesem Gerücht auch? Sie sollen unsterblich sein, sie können fliegen und über das Wasser laufen. Meinst du, das es stimmt?«, schnappte sie.

»Nein, aber…«, wollte er abermals widersprechen.

»Nein, Lera, das ist nichts anderes«, unterbrach sie ihn, wohl wissend, was er antworten wollte, »das sind alles nur Gerüchte. Und jedes einzelne davon ist unwahrscheinlicher, als das vorherige. Es gibt keine Drachen, also werden auch die Rebellen keine haben. Und damit ist das Thema jetzt beendet. Abmarsch, verschwinde nach Hause.«

Lera schaute sie einen Moment lang schmollend an, und als sie im Sturmschritt loslief, da folgte er nur langsam.

»Lera, jetzt komm endlich! Ich will nach Hause und Gora wartet auch schon auf uns!«, rief sie zu ihm zurück, doch sie konnte den Jungen nicht dazu bewegen, sein Tempo zu erhöhen. So liefen sie einen Moment lang stumm schmollend vor sich hin, bis sie es abermals versuchte. »Wenn du noch langsamer gehst, dann musst du stehen bleiben!«

In just diesem Moment tat Lera genau dies. Ayra konnte sich ein genervtes Seufzen nicht verkneifen.

»Was ist den jetzt schon wieder?«, grollte sie.

»Ich habe mein Buch vergessen. Ich laufe schnell zurück und hole es, sonst wird Papa bestimmt wieder wütend«, antwortete der Junge bockig und wollte schon zurücklaufen, doch Ayra hielt ihn zurück.

»Nichts da, Gora wartet auf dich. Du wirst nach Hause laufen und ich hole sein Buch. Wo hast du es liegen lassen?«, wollte sie wissen.

»Unter der großen Eiche, beim Wald«, erklärte Lera.

»Warum bist du so weit nach oben gelaufen? Du weißt doch, dass es dort gefährlich ist«, meinte sie vorwurfsvoll.

»Ich wollte etwas spielen, und da wollte ich nicht…«, Lera sprach seinen Satz nicht zu Ende, bekam stattdessen rote Ohren.

»Du wolltest nicht, das dich jemand sieht, weil es dir peinlich ist, wenn du versuchst, die Schausteller nachzuahmen?«, vermutete sie seufzend. Der Junge nickte kleinlaut.

Ayra stieß einen undefinierten Laut aus, machte lediglich eine Handbewegung in Richtung Tal, dann lief sie den Weg zurück, den Berg hinauf, während der Junge die Herde weiter bergab trieb.

Sie kannte den Weg, sie war ihn selbst oft genug gegangen, als sie es noch gewesen war, die auf die kleine Schafsherde aufpassen musste. Damals hatte Leras Mutter noch gelebt. Bella hatte damals den Haushalt geführt, nun war dies Ayras Aufgabe, während Lera sich um die Schafe zu kümmern hatte. Seid Bellas tot war dies so gehandhabt.

Es kam sehr oft vor, das Ayra den Jungen darum beneidete, das er den ganzen Tag nur über die Wiesen laufen durfte, während sie selbst Brot backen oder die Wäsche waschen musste. Beides keine angenehmen Aufgaben, die viel Zeit in Anspruch nahmen. Da war die Feldarbeit ihr schon um einiges lieber, obwohl sie auch diese nicht sehr mochte.

Aber bald, das wusste sie, würden die Aufgaben wieder neu verteilen, denn Lera war nur unwesentlich jünger als sie, und so war es nur recht und billig, das auch er bald auf dem Feld half. Dann würde eines der jüngeren Dorfkinder auf die Schafe aufpassen, gemeinsam mit der eigenen Herde, und sie würde nur noch den Haushalt machen müssen. Wenn sie bis dahin überhaupt noch bei Gora lebte, wie ihr bitter einfiel.

Ihr Ziehvater hatte ihr erst vor kurzem eröffnet, das es den perfekten Ehemann für sie gefunden hatte. Der Sohn eines reichen Kaufmannes, ein guter bekannter Duras. Sie hatte ihren künftigen Ehemann noch nie zuvor gesehen, kannte ihn bloß aus Erzählungen. Danach gehend war er ein gut aussehender junger Mann, der äußerst großzügig das Geld des Vaters ausgab.

Demnach war er wohl ein verwöhntes Kind, der sich aufspielte, wann immer es ihm möglich war. Nicht gerade das, was sich Ayra unter einem wunderbaren Ehemann vorstellen würde.

Leider hatte sie jedoch keinerlei Mitspracherecht. Sie würde ihn heiraten müssen, ob sie nun wollte oder nicht, das stand nicht zur Debatte. Und darüber konnte der Reichtum, der ihr dann, zum ersten Mal in ihrem Leben, zur Verfügung stehen würde, nicht im Mindesten hinweg trösten.

Mittlerweile war das junge Mädchen beim Wald angelangt und blickte sich nach der Eiche um. Im diffusen Dämmerlicht sah sie den Baum nicht sofort, doch er war sehr alt und stand so auffällig ein Stückchen vom nahen Wald weg, das sie ihn doch recht schnell fand. Sie lief hin und fand das Buch zwischen den Wurzeln liegen. Hier wurde es nach Sonnenuntergang durchaus gefährlich und sie mochte es nicht alleine mit einer Wildkatze aufnehmen, also beeilte sie sich.

Plötzlich jedoch stieg ihr der Geruch von Feuer in die Nase. Wenn der Wald Feuer gefangen hatte, konnte es das Ende des Dorfes bedeuten, obwohl der Wald recht weit weg, und das Wetter nicht gerade Feuer fördernd war.

Sie blieb stehen und hatte schnell die Richtung ausgemacht. Sie überlegte nur einen Moment, ob es nicht vielleicht besser war, im Dorf bescheid zu geben, entschied sich jedoch dagegen. Wenn es nur ein kleines Feuer war, das sie allein löschen konnte, wäre es nur unnötiges Panik machen gewesen. So ging die zögernd in den Wald, den immer stärkeren Geruch folgend.

Schon wenige Meter hinter dem Waldrand sah sie das Flackern der Flammen in der Dunkelheit und folgte dem Licht. Sie hörte das knacken und zischen der Äste, die vom Feuer gefressen wurden und ein seltsames Geräusch, das sie nicht zuordnen konnte.

Es erinnerte sie an das Schnurren einer Katze, doch das konnte nicht sein. Um diese Tageszeit befanden sich alle Katzen im Haus, oder zumindest im Dorf, denn bei Nacht wagten sie sich nicht mehr hierher. Zumal Ayra keine Katze kannte, die so laut schnurren konnte.

So ging sie, nun deutlich neugierig, was das für ein Wesen sein mochte, weiter. Sie streckte ihren Kopf durch die Büsche und war im ersten Augenblick beruhigt, denn es war nur ein einfaches Lagerfeuer, das dort brannte. Zudem war es auch keine Räuberbande, die hier rastete, sondern bloß ein einfacher Mann, der einen Moosbewachsenen Stein zu Streicheln schien.

Erst nach einigen Sekunden begriff sie, was es wirklich war, was er da streichelte und sie prallte mit einem lauten Schrei und weit geöffneten Augen zurück.

Das mächtige Wesen, das da so laut geschnurrt hatte, erhob sich mit einer einzigen, fließenden Bewegung, die man diesem Ungetüm niemals im Leben zugetraut hätte, sprang mit einem mächtigen Satz über sie hinweg und versperrte ihr den Weg. Mehr noch, es drängte sie an das Lagerfeuer zu dem Mann, und stieß sie dort zu Boden.

»Wer bist du?«, fragte der so ruhig, als wäre es Alltag für ihn, das ein junges Mädchen an sein Lagerfeuer kam, und sich vor seinem riesigen Begleiter fürchtete. Vielleicht war es das auch. Und Ayra war noch viel zu erschrocken, als das sie ihm irgendeine Antwort gab, sie starrte nur voller Angst und mit schnell klopfendem Herzen den grünen Drachen an, der sie aus jadefarbenen Augen anblickte.

»Wer ist sie?«, fragte der junge Mann abermals, doch diesmal wohl nicht Ayra. Eine Antwort erhielt er jedoch auch diesmal nicht, so erhob sich der junge Mann schwankend und wollte einige Schritte machen. Er wäre schwer gestürzt, hätte das Ungetüm ihn nicht mit seinem langen Schweif gestützt.

»Danke, aber es geht schon…«, murmelte der junge Mann und trat direkt an Ayra heran, ließ sich zu ihr zu Boden sinken. Frisches Blut glitzerte an seiner Schläfe.

»Wer bist du, woher kommst du? Wer schickt dich?«, fragte er ruhig.

Ayra jedoch schüttelte nur, einer Panik nahe, heftig den Kopf, war nicht in der Lage zu antworten. Erst, als der Drache in ihrem Rücken ein leises, drohendes Knurren ausstieß, beeilte sie sich, die gewünschten Informationen zu geben.

»Ayra! Mein Name ist Ayra!«, rief sie voller Angst aus.

»Wenn du mir nichts Böses willst, brauchst du keine Angst zu haben. Er tut dir nichts, wenn du nichts Unüberlegtes tust. Lüge nicht, denn das merkt er sofort, und versuche nicht davonzulaufen oder mich anzugreifen, denn auch das würdest du nicht überleben. Bleib einfach ruhig und antworte mir Wahrheitsgemäß, dann wird dir nichts geschehen«, versuchte er sie zu beruhigen.

Sie fühlte, dass er es ernst meinte, sie wusste, dass ihr unter diesen Bedingungen nichts geschehen würde, doch hatte sie so entsetzliche Angst. Trotzdem versuchte sie ruhig zu bleiben.

»Ich fürchte mich trotzdem«, gestand sie ihm leise. Der junge Mann überging es einfach.

»Ayra«, sagte er, »was tust du hier, und wer hat dich geschickt?«

»Mich hat niemand geschickt. Also doch, schon, Gora hat mich geschickt, damit ich Lera hole, und der hat aber sein Buch hier vergessen, also bin ich es holen gegangen. Ich bin freiwillig hier, so richtig geschickt hat mich keiner«, antwortete sie mit hoher Stimme, aus der die Angst deutlich zu hören war.

Ohne den Kopf zu bewegen wandte sich der junge Mann an den Drachen und fragte: »Was meinst du? Können wir ihr trauen?«

Der Drache gab einen brummenden laut von sich, was wohl so etwas wie eine Zustimmung war, den der junge Mann nickte zufrieden.

»Mein Name ist Benjamin und der Drache heißt Jadea«, erklärte er.

Ayra wandte voller Angst den Kopf und betrachtete das riesige Wesen über sich eingehend. Die Schuppen blitzen Smaragdgrün im Schein des Feuers, die sanften Augen waren in einem dunklen Jadegrün. Unwillkürlich musste sich Ayra eingestehen, das sie niemals zuvor ein so schönes Wesen gesehen hatte, und für einen Moment vergas sie ihre Angst. Dies musste wohl der Drache gewesen sein, den Lera gesehen hatte.

Ayra wollte etwas sagen, denn sie spürte, das Benjamin etwas von ihr erwartete, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. Sie zögerte einen Moment, beschloss dann einfach Belanglosigkeiten auszutauschen.

»Jadea wegen der Augen?« fragte sie unsicher.

»Ja.«

Sie wusste gleich, dass er log, doch fiel ihr dazu kein Grund ein. Sie wagte auch nicht, ihn darauf anzusprechen, nicht mit dem Drachen im Nacken. Außerdem war es wohl sowieso nicht das Thema, auf das er wartete.

Sie überlegte fieberhaft weiter, da fiel ihr Blick wieder auf das Blut. Sie deutete darauf und fragte: »Wie… ist das geschehen?«

»Wilde Tiere«, antwortete er kurz angebunden und versuchte die Lüge nicht einmal zu verhehlen. Dabei lächelte er spöttisch. »Aber nicht hier in der nähe, also keine Sorge.«

Sie holte Luft, um darauf zu antworten, doch erschien es ihr einfach nicht ratsam, in der Nähe des Drachens so etwas Dummes zu tun, also schluckte sie ihre Antworten einfach hinunter.

»Das waren dann gewiss sehr große Tiere«, meinte sie mit einem viel sagendem Blick auf den Drachen.

»Oh, Jadea war nicht in der Nähe, er war auf Jagd. Wäre er in der Nähe, hätten sie sich gewiss nicht getraut. Er hat mich eingesammelt und wir sind hierher gekommen«, log er ganz offen.

Ayra nickte langsam, obwohl sie immer noch kein Wort glaubte. Sie seufzte, stand langsam auf und klopfte sich das Kleid sauber. Wenn er ihr nicht die Wahrheit sagen wollte, dann würde er seine Gründe dafür haben. Und er schien ihr nichts tun zu wollen, solange sie nichts Dummes tat. Man hatte ihr beigebracht, denen, die in Not waren zu helfen, also beschloss sie, dies zu tun.

»Darf ich?«, fragte sie und deutete auf die Wunde.

»Mach ruhig«, antwortete er, immer noch dieses spöttische Lächeln auf den Lippen.

Sie trat an ihn heran und schaute sich die Platzwunde an. Bella hatte ihr beigebracht, wie man mit solchen Verletzungen umging. Der junge Mann ließ es widerstandslos über sich ergehen, doch der Drache beobachtete sie misstrauisch, jeder Zeit bereit, sie mit seinen Zähnen in der Luft zu zerreißen, sollte sie ihm vorsätzlich Schmerzen zufügen.

»Es sieht nicht gut aus…«, erklärte Ayra nach einer Weile besorgt. »Es scheint sich ein wenig entzündet zu haben. Hier in der Nähe ist ein Bach, wenn du einverstanden bist, würde ich die Wunde dort gerne auswaschen.«

Benjamin schwieg einen Moment, er schien auf etwas zu lauschen, dann jedoch nickte er langsam. Er kletterte auf den Rücken des Drachen, der sofort zur Stelle war.

»Wie alt bist du eigentlich?«, fragte Ayra nach einer Weile, während sie zum Bach vorlief.

»Sicherlich älter als du«, antwortete Benjamin ausweichend.

»Ich bin siebzehn«, meinte sie nach einer Weile unaufgefordert.

Der junge Mann lächelte wieder spöttisch, als er antwortete: »Achtzehn.«

Sie überlegte, was sie ihn noch fragen konnte, was unverfänglich genug war, das er antworten würde, doch ihr fiel wieder einmal nichts ein, also Schwieg sie, bis sie beim Bach ankamen.

Dort kletterte der junge Mann vom Drachenrücken und setzte sich auf einen Stein direkt am Wasser. Während sie die Wunde auswusch, fragte sie einfach weiter, was ihr eben einfiel.

»Wo kommst du her? Und woher hast du einen Drachen?«, fragte sie so unvermittelt.

Erst schien es, als würde sich ihre Vermutung bestätigen und Benjamin würde nicht antworten, doch er zögerte bloß einen Moment. »Ich komme aus einem Dorf oben im Norden. Dort haben wir Häuser, die direkt in eine Steinwand eingehauen sind, und einen großen Berg, in dem die Drachen leben. Fast alle Gänge sind groß genug, das sie hindurch laufen können. Viele dort haben Drachen, aber nicht alle. Der König lässt die Drachen jagen, deswegen gibt es sie nur dort. Und es ist schwer dort zu leben, denn die Gegend ist felsig und karg, es gibt kaum Gras für Weidetiere und keinen guten Boden für eine gute Ernte. Aber wir können nicht fort, dann würde der König uns fangen und töten.«

Während der ganzen Zeit hatte der Drache schon geknurrt, nun fauchte der Benjamin ganz offen an. Erst erschrak sich Ayra darüber, denn sie dachte, dass er sie meinte, beruhigte sich aber schnell wieder, als sie merkte, dass dies nicht der Fall war. Benjamin dagegen lachte leise.

»Er will nicht, dass ich dir davon erzähle, er denkt, dass du uns bei der ersten sich bietenden Gelegenheit an jemanden verraten würdest. Würdest du das tun?«, fragte er.

»Nein. Ich… bin kein Freund des Königs, er tut schlimme Dinge, wenn man den Gerüchten glauben schenken darf. Wir leben nur am Rande seines Herrschaftsgebietes, aber auch wir haben darunter zu leiden. Und selbst wenn es das nicht wäre, ich glaube nicht, das du mich belügst, weil du etwas unrechtes tust, sondern einfach nur, weil du sehr vorsichtig bist«, antwortete sie.

Er lächelte zufrieden. »Ganz so ist es nicht, aber es kommt nahe an die Wahrheit heran.«

»Warum bleiben die Drachen eigentlich bei euch? Sie… sind nicht unbedingt die typischen Haustiere«, überlegte sie.

»Sie sind auch keine Haustiere. Ich weiß nicht genau, warum sie bei uns bleiben, aber sie sind mehr als nur Haustiere. Drachen und Menschen waren schon seid Anbeginn der Zeit Freunde, und wir sind es auch jetzt, auch wenn die Drachen weniger geworden sind. Du musst wissen, sie sind unsere Sklaven, unsere Verbündeten, unsere Begleiter, unsere gleichberechtigten Partner, unsere Freunde und unsere Herren zugleich. Wir bestimmen über sie und zugleich würden wir es niemals wagen, ihnen ein Befehl zu erteilen. Kein Drache dieser Welt würde etwas tun, nur, weil man es ihm befohlen hat, und trotzdem muss man ihnen Befehle geben, damit sie tun, worum man sie bittet. Es ist… kompliziert. Du… wirst es wohl nicht verstehen, oder?«

Ayra nickte langsam. So etwas hatte sie sich auch gedacht, sie verstand es nicht.

»Und du? Woher kommst du? Wer sind Lera und Gora, die du erwähnt hast? Deine Eltern? Deine Geschwister?«, fragte nun Benjamin neugierig.

Ayra lachte kurz auf, bevor sie antwortete.

»Oh nein, ich bin nicht mit ihnen verwandt. Gora und seine Frau Bella nahmen mich bei sich auf und haben mich wie ihre Tochter großgezogen, aber ich bin es nicht. Ich bin die Tochter eines jungen Mädchens, das hier im Dorf lebte. Es kamen vor Jahren einmal Männer hierher, die den ganzen Winter blieben, warum weiß ich nicht, und die Leute im Dorf reden nicht über sie. Doch meine Mutter hat sich offensichtlich sehr gut mit einem der Jüngeren verstanden, zumindest hat sie einige Nächte mit ihm verbracht. Und das, obwohl sie selbst noch sehr jung war. Nun, neun Monate später wurde ich geboren. Die Männer waren schon lange fort und meine Mutter wusste nicht, was sie nun tun sollte, denn Verwandte im Ort hatte sie nicht und wer wollte schon ein junges Mädchen mit einem Kind? Deswegen beschloss sie, Fortzugehen. Mich ließ sie hier im Dorf, und weil Gora und Bella immer schon ein Kind haben wollten, haben sie mich bei sich aufgenommen. Als ich dann drei Jahre alt war, bekam Bella doch noch ein eigenes Kind, doch ich war ihnen bis dahin schon so sehr ans Herz gewachsen, das ich trotzdem bleiben durfte. Aber sie war von der Geburt sehr geschwächt und seit damals immer etwas kränklich gewesen, bis sie dann vor fünf Jahren starb. Eine zeitlang danach versuchte ich, meine richtigen Eltern ausfindig zu machen, ich wollte Gora ja nicht noch weiter zur last fallen, aber ich habe nicht einmal den Namen meiner Mutter herausgefunden. Deswegen musste ich bei ihm und Lera bleiben«, erzählte sie ihre Geschichte. Ihr Blick fiel wieder auf den Drachen und als sie so an Lera dachte, erinnerte sie sich an das, was der Junge gesagt hatte.

»Lera hat euch auch gesehen«, sagte sie unvermittelt. Benjamin überging den Satz einfach, zumindest ließ er keine Regung erkennen.

Ayra wunderte das einen Moment, doch sie war mit der Wunde fertig und es war schon sehr spät.

»Ich muss jetzt nach Hause gehen, wenn du möchtest, dann komme ich morgen noch einmal vorbei und bringe die etwas zu essen«, bot sie an, als sie aufstand.

Der junge Mann überlegte einen Moment, bevor er eine Antwort gab, dann jedoch nickte er.

»Ja. Komm ruhig wieder, ich mag es, mich mit dir zu unterhalten. Du bist anders, als die Anderen, ein wenig so, wie ein Mädchen aus meinem Dorf. Aber bitte, sorge dafür, dass keiner etwas von mir oder Jadea erfährt, weder von dir, noch von deinem Bruder. Drachen sind nicht gern gesehene Wesen und ich möchte eigentlich nicht schon wieder davonlaufen müssen«, bat er, und Ayra nickte bereitwillig.

»Es würde mir sowieso keiner glauben«, fügte sie rasch hinzu.

»Okay. Danke. Und bis morgen«, verabschiedete sich Benjamin.

Ayra lief hinab ins Tal. Das Buch, wegen dem sie eigentlich hier herauf gekommen war, lag noch immer auf der Lichtung, in der sie dem Drachen und dem jungen Mann begegnet war. Als sie ins Haus schlüpfte, wartete schon Gora auf sie. Wie erwartet, hielt er ihr einen langen Vortrag darüber, das sie unmöglich die halbe Nacht wegbleiben konnte, doch dann entließ er sie und sie schlüpfte schnell zu Lera ins Zimmer.

»Lera, bist du noch wach?«, fragte sie leise.

»Natürlich, was ist denn?«, erkundigte sich eine hellwache Stimme aus der Dunkelheit. Ayra tastete sich vorsichtig zu seinem Bett vor und ließ sie auf der Kante nieder.

»Ich glaube dir deine Geschichte mit dem Drachen«, antwortete sie leise.

»Ach ja? Und warum auf einmal? Hast du mein Buch auch mitgebracht?«, brummte der Junge misstrauisch.

»Nein, das habe ich vergessen, ist jetzt aber auch egal. Ich habe sie getroffen! Den Drachen und den Mann, Benjamin und Jadea«, rief sie mit unterdrückter Stimme. Schnell und leise erzählte sie, was vorgefallen war, und Lera hörte atemlos zu.

»Darf ich morgen mitkommen, wenn du wieder zu ihm gehst?«, fragte Lera am Ende ihrer Geschichte und sie wusste, das bei dieser Frage seine Augen strahlten, wie zwei kleine Sterne.

»Ja, natürlich!«, nickte sie lächelnd, »aber du darfst niemandem etwas von den beiden erzählen, das musst du bei deinem Leben schwören.«

Lera nickte eifrig und erklärte ihr feierlich: »Ich schwöre bei meinem Leben, das ich niemals ein Wort über die beiden verlieren werde! Und sollte ich es doch tun, dann möge ich auf der Stelle tot umfallen.«

»Gut«, meinte Ayra zufrieden, «und jetzt gute Nacht. Du musst morgen ausgeruht sein.«

Der Junge nickte in der Finsternis, während Ayra, deren Augen sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, zur Tür ging.

»Gute Nacht, Lera«, flüsterte sie ein letztes Mal.

»Gute Nacht, Ayra«, kam die postwendende Antwort.

Dann verließ sie das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Sie schlich in ihr eigenes Zimmer. Schnell zog sie sich um und legte sich ins Bett. Ihre Gedanken ganz bei Benjamin und seinem Drachen schlief sie langsam ein.

Ein Prinz bricht auf

Wacht auf, mein Prinz!“, mit diesen vier Worten riss der Graf Amiaco den Prinzen Tayshi aus seinen schönsten träumen. Er wusste noch nicht, dass ihm das bitter zu stehen kommen würde, denn es gab nur wenige, die den Prinzen zu wecken wagten, ohne dafür den höchsten Preis bezahlen zu müssen, den man sich vorstellen konnte.

„Amico, was tut ihr hier?!“, knurrte der junge Prinz verschlafen, „dies sind meine Privatgemächer, niemand, ich wiederhole, niemand außer meinem Vater betritt sie ohne meine ausdrückliche Erlaubnis!“

„Verzeiht, mein Prinz, doch euer Vater schickte mich euch zu wecken und ich wagte es nicht, ihm zu widersprechen. Er ersucht darum, mit euch zu sprechen“, erklärte Amiaco mit einer solchen Genugtuung in der Stimme, das Tayshi die Liste mit dem, was er Amiaco antun würde, sobald er richtig wach war, noch um einige Foltermethoden erweiterte.

Er war der Prinz, der einzige Prinz, der durfte sich alles erlauben und keiner konnte ihn daran hindern, seinen Vater vielleicht einmal ausgenommen. Und er nutze seine Macht uneingeschränkt. So etwas wie Zurückhaltung oder Mitleid waren ihm Fremdworte, und so hatten so ziemlich alle bediensteten im Schloss einen riesigen Respekt vor dem jungen Mann, beinahe mehr noch, als vor seinem Vater, der bei weitem nicht so grausam war, wie sein Sohn. Vielleicht, weil König Maximilian durchaus wusste, das er bald keine Untertanen und keine Bediensteten haben würde, wenn er sie alle bei jeder Kleinigkeit köpfen ließ, wie sein Sohn es so gerne tat.

„Mein Vater ja? Sagt ihm, das ich gleich zu ihm kommen und meldet euch dann im Kerker“, knurrte der junge Mann.

Graf Amiaco erbleichte sichtlich, den er wusste durchaus, was es hieß, was ihm blühte, wenn der junge Prinz ihm befahl, sich im Kerker zu melden, doch er widersprach nicht, sondern nickte mit großen Augen und verschwand dann so schnell als möglich aus dem Schlafgemach des Prinzen.

Tayshi schaute ihm noch einen Augenblick lang zufrieden nach. Er mochte den Ausdruck von Angst, Todesangst in den Augen der Menschen, die er in den Kerker schickte. Und er mochte noch viel mehr, wie sich die Menschen wanden wie Würmer, als sie erfuhren, welches Schicksaal er ihnen zudachte. Das war meistens der Tod, jedoch nicht immer. Manches mal überlegte er sich Dinge, bei denen seine Opfer wünschten, dass sie endlich sterben mögen, doch er ließ es nicht zu. Er labte sich an der Furcht der Menschen um sich herum. Ja, der Prinz war der Teufel in der Gestalt eines jungen Mannes. Und er hatte uneingeschränkte Macht. Keine gute Mischung für seine Umgebung.

Tayshi hätte sich jetzt einfach auf die andere Seite gedreht und hätte am liebsten einfach weiter geschlafen, den er war weiß Gott kein Frühaufsteher, doch sein Vater hatte ihn gerufen und wenn es eine Person gab, vor der der Prinz Respekt hatte, so war es König Maximilian. Er wagte nicht, ihn zu versetzen, und so kroch er schlecht gelaunt aus seinem Bett und begann damit, sich anzukleiden. Früher hatten das Bedienstete übernommen, doch nachdem er einmal belauscht hatte, wie zwei Dienstmägde sich über ihn unterhielten und sich dabei über seinen nackten Körper lustig machten, tat er es alleine. Er war nicht nur grausam und rachsüchtig, sondern auch sehr eitel.

Schon nach kurzer zeit verlies er sein Zimmer und machte sich auf den Weg in Richtung Thronsaal, in dem die meisten seiner Unterhaltungen mit seinem Vater stattfanden. Begleitet wurde er von seinen vier Leibwächtern, die ihn überallhin begleiteten, außer in seine Schlafgemächer.

Er öffnete die Tür ganz ohne zu klopfen und sein Vater blickte nur einmal kurz von seinen Schriftstücken auf, als er eintrat, dann ignorierte er seinen Sohn für eine Weile. Der junge Prinz wagte nicht, ein Wort zu sagen, sich zu setzen oder sonst irgendetwas zu tun, bevor sein Vater ihm nicht die Erlaubnis dazu erteilte, und so bleib er stehen, unruhig von einem Fuß auf den anderen tretend und wartete, das Maximilian Notiz von ihm nahm. Der schrieb seelenruhig weiter, las seine Briefe und andere Schriftstücke und er nach einer ganzen weile bequemte er sich, seinen Sohn zu mustern.

„Ich bin erfreut und geehrt, das der Prinz sich meinetwegen aus seinem ach so geliebten Bett gequält hat“, knurrte er und seine Stimme troff schier vor Spott.

Tayshi lief rot an, antwortete aber nicht darauf. Was hätte er auch sagen sollen? Was sein Vater sagte stimmte im Prinzip. Er schlief bis weit in den Tag hinein und auch tagsüber lag er mit großer vorliebe in seinem Bett.

„Willst du mir nicht antworten?“, fragte sein Vater nach einer weile des Schweigens.

„Nein, ich… wüsste gerne, warum du mich zu solch früher Stunde zu dich rufen lässt“, antwortete der junge Prinz schüchtern.

„Zu solch früher Stunde? Tayshi, der Mittag ist schon lange vorbei! Mir dünkt, das deine Leine in letzter Zeit ein wenig zu locker gehalten wurde, doch das kann ich ändern. Ich werde dir sagen, was ich von dir verlange, komm mit“, sprach der König, stand auf und deutete seinem Sohn, ihm zu folgen.

Maximilian führte ihn durch das gesamte Schloss bis hin zu einem Saal, den Tayshi nur zu gut kannte. Es war der Saal, in dem sein Vater die Dracheneiner sammelte.

Maximilian stieß die Tür auf und ging durch den gesamten, riesigen Saal bis hin nach hinten, zu den drei Sockeln, auf dem seine drei schönsten und kostbarsten Dracheneier ihren Platz hatten. Oder besser, gehabt hatten, wenn sie waren nicht mehr da. Schon seid einigen Tagen nicht mehr. Der Rebellenführer Lifthian hatte sie gestohlen. Das rote Rubinei, das schwarzviolette Amethystenei, und das durchsichtige Diamantenei, in dem man sogar das Drachenbaby sehen konnte.

„Diese Nichtsnutze haben ihn immer noch nicht fangen können? Dabei sollte man meinen, sein Drache wäre auffällig genug“, bemerkte Tayshi als er das Fehlen der Eier bemerkte.

„Ja, das sollte man meinen. Ich habe sie in den Kerker werfen lassen, ich brauche keine Jäger, die nicht einmal einen Drachen fanden, und das in einer Welt, der ein Drache mehr auffallen musste, als ein grüner Hund. Du wirst ab jetzt die Suche leiten“, bestimmte der König und sein Sohn blickte ihn sichtlich geschockt an.

„Was bitte soll ich, Vater?“, fragte er verschreckt.

„Du wirst mir den Rebellen herbringen, seinen Drachen zur Strecke bringen, und die Eier unversehrt wieder in dieser Halle abliefern!“, war die scharfe Antwort.

Tayshi schluckte schwer, dann nickte er jedoch. „Jawohl, Vater!“

„Gut. Du hast eine Stunde zeit, dich fertig zu machen, begleiten werden dich meine besten Männer, und du wirst in der Zeit, in der ich dich nicht beaufsichtigen kann keinem den Kopf abhauen, haben wir uns verstanden, Tayshi?“, knurrte er.

„Ja, sicher doch Vater. Ich werde sie behandeln, als wären es meine Brüder“, nickte der Junge.

„Nein, wir wollen sie ja nicht verwöhnen. Du wirst sie einfach nur halbwegs gut behandeln, und jetzt geh“, entließ der König seinen Sohn und Tayshi stürmte im Laufschritt in sein Zimmer zurück.

Schnell hatte er seine sieben Sachen eingepackt und rannt hinab in den Hof. Sein Vater war dabei, den Männern, unter ihnen auch der Graf Amiaco, die letzten Anweisungen zu erteilen.

„Tayshi, der Rebell ist verletzt, einer der Männer hat seinen Kopf mit einem Pfeil nur knapp verfehlt, das heißt, er wird nicht so schnell voran kommen können, und das er seinen Drachen von niemanden sehen lassen darf, das wird ihn zusätzlich behindern“, informierte der König seinen Sohn, deutete ihn dann, das er aufsitzen und Losreiten sollte.

Tayshi kletterte umständlich auf den Rücken des einzigen Schimmel der auf dem Hof stand und ohne sich noch einmal umzuwenden und mit stolz erhobenem Kopf ritt er seinen Männer voran, seiner ersten großen Jagd entgegen. Allein die Zukunft wusste, ob er den Befehl, denn nichts anderes war es gewesen, seines Vaters würde ausführen können.

Bens Abschied

„Benjamin? Benjamin, Jadea! Seid ihr hier irgendwo?“, rief Ayra in irgendeine Richtung. Lera stand neben ihr und blickte sich mit großen Augen um, bereit los zuschreien, sollte er den jungen Mann oder den Drachen irgendwo entdecken.

Es raschelte irgendwo neben ihnen im Unterholz und nur einen Augenblick später schritt der Drache leichtfüßig aus dem Gebüsch hervor. Er begrüßte Ayra mit einem anstubsen der Nase und betrachtete Lera eingehend, dann wandte er sich wieder um und ging seinen Weg zurück. Ayra und Lera folgten ihm und kamen so zum Lager Banjamins und Jadeas.

„Hallo Ayra, guten tag Lera“, begrüßte Benjamin sie, als sie auf die kleine Lichtung traten, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Ayra konnte von ihrem Standpunkt aus nicht erkennen, was der junge Mann dort tat, aber er tat es mit einem Schwert, das erkannte sie.

„Hallo Benjamin! Ich dachte schon, ich müsste den schweren Rucksack wieder ins Tal hinabschleppen, als ihr euch erst nicht gemeldet habt“, sagte sie lachend und ließ sich neben dem Drachen nieder. Lera unterdessen konnte seinen Blick nicht von eben jenem Tier wenden. Es nahm ihn gefangen, den es war das erste mal, das er einen wahren, wahrhaftigen Drachen bei Tage erblickte und noch die Gelegenheit hatte, ihn länger zu betrachten.

Ayra unterdessen nahm ihren Rucksack vom Rücken, als Benjamin keine anstallt machte, zu antworten. Sie wühlte eine weile im Rucksack herum und fand schließlich, was sie gesucht hatte: Ein kleinen Behälter und mehrere helle Stoffstreifen.

„Jetzt kann ich mich um deine Verwundung richtig kümmern“, erklärte sie lachend und ging hinüber zu dem jungen Mann.

Der ließ nun doch von seiner arbeit ab und wandte sich in ihre Richtung und Ayra prallte erschrocken zurück.

„Deine Augen, was ist mit deinen Augen?!“, rief sie.

„Was soll mit ihnen sein? Sie sind wie immer“, antwortete Benjamin.

„Aber sie sind… du bist blind, nicht wahr?“, fragte sie voll schlimmer Vorahnungen. Blindheit kam in manchen Gegenden einem Todesurteil gleich. Hier in der Gegend nicht unbedingt, hier kümmerten sich die Dörfler um ihre Blinden und gaben ihn trotz ihrer Behinderung arbeit, die sie verrichten konnte, ohne etwas zu sehen, doch sie wusste nicht, wie es bei Benjamin war.

„So gut wie. Ich erkenne Farben und hell und dunkel, aber das war es auch schon“, bestätigte Benjamin, „aber mach dir keine Gedanken, es ist nicht schlimm. Jadea übernimmt das Sehen für mich, ich kann durch seine Augen schauen.“

Benjamin lächelte und Ayra fasste sich langsam wieder. Sie ging die letzten Schritte weiter zu dem jungen Mann und begann dann, nach einem kurzen Hinweis, damit Benjamin nicht erschrak, sich um die Wunde zu kümmern. Es kam oft vor, dass sich einer im Dorf verletzte, und so war sie schnell fertig.

„Hast du es von Geburt an?“, fragte sie nach einer weile des Schweigens.

„Nein, ehemals konnte ich genauso gut sehen, wie jeder andere von euch, aber es ist wirklich nicht so schlimm, wie es sich für euch anhören muss. Man kommt mit Leichtigkeit zurecht, wenn man einen Drachen als Wegesbegleiter hat“, winke er ab.

Wieder herrschte einen Augenblick unbehagliches schweigen.

„Möchtest du etwas essen?“, wollte Ayra dann wissen und Benjamin nickte.

Sie zog alles Essbare aus ihrem Rucksack und gab es den jungen Mann. Der teilte wahrlich brüderlich mit seinem Drachen. Alles, was er irgendwie teile konnte, teilte er auch, und wenn er es nicht konnte, so as er die eine Hälfte und warf die andere dem Drachen zu. Ayra hatte viel mitgenommen, doch bevor auch nur eine Stunde vorüber war, war nicht einmal mehr ein Krümel über.

„Du hast seid langem nichts vernünftiges mehr gehabt, nicht war?“, fragte sie mitleidig.

„Nein, und vermutlich werde ich es auch eine lange Zeit nicht mehr haben, wenn ich weiterreise“, nickte Benjamin.

„Du willst weiterreisen? Wann, und wohin?“, fragte sie.

„Ich weiß noch nicht, wann, aber ich werde wohl noch einige Zeit hier bleiben. Vermutlich, bis der Winter vorbei ist. Hier ist es still, und es gibt keine gefährlichen Raubtiere. Ich will wieder zurück nach Hause, in mein Dorf. Ich würde am Pass im Winter sowieso nicht weiter kommen, deshalb bleibe ich noch ein bisschen“, antwortete er mit einem Lächeln.

Ayra stieß plötzlich einen nachdenklichen laut aus.

„Was ist, woran denkst du?“, wollte Lera wissen, der sich mittlerweile am Drachen satt gesehen hatte.

„An diese Männer, die vor einer Woche da waren. Sie kamen in unser Dorf und fragten, ob wir einen jungen Mann gesehen hätten. Er soll dunkelblondes Haar haben und auf den Namen Lifthian hören. Ich frage mich gerade, ob sie wohl dich gemeint haben könnten“, antwortete Ayra wahrheitsgemäß.

„Mich? gewiss nicht, dann hätten sie auch nach Jadea gefragt. außerdem heiße ich ja Benjamin, und nicht Lifthian“, war die Antwort des jungen Mannes.

„Stimmt schon, aber wenn sie nach dem Drachen gefragt hätten, hätten sie alle für nicht mehr ganz richtig im Kopf gehalten, und wenn ich auf der Flucht wäre, vor wem auch immer, dann würde ich mir auch einen anderen Namen zulegen, zumal Lifthian kein Allerweltsname ist und somit sowieso sehr stark auffällt“, widersprach Lera gekonnt und Ayra nickte zustimmend.

