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Feuer, Stein, Magie und Liebe

Kampf um eine fremde Welt und eine unmögliche Liebe
von

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Sheila

The perfect words never crossed my mind,

'cause there was nothing in there but you,

I felt every ounce of me screaming out,

But the sound was trapped deep in me,

All I wanted just span right past me,

While I was rooted fast to the earth,

I could be stuck here for a thousand years,

Without your arms to drag me out,
 

There you are standing right in front of me

There you are standing right in front of me

All this here falls away to leave me naked,

Hold me close cause I need you to guide me to safety
 

Prolog
 

Müde drehte Sheila sich auf den Rücken und knippste das Licht ihrer Nachttischlampe aus. Es war schon sehr spät, aber sie hatte sich einfach nicht von dem Buch trennen können, welches sie jetzt schon zum zweiten Mal las.

Ja, Bücher waren ihre große Leidenschaft, dass Einzige was sie sich bewahrt hatte nach dem Tod ihrer Mutter, vor 5 Jahren. Man hatte sie zunächst in ein Heim stecken wollen, doch nach drei Wochen dort, hatte sie es einfach nicht mehr ausgehalten. Die Kinder dort waren grausam zu ihr gewesen und die Leiter dieses Instituts waren strenge Menschen, die keinerlei Gefühl in sich zu tragen schienen. Nur ungern erinnerte sich Sheila an die Tage dort. Man hatte ihr keine Möglichkeit gegeben zu trauern. Ständig hatten die Erzieher sie ermahnt nicht zu weinen, man hatte ihr mit Schlägen gedroht, sie herumgeschubst.

Als der Direktor sich dann plötzlich angewöhnte, sie nachts aufzusuchen, war sie, damals 12, geflohen.

Schmutzig hatte sie sich gefühlt und im Stich gelassen. Die Erzieherinnen hatten es mit Sicherheit gewusst, doch keiner war ihr zu Hilfe geeilt. Die Kinder hatten sie wahrscheinlich gefreut, dass sie nicht dran gewesen waren. Also verschwand plötzlich alles und jeder zu einer gewissen Uhrzeit und Sheila wusste, er würde kommen. Nachdem er eines Nachts fertig gewesen war, hatte sie alles genommen was sie noch besessen hatte und war quer durch Tokio nach Hause, ins Haus ihrer verstorbenen Mutter, zurückgekehrt. Der Direktor hatte sie holen wollen, vor ihrer geschlossenen Tür gestanden und mit der Polizei gedroht. Immerhin unterstand ihre Erziehung nun dem Staat. Doch Sheila hatte sich geweigert auch nur die Tür zu öffnen. Sie war nicht dumm und auch wenn sie erst 12 war, hatte ihre Mutter ihr doch Intelligenz mit in die Wiege gelegt. Sie war verzweifelt gewesen und hatte im richtigen Moment das Richtige getan. Sie hatte ihm ebenfalls mit der Polizei gedroht. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn anzeigen würde, weil er sie missbraucht hatte, Nacht für Nacht. Noch heute sah sie sein blasses, schmales Gesicht und die dunklen Augen, die vor Wut Funken gesprüht hatten. Nur widerwillig hatte der Direktor eingesehen, dass er verloren hatte.

Jede Nacht hatte Sheila mit Angst in dem großen Haus, verlassenen Haus, in ihrem Bett gelegen und gewusst, dass er noch immer dort draußen war und auf sie wartete. Zunächst hatte sie von den Ersparnissen ihrer Mutter gelebt,war weiterhin zur Schule gegangen, dann hatte sie sich einen Job gesucht und für alles, was sie besaß, geschuftet. Außer ihrem Bett, einem alten Sofa und einer Sitzgruppe war ihr nicht viel geblieben, aber sie war stolz auf sich.

Nun machte sie eine Ausbildung als Tierarzthelferin, hatte große Pläne, einmal zu studieren und viel Geld zu verdienen. Sie hatte ein neues Leben, die Vergangenheit war nicht mehr viel mehr als ein Funke.

Doch auch dieser Funke wurde manchmal groß und brannte wie ein Feuer in ihren Träumen. Dann erwachte Sheila schweißgebadet und fühlte sich so einsam wie nie. Dann hatte sie ihre Bücher. Sie entführten sie in eine fremde, wunderbare wie auch schreckliche Welt, voller Abenteuer, Liebe und Verlust.

Ihr momentanes Lieblingsbuch handelte von einem Liebespaar, welches ungleicher nicht sein konnte. Er ein Dämon, sie ein Mensch. Alleine wenn Sheila an diese Geschichte dachte, schlug ihr Herz ihr bis zum Hals. Sie wusste nicht was Liebe war, was Zuneigung, wie es war einen anderen Menschen um alles in der Welt berühren zu wollen.

Sheila wusste, dass sie so fühlen konnte, wenn sie mit den Charakteren litt, aber sie wusste nicht ob sie fähig war einen Mann zu lieben!

Sie seufzte und schob das Buch wieder unter ihr Kopfkissen, mit dem Wunsch, dass sie heute Nacht von dem Liebepaar träumte. Ihre Träume waren ihr größter Feind.

Was sie nicht ahnen konnte war, dass sie bald ein Teil ihrer Träume werden könnte.
 

• HI, hier ist eure Bobby ^^

Danke, dass ihr meine FF lest! Ich habe direkt drei Kapis on gestellt, weil es ein bisschen dauert bis Action kommt^^

Hoffe ihr bleibt dabei und lasst mir ein Kommi da <3

Der Buchladen

Das Buch
 

Kapitel 1
 

Erschöpft schloß Sheila die Praxis ab. Dr. Naga hatte heute wieder länger gemacht und da sie viel lernen wollte, war sie so lange geblieben wie er. Es war bereits nach acht und da es Herbst war, war es auch schon dunkel. Normalerweise liebte Sheila die Dunkelheit. Sie gab ihr eine gewisse Anonymität und erleichterte es ihr, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Doch heute pfiff ein extrem kalter Wind um die Häuser. Fröstelnd schlug Sheila den Kragen ihres Mantels hoch um ihren Nacken zu schützen. Dummerweise hatte sie ihren Schal in der Praxis vergessen und ihr Knielanger Rock war genauso unpassend bei diesem Wetter, wie ihre Stiefel, die viel zu unsicheren Halt auf der regennassen Straße hatten.

Die Praxis von Dr. Naga lag in einer Seitenstraße, weshalb die Straßen eher ruhig waren. Da Sheila ganz in der Nähe wohnte, achtete sie nicht wirklich auf ihre Umgebung, sondern gab sich erneut ihren Träumereien hin. Der Wind wehte ihr das lange schwarze Haar um ihr hübsches, schmales Gesicht und die Kälte ließ ihre schmale Nase rot werden. Sie hatte ihre hellen grauen Augen gegen den Wind halb geschlossen und ihr voller Mund war leicht geöffnet, da sie sich etwas sputete.