„Stimmt. Ich an der Stelle des gesuchten hätte mir einen Namen ausgesucht, der auch hier zugegen alltäglich ist, und das ist Benjamin nun nicht gerade. Und wenn ich jemanden suche, der einen Drachen bei sich hat, dann würde ich trotzdem nach dem Wesen fragen, dann ist die Chance größer, das man die Person auch findet. Ein Drache ist weiß Gott nicht unauffällig, und das mich irgendwelche Leute, die ich danach eh nie wieder sehe mich für nicht mehr ganz richtig im Kopf halten, das würde ich durchaus in kauf nehmen, anstelle dieser Leute“, antwortete Benjamin und das was er sagte, kam den beiden anderen durchaus einleuchtend vor. Und trotzdem spürte Ayra mit einem mal, das er log, und so sagte sie: „Ich glaube dir nicht.“

Benjamin biss sich auf die Lippen, man sah ihm an, dass ihm ihre Antwort nicht gefiel. Er dachte einige Augenblicke lang sichtlich angestrengt nach, dann nickte er.

„Du hast recht, ich habe ich belogen, aber ich kann und werde auch nicht die Wahrheit sagen. Zu eurem eigenen Schutz, auch wenn ihr jetzt noch nicht versteht, was ich damit meinem könnte“, antwortete er dann.

„Wieso zu unserem Schutz? Was könnte den geschehen, wenn einer durch uns von dir erfährt?“, wollte Ayra wissen.

„Vieles. Der König hat sicherlich schon Anweisung gegeben, das alle, die von mir wissen, getötet werden sollen, denn er kann es nicht brauchen, das Leute in seinem Land etwas von Drachen erzählen. Genau genommen habe ich dich schon jetzt in große Gefahr gebracht, indem ich dir einfach nur von meiner Heimat erzählt habe. Es ist also am besten für uns alle, wenn ihr einfach vergesst, dass ich jemals existiert habe und morgen werde ich verschwunden sein. Unsere Wege werden sich nicht mehr kreuzen, und es liegt dann bei euch, ob ihr von mir erzählt und euer leben aufs spiel setzt, oder ob ihr stillschweigen bewahrt und dafür leben dürft“, meinte der junge Mann.

„Du willst heute schon gehen?“, fragte Ayra.

„Ja, ich hatte gedacht, dass ich noch jemanden suchen kann, aber so wie es aussieht, sollte ich sofort gehen. Es ist besser für alle, meint ihr nicht?“, wollte Benjamin wissen.

Ayra und Lera schwiegen dazu. Man sah, dass vor allem Ayra anderer Ansicht war, doch ihr verstand wusste, dass der junge Mann durchaus recht hatte, und so schwieg sie.

„Wenn suchst du den?“, wollte Ayra stattdessen wissen. „Lera und ich sind hier aufgewachsen, vielleicht können wir ja weiterhelfen.“

„Nein, ganz gewiss nicht. Es würde mich wundern, wenn er hier unter seinem richtigen Namen leben würde, und wie er sich sonst nennt, das weiß ich nicht. Aber ich hatte gehofft, das er vielleicht gelegentlich in die Berge kommt, aber dem ist anscheinend nicht so“, war Benjamins antwort.

„Und wer ist dieser jemand, den du suchst?“, bohrte Ayra weiter.

„Ein ganz besonderer Mensch, dem ich schon mehrfach mein Leben verdanke, doch mehr darf ich auch von ihm nicht erzählen, denn er wird hier ebenso gesucht und gejagt, wie jeder andere von uns“, war die antwort. Dann herrschte wieder eine weile bedrückendes Schweigen.

„Wann genau willst du gehen?“, fragte Lera ganz unvermittelt in die stille hinein.

„Das weiß ich noch nicht, aber vermutlich erst nach Sonnenuntergang. Bei Sonnenlicht auf einem Drachen über den Himmel fliegen kann man in meiner Heimat durchaus machen, aber hier ist es viel zu riskant“, war die antwort.

„Gut“, fand Ayra, „Wir müssen nämlich jetzt beide wieder hinunter ins Tal, ich muss essen machen, und Lera hat auch noch gewisse Aufgaben zu erfüllen. Bitte geh nicht, bevor wir nicht noch einmal hier waren, ich möchte mich von dir verabschieden, bevor sich unsere Wege auf ewig trennen.“

Benjamin nickte und Ayra und Lera machten sich auf den Weg, hinab ins Tal.

»Du hast nicht wirklich vor, zu warten, bis sie wieder hier sind, oder, Lif?«, erkundigte sich der Drache neben ihm.

„Nein, natürlich hatte ich es nicht vor, Smarada, keine Sekunde“, war die antwort.

»Du magst sie, nicht wahr?«, wollte der Smaragdfarbene Drache weiter wissen.

Benjamin, oder Lif, wie der Drache ihn genannt hatte, und was augenscheinlich sein wirklicher Name war, schwieg dazu, doch er wusste, das der Drache seine antwort kannte, auch wenn er sie nicht aussprach. Er konnte keine Geheimnisse vor dem riesigen, geschuppten Wesen habe, so sehr er es auch manches mal wollte. Es ging nicht.

»Lass uns aufbrechen, wenn du wirklich nicht vorhast, auf sie zu warten. Dieser abschied würde für euch beide der angenehmere sein, glaube mir«, sprach der Drache.

„Du hast recht, alter Freund. Lass uns ein letztes mal nach den Eiern schauen, und ob sie wirklich gut dort liegen, und dann weiterziehen. Vielleicht finden wir ja unterwegs jemandem, den wir uns anvertrauen können, und vielleicht ist er auch schon längst wieder zu Hause“, seufzte Lif und kletterte auf den Rücken des Drachen.

»Ja, vielleicht«, antwortete Smarada. Er breitete seine Schwingen aus.

„Nein, warte!“, rief Lif im letzten Augenblick, bevor er sich von der Erde abstieß und den Himmel erklomm.

»Was ist denn nun schon wieder?«, wollte das Smaragdfarbene Wesen knurrend wissen.

„Gib mir eine deiner Schuppen“, bat Lif, „ich will ihr eine Nachricht hinterlassen.“

»Geschrieben auf einer meiner Schuppen? Lif, du weißt besser als jeder andere, das du in meine Schuppen keine Nachrichten kratzen kannst, sie sind viel zu hart, für euch Menschen«, beschwerte sich der Drache.

„Ja, das weiß ich sehr wohl, Smarada und sie ist auch nicht dazu gedacht, als eine art improvisierten Pergamentes zu enden. Nein, du sollst bitte ein Loch in sie hinein machen“, bat der junge Mann weiter während er seine eigene Kette, die er um seinen Hals trug, löste.

»Du willst doch nicht wirklich… du hast doch nicht ernsthaft vor, ihr…«, keuchte der Drache.

„Genau das habe ich vor, Smarada. beides gemeinsam wird sie beschützen“, antwortete Lif.

»Lif! Das kann nicht dein Ernst sein, keiner, der nicht unserem Stamme angehört darf es tragen, unter keinen umständen! Ein jedes Wesen, das nicht mit einem Drachen einen Bund eingeht und diese kette umlegt, wird bei lebendigem Leibe geröstet werden!«, ereiferte sich der Drache.

„Nicht, wenn deine Schuppe an ihr fest gemacht ist, mein Bester, und das weist du ebenso gut, wie ich. Außerdem ist das nicht der einzige Grund, aus dem ich sie ihr gebe. Vater wird die Schuppe unter tausenden erkennen, genauso wie meine Kette, und er wird genauso wissen, dass sie mit einer Feuerschrift versehen ist. Ich will ihm so eine Nachricht zukommen lassen“, erklärte der junge Mann.

Der Drache legte den Kopf auf die Seite und schaute Lif nachdenklich an.

»Sollte ich mich am Ende geirrt haben, und dies allein ist der Grund, das du ihr die Kette gibst?«, fragte er sich, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf, »nein, dafür wirst du viel zu nervös, wenn ich dich auf die anspreche, also muss wirklich sie dir etwas bedeuten und die Flammenschrift ist nur ein günstiger Nebeneffekt.«

Lif antwortete nicht, sondern wartete darauf, das Smarada ihm endlich eine der smaragdenen Schuppen aushändigte. Er legte sie auf den Boden und warf Sand auf sie drauf.

„Walte deines Amtes, Smarada“, sagte er und der Drache spieh eine riesige Feuerkugel auf den Sand und die Schuppe, und bevor die glühende Schuppe erkaltete, schrieb er mit einem Zweig eine eilige Nachricht in einer ganz besonderen Sprache, die nur die wenigsten kannte, geschweige denn lesen konnten.

Er wartete eine weile, bis die Schuppe erkaltet war, dann betrachtete er sein Werk. Es war eine nahezu perfekte Feuerschrift, denn man sah nicht mehr, dass die Schuppe irgendeine Nachricht enthielt, wie es auch der Sinn war. Er bat Smarada um Löcher und fädelte sie zum Schluss noch auf die Kette auf.

Zu guter letzt nahm er Leras Buch, das er am vergangen Abend gefunden hatte, da Ayra es ein weiteres mal vergessen hatte, und legte die neu entstandene Kette hinein. Aya würde sie finden und sie würde wissen, dass sie für sie bestimmt war, dessen war er sich sicher. Dann kletterte er wieder auf den Drachenrücken und flog mit Smarada davon.

Als Ayra und Lera mehrere Stunden später wieder auf die Lichtung traten, zeugte nichts mehr davon, das hier einst ein Drache gesessen hatte, denn der Wind, den Smarada mit seinen Schwingen entfacht hatte, als er gen Himmel geflogen war, hatte seine Abdrücke und die Lifs in alle vier Winde verweht. Einzig das Buch lag dort und als Ayra es voller Enttäuschung an sich nahm fiel die Kette heraus. Wie Lif vorausgesehen hatte, erkannte sie sofort, dass das Schmuckstück für sie war. Er hatte sie gebeten, ihn zu vergessen und ihr doch ein Geschenk hinterlassen, bei dem sie immer an ihn denken musste.

Sie band sich die Kette um, und wusste, das Lera und sie nicht weiter zu suchen brauchten und so gingen sie gemeinsam wieder hinunter ins Tal.

Ein Prinz verirrt sich

Sire, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf-“, Tayshi warf ihm einen Blick zu der mehr als deutlich sagte, das er es augenscheinlich nicht durfte, „-aber wir sind auf dem falschen Weg.“

„Macom, ich weiß, wohin ich reite“, erklärte Tayshi würdevoll.

Der Blick der Männer um ihn herum sagte eindeutig aus, dass die sich nicht mal halb so sicher waren, wie es der junge Prinz augenscheinlich war, doch keiner widersprach.

„Und zwar wahrscheinlich besser, als du“, fügte Tayshi herablassend hinzu.

Das die Männer sich dessen noch viel weniger sicher waren, das zeigten sie auch diesmal mehr als deutlich durch ihre Blicke, doch Tayshi erkannte nicht, um was es sich handelte, was die Männer ausdrücken wollten.

„Ich möchte euch noch in weiteres mal untertänigste darauf aufmerksam machen, das der Rebell in Rhoda gesichtet wurde“, versuchte es nun Graf Amiaco.

„Was meinst denn du, wo wir die ganze zeit hin reiten“, entgegnete der Prinz bissig und lies sein Pferd weitergehen, den er hatte während des kleinen Streites angehalten.

Die anderen folgten, deutlich langsamer und mit einigen Abstand, jedoch weniger, um den Prinzen seine Privatsphäre oder ähnliches zu lassen, sondern viel mehr, damit sie in ruhe lästern konnte.

„Was meinst du, wann er merkt, das Rhoda in genau der anderen Richtung liegt?“, wollte Amiaco von Macom wissen.

„Ich denke, sobald wir in der nächsten Stadt angelangt sind. Selbst Tayshi weiß, dass das Wirtshaus Rhodas Zum Flammenden Berg heißt. wenn wir allerdings im goldenen Eber einkehren müssen, dann wird sogar ihm aufgehen, das dies die falsche Richtung ist“, war Macoms antwort.

Amiaco nickt.

„Aber zugeben würde er es nicht, er wird es uns in die Schuhe schieben“, bemerkte er.

„Ja, aber er darf uns nicht köpfen lassen, und uns auch nicht anderweitig bestrafen, also können wir uns in ruhe über ich lustig machen“, grinste der Graf.

Macom nickte zustimmend und mit einem breiten grinsen.

Bei Dura

„Ayra? Ayra, bist du hier irgendwo?“, rief Gora ins Haus hinein.

„Ja, ich bin in der Küche“, rief das Mädchen zurück.

„Warst du nicht für heute bei Dura eingeladen?“, fragte er.

„Ja, schon, aber ich bin mit meinen Aufgaben noch nicht ganz fertig, und ich weiß ja, wie sehr du es hasst, wenn jemand seine Aufgaben vernachlässigt, nur um ein wenig mehr spaß zu haben“, erwiderte das Mädchen und knetete weiter den Brotteig.

„Heute ist es okay, wenn du gehst“, antwortete Gora und Ayra schaute ihn verblüfft an.

„Warum den das?“, wollte sie sogleich wissen.

„Weil Dura interessanten Besuch hat. Sandava ist bei ihm“, antwortete Gora und lies sich schwer auf einen Stuhl sinken.

„Ach, und der Name sollte mir etwas sagen?“, erkundigte sie sich.

„Eigentlich ja, dass er es nicht tut, wundert mich ein wenig, und es enttäuscht mich auch.“

Ayra zog viel sagend eine Augenbraue hoch. Wie konnte Gora von ihr verlangen, das sie sich jeden Namen und jede dazugehörige Geschichte merkte? Sie hatte den Namen schon einmal gehört, das wusste sie, aber sie wusste weder wann, noch in welchem Zusammenhang.

„Dein verlobter, Sanvada“, klärte Gora das Mädchen auf.

„Oh“, machte Ayra wenig begeistert. Der einzige Grund also, dass sie ihre Arbeit einen Tag mal sausen lassen durfte war ein Verlobter, den sie nicht mochte, obwohl sie ihn nicht kannte, der sie vermutlich betrachten wollte, wie ein Stück Vieh. Im Gegensatz zu ihr hatte Sandava durchaus das Recht mitzureden, wenn es um seine künftige Ehefrau ging, und wenn sie ihm aus irgendeinem Grund nicht gefiel, dann würde er sie nicht heiraten brauchen. Sie hoffte inbrünstig, dass der Kerl sie abstoßend hässlich und unglaublich zickig und arrogant fand.

Und dennoch hörte sie auf zu kneten, schaute den Teig noch einen Augenblick lang fragend an.

„Den Rest mache ich für dich. Zieh dir deine besten Sachen an und nimm Lera mit, der hat sich eine kleine Pause verdient“, sagte Gora, der ihren Blick auf den Teig richtig gedeutet hatte.

Mit einem lautlosen Seufzer stieg sie die Treppe zu ihrem Zimmer auf, zog sich ihr bestes Kleid an, bürstete sich ihr Haar, was sie sonst so gut wie nie tat, sammelte Lera ein, und ging dann zu Dura. Ein klein wenig war sie schon neugierig, auf Sandava, wie er wohl sein mochte und alles, doch sie hätte sich eher ihre Zunge rausgerissen, ehe sie das zugegeben hätte.

Schon kurze zeit später klopfte sie an Duras Tür. Der lies sich Zeit, um zu öffnen, doch das tat er immer, und das er auf den Weg zur Tür war, das hörte man schon draußen, deshalb war noch nie einer weggegangen, wenn sich die Tür nicht sofort öffnete.

„Ayra, Lera, schön euch zu sehen!“, begrüßte der alte Mann die beiden.

„Gleichfalls“, nickte Ayra und folgte der einladenden Handbewegung Duras ins Innere.

„Du kommst zu genau dem richtigen Zeitpunkt, ich habe Besuch von jemanden, den du kennen lernen solltest“, erklärte Dura.

„Ich weiß, Gora hat es mir schon erzählt“, antwortete Ayra.

„Und du bist trotzdem hergekommen?“, wollte der alte Mann verblüfft wissen.

„Natürlich“, gab sie in einem zickigen Tonfall zurück, „ich sehe doch nicht ein, das ich mir einen schönen Tag von irgendeinem dahergelaufenem Typen verderben lassen sollte! Ich habe schon so lange keine Geschichte mehr von dir gehört, ich freue mich schon seid Tagen darauf!“

Dura lachte leise. Er kannte Ayra gut genug, um zu wissen, dass sie ihre Neugierde niemals zugeben würde. Und er wusste, dass es einfacher war, nicht mehr darüber zu sprechen. Es würde nur zu Streit führen und warum über etwas sprechen, von dem man wusste, das es im Streit ausartet, und das nicht zwingend nötig war? So sagte er nichts mehr dazu, sondern ließ Ayra in sein Wohnzimmer eintreten.

Dort, auf einem gemütlichen Sessel vor dem Kamin saß er, Sandava. Sein Haar war weißblond, seine Augen himmelblau. Er trug kostbare Seide, die für eine Reise alles andere als geeignet war, und streckte wärme suchend seine Hände gen Feuer. Er machte einen symphatischen Eindruck, wie sich Ayra widerwillig eingestehen musste.

„Sandava, wenn ich dir vorstellen darf, Lera, Goras Sohn und seine Ziehtochter Ayra“, stellte Dura die beiden knapp vor und Sandava, der ihr eintreten wohl erst in diesem Augenblick bemerkt hatte, stand hastig auf und schaute den beiden forschend und offen entgegen.

„Ihr seid also die beiden, von denen mir Dura schon so viel erzählt hat. Sehr erfreut, euch kennen zu lernen, vor allem dich, Ayra“, meinte er mit freundlichem Ton und streckte ihnen die Hand entgegen. Ayra ignorierte seine freundliche Geste, zog sich stattdessen ihre Jacke aus und setzte sich auf das Fell, das vor dem Kamin lag.

Sandava schaute sie irritiert an, doch er fing sich schnell wieder, als Lera freundlich seine Hand schüttelte.

„Hallo“, sagte er dazu freundlich.

Sandava murmelte irgendetwas vor sich hin, schaute Dura Hilfe suchend an.

„Setz dich Lera, wollt ihr etwas trinken? Ich habe auch noch eine Suppe auf dem Feuer, wenn ihr wollt, könnt ihr auch gerne davon etwas haben“, meinte Dura.

„Gerne“, antworteten die beiden gleichzeitig und Dura ging in die Küche. Sandava setzte sich wieder auf den Sessel.

„Ich muss sagen, Dura hat restlos untertrieben“, begann er eine Unterhaltung und nach wenigen Sekunden hatte Ayra beschlossen, das sie ihn genug gestraft hatte, das sie diesmal so freundlich war, auf seine Unterhaltung einzugehen.

„Im Bezug auf mein aussehen oder meinen Charakter?“, wollte sie mit zufriedenem unterton wissen.

„Beides“, war die knappe antwort.

„Hat er dich vorgewarnt, das ich das mit weitem abstand hässlichste weibliche Wesen der Umgebung bin? Und dazu noch kräftig Haare auf den Zähnen habe?“, wollte sie voller Genugtuung wissen.

„Also wenn du das hässlichste Wesen der Umgebung bist, dann müssen die anderen Mädchen mehr als nur wahre Schönheiten sein“, war Sandavas antwort.

Ayra schaute ihn irritiert an.

„Wie meinst du das?“, fragte sie misstrauisch.

„Nun, Dura hat mich vorgewarnt, er sagte, das du so schön seiest, wie ein kleiner Engel, doch er sagte auch, das du dafür jedoch einen Charakter hast, die deinem aussehen Lüge straft“, war die antwort, „er hat mit beiden untertrieben.“

Ayra schaute ihn weiterhin irritiert und zweifelnd an.

„Hast du jemals dein Gesicht in einem Spiegel betrachtet, Ayra?“, wollte Sandava wissen.

„Wie denn, hier gibt es so etwas wie Spiegel nicht, sie wurden auch noch nie gebraucht“, erklärte sie.

„Dann warte mal einen Augenblick“, meinte der junge Mann, verlies das Zimmer und kam nach einiger Zeit mit einem kleinen Handspiegel wieder. Den hielt er Ayra vor die Nase. Sie konnte kaum glauben, was sie da sah, als sie auf die spiegelnde Fläche blickte. Das Gesicht, das sie sah, konnte gar nicht ihr eigenes sein! Das Gesicht einer wunderschönen jungen Frau blickte ihr entgegen. Die kindlichen Züge waren noch nicht vollkommen aus ihrem Antlitz verbannt, doch das lies sie eher noch hübscher wirken. Ihre Augen waren groß und von einem schönen graublau wie das Meer, ihre Lippen rot und einfach nur perfekt geformt, dabei hatte sie nie etwas dafür getan. Ihre Nase war klein und von dem einzigen Makel in ihrem Gesicht bethront. Sie hatte Sommersprossen, trotz des Winters, der Kälte, der wenigen Sonne. Nicht viele und auch nur ganz blass, aber sie hatte welche. Was andere Frauen jedoch an den Rand des Wahnsinns trieb, fand sie eigentlich ganz hübsch. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ihr Gesicht im Sommer aussehen mochte, wenn die Sommersprossen deutlicher zu sehen waren, und es gefiel ihr, wie es aussehen konnte. Als sie merkte, wie zufrieden Sandava sie betrachtete, biss sie sich auf die Lippen und schaute sofort zur Seite.

„Sag ich doch, hässlich“, war ihr geknurrter Kommentar.

Dura lachte von der Tür her.

„Ayra, du weist genau, dass das nicht stimmt, aber ich weiß genau, dass du dir eher deine Zunge abbeißen würdest, bevor du das zugibst, also lasst uns das Thema wechseln“, fand er und gab Ayra und Lera einen Becher gefüllt mit Suppe.

Ayra antwortete nicht auf seine Worte, sondern schlürfte einen Schluck ihrer Suppe.

„Was führt dich eigentlich hierher, Sandava?“, wollte sie wissen, denn bis sie beide heiraten würden, würde es noch eine ganze weile dauern, ein Jahr mindestens.

„Ich wollte einfach nur einen alten Freund besuchen und mir mal anschauen, was für eine Wildkatze ich mir in mein Haus hole“, antwortete Sandava mit einem breiten grinsen.

„Ja, Wildkatze ist das richtige Wort. Bei ihr zeigt sich sehr deutlich, das man sich nicht zu sehrt von Äußerlichkeiten blenden lassen sollte“, stimmte Dura zu.

„Dura, ich muss mal ein ernstes Wort mit dir reden“, fand Ayra, stellte ihren Becher zur Seiten, stand auf und zog den alten Mann mit sich hinaus.

„Dura, du weist ganz genau, das ich keinerlei Interesse daran habe, diesen Typen zu heiraten, also tu mir den gefallen und unterstütz mich mal ein bisschen!“, zischte sie.

„Und wie soll ich das deiner Ansicht nach am besten tun?“, fragte der alte Mann mit einem lächeln.

„Schmeiß ihn raus, solange ich hier bin“, knurrte sie unwillig und wohl wissend, dass das nicht ging. Dura lächelte auch nur, ließ sich davon nicht beirren.

„Lern ihn doch erst einmal ein wenig kennen, mein Kind, dann kannst du ihn immer noch verurteilen. Aber wenn du dir vom ersten Augenblick an vornimmst, ihn nicht zu mögen, dann wirst du es auch niemals tun“, erklärte er sanft. Ayra schaute ihn wütend an, den sie wusste nur zu gut, das er recht hatte, und das gefiel ihr überhaupt nicht.

„Okay, ich versuche es“, knurrte sie dennoch und ging forschen Schrittes in den Raum zurück.

„Dura, erzählst du uns bitte eine Geschichte?“, bat Lera sogleich, als der alte Mann ihr nachgekommen war. Er überlegte einen Moment, während er sich in einen Sessel niedersinken ließ, nickte dann aber.

Sogleich setzte sich Lera aufgeregt zu seinen Füßen und nach einigem Zögern auch Ayra. Warum sollte sie sich auch wegen diesem merkwürdigem Sandava eine Geschichte entgehen lassen?

„Nun, welche Geschichte wollt ihr den hören?“, fragte er neugierig und schaute fragend in die Aufgeregten Gesichter und schaute ebenso fragend auch auf seinen Besuch, der neugierig abwartete.

„Irgendeine ganz neue, irgendetwas über Drachen und von den großen Städten!“, ereiferte sich Lera sogleich und auch Ayta nickte. Dura nickte nachdenklich, überlegte einen Moment, dann hatte er offensichtlich eine Idee, den sein Gesicht hellte sich auf.

„Ich erzähle euch von Lif, dem Anführer der Rebellen und seinem Drachen Smarada“, erklärte er und sogleich nickten die beiden Kinder. Hätte einer der beiden zu Sandava geschaut, wäre ihnen aufgefallen, dass er Dura fast schon entsetzt anstarrte, doch der lächelte unverwandt weiter. Dann begann er zu erzählen.

Es war eine aufregende Geschichte voll von Drachen und kämpfen, bestückt mit einem Helden, den nichts erschrecken konnte und einem gar schrecklichen Bösewicht.

„Und das war das letzte, was man von Lif und Smarada hörte. Man fand nur noch seine Drachenschuppenkette, die er immer um seinen Hals trug“, endete Dura nach einer Stunde voller Spannung und atemlosem Schweigen.

„Die Drachenreiter können sich nur von paar Meter von ihren Drachen entfernen?“, hagte Ayra sogleich nach und warf Lera einen vielsagenden Blick zu.

„Genau so ist es. Deswegen geht ein Drache auch niemals allein auf Jagd, die Reichweite ist zu gering. Wenn sie sich zu weit voneinander entfernen stirbt der Mensch irgendwann und mit ihm der Drache. Darum dürft ihr auch niemals einen Drachen ohne Reiter berühren, den ihr könntet mit ihm eine Verbindung eingehen. Allerdings dürft ihr auch niemals einen Drachen mit Reiter berühren, der wiederum könnte euch die Hand abbeißen“, erklärte Dura.

Da lachte Sandava laut und schallend. „Drachen! Was für Märchen erzählst du den armen Kindern bloß?“

„Ich bin kein Kind“, fauchte Ayra sogleich und fuhr wie ein Rachenengel zu ihm herum, „und nur weil du niemals einen Drachen gesehen hast, heißt es noch lange nicht, dass es keine gibt!“

Dura lächelte ihn hinter ihrem Rücken breit an. Er würde es mit der aufbrausenden Ayra gewiss niemals leicht haben. Doch da gewahr er mit einem mal ein grün-schwarzes Aufblitzen an ihrem Hals.

„Ayra? Was trägst du da um den Hals?“, wollte er wissen.

„Ich?“, sie war verwirrt. Was meinte er? Sie machte langsam die Kette von Ben ab und gab sie dem Mann.

„Das hier“, antwortete sie.

Dura nahm die Kette entgegen und betrachtete jede Schuppe genau. Jede Kleinigkeit, wie sich das Licht brach, wo schwarz und wo grün zu sehen war, wo sie vielleicht einen Kratzer haben mochte, einfach alles, was irgendwie von belang sein konnte.

„Woher hast du sie?“, fragte er dann.

„Das darf ich dir nicht sagen, das habe ich versprochen“, erklärte sie schnell.

„Weißt du, was das ist?“, Dura gab ihr die Kette wieder.

„Nein“, antwortete sie Wahrheitsgemäß, während sie sich die Kette wieder umlegte.

„Das ist gut. Du darfst es nicht wissen und ich weiß auch so, wer sie dir gab, auch wenn ich noch nicht weiß, wieso er sie dir aushändigte“, erklärte Dura nachdenklich.

„Du weißt, von wem ich sie habe?“, Ayra schaute ihn aus großen Augen an.

„Natürlich. Es gibt nur einen Drachen mit einer solchen Färbung und es gibt nur einen jungen Mann, der mit diesem Drachen verbunden ist. Aber ich werde dich nicht nach ihm Fragen. Ihr solltet vielleicht nun gehen, es wird schon dunkel“, erklärte Dura und komplimentierte die beiden zur Tür.

Rubia

Sie machten sich wirklich auf den Weg nach Hause, doch auf halber Strecke blieb Ayra stehen.

„Geh du nach Hause, Lera, und sag Gora, das ich später komme. Ich mag noch einen Spatziergang zur Wolfshöhle unternehmen“, erklärte sie und ohne auf eine Antwort zu warten, lief sie in die Dunkelheit davon. Sie hatte das Dorf noch nicht weit hinter sich gelassen, da vernahm sie Schritte vor sich.

„Ben?“, rief sie aufgeregt in die Finsternis.

„Nein, ich bin es“, Sandava tat ein paar weitere Schritte, sodas Ayra ihn sehen konnte. Sie war enttäuscht, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Stattdessen funkelte sie ihn böse an.

„Wer ist Ben?“, erkundigte der junge Mann sich weiter.

„Das geht dich nichts an“, erwiederte sie und wollte schnurrstracks an ihm vorbeilaufen, doch er ergriff sie am Arm und hielt sie zurück.

„Ich denke schon, immerhin bist du meine Verlobte“, erklärte er.

„Wir sind noch nicht offiziell verlobt“, antwortete Ayra und entwand sich seinem Griff.

„Hast du etwas gegen mich?“, erkundigte er sich mit einem mal traurig.

„Ja! Ich will nicht deine Verlobte sein, und dein Eigentum schon gar nicht“, antwortete sie gerade heraus.

„Wenn das dein Wunsch ist, dann werde ich meinen Vater darüber in Kenntnis setzen, dass ich mir eine andere Braut aussuchen werde. Ich will dich nicht zwingen, das wollte ich nie“, erklärte er und seufzte.

Mit einem mal spürte Ayra einen Schatten neben sich und gewahr ein leichtes glänzen im Mondlicht. Unwillkürlich, wie ferngesteuert streckte sie ihre Hand danach aus und berührte plötzlich kalte Schuppen. Sandava schien es bemerkt zu haben, den sie spürte, wie er den Kopf drehte.

„Du wirkst gar nicht erstaunt“, bemerkte er.

„Er ist nicht der erste Drache, den ich sah. Aber ich dachte, für dich seien sie nur Märchen? Wieso bist du nicht erstaunt?“, erkundigte sie sich.

„Weil es sein Drach ist“, erklärte eine dritte Person. Dura gesellte sich zu ihnen und stellte sich neben den Drachen.

„Dein Drache?“, sie schaute den jungen Mann erstaunt an.

„Ja. Onyxa ist sein Name. Und mein richtiger Name ist Drake“, erklärte der junge Mann und lächelte. Ayra indess blickte Dura erstaunt an, doch er erklärte schon, bevor sie auch nur eine Frage stellen konnte.

„Nun, Ayra, es ist so. Alle meine Geschichten sind wahr, ich habe niemals etwas zum besten gegeben, was nicht geschehen ist. Der junge Mann dort ist Drake, der Drache hier ist Onyxa, sie gehören zu den Rebellen, von denen ich vorhin erzählte, die, deren Anführer Lif ist. Auch ihn hast du kennengelernt, das beweißt die Kette aus Smaradas Schuppen. Ich gehöre ebenso zu ihnen, mein wirklicher Name ist Marlin“, erklärte er kurz.

„Aber warum erzählt ihr mir und… ich verstehe nicht…“, verwirrt brach sie ab.

„Du musst es nicht verstehen, Ayra, zumindest im Moment noch nicht. Es reicht vorerst, wenn du uns einfach nur hilfst. Weißt du, was die Rebellen tun?“, Marlin schaute sie durchdringend an, doch sie schüttelte Hilflos den Kopf.

„Wir versuchen den König zu stürzen und wir wollen verhindern, dass Prinz Tayshi seine Schreckensherrschaft antreten kann. Zugleich verfolgen wir das Ziel, ein neues, goldenes Zeitalter der Drachenreiter wieder auferstehen zu lassen. Das jedoch geht nur, wenn wir viele sind, und um viele zu werden, brauchen wir die Dracheneier aus der Sammlung des Königs. Ganz besonders das Diamantenei, den dieser Drache wird einmal der Stärkste werden. Aber bis dahin ist es noch lange hin. Lif hat drei sehr Wertvolle Eier gestohlen und wir wissen, dass er sie hier irgendwo versteckt haben muss. Wir wissen allerdings nicht wo“, erklärte Marlin.

„Ich soll euch helfen, sie zu finden?“, fragte sie, schüttelte aber sogleich den Kopf. „Es ist Stockfinster und ich weiß auch noch nicht ganz, ob ich euch diese Geschichte überhaupt glaube.“

Sogleich schüttelte Marlin lachend den Kopf. „Jetzt ist es zu dunkel, jetzt würden wir sie nie finden. Komm morgen früh zu mir.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er mit Drake gemeinsam in der Dunkelheit.

Kurz überlegte Ayra noch, was sie davon nun halten sollte, ob sie nun doch nach Hause laufen, oder ihren Weg fortsetzen sollte, und entschied sich für letzteres. Sie war noch nicht Müde genug, als das sie nun einschlafen würde können.

Sie ließ sich Zeit, sodass der Weg etwa eine Stunde in Anspruch nahm, dann stand sie allerdings vor dem Eingang. Die Höhle hatte ihren Namen nicht Grundlos. Wenn man sie von weitem betrachtete, dann sah sie aus, wie ein Wolf, der die Zähne fletschte. Ayra setzte sich langsam auf das, was man als Zunge ansehen mochte und dachte nach. Sie verstand nicht, was hier eigentlich los war, die Erklärungen hatten sie eher noch mehr verwirrt.

Mit einem mal gewahr sie einen roten Schimmer. Sie stand auf und ging neugierig darauf zu und fand einen glühend roten Stein, der halb vom Sand bedeckt war. Sie wunderte sich, hier so etwas Hübsches zu finden und nahm ihn hoch, doch kaum hielt sie ihn in ihrer Hand, da berstete er auseinander und in ihren Händen lag unversehens ein rotes Drachenbaby. Erschrocken schrie sie auf und ließ es zu Boden fallen.

Ihre Hände brannten, als hätte sie unversehens einen Stein aus dem heißen Feuer geholt und als das Drachenbaby auf dem Boden aufkam, da durchzuckte sie ein heftiger Schmerz.

Sie wollte aufspringen und weglaufen, doch sie kam nur ein paar Schritte weit, dann krümmte sie sich abermals unter Schmerzen, die sie nicht verstand. Keuchend blieb sie am Boden sitzen und starrte dorthin, wo der kleine Drache sitzen mochte. Eine ganze Weile harrte sie in dieser Haltung aus, als sie eine Bewegung verspürte. Sie wandte sich um und sah Drake und Onyxa langsam auf sie zukommen. Erst als er den Schrecken in ihren Augen gewahr, rutschte er schnell vom Rücken des großen Wesens und stürzte zu ihr.

„Ayra, was ist geschehen?“, fragte er und kniete neben ihr nieder.

„Ich glaube, ich habe die Eier gefunden“, erklärte sie und spürte mit einem mal, das ihr unendlich kalt war.

„Du hast sie? Wirklich? Welch eine gesegnete Nacht!“, rief Drake verzückt aus und schien gar nicht zu bemerken, wie schlecht es ihr ging. Doch sie war noch nicht fertig mit ihren Neuigkeiten.

„Auch wenn ich dir nun erzähle, dass eines geschlüpft ist?“, erkundigte sie sich und der junge Mann freute sich eher noch mehr.

„Geschlüpft? Aber das ist ja großartig! Jeder Drache, der schlüpft ist eine ungeheure Bereicherung für uns!“, ereiferte er sich weiter. „Wo ist es?“

Ayra zögerte einen Moment, dann zeigte sie in die Höhle. Zögernd stand sie auf und ging mit Drake langsam und eher widerwillig hinein. Da lag es noch immer, das rubinrote Drachenbaby. Es hatte sich zusammengerollt und schien zu zittern. Drake ging zu ihm und hob es auf. Wie ein Baby wickelte er es in einen Umhang.

„Es ist eiskalt, noch viel länger und es wäre erfroren“, bemerkte er bekümmert und wandte sich zu Ayra um. „Warum bist du weggelaufen?“

„Ich, also, meine Hand, und…“, sie schüttelte den Kopf und fing noch einmal an. „Ich hielt das Ei in der Hand, als es schlüpfte. Es hat sich angefühlt, als hätte ich glühende Kohlen in meinen Händen, da habe ich es fallen gelassen und wollte nach Hause laufen, aber irgendwie konnte ich es nicht.“

„Du hast dich an ihr verbrannt? Und du wolltest davonlaufen und konntest es nicht“, hagte er nach. Ayra war es nicht möglich, in seinem Gesicht zu lesen, aber sie nickte langsam.

„Zeig mir deine Hände“, forderte er sie barsch auf und sie streckte sie ihm zögernd entgegen. Drake schaute sich ihre Handflächen genau an, dann strich er sacht darüber.

„Tut es sehr weh?“, fragte er mitfühlend. Ayra zögerte einen Moment. Es war seltsam, sie wusste, dass es weh tun musste, aber das tat es nicht. Sie wusste nicht wirklich, was sie antworten sollte.

„Nein, natürlich nicht, ich weiß ja, wie es ist“, nickte er lächelnd.

„Wieso das?“, erkundigte sie sich fassungslos.

„Weil jeder Drachenreiter das durchmachen muss. Das ist die Verbindung zwischen Drachen und Reiter. Als ich Onyxa das erste mal berührte, da war es genauso“, erklärte er lächelnd.

„Warte, soll das heißen, dass ich zu den Drachenreitern gehöre? Nur, weil ich dieses Brandmal habe?“, sie deutete fassungslos auf ihre Handfläche.

„Ja. Und nein. Dieses Mal ist sozusagen deine Verbindung mit dem Drachen, es zeigt an, das ihr zueinander gehört, aber es ist nicht der Grund, warum du zu uns gehörst. Du gehörst dazu, das ist spätestens jetzt klar, aber nur, weil der Drache dich als sein Reiter ausgesucht hat“, erklärte Drake und setzte sich auf den Stein. Dabei hielt er Ayra den Drachen hin.

„Ist es eigentlich ein Männchen oder ein Weibchen? Es muss doch einen Namen kriegen“, bemerkte sie und streckte zögernd die Hand nach ihm aus.