Oh ja, man konnte Sheila als äußerst hübsch beschreiben. Alles an ihr passte zusammen und es war nicht selten, dass ihr Jemand hinterher sah, während sie tranceähnlich durch die Straßen hechtete. Da Sheila aber weder ihrem Äußeren Aufmerksamkeit schenkte, noch den Menschen um sich herum, bemerkte sie nicht was für eine Anziehungskraft und Ausstrahlung sie hatte. Selbst dann wäre es Sheila wahrscheinlich egal gewesen, da sie sowieso nur an die eine große Liebe glaubte, die ihr irgendwann über den Weg laufen würde.

Auch jetzt dachte sie wieder an das Buch, welches sie las. Ein armes Menschenmädchen welches sich in einen gefürchteten Dämonen verliebt hatte. Würde er ihre Gefühle erwidern? Hoffentlich würde Sheila es heute herausfinden. Sie fühlte mit den Charakteren ihres Buches.
 

Fast wäre Sheila an dem Laden vorbeigelaufen. Das wäre auch nicht weiter verwunderlich gewesen, seltsam war eher, dass sie ihn entdeckte. Er schien eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie auszuüben.

Da es sehr dunkel war und die Straßen eher spärlich beleuchtet, konnte Sheila nicht erkennen um was für ein Geschäft es sich handelte, da es auf der anderen Seite der Straße war. Aber seit wann gab es denn überhaupt in dieser Straße einen Laden? Sheila konnte sich nicht erinnern, dass hier jemals ein Geschäft gewesen wäre. Da Sheila aber wusste wie sie war, vermutete sie, dass sie wieder einmal zu sehr in Gedanken gewesen war um den Laden zu bemerken.

Schnell wechselte sie die Straßenseite um einen Blick in die Schaufenster zu werfen. Ein Buchladen! Erfreut sah Sheila in die Auslage. Ausnahmslos nur Fantasybücher. Wie wunderbar. Die Bücher lagen alle auf nachtblauen Samt aufgereiht und Sternlampen erleuchteten das Fenster. Wegen einer Wand konnte man aber nicht in den Laden selbst gucken.

Aufgeregt ging Sheila zu der Eingangstür, um zu sehen ob dort die Öffnungszeiten des Geschäftes standen. In dem Moment, in dem sie versuchte durch die Tür in den Laden zu gucken öffnete sich die Tür plötzlich. Eine kleine, alte Frau stand vor Sheila und strahlte. Sie war seltsam altmodisch angezogen, was Sheila aber nicht verwirrte sondern erfreute. Die kleine Frau hatte etwas Lustiges und Warmes an sich, sodass Sheila zurück lächelte.

„Guten Abend, junge Dame. Kann ich Ihnen helfen?“ Ihre Stimme war ein rauhes Krächzen, was Sheilas Meinung nach ganz gut zu ihr passte. Ihr weißes Haar war zu einem Knoten zusammengebunden und einige Fransen fielen ihr ins Gesicht.

„Nein danke. Ich habe ihren Laden nur gerade entdeckt. Seit wann sind sie denn schon hier, ich habe sie noch nie gesehen?“ Die Alte bedeutete Sheila einzutreten, was diese auch ohne zu Zögern tat.

„Seit heute. Lesen Sie?“ Sheila lachte und sah sich begeistert um. Der Laden war bis zur Decke voll mit Büchern, welche in schweren, alten Holzregalen standen. Auch hier gab es Lampen in Sternform die nur wenig Licht spendeten. Während andere dies als merkwürdig und beunruhigend empfunden hätten, fühlte Sheila sich sofort pudelwohl.

„Ich lese unheimlich gerne Geschichte aus einer anderen Welt.....mit geheimnisvollen Wesen...Magie..“ Die Frau lachte vergnügt als sie Sheilas Strahlen in den Augen sah.

„Mein ganzer Laden ist voll mit solchen Büchern. Wenn Sie möchten, können Sie gerne etwas stöbern. Ich bin im Lager, rufen Sie wenn Sie etwas für sich entdeckt haben.“

Da Sheila schon längst dabei war sich die einzelnen Einbände der Bücher anzusehen, schmunzelte die Frau nur noch einmal und ging dann auch schon in einen Raum, welcher mit einem Vorhang abgegrenzt war. Was Sheila auch nicht sah war das Funkeln in den Augen der Alten, bevor sie hinter dem Vorhang verschwand.

Sie war viel zu sehr eingenommen von den tausend verschieden Geschichten, die ihr hier offenbart wurden. Es gab sogar Bücher mit Zaubersprüchen. Doch Sheila hielt von solchen Dingen nichts. Sie interessierte sich ausschließlich für Märchen.

Hier und dort fand sie ein Buch, welches sich interessant und vielversprechend anhörte, doch keines schien sie dazu bewegen zu können, es aus dem Regal zu holen.

Bis sie es sah. Es war dicker und größer als die anderen Bücher und sah wesentlich älter aus. Vorsichtig zog Sheila das Buch aus dem Regal und suchte nach einer Inhaltsangabe, doch das Buch schien nicht nur alt, es war alt. Nirgendwo standen Angaben zum Inhalt oder Autor. Nur auf dem Buchdeckel stand < Feuer, Stein, Magie und Liebe>. Der Einband war schwarz mit wenigen Gebrauchsspuren und überall spürte Sheila Unebenheiten durch Verzierungen. Da das Buch schwer war, schleppte Sheila es zum Verkaufstresen, um es abzulegen, dann öffnete sie es. Das Papier der Seiten war hauchdünn und knisterte laut, sobald sie eine Seite umblätterte.

Doch sie konnte die Schrift nicht lesen. Enttäuscht sah Sheila auf Schnörkel und Linien und fragte sich, warum auf dem Deckel des Buches in japanisch geschrieben worden war und hier in einer ihr fremden Sprache.

Die Frage beschäftigte sie doch sehr und sie wollte nach der Ladenbesitzerin rufen, als sie bemerkte, dass es hinter dem Vorhang plötzlich sehr hell war. Ein Zischen wie ein Luftzug ließ Sheila neugierig hinter dem Tresen her gehen.

„Hallo? Ma´m? Stimmt etwas nicht?“

Zögernd streckte Sheila die Hand nach dem Vorhang aus. Was ging hier nur vor?

In dem Augenblick, als Sheila den Vorhang berührte, schien ein grelles Licht sie zu durchfahren und ließ sie erblinden. Panik machte sich in ihr breit, als sie seltsame Geräusche vernahm. Brüllen, Geschrei und Kampfeslärm.....dann verebbte die Geräuschkulisse und es wurde schwarz um sie herum.

Immer wieder sah sie die Frau, aus dem Laden. Träume wechselten wie ein Kaleidoskop die Farben änderte. Bildfetzen schienen sie zu überschwemmen. Bilder von ihrer Mutter, Bilder aus dem Internat, Erinnerungsfetzen. Dann sah sie einen Mann, seine blauen Augen stachen aus dem schwarzen Haar hervor. Sheila spürte Geborgenheit und auch Trauer. Dann hörte sie die Stimme der alten Frau, die immer wieder sagte, dass sie, Sheila die einzige Rettung wäre.

Dann verebbten die Bilder und nur tiefe Schwärze blieb übrig.

Eine fremde Welt

Eine fremde Welt
 

Kapitel 2
 

Sie fröstelte und sie spürte wie kalter Regen auf sie niederprasselte. Sie lag weich und sie konnte unter ihren Händen eine warme Feuchtigkeit ertasten. Sheila schlug die Augen auf.

Es war dunkel. Es musste sehr spät sein, doch das war alles was sie ausmachen konnte. Sie wusste weder wo sie war, noch wie sie hier hin gekommen war. Sheila erinnerte sich daran, dass sie in dem Buchladen gewesen war und dann war alles furchtbar undurchsichtig.

Sie versuchte sich zu erheben. Ihr langes Haar klebte ihr am Kopf und im Gesicht und ihre Kleider waren schwer von dem Regen. Kaum hatte sie sich in eine sitzende Position gebracht, da rutschte sie wieder weg. Der Boden unter ihr war aufgeweicht und hatte sich in zähen Schlamm verwandelt.

Als Sheila endlich stand, drehte sie sich in alle Richtungen um eine Anhaltspunkt zu finden, wo sie sich befand. Der Himmel war wolkenverhangen, sodass nicht mal Sterne schienen, aber auch so erkannte Sheila das Fehlen jeglichen elektrischen Lichtes.

Wo, um Himmels Willen, war sie? Tokios Lichter mussten eigentlich noch mehrere 100 Kilometer im Umkreis erhellen. Es war unmöglich, dass Sheila noch weiter entfernt war. Und vor allen Dingen wo konnte sie sich dann befinden?

Sheila machte Bäume und Sträucher um sich herum aus. Also schien sie in einer Art Wald zu sein. Wo gab es ausserhalb Tokios Wälder? Ihre Situation kam Sheila immer lächerlicher vor. Wie sollte sie denn hier hin gekommen sein? Die alte Frau hatte sie sicherlich nicht tragen können. Sheila betastete sich überall. Und es ließen sich keine Verletzungen feststellen.

°Ich kann hier aber nicht ewig stehen bleiben. Ich hole mir den Tod.° Sheila merkte zunehmend, dass sie fröstelte. Unsicher in welche Richtung sie gehen sollte, drehte sie sich mal hier hin, mal dorthin.

Ihre Entscheidung wurde ihr abgenommen, als sie einen kleinen Trampelpfad ausmachte, der sich zwischen zwei Bäumen hindurch schlängelte.

°Na ja, viel falsch machen kann ich sicher nicht.° Sheila nahm all ihren Mut zusammen und lief blind diesen Pfad entlang. Sie musste nur aufpassen, dass sie ihn bei diesem Wetter und der Dunkelheit nicht verlor.
 

Sheila schien ewig zu laufen. Immer wieder glitt sie aus, da der Regen den Boden in Lehm verwandelt hatte und sie wurde zusehends müder. WIeder musste sie feststellen, dass sie vollkommen falsch gekleidet war, aber das hier war nicht geplant gewesen. Ihr Marsch verhinderte, dass sie unterkühlte weshalb Sheila sich ermahnte weiter zu laufen, bis sie eine Unterkunft oder einen Unterstand gefunden hatte.

Plötzlich hörte sie in weiter Ferne scheinbares Kampfgetümmel. Klingen prallten aufeinander und Männer brüllten.

°Wird hier etwa ein Film gedreht?° Wo ein Film gedreht wurde, da waren Menschen und die konnten ihr helfen. Sheila beschleunigte ihre Schritte. Einmal schlug sie der Länge nach hin und blieb kurz liegen, da ihr Körper erschöpft war. Die Geräusche schienen nicht mehr allzu weit. Hoffnung keimte in ihr auf und zum ersten Mal registrierte Sheila, dass sie wirklich kurz vor einer Panik gestanden hatte. Der Regen hatte nun nachgelassen und es war kaum noch Sprühregen der sich über Sheila ergoss.

Plötzlich hatte Sheila das unerklärbare Gefühl, dass sich die Geräuschkulisse auf sie zu bewegte. Als Sheila sich aufrichtete erkannte sie Lichter die durch den Wald zu hüpfen schienen.

°Fackeln?° Es handelte sich nicht um Taschenlampen, so viel konnte Sheila erkennen, aber Fackeln? Was wurde hier gespielt?

Instinktiv versteckte Sheila sich hinter einem Baum. Die Situation schien ihr zu grotesk und machte ihr Angst. Wer wusste schon, was da für komische Menschen auf sie zu kamen. Vielleicht irgendwelche Teufelsanbeter, die hier was auch immer gefeiert hatten! Sofort verwarf sie die Idee mit dem Filmdreh.

Als sie dann die ersten Personen im Flackern des Lichtes sah, erschrak sie zunächst fürchterlich. Sie alle waren nur halb so groß wie Sheila, wie es schien. Sie waren kräftig und in Rüstungen gekleidet, um ihre Hüften trugen sie Schwerter und Äxte. Was Sheila aber zurückweichen ließ, waren die Gesichter. Ausnahmslos alle waren behaart. Nase und Mund verliefen in eine Schnauze, an den Seiten des Mauls kamen Hauer zum Vorschein und die Augen waren kleine, schwarze Knopfaugen.

°Die haben sich als Wildschweine verkleidet.°, war das Erste was Sheila durch den Kopf ging. Offensichtlich ein Kinderstreich oder ein Spiel.

Doch wie konnten Kinder so unmenschliche Laute von sich geben? Die Horde, die an ihr vorbei rannte grunzte, brüllte und stieß unverständliche Laute aus. Sie schienen vor etwas auf der Flucht.

In diesem Moment vernahm Sheila ein furchterregendes Geheul, was ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte.

Als die Lichter der flüchtenden Meute allmählich verschwanden hörte Sheila es überall Rascheln und kleine flinke Körper rasten durch das Gestrüpp.

°Die Verfolger!° Sheila machte sich noch etwas kleiner, denn diese kleinen Wesen waren ihr unerklärlich und machten ihr große Angst. Kein kleines Kind konnte so schnell sein. Was war das hier für ein Ort?

Einer dieser Wesen sprang so nah an Sheila vorbei, dass sie erschrocken die Luft anhielt. Sie vernahm ein Hecheln wie von einem Hund und erkannte, dass auch dieses Etwas behaart war.

Dann kam wieder dieses schreckliche Geheul, was Sheila veranlasste sich die Ohren zu zuhalten. Dann kam sie zu der Erkenntnis. °Wölfe!°

Wie konnte das sein?
 

Sheila wartete etliche Minuten lang hinter ihrem Baum. Sie war wie gelähmt, ob durch die Kälte, die ihren nassen Körper hoch kroch oder ihrer Angst, es war nicht von Bedeutung.