Das kleine Wesen schnupperte interessiert in ihre Richtung und rieb dann den kleinen Kopf an ihrer Hand, wie eine Katze. Ayra nahm es entgegen und legte es wie ein Baby in ihre Armbeuge, wo es sofort einschlief.

„Oh, da habe ich keine Ahnung, aber Onyxa kann da gewiss weiterhelfen. Stimmts, mein bester?“, Drake schaute den schwarzen Drachen fragend an, der unbemerkt, wie ein Schatten in die Höhle gekommen war. Er legte sich hinter Drake und stieß ein tiefes grollen aus.

„Es ist eine sie. Allerdings solltest du mit der Namensgebung bis morgen warten, dann siehst du ihre Farbe besser“, meinte der junge Mann.

„Muss sie eigentlich einen Namen haben, der etwas mit einem Edelstein zu tun hat?“, wollte Ayra neugierig wissen und setzte sich auf den Boden.

„Nein, natürlich nicht, aber es ist üblich. Gib ihr einen Namen, der dir gefällt, aber warte trotzdem bis morgen.“

Ayra nickte nachdenklich, dann schaute sie ihn fragend an. „Du scheinst dich so weit von Onyxa entfernen zu können, wieso konnte ich es nicht?“

„Weil die junge Dame noch nicht alt genug dafür ist. Sie braucht Zuwendung und zwar von dir. Das ändert sich mit der Zeit, warte es ab. Man kann es auch durch Übung ausdehnen, aber das dauert lange und man kann es niemals lange durchhalten“, erklärte er.

„Warte, bedeutet das, ich kann nicht wieder nach Hause?“, rief sie aus und sprang auf.

„Wenn du sie geheim hältst kannst du es, aber das wird schwierig. Drachen wachsen schnell. Wenn du möchtest, bringe ich dich in mein Dorf. Dort kannst du in aller ruhe lernen, was du wissen musst. Diese Nacht wirst du aber wohl oder übel hier verbringen müssen“, er machte eine Geste, die die Höhle einschloss.

„Hier? Ganz allein?“, kreischte sie.

„Da du nicht nach Hause kannst, so ohne weiteres: Ja. Aber nicht allein, ich komme zurück, sobald ich ein paar Decken organisiert habe, und Marlin bescheid gegeben hatte. Du kannst in der Zeit ja die anderen beiden Dracheneier suchen, passieren kann nichts mehr weiter. Onyxa wird dir mit seinem Drachenfeuer Licht spenden, es wird nicht erlöschen“, erklärte er.

Ayra nickte zögernd, während Drake aufstand und in der Dunkelheit verschwand. Sein Drache brummte unwillig, folgte ihm dann aber, nur um kurze Zeit später mit einem Ast wieder herein zu kommen. Er spie eine Flammenkugel auf das Holz und sogleich wurde es fast Taghell in der Höhle. Dann folgte er Drake, während Ayra sich den Höhlenboden genauer besah. Schon nach kurzer Zeit hatte sie beide ebenfalls ausgebuddelt und unweit des Feuers auf den Boden gelegt. Nun saß sie mit ihrem Drachen ebenfalls ganz nahe und betrachtete das Baby nachdenklich.

„Ich will nicht warten, bis es morgen ist, dir einen Namen zu geben. Du hast die Farbe von dem Rubin, den ich einmal gesehen habe“, erklärte sie dem kleinen Drachen, der sie verschlafen anblinzelte.

„Also etwas mit Rubin. Rubinea? Nein, das gefällt mir gar nicht. Rubina? Nein, auch nicht. Aber jetzt habe ich es. Was hältst du von Rubia?“, sie schaute das Wesen fragend an. Es quietsche vergnügt und Ayra nickte zufrieden. „Dann Rubia.“

Drachenflug

„Sag mal, Drake, warum fliegen wir nicht einfach? Dann sind wir doch viel schneller da“, überlegte Ayra.

„Da hast du durchaus recht, aber Onyxa hat es nicht gerne, wenn Fremde auf seinem Rücken reiten, wie andere Drachen übrigens auch. Außerdem könnten wir gesehen werden und das ist nicht unbedingt gut, wie du dir sicher vorstellen kannst?“, erklärte Drake.

„Wenn man es so sieht, dann hast du rech“, überlegte sie. Schweigend setzten sie ihren Weg fort, bis Ayra nach einer halben Stunde abermals das Schweigen durchbrach. „Werden wir diese Nacht in einem Wirtshaus einkehren?“

„…Vielleicht. Ich weiß noch nicht genau. Es kommt auf das Dorf an. Wenn Onyxa nahe genug heran kann, dann können wir gerne in einem Wirtshaus übernachten. Wenn das aber nicht der Fall ist, wäre es auch für dich nicht ratsam. Ein junges, hübsches Mädchen ganz allein in einem Gasthaus, das lässt den einen oder anderen schon auf dumme Gedanken kommen. Dumme Gedanken, die dir sicherlich nicht gefallen würden“, erklärte Drake.

Ayra verstand sehr gut, was er damit sagen wollte. Sie ritt einfach nur stumm neben ihm her und drückte ihr Drachenbaby an sich. Nach einer Weile unterbrach nun Drake selbst das stumme Brüten.

„Bald wird sie nicht mehr so ruhig unter deiner Jacke sitzen“, prophezeite er.

„Wann sind Drachen eigentlich erwachsen?“, wollte Ayra wissen.

„Eine gute Frage. Drachen wachsen schneller als Menschen, aber sie leben auch länger. Ich würde sagen, dass sie mit etwa fünfundzwanzig Jahren ausgewachsen sind, vielleicht auch etwas früher“, antwortete er nachdenklich.

„Das heißt, Onyxa ist noch gar nicht ausgewachsen? Er wird noch größer?“, fragte sie überrascht.

Er lachte leise und Humorlos: „Onyxa ist gerade mal siebzehn. Ich war drei, als ich ihn bekam. Er ist nur unwesentlich älter, als du, Ayra.“

„Und ab wann kann man auf einen Drachen fliegen?“, erkundigte sie sich weiter.

„Verschieden. Mir etwa einem halben Jahr lernen sie es in der Regel selbst erst einmal. In der Zeit fallen ihnen auch zum ersten mal die Zähne aus…“, erklärte Drake weiter.

„Wieso fallen ihnen die Zähne aus? Sie sind doch gar keine Säugetiere“, warf Ayra ein.

„Das nicht, aber Rubia hat jetzt noch sehr stumpfe Zähne, die dazu noch sehr weich sind. Sie werden nicht härter und auch nicht schärfer, damit könnten sie niemals jagen gehen. In dem alter fressen sie nur Grünzeug und Vorverdautes Fleisch, da brauchen sie auch noch keine scharfen Beißer. Erst wenn ihre richtigen Zähne da sind, fangen sie an, richtiges Fleisch zu fressen und dazu brauchen sie eben die entsprechenden Zähne. Das ist allerdings nicht das einzige mal, das ihnen die Zähne ausfallen. Es geschieht mehrmals, damit sie scharf bleiben. Mit etwa zwei Jahren lernen sie dann das Jagen, was eine ganze Weile dauert, da sie viele verschiedene Techniken lernen. Mit etwa vier Jahren können sie das meiste. Dann sind sie in etwa so groß, wie ein Pony, reiten kann man dann auf ihnen, aber nicht fliegen. Das geht, wenn sie etwa fünf Jahr alt sind“, erklärte Drake.

„Also muss ich noch fünf Jahre warten, bis ich auf Rubia fliegen kann?“, murrte sie.

Drake schnaubte: „Sei froh, das du überhaupt irgendwann fliegen darfst, die meisten träumen davon ihr leben lang. Du kannst es in ein paar Jahren.“

Ayra antwortete nicht, sondern schaute unter ihre Jacke nach ihrem Drachenbaby. Rubia schlief. Sie wärmte Ayra und das Mädchen wärmte den Drachen.

„Wann lernen Drachen das Feuerspucken?“, fragte sie weiter.

„Das ist immer verschieden. Manche Drachen können es schon wenige Tage nach dem Schlupf, andere erst, wenn sie schon ausgewachsen sind, manche auch nie. Das hängt vom Drachen ab, aber auch von seinem Geschlecht, der Färbung und der Entwicklung“, antwortete er.

„Das Geschlecht und die Färbung haben darauf Einfluss?“, nervte sie ihn weiter.

„Weibchen sind talentierter was das Feuerspucken anbelangt und eine rote oder grüne Färbung weist ebenfalls auf Talent hin. Allerdings können dafür graue, blaue und weiße Drachen eher eis speien. Alle anderen Färbungen haben manchmal andersfarbiges Feuer. Du hast ja gesehen, Onyxas flammen sind blau. Ich habe auch schön grüne gesehen und violette. Verschiedene Farben haben verschiedene Talente, aber eine Färbung ist niemals ein Garant“, erklärte er.

„Oh, dass Drachen so kompliziert sind, hätte ich niemals gedacht“, staunte Ayra.

Abermals schnaubte Drake: „Ich habe dir nicht einmal angefangen zu erklären, wie Drachen trotz ihrer Größe und ihren Gewichtes und ihrer verhältnismäßig kleinen Flügel fliegen können. Oder wie das mit dem Feuerspucken genau funktioniert. Was du bisher weißt, ist nicht viel. Deswegen ist es auch Sinnvoll, in mein Heimatdorf zu gehen, dort kannst du alles mit anderen gemeinsam von vorne lernen.“

„… Das heißt, ich hab noch sehr viel zu lernen, nicht wahr?“, wollte Ayra wissen.

Drake nickte: „Ja. Du musst noch wirklich sehr viel lernen. Ich denke, ich sollte vielleicht schon mal damit anfangen. Wir haben ja Zeit.“

Auch Ayra nickte zustimmend. Vor ihr war das Dorf aufgetaucht. Es würde noch etwa eine Stunde dauern, bis die beiden ankamen.

„Willst du mir nicht jetzt schon Unterricht geben? Bis wir ankommen wird es noch eine Weile dauern“, überlegte sie.

„Nein, das werde ich heute Abend tun“, winkte er ab. Den restlichen Weg legten sie beiden schweigend zurück. Im Dorf führten sie ihre Pferde zum einzigen Wirtshaus, welches ziemlich genau am anderen ende der Stadt lag.

„Wie heißt das Dorf?“, wollte Ayra wissen, während sie beide schweigend ihrer Wege gingen.

„Man nennt es das Dorf Kaska“, gab Drake zur Antwort.

„Kaska? Hört sich interessant an“, fand sie.

„Ja. Und nein. Kaska ist eine ziemlich große Stadt, da dein Dorf bloß so klein ist, wird es dir gewiss interessant vorkommen, aber verglichen mit anderen Städten wir Rhoda oder Juki ist sie nur ein kleines, unwichtiges Dörflein irgendwo dort, wo es nicht dem König zur Last fällt“, erklärte er.

Die beiden waren beim Wirtshaus angekommen.

„Also wenn du möchtest, dann können wir die Nacht hier verbringen“, meinte er.

Ayra nickt begeistert und kletterte aus dem Sattel. Sie banden ihre Pferde draußen fest und gingen ins Wirtshaus. Sie folgte Drake auf dem Fuße, als der das Gebäude betrat. Die ganzen, finsteren Gestalten waren ihr nicht geheuer. Während Drake mit dem Wirt sprach, schaute sie sich die Leute genau an.

„Bauerntölpel“, bemerkte einer der Männer. Allerdings war der Kerl höchstens zwei Jahre älter als sie, wenn überhaupt. Sein Haar war nachtschwarz und seine kalten Augen grün, wie die Schuppen Smaradas. Arrogant musterte er Ayra und Drake abfällig.

Ayra wollte eben auffahren, als sie Drakes Hand auf ihrer Schulter spürte. In seinen Augen las sie die unverhohlene Warnung, jetzt besser nichts Unbedachtes zu tun. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf einen freien Tisch in einer Ecke, etwas abseits der anderen Männer. Die beiden setzten sich.

„Ayra, tu nichts falsches, es könnte deinen Kopf kosten“, flüsterte er ernst.

„Wieso sollte ich geköpft werden, wenn ich einem aufgeblasenem Möchtegern einmal meine Meinung sage?“, erkundigte sie sich bissig, aber leise.

„Oh, eigentlich habe ich nichts dagegen, wenn du fremden Männern sagst, was du denkst, aber bitte nicht ausgerechnet Prinz Tayshi. Der kann es gar nicht leiden, wenn man ihn als arroganten Lackaffen bezeichnet, auch wenn es durchaus zutrifft“, erklärte er lächelnd.

„Er ist der Prinz?“, sie widerstand der Versuchung, sich zu ihm umzudrehen und ihn verblüfft anzustarren.

„Ja. Also tu mir den Gefallen und fall nicht zu sehr auf, und hol vor allem Rubia nicht hervor, wenn du nicht absolut sicher bist, das niemand außer mit in der Nähe ist“, forderte er eindringlich.

„Vielleicht sollte ich sie dann im Zimmer bei unseren Sachen lassen“, überlegte sie.

„Gott bewahre, nein! Es fällt auf, wenn du erst rund wie eine Kugel hier sitzt und dann plötzlich schlank wie ein Windhund daher kommst. Lass sie unter deinen Sachen“, zischte er und Ayra nickte.

„Gut. Ich werde jetzt mit dem Wirt sprechen. Mal sehen, was er uns für einen Fraß vorsetzt“ , meinte Drake, stand auf und ging zur Theke. Ayra schaute ihn noch kurz nach, dann begann sie damit, Rubia zu streicheln, damit sie ruhige blieb. Sie bemerkte erst, dass der junge Prinz zu ihr gekommen war, als er neben ihr stand und sie hochnäsig anblickte.

„Wie heißt du, Mädchen?“, fragte er kalt.

„Ich? Mein Name ist Ayra“, antwortete sie.

„Ist dein Begleiter der Vater deines Kindes?“, fragte er weiter und setzte sich ohne zu fragen. Verwirrt schaute Ayra ihn an.

„Mein Kind?“, wunderte sie sich, dann jedoch begriff sie und nickte schnell.

„Wie heißt er?“, fragte der Prinz weiter.

„Sandava ist sein Name“, antwortete sie. Das hatten sie so abgesprochen, denn Drake war ein typischer Drachenreitername und somit viel zu auffällig.

„Er scheint recht wohlhabend zu sein, warum lässt er dich in Bauernkleidern herumlaufen und trägt selbst die Kleidung eines Kaufmannes?“, nervte er sie weiter.

„Weil ich bis gestern noch bei meinen Eltern gelebt habe. Er war lange unterwegs und da sollte ich ihn nicht begleiten. Wir hatten noch keine Zeit, für mich eine neue Garderobe auszusuchen“, erklärte Ayra, was auch der Wahrheit entsprach, allerdings nicht vollständig. Drake hatte nicht vorgehabt, sie in Samt und Seide zu kleiden, sondern wollte vielmehr für sich selbst die einfachen Kleider eines Bauern anlegen.

Tayshi schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben, fragte allerdings sogleich weiter: „Solltest du dann nicht in einem wohlbehüteten Haus sitzen und am Feuer stricken, statt durch diese Kälte zu reiten? Ich kann mir nicht vorstellen, das diese eisige Winterluft gut für dich ist, oder dein Kind.“

„Winterluft? Bis der Winter kommt, dauert es noch fast einen halben Monat“, bemerkte Ayra.

„Quatsch! Im Herbst kann es nicht schon so kalt sein! Es ist Winter!“, beschloss Tayshi.

„Wenn ihr meint… aber ich glaube nicht, das die kalte Luft schädlich für mich ist“, erklärte Ayra. „Ich hatte zwar noch nie ein Kind, aber den anderen Frauen hat es bisher auch nicht geschadet.“

Das entsprach voll und ganz der Wahrheit, Tayshi musste ja nicht wissen, das es ihr auch so ziemlich egal sein konnte. Endlich kam Drake zurück. Unterwürdig deutete es Tayshi gegenüber eine Verbeugung an, ignorierte den Prinzen dann aber.

„Was hast du so lange mit dem Wirt besprochen?“, wollte Ayra sogleich wissen.

Eigentlich interessierte es sie gar nicht, aber es bot eine willkommene Gelegenheit, das Thema zu wechseln.

„Ich habe ihn gefragt, welche Wege in die Stadt Rhoda führen, ohne das man von Wegelagerern den Hals aufgeschlitzt bekommt, oder man von dem Drachenfeuer der Rebellen verkohlt wird“, antwortete Drake.

„Auch ihr seid auf dem Weg nach Rhoda?“, fragte Tayshi dazwischen.

„Ja, Sire. Von Rhoda aus wollen wir weiter nach Osten in die Stadt Wustei. Dort habe ich bekannte, bei denen wollen wir eine Zeit bleiben. Wahrscheinlich bis der Winter vorbei ist“, erklärte der blonde junge Mann.

„Oder bis euer Kind geboren ist, stimmt’s?“, fragte der Prinz.

Falls Drake über diese Bemerkung in irgendeiner weise verwandert war, so ließ er es sich nicht anmerken. Er nickte.

„Ja, vielleicht auch schon dann“, antwortete er. Tayshi antwortete nicht, doch schien ihn dann etwas an Drakes Worten zu irritieren, denn er runzelte nachdenklich die Stirn.

„Woher wollt ihr wissen, dass die Rebellen Drachen haben? Nur das alte Volk der Drachenreiter hat Drachen und die Rebellen gehören sicher nicht dazu“, meinte er herablassend.

Drake spielte den Verwirrten.

„Dann war es wohl kein Drache, den ich vor einigen Tagen bei dem Dorf Mischka sah?“, wunderte er sich.

Ayra starrte ihn entsetzt an. Warum zum Teufel führte Drake den Prinzen zu ihrem Dorf?! Was, wenn Lif zurückkehrte und der Prinz ihn in die Hände bekam?! Tayshi schien ihr Entsetzen jedoch falsch zu verstehen.

„Macht euch keine Sorgen, Mylady, ich werde den Drachen schon zur Strecke bringen“, meinte er und kehrte mit einem Lachen, so gemein, wie Ayra es noch nie zuvor gehört hatte, zu seinen Leuten zurück.

Gerade, als sie Drake ankeifen wollte, das ihm denn einfiele, brachte der Wirt zwei Schüsseln voll Wassersuppe. Wütend darüber, das sie ihn nicht angiften konnte, begann sie damit, die Suppe zu löffeln. Doch der Geruch ließ nicht nur ihren Hunger erwachen, sondern auch ihr Drachenbaby, das sich unter ihrem Kleid bewegte. Rubia wollte offensichtlich etwas abhaben.

Möglichst unauffällig machte sie Drake darauf aufmerksam. Der verstand und schien sich schon etwas für diesen Fall ausgedacht zu haben.

„Wenn es dir schlecht geht, solltest du dich vielleicht in unserem Zimmer für eine Weile hinlegen, Liebling“, führte er eine Unterhaltung weiter, die es nie gegeben hatte.

„Ja, vielleicht hast du recht“, antwortete sie.

Ayra ließ sich umständlich von Drake hoch helfen, zur Treppe führen und hinauf geleiten. Er brachte sie schnell in das Zimmer, welches der Wirt ihm zugewiesen hatte, und sofort zog Ayra Rubia unter ihren Sachen hervor.

„Das war knapp. Wenn Tayshi sie gesehen hätte, hätte er uns gejagt“, atmete Drake auf.

„Zu knapp für meinen Geschmack“, fand sie.

„Ich hole für euch beide etwas zu essen, warte kurz“, sagte Drake und ging wieder.

Ayra setzte Rubia vor sich aufs Bett und hockte sich hin.

„Das war knapp, meine kleine. Nächstes mal beherrschst du dich bitte, okay?“, erkundigte sie sich bei den Baby, das sie neugierig anschaute und dann den Mund aufsperrte. Ayra lachte. Dann hörte sie Schritte auf dem Gang. Sie versteckte die Drachin unter der Decke und legte sich zu ihr, doch es war nur Drake. Er kam mit einer Schüssel Suppe und einer Platte voll Fleisch, Käse und Brot herein.

Die Suppe setzte er Ayra vor und das Fleisch Rubia. Das Brot und den Käse steckte er Wortlos in seinen Rucksack.

„Morgen in aller frühe brechen wir auf“, bemerkte er.

„Sag mal, warum hast du den Prinzen zu meinem Dorf geschickt?“, wollte Ayra wissen. „Wenn Lif zurückkommt, dann läuft er seinem größten Feind doch direkt in die Arme!“

„Nein, das wird er nicht. Marlin wird schon dafür sorgen. Er wird Lif bescheid sagen, das er verschwinden soll, sobald er wieder in deinem Heimatdorf vorbei kommt“, erklärte Drake. „So und nun werde ich für eine Weile verschwinden. Onyxa hat auch Hunger und muss auf Jagd, aber er kann es nicht, wenn ich ihn nicht begleite. Du bleibst besser hier und pass ja auf, das keiner Rubia sieht. Sonst könnte das unser Ende sein, verstanden Ayra?“, wollte er wissen. Ayra nickte und Drake ging.

Eine ganze Weile saß sie noch so auf dem Boden, dann ging sie zu ihrem Bett, nahm Rubia auf den Schoß und langweilte sich. Nach einer Ewigkeit, wie es ihr schien, ging die Tür auf. Doch nicht Drake kam herein, wie Ayra erwartet hatte, sondern Prinz Tayshi.

Es war schwer zu sagen, wer fassungsloser war. Ayra starrte ihn an, weiß wie die sprichwörtliche Wand und der Prinz starrte den Drachen an, dabei schienen seine Augen schier hervor zu quellen.

„Ein Drache…“, flüsterte er leise und seltsam ruhig.

Ayra starrte noch einige Sekunden, dann sprang sie auf, Rubia fest an sich gedrückt. Tayshi holte tief luft.

„Leute! Ein Drache ist hier oben!“, rief er so laut er nur konnte.

Ayra reagierte darauf, indem sie auf Tayshi zustürzte, mitten im laufen den Rucksack mit den beiden verbliebenen Dracheneiern schnappte, und den Prinzen grob beiseite stieß und nach unten flüchtete.

Entgegen kamen ihr alle Männer des Prinzen, doch Ayra schlängelte sich Katzengleich zwischen ihnen durch und sprang die Treppe mit einem Satz hinab. Dann flüchtete sie durch die Tür nach draußen. Tayshis Männer und der Prinz selbst folgten dem Mädchen und kamen langsam aber unaufhaltsam näher. Ayra nahm die Straße zum Wald. So schnell sie konnte hetzte sie den Weg entlang. Doch ihre Verfolger holten dennoch weiter und unbarmherzig auf.

Doch dann, plötzlich, senkte sich ein Schatten über sie. Als sie hinaufsah, erblickte sie Onyxas schwarze Schuppe. Der Drache ging immer weiter zu Boden, dann rannte er neben Ayra her. Drake ergriff sie und zog sie mit auf den Rücken seines Drachen.

Dann stieß sich Onyxa sich kraftvoll ab und arbeitete sich mit ein paar kräftigen Flügelschlägen nach oben. Drake hatte bisher noch kein Wort gesagt, doch Ayra sah die maßlose Erleichterung in den eisblauen Augen, als er sich nach seinen Verfolgern umblickte. Er drehte den Oberkörper so weit er konnte und musterte sie besorgt.

„Ist dir etwas passiert?“, fragte er und nahm Ayra das Drachenbaby und den Rucksack ab, damit sie sich an den Schuppen festklammern konnte. Er untersuchte Rubia schnell und gründlich, schaute dann einmal kurz in den Rucksack.

„Gut, alles in Ordnung. Was ist nun Ayra, alles klar?“, erkundigte er sich abermals und sie nickte.

„Ja, mit geht es gut.“

„Gut, dann kannst du mir ja erklären, was geschehen ist“, forderte er sie auf, während er Rubia so in ihre Arme schob, das der Drache nicht Gefahr lief, abzustürzen, Ayra sich aber weiterhin festhalten konnte. Den Rucksack behielt er bei sich.

„Er ist plötzlich ins Zimmer gekommen, als ich mich mir Rubia beschäftigt habe“, berichtete sie sehr knapp.

„Ich hätte mein Gefühl vertrauen sollen, ich habe geahnt, das so etwas geschehen würde“, seufzte Drake, doch Ayra hörte ihm nicht zu. Sie hatte es gewagt, sich weiter vorzulehnen und betrachtete nun mit großen Augen und einer Mischung aus an Panik grenzender Angst und wilder, unbändiger Freude die weite Landschaft unter ihr, die noch kleiner zu werden schien, auch wenn es ihr unglaublich erschien. Die Wiesen, Felder und Wälder waren jetzt schon nur noch als bunte Farbflecken zu erkennen.

„Das ist ja…“, sie sprach nicht zu ende, denn ihr fehlten einfach die Worte um das zu beschreiben, was sie sah.

Drake lächelte ein wenig über ihr Staunen. Er wusste noch, wie begeistert er gewesen war, als er das erste mal auf einem Drachen geflogen war, doch jetzt war es für ihn Alltag und so verstand er den Zauber und die Freude, die diese Aussicht in dem jungen Mädchen auslöste, einfach nicht mehr. Und dennoch genoss er den Flug auf Onyxas Rücken in vollen Zügen, den auch wenn er ihr Staunen nur belächelte und nicht verstand, so liebte er dennoch nach wie vor das Gefühl, ohne Sicherung und ganz auf den Drachen unter sich vertrauend, den Wind und die feie Unendlichkeit um sich herum zu spüren.

Wiedersehen und ein ungeliebter Wegbegleiter

„Glaubst du nicht, dass wir sie langsam abgehängt haben, Drake?“, wollte Ayra missmutig wissen. Sie zitterte schon eine ganze Weile vor sich hin und auch Rubia, die wieder unter ihren Kleidern steckte, vermochte nicht, sie warm zu halten.

„Tayshi ist sehr anhänglich. Ich denke, wir sollten noch ein Stück laufen, dann können wir rasten“, antwortete er.

„Können wir nicht wieder fliegen? Dann sind wir viel schneller und haben ihn in kürzeste Zeit abgehängt. Und spuren ihm Schnee hinterlassen wir auch keine“, bettelte sie, und wie, als wolle das Schicksaal ihr recht geben, versank sie mit einem mal bis zur Taille im kalten Weiß.

Nachdenklich schaute er ihr zu, wie sie sich wieder aus dem Loch hervor arbeitete, dann nickte er aber.

„Du hast recht, so kommen wir nicht schnell genug voran“, nickte er.

„Sag ich doch“, brummte sie missmutig, den ihre Kleider waren nun zum allen Überfluss auch noch pitschnass und ein kalter Wind, der mit einem mal auffrischte, tat sein übriges um sie noch schlimmer zittern zu lassen.

Lautlos senkte sich Onyxa herab, wie als hätte er nur darauf gewartet, das Drake ihn runter bat. Die beiden kletterten schnell auf den schwarz geschuppten Rücken und der Drache flog sogleich los.

Nachdem Ayra etwa zehn Minuten zeit hatte, ihren Vorschlag tierisch zu bereuen, den hier oben wehte der Wind noch kälter und erbarmungsloser, fuhr mit einem mal eine Feuersäule auf und drohte, sie zu verschlingen. Erschrocken klammerte sich Ayra an Drake, der jedoch lachte freudig auf, so angst einflößend der Augenblick auch war.

Drake lachte und ließ Onyxa ebenfalls eine Feuersäule speien, dann ging es in einem rasanten Sturzflug hinab.

„Was freut dich den so?“, quiekte Ayra hinter ihm erschrocken auf.

Drake antwortete ihr nicht, auch nicht, nachdem sie ihre Frage abermals und mit mehr Nachdruck gestellt hatte. Dann landete der schwarze Drache und der junge Mann schaute sich suchend um, während er und Ayra zu Boden sprangen. Letzterer fiel sofort auf, dass der Boden übersäht war von Fußspuren und klauenbewehrten Prankenabdrücken, doch bevor sie sich weiter ausmalen konnte, wer oder was diese Spuren fabriziert haben mochte, trat ein Drache aus dem Wald hervor.

Seine Schuppen schimmerten Smaragdfarben und die wachsamen Augen waren Jadegrün. Doch Ayra interessierte mehr, wer dort auf den geschuppten Rücken des Drachen saß. Drake stürzte zu Smarada und empfing den jungen Mann mit gelbblondem Haar, der von seinem Rücken zu Boden glitt.

„Lif! Ich hätte nicht gedacht, das ich dich hier treffen würde!“, rief er aus.

Lif erwiderte den Ausruf mit einem breiten Grinsen: „Beruht auf Gegenseitigkeit. Ich dachte, Smarada hätte sich geirrt, als er sagte, das Onyxa über den Himmel fliegt.“

Ayra indes kam langsam näher und musste sich arg zusammen nehmen, um nicht einfach Rubia fallen zu lassen und Lif um den Hals zu fallen. Der legte nachdenklich den Kopf zur Seite und blickte fragend in ihre Richtung.

„Wer ist das?“, wollte er von Drake wissen.

Mir nichts hätte er das junge Mädchen mehr verletzen können. Sie kannten sich zwar noch nicht lange, aber dass er sie so schnell vergessen würde, hätte sie nicht gedacht. Enttäuscht blieb sie stehen.

„Du hast mich schon vergessen?“, fragte sie traurig.

„Dich? Vergessen? Nein, gewiss nicht Ayra! Wie kommst du auf diese Idee?“, fragte er und lächelte sie freudig an.

„Weil du Drake gefragt hast, wer ich sei“, antwortete sie und war erstaunt, dass er sie nun doch so schnell wieder erkannt hatte.

„Natürlich, du hast ja vorher kein Wort gesagt und deine Stimme ist das einzige, woran ich dich erkennen kann“, erklärte er und lächelte milde.

„Sind deine Augen noch schlechter geworden?“, mischte sich Drake besorgt ein.

„Ja. Ich kann nur noch hell und dunkel unterscheiden“, antwortete Lif und war mit einem mal todernst. „Für mich bist du bloß ein dunkler Schatten vor hellem Schnee, Ayra.“

Sie antwortete nicht, kam aber noch ein wenig näher.

„Erzähl Lif, was ist geschehen, seitdem wir uns das letzte mal getroffen haben?“, erkundigte sich Drake, doch der junge Mann verneinte entschieden.

„Warum bist du hier, Ayra, was ist geschehen, nachdem ich gegangen bin?“, fragte er stattdessen seinerseits.

„Das ist schnell erzählt. Lera und ich gingen jeden Tag hoch, weil wir gehofft hatten, dass du doch wieder kommst, aber den einen morgen hat Gora uns beide zu Dura geschickt. Damit wir mal wieder einen freien Tag hatten. Dort trafen wir auf Drake, und als ich dann an diesen Abend noch einmal hoch in die Berge ging, da traf ich ihn wieder, gemeinsam mit Dura. Sie erzählten mir von den Dracheneiern und baten mich, ihnen bei der Suche zu helfen und als ich weiter hinaufging, da fand ich sie in der Höhle. Dort bekam ich dann Rubia“, berichtete sie knapp.

„Rubia?“, fragte Lif erstaunt.

„Ihr Drache. Aus dem Rubinei ist eine Drachin geschlüpft und Ayra hatte das Ei in der Hand. Rubia und Ayra gehören nun auch zu den Drachenreitern. Ich wollte sie ins Dorf bringen, damit sie dort lernt, was sie lernen muss“, mischte sich Drake ein. „Aber nun erzähl du uns, was ist geschehen?“

„Oh, das meiste weißt du. Ich ging in die Hauptstadt und beobachtete das Schloss um einen geeigneten Moment abzuwarten. Er kam und ich holte die Eier, allerdings wurden wir von einer Wache überrascht. Wir konnten gerade so fliegen, aber sie verfolgten uns. Wir flohen nach Norden und trafen irgendwann auf Ayra. Wir blieben ein paar Tage dort und zogen dann weiter, wieder nach Süden, und das war es auch schon“, berichtete Lif knapp.

„Wieso warst du in Mischka?“, wollte Drake weiter wissen.

„Ich höre Gerüchte, das Vater dort sei, aber er schien es nicht mehr gewesen sein, als ich ankam“, antwortete Lif und taste sich unbeholfen nach hinten. Smarada schob seinen Kopf in den Rücken des jungen Mannes und führte ihn.

„Er war da, aber unter einem anderen Namen“, antwortete Drake und kletterte auf Onyxas Rücken. Ayra schaute ihn verwundert an und auch Lif schaute abwartend in seine Richtung.

„Er nennt sich Dura und er lebt als Geschichtenerzähler in jenem Dorf“, sprach Drake weiter.

„Dura? Lifs Vater?“, verblüfft schaute Ayra ihn an und der junge Mann nickte. Doch sie schüttelte entschieden den Kopf. „Dura hat keine Kinder.“

„Wie du siehst doch. Sogar zwei“, antwortete Lif lächelnd und kletterte auf Smaradas Rücken.

„Zwei?“, fragte sie erstaunt.

„Ja. Drake und ich sind Brüder und Dura, oder Marlin, den so heißt er wirklich, ist unser Vater“, erklärte er lächelnd und streckte die Hand in die Richtung, in die er Ayra vermutete, um ihr auf den Rücken seines Drachen zu helfen.

„Dura hat…“, abermals schüttelte sie verwundert den Kopf, griff dann aber nach der Hand des jungen Mannes und ließ sich von ihm auf den Smaragdfarbenen Rücken ziehen.

„Er hat nie von uns erzählt? Natürlich nicht, wir sind Rebellen, ebenso wie er auch. Und wir sind Drachenreiter, es hätte ihn den Kopf gekostet und euer Dorf hätte gewiss auch keiner verschont. Glaube mir, es war besser so“, antwortete Drake und lachte freudlos, während sich die beiden Drachen in Bewegung setzten.

„Erzählt mir bitte, was tun die Rebellen eigentlich?“, fragte Ayra und hielt sich an Lif fest.

„Wir versuchen, das Herrscherhaus zu stürzen“, antwortete Drake.

„Ja, schon, aber warum?“, fragte sie und schüttelte missmutig den Kopf. Sie verstand es einfach nicht.

„Der König und sein Sohn jagen uns. Sie töten die Drachen und die Drachenreiter und hängen ihre Köpfe als Trophäen aus, um zu zeigen, wie mächtig sie sind. Kein Drache der Welt würde einem anderen Wesen etwas zuleide tun, wenn es sich irgendwie umgehen lässt, aber der König tut es. Es macht ihm spaß, er tötet aus Freude an der Sache. Außerdem stiehlt er uns die Eier und sperrt sie in einen eiskalten Raum. Dort können sie nicht nur nicht schlüpfen, sondern die Drachen erfrieren, noch bevor sie geschlüpft sind. Er rottet die Drachen aus, einfach nur, weil er gerade nichts Besseres zu tun hat. Und wir versuchen zu verhindern, dass es in ein paar Jahrzehnten keine Drachen mehr gibt“, erklärte Lif mit einer härte in der Stimme, die Ayra im ersten Moment erschreckte. Doch nachdem sie seine Worte bewusst aufgenommen hatte, da verstand sie, was er meinte.

„Wir wollen sie nicht töten, Ayra, wir wollen bloß, das sie ihre Macht verlieren, und damit die Möglichkeit, uns auszurotten“, fügte Drake hinzu. Ayra dachte einen Moment lang nach.

„Habe ich, nachdem ich das weiß, wie Wahl, euch nicht zu helfen?“, erkundigte sie sich.

„Natürlich. Du würdest sowieso nie zu ihnen gehen, um uns zu verraten, es wäre dein Tod. Ansonsten stehen dir alle Wege offen, aber bedenke: Auf allen Wegen werden dir auch Drachen begegnen. Ihretwegen“, Drake deutete auf Rubia, die interessiert die Schuppen Smaradas begutachtete.

Ayra nickte wissend: „Das habe ich auch mittlerweile gemerkt.“

„Oh, pass erst einmal auf, bis du in der nähe unseres Dorfes bist. Bisher kennst du bloß Smarada, Onyxa und deine kleine Dame, aber dort hat fast jeder einen Drachen! Es sind so unheimlich viele, es ist unsere letzte Bastion. Er hat sie bloß noch nicht entdecken können, weil das Dorf sehr gut versteckt liegt und wohl nur auf dem Rücken eines Drachen zu erreichen ist“, erklärte Lif und er lächelte ihr zu.

„Wieso verschwindet ihr nicht einfach von hier? Auch der König herrscht nicht überall. Ihr könntet gehen, vielleicht findet ihr noch irgendwo andere Drachen. Und selbst wenn nicht, irgendwo wird man euch akzeptieren“, Ayra wusste nicht, wieso, aber der Gedanke an einen Krieg machte sie fast krank, selbst wenn sie nicht unmittelbar daran beteiligt sein musste.

Drake und Lif hätten jetzt wohl einen viel sagenden Blick getauscht, wenn Lif denn gesehen hätte, wo sich sein Bruder befand, so jedoch herrschte ein kurzes, einvernehmliches Schweigen, das auf seine eigene art und weise so unendlich viel mehr zu sagen schien, als es Worte zu tun vermochten.

„Ayra, meinst du, das hätten wir nicht schon versucht?“, fragte Lif sanft und wirkte irgendwie verträumt. Ayra antwortete nicht, sonder wartete ab, das er von sich aus weiter sprach.

„Nicht nur wir, schon seid Jahren, Jahrhunderten gibt es immer und immer wieder heißblütige Jungsporne, die in die Welt hinaus ziehen um einen besseren Ort zu finden“, sprach stattdessen Drake weiter, „die wenigsten sind jemals wieder gekehrt. Und sie sind gewiss nicht fortgeblieben, weil sie das Paradies gefunden haben.“

„Aber vielleicht konnten sie nur einfach nicht zurück? Wieso seid ihr euch so sicher, das sie Tod sind“, Ayra schüttelte empört den Kopf.

Lif vor ihr seufzte tief. „Ayra, es bringt nichts, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Ich möchte jetzt nicht näher darauf eingehen, aber irgendwann werde ich dir einmal mehr von uns erzählen, und dann wirst du verstehen, was wir meinen.“

Ayra schwieg nachdenklich, nickte dann aber, während sie Rubia davon abhielt, die Schuppen Smaradas auseinander ziehen zu wollen. Während sie nachdenklich die smaragdenen Schuppen des Drachen betrachtete, fiel ihr die Kette wieder ein.

„Ich habe noch etwas von dir“, sagte sie und streifte sie über.

„Was denn?“, erkundigte sich Lif neugierig, doch da legte sie ihm schon die Kette um. Erstaunt griff er nach ihr und lächelte sie dann an. „Danke.“

„Sie gehört ja eigentlich dir“, winkte Ayra ab und rutschte unruhig auf den schuppigen Rücken hin und her. Sie wusste nicht wieso, aber sie hatte kein gutes Gefühl, irgendetwas machte sie nervös, und ihrem Drachen schien es nicht anders zu gehen. Rubia schaute plötzlich mit blitzenden Augen ins Unterholz. Unter ihr brummte Smarada und Ayra erschrak sich so sehr, das sie fast von seinem Rücken gerutscht wäre.

„Was war das?“, fragte sie sogleich, während Lif wissend nickte.

„Smarada hat etwas gesagt“, erklärte Drake unruhig. Auch er schaute sich um, die nervösität ins Gesicht geschrieben.

„Rechts“, erklärte dagegen Lif, den was die anderen beiden mit den Augen noch nicht erfassen konnten, das hatte er mit den Ohren schon ausfindig gemacht.

„Angriff oder Flucht?“, Drake sprach nur noch sehr leise und Onyxa war sehr nahe an Smarada herangetreten. Die Drachen indes waren stehen geblieben und spannten sich merklich.

„Flucht. Mit Ayra und Rubia können wir einen Kampf nicht wagen“, antwortete Lif sogleich, rutschte dabei jedoch gekonnt vom Rücken seines Drachen.

„Wo willst du hin?“, fragte Ayra, die sich, so ganz allein auf dem Rücken eines fremden Drachen, alles andere als Sicher fühlte. Ihre Frage wurde jedoch gründlich übergangen.

„Ihr verschwindet von hier über den Luftweg. Wir treffen uns acht Kilometer weiter Westlich“, beschied Lif stattdessen. Sogleich wollte Ayra auf den Rücken des schwarzen Drachen überwechseln, doch Drake schüttelte entschieden den Kopf.

„Pass auf, dass du Rubia nicht fallen lässt“, sagte er stattdessen und bevor Ayra noch etwas antworten konnte, hatten sich die Drachen auch schon in die Luft erhoben. Doch ganz im Gegensatz zu ihrem ersten Flug konnte Ayra diesem so gar nichts Positives abgewinnen. Sie hatte nicht vergessen, das Dura erzählt hatte, dass Drachen nicht gerne von Fremden berührt wurden und auch nicht, das Drake ihr erklärt hatte, dass sich ein Mensch nicht weit von seinem Drachen entfernen konnte.

Sie verstand nicht, was das ganze sollte. Doch selbst wenn sie nicht vollauf damit beschäftigt gewesen wäre, Rubia festzuhalten, und sich selbst irgendwo in die Schuppen zu krallen, wäre eine Unterhaltung richtiggehend unmöglich gewesen, denn die beiden Wesen flogen so schnell, das außer dem Rauschen des Windes kein Geräusch mehr an ihr Ohr drang.

So verblieben sie in stille, bis sie nach erstaunlich kurzer Zeit auf einem Felsplateau landeten. Smarada nahm hier ganz eindeutig die Führung ein. Doch kaum hatten seine Klauen den Stein berührt, da rutschte sie schon von seinem Rücken und lief ein paar Schritte weiter weg, bevor sie sich zu Drake umwandte.

„Warum ist er zurückgeblieben?“, fragte sie heftig.

„Weil es besser so ist“, antwortete er und war mit einem Satz ebenfalls neben seinem Drachen.

„Wieso?“, fragte sie heftig.

„Wenn es die sind, die uns verfolgen, dann werden sie uns in frieden lassen und versuchen, die größere Beute zu fangen.“

Ayra starrte ihn fassungslos an. „Dann hätte er erst recht mitkommen müssen, allein werden sie ihn…“

Drake schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab.

„Ayra, wir machen das nicht zum ersten mal, wir wissen beide, was wir tun. Sie werden ihn jagen, ja, aber sie werden ihn niemals bekommen. Und wenn er mit uns geflogen wäre, dann hätten sie uns alle verfolgt, dann hätten wir sie ewig am Hals gehabt. Alleine kann er sie leicht abhängen und dann zu uns aufschließen“, erklärte er sanft, doch das Mädchen schüttelte noch entrüsteter den Kopf.

„Aber wir waren so schnell, wir fliegen, wie sollten sie uns den jemals einholen?“, fragte sie. Es ergab für sie einfach keinen Sinn. Doch Drake schüttelte entschieden den Kopf.

„Sie hätten uns trotzdem bekommen. Sie können vielleicht nicht fliegen, aber sie haben Pferde, die so schnell sind wie der Wind. Sie hätten uns eingeholt.“

Ayra holte tief Luft, denn es gab noch so unendlich viele Einwände, die sie gegen dieses Vorgehen vorbringen konnte, doch Drake winkte entschieden ab.

„Du kennst den Feind nicht, wir schon“, beschied er. Doch von einer Sache ließ sie sich nicht abbringen.

„Er hätte Smarada da behalten sollen“, fand sie.

„Dann hättest aber auch du da bleiben müssen und du hättest Lif nur behindert. Lass ihn machen, er weiß, was er tut.“

„Aber wieso…“

„Du hättest da bleiben müssen?“, Drake schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und Ayra nickte langsam.

„Weil Onyxa es nicht ausstehen kann, wenn jemand Fremdes ihn berührt, oder gar auf ihn reitet. Er hat es gleich zweimal geduldet, das ist mehr, als ich jemals von ihm verlangen könnte. Smarada hat da weniger Berührungsängste. Smarada ist jünger und er hat nicht die Erfahrungen von Onyxa, ihn macht es nicht so viel aus, und das Lif einen Narren an dir gefressen hat tut ein Übriges“, Drake setzte sich in eine windgeschützte Ecke und deutete dem Mädchen, zu ihm zu kommen. Sie tat es nur zögernd und erst, nachdem sie die beiden Drachen nachdenklich angeschaut hatte. Sie setzte sich neben ihn hin und die beiden Drachen legten sich so um sie herum, dass es fast windstill wurde.

„Wieso fliegt Smarada nicht zu ihm?“, fragte sie traurig und drückte Rubia eng an sich.

„Oh, ich weiß nicht. Vielleicht würde er Lif im Moment damit keinen Gefallen tun. Aber er wird bei ihm sein, wenn es nötig ist, darauf kannst du dich verlassen. Ein Drache ist immer bei seinem Menschen, wenn es nötig ist“, antwortete Drake und streckte sich auf den steinigen Boden aus.

Ayra schaute ihn nachdenklich an, seufzte dann und drückte ihren Drachen eng an sich. Sie verstand beim besten willen nicht, wieso sich Drake so gar keine Sorgen um seinen Bruder zu machen schien. Nach einiger Zeit, die dem Mädchen wie Stunden vorkamen, in Wahrheit aber vielleicht eine halbe Stunde war, erhob sich Smarada und flog davon.

Drake schaute nicht einmal auf und Ayra wusste, das es keinen Sinn hatte, etwas zu sagen. Er war offensichtlich sowieso genervt von ihr, und sie wollte es nicht übertreiben. Es verging eine lange Zeit, die selbst Drake langsam nervös werden ließ, bis sie am Himmel die Gestalt des Drachen ausfindig machen konnten. Es dauerte nicht mehr lange, dann landete der grüne Drache und Lif sprang unversehrt von seinem Rücken. Allerdings wirkte er alles andere als glücklich.

„Wir haben ein Problem“, erklärte er kurz angebunden.

„Welches?“, fragte Drake sofort alarmiert. Doch Lif musste nicht mehr antworten. Eine Gestalt hatte sich auf dem Rücken Smaradas aufgerichtet und schaute missmutig und auch ein wenig böse zu ihnen hinab. Ayra schrie leise auf und machte unwillkürlich zwei Schritte zurück, während Drake ungläubig sogar noch ein wenig näher heran trat.

„Er hat sich an Smaradas Schwanz gehängt, ich konnte ihn nicht einfach abstürzen lassen. Ich bin kein Mörder, Drake“, verteidigte sich Lif sogleich und hatte ein verzweifeltes lächeln auf den Lippen.

„LIF!“, brüllte Drake, schüttelte unwillig den Kopf und gestikulierte sinnlos vor einem Bruder herum.

„Ja, ich weiß, aber ich kann wirklich nichts dafür! Sieh es so, immerhin haben wir jetzt eine Geisel“, versuchte der die ganze Sache positiv zu sehen, doch Drake sank verzweifelt zu Boden.

„Schon, aber musste es den aus gerechnet der PRINZ sein?“

Noch mehr Schwierigkeiten

„Ihr kriegt richtig Ärger“, Tayshi schaute selbstgefällig in die Runde.

„Den haben wir auch so“, knurrte Drake und blitzte Lif böse an.

„Wir können ihn nicht gehen lassen, aber wir können ihn unmöglich mitnehmen“, der ignorierte den Prinzen vollkommen.

„Und töten kommt auch nicht in Frage“, Drake stand seufzend auf und begann unruhig auf und ab zu laufen, „immerhin sind wir Rebellen und keine Mörder.“

„Und wenn wir ihn einfach hier lassen? Früher oder später wird ihn gewiss einer finden“, überlegte Ayra, doch Lif schüttelte sanft den Kopf.

„Ich habe nicht gleich gemerkt, dass er an Smaradas Schwanz hing und Dinge gesagt, bei denen es uns sehr, sehr Leid tun würde, ließen wir ihn gehen“, erklärte er und ließ sich hinterrücks auf den Boden fallen.

„Und wenn wir ihn mitnehmen, dann sieht er das Drachendorf, wenn er uns irgendwie entkommen kann, dann wird es auch diese letzte Bastion nicht mehr lange geben“, erklärte Drake.

„Wir könnten ihn die Zunge herausschneiden, dann kann er das gehörte nicht mehr weiter erzählen“, Lif schaute nachdenklich in die Richtung, in die er den Prinzen vermutete, allerdings saß der etwas einen halben Meter zu weit rechts. Tayshi wurde trotzdem blass.

„Er ist ein Prinz, er wird schreiben können“, antwortete Drake und seufzte tief. Er setzte sich wieder zwischen Ayra und den jungen dunkelhaarigen Mann.

„Reicht es nicht, wenn wir ihn einfach nur lange genug festhalten?“, Ayra schaute hoffnungsvoll von einem zum anderen.

„Nein. Leider ist er nun eine dauerhafte Bedrohung“, Lif schüttelte verzweifelt den Kopf und vergrub dann das Gesicht in seinen Armen. „Wie konnte nur ausgerechnet mir so etwas passieren?“

„Wer setzt auch schon einen Blinden als Rebellenführer ein. Noch dazu, wenn er eigentlich noch ein Kind ist?“, erkundigte sich Tayshi abfällig, was ihn wütenden Blicke von Arya und Drake einbrachte.

„Die Idee, seine Zunge raus zuschneiden wird mir mit einem mal sehr Sympathisch, dann hält er wenigstens die Klappe“, knurrte letzterer, schüttelte dann aber entschieden den Kopf und blickte vorwurfsvoll zu Smarada.

„Smarada hätte ja auch mal ein Ton sagen können, statt dich so ins Messer laufen zu lassen“, bemerkte er.

„Hat er, nur etwa eine Sekunde zu spät. Ihn trifft keine Schuld, das ist alles nur mein verdienst“, antwortete Lif. Dann hob er den Kopf und schaute dorthin, wo Rubia vor ihm saß und ihn fragend anblickte. Langsam und zögernd begann er, sie zu streicheln.

„Mach dich nicht selbst fertig, das führt zu nichts. Wenn du jetzt in Selbstmitleid vergehst, dann hilft das niemandem. Lass uns erst einmal weiterfliegen, mich macht es nervös, so lange an einem Ort zu bleiben“, meinte Drake und legte seine Hand auf Onyxas Rücken.

„Geht nicht, Smarada kann nicht uns drei tragen und ich kann Ayra nicht mit unserem Hochwohlgeborenem allein lassen“, antwortete Lif.

Onyxa brummte Drake leise etwas zu. Der schaute ihn erstaunt an, nickte dann aber.

„Er wird auf Onyxa mitfliegen, er hat nichts dagegen“, erklärte er. Lif runzelte zwar fragend die Stirn, sagte aber nichts. Stattdessen stand er auf, während Smarada zu ihm trat. Auch Ayra erhob sich und hob Rubia auf.

„Wohin?“, fragte Drake, während er Tayshis fesseln löste und ihn unsanft auf Onyxas Rücken komplimentierte.

„Zu Tex, da können wir ein paar Tage bleiben“, antwortete Lif und kletterte geschickt auf den Drachenrücken. Ayra reichte ihm Rubia hinauf, kletterte dann hinterher. Kaum war sie in Position gerutscht, da stieß sich Smarada auch schon kraftvoll ab, flog jedoch nicht gleich los, sondern drehte seine Kreise über der Ebene, bis Onyxa ebenfalls los geflogen war und so hoch am Himmel stand, das sich der junge Prinz irgendetwas gebrochen hätte, wäre er vom schwarzen Rücken geglitten. Dann jedoch übernahm der Grüne die Führung.

„Wer ist Tex?“, erkundigte sich Ayra nahe an seinem Ohr.

„Ein Mann aus unserem Dorf. Er gehört ebenfalls zu den Rebellen und ist ein guter Freund von Drake und mir“, erklärte Lif schnell über die Schulter.

Ayra überlegte, ob sie noch etwas fragen sollte, ließ es dann aber bleiben. Sie hatte sowieso schon immer das Gefühl, die beiden jungen Männer zu nerven, da wollte sie es nicht übertreiben. Zumal sie wohl sowieso vieles die nächste Zeit noch lernen würde.

Sie waren eine lange Zeit unterwegs, bis Smarada und Onyxa endlich in den Sinkflug gingen. Sie landeten in der Nähe einer kleinen Hütte inmitten eines Waldes. Auch diesmal blieb Smarada so lange in der Luft, bis der Prinz keine Chance zum entkommen hatte und landete erst dann selbst.

Kaum standen sie alle auf dem Boden, da trat Drake, der Tayshi grob am Arm gepackt hielt, schon an die Tür und klopfte.

„Er ist nicht da“, erklärte Lif nur einen Augenblick später und folgte dem Bruder unsicher. Im Gegensatz zu dem blieb er jedoch nicht stehen, sondern trat gleich ein. Drake schubste Tayshi hinterher und folgte dann, ebenso wie Ayra, die einen fragenden Blick auf die Drachen warf, dann aber bloß die Schulter zuckte. Rubia folgte ihr.

„Meint ihr, es ist ihm recht, das wir einfach so hereinkommen?“, erkundigte sie sich zögernd.

„Ja. Es ist nicht das erste mal, das wir uns bei Tex verkriechen und es wird auch nicht das letzte mal sein“, antwortete Drake und entzündete eine Kerze.

Über Tayshi schien er sich keine Gedanken mehr zu machen, doch bevor Ayra sich auch nur darüber wundern konnte, wandte Drake sich auch schon den jungen Prinzen zu. „An Flucht brauchst du übrigens gar nicht erst denken. Die Drachen bleiben vor der Tür und das ist der einzige Ausgang, den du nutzen kannst. Wenn du versuchst, auch nur einen nicht genehmigten Schritt zu tun, dann werden sie dich in der Luft zerreißen.“

„Das habe ich mir fast gedacht. Und was tun wir jetzt hier? Warten, bis sie uns finden und wir euch endlich den gar aus machen können?“, erkundigte er sich hochnäsig und ließ sich auf ein Sofa fallen, das mitten im Raum stand.

„Nein. Warten, bis wir jemanden gefunden haben, der freiwillig auf dich aufpasst“, antwortete Drake bissig.

„Ist euch eigentlich nicht klar, dass ihr euch nur tiefer hineinreitet?“, erkundigte sich der Prinz und beäugte Rubia misstrauisch, die sich vor seine Füße gesetzt hatte.

„Geht das überhaupt noch?“, erkundigte sich Lif und setzte sich mit einem breiten grinsen neben den Prinzen. Der rutschte demonstrativ ein paar Meter zur Seite. Diesen Platz jedoch nutzte sogleich Rubia und kletterte ebenfalls auf das Sofa, setzte sich demonstrativ zwischen die beiden Männer.

„Verschwinden wir ins Dorf, sobald wir ihn los sind?“ Ayra deutete auf den Prinzen und setzte sich dann auf das Wildschweinfell vor dem Kamin.

„Ja. Du hast eine Menge zu lernen“, nickte Lif, während Drake sich zu ihr setzte. Aus dem Rucksack kramte er die Dracheneier und untersuchte sie im Kerzenlicht. Es konnte jederzeit einer der beiden Drachen schlüpfen, sobald er einen Riss bemerkte, war es so weit, doch er sah in dem schlechten Licht nichts.

„Warum sind euch diese Viecher eigentlich so wichtig?“, erkundigte sich der Prinz mit einem mal.

„Wenn du einen Drachen hättest, dann wüsstest du es. Mal ganz davon abgesehen, was auch die Drachen ein recht auf ihr Leben haben, und nur weil irgendwer dich zu einem Prinzen gemacht hat, heißt das noch lange nicht, das du ihnen ihr Leben nehmen darfst, wie es dir beliebt“, erklärte Drake scharf.

„Ich habe aber keinen Drachen und ich bin auch nicht scharf auf einen. Mein Vater würde mich zum Teufel jagen, wenn ich einen hätte. Aber ich habe im Moment nichts besseres zu tun, da könnt ihr mir auch glaubhaft versuchen zu erklären, was mich jemals davon abhalten sollte, euch zu töten, und eure Drachen gleich dazu“, antwortete der Prinz.

„Und wieso sollten wir das tun? Es gibt doch sowieso nichts, was dich davon überzeugen könnte, uns einfach nur in ruhe zu lassen. Und selbst wenn, dein Vater würde uns weiter jagen, und so wie ich ihn einschätze, dich dazu, denn auch Sympathisanten unserer Sache stehen auf seiner Abschussliste“, Lif rutschte ein wenig nach unten und schloss dann die Augen.

Der Prinz schaute ihn böse an, blickte dann nachdenklich zu Rubia hinunter.

„Wieso ist sie so klein? Und wo habt ihr das dritte Ei?“, fragte er bissig, denn er wusste nur zu gut, das Lif seinen Vater nur zu richtig einschätzte. Er selbst wusste nicht, wieso, aber sein Vater hasste nichts mehr, als Drachen und alles, was mit ihnen zu tun hatte.

„Sie ist aus dem dritten Ei geschlüpft und das erst vor ein paar Tagen. Du kannst sie ruhig anfassen, sie mag es von jedem gestreichelt zu werden“, erklärte Ayra und sogleich stupste der junge Drache auffordernd gegen die Hand des Prinzen. Sie liebte es wirklich, liebkost zu werden, wer es tat war ihr dabei egal.

Tayshi dagegen zog seine Hand hektisch zurück und sprang erschrocken auf. „Haltet ihr mich für dämlich? Ich weiß genau, wie ihr die Bindung mit den Viechern eingeht!“, fauchte er und betrachtete das Drachenbaby wütend. Rubia dagegen schaute ihn nur verdutzt an.

„Dann brauchst du trotzdem nicht so gemein zu ihr zu sein“, antwortete Ayra kühl und nahm sie auf den Arm, um sich wieder auf den Teppich zu setzen.

„Er weiß es nicht besser, Ayra. Eigentlich müssten wir ja mitleid mit ihm haben, denn das einzige Lebewesen, das ihm nicht mit vollkommener Verachtung begegnet ist, was war ein Straßenhund. Und den hat er beiseite getreten, weil er die freundliche Geste nicht einmal verstand“, bemerkte Lif und gähnte herzlich.

Tayshi wurde mit einemmal puterrot und flüchtete in den hinteren Teil der Höhle. Es passte ihm so gar nicht, das der junge Rebellenführer ihn so schnell so gut durchschaute. Und das, obwohl er ihn nicht einmal ansehen konnte.

„Ich glaube, du hast ins Schwarze getroffen“, bemerkte Drake, der ihm nachdenklich nachschaute.

„Natürlich. Ich hab lange genug versucht zu verstehen, warum er tut, was er eben tut, das ich ja irgendwann auf die richtigen Gedanken kommen musste. Wobei das nun wirklich keine Kunst war, nicht wenn man Jeen kennt“, antwortete Lif und hörte sich seltsam träge an.

Drake neigte nachdenklich den Kopf, nickte dann aber. „Du hast mal wieder recht.“

Lif nickte sachte mit dem Kopf, dann öffnete er mit einem mal wieder hellwach die Augen und lauschte.

„Tex kommt“, erklärte er, während er sich wieder entspannt zurücklehnte. Es vergingen nur ein paar Augenblicke, bevor sich die Tür öffnete und ein junger Mann eintrat. Er schien nicht im Mindesten verwundert, die jungen Leute in seiner Hütte vorzufinden.

„Das ihr auch mal wieder auftaucht“, knurrte er stattdessen bissig.

„Wir hatten zu tun, aber jetzt sind wir ja wieder hier“, antwortete Drake lächelnd und trat auf Tex zu, um ihn mit Handschlag zu begrüßen.

„Wer ist sie?“, erkundigte der sich, als er Ayra erspähte.

„Eine neue Drachenreiterin. Sie ist eher zufällig in unsere Sache reingerasselt, sie hat Rubia berührt, nachdem die kleine geschlüpft war“, erklärte Drake knapp und deutete auf die rote Drachin, die überlegte, sie die Kerze am besten erlegte. Ein paar Bissspuren wies das Wachs bereits auf.

„Und was führt euch zu mir?“, erkundigte sich Tex weiter, während er noch ein paar weitere Kerzen entzündete, die im vorderen Teil der Hütte überall verteilt waren.

„Der schmollt dort hinten“, antwortete Drake und deutete in den dunklen Teil der Hütte.

Nun runzelte Tex doch fragend die Stirn und schaute ins dunkle. Erst, zögernd, dann forschen Schrittes ging er hinüber. Mit einem mal erklang ein Schrei und ein rappeln, welches nichts Gutes verhieß. Sogleich sprangen Drake und Lif alarmiert auf und zogen ihre Messer, doch als der junge Prinz mit einem Satz auf sie losging, waren sie so erstaunt, dass sie im ersten Moment nicht einmal reagierten.

Lif, der sich sowieso nur anhand von Geräuschen orientieren konnte, hatte gar keine Chance, deswegen beschränkte sich Tayshi auch darauf, mit einem Messer, das er in der Dunkelheit gefunden zu haben schien, auf Drake loszugehen. Der Prinz fügte dem blonden einen tiefen Stich zu, und stieß ihn dann grob um.

Doch er hatte offensichtlich nur mit Drake als Gegner gerechnet, so überraschte es ihn, als Ayra geistesgegenwärtig zupackte und ihn grob zu Boden und in Richtung Kamin stieß. Dabei fiel er fast auf die Dracheneier, beförderte das Amethystenei unsanft in den mittlerweile brennenden Kamin.

Während Ayra und Drake mit dessen Wunde beschäftigt waren und Lif nach Tex im dunkeln Teil der Hütte schaute, starrte er erschrocken in die Flammen. Er wusste nicht, was mit dem Drachenei geschah, wenn es im Feuer lag, aber er wusste, das sein Vater ihn erschlagen würde, sollte noch einem der Eier etwas geschehen. So griff er mit einem mal zu und zog das aus dem Feuer, was vor ein paar Sekunden noch ein Drachenei gewesen war, und ihn jetzt mit großen, violetten Augen anschaute.

Tayshi schaute noch einen Moment verdutzt, dann schrie er laut auf und warf es wieder zurück ins Feuer, während er selbst erschrocken aufsprang und nach hinten taumelte. Ayra und Drake schauten ihn verblüfft an, als dann jedoch das Amethystfarbene Drachenbaby aus dem Feuer krabbelte, schrieen auch sie erschrocken auf.

„Du hast es doch wohl nicht angefasst?!“, schrie Drake ungläubig.

„Ich- NEIN!“, antwortete Tayshi und machte noch ein paar Schritte rückwärts, prallte dabei gegen Lif, der unbemerkt näher gekommen war.

„Was ist passiert?“, fragte er ernst und hielt Tayshi grob fest. Tex tauchte mit einer heftig blutenden Wunde am Bein neben ihm auf und hatte die Situation mit einem Blick erfasst. Er ergriff Tayshis Hände und untersuchte sie mit kundigem Blick.

„Wenn ihr jemals den Prinzen als Schwierigkeit angesehen habt, dann wollt ihr das jetzt gar nicht wissen“, erklärte er und ließ die Hände Tayshis los. Der war nicht der einzige, der Tex aus großen Augen ungläubig anstarrte.

„Dann bist du wohl jetzt im Schloss nicht mehr Willkommen. Mal schauen, ob der Drache dir beibringen kann, dich wieder wie ein Mensch zu benehmen, und nicht wie ein Monster“, meinte Lif seltsam ruhig.

„Nein! Ich kann doch nicht…!“, der junge Prinz starrte ihn verzweifelt an.

„Was? Einen Drachen ohne Reiter berühren? Hast du doch getan. Und damit wird dein Vater dich gewiss nicht mehr als seinen Sohn akzeptieren. Du bist ein Heimatloser, je eher du dich damit abfindest, desto besser ist es“, antwortete Lif und tastete sich unsicher vorwärts, während Ayra sich um Tex’ Wunde kümmerte.

Drake bückte sich nach dem violetten Drachenbaby, das sich unsicher umschaute. Die Flammen, die um seinen Schwanz züngelten, die ignorierte es. Er streckte die Hand aus und wollte es berühren, tat es dann aber nicht. Stattdessen schaute er zu Tayshi auf.

„Du hast keine Ahnung, was es wirklich heißt, einen Drachen zu haben, nicht wahr?“, fragte er. Der Prinz, der verzweifelt und voller Angst seine verbrannten Handflächen betrachtete, schaute zu ihm. Er schüttelte den Kopf.

„Nein“, bei diesem Wort fühlte er sich unendlich einsam, denn nun hatte er nichts und niemanden mehr. Er konnte nicht wieder nach Hause, aber nach allem, was er getan hatte und dem folgend, wer er war, konnte er auch nicht zu den Drachenreitern gehen. Er war nun allein, nur das, was sein Leben komplett zerstörte, würde bei ihm sein. Immer.

Drake seufzte und streichelte Rubia, die neugierig zu dem anderen jungen Drachen gekommen war.

„Was tun wir jetzt?“, fragte Ayra leise.

„Wenn ich das nur wüsste…“, antwortete Drake und auch Tex wirkte ratlos.

Tayshi indes trat zögernd an sein Drachenbaby und berührte es zögernd. Er musste sich ja beizeiten mit dem anfreunden, was sein einziger Kontakt sein sollte. Und als der junge Drachen ihn freudig anquietschte, da schlich sich sogar ein Lächeln auf die Lippen des Prinzen.

„Wir haben doch bloß eine Möglichkeit“, meinte Lif dazu. Die anderen schauten ihn fragend an, doch der Rebellenführer richtete sein Wort an den Prinzen.

„Tayshi. Du weißt, dass du nun ganz alleine bist? Du weißt, dass du nicht wieder nach Hause gehen kannst? Das dein Leben jetzt von einem Drachen beherrscht wird?“, erkundigte er sich. Der angesprochene nickte, bis ihm einfiel, das Lif die Geste nicht sehen konnte. „Ja“, sagte er dazu.

„Selbst wenn du uns und unsere Sache verraten würdest, wärst du am Hofe nicht mehr erwünscht, es würde dir also keinen Vorteil verschaffen, nur vielleicht den Tod. Du bist ein Heimatloser und ein gejagter“, sprach Lif weiter.

„Ich weiß“, antwortete Tayshi und vergrub das Gesicht in den Armen. Sein kleiner Drache schaute ihn verwundert an und drängte sich eng an ihn.

„Wirst du uns verraten?“

„Nein. Wie du schon sagtest, es würde mir nichts bringen, höchstens den Tod. Sie würden mich nicht einmal ausreden lassen, nicht mit diesem Wesen an meiner Seite“, drang es dumpf hinter den Armen hervor. Lif nickte zufrieden und hielt ihm freundschaftlich die Hand hin. Tayshi schaute ihn fragend und mit Tränen in den Augen an, schlug dann zögernd ein.

„Dann herzlich Willkommen bei den Drachenreitern.“

Ankunft

Natürlich löste dieser Satz einen riesen Tumult aus. Drake, Ayra und Tex begannen gleichzeitig auf ihn einzureden, und der Prinz schaute nur verblüfft. Niemals hätte er mit so etwas gerechnet. Doch Lif schüttelte nur geduldig den Kopf. Er rechtfertigte sich nicht, er erklärte nichts, er machte sie lediglich darauf aufmerksam, dass er dafür die Verantwortung übernahm, sollte es schief gehen. Dann stand er ruhig auf und ging nach draußen, während Drake und Tex ihm fassungslos nachblickten.

„Er ist nicht mehr bei sinnen. Drake, dein Bruder hat sie nicht mehr alle“, meinte Tex kopfschüttelnd und verschwand wieder in den hinteren Teil der Höhle.

„Normalerweise würde ich dir jetzt aufs ärgste widersprechen, aber unter diesen umständen...“, Drake ließ sich mit einem seufzen aufs Sofa fallen und schaute Tayshi nachdenklich an. „Es graut mir davor, einen unserer schlimmsten Feinde mit in unser Dorf zu bringen, aber ich fürchte, uns bleibt nicht einmal etwas anderes übrig. Dem Drachen wegen.“

„Stimmt. Er muss lernen, wie man mit ihm umgeht und niemand, der außerhalb des Dorfes lebt hat die Zeit dazu“, stimmte Tex zu und kam mit etwas Brot und Käse zurück.

„Vielleicht…“, begann Ayra, doch sie sprach nicht zu Ende. Sie mochte es nicht, über jemanden zu reden, der anwesend war, als ob er gar nicht da wäre.

Doch Tayshi hörte gar nicht zu. Er hing seinen eigenen Gedanken nach, er fragte sich, ob irgendwer aus seinem bisherigem Umfeld das getan hätte, was Lif getan hat: Einem plötzlich heimatlosem Feind ein zu Hause und eine Perspektive geben. Er kam zu dem sehr eindeutigen Schluss, dass es keiner tun würde, im Gegenteil. Erst Ayra riss ihn aus seinen Gedanken, als sie ihm mit einem lächeln eine Scheibe Brot hinhielt.

„Iss was, du hast bestimmt genauso viel Hunger, wie wir alle“, sagte sie lächelnd. Im Gegensatz zu den beiden jungen Männern, die immer noch an Lifs verstand zweifelten, war sie nicht mit diesem Hass auf das Herrscherhaus aufgewachsen und viel eher dazu bereit, den jungen Prinzen zu verzeihen. Sie wollte ihn erst einmal kennen lernen, bevor sie sich ein Urteil über ihn bildete.

„Danke“, er nahm ihr das Brot ab und biss zögernd hinein. Ayra lächelte aufmunternd, nahm sich dann selbst eine Scheibe, die sie brüderlich mit Rubia teilte, die hungrig auf ihren Schoß kletterte.

„Ich hab Rubia auch noch nicht lange, ich weiß also auch noch nicht genau, wie man mit einem Drachen umgeht“, erzählte sie lächelnd und betont gut gelaunt. Tayshi nickte schüchtern, schaute dann zu dem violetten Drachenbaby hinab. Es schaute ihn hungrig an, so gab er ihm ein Stück von dem Brot, was es gierig verschlang.

„Es braucht noch einen Namen. Drake, welches Geschlecht hat es?“, fragte sie munter weiter, und der junge Mann, eben noch im schönsten Verzweiflungsgespräch vertieft, schaute sie nun verwundert an.

„Der Drache?“, fragte er.

„Natürlich der Drache“, lachte Ayra.

Drake stand auf und bückte sich nach dem Drachenbaby, um es hochzuheben, schaute dann aber erst fragend Tayshi an. „Darf ich?“

„Was?“, fragte der verwundert.

„Deinen Drachen berühren“, erklärte Tex. „Viele Drachen mögen es nicht, wenn Fremde sie berühren, deswegen fragt man der Höflichkeit wegen, ob man es darf.“

„Aber dem roten da fassen doch auch alle an“, widersprach Tayshi.

„Rubia ist auch ein Schmusetier, wie es im Buche steht. Sie macht von sich aus deutlich, dass sie gestreichelt werden will, das ist sehr außergewöhnlich für einen Drachen. Wenn das nicht so ist, und du den Drachen nicht kennst, dann frag vorher. Also, darf ich?“, Drake wirkte ungeduldig.

„Ähm, ja, mach ruhig“, antwortete der Prinz. Was sollte er auch anderes sagen? Er hatte keine Ahnung von nichts, er wusste auch nicht, ob der Drache es mochte, gestreichelt zu werden, oder nicht. Er wusste auch nicht, wie er es herausfinden sollte. Konnte man überhaupt mit einem Drachen Kontakt aufnehmen? Er traute sich nicht, seine Fragen zu stellen und keiner machte Anstalt, mehr zu erklären.

Stattdessen hob Drake den Drachen auf und ging mit ihm nach draußen. Wieder sagte ihm Onyxa, was er wissen wollte, dann kam er wieder herein. „Es ist eine junge Dame.“

„Wie Rubia auch“, lachte Ayra und drückte die Drachin an sich.

„Gib ihr bitte einen vernünftigen Namen“, fügte Drake noch bissig hinzu, setzte das Drachenbaby zu Boden und setzte sich wieder zu Tex.

Tayshi schaute ihn wütend an, sagte aber nichts. Stattdessen griff er sich würdevoll seinen Drachen und dachte leise über verschiedene Namen nach, der richtige wollte ihm dabei jedoch nicht einfallen. Ayra indes spielte mit Rubia, bis Lif irgendwann wieder auftauchte und verkündete, dass es Zeit sei, schlafen zu gehen, da sie gleich am nächsten morgen schon weiter wollten.

„Jetzt, wo wir uns um Tay keine Gedanken mehr machen brauchen, können wir gleich weiter ins Dorf“, erklärte er, während er ein paar Decken von Tex entgegen nahm und an alle verteilte. Dann machte es sich jeder dort bequem, wo gerade lag.

Die Nacht war wirklich kurz, es war noch sehr dunkel, als Drake am nächsten morgen Ayra und Tayshi zu verstehen gab, das es weiter ging. Sie verabschiedeten sich – verschlafen, wie sie waren – sehr knapp von Tex und erhoben sich dann auf den großen Drachen verteilt wieder in die Lüfte.

Es war schon Mittag vorbei, als sie ihre erste Rast machten und etwas aßen. Da sie ohne Frühstück aufgebrochen waren, waren die Brote schnell verschlungen. Während Ayra und Tay – Drake, Lif und Ayra hatten sich schnell auf diese Kurzform geeinigt, jedoch ohne sich um die Zustimmung des jungen Mannes zu kümmern – zufrieden vor sich hin dösten, besprachen Lif und Drake, wie sie ihre ausgewachsenen Drachen zu ihrem wohlverdienten fressen kommen lassen konnte.

So weit, Ayra und Tay alleine zu lassen ging Lifs Vertrauen in den jungen Mann dann offensichtlich doch nicht. So verschwand erst Drake mit Onyxa, während Lif sich zu den beiden setzte und vorsichtig nach Rubia tastete.

„Es ist schon ewig her, dass ich so einen kleinen Drachen auf dem Schoß hatte“, erklärte er entschuldigend Ayra gegenüber und lächelte.

„Sie werden so schnell erwachsen, was?“, fragte die spitz und lachte.

„Ja, das kannst du laut sagen“, antwortete Lif feixend, wandte sich dann aber schnell Tay zu.

„Erzähl was von dir“, forderte er den jungen Mann auf.

„Was soll ich dir erzählen? Alles Wissenswerte über mich weißt du doch bereits“, antwortete der unwillig und zog den eigenen Drachen an sich.

„So, meinst du? Ich weiß, dass dein Vater ein sehr grausamer Mensch ist, und ich weiß, dass du jetzt zu uns gehörst. Ich kenne deinen Namen, aber der hat mit dir als Person nicht viel zu tun. Wie du siehst bin ich Blind, ich kann nicht anhand von Mimiken und Gesten auf das Wesen einer Person schließen und auf Drakes Urteil kann ich mich nicht verlassen. Du bist für ihn der Inbegriff dessen, was er hasst, er wäre nicht mehr objektiv“, antwortete Lif, während Smarada sich um ihn herum legte.

Tay schaute ihn nachdenklich an, schüttelte aber dann den Kopf und erklärte aggressiv: „Ich weiß trotzdem nicht, was du wissen willst.“

Lif seufzte, lehnte sich dann an Smarada. „Okay. Setzen wir dieses Gespräch ein anderes mal fort. Nicht, weil du dich jetzt so verbohrt gibst, sondern weil ich jetzt nicht den Anfang machen mag. Ich habe auch Ayra noch eine Geschichte versprochen und die wird sie bekommen. Dann werden auch wir uns noch einmal genauer unterhalten. Hast du dir mittlerweile einen Namen für deinen Drachen überlegt?“

„Mir ist nichts eingefallen. Alles, was ich mir überlegt habe, würde zu einem Hund passen, oder zu einem Pferd. Oder eben zu einem Kämpfer, aber das wird sie ja nicht werden“, antwortete er zurückhaltend.

„Sie könnte es werden. Schließe nicht von ihrem Geschlecht auf ihre körperliche Stärke, das wäre fatal. Aber du hast recht, von natur aus sind Drachen eher friedliche Wesen. Und dennoch könntest du mit ihr in die Schlacht fliegen, solltest du dich jemals dazu entschließen können, dich uns Rebellen anzuschließen. Aber wie jeder andere auch hast du die Wahl. Ayra, hast du eine Idee für ihren Namen?“, der Blondschopf strich prüfend über die recht großen Flügel Rubias.

„Amethysta“, antwortete die sogleich und schaute mit leuchtenden Augen auf die violetten Schuppen.