Verzweiflung machte sich in ihr breit. Wo auch immer sie gelandet war, Sheila hatte das Gefühl, dass sie nicht so schnell nach Hause finden würde. War sie in einem ihrer Tagträume gefangen? Aber das hier war mehr wie ein schrecklicher Traum, doch für einen Traum fühlte sich der Schlamm, die Kälte und die Rinde unter ihren Händen zu real an.

Als sie weder Rascheln noch Heulen vernahm, wagte sie sich hinter dem Baum hervor und suchte den Pfad. Es war schwer in dieser Dunkelheit zu finden, da er aber nicht weit von dem Baum hinter dem sie sich versteckt hatte sein konnte, suchte Sheila nicht vergebens. Doch kaum hatte sie in gefunden, fragte sie sich ob es gut war ausgerechnet den Pfad zu verfolgen. Was war wenn diese Wesen zurückkamen?

Sheila konnte aber auch nicht blindlings durch das Gestrüpp wandern, zu sehr bestand die Gefahr, dass sie sich verlief.

Also raffte sie all ihren Mut zusammen und lief weiter den Weg entlang. Der Regen hatte nun vollständig aufgehört und hier und dort konnte Sheila Glühwürmchen erkennen, die sich aus ihren Verstecken wagten. Sheila war dankbar für ihre Anwesenheit, denn sie tauchten den Wald in ein seichtes Licht und irgendwie raubten sie Sheila die Angst.

Sie wurde jetzt so müde, dass sie immer wieder stolperte. Sheila wusste nicht wie lange sie noch gehen konnte und viel schlimmer noch war: sie wusste nicht wie lange sie noch gehen musste. Sie wollte schnellstens den Wald hinter sich lassen, doch dazu durfte sie nicht Schlapp machen.
 

Irgendwann hatte sie es doch nicht mehr ausgehalten. Sheila hatte sich gesagt, sie wolle nur ausruhen und hatte sich unter ein dichtes Gestrüpp gekauert. Doch schnell hatte die Müdigkeit gesiegt. Kaum hatte sie sich eingerollte, um sich möglichst warm zu halten, war sie auch schon eingenickt.

Der Schlaf war aufgrund ihrer unnatürlichen Lage nicht tief, doch die Geräusche vernahm sie erst als sie ganz nah waren.

Vor Schreck wäre Sheila beinahe aufgesprungen, wobei sie sich verraten hätte.

°Dieses Wolfsgeheul wieder!° Sofort zitterte Sheila am ganzen Körper. Die kleinen raschen Tiere näherten sich schnell und Sheila betete, dass sie sie nicht wittern würden. Ihre Nerven waren zum Zerreissen gespannt.

Als der erste Wolf an ihr vorbei huschte hätte sie vor Schreck beinahe aufgeschrien, doch sie hatte sich gerade noch beherrschen können.

Danach waren noch einige Schatten aufgetaucht und genauso schnell verschwunden. Sheila wollte gerade aufatmen als sie ein beunruhigende Bewegung in ihrer Nähe spürte. Ein Wolf, der aufgrund seines weißen Felles aus der Nacht hervorstach schnüffelte um einen Baum herum. Sheila hielt den Atem an.

Würde der Wolf sie angreifen? Er musste sie gewittert haben, zu gut waren die Nasen dieser Tiere.

Doch der Wolf jaulte nur einmal laut und verschwand auch schon wieder. Sheila war vor Erleichterung den Tränen nahe. Sie wollte nur noch raus aus diesem Alptraum.

So leise wie möglich kletterte sie wieder aus dem Busch und machte sich schleunigst auf den Weg. Der Pfad musste ja irgendwann irgendwo enden.
 

Plötzlich vernahm Sheila ein Rascheln im Rücken. Zunächst blieb sie wie versteinert stehen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und als sie sich leicht umwandte um nach dem Ursprung zu suchen, erkannte sie zwei leuchtende Augen im Gebüsch. Panik überkam Sheila.

°Oh Gott, was tu ich nur? Rennen? Mich tot stellen?° Sofort schien der ganze Wald zum Leben zu erwachen. Sheila vernahm das Hecheln des Tieres hinter sich und dann raschelte es auch zu ihrer linken.

Bevor sie wusste was sie tat, war sie auch schon los gelaufen. Jetzt achtete sie nicht mehr auf den Pfad, sondern rannte panisch polternd und krachend durch das Unterholz, hinter sich immer noch das Hecheln des Wolfes.

„Ich will nicht sterben...oh bitte nicht!“, stieß sie schluchzend hervor.

Der Wolf lief jetzt fast auf gleicher Höhe und knurrte laut. Durch diesen Laut durcheinander gebracht, stürzte Sheila über eine Baumwurzel. Ihr Gesicht war zerkratzt und ihr langes Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Sie versuchte sofort sich aufzurappeln, aber als sie es versuchte, knickte sie schmerzhaft weg.

„Scheiße!“ Laut fluchend hielt sie sich den rechten Knöchel. Plötzlich spürte sie heißen Atem auf ihrem Gesicht. Ein pechschwarzer Wolf stand genau über ihr. Seine Zähne waren gebleckt, doch er knurrte nicht, sah sie nur an. Er war größer, als die, die sie vorher gesehen hatte. Sein Fell glänzte ihm Schein des durchbrechenden Mondes und seine kristallblauen Augen leuchteten.

Sheila merkte wie ihr Zähne hart aufeinander schlugen, doch sie konnte den Blick nicht von diesem Tier abwenden. Er hatte etwas besonderes an sich, doch sie konnte nicht sagen was es war.

„Bitte, tu mir nichts.“ Sheila empfand es als merkwürdig, mit dem Wolf zu sprechen, aber ihre Angst saß ihr so tief in den Knochen, dass sie nicht mehr richtig denken konnte.

Das was aber darauf folgte, hätte sie nicht erwartet.

Der Wolf nahm vor ihr eine andere Gestalt an. Er richtete sich auf, stand auf zwei Beinen und wurde größer. Er wurde zu einem Mensch. Ungläubig beobachtete Sheila wie der Wolf zu einem Mann wurde.

Seine Arme und Beine waren stark bemuskelt und am Körper trug er schwarzes Fell, auch seine langen Haare, die zu einem Pferdeschwanz zurück gebunden waren, waren schwarz. Sein Gesicht konnte Sheila nicht erkennen, da es im Dunkeln lag, doch das hätte sie sowieso nicht gesehen. Sie war gefangen von diesen unnatürlich blauen Augen, die im Kontrast standen zu seinem schwarzen Haar.

Sheila wurde schummrig und sie merkte wie das Adrenalin ihrer Angst wieder zur Ruhe kam. Verwirrt blinzelte sie, dann wurde es erneut schwarz um sie herum.

Der Wolf

Der Wolf
 

Kapitel 3
 

Kasuke hatte diese fremden Geruch schon während der Jagd auf die Onkais in der Nase gehabt. Doch diese Wildschweinbastarde hatten auf dem Terrain des Wolfsclans Jagd auf Jungfrauen gemacht und da verstand er keinen Spaß. Er war Anführer der Wölfe und musste klar machen, wo die Grenzen waren. Die Onkais waren ständig auf der Suche nach besagten Jungfrauen, ob menschlicher oder dämonischer Natur. Wozu sie sie brauchten war ein grausames Geheimnis und es kümmerte Kasuke wenig.

Eine Patrouille hatte gemeldet, dass sie Wildschweine gewittert hätten und Kasuke hatte nicht lange gezögert und zehn seiner besten Jäger los geschickt, ihn eingeschlossen, um der Horde einen Denkzettel zu verpassen.

Während der Verfolgung hatte er also schon die Anwesenheit eines fremden Wesens gespürt, sich aber nicht weiter gekümmert. Priorität lag zu diesem Zeitpunkt bei den Onkais.

Doch auf dem Rückweg hatte ihm eine seiner Jägerinnen ebenfalls auf diesen Geruch aufmerksam gemacht. Sie hatte die Person in einem Gebüsch aufgespürt, wo die Kreatur scheinbar rastete. Mit einem Warnlaut hatte Mika Kasuke zurückgerufen und er hatte, mit ihr, der Person aufgelauert, während die anderen zum Hauptsitz zurückgekehrt waren.

Aufgrund der Glühwürmchen war der Wald sehr hell, doch auch so hätte der Wolf alles gesehen. Die Person war in sein Blickfeld gestolpert und er erkannte sofort, dass es sich eindeutig um einem Menschen handelte und ein Mädchen dazu. Kasuke wäre davon ausgegangen, dass es sich womöglich um eine entführte Jungfrau handele, wenn diese junge Frau nicht so seltsam ausgesehen hätte. Sie war größer als die meisten Menschen die hier lebten und sie trug seltsame Kleidung. So etwas wie sie an den Beinen trug hatte er sogar noch nie zuvor gesehen.

Der Mensch war von oben bis unten voll mit Schlamm, doch Kasuke erkannte, dass sie sehr feingliedrig war. Ihr langes Haar wehte in der leichten Brise und ihre vollen Lippen bebten. Seine feine Nase verriet ihm, dass sie Angst hatte. Ihr Gesicht war außergewöhnlich ausdrucksstark. Sie hatte große Augen, die vor Angst noch größer schienen, hohe Wangenknochen und eine gerade, schmale Nase.

Sie gehörte eindeutig zu keinem ihm unbekannten oder bekannten Menschenstamm. Doch woher kam sie und was suchte sie?

In diesem Moment war sie stocksteif stehen geblieben. Kasuke und Mika duckten sich noch weiter ins Unterholz, doch die Frau hatte Mikas Augen aufblitzen sehen. Kasuke spürte, wie den Menschen Panik überkam.

Gedankenlos rannte der Mensch los, unbedacht und vor allen Dingen unvorsichtig. Das Gelände hier war unwegsam und es war eine Frage der Zeit bis das Mädchen mit den schlechten Menschenaugen stürzen würde. Mit einem Knurrlaut hatte er Mika aufgefordert, den Mensch zu verfolgen und war dann selbst hinterher gesprintet. Die Gejagte stieß zwischendurch Worte aus, die der Wolf aufgrund des Kraches, den Besagte verursachte, nicht verstand. Dann passierte was er vorhergesagt hatte. Sie stürzte. Offensichtlich hatte sie sich verletzt, denn sie schaffte es nicht aus eigener Kraft aufzustehen.

Kasuke bedeutete Mika im Hintergrund zu bleiben, da die Menschenfrau bereits genug Angst hatte. Er ging auf sie zu, doch sie bemerkte ihn erst als er direkt vor ihr stand. Ihre großen Augen weiteten sich noch mehr und stachen aus ihrem fahlen Gesicht heraus. Einzelne Schlammspuren zeigten, dass sie schon einen harten Weg hinter sich haben musste.

Sie musterte ihn und auf einmal verschwand ihre Angst aus den Augen.

„Bitte, tu mir nichts.“ Ihre Stimme war weich und hell wie ein Glockenton. Wer auch immer sie war, sie hatte nichts Gefährliches an sich.

Vor ihren Augen verwandelte er sich in seine ursprüngliche Gestalt. Er und sein Clan waren Wolfsdämonen, die in zweierlei Gestalt wechseln konnten. Menschlicher und tierischer Gestalt.

Um dem Menschenmädchen die Angst zu nehmen, hatte er es für besser empfunden, sich in seine menschliche Gestalt zu verwandeln.

Während sie Kasuke weiterhin mit diesen wundervollen Augen musterte, bemerkte er wie ihr Blick verschwamm. Sie blinzelte verwirrt. Der Schock der Jagd musste ihr tief in den Knochen sitzen. Dann wurde sie ohnmächtig.
 

Sheila erwachte in einem harten aber nicht ungemütlichen Bett. Eine Fell lag als Decke über ihr ausgebreitet. Verwirrt sah sie sich um. Das war nicht ihr Bett? War sie nicht soeben von dem Alptraum erwacht?

Die Wände waren aus Stein und Sheila hätte es spontan für eine Höhle gehalten, wenn die Decke nicht so hoch gewesen wäre. Der Raum an sich war nicht sehr groß, aber trocken und wurde von einzelnen Fackeln erleuchtet. Diese hingen in dafür vorgesehene Halterungen an der Wand.

Der Boden unter ihr war ebenfalls aus Stein aber ebenmäßiger, fast wie Marmor. Das war Marmor.

Vorsichtig schwang sie die Beine über die Bettkante. Sie lag auf einem Felsvorsprung. Man hatte ihr die Lage durch Decken weicher gemacht.

Wo zum Teufel war sie hier?

Ihre Sicht verschwamm etwas und sie hielt sich den Kopf. Die letzten Stunden waren eindeutig zu viel für sie gewesen.

Plötzlich hörte sie Schritte aus einem Gang, der einzige der aus dem Raum führte, wie Sheila erkennen musste. Ängstlich wartete sie, dass wieder ein Wolf um die Ecke kam, doch statt dessen erblickte Sheila eine alte Frau. Ihr Haar war grau und sie trug graues Fell, wie ein Kleid. Ungewöhnlich waren die Augen der Frau, sie waren stahlgrau. Als die Frau Sheilas Blick sah, lächelte sie.

„Wie geht’s dir Kindchen? Ich hoffe, dass du keine Angst mehr hast!“ Sie reichte Sheila einen dampfenden Holzbecher und Sheila beäugte misstrauisch das Gebräu.

„Trink nur. Es ist nur ein wenig Pfefferminze. Es wird dich stärken. Ich werde mir währenddessen deinen Knöchel ansehen.“ Sheila nahm einen vorsichtigen Schluck und auch wenn es sehr bitter schmeckte, bemerkte sie wie das Gebräu in ihrem Magen Wärme verbreitete.

„Wo bin ich hier?“ Die Frau lächelte und ließ sich neben Sheila auf den Felsvorsprung nieder.

„Ich habe schon darauf gewartet, dass du das fragst.“ Sie holte tief Luft. „Ich glaube, dass dir das, was ich dir jetzt erzähle, wahrscheinlich seltsam vorkommen mag, aber hör mir erst zu und dann frag weiter.“

Bedächtig nickte Sheila und nippte wieder an dem Tee, wenn man ihn so bezeichnen konnte.