„Aber der ist so lang“, wandte Tay sogleich ein.

„Meiner heißt Smarada, da ist Amethysta auch nicht viel länger. Aber er muss dir gefallen, alles andere ist egal“, er stupste von unten gegen die rote Schnauze und Rubia kniff sogleich zurück.

Für einen Moment war Tay still, dann seufzte er ergeben und nickte. „Dann Amethysta.“

Lif nickte zufrieden, setzte Rubia beiseite und kletterte auf Smaradas Rücken. Ohne Erklärung flog der mit dem grünen Drachen davon, doch es dauerte nur wenige Augenblicke, da landete auch schon Drake mit Onyxa und gesellten sich nun ihrerseits zu ihnen.

„Gut Beute gemacht?“, erkundigte sich Ayra, während sie beobachtete, wie ihr Drachenbaby freudig auf Onyxa zulief und ihn übermütig in den schwarzen Schwanz biss.

»Ja«, antwortete der Drache und warf sie ohne Probleme um. Das war das erste mal, das Ayra und Tay einen Drachen sprechen hörten und im ersten Moment bemerkten sie nicht einmal, das es der Drache selbst war, der zu ihnen sprach. Erst als Drake sie darauf aufmerksam machte, das es nicht gerade alltäglich war, da schauten sie verblüfft auf.

„Wie geht das eigentlich, dass Drachen sprechen?“, erkundigte sich Ayra sogleich. Das brannte ihr schon länger unter den Nägeln.

„Du meinst, weil sie manchmal etwas sagen, du es aber nicht verstehst?“, erkundigte sich Drake.

„Genau.“

„Das liegt daran, dass sie nicht so sprechen, wie wir das tun. Du hörst ihre Worte bloß im Kopf. Drachen untereinander hören sich immer, aber uns Menschen gegenüber können sie beeinflussen, wem sie sich mitteilen möchten“, erklärte er.

„Und ab wann tun sie das?“, fragte Ayra eifrig weiter.

„Ab wann sie selbst es wollen. Wenn sich das Bedürfnis haben, sich mitzuteilen, dann tun sie es. Sie können es sofort, aber teilweise tun sie es erst nach Jahrzehnten. Ich weiß, das Smarada früh damit begann, Onyxa hat das erste mal mit mir gesprochen, als ich in deinem Alter war. Und das auch nur, weil er es für nötig befand“, antwortete Drake und setzte sich zu ihr.

„Also rein theoretisch könnte sowohl die rote, als auch meine schon mit uns sprechen, wenn sie denn wollten?“, hakte Tay noch mal nach und der junge Mann nickte.

Drake jedoch war deutlich ungesprächiger als Lif und so verbrachten sie die wartenden Minuten, die folgten, schweigend und kaum war Lif angekommen, da flogen sie auch schon weiter.

Es folgten Wochen, in denen sie hacken schlagend über das Land hinweg flogen. Die kalten Nächte, die mittlerweile schon deutlich dem Winter gehörten, verbrachten sie unter den Flügeln der großen Drachen, denn dort war es warum und windgeschützt. Sie flogen niemals direkt ihrem Ziel entgegen, da es immer sein konnte, dass irgendwer sie sah, der sie nicht sehen sollte und auch, das sie verfolgt wurden.

Für die Drachenbabys war diese Zeit besonders schlimm, denn gerade wo Rubia nun jeden Tag munterer und übermütiger wurde, musste sie den ganzen Tag still auf den Rücken der Drachen sitzen, und auch Amethysta konnte sich bald wahrlich besseres vorstellen, aber die jungen Drachen sahen sehr schnell ein, das sie gar keine andere Wahl hatten und fügten sich, wenn auch nicht ganz freiwillig.

Aber eines Tages war es dann so weit. Ayra hatte schnell bemerkt, das gerade Lif deutlich unvorsichtiger wurde und als sie ihn nach den Grund fragte, da erklärte er ihr, dass sie mittlerweile im Drachengebiet angelangt seien.

Es war ein kalter, verschneiter Tag, als sie das Drachendorf erreichten. Sie waren die Nacht durchgeflogen, den so kurz vor dem Ziel hatte niemand mehr lust, sich zum schlafen nieder zu legen. Die ganze Nacht waren sie von heftigen Windböen herumgedrückt worden und der kalte Schnee hatte sie durchnässt.

Sie waren an diesem Morgen durchgefroren, müde und hungrig, doch als zum ersten mal seid Tagen ein Sonnenstrahl die Wolken durchbrach und von einem hellen, freundlichen Tag kündete, da war alles vergessen und voll staunen blickten sie auf das hinab, was für die nächsten Tage ihre Heimat werden würde.

Es war ein ganz besonderer Ort, das Dorf war riesengroß, eher schon eine Stadt, die es mit der Hauptstadt des Reiches aufnehmen konnte. Der frühen Morgenstunde wegen war erst wenig Betrieb, nur vereinzelt sah man Menschen oder Drachen, die ihre Häuser verließen. Diese waren allerdings das erstaunlichste des gesamten Ortes, denn sie waren in die Hänge eingelassen und zum Teil riesig groß. Manche konnten nur über Gänge im inneren des Hangs erreicht werden, andere nur mit den Flügeln eines Drachen.

Auch schien es einen Ort nahe der Spitze des Berges zu geben, den die Menschen selbst gar nicht betraten, der nur für die Drachen da war. Es gab auch ganz gewöhnliche Häuser, aber sie waren nur vereinzelt zu sehen und wurde ausschließlich von Menschen ohne Drachen bewohnt.

Onyxa und Smarada flogen sehr zielstrebig eine art Höhle sehr weit oben an, und landeten sanft auf den grauen Stein.

„Da sind wir. Das ist das Drachendorf, unsere Heimat“, erklärte Lif und strahlte über das ganze Gesicht.

„Es ist einmalig, ich habe noch nie zuvor so etwas gesehen!“, rief Ayra, während sie zu dem Loch in der Wand lief, durch das sie hineingelangt waren. Erstaunt überblickte sie mit leuchtenden Kinderaugen die weite Landschaft die sie bis zum Horizont überblicken konnte.

„Jetzt verstehe ich vollkommen, warum wir euer Dorf niemals gefunden haben. Wir waren niemals auch nur nahe dran“, Tay trat neben sie und auch seine Augen leuchteten über das Wunder, das er sah.

„Natürlich wart ihr das nicht“, antwortete Lif lachend, während er durch eine Öffnung in den Gang dahinter trat. „Sie schlafen noch alle. Lasst uns etwas essen und dann selbst ein wenig zur ruhe kommen, heute wird es noch mal richtig anstrengend für uns drei.“

„Wieso nur für uns drei?“, erkundigte sich Ayra, während sie ihm folgte.

„Weil ich mich jetzt vorerst von euch verabschiede. Das jetzt kommt hat mit mir nichts mehr zu tun. Ich werde dem Rat bescheid geben und komm dann in ein paar Tagen wieder hierher“, antwortete Drake, der gar nicht erst von Onyxas Rücken gestiegen war. Während der schwarze Drache sich wieder in die Lüfte erhob, machte es sich Smarada auf einen Strohhaufen in einer Windgeschützten Ecke bequem.

„Kommt mit“, forderte Lif die beiden auf. Tay und Ayra folgten ihm durch einen dunklen Gang, ihre Drachen auf den Arm. Tay war kurz davor, Lif um etwas Licht zu bitten, da sah er, das aus einer Öffnung weiter hinten ein Schimmer nach außen drang, und diese Gangöffnung strebte der junge Rebellenführer ganz offensichtlich an.

„Tut mir leid, ich brauche kein Licht, um mich hier zurechtzufinden, deswegen weiß ich auch gar nicht, wo in dem Gang hier die Fackeln sind, aber in der Küche auf der rechten Seite müssten welche liegen, die könnt ihr anmachen“, erklärte Lif, der sich mit einer traumwandlerischen Sicherheit durch die Gänge bewegte.

Ayra wollte gerade etwas antworten, da streckte sich plötzlich ein Kopf aus genau der Öffnung, die erleuchtet war. Ein junges Mädchen, höchstens so alt wie Ayra mit himmelblauen Augen und haselnussbraunem Haar.

„Lif?“, fragte sie vorsichtig.

„Thin?“, fragte der erstaunt zurück. „Du bist schon wach?“

„Lif!“, Thin hielt es nicht einmal für nötig, seine Frage zu beantworten, stattdessen stürzte sie aus dem Raum und fiel dem jungen Mann ungestüm um den Hals. Der schloss sie lachend in die Arme.

„Ach, wie hab ich dich vermisst! Wie schön, deine Stimme zu hören!“, rief er und hob das Mädchen auf, um sie fest an sich zu drücken.

„Du hättest ja viel früher mal hierher kommen können, du warst so lange weg. Ist Drake auch hier? Und wer sind die beiden?“, fragte sie und streckte sogleich Ayra ihre Hand hin.

„Ich bin Thinuil“, erklärte sie und ergriff einfach die Hand des verdutzten Mädchens. Auf die gleiche art und weise verfuhr sie mit Tay, der nicht weniger erstaunt war.

„Das sind Ayra und Tay. Und die Drachen heißen Rubia und Amethysta“, erklärte Lif knapp und deutete den beiden, sich in die Küche zu setzen. Bevor sie auch nur Zeit hatten, der Geste einen Sinn abzugewinnen, schob Thin sie auch schon durch die Öffnung und setzte sie mit nachdruckt auf ihre Plätze.

„Ihr habt bestimmt Hunger, so wie ich Lif kenne hat er euch die letzte Zeit nicht eine Pause machen, geschweige denn, etwas so sinnloses wie Nahrung zu euch nehmen lassen“, meinte sie Augenzwinkernd und begann damit, mit einer Pfanne und Kochbesteck herum zu werken.

Lif indes lächelte zufrieden vor sich hin. „Wir werden nach dem Essen noch einmal ins Bett verschwinden, die zwei müssen heute noch vor den Rat und du weißt ja, wie die sind.“

„Oh ja“, seufzte sie und verdrehte theatralisch die Augen. Lif lachte, lauschte dann nach etwas.

„Wo ist Azuritia?“, erkundigte er sich dann.

„Ach, die….“, Thin lächelte verschmitzt.

„Ja? Schieß los. Ist sie oben im Hort?“, erkundigte sich Lif.

„Ja. Aber nicht alleine“, sie lächelte wieder ihr einnehmendes lächeln und drehte die Eier in der Pfanne um.

„Ja? Das sind ja mal wirklich gute Nachrichten!“, freute sich der junge Mann. Ayra und Tay dagegen schauten sich bloß verständnislos an.

„Das bedeutet“, begann Thin, „das meine kleine Azuritia einen Gefährten gefunden hat. Sie ist dabei, ein Nest zu bauen.“

„Aber wie geht das? Du bist doch bestimmt nicht älter als ich, und…“, begann Ayra, doch Lif schüttelte den Kopf.

„Nicht jeder Drache ist erst geschlüpft. Azuritia war schon fünf zehn, als Thin sie berührte. Es ist mittlerweile selten geworden, aber es gibt durchaus Drachen, die noch von ihren Eltern aufgezogen werden und die gehen erst sehr spät eine Bindung ein, wenn sie es den überhaupt tun“, erklärte er.

„Ganz genau so ist es“, erklärte Thin und setzte ihnen einen Teller mit gebratenen Eiern und Speck vor. Dazu gab es frisches Brot. Binnen kürzester Zeit war alles bis auf den letzten Krümel verdrückt.

Aufgeregt und trotzdem so müde wie selten, führte Lif sie in die Räume, in denen sie sich zum schlafen niederlegen konnten.

Der Rat

„Was genau ist der Rat eigentlich?“, erkundigte sich Ayra, während sie Lif über den steilen Außenweg folgte.

„Ein Verbündnis von Menschen und Drachenreitern, die für dieses Dorf hier zuständig sind. Sie werden mit euch reden, euch regelrecht aushorchen, und ihre Meinung zu euch kundtun“, antwortete Lif, der ganz sorgenfrei direkt an der außenkante lief. Smarada flog immer wieder übermütig an ihm vorbei.

Ayra und Tay lief dabei ein Schauer über den Rücken. Sie selbst waren ganz an die Wand zurückgewichen, nachdem sie einmal hinabgeschaut hatten, wie Lif es schaffte, so nahe am Abgrund zu wandeln, ohne abzustürzen, und das auch noch Blind, das war ihnen ein Rätsel. Natürlich hatten sie gefragt, doch der Rebellenführer hatte bloß wissend gelächelt.

„Also so etwas die eure Anführer, die darüber entscheiden, ob wir bleiben dürfen?“, hakte Tay nach.

„Nein. Sie werden ihre Meinung zu euch äußern, und die meisten werden euch dementsprechend behandeln, auch das ist eine Tatsache, aber sie sagen niemandem, was er tun soll. Sie mischen sich nicht in die Begebenheiten des Dorfes ein, sie wissen bloß über alles bescheid. Sie werden um Rat gefragt, und es ist Brauch, Neuankömmlinge ihnen vorzustellen, aber es ist kein muss. Wenn ihr euch gut anstellt, und sie eine hohe Meinung von euch haben, dann werden euch aber auch die anderen mit Respekt begegnen, es ist also kein Nachteil, sie auf eurer Seite zu haben“, antwortete Lif und strich über Smaradas Schuppen, der von unten nach oben an ihm vorbei schoss.

„Und wozu sind sie dann da?“, erkundigte sich Tay mit einem erstaunten Stirnrunzeln.

„Einfach nur, um ein wenig Ordnung zu halten“, antwortete der junge Mann und stolperte fast über Rubia, die ihm neugierig vor die Füße gelaufen war.

Sie liefen nur noch ein bisschen weiter, dann bogen sie in einen Gang ins Innere ab, der so groß war, das Smarada ihnen laufend folgen konnte. Sie mussten nicht lange laufen, da standen sie vor einer großen zweiflügeligen Tür, die Lif von seinem Drachen aufdrücken ließ.

„Wartet hier“, sagte er zu den beiden und trat erst alleine ein. Ayra und Tay wollten sich so hinstellen, dass sie hineinsehen konnten, doch Smarada stellte sich so vor sie, das sie nichts anderes sahen, als smaragdene Schuppen.

„Guten Morgen“, hörten sie Lif sagen, „ich bin hier, um euch zwei neue Drachenreiter vorzustellen.“

Ein leises Gemurmel erhob sich, bis dann eine klare, weibliche Stimme ihn dazu aufforderte, sie herein zu lassen. Sogleich drückte Smarada das Tor noch weiter auf, um ebenfalls einzutreten. Er ging ganz selbstverständlich an die Seite, um sich dort in der Nähe von ein paar anderen Drachen niederzulegen.

Ayra und Tay indes traten ein und erblickte zu ihrer Verwunderung lauter junge Menschen. Sie hatten damit gerechnet, lauter alte Männer anzutreffen und ein paar waren von ihnen auch vorhanden, doch es war eine ausgewogene Mischung aus verschiedenen alterklassen. Und zu ihrem größten Erstaunen saß auch Drake unter ihnen, zwischen einer hübschen Frau und einem Jungen, der vielleicht vierzehn war, eher jünger.

„Darf ich eure Namen erfahren?“, fragte die Frau, die offensichtlich als erste gesprochen hatte. Sie war es auch, die neben Drake saß. Ayra schaute diesen fragend an. Er hatte wohl gewusst, das sie hierher kommen würden, warum hatte er ihre Namen noch nicht verraten? Und auch Tay wusste nichts zu sagen.

„Nun, dann ist es ja gut, das wir sie bereits kennen“, bemerkte ein älterer Herr und lächelte väterlich über ihr erstaunen.

„Warum fragt ihr dann danach?“, entfuhr es Ayra mit einem mal. Sie war es nicht gewohnt, das jemand etwas Sinnloses tat, und wenn etwas in ihren Augen so gar keinen Sinn ergab, dann etwas zu fragen, das man bereits wusste.

Sogleich biss sie sich aber auf die Lippen. Sie hatte nicht vergessen, was Lif erzählt hatte, und das sich diese Versammlung als Rat bezeichnete tat ein Übriges, um die Worte zu bereuen, den dieses Wort allein fügte ihr ganz unwillkürlich einen riesigen Respekt ein. Doch keiner vom Rat war böses wegen ihrer Worte, im Gegenteil: Der Junge an Drakes anderer Seite begann breit zu grinsen und ein paar Männer brachen in schallendes Gelächter aus, was nicht nur Ayra verdutzte.

„Nun, junge Dame, du hast recht. Aber ich möchte gerne eure Namen aus euerem Munde hören, denn es gibt Unterschiede in der Aussprache, die Regionsbedingt sind. So wie Drake euren Namen spricht, muss es nicht in der Gegend deiner Heimat üblich sein. Aber nun gut, dann lassen wir das. Erzähl mir etwas über dich“, erklärte die Frau, die offensichtlich die Wortführerin dieser Unterhaltung werden würde, denn bisher hatte sie am häufigsten das Wort ergriffen.

Ayra warf einen hilflosen Blick zu Lif, doch als ihr die Sinnlosigkeit darüber bewusst wurde, schwenkte sie zu Drake hinüber. Der jedoch ignorierte es einfach. Sie schluckte schwer und begann dann zu sprechen. Sie wusste nicht genau, was der Rat hören wollte, also sprach sie einfach. Sie erzählte von ihrer Kindheit, von den vielen harten Wintern und den Sommern voller Arbeit, sie erzählte von ihren damaligen Wünschen und Träumen.

Sie berichtete von Gora, Lera und Bella, von ihrem Leben im Dorf, von Duras Geschichten, davon, welche Wut sie in sich spürte, als sie erfuhr, das sie mit einem vollkommen Fremden verheiratet werden sollte, und das ohne ihr Einverständnis. Sie erzählte von dem Abend, als sie Lif kennen lernte, davon, wie aufregend ihr einfaches Leben mit einem mal war, und wie sie dann auf Sandava traf. Sie sprach von ihrem Hass, den sie hatte, und mit dem sie ihm bitter unrecht tat, davon, wie sie dann Rubia fand und mit Drake gemeinsam beschloss, hierher zu kommen.

Sie erzählte Stunden und keiner unterbrach sie. Sie alle lauschten aufmerksam ihre Geschichte, so, wie die Dorfkinder immer aufgeregt an Duras Lippen hingen, keiner wagte es, mehr Geräusche zu machen, als nötig waren. Und irgendwann war Ayra dann in der Gegenwart angekommen und hörte auf zu erzählen.

Es herrschte für die nächsten Minuten eine nachdenkliches Schweigen, dann stand die Frau auf und trat auf sie zu.

„Vielen dank, Ayra, das du uns so ausführlich und auch so ehrlich von deinem Leben erzähltest“, sie strich mit einem Lächeln über ihre Wange und wandte sich dann Tay zu. „Erzähl jetzt bitte du von dir.“

Tayshi schaute sie ernst mit seinen stechend grünen Augen an, schaute dann einmal forschend und nachdenklich in die Runde, ohne das es einem einzigen von ihnen gelungen wäre, in seinen Augen zu lesen, was in ihm vorging.

„Es gibt über mich nichts wichtiges zu erzählen“, flüsterte er, so leise, das nur Ayra und die Frau ihn verstanden. Dann jedoch schüttelte er seine Unsicherheit ab und streifte sich wieder die überhebliche art des Prinzen über, die er in den letzten Wochen so vollkommen abgestreift hatte.

Selbstbewusst ging er gemessenen Schrittes in die Mitte des Saals und schaute voller überheblicher Verachtung abermals in die Runde, erst dann erhob er seine Stimme.

„Ich glaube, meine Damen und Herren, über mich gibt es nur eine einzige Sache, die euch interessieren könnte. Ich bin Tayshi. Ich bin Prinz Tayshi“, mehr sagte er nicht, doch es gab nichts, womit er einen größeren Tumult hätte ausbrechen lassen können. Davon hatte Drake ganz offensichtlich nichts erzählt.

Der gesamte Rat begann aufeinander einzureden, Drake und Lif wurden mit Fragen durchlöchert. Es war ein wenig so, als hätte Tay unversehens in ein Wespennest gestochen. So mancher griff sogar zu seiner Waffe und der eine oder andere Drache spannte sich merklich und blitzte den jungen Mann böse an. Der jedoch drehte sich um und ging einfach. Niemand hinderte ihn daran.

Als Lif eine scharfe Handbewegung machte, nachdem der junge Mann gegangen war, da wurde es mit einem mal totenstill im Saal. Der Rat hatte vielleicht keine Macht, Lif aber sehr wohl.

„Es stimmt, er ist Prinz Tayshi. Er war unser Feind, aber jetzt ist er einer von uns“, sagte er ruhig. Mehr nicht, er erklärte nicht, er verteidigte sich nicht gegen die vorwurfsvollen Blicke, aber es wagte auch niemand, das Wort zu erheben. Stattdessen machte er noch eine weitere Handbewegung und der Rat hatte sich binnen Augenblicke aufgelöst. Zurück blieben bloß Drake, die Frau und zwei weitere Mitglieder, die die ganze Zeit über nicht ein Wort gesagt hatten.

„Ich nehme an, das war so nicht abgesprochen?“, erkundigte sich Drake und kam langsam näher.

„Nein, aber es macht nichts. Früher oder später mussten sie es eh erfahren und so was es einfacher“, antwortete Lif und zog eine Grimasse.

„Und offensichtlich wagt es auch niemand, dir mit Fragen auf die Nerven zu gehen“, bemerkte Ayra bissig und schaute Drake herausfordernd an. Lif konnte es ja nicht sehen, also musste sein Bruder herhalten.

„Natürlich nicht. Aber frag nicht nach dem warum Ayra. Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete er und lächelte ein wenig.

„Kannst du nicht, oder willst du nicht?“, erkundigte sich das Mädchen bissig.

„Eine Mischung aus beiden. Aber es ist auch egal. Zumindest im Moment“, erklärte er, deutete dann zur Tür. „Wenn du magst kannst du gehen.“

Ayra schaute ihn fragend an, schüttelte dann aber den Kopf. „Nur wenn du mitkommst, ich alleine verlaufe mich hier.“

Lif zuckte gleichgültig mit der Schulter, während Smarada zu ihm kam und ihn die Richtung wies, in die er schauen wollte.

„Lif, sag mal hast du vergessen, dass du den Rat nicht immer so bevormunden sollst?“, fragte die Frau mit einem mal und lächelte gütig.

„Dann sollen sie aufhören, sich über mich das Maul zu zerreißen. Es steht ihnen nicht zu, auch nur ein Wort über meine Entscheidungen zu verlieren, und wenn es meine Entscheidung ist, das der Prinz hier sein soll, dann haben sie ihr Mund zu halten“, bemerkte er bissig, lächelte aber selbstzufrieden. Sie schüttelte böse den Kopf, seufzte dann aber und schaute nachdenklich Ayra an.

„Ich habe mich nicht vorgestellt, nicht wahr? Mein Name ist Siran. Ich bin angehöriges des Rates.“

Das Mädchen nickte, schaute dann zu Rubia herab, die zu ihren Füßen saß, zu ihr hoch schaute, und gelegentlich mit der Nase ihr Kleid anstupste.

„Eine hübsche Drachin. Ich habe auch einen“, bemerkte Siran und begutachtete die kleine Rote interessiert.

Ayra wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, den sie meinte, das so ziemlich jeder hier einen Drachen haben mochte, also sagte sie nichts, sondern nahm ihren auf den Arm und überlegte, wie sie Lif oder Drake davon überzeugen konnte, sie wieder zu Thin zu bringen. Das quirlige Mädchen hatte es ihr sogleich angetan und sie mochte sich gerne länger mit ihr unterhalten.

Doch keiner der Brüder dachte auch nur daran. Sie unterhielten sich über Belanglosigkeiten, während Ayra die Halle durchquerte und an der anderen Seite an die Brüstung trat, die die eine Art Terrasse eingrenzte. Sie setzte Rubia darauf ab und schaute auf dem hektischen Treiben unter ihr zu.

Nach einiger Zeit gesellte sich Smarada zu ihr und stupste Rubia grob wieder auf den Boden, allerdings nicht, weil er etwas dagegen hatte, das der junge Drache dort saß, sondern weil er wusste, das Rubia viel lieber irgendwo rein biss – im Zweifelsfall in den Schwanz eines älteren Drachen – und es kaum abwarten konnte, sich auf ihn zu stürzen, sich jedoch nicht traute, hinab zu springen.

Sogleich stürzte sie sich auch auf die Pfoten des großen Grünen, der sie gutmütig gewähren ließ.

„Lass dir doch nicht immer alles gefallen“, meckerte Ayra aber sogleich und wollte sie wieder einfangen, doch Rubia war schnell.

»Lass sie ruhig. Sie ist noch jung, sie darf das«, antwortete ihr der Drache und es war erst das zweite mal, das sie einen Drachen sprechen hörte. Und anders als die Stimme von Onyxa, die klang wie das knirschende aneinander Reiben von Stein, klang er seltsam sanft und ruhig.

„Sie muss lernen, dass sie das nicht tun darf“, fand dagegen Ayra, doch als sie sich nach Rubia bücken wollte, da schob Smarada seinen Flügel zwischen die beiden.

»Natürlich darf sie das tun, sonst hätte sie schon längst eine Zurechtweisung erfahren. Sie ist nicht dumm und sie muss nicht erzogen werden, wie ihr Menschen. Lass sie gewähren«, bat er und nach kurzem Zögern nickte Ayra.

„Ich…“, sie überlegte, ob sie Weitersprechen sollte, entschied sich dann dafür. „Ich finde, du hast eine hübsche Stimme. Aber wieso sprichst du mit mir?“

»Weil ich lust dazu habe. Und weil du einfach gegangen bist. Bedrückt dich etwas? Du wirkst so auf mich«, erklärte er.

„Nein“, antwortete sie sofort, doch der Drache schüttelte sacht den Kopf.

»Ich werde es Lif nicht sagen. Und auch keinem anderen, den was wir sprechen, das ist für niemand anderen bestimmt«, antwortete er sanft und legte langsam seinen Flügel über sie, wie um sie vor der Außenwelt abzuschirmen.

„Ich habe keine angst davor, dass du es jemandem sagst. Ich… weiß auch nicht. Es ist einfach seltsam, hier zu sein“, antwortete Ayra und seufzte.

»Nun gut. Dann ist es so«, antwortete der Drache langsam. Er schaute sie noch einen Moment durchdringend aus seinen grünen Augen an, dann schaute er zu Lif zurück, der unsicher zu ihnen hinaustrat. Hier bewegte er sich nicht mehr so sicher, wie ein Schlafwandler, sondern ebenso behutsam und unsicher, wie jeder andere Blinde auch.

„Ayra, lass uns wieder nach unten gehen. Ich bring dich zu Thin und dann habe ich noch etwas zu erledigen, aber mit ihr kommst du ja gut aus, denk ich mal“, erklärte er und blieb stehen.

Das Mädchen schaute von ihm zu seinem Drachen. Smarada schaute Lif nachdenklich an, schüttelte dann aber wie in Gedanken den Kopf. Er breitete seine Flügel aus und flog davon. Ayra schaute ihn einen Moment nach, dann ging sie zu Lif um ihn wieder in die Halle zu führen. Sie verstand nicht, was los war, das Smarada aber sehr distanziert gegenüber dem Rebellenführer war, das spürte sie ganz eindeutig. Aber sie fragte nicht.

„Du musst mir sagen, wo wir lang müssen“, erklärte sie Lif stattdessen, als sie die Halle schon zur Hälfte durchquert hatten. Doch da mischte sich Siran ein.

„Lif, du solltest mit Drake gehen, diese Sache duldet keinen Aufschub. Ich bringe deine kleine Freundin wieder Thin und folge euch dann“, erklärte sie ernst und sogleich nickte Lif und blieb stehen. Siran deutete Ayra, ihr zu folgen und sie tat es auch. Erst als sie wieder draußen waren und den steilen Pfad nach unten folgten, da war sie sich sicher, nicht mehr von den beiden jungen Männern gehört zu werden und wandte sich mit einem Stirnrunzeln an die Frau.

„Ich verstehe das alles nicht“, begann sie. „Was duldet keinen Aufschub? Warum ist Smarada so seltsam und wieso wagt es keiner, Lif zu wiedersprechen?“

„Im Südwesten sind Männer des Königs gesehen worden, sie müssen in Augenschein nehmen, wie gefährlich die Situation für das Dorf ist“, erklärte Siran ernst und schaute nachdenklich zum Dorf hinab. Sie zögerte einen Augenblick, auch die anderen Informationen Preis zu geben, tat es dann aber doch. „Und wegen Lif und Smarada, da brauchst du dir keine Gedanken machen. Sie werden sich schon wieder versöhnen, sie müssen es. Smarada hat es bloß nicht gefallen, das Lif seine Macht so ausgenützt hat. Natürlich, damit kannst du vermutlich ebenso wenig anfangen, aber du wirst es verstehen, wenn du weißt, wer Smarada ist.“

„Und wer ist Smarada?“, mit einem mal war sie es Leid, das ihr niemand eine klare Antwort gab.

„Es würde zu weit gehen, es dir zu erklären. Drachen sind komplizierte Wesen, es dauert eine Weile, bis man ihr System von Macht und Alter durchschaut hat, und noch länger, bis man verstehen mag, wie sich das ganze auf uns Drachenreiter auswirkt. Aber Smarada ist nicht irgendein Drache, genauso, wie Lif nicht irgendein Junge ist. Du wirst es verstehen, wenn du dich genauer damit beschäftigen magst“, erklärte sie und lächelte wieder.

Das machte Ayra schier rasend. Sie hatte doch nun wirklich keine schweren Fragen gestellt, und dennoch war Siran nicht gewillt, ihr eine klare Antwort zu geben. Sie blieb mit einem mal stehen und blitzte sie wütend an.

„Weißt du was? Ich finde den Weg auch alleine“, fauchte sie und marschierte so schnell davon, das Siran ihr bloß verblüfft hinterher blickte. Doch sie lächelte auch zufrieden.

„Mit ihr werden meine Söhne noch so ihre liebe Not haben“, frohlockte sie und folgte dem Weg langsam.

Jahre später

Anmerkung meinerseits vorweg: Das die Drachen mit einem mal Kursiv sprechen liegt daran, das Animexx der Ansicht ist, das ich ganz plötzlich und mit einem mal nicht mehr zwei Sorten von Anführungszeichen verwenden darf, also bitte nicht meckern.
 

Ayra streckte sich und setzte sich langsam auf. Verschlafen schaute sie nach rechts und links und dann dorthin, wo Tay lag und noch immer döste. Auch Thin war den warmen Sonnenstrahlen erlegen und schlief tief und fest unter den schützenden Flügel Azurithias.

„Thin, Tay, es wird Zeit“, wollte sie die beiden wecken, doch sie sprach nur leise und keiner hörte sie. Sie spielte einen Moment mit den Gedanken, lauter zu sprechen oder gar aufzustehen, doch Rubia stupste sie mit ihrer Schnauze an.

»Lass sie noch schlafen«, sagte sie leise und langsam nickte Ayra. Doch sie stand auf und streckte sich noch einmal.

„Lass uns irgendwohin gehen, ich kann jetzt nicht mehr schlafen“, erklärte sie und ging ein paar Schritte. Rubia schaute sie nachdenklich aus ihren blutroten Augen an, folgte dann aber langsam.

Wohin willst du gehen?, fragte die Drachin, während sie ihre mächtigen Schwingen sortierte. Sie war in den vergangen fünf Jahren riesig geworden.

„Ich weiß nicht… Ausschau halten, nach den Jungs“, überlegte Ayra und legte eine Hand auf Rubias mächtige Muskeln.

Sie sind aber keine „Jungs“ mehr, und dass du dich nach beiden sehnst glaube ich dir auch nicht, antwortete die und verzog ihre Schnauze zu einem Drachenlächeln.

„Ich habe nie behauptet, mich nach ihnen zu sehnen, aber ich will Lif endlich davon überzeugen, das es bessere Wege gibt, als Krieg“, antwortete Ayra und schnitt Rubia eine Grimasse.

Jeder Weg ist besser als dieser. Aber er hat schon versucht, andere Wege zu gehen und ist immer vor einer Mauer gelandet, die er nicht überwinden konnte, antwortete Rubia sanft.

„Ich weiß. Aber ich werde die Flügel sein, die ihn über eben diese Mauern tragen“, antwortete die junge Frau zuversichtlich. Rubia antwortete darauf zwar nicht mehr, aber ihr Blick sagte alles.

„Hör auf, mich anzusehen, als wäre ich zu jung, um zu verstehen, was ich von mir gebe“, brummte Ayra auch sogleich unwillig, „ich bin immerhin viel älter als du und habe entsprechend viel mehr Lebenserfahrung.“

Aber ich bin größer, und da du mich nicht dazu zwingen kannst, zu tun, was du willst, musst du dich wohl damit anfinden, konterte sie lächelnd. Dann blieb sie stehen und streckte einladend ihre Flügel aus. »Spring auf. Ich bring dich zu deinem Aussichtsplatz, damit du dort auf deinen Liebsten warten kannst.«

Ayra schaute sie böse an. „Er ist nicht mein Liebster!“

Nein, natürlich nicht, obwohl nicht einmal ein Hauch von Sarkasmus in der Stimme des Drachenmädchens war, erschien es Ayra dennoch so, als troff sie nur so vor Hohn. Doch sie ging nicht weiter darauf ein, stattdessen kletterte sie auf den Drachenrücken und ließ sich von Rubia in die Lüfte entführen.

Seitdem sie kräftig genug war, mit Ayra auf dem Rücken den Himmel zu erkunden, gab es keinen Tag, an dem sie nicht einmal geflogen waren. Sie liebten es, gemeinsam in das unendliche blau und weiß zu entschwinden und erst nach Stunden wieder die Fesseln der Erde anzulegen. Doch dieser Flug war nicht lang, Rubia kehrte lediglich zum Berg zurück und landete dann geschickt auf dem Rand des Drachenhortes.

Es war der höchste Punkt der Umgebung, von hier aus konnte man bis zum Horizont sehen. Bei gutem Wetter konnte man weit entfernte Hügel sehen, die sie beide aber bisher nicht hatten besuchen dürfen. Und dennoch kam es Ayra so vor, als würde es keinen Punkt auf dieser Welt geben, den sie noch nicht gesehen hatte, obwohl sie sehr genau wusste, dass dies nicht der Fall war. Sie setzte sich im Schneidersitz auf dem Boden und betrachtete verträumt die Wolken, die über ihr dahin schwebten.

„Meinst du, sie kommen heute wirklich?“, fragte sie langsam und lehnte sich an Rubia, die es sich hinter ihr bequem gemacht hatte.

Bisher hat Lif immer Wort gehalten, mach dir keine Gedanken um ihn, antwortete die und legte ihren Kopf auf den Boden nieder.

„Ich mach mir keine Sorgen um Lif“, knurrte Ayra böse, „er ist immerhin ein erwachsener Mann, er kann nun wirklich selbst auf sich aufpassen. Er ist nicht umsonst der Anführer der Rebellen!“

Ayra, brummte Rubia unwillig, mit deinem Gerede bestätigst du lediglich, das ich recht habe.

Die junge Frau atmete einmal tief ein, um abermals zu widersprechen, und stieß die Luft dann pfeifend wieder aus. Rubia hatte ja recht. Sie mochte Lif nicht nur sehr gerne, sondern sie bestätigte ziemlich eindeutig die Vermutung der Drachin, wenn sie immer so heftig reagierte. Also sagte sie nun nichts dazu. Stattdessen seufzte sie und schaute in den blauen Himmel auf, um zu sehen, ob irgendwo ein Schatten von der Ankunft ihrer besten Freunde kündete.

„Sag mal, Rubia, glaubst du nicht auch, dass es jenseits der Berge noch eine neue Welt gibt, in der wir vielleicht ohne Angst leben könnten?“, fragte sie nach einer Weile und schaute fragend ins Gesicht des Drachenmädchens.

Die gibt es auch, Smarada hat mir von ihr erzählt. Aber dort werden wir gewiss nicht ohne Angst leben können, denn sie ist noch viel grausamer, als diese Welt, antwortete Rubia ruhig, doch auch ihr Blick streifte voller Sehnsucht zum Horizont hinter den Bergen.

„Aber du hast diese andere Welt niemals gesehen, also kannst du dir genauso wenig sicher sein, wie ich. Ich weiß nicht viel mehr über Smarada, als an jenem Tag, als ich ihn das erste mal sah, also weiß ich auch nicht, wie richtig das ist, was er uns sagt. Aber ich weiß, dass ich mit eigenen Augen sehen muss, dass jene Welt so viel schrecklicher ist, um es glauben zu können“, erklärte sie nachdenklich.

„Da geht es mir genauso“, Tay war mit Amethysta ganz unbemerkt dazu gekommen. Langsam und sehr umsichtig ging er zu ihr und setzte sich neben ihr nieder, um sich dann ebenso selbstverständlich an Rubia zu lehnen, wie es Ayra tat. Seine Drachin legte sich hinter Rubia und legte ihren Kopf auf den Rücken der roten.

Ich weiß eine Menge mehr über ihn. Es sind Dinge, die nicht einmal Lif weiß, auch er kennt Smarada nur unwesentlich besser, als an ihrem ersten Tag. Nicht einmal den Namen hat er von dem Menschen erhalten, erklärte Rubia, doch Ayra wusste, das fragen und bitten nichts brachte. Sie würde dennoch nicht mehr sagen.

Doch es war auch einerlei, den am Himmel war ein Schatten erschienen. Sie wusste nicht, ob es die Ersehnten waren, oder irgendwer sonst, aber das brauchte sie auch nicht zu wissen, um aufgeregt aufzuspringen und auf den Schatten am Horizont zu deuten.

„Dort kommen sie, das könnten sie sein!“, rief sie auf.

„Stimmt, die Richtung stimmt auch. Lass uns im Hort auf sie warten“, antwortete Tay und stand auf, doch Rubia fauchte ihn böse an. Das Innere des Drachenhortes war ein Ort, an dem kein Mensch jemals etwas zu suchen hatte. Natürlich, sowohl Amethysta, als auch Rubia selbst hatten ihre Menschen schon mit dorthin genommen, aber das hatte Gründe gehabt, die wohl bloß die Drachen kannten.

„Schon gut, meine rote Prinzessin, das war ein Scherz“, lachte Tay und zwinkerte dem Drachenmädchen verschmitzt zu. Rubia war viel lebendiger und energischer als Amethysta, die sehr ruhig und empfindsam war, deswegen stänkerte er lieber mit Ayras roter Drachin herum, als mit seiner eigenen.

„Lass lieber solche Scherze, sie hat schlechte Laune“, bemerkte Ayra, und erhielt dafür einen bösen Blick. Doch sie ignorierte dies einfach, stattdessen kletterte sie auf Rubias Rücken und ohne etwas zu erfragen stieß sich die Drachin ab und schwebte elegant hinab in jene Höhle, in der sie das erste mal den Boden des Dorfes betraten.

Tay und Amethysta folgten nach kurzer Zeit. Sie brauchten nicht mehr lange warten, dann schwebte die grüne Gestalt Smaradas herein, dich gefolgt von Onyxa. Begleitet wurden sie von einem der Rebellen auf einem Topasbraunem Drachen. Sie wussten, dass er zu den Rebellen gehörte, aber seinen Namen kannten sie nicht.

Doch im Moment war das auch einerlei. Mit wenigen Schritten war Ayra bei Lif, kaum das der den Boden berührte, und umarmte ihn stürmisch.

„Lif, da bist du ja wieder!“, rief sie und stürzte zu Drake weiter, um ihn ebenso stürmisch zu begrüßen. Tay lachte und gab beiden Männern, mit einem einfachen „Willkommen zurück“, die Hand. Der dritte Neuankömmling blieb nicht lange, er rutschte nicht einmal vom Drachenrücken, sondern zischte Drake noch etwas zu und verschwand dann wieder.

Doch weder Tay noch Ayra störten sich daran, im Gegenteil. Sie sprachen schnell auf die beiden jungen Männer ein, um Neuigkeiten zu erfahren. Gerade Tay hatte schon lange nichts mehr von dem gehört, was sein Vater tat, und das machte ihn nervös. Er hatte immer gewusst, was der König als nächstes tun würde, jetzt ihm als Feind gegenüber zu stehen und dann nicht zu wissen, was zu tun war, war noch einmal ungleich schlimmer.

Doch weder Lif noch Drake antwortete ihnen, im Gegenteil. Schweigend und mit ernstem Blick ließen sie die Begrüßung über sich ergehen, um die beiden dann Kommentarlos in die Küche zu komplimentieren. Dort drücken sie die beiden auf ihre Plätze und setzten sich dazu.

„Wir haben sehr schlechte Neuigkeiten“, begann Drake ohne umschweife und sogleich verschwand alle Wiedersehensfreude, als wäre sie niemals da gewesen.

„Der König sammelt seine Truppen, wir wissen nicht genau, was er vor hat, aber es wird gegen die Stadt Kersian gehen, so viel konnten unsere Informanten herausfinden. Und er wir eine neue Waffe haben, von der wir bisher nichts wussten“, sprach Lif ernst weiter.

„Tay, wir groß waren seine Truppen damals?“, Drake schaute den Schwarzschopf ernst an. Der hatte die Nachricht vom kommenden Krieg allerdings noch gar nicht bewusst aufgenommen, und starrte den blonden daher nur abwesend an. Nur langsam trat die Frage in sein Bewusstsein und er überlegte einen Moment.

„Zu groß, als wenn wir gegen sie ankommen könnten“, antwortete er zögernd. Sogleich durchbohrte ihn Drakes misstrauischer Blick und er beeilte sich, seine Antwort zu erklären. „Vater hatte als ich ging schon riesige Truppen und es meldeten sich immer noch freiwillige. Und selbst wenn es keine Freiwilligen mehr gibt, wird er sie zwingen, wenn es nötig ist. Seine Truppen sind schier unerschöpflich.“

„Wir haben Drachen“, warf Lif ruhig ein, doch Tay schüttelte langsam den Kopf.

„Ja, aber die meisten Drachen werden sich nicht am Krieg beteiligen. Selbst Amethysta wäre schwer von der Notwendigkeit zu überzeugen, und sie tut fast alles, was Rubia und Smarada als Sinnvoll erachten. Natürlich, selbst wenn nicht alle Kämpfen sind sie doch schreckliche Wesen, wenn man sie als Feind hat, aber sie sind weder Unsterblich, noch unermüdlich. Irgendwann würden sie einfach nicht mehr weiter machen können, und dann hätten wir das, wofür wir Kämpfen, praktisch mit unseren eigenen Händen getötet“, antwortete Tay und schaute dabei Drake an, als würde er es ganz allein für ihn erläutern.

Drake wirkte darüber nicht begeistert, er schien das ganze anders zu sehen, doch Lif an seiner Seite nickte: „Genau so sehe ich das auch. Doch das heißt, das wir ein Kampf vermeiden müssen.“

„Was dann Kersian nicht gut bekommen würde“, sprach Ayra aus, was alle dachten. Abermals nickte Lif zustimmend, dann herrschte für einen Moment nachdenkliches Schweigen.

„Kersian ist zu wichtig, um es sich selbst zu überlassen, aber ein Kampf ist ausgeschlossen. Keine gute Ausgangsposition“, bemerkte Tay ernst.

„Nein, im Gegenteil. Wir haben auch keine Ahnung, wie der König erfahren konnte, das Kersian einer unserer Hauptstützpunkte ist“, Drake mussterte Tay so feindseelig, das man nicht Gedanken lesen können musste, um seine lesen zu können. Es war ein wenig so, als stünden sie mit Leuchtlettern auf seiner Stirn geschrieben. Fünf Jahre hatte noch lange nicht gereicht, um Drake alles vergessend zu machen, wer Tay war. Doch der ignorierte diese Feindseeligkeiten.

„Was hat es mit der Waffe auf sich, die du erwähnt hast“, versuchte Ayra an Lif gewandt das ganze auf anderes zu lenken, und es gelang, wenn auch nicht so, wie sie es sich wünschten, den Drakes Blick verdüsterte sich noch mehr und sein Blick wurde noch kälter.

„Das wissen wir nicht. Keiner weiß genaues darüber, nur das der König sie hat, und das sie stark sein soll. Es soll ein lebendes Wesen sein, und er soll es in seinem Kerker herangezüchtet…“, er konnte seinen Satz nicht beenden, denn Tay war aufgesprungen.

„Regenbogen!“, rief er und wirkte so erschrocken und verzweifelt, das alle drei ihn entsetzt anstarrten.

„Was?“, fragte Drake langsam. Tay blinzelte verwirrt, schaute den jungen Mann dann verwundert an, bevor er den Kopf schüttelte und sich hinsetzte.

„Nichts“, sagte er und verbarg das Gesicht in den Händen.

„Tay, wenn du etwas weißt, dann musst du es uns sagen“, meinte Lif eindringlich.

„Nein, ich… es ist… ich kann…“, Tay schüttelte heftig den Kopf, und stand wieder auf, um unruhig durch den Raum zu tigern.

„Tay?“, fragte Ayra vorsichtig.

„Ja, ich weiß“, antwortete er barsch, schüttelte dann heftig den Kopf.

„Erzähl es uns einfach. Was weißt du?“, Lif folgte mit seinen Augen, die nichts als Dunkelheit sahen, den Schritten des jungen Mannes.

„Das ist es ja. Eigentlich weiß ich nichts. Ich… ich hielt es für einen Traum, aber es ist Wirklichkeit, es ist so wirklich, wie wir!“, abermals schüttelte er ungeduldig den Kopf. „Es ist schwer zu erklären.“

„Erzähl es einfach. Wir werden es schon verstehen“, antwortete Lif. Mit einem mal viel Ayra auf, wie Erwachsen er eigentlich war.

Drake war zwar älter, doch Drake war hitzköpfig, stur und handelte oft vorschnell. Wenn er an etwas festhielt, dann konnte ihn niemand mehr vom Gegenteil überzeugen. Das hatte sie sehr verwundert, wenn sie hatte anfangs Drake als ruhig und bedacht kennen gelernt.

Dieses Wesen jedoch traf auf Lif ungleich mehr zu, der damit so eindeutig nach Dura schlug, wie es nur irgend möglich war. Ruhig, besonnen und vorausschauend.

„Ich… okay. Aber unterbrecht mich nicht, ich… spreche nicht gerne über das, was einmal war“, meinte er und die anderen nickten zustimmend. Tay ging noch einmal nervös auf und ab, lehnte sich dann gegen die Arbeitsfläche und schaute abwesend in den Raum.

„Es ist schon sehr lange her. Ich war noch sehr klein und ich… es… es war kurz danach. Ich konnte nicht schlafen, ich… hatte angst. Angst vor der Dunkelheit, die mich sonst immer beschützt hat. Ich… irgendwann bin ich aufgestanden und wollte einen Ort suchen, an dem ich mich nicht mehr so allein fühlte. Es… ich… alles war so dunkel, und von überall her hörte ich so seltsame Geräusche, doch ich hatte mehr angst davor, allein wieder in mein Bett zu gehen, als vor der Nacht. Ich… ging weiter, bis ich dann diesen entsetzlichen Schrei hörte. Ich glaube, ich habe vor Schrecken mit geschrieen, aber ich weiß es nicht mehr. Ich habe mich umgedreht und wollte wieder zurücklaufen, aber ich war noch so klein und in der Dunkelheit sah alles so… anders aus. Ich lief so schnell ich nur konnte, bis ich irgendwann vor einer Tür stand, von der ich glaubte, sie nie zuvor gesehen zu haben. Ich weiß nicht, was mich dort hielt, aber ich trat an diese Tür und wollte sie öffnen. Ich glaube, ich habe gehofft, dass ich dort Schutz finde, aber es ist einerlei. Ich konnte sie nicht öffnen, sie war verschlossen, aber ich ging dennoch nicht. Ich setzte mich vor die Tür und hörte, das ein andere Lebewesen dort hinter saß und genauso traurig und allein war, wie ich. Da habe ich angefangen, zu erzählen. Ich erzählt irgendetwas, nichts, was wichtig wäre, und was mir doch so lange schon das Herz zerdrückte. Ich… habe niemals eine Antwort erhalten, doch ich spürte, das es ebenso froh über meine Gesellschaft war, wie ich über seine, und das ihm meine Worte so unendlich viel bedeuteten. Irgendwann dämmerte der Morgen und ich schlich wieder in mein Zimmer zurück“, Tay stieß sich von der Arbeitsplatte ab und setzte sich etwas entfernt auf den Hocker, auf dem sie sich immer zum Kartoffelschälen setzten. Er starrte einen Augenblick tief in Gedanken versunken vor sich hin, bevor er es wagte, weiter zu sprechen.

„Ich erzählte niemandem davon, doch ich lief danach jede Nacht dorthin. Ich fand den Weg in der Dunkelheit immer und immer erwartete es mich und lauschte meinen Worten. Einmal habe ich durchs Schlüsselloch geblickt, da habe ich jedoch nichts sehen können. Hinter der Tür war es noch dunkler, als auf meiner Seite, da tat es mir noch viel mehr Leid. Aber ich konnte nichts anders tun, um es zu trösten, als jeden Abend aufs Neue hinzugehen und zu erzählen. Bis zu dem einen Abend. Ich ging früher hin, denn ich freute mich langsam auf die Nächte, die mir jemand zuhörte, und die ich nicht alleine war. Ich war ungeduldig, da war es mir egal, ob schon alle schlafen mochten. An diesem Abend öffnete sich die Tür. Ich setzte mich wie immer vor die Tür und hatte gerade ein paar Worte gesagt, da öffnete sie sich mit einem Ruck und mein Vater stand erstaunt in der Tür und starrte zu mir herab. Ich hatte Angst, dass er nun schreien würde, doch er kam nur heraus, schloss die Tür wieder und brachte mich ins Bett, ohne ein Wort zu verlieren. Das war das einzige mal, das ich sah, was sich hinter der Tür verbarg. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es leuchtet in allen Farben des Regenbogens, deswegen nannte ich es danach immer so. Am nächsten morgen fragte ich dann Vater nach diesem Wesen. Er meinte, er wüsste nicht, wovon ich sprach, und da glaubte ich, dass es wohl bloß ein Traum gewesen sein konnte. Mir fiel kein Grund ein, warum mein Vater es mir sonst verschweigen sollte, es konnte nur ein Traum gewesen sein. Ich suchte danach nicht wieder nach der Tür, weder nachts noch tagsüber und sprach nicht wieder von ihm. Ich… habe ihn aus meinen Erinnerungen verbannt“, Tay seufzte und schaute nachdenklich zu den anderen hinüber.

„Du meinst, seine Waffe könnte dieses Wesen sein?“, fragte Lif und neigte ein wenig den Kopf.

„Wenn es eine Waffe wäre, die er schon länger konstruieren würde, wüsste ich von ihr, und Wesen, die im Schloss geben, die in diese Kategorie fallen sind auch sehr rar. Wenn es nicht Regenbogen ist, dann weiß ich beim besten willen nicht, was es sonst sein könnte“, antwortete Tay.

„Das hilft uns zwar nicht dabei, zu bestimmen, was es für ein Wesen ist, aber vielleicht mag deine Erinnerung noch von nutzen sein“, Lif stand auf und ging zögernd zur Tür.

„Wohin gehst du?“, fragte Ayra und er blieb stehen.

„Ich glaube, der Rat sollte davon erfahren. Aber keine angst, Tay, ich werde ihnen nur das wichtigste erzählen“, erklärte er. Da stand das junge Mädchen auf und war mit einigen wenigen Schritten bei ihm.

„Ich will noch mit dir über etwas reden“, erklärte sie und begleitete ihn. Sie wartete, bis sie ganz sicher außerhalb der Hörweite von Drake und Tay waren, da begann sie zu erklären, war ihr auf der Seele brannte.

„Lif, ich will das nicht mehr“, begann sie und schüttelte unwillig den Kopf.

„Was denn?“, fragte der, obwohl er sehr genaue Vorstellungen hatte.

„Der Krieg. Das ihr immer schlechte Nachrichten bringt, wenn ihr heimkehrt. Und das man niemals weiß, ob ihr überhaupt jemals heimkehren werdet. Ich warte jedes mal aufs neue darauf, dass einer von euch nicht wieder kommt. Es wäre nicht das erste mal“, erklärte sie und ihre Stimme zitterte.

„Wir haben keine andere Wahl“, antwortete Lif, doch er sagte es nicht wie jemand, der andere Wege gar nicht erst in Betracht gezogen hatte, sondern wie jemand, der über diesen Weg so verzweifelt war, das es ihn innerlich zerriss.

„Aber wieso? Lif, was liegt hinter den Bergen, das ihr euch so sicher seid, das wir dort niemals in frieden sein werden? Bist du jemals dort gewesen, um es mit Bestimmtheit sagen zu können, oder hast du es auch nur aus Berichten von anderen gehört?“, es war nicht das erste mal, das sie diese Unterhaltung führten, und es war nicht das erste mal, das Lif ihr erklärte, das es schon so viele versucht haben, aber nur die wenigsten wieder gekommen waren. Und die hatten keine guten Nachrichten gebracht.

„Das weiß ich, das sagst du jedes mal“, antwortete Ayra deswegen auch gereizt, doch bevor der junge Rebellenführer antworten konnte, sprach sie auch schon weiter, „aber ich will ja nicht wissen, ob andere sich dessen sicher sind, sondern ob du es bist.“

Auch dies machte sie nicht zum ersten mal deutlich, und normalerweise erhielt sie darauf keine Antwort, doch heute blieb Lif stehen. Einen Moment stand er still da und starrte mit den blicklosen Augen vor sich hin, dann schüttelte er heftig den Kopf.

„Was soll ich den deiner Meinung nach tun Ayra?“, fragte er mit einem mal heftig. Sie trat erschrocken einen Schritt zurück, da sprach er auch schon weiter. „Meinst du, mir macht dieser Krieg spaß? Meinst du, ich führe ihn an, weil ich glaube, dass es eine andere Lösung gibt? Ja verdammt, ich bin dort gewesen, und habe gesehen, was hinter den Bergen liegt! Ich kämpfe, weil ich weiß, das es die einzige Möglichkeit ist. Was soll ich tun, das du es mir endlich glaubst?“

Sie schaute ihn einen Moment erstaunt an. Mit so einem Ausbruch hatte sie nicht gerechnet, deswegen brauchte sie einen Augenblick, um seine Worte in sich aufzunehmen.

„Es tut mir Leid, Lif, aber es fällt mir so schwer das zu glauben, wenn ich es selbst doch nicht gesehen habe. Es gibt nichts in meiner Welt, das schlimmer ist, als dieser Krieg, ich kann es mir einfach nicht vorstellen“, erklärte sie traurig.

„Ich weiß. Ich habe es mir auch niemals vorstellen können“, antwortete Lif sanft, „aber was soll ich tun, dass du mir glaubst?“

„Ich möchte es mit eigenen Augen sehen. Ich möchte von dir die Erlaubnis, dass ich gehen darf“, erklärte sie so sachlich, als wenn sie über eine einfache mathematische Gleichung spräche.

„Du darfst gehen, wohin auch immer du gehen willst Ayra. Ich bin der letzte, der dich dazu zwingt, hier zu bleiben“, antwortete er sanft und ging weiter.

„Dann möchte ich eben dein Einverständnis“, erwiderte sie sogleich. Abermals blieb Lif stehen. Mit einemmal arbeitete es in seinem Gesicht.

„Du würdest auch alleine gehen, wenn ich nur meinen Segen gebe, oder?“, fragte er leise.

„Ja. Rubia würde mich begleiten, das reicht mir“, erklärte sie

Lif seufzte, nickte dann: „Dann werden wir gehen.“

Perla

Zwei Tage später standen sie auf dem Rand des Drachenhortes und verabschiedeten sich von Drake und Siran. Drake war schon einmal dort gewesen, gemeinsam mit Lif, und er verstand nicht, wieso sich sein Bruder so etwas abermals antat, doch er versuchte mit keinem Wort, sie zurück zu halten. Er fragte lediglich, ob sie sich sicher wären.

Siran dagegen wollte ihren Sohn verabschieden. Ayra war sehr erstaunt gewesen, als sich die Frau als Duras Ehefrau und Mutter von Drake und Lif erwies. Sie hatte sich immer eine sehr forsche Frau vorgestellt, die Drake gerecht wurde, doch sie war ebenso sanft und gutmütig, wie ihr Mann.

Diese Eigenschaften hatten sie jedoch bloß Lif vererbt, denn auch bei Thin, die die Schwester der jungen Männer war, war von Ruhe und Gelassenheit nicht viel zu spüren. Jetzt, wo sie bald aufbrechen würden, schon einmal gar nicht.

Thin und Ayra hatten sich anfangs sehr oft gestritten, so gern Ayra das Mädchen auch mochte, denn sie hatte geglaubt, dass das junge Mädchen den jungen Männern näher stand, als sie beim ersten Treffen vermutet hatte. Darauf, dass sie ihre Schwester war, wäre Ayra niemals gekommen. Erst nach Monaten und einem besondern fiesen Streit hatte Lif ihr erklärt, das seine Schwester es nicht verdient hatte, das Ayra so mit ihr Umsprang. Ayra hatte sich damals fürchterlich geschämt, doch seitdem dies geklärt war, waren die beiden Mädchen gute Freundinnen geworden.

Nun würde auch Thin sie begleiten. Der vierte war Tay. Er wäre zwar bei den Rebellen sehr willkommen gewesen, denn sein Hintergrundwissen übertraf das jeden Spions bei weitem, obwohl es veraltet war, doch er hatte sich dagegen entschieden. Er konnte nicht genau sagen, was ihn dazu veranlasst hatte. Ob es Drakes offensichtliches Misstrauen war, ein einfaches Bauchgefühl, oder etwas anders, das vermochte er nicht zu sagen, aber es war ganz deutlich.

So wurden die zwei nur von Siran und Drake verabschiedet, bevor sie auf den Rücken ihrer Drachen kletterten und den Bergen entgegen flogen. Seltsamerweise war Thin dabei die einzige, die aufgekratzt wie eine Drahtbürste sinnlos vor sich hin plapperte und ganz zappelig auf Azurithias Rücken hin und her rutschte.

Tay wirkte nach außen hin nun immer ruhig und besonnen, das Leben bei den Drachenreitern hatte ihm sehr gut getan. Er war nicht mehr launig und eingebildet, sondern ruhig und sachlich. Er hatte etwas von einem Anführer und unterstützte damit Lif.

Er zog nicht aus, um Informationen zu beschaffen, wie der junge Mann, aber er vertrat ihn im Dorf, was mindestens ebenso wichtig war, und obwohl er der Prinz war, gegen den sie so lange schon ankämpften, vertrauten ihm die Leute blind. Jeder wusste um seine Vergangenheit, doch sie alle hatten ihre Zweifel ebenso abgelegt, wie Lif es getan hatte, und hatten sein Urteil angenommen.

Wieso ausgerechnet Lif, der weder alt noch weise war, unter den Drachenreitern als Anführer fungierte, hatte Ayra nicht herausgefunden, das es jedoch so war stand außer Frage. In den fünf Jahren, die sie in dem Dorf gelebt hatte, hatte sie nicht einmal erlebt, dass es irgendjemand gewagt hatte, Lif in wichtigen Dingen zu widersprechen oder eine Entscheidung von ihm anzuzweifeln. Sie begegneten ihm mit Freundschaft und Respekt, er war beliebt, und dennoch so eindeutig der Anführer, das es selbst einem Außenstehenden aufgefallen wäre. Nur die Frage nach dem wieso hat ihr niemals jemand beantwortet, obwohl sie oft gefragt hatte.

Aber auch Ayra selbst hatte sich verändert. Wie Tay war sie ruhiger und besonnener geworden, was aber auch daran liegen mochte, das sie nun kein Mädchen mehr war, sondern ganz eindeutig eine junge Frau und hübsch noch dazu. Sie hatte viele Verehrer, doch sie hatte kein Interesse an den jungen Männern, denn ihr Herz gehörte bloß ihren Freunden. Wobei sie sich nicht ganz sicher war, das nicht einer von ihnen doch ihr ganzes Herz gestohlen hatte, womit Rubia sie in aller Regelmäßigkeit aufzog.

Sie war zielstrebig geworden und sehr hartnäckig, wobei ihr Dickkopf immer schon zu ihr gehört hatte. Und doch, das eine oder andere Geheimnis hatte sie nicht entschlüsseln können, auch wenn eines mit ihr selbst zu tun hatte. Siran schaute sie manchmal so an, als wüsste sie etwas, aber nur sie allein und manchmal schien sie es Ayra sagen zu wollen, nur um sich im letzten Augenblick dann doch eines besseren zu besinnen und dann doch zu schweigen.

Nun würde es vielleicht sehr, sehr lange dauern, bis sie erfuhr, das Siran über sie wusste, doch es war ihr seltsamerweise egal. Seltsam teilnahmslos schaute sie nun in die Zukunft. Sie hatte erreicht, was sie erreichen wollte, sie flogen den Bergen entgegen um einen Ort zu finden, an dem der Krieg sie nicht erreichen konnte, und außer Lif wusste keiner, was sie erwartete.

Ayra hatte geglaubt, aufgeregt zu sein, wenn es so weit war, aber sie war es nicht, sondern mit einer stummen Nüchternheit legte sie sich auf Rubias roten Hals um den Boden unter sich zu betrachten, der winzig klein und rasend schnell an ihr vorüber zog. Mit einemmal hatte sie Heimweh. Nicht nach den Drachendorf, sondern nach Gora und Lera und ihrem Leben, bevor sie den Drachen begegnete.

Sie hatte seid Jahren nicht mehr an die beiden gedacht, erst jetzt stürmten die Erinnerungen auf sie ein. Sie fragte sich, was aus ihnen geworden und wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie mit Drake nicht bei Nacht und Nebel verschwunden wäre. Sie beschloss, die beiden zu besuchen, wenn sie wieder zurück war, aus der neuen Welt, doch im Moment war nicht die Zeit dazu, sich über die beiden Gedanken zu machen. Im Moment war es wichtiger zu sehen, was um sie herum geschah, herauszufinden, ob es wirklich keinen anderen Weg gab, als den des Krieges.

Sie flogen weit, und sie flogen lange. Anfangs hatte Ayra noch voll staunen auf das geblickt, was unter ihr zu sehen war, denn immerhin sollte dies unerforschtes Land sein. Doch bald schon hatte das, was sie betrachtete sich zu wiederholen begonnen und das ruhige Flügelschlagen Rubias und die tödliche Kälte hatten ein Übriges getan.

Sehr bald schon hatte sie sich fast resigniert auf Rubias Rücken gelegt und versucht, nicht zu schlafen und auch nicht zu erfrieren. Sie wusste, dass es Lif ebenso gehen mochte, denn auch er hatte sich eng an Smarada gepresst, was aber wohl auch daraus residieren mochte, das er sowieso nichts sah. Selbst Thin war es offensichtlich zu kalt, den sie zittertete sichtbar am ganzen Leib, doch sie jammerte nicht. Nur Tay saß weiter aufrecht und begutachtete mit einem fast schon fieberhaften Eifer alles, was um sich herum sah. Dabei wirkte er immer verstörter und verzweifelter.

Die Nacht hatte das Land schon fast in seiner Gewalt, als alle vier Drachen wie auf ein unhörbares Kommando hin in den Sinkflug gingen. Sie landeten auf einem Platou, das einen natürlichen Wetterschutz geformt hatte. Steif von der Kälte und seltsam Mutlos rutschte Ayra vom Drachenrücken und folgte Lif, der zielstrebig in den Unterschlupf lief. Manchmal hatte sie das Gefühl, das es ebenso gut sehen konnte, wie auch sie. Wenn er sich an einem vollkommen fremden Ort so bewegte, als wäre er dort seid Jahren schon zu Hause. Oft hatte sie sich schon gefragt, ob er vielleicht nicht mit den eigenen, wohl aber mit den Augen des Drachen sehen konnte. Seltsamerweise traute sie sich aber nicht, nachzufragen.

Auch Thin und Tay kamen zu ihnen, wobei letzterer zitterte und in seinem Blick etwas zu lesen war, dass Panik sehr nahe kam.

»Was ist mir dir?«, fragte sie erschrocken.

»Ich kenne es. Ich war hier schon einmal«, antwortete Tay und drückte sich eng an Amethysta, die schützend einen Flügel über ihn legte. Es wirkte, als hätte er wirklich Angst vor der Welt um sich herum.

»Das kann nicht sein, Tay, das Gebiet kann man nur fliegend durchqueren, deswegen ist es ja unbewohnt. Und den Drachen hast du noch nicht so lange«, antwortete Lif, wirkte aber auch verunsichert.

»Aber ich, ich…«, begann er, schüttelte dann heftig den Kopf. Als er weiter sprach, tat er es mit einer unbeteiligten Ruhe. Als wäre nicht er selbst es, der sprach.

»Ich kenne diese Gegend. Ich bin schon einmal hier gewesen. Ich weiß nicht mehr, wann es war, aber ich bin geflogen. Über Berge, Steppen, Flüsse, Meere. Ich weiß nicht, woher wie kamen, oder wohin wir gingen, aber ich war hier…«, erklärte er. Dann schwankte er und sackte zu Boden, bevor Ayra oder Thin bei ihm waren. Amethysta betrachtete den Jungen einen Moment, legte sich dann zu ihm, um ihn zu wärmen und mit ihrem großen Flügel vor dem Wind zu schützen. Da wagte Ayra nicht, näher heran zu treten, setzte sich stattdessen zu Lif und lehnte sich vertrauensvoll an seine Seite.

»Was geschieht nur, Lif? Woher kennt Tay dieses Land?«, fragte sie leise, und auch Thin, die sonst immer gut gelaunt und fröhlich war, setzte sich nun nur still dazu und schaute den großen Bruder mit großen Augen an.

»Das weiß ich nicht, Ayra. Aber ich glaube, das jemand anderes es weiß, doch bevor er es uns freiwillig sagt, sind wir alt und grau«, erwiderte Lif und blickte viel sagend zu Smarada, der sich auf die äußerte Kante gesetzt hatte, und nachdenklich in den Himmel blickte.

»Lif? Wieso sagst du uns eigentlich nicht alles, was du weißt? Ich habe es schon so oft gemerkt«, sprach Ayra weiter.

»Weil ich selbst nicht alles weiß. Diese ganze Sache ist wie ein großes Puzzle. Wie haben schon verschiedene Teile zu Bruchstücken des Ganzen zusammengefügt, sodass wir viele verschiedene Bilder haben, aber sie scheinen nicht zusammen zu gehören. Also stellt sich die Frage, ob wir nur ein Puzzle haben, oder zwei. Oder gar noch mehr. Und da weiß ich kaum mehr, als du. Ich sehe vielleicht etwas mehr vom Bild, sodass ich ahnen kann, wie zwei Dinge zusammen gehören, aber es ist noch lange nicht genug, das ich weiß, was wirklich dabei herauskommt«, erklärte Lif und legte sich auf den Rücken.

»Kannst du uns denn nicht sagen, welche Teile es sind, die wir noch nicht kennen? Vielleicht erscheint uns das Bild ja klarer, als dir und Drake«, fand auch Thin.

»Ich könnte es, und ihr würdet wirklich mehr sehen, aber eigentlich ist es egal. Das einzige, was ich euch voraus habe, ist eigentlich diese Reise hier. Und ihr werdet sowieso bald sehen, was ich sah, und ich hoffe für euch, dass es euch dann geht, wie Drake, und nicht wie mir«, antwortete er.

»Oh Lif! Ich verstehe es nicht, was ist den nur geschehen, als ihr hier wart?«

»Warte es einfach ab, Ayra. Du wirst es noch früh genug erfahren«, damit schloss Lif die blinden Augen und schlief schnell ein. Ayra seufzte einmal tief und nach einem letzten Blick auf Thin, die so seltsam unglücklich wirkte, legte auch sie sich nieder.

Am nächsten Morgen setzten sie vollkommen wortlos ihre Reise fort. Aber was hätte es denn auch zu sagen gegeben?

So folgten einander die Tage ohne eine große Veränderung. Lif schwieg sich aus, Ayra hatte Angst vor dem, was sie erwarten mochte, Thins Blick wanderte immer häufiger voll Sehnsucht zurück, und Tay sonderte sich ab, blieb lieber für sich mit seinen Gedanken.

Keiner von ihnen hatte der vergangenen Zeit einen Namen gegeben, aber es mussten schon Wochen voran gegangen sein, da begann Smarada einen Landeflug, obwohl es erst früher Nachmittag war.

Rubia, Amethysta und Azurithia folgten nur zögernd, doch es dauerte nicht lange, da standen sie alle auf ebener Erde.

»Warum sind wir gelandet?«, wollte Ayra sogleich alarmiert wissen, kaum das es möglich war, sich über den Wind zu verständigen.

»Keine Sorge, es ist nichts schlimmes«, antwortete Lif ruhig, denn er hatte die Angst in ihrer Stimme durchaus gehört. »Ich will euch nur etwas zeigen. Das erste Schreckenniss auf dem Weg ins Unbekannte. Erst wenn ihr dies gesehen habt, entscheidet, ob ihr wirklich weiter wollt.«

Tay, Thin und Ayra wechselten einen viel sagenden Blick, stimmten dem dann aber zu. So führte Lif sie durch eine felsige, unwegsame Landschaft, so sicheren Fußes, als wäre er diesen Weg schon unzählige Male gelaufen. Smarada war dabei an seiner Seite, huschte dahin, wie eine riesige geflügelte Echse. Ayra fragte sich indes, warum sie nicht geflogen waren, doch als sie ankamen, kannte sie die Antwort. Das Gelände war hier so unwegsam, das höchstens Smarada seiner vielen Erfahrung wegen hätte Landen können. Gerade Amethysta und Rubia hätten keine Chance gehabt.

Doch das war für diesen Moment Nebensache und vollkommen egal, viel wichtiger war das, weswegen Lif sie überhaupt hierher gebracht hatte. Im allerersten Moment hatte Ayra es für einen riesigen Berg seltsamer Steine gehalten, doch nur der Bruchteil einer Sekunde hatte gereicht, um ihr zu zeigen, dass es ein Skelett war. Die fahlen Knochen, die so groß waren, das Ayra kein Tier einfallen mochte, dem sie einst gehört haben konnten, schienen von innern heraus zu leuchten.

»Was ist das?«, fragte Thin, obwohl sie es ebenso erkannt hatte, wie Ayra und Tay.

»Wir kennen ihren Namen nicht, aber sie muss etwas ganz besonderes gewesen sein. Seht euch ihre Schuppen an«, forderte Lif auf, ohne auf die Frage seiner Schwester einzugehen. Er deutete zu Boden.

Er hatte recht, unter den Knochen lagen noch die Schuppen und sie waren von seiner seltsamen Farbe, wie Ayra sie nie zuvor gesehen hatte, Tay dagegen schon.

»Perlmutt«, murmelte er, als er eine in die Hand nahm.

»Genau. Wir nennen sie Perla. Erst dachte ich, die Sonne hätte die Farbe aus ihren Schuppen gebrannt, doch Smarada hat mir erklärt, das Drachen ihre Farbe nicht verlieren, selbst wenn sie schon tausend Jahres tot sind. Allein schon deswegen ist sie etwas Besonderes. Ihr wisst, unsere Drachen haben die Farbe von Schmucksteinen, Perlmutt ist wertvoll und selten wie die Steine auch, aber es ist kein Stein«, erklärte Lif.

»Woraus besteht es sonst? Und warum verwesen die Schuppen nicht? Immerhin tun rs die von Echsen und Schlangen und auch Fischen ja auch«, merkte Ayra an.

»Das wissen wir nicht. Aber es gibt einige Theorien. Ich habe niemals zuvor einen toten Drachen gesehen«, staunte Thin, die Hand nur wenige Zentimeter von einem der Knochen entfernt.

»Man nimmt an, dass sich die Schuppen so stark verhärten, das sie zu Stein werden. Oder zu etwas, was härter ist als Stein, den Perlas Schuppen sind es ganz eindeutig. Mit ihr kann ich problemlos Smaradas Schuppen zerkratzen. Eigentlich kommt Perlmutt und in Muschen vor, es umschließt die Perle«, fügte Lif hinzu.

Da hob auch Ayra eine Schuppe auf, und Lif hatte nicht übertrieben. Rubia verlor ab und an einmal eine Schuppe, doch die waren niemals so hart, denn als Ayra die Perlmuttschuppe mit aller Kraft auf den massiven Felsen warf, da war es der Feld, der eine tiefe Kerbe davontrug, die Schuppe hatte nicht einmal einen Kratzer.

»Unglaublich«, murmelte sie. Dann jedoch schaute sie Lif fragend an. »Aber wieso sind wir eigentlich hier? Ich dachte, du wolltest uns das erste Schreckenniss des Unbekannten zeigen, aber ich sehe bloß einen verendeten Drachen.«

»Denk nach, Ayra. Siehst du nicht, wie groß sie war? Perla war selbst für einen ausgewachsenen Drachen sehr groß, bald doppelt so groß wie Smarada. Trotzdem liegt sie hier mit zerschmettertem Leib. Wieso wohl?«

»Irgendetwas muss sie vom Himmel geholt haben. Und das, was einen ausgewachsenen Drachen den Tod bringt, wird keine Schwierigkeiten mit Rubia und Amethysta haben«, Tay hatte verstanden.

»Vielleicht war es ja ein Sturm, davon haben wir ja auch schon gehört. Vielleicht eine besonders heftige Windböe, durch die sie ins Schleudern kam«, meinte Thin, obwohl sie es besser wusste.

»Eine so heftige Böe gibt es nicht, Thin. Es gab bisher niemals einen Sturm, den Smarada nicht hätte trotzen können. Außerdem kann ein bisschen Wind ihr nicht den Flügel ausreißen«, antwortete Lif und deutete ein Stück weiter. Er hatte recht, dort lag eindeutig und unverkennbar der linke Flügel des verendeten Drachen. Sogleich wurden die drei blass vor Furcht.

»Wollt ihr weiter?«, erkundigte sich Lif in einem Ton, als würde er die Antwort bereits kennen.

»Warte. Zwischen den Schuppen liegt ein Menschenskelett«, warf Tay ein, und hatte damit recht. Neben den vielen perlmutternen Schuppen und den riesigen Drachenknochen fiel es kaum auf, doch Ayra hatte schon menschliche Gebeine gesehen und erkannte sie, wenn sie welche sah.

Und dies waren ganz eindeutig welche. Tay stakste auch schon über die scharfkantigen Schuppen hinweg und betrachtete den Fund neugierig. »Sie scheinen hier schon so lange zu liegen, wie der Drache. Ich glaube, sie hat auf ihrem Rücken gesessen, als die Drachin am Boden zerschmetterte«, erklärte er.

»Wer die beiden wohl gewesen sind…?«, murmelte Ayra leise.

»Ich glaube, ich weiß es«, antwortete Tay mit gerunzelter Stirn und kam zurück, eine besonders schöne Perlmuttschuppe in der Hand.

»Und wer ist es deiner Meinung nach?«, erkundigte sich Lif.

»niemand, dessen Namen ihr kennen müsst. Aber es würde etwas erklären, was mit bisher sehr unklar erschien. Ich bin dafür, dass wir weiter fliegen«, antwortete Tay.

»Ich auch«, stimmte Thin zu und Ayra nickte.

Lif blinzelte verblüfft. Damit hatte er nun nicht gerechnet. Aber dieses Menschenskelett, as Drake und er damals nicht gefunden hatten, warf sowieso nur neue Fragen auf, und machte ihn seltsam neugierig. Er fragte sich, ob vielleicht Smarada etwas wissen mochte, es wäre nicht das erste Mal. Aber er wagte nicht zu Fragen.

»Dann lasst uns weiter fliegen«, nickte er stattdessen und kletterte geschickt auf den Drachenrücken.

»Ist es eigentlich noch weit bis zu dem Ort, wo ihr umgekehrt seid?«, wollte Ayra wissen.

»Ja. Die Drachin hat uns nicht geschreckt. Das war die Mutlosigkeit«, antwortete Lif.