„Du befindest dich hier im Reich des Wolfsclans, einem der zehn mächtigsten Clans dieser Welt. Die Wölfe, die dir heute Nacht begegnet sind, gehören zu diesem Clan. Der schwarze Wolf, den du gesehen hast ist unser Oberhaupt Kasuke, er hat dich hierher gebracht.“ Sheila hätte sich beinahe an dem Tee verschluckt. Was war das für ein Märchen, was die Alte ihr da auftischte?

„Bevor du fragst, muss ich dir ein paar Fragen stellen. Woher kommst du?“ Sheila hätte beinahe losgelacht.

„Jedenfalls aus einer Welt, wo es keine Wölfe gibt, die sich in Menschen verwandeln und Schweine in Rüstungen mit Fackeln durch die Wälder rennen.“ Sheila kam dies alles so absurd vor das sie zunehmend Hysterie überkam. Die Alte bemerkte dies und griff nach der Hand des Mädchens.

„Gibt es bei euch keine Wölfe?“

„Jedenfalls keine wie euch. Tiere sind Tiere. Sie können sich nicht verwandeln , nicht sprechen. Die Menschen herrschen über sie.“ Die alte Frau fröstelte es bei diesem Gedanken, doch sie nickte.

„Hier ist es umgekehrt. Die zehn Clans herrschen über große Gebiete in denen auch Menschen leben. Die Menschen sind Untertanen, die wir beschützen.“ Abrupt stand Sheila auf.

„Es tut mir Leid, aber ich glaube kein Wort. Das ist alles vollkommen unmöglich.“ Dann zuckte sie jedoch vor Schmerz zusammen und setzte sich wieder.

Die Alte hatte befürchtet, dass Sheila so reagieren würde. Sie richtete sich auf und schrumpfte plötzlich in sich zusammen.

Mit Schrecken musste Sheila zusehen wie die Alte zu einem alten grauen Wolf wurde. Sie musste tief Atem holen. Ungläubig beobachtete sie wie die Frau sich zurück verwandelte, doch sagen konnte sie nichts mehr.

Einige Minuten starrte sie nur vor sich hin und tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Es war wie in einem ihrer Bücher.

Sheila dachte an den Buchladen zurück. Das Licht, das dicke unleserliche Buch. War sie etwa in diesem Buch? Nein, das konnte nicht sein, aber wie erklärte sich dann diese Welt, in die sie herein geraten war? Für einen Traum war dies hier zu real und dann hätte sie längst wieder aufwachen müssen.

Resigniert seufzte sie und sah dann wieder die Wölfin an.

„Ich glaube Euch, aber bitte erklärt mir, wie ich zurück kann.“ Die Wölfin schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, ob es möglich ist. Aktuell wissen wir nur, dass Ihr nicht hierher gehört. Aber seid sicher, Euch wird hier nichts geschehen. Kasuke ist ein guter Wolf, Mensch....wie auch immer Ihr es nennen möchtet.“ Sie sah an Sheila herunter.

„Ich denke wir sollten Euch zunächst einmal aus diesen Sachen befreien und Ihr wollt Euch sicher waschen. Danach werde ich Euren Knöchel behandeln. Es ist nichts ernstes, doch sicherlich schmerzhaft. Ich rate Euch Sachen aus dieser Welt zu tragen. Es erregt weniger Aufsehen.“

Entsetzt sah Sheila an sich herab. Sie hatte ganz vergessen, dass sie über und über mit Schlamm bedeckt war. Sie nickte und folgte der Wölfin. Diese führte sie durch mehrere große Gänge in ein riesiges Gewölbe. Überall war Rauch.

„Das sind heiße Quelle, die durch diesen Berg gespeist werden. Wir haben bereits Sachen bereit gelegt. Lasst Euch Zeit. Wir werden Euch holen, sobald ihr fertig seid.“

Sheila bedankte sich und entkleidete sich, kaum war die Wölfin verschwunden. Ein Berg? Dann musste es sich hierbei um ein großes Tunnelsystem, innerhalb des Berges handeln.

Die alte Wölfin hatte so getan, als wenn es das Natürlichste Welt sei, dass ein Mensch aus einer anderen Welt hierher kam. Wusste sie etwas, was Sheila nicht erahnen konnte?

Seufzend ließ Sheila sich in das wohlig warme Wasser nieder und wagte es, sich ein wenig zu entspannen. Anscheinend ging von diesen Wölfen keine Gefahr aus. Besser als weiterhin durch den Wald zu irren.
 

Kasuke saß in seiner menschlichen Gestalt in einem großen Saal in dem sich etwa fünfzig Wölfe versammelt hatten. Die Familienoberhäupter seines Clans. Insgesamt umfasste sein Clan an die 2000 Wölfe. Er war das Oberhaupt des Clans, dann kamen die Familienoberhäupter und seine Jäger, zu vergleichen mit Soldaten, wurden noch einmal durch Generäle befehligt. Ein nicht allzu komplexes System, das bestens funktionierte.

Momentan warteten nun die Familienoberhäupter, auch Chiefs genannt, auf die alte Fry, welche sich bereit erklärt hatte mit dem Menschenmädchen zu sprechen. Ihr Auftauchen hatte für großen Wirbel gesorgt. Es geschah nicht oft, dass ein Wesen aus einer anderen Welt kam, vor allen Dinge nicht wenn es prophezeit worden war.

Die Wölfe hörten sofort, dass Fry auf dem Weg in den Saal war. Die Spannung war elektrisierend. Auch Fry war in ihrer Menschengestalt gekommen. Kasuke hatte allen Wölfen befohlen, sich dem Mädchen nur dann zu nähern wenn sie als Mensch erschienen. Der Mensch hatte genug durchgemacht.

Fry lächelte Kasuke zu, als sie den Saal betrat. Kasukes Erscheinung war atemberaubend. Als Wolf und auch als Mensch. Wäre sie jünger gewesen wäre sie ebenso verrückt nach ihm gewesen, wie die jungen Wölfinnen des Clans, doch Kasuke war ein Einzelgänger.

Besagter saß nun auf einer Erhöhung, in einem, in Stein gehauenen Thron. Die Chiefs und Generäle saßen ihm zu Füßen auf steinernen Stühlen, in der Mitte erstreckte sich ein in Stein gemeißelter Tisch. Die alte Wölfin verbeugte sich leicht und sah dem schwarzen Wolf dann in die kristallblauen Augen. Der Raum war so groß und hatte so eine hohe Decke, dass Frys Stimme laut hallte als sie sprach.

„Sie kommt aus einer anderen Welt, wie Ihr vermutete habt, Herr. Sie weiß nicht, wie sie hier her gelangt ist und es war nur schwer, sie davon zu überzeugen, dass sie nicht träumt.“ Einige Wölfe knurrten, doch Fry ließ sie mit einem eiskalten Blick verstummen.