Dann flogen sie los und das Rauchen des Windes machte eine Unterhaltung unmöglich.

Sie waren einige Tage unterwegs gewesen, da stießen sie auf einen Fluss. Hier nun war der Ort, ab dem auch für Lif nur das Unbekannte wartete, denn weiter als bis zu diesem rauschenden Gewässer waren sie nicht geflogen. Sie hatten es eine Weile verfolgt, doch sobald sie ihn überquerten, wartete nur noch Unbekanntes auf die vier.

»Was war damals in der Stadt, Lif?«, fragte Thin, als sie am Wasser standen und überlegten, was sie nun tun sollten.

»Nur Zerstörung und Tod. Nach diesem Anblick waren wir es leid, noch mehr Schrecken zu sehen und sind umgekehrt, solange wir es noch konnten. Und was soll uns jenseits des Flusses noch anderes erwarten? Wir sind schon seid einem Monat unterwegs und wir haben nicht einmal einen Vogel entdeckt. Hier kann kein Tier leben, und schon gar keine Drachen«, antwortete er und Ayra hörte die Mutlosigkeit in seiner Stimme.

»Wollen wir uns die Stadt anschauen?«, fragte sie Thin und Tay, doch letzterer verneinte.

»Nein. Wir müssen weiter, wir sind schon ganz nahe«, meinte er.

»Nahe woran?«, erkundigte sich Lif.

»Nahe an einem Geheimnis«, Tay atmete einmal tief durch und schaute in den strahlendblauen Himmel hinauf.

»Ich würde mir gerne die Stadt ansehen«, erklärte Thin.

»Und ich habe auch kein sonderliches Bedürfnis, nach neuen Geheimnissen«, antwortete Lif mit bitterem Ton in der Stimme.

»Wie wäre es, wenn wir uns aufteilen?«, erkundigte sich Ayra sacht.

»Thin und ich fliegen zur Ruine, und ihr jagt ein weiteres Geheimnis?«

»Genau«, sie schaute fragend von einem zum anderen.

»Ich würde auch alleine fliegen, Ayra. Du musst nicht mit mir kommen«, antwortete Tay und kletterte bereits auf Amethystas Rücken.

»Ich kann dich aber nicht alleine fliegen lassen, Tay. Außerdem… habe ich das Gefühl, das ich so kurz vor ein paar antworten bin, die will ich mir nicht nehmen lassen«, Ayra lächelte schüchtern.

»Dann ist es beschlossen. Lass uns fliegen, Thin«, Lif kletterte auf Smaradas Rücken und gemeinsam mit seiner kleinen Schwester flog er von dannen, so schnell wir möglich, auf der Flucht vor etwas, was er wohl selbst nicht verstand.

»Lass uns weiterfliegen«, meinte auch Tay, als die beiden hinter dem Horizont verschwunden waren. Ayra nickte, und gemeinsam betraten sie unbekanntes Land, ohne zu wissen, ob sie das Alte jemals wieder sehen würden.

Gefundene und Verlorene Antworten

»Manchmal wünschte ich mir, ich hätte mich niemals darauf eingelassen«, Ayra schaute sich staunend um, »und dann wieder sehe ich so etwas und kann nur staunen über die Wunder dieser Welt.

Von der Glaskuppel habe ich schon gehört, meinte Rubia, die starr in den Himmel blickte, aber sie zu sehen ist etwas ganz anderes. Wieso hält sie? Sie wird doch nicht gestützt.

»Ich weiß nicht… vielleicht war hier ja ein Zauberer am Werk?«, überlegte Ayra, woraufhin Tay laut lachte.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragte er, während er lächelnd zu ihr zurückblickte.

»Doch, eigentlich schon. Oder kannst du dir erklären, wie es kommt, dass sie nicht hinunterstürzt?«, fragte sie.

»Ja. Runde formen stützen sich selbst. Im Schloss haben wir eine ähnliche Halle. Das hat nichts mir Zauberei zu tun, nur mit Architektur«, erklärte er lächelnd.

»Und wieder einen Zauber weniger«, Ayra seufzte so tief, das Tay sie irritiert von der Seite her anschaute. Doch da zwinkerte sie ihm schon verschwörerisch zu.

»Nein, natürlich meine ich das nicht ernst. Aber es ist schon Schade. Irgendwie… verliert die Welt seinen Zauber, wenn man älter wird«, überlegte sie.

Nur für euch Menschen, meine Liebste, bemerkte Rubia und stupste Ayra so derb in den Rücken, das sie fast hinfiel.

»Rubia, so kannst du doch nicht mit deiner Partnerin umspringen«, lachte Tay.

Stimmt, bestätigte die Drachin und stieß Tay zu Boden. Also mach ich es mit dir!

Ich denke, so war das nicht gemeint, mischte sich Amthysta ein und warf Rubia einen pickierten Blick zu.

Das ist mir schon klar, meine Beste, aber er hat es herausgefordert, fand Rubia und zwinkerte verschwörerisch.

»Hört auf euch zu streiten«, brummte Tay, während er sich den Staub von den Kleidern klopfte. »Das ist hier gewiss nicht der richtige Ort dafür.«

»Ist den eine alte, verlassene Ruine irgendwo im nirgendwo der richtige Ort für irgendetwas?«, erkundigte sich Ayra lächelnd.

»Ja. Es ist der richtige Ort, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen«, antwortete Tay. Die junge Frau nickte langsam, lächelte nicht mehr.

»Tay? Meinst du, es gibt noch mehr solcher Städte? Ich meine, Lif und Thin sind doch auch in einer. Und die wird wohl nicht einmal ganz so arg weit weg sein«, meinte sie.

»Das hier war wohl einst ein ganzes Land. Diese Stadt hier ist auch nicht gerade klein und sie war einst sehr wohlhabend. Ich frage mich, was geschehen war, dass sie die Stadt verlassen haben«, Tay schaute sich nachdenklich um.

»Vielleicht haben sie die Stadt nicht verlassen, sondern wurden angegriffen. Vielleicht sind sie alle tot, und Perla und ihr Reiter war einer jener, die fliehen konnte, um dann in der Luft doch noch zu sterben. Oder aber sie war einer der Angreifer und die Fliehenden konnte sie vom Himmel holen… Meinst du, das wir es irgendwann einmal herausfinden werden?«, überlegte Ayra.

»Es wäre auch möglich, das Perla mit der Stadt nichts zu tun hat, sondern einer jener war, die vor Jahrzehnten schon ausgezogen ist, um meinem Vater zu entkommen, und dabei den Tod gefunden hat, aber das glaube ich nicht. Aber um genau dies herauszufinden sind wir ja hier, Ayra. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis darauf, was hier wirklich geschehen ist. Vielleicht treffen wir auch jemanden, der überlebt hat«, doch der junge Mann schüttelte entschieden den Kopf. »Für meinen Geschmack sind es aber eindeutig zu viele vielleichts. Ich… will Antworten haben, und nicht noch mehr Fragen.«

Aber die Welt besteht doch bloß aus Fragen. Jede Antwort enthält so viele neue Fragen, das es sich gar nicht lohnt, nach Antworten zu suchen, fand Rubia.

»Willst du den niemals eine Antwort, wenn du eine Frage hast?«, Ayra schaute die Drachin verwundert an. »Ich meine, du hast immerhin eine Menge Fragen, und wenn ich nicht antworte, dann tust du mir immer sehr unsanft in den Rücken knuffen.«

Es kommt auf die Art der Frage ist. Wen interessiert, was hier passiert ist, das ist doch schon Jahre her. Ich stelle Fragen, die für das hier und jetzt wichtig sind, ihr stellt nur Fragen, auf die es keine endgültige Antwort geben wird. Es wird immer neue Fragen geben, immer und immer wieder, Rubia streckte die Flügel und blieb stehen.

»Das mag sein, aber wir Menschen sind nun einmal Wahrheitssuchende. Und nur, wenn wir wissen, was hier geschehen ist, wissen wir auch, wie wir dem entgegentreten können. Wir lernen aus der Vergangenheit, um in der Zukunft nicht die gleichen Fehler zu machen«, erklärte Tay.

Das macht auch Sinn, aber wenn ihr wisst, was hier geschehen ist, und es wirklich ein Ungeheuer war, was bringt es euch dann? Wollt ihr es dann vernichten? Dann wärt ihr genauso, wie der König, der uns Drachen nicht mag. Wo wäre dann noch der Unterschied?, die Drachin wollte nicht so leicht aufgeben.

»Dann wäre er nicht mehr vorhanden, da hast du recht. Aber woher wollen wir wissen, ob es ein Ungeheuer war, wenn wir nicht fragen? Verstehst du, was ich meine?«

Rubia neigte den Kopf. Natürlich.

»Aber?«, wollte Ayra wissen.

Ich weiß auch nicht. Ich möchte im Drachenhort bleiben. Können wir dem König nicht einfach irgendwie begreiflich machen, dass es nicht gut ist, jemand anderes von seinem Heim zu vertreiben?

»Nein, leider nicht. Wir könnten gegen ihn Kämpfen, aber das ist es gewiss nicht, was du willst, oder?«, Tay schaute der Drachin tief in die Augen.

Kampf ist niemals gut. Vielleicht könnten wir ja reden?, mischte sich auch Amethysta ein.

»Das hat Lif oft genug versucht, aber… ein Mann, der nicht einmal seinem eigenen Sohn zuhört, wieso sollte der dann jemand anderem zuhören? Genau, weil Streit etwas Schlechtes ist, suchen wir doch auch einen Ort, an dem er uns in ruhe lassen wird. Aber das wisst ihr doch«, erklärte Tay.

Ihr Menschen seid seltsam, kommentierte Rubia, ohne direkt zu antworten. Daraufhin lachten Ayra und Tay. Doch ihr lachen verstarb schnell. Irgendetwas war seltsam an diesem Ort, etwas war hier, was sie nervös machte. Sie kamen zu einer Treppe, die in die Tiefe hinab führte.

»Wollen wir hinabsteigen?«, wollte Ayra wissen.

»Ich bin dafür, auch wenn wir nicht weit gehen werden können. Die Drachen können uns dort hinab nicht folgen«, überlegte er.

»Dann lass uns gehen«, antwortete sie ihm und ging voran. Er nahm noch eine Schuppe, die Amethysta einmal verloren hat, den er wusste, dass sie in der Dunkelheit hell glühte.

Die Treppe hatte nur ein paar Stufen, doch der Gang dahinter war lang und dunkel. Sie tasten sich an den Wänden voran, solange, bis sie nicht mehr weiter konnten, weil sie das Gefühl hatte, das etwas versuchte, ihre Seele aus ihrem Leib zu reißen. Sie kehrten um, beschlossen aber, die Türen zu öffnen, die sie auf ihrem Weg ertastet hatten. Sie waren nicht gleich hinein gegangen, damit sie sich nicht verlaufen würden, doch jetzt war die Neugierde größer.

Tay öffnete die erste Tür, doch dahinter erwartete sie nur Jahrzehnte alter Staub und Dunkelheit. Auch die nächsten Türen fand nichts interessantes, bloß der Raum, der der Treppe am Nächsten war, zeigte Abwechslung. Als Tay die Schuppe empor hielt, da fiel das Licht auf die sterblichen Überreste von etwas, was einmal zwei junge Mädchen gewesen sein mochten.

Sie wussten beide nicht, was es war, doch die Mädchen waren nicht verwest, sondern waren eher konserviert wurden und hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit geräuchertem Fisch. Sie hielten einander in den Armen, um sie herum waren zwei junge Drachen, ebenfalls im Tod noch im Aussehen, wie im Leben.

»Tay, lass uns gehen«, flüsterte Ayra mit schreckensgeweiteten Augen.

»Ja«, antwortete er und gemeinsam wandten sie sich wie zur Flucht vor diesem seltsamen und unheimlichen Anblick, da sah Tay aus dem Augenwinkel noch etwas, denn er drehte sich doch noch mal um. Das ältere der beiden Mädchen hielt ein Buch in der Hand und zu ihren Füßen lag ein Füllfederhalter.

Der junge Mann schluckte und trat langsam auf die Leichen zu, während Ayra in den Gang zurückwich.

»Was tust du?«, fragte sie ängstlich.

»Das Buch. Vielleicht hat sie etwas hineingeschrieben«, antwortete er, schluckte schwer und zog dann das Buch unter den toten Händen hervor, ohne sie berühren zu wollen. Er schaffte es und war so schnell bei Ayra, wie sie ihn noch nie hat bewegen sehen. Gemeinsam hetzten sie in die Halle hinauf, wo ihre Drachen schon auf sie warteten.

Und? Habt ihr etwas Interessantes entdeckt?, erkundigte sich Rubia sofort und stupste beide so kräftig mit der Nase an, das sie zu Boden fielen.

»Vielleicht«, antwortete Tay mit seltsam gepresster Stimme, dann übergab er sich. Der Anblick der beiden Mädchen war offensichtlich zu viel für ihn. Auch Ayra war übel, und so kletterte sie auf Rubias Rücken und bat die Drachin, sie nach draußen zu bringen. Tay tat es ihr gleich und versuchte dabei, den Geruch nach Tod aus der Nase zu kriegen.

Doch er hatte, was er wollte. Sie suchten sich draußen ein schönes Plätzchen und Tay öffnete das Buch. Er blätterte ein wenig durch die Seiten und nickte zufrieden.

»Ein Tagebuch. Wie ich gehofft habe«, meinte er.

»Was steht drin?«, wollte Ayra neugierig wissen.

»Das weiß ich noch nicht. Soll ich vorlesen?«, fragte er.

»Natürlich«, antwortete sie. Doch dazu kam er nicht mehr. Er hatte eben tief Luft geholt, da schaute Rubia mit einem mal in den Himmel auf und wirkte seltsam unruhig. Auch Amethysta schaute hinauf, erhob sich und breitete die Flügel, als wollte sie davonfliegen.

»Was ist?«, wollte Tay wissen. Er hatte so ein Verhalten noch nie bei den beiden erlebt. Erst schien es, als wolle keiner der beiden Drachendamen antworten, dann sprangen sie auf, schnappten Ayra und Tay und warfen sie sich kurzerhand auf den Rücken und flogen los, kaum das die beiden annähernd sicher saßen.

»Was soll das den werden?«, rief Ayra erschrocken.

Wir müssen hier so schnell weg, wie möglich!, Rubia schrie in Gedanken.

»Was ist den los?«, brüllte Tay über den Wind hinweg.

Weg!, etwas anderes bekamen sie nicht zur Antwort. Das die Drachen jedoch in Panik waren, stand außer Frage. Doch was nur hatte sie so erschreckt? Die beiden blickten sich suchend nach etwas annähernd gefährlichem um, doch das einzige, was sie hinter sich gewahren, waren zwei Drachen, unverkennbar Smarada und Azuritia. Auch sie flogen, wie von Sinnen, und weil beide älter und größer waren, als Rubia und Amethysta, holten sie auch auf. Es dauerte nur noch einige Augenblicke, dann waren sie heran.

»Lif? Was ist los? Die Drachen wollen es uns nicht verraten!«, rief Tay.

»Später! Erst einmal müssen wir hier weg!«, brüllte Lif zurück. Er sah sofort, dass die beiden Drachinnen einfach nicht schneller konnten, also ließ er Smarada so nahe an Rubia heran fliegen, wie es möglich war, und zog dann Ayra auf sich, sodass Rubia keine Last mehr auf ihren Rücken tragen musste, und auch freier beweglich war. So konnte sie einiges an Tempo gut machen. Azuritia flog daraufhin ganz nahe an Amethysta, sodass auch Tay wechseln konnte.

»Wovor um alles in der Welt fliehen wir?«, rief er böse und schaute sich abermals um.

»Glaub mir, du willst es nicht kennen lernen«, antwortete Thin und zitterte am ganzen Leib.

»Lif!«, rief Ayra aus. »Du bist ja verletzt!«

»Das ist jetzt egal, wenn wir nicht schnell genug sind, dann sind wir tot!«, antwortete er und legte sich flach auf Smaradas Rücken, um dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten und so mit den Luftwiderstand zu verringern. Sie tat es ihm gleich, und so glitten sie so schnell durch die Luft, wie niemals zuvor.

Sie waren trotzdem nicht schnell genug. Obwohl alle vier Drachen sich anstrengten, wie niemals zuvor in ihrem Leben, tauchte bald schon ein schwarzer Schatten hinter ihnen auf. Tay, der den Himmel hinter ihnen im Blick hielt, bemerkte ihn als erster. Erst hielt er ihn für einen Vogel, doch bald schon war es so nahe heran, das er entsetzt aufschrie.

Was auch immer es sein mochte, es war riesig. Obwohl es noch sehr, sehr weit entfernt war, konnte er es dennoch erkennen. Seine Schuppen waren schwarz wie die Nacht und an allen möglichen und auch unmöglichen Stellen ragten Stacheln aus seinem Körper, die fahl waren, wie Knochen. Obwohl es heller Tag war, und flog schien es trotzdem irgendwie, als würde es in einem Nachtschatten sitzen und von dort aus seine Beute mit glutroten Augen beobachten. Und es kam immer noch näher.

»So schaffen wir es nicht…«, murmelte Lif vor Ayra, die ebenfalls starr vor Schreck nur über die Schulter zurückblicken konnte. Woher er wusste, dass es sich immer weiter näherte, war ihr ein Rätsel, denn bei diesem Wind konnte er es unmöglich hören. »Smarada, sag mir, was sollen wir tun?«

Es folgte ein stummes Zwiegespräch zwischen den beiden, an dem Ayra keinen Anteil hatte. An dem, was folgte schon eher. Mit einemmal schwenkte der grüne Drache von seinem Weg ab, kehrte in einem weiten Bogen um. Und Rubia musste ihm folgen.

»Smarada, was tust du?«, schrie Ayra entsetzt auf.

»Lif!«, rief Thin von Azuritia her entsetzt herüber.

»Vertrau uns, Ayra. Nur so können wir es schaffen«, antwortete Lif ruhig und konzentriert.

Doch die hatte ihn gar nicht gehört, den mit entsetzen sah sie, wie plötzlich Tay vom Rücken des blauen Drachen rutschte und in die tiefe stürzte. Natürlich, Amethysta war zur Stelle um ihn aufzufangen, doch warum hatte er es überhaupt getan? Nun kehrten auch die anderen beiden Drachen um, sodass sie nun alle gemeinsam auf das Ungeheuer zuflogen.

»Lif! Verdammt, was soll das?«, rief der junge Mann, als er auf hörweite heran war, und auch Thin schimpfte wie ein Rohrspatz über ihren Bruder.

»Vertraut mir einfach!«, brüllte der zurück. Dann drehte er sich zu Ayra um. »Du musst jetzt wieder auf Rubias Rücken, mit zwei Leuten auf seinem Rücken kann Smarada nicht gut genug ausweichen.«

Sie nickte und obwohl sie schreckliche Angst davor hatte, ließ sie sich, wie Tay zuvor, einfach von den grünen Schuppen rutschen, um auf roten Schuppen zu landen.

»Rubia, was wird das?«, fragte sie leise.

Hast du jemals einen Drachenkampf gesehen?, fragte die zurück und wirkte angespannt und nervös.

»Nein, denn Drachen kämpfen nur, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Und selbst dann nicht immer«, wiederholte sie das, was sie gelernt hatte.

Genau. Und jetzt gibt es keine andere Möglichkeit mehr. Also halte dich gut fest, antwortete die junge Drachin, und genau in diesem Augenblick stürzte sie in die Tiefe. Das Ungeheuer war nun heran und die vier Drachen begannen mit ihren Angriff.

Damit hatte das Wesen nicht gerechnet, doch es entschied sich offensichtlich dafür, als erstes den größten und stärksten Feind, Smarada auszuschalten. Doch der wusste sich zu verteidigen. Es war das erste Mal, das Ayra einen Drachen Feuer speien sah und sie wünschte sich Augenblicklich, das sie niemals das Opfer eines solchen Angriffs werden würde.

Eine blaue Stichflamme, so heiß, das Ayra, obwohl ein ganzes Stück entfernt, sich Schmerzhafte Brandblasen zuzog, walzte sich durch die Luft auf das Ungeheuer zu. Doch für dieses Wesen, dessen Schwingen den Himmel verdunkelten, das so riesig war, das selbst die größten Drachen neben ihm winzig wirkten, war es kaum mehr, als für Ayra eine Kerzenflamme sein mochte. Es wischte die Flammen mit einer beiläufigen Bewegung des Kopfes beiseite. Aber es war für eine Sekunde abgelenkt, das reichte dem Grünen, um unter ihn durchzufliegen, und so aus dem gefährlichen Bereich zu kommen.

Von der anderen Seite spie Azuritia Eis auf das Wesen, das ihn immerhin schon einmal ein Schmerzhaftes Grunzen und ein herumschwenken einbrachte. Dabei riss es mit seinem langen Drachenschwanz fast Amethysta und Tay aus der Luft. Die violette Drachendame brachte der reine Luftzug zwar aus dem Gleichgewicht, doch konnte sie sich noch rechtzeitig abfangen.

Rubia und Amethysta, die selbst noch keinerlei Erfahrung in einem Luftkampf hatten, versuchte es abzulenken, während die beiden älteren Drachen immer wieder mit Eis angriffen, den auch Smarada besaß die Gabe des Eisspeiens. Hinterher wusste keiner mehr zu sagen, wie lange genau dieser Kampf gedauert haben mochte, doch das Ende kam plötzlich.

Mit einem mal hörte das Ungeheuer auf, nach allem zu schnappen und zu schlagen, was sich bewegte, sondern schüttelte den Kopf, als wollte es seine Benommenheit loswerden, dann gab es einen brummenden Laut von sich und machte kehrt. Einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Als habe es ganz plötzlich das Interesse an den Drachen verloren.

Doch während es im davonfliegen begriffen war, geschah, womit sie alle schon so viel früher gerechnet hatten. Ein beiläufiger Schlenker mit dem Schwanz reichte aus. Er traf streifte erst Amethysta, die dadurch so arg in Unruhe geriet, dass sie ein ganzes Stück der Erde entgegen stürzte, bevor sie sich abfangen konnte. Der Ruck kam dabei so plötzlich, das Tay das Buch verlor, was er die ganze Zeit über krampfhaft in den Händen gehalten hatte. Mit dem Aufschrei eines gepeinigten Tieres starrte Tay ihm nach und sah die Antworten auf seinen Tausenden Fragen schwinden.

Als zweites traf es Rubia mit voller Wucht. Die Drachin wurde hart an den Brustschuppen getroffen und weit davon geschleudert. Benommen von dem harten Schlag hatte sie keine Möglichkeit, sich irgendwie abzufangen, und stürzte ungebremst in die Tiefe.

Gedanken sammeln

»Ayra! Ayra!«, Tay starrte entsetzt in die Tiefe, musste hilflos mit ansehen, wie Ayra fiel.

»Was ist los?«, fragte Lif. Wohl das erste mal, das er nicht wusste, was um ihn herum vor sich ging.

»Es… es hat Rubia aus der Luft geworfen…«, antwortete Thin leise und tonlos und beobachtete, wie die reißende Wasserströmung, in die Rubia und Ayra gefallen waren, jede Spur ihrer Existenz verwischte.

»Es hat…«, der Schrecken und das Grauen waren Lif ins Gesicht geschrieben. Dann hieß er Smarada an, hinab zu fliegen, doch obwohl sie dem Fluss folgten, so schnell sie nur konnten, hatten sie keine Chance, die beiden einzuholen. Irgendwann gaben sie entmutigt auf und landeten am Ufer.

»Meint ihr, das sie… irgendwo weiter unten ans Ufer geschwommen sind?«, fragte Thin leise, als sie gemeinsam am Feuer saßen und still vor sich hin brüteten.

»Ich hoffe es… ich meine, es kann doch nicht sein, das sie…«, Tay schüttelte heftig den Kopf und drängte sich noch näher an Amethysta.

»Ich glaube, wenn sie noch leben würde, dann wäre sie schon viel weiter oben aus dem Wasser geklettert… Ich… glaube, das sie… es nicht geschafft hat…«, Lif vergrub das Gesicht in den Armen. »Ein weiteres sinnloses Opfer in einem sinnlosen Krieg.«

»Aber Lif, sie kann doch nicht… sie darf einfach nicht…«, Thin brach zitternd ab, stürzte herum und verbarg ihr Gesicht an Azuritias Schuppen.

»Lif, wie kann dich so etwas nur so kalt lassen?«, fragte Tay entsetzt über den gleichgültig anmutenden Tonfall, den der blinde Mann angeschlagen hatte.

»Tay, es lässt mich nicht kalt, aber weißt du eigentlich, wie lange dieser Krieg zwischen dem König und uns schon geht? Weißt du, wie viele Menschen ich schon hab sterben sehen? Ich war nicht immer blind, ich habe sehen können, was dein Vater ihnen angetan hat! Ich habe jeden einzelnen von ihnen mit Namen gekannt, ich war mit so unendlich vielen befreundet! Einigen hast du selbst zu Tode verurteilt, vergiss das niemals, Prinz Tayshi! Verdammt, es lässt mich nicht kalt, aber ich habe lernen müssen, mit so etwas zu leben. Und es bringt auch nichts, wenn wir die Augen vor Tatsachen verschließen«, antwortete Lif und lehnte sich erschöpft an Smarada.

Tay schaute ihn einen Moment lang wortlos an.

»Ich dachte, dass du meine Vergangenheit hinter uns gelassen hast und mich deswegen nicht mehr verurteilen würdest, aber ich sehe, ich habe mich getäuscht«, antwortete Tay kühl.

»Ich habe dich niemals deswegen verurteilt, und ich tue es auch heute nicht. Aber bei allem was du sagst und tust, solltest du vielleicht einmal versuchen, den Blickwinkel zu ändern«, erklärte Lif bissig.

»Okay, entschuldige, was ich gesagt habe, war nicht gerecht. Aber was du gesagt hast auch nicht.«

»Lif, Tay, hört doch bitte auf zu Streiten. Ist es denn nicht schrecklich genug, was geschehen ist?«, mischte sich Thin ein, doch die beiden Männer ignorierten sie.

»Ich habe lernen müssen, zurückzuschlagen, wenn mir jemand wehtun will«, verteidigte sich Lif.

»Das ist aber verdammt nicht noch mal nicht allein meine Schuld. Ich kann nichts für das, was mein Vater getan hat. Ich habe es mir nicht ausgesucht, ebenso wenig, wie ich mir ausgesucht habe, die Seiten zu wechseln. Das Schicksaal selbst hat mich dazu gezwungen«, knurrte Tay.

»Das ist mir durchaus bewusst. Aber darum geht es hier auch gar nicht«, fauchte Lif.

»Worum geht es dann?«

Lif schwieg. Tay schnaubte durch die Nase und stand auf.

»Ich geh und schau, ob ich irgendetwas am Wasser entdecken kann. Vielleicht haben sie es ja doch geschafft«, erklärte er und wollte gehen.

»Du hast mich belogen, Tay«, merkte Lif leise an.

»Ach ja? Inwiefern?«, erkundigte sich der schwarzhaarige.

»Du sagtest, sie sei nicht mehr für dich, als eine Freundin. Aber ich weiß, wie du sie ansiehst. Und ich höre, wie sehr sein Herz schlägt, wenn sie bei dir ist«, erklärte Lif.

Tay lächelte geringschätzig. »Da bin ich aber nicht der Einzige, mein bester«, sprach er und verschwand mit Amethysta aus dem Licht.

»Lif, was… ich verstehe nicht…«, Thin schaute fragend ihren Bruder an.

»Das musst du auch nicht. Das ist etwas nur zwischen Tay und mir. Vergiss es einfach. Hoffe lieber, das Rubia auf Ayra ebenso gut aufpassen kann, wie Smarada auf mich, dann wird alles gut…«, antwortete der und legte sich neben seinem Drachen zu Boden.

Thin schaute ihn einen Moment lang an, dann stand sie auf und folgte Tay. Der stand am Wasser und starrte stumpf vor sich hin.

»Tay?«, fragte sie leise.

»Ja?«

»Glaubst du, das Lif recht hat?«

»Nein. Er darf einfach nicht recht haben. Das wäre… einfach nicht fair. Wieso hat euch dieses… Wesen eigentlich verfolgt?«, Tay schaute sie fragend an.

»Ich weiß es nicht. Wir waren schon fast bei der Stadt, da sind Azuritia und Smarada ziemlich nervös geworden und wollten nicht weiter. Na ja, Lif und Smarada kennen sich ja schon ziemlich lange, deswegen hat er dem Drachen gleich vertraut und wir haben abgedreht. Da haben wir aus der Ferne dieses… Ding auf uns zufliegen sehen und sind geflohen, bevor es heran war. Wir hatten einen Vorsprung, weil Smarada ein paar gute Tricks kennt, aber in der weiten Ebene, die folgte, konnten wir ihn nicht weiter ausbauen. Im Gegenteil, auch wenn es außer Sichtweite war, ist es ja doch immer näher gekommen. Und na ja, irgendwann seid ihr beide ja zu uns gestoßen. Was war das eigentlich, was du so entsetzt hinterher gestarrt hast, bevor es Ayra getroffen hat?«, wollte Thin wissen.

»Ein Tagebuch. Wir haben es in einer anderen Stadt gefunden, in den Händen eines toten Mädchens. Vielleicht steht dort, was hier geschehen ist, aber das werden wir wohl nicht allzu bald herausfinden können. Wir könnten es suchen, aber ob wir es finden werden…«, Tay zuckte mit den Schultern. »Erst einmal sollten wir Ayra wieder finden. Sie ist bestimmt weiter unten ans Ufer geklettert, und wir waren einfach nicht schnell genug, das Wasser fließt ja viel schneller, als die Drachen fliegen. Oder Rubia hat sie herausgezogen«, überlegte er.

Thin lächelte traurig. Sie musste daran denken, wie oft sie schon solche Überlegungen hatte, um dann doch irgendwann festzustellen, dass die Personen doch nicht wiederkommen würden. Obwohl sie nie in die Kämpfe verwickelt war, hatte sie dennoch einige Leute nicht wieder gesehen, die einst ausgezogen waren. Sie hatte niemals jemanden sterben sehen, doch war der Tod immer Teil ihres Lebens gewesen.

Sie schwieg einfach. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte, was sie hoffen sollte, ob noch Hoffnung bestand. Sie sah die Hoffnungslosigkeit in Lifs Augen, die, obwohl sie selbst nichts sahen, so unendlich viel über ihn verrieten, und sie sah die Besessenheit in Tays Augen, der einfach nicht glauben konnte, und auch nicht wollte, sondern verzweifelt auf etwas gierte, von dem sein Kopf ihm sagte, das es nicht möglich war.

Auch Thins Kopf sagte ihr, dass sie sich besser mit dem Unvermeidlichen abfinden sollte, doch ihr Herz stimmte mit dem Tays überein.

»Meinst du, das Buch ist wichtig?«, fragte sie leise.

»Das könnte es sein, aber das wissen wir erst, wenn wir es gelesen haben«, antwortete er.

»Dann sollten wir erst das Buch suchen«, fand Thin. Tay starrte sie fassungslos an.

»Und Ayra im Stich lassen?«, fragte er.

»Ayra hat Rubia bei sich, wenn sie noch lebt, dann wird die Drachin sie mit ihrem Leben verteidigen, und du weißt ja selbst, dass sich kaum einer freiwillig mit einem Drachen anlegt. Er könnte böse werden«, erklärte sie. Tay schauderte, er erinnerte sich noch sehr genau an Azuritia und vor allem Smarada, dessen Zorn er auf keinem Fall auf sich ziehen wollte. Doch bevor er antworten konnte, fuhr Thin auch schon fort: »Ihr wird nicht mehr geschehen, als schon passiert ist, doch wenn es regnet oder dergleichen könnte das Buch für immer zerstört werden. Mir gefällt der Gedanke, sie erst einmal ihren Schicksaal zu überlassen, auch nicht, doch wenn sie wirklich tot ist, dann haben wir nichts gewonnen. Im Gegenteil, vielleicht haben wir dann etwas ungemein Wichtiges für immer verloren.«

Tay überlegte einen Moment, dann nickte er langsam, verzog dabei jedoch eine Miene. »Du hast recht. Dann lass uns mit Lif sprechen und dann zurückfliegen.«

Aussprache

»So finden wir es nie…«, Thin seufzte und kroch unter dem Busch hervor.

»Das glaube ich auch«, stimmte Lif mit zusammengebissenen Zähnen zu, denn er hatte eben wiederholt in eine Brennnessel gefasst.

»Wir müssen es finden«, antwortete Tay fieberhaft und kletterte mit Amethystas Hilfe einen Baumstamm hinauf.

»Was war an diesem vermaledeitem Buch noch einmal so ungeheuer wichtig?«, wollte Lif ungehalten wissen und setzte sich unsanft in etwas glitschiges, von dem er gar nicht so genau wissen wollte, was es war.

»Dort stehen vielleicht Dinge drinnen, die uns sehr vieles erklären könnten. Was das für ein Ungeheuer war zum Beispiel, oder wieso diese riesigen Städte alle verlassen waren. Aber was versteht ein Blinder von dem wahren Wert eines Buches«, schnappte Tay.

»Nicht viel, da magst du recht haben. Dafür kann ich Dinge hören, die dir verborgen bleiben. Das der Ast gleich bricht, zum Beispiel«, fauchte Lif.

Eben wollte Tay etwas antworten, da knackte es einmal laut und er purzelte unsanft zu Boden. Doch er verkniff es sich, laut zu schreien, diese Genugtuung wollte er Lif nicht gönnen. Doch der grinste auch so schon breit.

Mit der Freundschaft zwischen den beiden war es aus. Nach ihrem Streitgespräch am Abend nach Ayras Absturz, in dem sie einander der Lüge bezichtigten, gab es keine Situation mehr, wo sie nicht abfällig von einander sprachen, oder miteinander über Kleinigkeiten stritten.

Ihr freundschaftliches Geplänkel war zu etwas ernsterem geworden. Sie waren Verbündete, aber keine Freunde mehr. Und Thin stand zwischen ihnen. Sie wusste nicht, was sie weiter tun konnte, außer immer und immer wieder zu beteuern, das Ayra das nicht gewollt hätte.

Doch die beiden jungen Männer ignorierten sie und belangten sich bei jeder Gelegenheit.

Während Thin traurig daneben stand, beobachtete sie, wie Tay Lif einen eisigen Blick zuwarf, und wie Lif abschätzig die Lippen verzog.

»Wie kleine Kinder«, murmelte sie Azuritia zu, während sie weiter suchte.

Sie wissen nun einmal, das sie nicht beide bekommen können, was ihr Herz begehert und so versuchen sie sich jetzt schon auszustechen, antwortete er.

»Aber das haben sie doch schon vorher gewusst, warum buhlen sie erst jetzt miteinander darum?«, fragte sich Thin.

Weil sie es jetzt erst ausgesprochen haben. Manche Dinge werden erst wahr, wenn sie ausgesprochen werden. Und diese hier gehört dazu. Wäre Ayra hier, wäre es einfacher, erklärte der blaue Drache.

»Ich vermisse sie… Meinst du, Lif hat recht und sie ist wirklich tot? Oder das eher Tay recht hat, das sie irgendwo ans Ufer geklettert ist?«

Beides. Mein Herz sagt, das es nicht das Ende sein kann, doch mein Kopf sagt mir, das wir sie nicht gefunden haben, und wären sie noch am Leben, wär’ sie auf dieser Strecke irgendwo hinaus geklettert.

Thin nickte: »Genau so geht es mir auch. Ich… ich möchte sie suchen gehen. Vielleicht finden wir etwas, wenn wir dem Wasser folgen und sei es nur ein Beweis, für ihren Tod. Aber dann hätten wir zumindest Gewissheit. Vielleicht… brauchen sie auch unsere Hilfe.«

Ich bin auch dafür. Lass die Kindsköpfe streiten, wenn sie bloß zu zweit nach dem Buch suchen, reicht das auch. Ich sage Smarada und Amethysta bescheid, dann lass uns fliegen, meinte er.

Sie nickte und über ihre lautlose Drachensprache teilte er den beiden anderen mit, was sie vorhatten. Die erhoben keinerlei Einwand, sodass sie sofort aufbrachen. Tay und Lif bemerkten es nicht einmal. Sie waren schon wieder in einem Streit vertieft, der wohl ebenso wenig Sinn hatte, wie alle anderen davor auch.

Doch Thin störte es nicht weiter, sie ließ die lauten Stimmen einfach hinter sich und flog gen Fluss. Deren Verlauf folgten die beiden nun, nicht wissend, was sie erwarten würde. Die jungen Männer indes schwiegen sich an. Irgendwann, als der Abend hereinbrach, seufzte Tay tief.

»Was ist?«, knurrte Lif, »ist dem Prinzen die Suche zu anstrengend? Du kannst ja Papis Lakaien um Hilfe bitten…«

»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber es liegt nicht an der Erschöpfung. Nur… Eulenaugen habe ich noch nicht, und man sieht schon kaum noch etwas«, fauchte Tay.

»Also willst du eine sinnlose Suche für die Nacht pausieren und morgen weiter suchen?«

»Ja.« Tay drehte sich einmal im Kreis, um Thin zu finden, doch er sah sie nicht.

»Thin?«, rief er laut.

»Ist sie nicht da?«, fragte Lif verwundert, denn die Beunruhigung in Tays Stimme war ihm nicht entgangen.

»Würde ich nach ihr rufen, wenn sie hier wäre?«, erkundigte der sich bissig.

»Ja, um sie zu dir zu rufen, zum Beispiel«, antwortete Lif, dann rief er aber auch laut nach seiner Schwester.

Sie ist nicht da, bemerkte Smarada überflüssigerweise.

»Das haben wir auch schon gemerkt«, seufzte Tay.

»Weißt du, wo sie hin sind?«, wollte Lif wissen.

Sie hatte eure Streitereien satt, da ist sie etwas sinnvolleres tun gegangen, als Papier zu suchen, antwortete Amethysta an seiner statt.

Wir haben diesen ewigen Streit übrigens auch satt, war Smarada schnell ein, doch Lif ignorierte ihn.

»Wohin ist sie gegangen?«, fragte er stattdessen und die Sorge war überdeutlich in seiner Stimme. Er wollte seine Schwester nicht auch noch verlieren.

Azuritia und Thin wollte den Fluss weiter folgen, um Klarheit zu schaffen. Entweder Ayra ist wirklich tot, dann wissen wir es sicher, oder aber sie lebt und braucht Hilfe oder etwas andere wichtiges ist dazwischen gekommen, dann könnte ihr Thins Anwesenheit gute Dienste tun, bemerkte Smarada.

»Wieso hat sie uns nicht bescheid gesagt?«, wetterte Lif.

»Weil wir uns gestritten haben«, Tay ließ sich auf den Hosenboden fallen. »Sie hat ja recht, wir sollten nicht streiten. Immerhin sind wie Verbündete… und wir waren bis vor wenigen Tagen auch mal Freunde…«

»Genau, waren ist das richtige Wort. Immerhin hast du mich belogen und verraten«, Lif berührte verbittert Smaradas Schulter.

»Ich habe nicht gelogen, Lif. Es ist keine Lüge, wenn sich eine Tatsache verändert. Sie war wirklich nicht mehr, als eine Freundin. Und auch unter Verrat verstehe ich ein wenig etwas anderes… Aber du lebst ja sowieso in deiner eigenen Welt…«, knurrte Tay.

Im ersten Moment schwieg Lif, dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Wir müssen jetzt zusammen halten, ob wir wollen oder nicht. Und das geht nicht, wenn es so viele unausgesprochene Dinge zwischen uns gibt. Also, wie wäre es, wenn wir auf den Kopf zu einfach alles sagen, was wir dem anderen immer schon einmal sagen wollten? Dann steht das zumindest nicht mehr zwischen uns. Der andere lässt es natürlich in jedem Fall unkommentiert«, schlug er vor und Tay nickte langsam.

»Gut, dann fang an«, meinte Lif.

»Okay…«, Tay überlegte einen Moment, bevor er begann. »Ich finde, dass du dich im Alltag viel zu sehr von anderen herumschubsen lässt. Ich weiß nicht wieso, aber du gehörst zu den mächtigsten Männern der Drachenreiter und trotzdem lässt du dir von anderen so vieles gefallen. Du bist generell viel zu freundlich, du solltest mal ein wenig energisch werden. Und du bist zu vertrauensselig. Ich meine, ich, ich hätte euch verraten können, ich kann es immer noch, und du wärst sehenden Auges in dein Verderben gelaufen! Du vertraust einem völlig Fremden, der einst dein Feind war, einfach so, ohne ersichtlichen Grund! Du hast niemals eine Bestätigung erhalten, dass ich wirklich und endgültig auf deiner Seite bin, und ich verstehe verdammt noch mal nicht, wieso du trotzdem so bist! Teufel noch mal, ich war einer deiner größten Feinde, ich habe den Befehl gegeben, deine Freunde zu töten, und ich habe ihr Wimmern und ihre Schmerzensschreie genossen! Ich habe es gut gefunden! Ich… ich war ein so grausamer Mensch. Und du hast es gewusst. Du wusstest es, und trotzdem hast du mich nie dafür verurteilt. Im Gegenteil, du warst für mich da, hast mich verteidigt, wie ein Löwe, du warst wie ein Freund für mich, mehr noch, wie ein Bruder. Die Zeit bei euch war die schönste meines Lebens und ein leben ohne Ayra, Thin, Amethysta, Rubia, Azuritia, Smarada und all den anderen kann ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Und du hast es mir ermöglich, indem du mich nicht verurteilt hast, sondern mit eine zweite Chance gabst. Die Möglichkeit, mich zu ändern. Und nun zerstörst du es, indem du mir Vorwürfe machst, zu Dingen, für die ich nichts kann. Oder meinst du wirklich, ich hätte es mir ausgesucht? Du solltest selber wissen, das Liebe kommt und geht, wie es ihr beliebt. Aber ich möchte dir trotzdem danken. Für die wunderbare Zeit, und das du mir eine Chance gegeben hast, obwohl ich sie nicht verdiente«, Tay schloss mit einem aufgewühlten Gefühl in der Magengegend. Er schaute Lif verunsichert an, doch dessen Miene verriet nicht.

»Darf ich jetzt?«, wollte der wissen. Tay nickte und Lif, der die Bewegung wohl gespürt hatte, amtete einmal tief durch, bevor er begann.

»Also, ich finde… dass du mir anderen Leuten viel zu hart ins Gericht gehst. Vor allem mit dir selbst. Niemand kann etwas für seine Vergangenheit, und schon gar nicht für die eigenen Eltern. Wir lernen die ersten Dinge ja immer von ihnen, und wer beigebracht bekommt, das es lustig ist, anderen Leuten die Gliedmaßen herauszureißen und zuzusehen, wie er verendet, dann heißt das nicht, das diese Person sich nicht ändern kann. Ich finde, jeder hat eine zweite Chance verdient, denn jeder kann sich ändern, wenn man ihn nur lässt. Und er diese Chance nutzt. Und dafür will ich dir danken. Ich habe schon so oft versucht, den Leuten eine zweite Chance zu geben, und ich hatte es fast aufgegeben, das hätte ich wie Drake geglaubt, das Menschen sich nicht ändern können. Du hast es getan. Du hast mir den Glauben zurückgegeben, dass man sich doch ändern kann, wenn man es selbst nur will. Und dafür will ich dir danken. Du hast mich nicht enttäuscht. Du bist gutmütig, freundlich und hilfsbereit, etwas, was niemand erwartet hätte, der dich als Prinz kennen gelernt hat. Und doch, natürlich ha jeder Mensch auch seine schlechten Seiten. Deine größ0ßte ist deine Geheimniskrämerei, die in so direktem Gegensatz zu deiner Person steht, dass man kaum glauben mag, dass es dieselbe Person ist. Das würde ich unter Umständen sogar gut heißen, denn es hilft auch anderen deine Vergangenheit zu vergessen. Doch nicht in diesem besonderen Fall. Und du machst auch nicht nur aus der Vergangenheit ein Geheimnis, sondern auch aus dem hier und jetzt. Ich hätte mir einfach gewünscht, das du mir sagst, das auch für dich Ayra mehr bedeutet, das ich es nicht hätte so erfahren müssen«, schloss Lif.

Einen Augenblick schwiegen die beiden Männer, dann streckte Lif die Hand aus.

»Ein neuer Anfang? Eine alte, neue Freundschaft?«, fragte er leise.

»Und… was ist, wenn Ayra lebt und wieder zu uns stößt?«, erkundigte sich Tay.

»Nun, sie muss entscheiden, wen sie lieber hat, und wenn du es bist, will ich nicht eifersüchtig sein«, antwortete er.

»In dem Fall: Ein neuer Anfang und eine neue, alte Freundschaft«, stimmte Tay zu und schlug lächelnd ein.

»Okay, dann erzählst du mir jetzt mal ein paar Geheimnisse«, auch Lif lächelte, doch war es eine andere Art lächeln.

»Wollen wir nicht erst Thin suchen?«, wich Tay aus. »Vielleicht steckt sie in Schwierigkeiten…«

»Thin und Azuritia können gut auf sich selbst aufpassen«, winkte Lif ab.

Tay überlegte, dann nickte er. »Aber nur unter der Bedingung, das auch du mir ein wenig etwas über deine Geheimnisse verrätst.«

»Abgemacht«, Lif lächelte zufrieden.

Fallen

Ayra fiel. Sie sah, wie Lif, Thin und Tay und ihre Drachen über ihr blieben und spürte, das um sie herum nur Luft war, und die reichte nicht aus, um sie zu tragen. Also fiel sie. Und Rubia mit ihr. Sie spürte, dass die Drachin nicht klar bei Verstand war, sondern benommen, als wäre sie eben aus einem sehr langen, sehr tiefen Schlaf erwacht. Deswegen flog sie nicht. Deswegen fielen sie.

Es wirkte alles so seltsam unwirklich auf Ayra, ein wenig, als würde sie beobachten, wie dies jemand anderen geschah. Nicht ihr selbst. Einem selbst geschahen solche Dinge nicht. Nie. Konnte dies also Wirklich sein? Musste es ja. Hieß das dann, dass sie gleich sterben würde? Würde in ein paar Jahren auch jemand ihre Knochen finden und sich fragen, wer sie wohl gewesen war, und was sie aus der Luft hatte fegen können? War Perla ebenso gestorben?

Alles um sie herum lief wie in Zeitlupe und der Weg zur Erde war so unendlich weit. Sie hatte Zeit. Sie dachte über ihr Leben nach und musste an Lera denken. Ihm hätte es gewiss spaß gemacht. Sie hätte ihn mitnehmen sollen, für ihn hätte sich gewiss auch ein Drache gefunden. Selbst Tay hatte ja einen bekommen. Irgendwie schade, jetzt könnte sie Lera nicht wieder sehen und auch Tay würde sie nie als gütigen und gerechten Herrscher des Landes sehen können. Wenn sein Vater starb würde er das gewiss werden. Wer denn auch sonst?

Mit einem mal fielen ihr so viele Leute ein, die sie wieder sehen wollte und so viele Dinge, die sie noch sagen musste. Doch das Ende kam unaufhaltsam näher. Bald war es so nah, das Ayra die Augen schloss. Sie hatte niemals angst gehabt, vor dem Tod. Nur vor dem Sterben. Sie hoffte einfach, dass es kurz und schmerzlos werden würde.

Und dann war es so weit. Der Aufprall kam plötzlich und so heftig, da er ihr die Luft aus den Lungen drückte. Bevor sie wieder einatmen konnte, schlug das Wasser des Flusses auch schon über ihr zusammen.

Unfassbar, sie war nicht tot! Sie war ins Wasser gefallen, das hatte den Sturz so weit abgebremst, dass sie nun unversehrt wieder aus der Sache hinauskommen konnte. Das hieß, wenn sie jetzt nicht ertrank.

Doch der Sauerstoffmangel griff bereits nach ihren Gedanken. Sie spürte die Schwärze und kämpfte verzweifelt dagegen an, während sie von den tobenden Fluten davon gerissen wurde. Sie versuchte gar nicht erst, gegen das Wasser anzukämpfen, sondern nur an die Wasseroberfläche zu gelangen. Irgendwie.

Ohne Rubia wäre sie verloren gewesen. Mit dem letzten Rest ihres Bewusstseins spürte sie, wie die Drachin sie in die Höhe schob und dann, kurze Zeit später, wie Luft in ihre brennenden Lungen strömte. Dann war alles schwarz.

Geteilte Geheimnisse

Es war schon eine ganze Weile her, das Lif geendet hatte, und dennoch schwieg Tay ein atemloses Schweigen. Er brauchte wirklich lange um das, was Lif ihm erzählt hatte, zu glauben, und noch einmal viel länger, um es in seiner gesamten Konsequenz zu begreifen. Verstehen, Glauben und Begreifen waren drei grundverschiedene Dinge, das hatte er vorher schon gewusst, doch jetzt erhielt jedes einzelne davon noch einmal eine ganz eigene Dimension.

»Lif… ich denke, ich verstehe jetzt, warum du dieses Geheimnis so eifersüchtig hütest. Ich würde es an deiner statt wohl auch tun…«, erklärte Tay nach einer schieren Ewigkeit.

»Es gibt nun einmal Dinge – und solche Dummheiten gehören eindeutig dazu – die mag man nicht jedem erzählen. Und manche erzählt man einfach niemandem. Der Einzige, der davon wusste, war Smarada. Es war unser Geheimnis. Aber es tut gut, es endlich mit jemandem zu teilen. Manche Dummheiten kann man totschweigen, diese hier nicht«, antwortete Lif. Doch dann schüttelte er entschieden den Kopf.

»Man kann es nicht mehr ändern, das haben wir schon so oft versucht. Lass uns lieber überlegen, wie wir das Buch finden. Es könnte deine Vermutungen bestätigen, denn wenn die wahr sind, dann erklärt es so unendlich vieles. Nicht alles, aber beinahe.«

»Es wäre die einzige Idee, die mir dazu einfiel. Es… ist passend zu dem, was ich bisher wusste«, antwortete Tay nachdenklich.

»Deine Gedankengänge sind auch… ich weiß auch nicht, sie sind so phantastisch, das ich niemals darauf gekommen wäre, und dabei aber so logisch und richtig, das ich mich frage, wieso es mir selbst nicht einfiel«, Lif stand auf und kletterte auf Smaradas Rücken.

»Wohin willst du? Es ist finsterste Nacht, man kann die eigene Hand kaum vor Augen sehen, und bis der Morgen dämmert, dauert es noch ein paar Augenblicke«, Tay runzelte verwundert die Stirn.

»Ich sehe sowieso nur Dunkelheit um mich herum, also ist es mir egal. Und manche Dinge sieht man erst, wenn man sie nicht sieht, wenn du verstehst, was ich meine. Vertrau mir einfach. Smarada findet den Weg auch in tiefster Nacht, und Amethysta wird ihm ohne Probleme folgen können«, antwortete er und lächelte.

»Wo willst du uns hinbringen?«

»An einen ganz besonderen Ort. Er ist weit weg von hier und wahrscheinlich werden wir nicht mehr rechtzeitig zurück sein, um das Buch vor Regen zu schützen, aber ich denke sowieso nicht, dass wir es wieder finden werden. Wir müssten zu viert ein Gebiet von mehreren Kilometern durchforsten, außerdem könnte es Tiere verschleppen. Auch wenn ich hier noch nicht einmal einen Vogel gehört habe… Dazu bin ich dabei sowieso keine große Hilfe, bis ich alles mit den Händen abgetastet habe, was du mit einem Blick siehst, hast du schon ein vielfach größeres Gebiet durchforscht. Aber vielleicht finden wir trotzdem dort auch ein paar Antworten. Komm einfach mit mir«, Lif lächelte.

Tay zögerte noch einen Moment, erhob sich dann. Er beschloss, dem jungen Mann einfach zu folgen. Er kletterte auf Amethystas Rücken und gemeinsam folgten sie dem Grünen und dem jungen Anführer der Rebellen.

Thin und Lera

»Denkst du wirklich, dass wir sie noch finden? Wir sind schon seid einer Ewigkeit unterwegs, und wir haben nicht einmal eine Spur von ihr gefunden…«, Thin legte sich flach auf Azuritias Rücken.

Nein, ich denke nicht… Ich glaube, das Lif recht hat. Sie und Rubia liegen gewiss am Grund des Sees, den wir vor zwei Tagen passiert haben, der Drache hörte sich bitter an, schüttelte unwillig den Kopf, und lief trotzdem weiter.

»Wir sollten zu den Jungen zurückkehren. Oder den See absuchen. Oder was denkst du, was wir tun sollten?«, sie streichelte die glitzernden Schuppen.

Weißt du, wo wir hier sind?, wich der Drache ihrer Frage aus.

»Nein. Weißt du es denn?«

Natürlich. Ich war hier schon, bevor wir uns kennen lernten, hier in der Nähe ist der Drachenhort, in dem ich geschlüpft bin, er streckte die weiten Schwingen.

»Was wirklich? Dann sind wir viel weiter im Süden, als ich dachte«, bemerkte Thin besorgt.

Bist du sehr müde?, wechselte der Drache abrupt das Thema.

»Ja. Und hungrig und mit ist kalt. Ich vermisse unser zu Hause«, Thin zog die Beine an, doch es brachte nicht viel. Kalt war ihr dennoch.

Es gibt in der nähe ein Dorf. Dein Vater lebt dort. Wenn du möchtest, können wir dorthin fliegen, bot Azuritia an und breitete schon einmal die weiten Schwingen aus, doch Thin zögerte.

»Mein Vater? Weißt du… ich kenne ihn eigentlich gar nicht… «, gestand sie.

Ich weiß, Thinuil, Azuritia drehte den Kopf und rieb seine Nase an ihrer Wange.

Thin strich über seine Schnauze. Es war wirklich so, sie kannte ihren Vater nicht. Sie hatte ihn einmal gesehen, doch Marlin hatte vor ihrer Geburt schon beschlossen, nicht mehr bei den Drachenreitern zu bleiben. Wieso wusste sie nicht. Und schon gar nicht, wieso er sich in einem solch kleinen, verlassenen Dorf niedergelassen hatte. Ayra hatte ihr viel von dem Dorf und seinen Bewohnern erzählt. Ansonsten hätte sie es nicht gewusst.

»Weißt du… ich kenne ihn doch gar nicht. Lif schon, und Drake auch, aber ich… ich glaube, er mag mich nicht besonders…«, fand sie leise.

Weil er gegangen ist?, Azuritia schaute sie mitfühlend an.

»Ja, auch. Und weil er nie nach mir gefragt hat. Weil er nie wollte, das ich ihn mal besuche. Und weil er mich nie besuchen gekommen ist. Nein, ich glaube, wir sollten uns von dem Dorf fern halten. Am Ende sieht dich sonst noch jemand, und du hast Ayra ja auch gehört. Nicht überall im Land kennt man Drachen. Vielleicht wollen sie dich sonst töten«, überlegte sie. Doch das war nicht die ganze Wahrheit und der Drache wusste das auch. Sie hatte viel mehr Angst davor, wie Marlin wohl reagieren mochte, wenn sie so plötzlich vor ihm stand. Vielleicht wollte er wirklich nichts von ihr wissen. Vielleicht war er deswegen gegangen.

Doch Azuritia wäre nicht er selbst gewesen, wenn er das nicht zumindest geahnt hätte. Und so streckte er noch einmal die Flügel, bevor er sich in die Lüfte erhob und gen Dorf flog. Es war früher morgen, als sie ankamen. Thin hatte schnell gemerkt, was er trotz allem vorhatte, doch sie hatte nichts weiter gesagt. Sie wusste, das sie den Drachen sowieso nicht zum umkehren bewegen konnte.

Sie landeten auf einem Berghang über dem Dorf.

»Soll ich hinunterlaufen, oder was hast du dir gedacht?«, wollte sie von dem Drachen wissen, nachdem sie eine Weile still nebeneinander gestanden und geschaut hatten.

Wäre doch schon einmal eine Idee wert, oder nicht?, er schaute sie aus seinen blauen Augen auffordernd an.

»Aber ich komm nicht so weit ohne dich«, widersprach sie.

Du suchst nur Ausreden, Thinuil, und das weißt du selbst. Geh endlich. Schlaf dich in einem Bett aus und ess einen Teller Suppe, oder was auch immer er dir vorsetzen wird. Morgen dafür übernachten wir bei meiner Familie. Vielleicht wissen sie etwas von Rubia. Und auch von Ayra.

»Dann lass uns doch dorthin fliegen und dort übernachten. Mir wäre es lieber«, bat sie eindringlich.

Nein, mein Herz. Hast du dich den nie gefragt, warum er gegangen ist? Er hätte nicht gehen müssen, es gibt auch andere Menschen ohne Drachen im Dorf. Außerdem hätte er einen Drachen haben können, Achatia wartet immer noch auf ihn. Aber er ist gegangen. Ohne sie. Und ohne euch. Frag ihn, warum er das getan hat, forderte der Drache sie auf.

»Weil er kein Interesse an seiner Familie hat vielleicht. Oder weil er angst vor Drachen hat. Oder… was weiß ich denn! Es ist mir auch egal. Ich will es gar nicht wissen, ich will bloß weg. Ich will nach Hause, ich will, das es wieder so ist, wie früher…«, traurig blickte sie zu Boden.

Es wird nie wieder wie früher. Das musste ich schon vor langer Zeit…, Azuritia wurde jäh unterbrochen.

»Es ist also doch kein Traum gewesen…«

Wie von der sprichwörtlichen Tarantel gestochen, fuhr Thin zum Wald herum und wurde fast von ihrem Drachen den Hang hinab gestoßen, als auch der den Kopf wandte.

Ein junger Mann stand am Wald und schaute mit leuchtenden Augen auf den blauen Drachen. Langsam trat er näher bis er vor Azuritias Kopf und Thin stand und streckte langsam die Hand nach der blauen Drachenschnauze aus, wagte es jedoch nicht, die glitzernden Schuppen zu berühren.

»Ich habe immer geglaubt, dass es ein Traum gewesen sein muss, immerhin war er genauso schnell weg, wie er gekommen war. Aber es gibt sie wirklich… ich habe immer daran geglaubt…«, einen Augenblick lang starrte er noch voller Faszination auf den Drachen, dann wandte er sich Thin zu.

»Gehört er dir?«, fragte er.

»Ich… er… gehört niemandem… Azuritia ist… ich meine… du gehörst doch auch niemandem…«, antwortete die perplex.

»Natürlich, wie könnten sie auch…«, er wandte sich direkt an den Drachen. »Darf ich dich berühren? Um sicher zu gehen, das mich meine Augen trügen? Das du Wirklichkeit bist?«

Wer bist du?, fragte der Blaue stattdessen.

»Ein Drachenfreund. Mein Name ist Lera«, antwortete der junge Mann und schien so gar nicht verwundert über die stille Kommunikation, der sich Azuritia bediente.

»Dann bist du Ayras Bruder!«, entfuhr es Thin.

»Ja, kennst du sie?«, wieder hob Lera die Hand, wie um Azuritia zu berühren, und wagte es im letzten Moment dann doch nicht.

»Wir suchen sie, hast du sie gesehen?«, ein Flehen lag in ihrer Stimme, das Lera aufhorchen ließ.

»Nein. Schon seid Jahren nicht mehr. Was hat Ayra mit dir und einem Drachen zu tun?«, fragte er misstrauisch.

»Sie hat einen«, erklärte Thin verwirrt. Leras Reaktion bewies eindeutig, dass er von Rubia nichts wusste.

»Ayra? Hat einen Drachen? Seid wann? Und wieso? Wo ist sie?«, wollte er aufgeregt wissen.

»Ich weiß nicht…«, Thin wich in den Schutz von Azuritia zurück.

»Ich glaube, du hast mir einiges zu erzählen…«, meinte Lera leise. Thin schaute ihn nur ängstlich an, doch ihr Drache nickte, ganz nach Menschenart. Dann schubste er Lera zu Boden und ging in Richtung Wald.

Wir sehen uns nachher, Thinuil. Geh mit ihm, ich denke nicht, dass er dir etwas tun wird. Und erzähl ihm alles, was du weißt, vielleicht kann er uns helfen, sagte er, während er im Wald verschwand.

»Wohin geht er?«, wollte Lif wissen und stand langsam wieder auf, schaute dabei dem Drachen nach.

»Er bleibt in der Nähe. Lass uns ins Dorf hinab gehen, dann erzähl ich dir alles. Lass uns zu Marlin gehen, es wird Zeit, das ich ihn kennen lerne…«, erklärte sie schweren Herzens.

Krieg

»Wartet, habe ich das jetzt alles richtig verstanden? Ben war der Rebellenführer Lif, Sandava ist sein Bruder Drake und hat ebenfalls einen Drachen. Ayra hat eines der gestohlenen Dracheneier gefunden, das ist geschlüpft und Ayra ist mit Drake zu den anderen Drachenreitern gegangen. Unterwegs sind Lif und der verschollen Prinz Tayshi dazu gestoßen, der ebenfalls einen Drachen hat. Sie sind ins Drachendorf gekommen und ihr habt dort fünf Jahre lang gemeinsam gelernt. Dann seid ihr nach Norden aufgebrochen, um einen Ort zu finden, wo ihr vor dem König sicher seid. Dabei ist dann Ayra von einem Drachen heruntergeschubst worden und seitdem verschollen, vielleicht auch tot. Und du bist losgezogen, um sie zu suchen«, fragend schaute er Thin an.

»Ja, so in etwa«, sie lächelte schüchtern und schaute unsicher durch den Raum. Da wandte sich Lera an Dura.

»Und du bist der Vater von Lif, Drake und Thin, hast zwar selbst keinen Drachen, hast aber unter Drachenreitern gelebt, ja?«

»Genau so ist es«, Dura setzte sich zu ihnen in den Sessel, der dem Kamin am nächsten war.

»Warum hast du das nie erzählt? Du wusstest doch bestimmt, dass ich Smarada gesehen habe. Dann hätte ich mir nicht so viele Sorgen um Ayra machen müssen«, vorwurfsvoll schaute Lera Dura an.

»Weil das nicht mehr meine Geschichte ist, Lera. Ayra hätte es dir erzählen müssen, alles andere wäre unrecht gewesen«, fand der alte Mann und ließ sich so gar nicht von Leras wütenden Blicken aus der Ruhe bringen. Der zog unwillig die Nase kraus, wandte sich dann wieder Thin zu.

»Hast du eine Spur von ihr gefunden?«, fragte er und sorge schwang in seiner Stimme mit.

Schweren Herzens musste sie den Kopf schütteln. »Wir wissen ja nicht einmal, ob es noch Spuren gibt, die man finden kann. Vielleicht… fliegen wir noch einmal zum See zurück und suchen noch einmal genauer. Es wäre auch möglich, dass die Drachen aus Azuritias altem Drachenhort uns weiterhelfen können, das sie etwas von Rubia wissen.«

Lera nickte und schluckte schwer. Die Jahre voller Unwissenheit, wohin seine Schwester gegangen war, drückten nicht halb so sehr auf sein Herz, wie jetzt die Unsicherheit, ob sie überhaupt noch leben mochte.

»Lera, mach dir nicht allzu viele Sorgen um sie. Du kennst Ayra, sie ist Zäh wie Drachenleder und mit Rubia an ihrer Seite kann ihr gar nichts geschehen sein«, fand Dura und schien nicht den geringsten Zweifel an seinen Worten zu haben. Langsam nickte Lera, stand dann zögernd auf.

»Ich muss nach Hause, aber… ich komme morgen früh wieder. Wie lange wirst du hier bleiben, Thin?«, fragte er.

»Nicht lange. Ich will so schnell wie möglich weitersuchen. Wir werden vermutlich schon morgen früh zum Drachenhort fliegen und dann weiter in Richtung See, wenn sie uns nichts berichten können«, antwortete sie.

»Gut dann… warte bitte auf mich. Ich… will dir suchen helfen. Ich bin morgen so früh wie möglich wieder hier«, erklärte er und schaute sie bittend an.

Thin war ein wenig überrumpelt von dieser Bitte. Sie wusste nicht, ob Azuritia damit einverstanden sein würde, wenn Lera mit kam, und überhaupt, ob es ratsam war, ihn mitzunehmen. Sie schaute Hilfe suchend zu Dura, um dann erschrocken gleich wieder den Blick zu senken.

»Sie überlegt es sich. Komm morgen aber trotzdem, so früh wie möglich her und mache Gora bereit, das er seinen Sohn vielleicht auch für eine lange Zeit nicht sehen wird. Sicher ist sicher«, erklärte Dura an ihrer Stelle. Die Enttäuschung war eindeutig in Leras Augen zu lesen, doch er nickte bloß und ging dann.

»So, jetzt können wir uns in aller ruhe unterhalten, Thinuil«, wandte er sich sogleich an seine Tochter.

»Ja… ich… ist es dir recht, das ich hier bin?«, fragte sie leise.

»Warum sollte es das nicht sein? Immerhin bist du meine Tochter, auch wenn ich mich nicht sehr gut um dich gekümmert habe…«, murmelte er.

»Ja… wieso eigentlich? Azuritia hat gesagt, das ich fragen soll…«, erklärte sie unsicher. Dura seufzte schwer.

»Es wäre wohl die größte Lüge überhaupt, wenn ich behaupte, dass es zum Wohle der Gesellschaft geschah… Nenn es Feigheit wenn du magst. Irgendwer musste gehen, und ich habe es gerne getan. Nicht weil ich Edelmütig bin, sondern weil ich Angst hatte. Vor der Zukunft. Davor, das der König noch mächtiger werden würde und uns irgendwann einfach überrennt. Ich bin gegangen, um als normaler Mensch zu leben. Weil ich nicht bereit war, für unsere Sache zu sterben. Und mittlerweile bin ich zu alt zum kämpfen. Was aber nicht heißt, das ich nicht von nutzen bin«, er lächelte bitter.

»Was genau tust du hier? Warum kommst du nicht wieder zurück… was genau weißt du?«, sie schaute ihn aus großen Augen an.

»Ich weiß mehr, als dir vorstellen kannst, Thinuil. Aber mein Wissen wird euch nicht von Nutzen sein, denn die Dinge haben sich geändert. Ich lebe hier als Beobachter, ich bin Informant und ich verstecke die, die zu mir kommen, weil sie in Nöten sind. Du weißt, es muss überall einen geben, der dies tut, und er darf keinen Drachen haben, sonst wäre er zu leicht zu erkennen«, Dura schaute ins Feuer, schien in Gedanken ganz woanders zu sein.

Thin zögerte einen Moment, überlegte, ob sie etwas sagen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Stattdessen hörte sie mit einemmal schnelles Fußgetrappel vor dem Haus. Sie hörte aufgeregte Rufe und sah den flüchtigen Schein von Feuer durch das Fenster.

»Was ist los?«, fragte sie unruhig.

»Ich weiß es nicht…«, Dura stand zögernd auf und wollte ans Fenster treten, da riss jemand die Tür auf, und Lera stürzte herein.

»Dura! Eben ist der Müllerssohn von Hehla gekommen! Und er bringt keine guten Nachrichten aus dem Reich…«, der junge Mann wirkte ausgesprochen angespannt und eine große Sorge war in seinen Augen zu lesen. Das letzte Mal hatte der alte Mann ihn so gesehen, als Ayra plötzlich verschwunden war.

»Welche Neuigkeiten hat er?«, fragte Dura und wusste, das es etwas schreckliches sein musste, wenn auch Lera schon so beunruhigt war.

»Komm mit, das musst du aus seinem Mund hören, denn ich wage es nicht, es auszusprechen«, antwortete der und lief wieder hinaus. Sogleich folgten ihm Thin und Dura voller Eile. Das ganze Dorf hatte sich auf den Platz versammelt, um den Müllerssohn, der neben seinem schweißbedeckten Pferd stand und aufgeregt erzählte. Worum es genau ging verstanden die beiden nicht, denn der Lärm der Menschen war zu groß. Also wandte sich Dura und Gora, der mit finsterem Blick am Rande der Menge stand und den jungen Mann so böse ansah, als wäre alles Unglück dieser Welt alleine seine Schuld.

»Gora, was ist los? Lera wollte es mir nicht sagen, wovon spricht er?«, fragte Dura eindringlich.

»Er spricht vom Krieg«, antwortete Leras Vater leise.

»Vom Krieg? Welcher Krieg?«, wollte Thin aufgeregt wissen.

»Er hat gesagt, dass die Rebellen in der Hauptstadt zum Kampf aufgerufen haben. Das Volk soll sich entscheiden, ob sie auf der Seite des Königs stehen, und einfach tatenlos zusehen, wie Dörfer vernichtet und Menschen getötet werden, oder ob sie sich den Rebellen anschließen und kämpfen werden. Jeder Mann des Landes, der kämpfen kann, ist dazu aufgerufen, sich den Rebellen anzuschließen. Die Händler verbreiten die Kunde schon seid Wochen im ganzen Reich«, berichtete Gora knapp und Dura wurde leichenblass.

»Wer genau hat dazu aufgerufen?«, wollte Thin sogleich wissen. Gora schaute sie irritiert an, und als sie merkte, das sie nicht schnell genug eine Antwort erhalten würde, da schüttelte sie wütend den Kopf und kämpfte sich durch die Menge, um zu den Müllerssohn zu kommen, der aufgeregt Lera und ein paar anderen jungen Männern erzählte, das er gehen würde. Sie stieß sie grob beiseite und baute sich mit finsterem Blick vor dem jungen Mann auf.

»Wer hat zum Krieg ausgerufen?«, fragte sie scharf.

»Der Anführer. Ein junger Mann, sie nennen ihn Drachen oder so ähnlich…«, beeilte der sich zu antworten.

»Drake?!«, fragte sie mit schriller Stimme.

»Ja, ich glaube, so heißt er…«

»Thin, kennst du ihn etwa?«, fragte Lera aufgeregt.

»Ja, aber das kann er doch nicht…«, flüsterte sie leise. Dann schüttelte sie heftig den Kopf und wandte sich den Bergen zu, den sie wusste, das Azuritia nicht mehr weit war. Er war sofort los geflogen, als er ihre Aufregung gespürt hatte.

»Thin! Kennst du ihn?«, Lera griff sie grob am Arm und zwang sie herum, während sich ein schwarzer Schatten aus der Luft näherte.

»Ja doch! Ich habe dir eben von ihm erzählt! Drake, mein Bruder!«, antwortete sie ungeduldig und machte sich los, während der blaue Drache zum Landen ansetzte.

»Dein… Bruder…?«, Lera war blass geworden und schaute sie aus großen Augen an.

»Ja verdammt! Deswegen muss Ayra warten, ich muss nach Hause! Das kann er nicht wirklich getan haben!«, rief sie, während Azuritia langsam auf sie zugeschritten kam. Die Menschen wichen vor ihm langsam auseinander, sodass sie eine Gasse bildeten, doch seltsamerweise brachen sie nicht in Panik aus. Stattdessen blickten sie mit großen Augen auf den blauen Drachen, der so unverhofft in ihrer Mitte auftauchte. Sie alle kannten Duras Geschichten, und obwohl keiner von ihnen sie für Wahr gehalten hatte, hatten sie alle sich nichts sehnlicher gewünscht, als einmal einem Drachen zu begegnen. So schauten sie voller Ehrfurcht auf die blauen Schuppen und auf das junge Mädchen, zu dem er wollte.

»Nimm mich mit! Auch wenn du nicht Ayra suchst, nimm mich mit«, bat Lera Thin mit sehnsuchtsvoller Stimme.

»Wieso? Das ist nicht dein Kampf und du bist kein Drachenreiter«, antwortete sie, während sie auf seinen Rücken des Blauen kletterte.

»Ich weiß, aber ich kann nicht länger hier bleiben. Nicht nach so einer Nachricht, und schon gar nicht, nachdem dein Drache mein Herz mit so einer Sehnsucht erfüllt hat. Nimm mich mit!«, bat er und er wusste selber nicht, wieso es ihm so wichtig war.

Du könntest sterben, beim Kampf für eine Sache, die nicht deine ist. Du wärst nicht der Erste, bemerkte Azuritia.

»Ich weiß... Ich weiß, aber ich weiß auch, das ich nicht hier bleiben kann, als wäre niemals etwas geschehen«, antwortete er leise.

Ein starker Geist und ein noch stärkeres Herz. Lass ihn uns mitnehmen, Thinuil. Er ist wie Ayra, sie sind Geschwister. Vielleicht nicht durchs Blut, aber durch den Geist gewiss, fand Azuritia und sprach dabei nur zu Thin.

»Ich weiß… wir könnten jemanden wir ihn noch einmal bitter nötig haben… Okay Lera, komm mit«, sprach sie und wandte sich zu Dura um, der ihr bestätigend und doch mit Sorge zulächelte.

Lera nickte dankbar, doch bevor er auf den Drachenrücken kletterte, wandte er sich noch einmal seinem Vater zu.

»Es tut mir Leid, aber ich muss gehen«, sagte er, doch Gora nickte nur starr.

»Ich weiß. Pass auf dich auf und komm zurück, so schnell du nur kannst«, antwortete der Mann laut und wirkte dabei so alt und gebrechlich, als wäre er über hundert Jahre alt.

Lera nickte, wandte er sich Azuritia zu. Entschlossen legte er eine Hand auf die blauen Schuppen, während sein Herz vor Aufregung raste und ab und an einen freudigen Sprung machte. Dann zog er sich auf den beschuppten Rücken. Sogleich breitete der blaue Drache die mächtigen Schwingen aus und flog davon, hinein in den nachtenden Himmel.

Eine ganze Weile blickten Gora dem Drachen noch nach, dann wandte er sich an Dura.

»Ich glaube, du hast mir einiges zu erklären. Wie eine Drachenreiterin in unser Dorf kommt zum Beispiel, und wohin sie meinen Sohn nun bringt. Und wieso du dich als harmlosen alten Mann ausgibst«, knurrte er ernst.

»Dann komm rein und ich mach dir einen Tee. Das wird nämlich eine längere Geschichte«, erklärte Dura mit einem Lächeln.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  distinctive
2012-07-08T11:27:43+00:00 08.07.2012 13:27
Ich finde diese Geschichte toll!

Ich habe Eragon gelesen, ebenso Jane Yolens Drachenblut Trilogie und ein paar Werke von Mercedes Lackeys Drachenbüchern.

Drachen sind einfach super!

Zur Kritik XD Achte mehr auf Groß- und Kleinschreibung. Ich weiß, die ist echt tückisch – du hast oft Wörter, die eigentlich groß gehören, klein geschrieben (und umgekehrt).
Stilistisch klingt es manchmal ein wenig holprig:
z.B. „sie starrte nur voller Angst und mit schnell klopfendem Herzen den grünen Drachen an, der sie aus jadefarbenen Augen anblickte.“ „der aus jadefarbenen Augen zurückblickte“ klingt besser, finde ich.

Den Text laut vorlesen, dann kann man den Rhythmus und Fluss des Textes erst so richtig bewerten.

Dann noch ein bisschen auf ss-s Schreibung und allgemein auf Tippfehler achten und deine Geschichte wäre Buch-reif.

(muss dann mal deine Geschichte fertig lesen ^.^)
Von:  -Angi-chan-
2010-04-29T16:17:34+00:00 29.04.2010 18:17
Das ist eine gute Einleitung, die Entstehung der Welt ^^
Ma schaun, wies weiter geht ^^
Von:  Lloigor
2010-01-10T17:57:21+00:00 10.01.2010 18:57
Wiedermal ein sehr gutes Kapitel =) ... aber ich hoffe es geht möglichst bald weiter, es hört nämlich suuper spannend auf >.>
Von:  Lloigor
2010-01-07T21:50:08+00:00 07.01.2010 22:50
Heyjo :D
Ich muss erstmal sagen, dein schreibstyl gefällt mir richtig gut! Aber nicht nur das ;) Auch deine Beschreibungen sind sehr detailirt, sodass man sich wirklich wunderbar vorstellen kann, was die Charaktere gerade machen
Also alles in allem: Ich finde deine FF einfach nur Geil ;)
Und ich hoffe, dass es möglichs bald damit weiter geht =)

lg Lloigor


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