„Sie scheint aber recht clever zu sein und bereit sich anzuhören, was wir ihr zu sagen haben. Wir sollten ihr aber Zeit lassen und vor allen Dingen nicht dieser Meute hier aussetzen. Sie hat wahrhaftig Angst und diese Angst macht sie erhaben über jeden Zweifel, dass sie ein ehrlicher Mensch ist.“ Mit dem letzten Satz bedachte sie die Chiefs, die an der Glaubwürdigkeit des Mädchens zweifelten.

Kasuke musste lächeln. Fry war weise und traute niemanden, den sie nicht kannte. Um so mehr schenkte er ihren Worten Glauben.

„Danke, Fry. Ich werde persönlich mit ihr sprechen.“ Fry nickte und zog sich zurück. Sofort wurden Stimmen laut, die nur so vor Misstrauen trieften.

Kasuke erhob sich und die Wölfe verstummten. Ihr Anführer war klug und verdiente Respekt.

„Ich habe sie im Wald gesehen und ich denke ebenso wie Fry, dass von ihr keinerlei Gefahr ausgeht und womöglich ist sie tatsächlich die Person auf die diese Welt gewartet hat.“ Die Wölfe grummelten, doch Kasuke reagierte nicht darauf.

Er war mit seinen Gedanken bei dem Mädchen, mit diesen ungewöhnlichen Augen und diesem wunderschönen Gesicht.

Erstes Zusammentreffen

Kapitel 4
 

Erstes Zusammentreffen
 

So schön es doch war, in den heißen Quellen zu baden, nach einer halben Stunde wurde es Jedem unerträglich heiß. Sheila erging es nicht anders.

Sie tauchte noch einmal unter und humpelte dann aus der Quelle, über in Stein gehauene Stufen. Ihr Körper war über und über rot angelaufen, doch Sheila fühlte sich pudelwohl. Neugierig sah sie sich um, wo die Wölfe ihr wohl Kleidung hingelegt haben könnten. Angestrengt versuchte sie durch den Dampf des heißen Wasser zu sehen, als sie mehrere Nischen an der gegenüberliegenden Wand ausmachte.

°Diese ganzen Felsvorsprünge, all das sieht so gewollt aus und ist doch Naturgegeben.° Sheila konnte sich nicht vorstellen, dass diese Höhlen von den Wölfen geschaffen worden waren. Außer vielleicht durch einen Zauber.

Oh nein, jetzt dachte sie schon wie in ihren Büchern. Diese ganze Situation war einfach unglaublich.

Sie huschte durch den Rauch zu den Nischen und fand zunächst ein Kleid. Es war aus weichem Leinen und hatte ein braune Farbe. Sheila hatte einige Schwierigkeiten sich in dieses Ding zu zwängen. Nicht, dass es nicht gepasst hätte. Sie war es im Zeitalter der Knöpfe und Reißverschlüsse nicht gewohnt sich ein Mieder zu schnüren.

°Wie im Mittelalter!° schoß es ihr durch den Kopf.

In der nächsten Nische fand sie einen passenden Ledergürtel mit einem Dolch, der mit einem Lederriemen an der Seite befestigt war.

Wofür sie wohl eine Waffe benötigte?

In dem dritten Hohlraum fand sie einen Hornkamm. Bewundernd betrachtete Sheila das Stück. Der Kamm war weiß und hatte fünf Zacken. Als wenn er aus Knochen gemacht worden wäre. Sheila erschauerte bei diesem Gedanken, kämmte sich jedoch trotzdem damit. Neben dem Kamm hatte ein einfaches Lederband gelegen und da Sheila nichts besseres damit anzufangen wusste, flocht sie sich die Haare und band sie damit zusammen. Zuletzt fand sie noch ein paar weiche Lederschuhe, mehr in der Art von einfachen Mokassins. Ihre langen Lederstiefel, mit den hohen Absätzen, wären mit Sicherheit unpassend gewesen.

Dann hörte Sheila ein leises Hüsteln und als sie herumfuhr stand ihr ein junges hübsches Mädchen gegenüber.

°Sie ist niemals älter als ich.° Die Wölfin, wie Sheila vermutete, hatte weißes Haar und himmelblaue Augen. Sie war höflich, doch Sheila merkte, dass ein wenig Unmut mit schwang, als sie das Wort an Sheila richtete.

„Mein Name ist Mika. Ich bin eine Jägerin und dem Oberhaupt direkt unterstellt. Ich soll Euch zu meinem Herrn führen.“

Ohne eine Antwort ab zu warten, drehte sich das Mädchen um. Sehr unhöflich, dachte sich Sheila, wagte aber nicht etwas zu sagen. Wer wusste, was diese Wölfin für einen Charakter hatte. Sicherlich konnte sie sie mit einem Biss töten.
 

Sheila folgte Mika wieder quer durch Gänge, die alle gleich auszusehen schienen. Bisher hatte sie noch keinen weiteren Wolf gesehen und obwohl Sheila sich davor fürchtete, war sie doch ein wenig enttäuscht. Was aber nicht lange anhielt.

Plötzlich vernahm sie Stimmen und bemerkte, dass der Tunnel ein wenig anstieg. Und geradewegs in eine riesige Höhle endete. Die Halle war riesig und durch mehrere Plattformen unterteilt. An den Wänden verliefen mehrere Wege die sich in Serpentinen in die Höhe schlängelten und in verschiedene Tunnelsysteme führten. Auf jeder Plattform befand sich eine Feuerstelle um die sich viele Wölfe scharten. Auf dem Grund der Halle befand sich eine Art Versammlungsort. Eine gigantischer Steintisch, mit dazugehörigen Sitzgelegenheiten, nahmen fast den ganzen Durchmesser der Halle ein.

Sheila war staunend stehen geblieben und erst das unwirsche Knurren von Mika holte sie in die Wirklichkeit zurück.

Sheila beeilte sich zu Mika aufzuschließen. Die anderen Wölfe waren verstummt und musterten den Neuankömmling unverhohlen. Sheila hatte zunächst angenommen, zu dem Versammlungsort geführt zu werden, da sich der Weg immer weiter hinab geschlängelt hatte, doch Mika bog kurz darauf einfach in einen Gang ab. Wieder ein Tunnel, der den anderen voll und ganz ähnelte.

„Wie soll ich mich hier bloß zurecht finden?“ Sie hatte das mehr zu sich gesagt, doch fing sich einen ungeduldigen Seitenblick von der Wölfin ein.

Dieser Tunnel unterschied sich jedoch in einem Punkt von den anderen. Es gab keine weiteren Verzweigungen sondern er führte schnurstracks in einen riesigen Raum. Die Halle hatte Sheila durch ihre Größe imponiert, dass Zimmer des Oberhaupts jedoch versetzte sie in Staunen, aufgrund der Gemütlichkeit und Wärme die ihr entgegen strahlte.

Alles war mit weichen Fellen ausgestattet, selbst die Höhlenwände. Überall gab es Sitzmöglichkeiten und eine Feuerstelle befand sich direkt neben einem großen Bett. Sprachlos ließ Sheila die Eindrücke auf sich wirken. Wer hier lebte, musste ein Gespür für Gemütlichkeit und Zufriedenheit haben.

Mika verwandelte sich in einen Wolf zurück und trollte sich mit einem leisen Knurren. Sheila fragte sich aufrichtig, was für ein Problem dieses Mädchen mit ihr hatte.

Kaum war die Wölfin verschwunden, konnte sich Sheila nicht mehr zurückhalten. Sie lief durch die mindesten 60 m² große Höhle, strich über die verschiedensten Felle. Berührte ein imposantes Schwert, welches an der Wand lehnte.
 

Sie war so eingenommen von diesen Dingen und er so leise, dass sie ihn einfach nicht wahrnahm. Kasuke hatte die ganze Zeit in einer Art Nische gesessen und einige seiner Waffen gereinigt.

Lautlos beobachtete er dieses engelsgleiche Wesen, wie es hier und dort etwas berührte und dabei diesen ungläubigen und auch beeindruckten Blick in ihren eindrucksvollen Augen hatte. Er musste lächeln und wagte es nicht einmal zu atmen. Er wollte sie einfach nur beobachten.

Menschen interessierten ihn für gewöhnlich nicht. Für ihn waren sie einfältige Geschöpfe. Nur sehr selten gab es unter ihnen starke, würdige Persönlichkeiten. Die Schwäche der Menschen war ihre Sucht nach Macht. Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen. Deshalb hatten sich die zehn Clans zusammengeschlossen. Alles mächtige Dämonen, die die Welt im Gleichgewicht halten sollten und die Menschen zu beschützen geschworen hatten.

Doch dieses Gleichgewicht geriet in Gefahr. Es gab Rebellen. Eine Armee aus Menschen und abtrünnigen Dämonen machte dem Bündnis zu schaffen. Sie griffen die Grenzen an, raubten und plünderten und brachten auch innerhalb der Clans Unruhen mit sich. Schlimmer noch war, dass sie ein Oberhaupt gewählt hatten, der Mensch, wie auch Dämon war. Dieser Imperator, wie die Rebellen ihn nannten, sagte von sich, dass nur ihm es gebührte über die Welt zu herrschen. Die Clans hatten zunächst über ihn gelacht, doch sie hatten sich zu früh in Sicherheit gewiegt. Der Imperator hatte verborgene, bösartige Kräfte freigesetzt. Verbannte und bestrafte Kreaturen, wie die Hexenmeister der Höllenwälder, die Drachen des Kalten Berges und Trolle aus den Sümpfen nahe der Mauserhöhlen. Niemand wusste welche Bösartigkeiten er noch aushob. Seine Armee war mächtig und die Fähigkeiten der Streitkraft überstiegen die der Clans. Seit nunmehr zehn Jahren kämpften die Clans um ihre Grenzen und das Leben ihrer Untertanen. Viele Opfer hatte es gegeben. Auch sein Vater hatte sein Leben in den Kämpfen verloren. Er war in einen Hinterhalt gelockt worden, so wie einige andere Clanoberhäupter. Es hatte ein Waffenstillstand ausgehandelt werden sollen, doch der Imperator hatte nur das Bündnis schwächen wollen, indem er den Clans die Führung nahm.

Zwei Clans waren daran fast zerbrochen. Die anderen, so wie der Wolfsclan, hatten sofort für Nachfolge gesorgt. Zu trauern, dazu war in der momentanen Lage einfach keine Zeit.

Kasuke war 15 gewesen, als man die Leiche seines Vaters gebracht hatte. Seine Mutter war daran eingegangen. Sie hatte den Verlust nicht verkraftet, ihn hatte es gestärkt. Er musste die Nachfolge antreten und dafür Sorge tragen, dass der Wolfsclan weiterhin bestand.

Fünfhundert Jahre war es her und seitdem war er stärker geworden, hatte nur an den Clan gedacht. Doch er war unerbittlich, einsam und ein Einzelgänger geworden. Seine Mutter wäre nicht zufrieden mit seiner Entwicklung gewesen. Oh, er war ein gutes Oberhaupt, womöglich der Beste, aber seiner Mutter war immer sehr viel an Herzensdingen gelegen. Deshalb war sie zu schwach gewesen um ohne ihren Gatten zu überleben. Ihm, Kasuke, würde so etwas nicht passieren.

Das Letzte, was seine Mutter von sich gegeben hatte, als er neben ihr saß und sie beide auf den Tod warteten, war die Prophezeiung gewesen. Kara hatte das zweite Gesicht besessen, doch den Tod ihres Mannes hatte sie nicht sehen können.

Doch diese Gabe, was manchmal auch ein Fluch sein konnte, war noch einmal kurz vor ihrem Tod über sie gekommen.

Kasuke erinnerte sich, wie die Augen seiner Mutter noch dunkler geworden waren, als sie sowieso schon waren und sie vor Schmerz das Gesicht verzogen hatte.

„Tage der Finsternis werden kommen.“, hatte sie gestammelt.

„Doch ein Licht, ich sehe ein Licht. Ein Mädchen, zu uns gekommen aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Sie wird uns führen, zurück ins Licht.“ Schwer schöpfte Kara Luft.

„Und sie wird Herzen erweichen, die durch Trauer versteinert.“ Kara hatte noch ein letztes Mal ihren Sohn angesehen und Kasuke hatte ihre Liebe zu ihm in ihnen gesehen. Dann hatte sie sich zurück in einen Wolf verwandelt und war gestorben.

Ihre letzten Worte hatten sich in sein Herz gebrannt und noch immer hörte ihre weiche, warme Stimme sie aussprechen.

Wenn er jetzt zu diesem anmutigen, jungen Geschöpf sah, welches wie gebannt die verschiedensten Gegenstände betrachtete, konnte er nicht verhindern, dass er an ein Reh denken musste. Ein unschuldiges Reh. Diese Mädchen war nicht für den Krieg geschaffen und doch hatte Kasuke immer auf die Worte seiner Mutter vertraut. Also würde er es auch diesmal tun.

Nun schlenderte das Mädchen zu seinem Bett hinüber. Vorsichtig betrachtete sie die Konstruktion aus Ebereschenholz, hob das Fell an, welches als Decke diente, ließ sich nieder. Kasuke behagte es nicht, dass ein weibliches Geschöpf auf seinem Bett verweilte. Ihr Geruch würde an seinen Fellen haften und ihm den Schlaf rauben. Es war wohl an der Zeit, dass er sich bemerkbar machte.
 

Fast andächtig ließ sich Sheila auf dem Bett nieder. Ein echtes Bett. Sie hatte vermutet, dass alle Wölfe auf Felsvorsprüngen schlafen würden, doch dieser Kasuke schien wichtig genug, um ein echtes Bett zu haben. Und es war weich. Sofort kehrte die bleierne Müdigkeit, der letzten Stunden zurück. Am Liebsten hätte sie sich niedergelassen und ihre Lider wurden schon verdächtig schwer. Da bemerkte sie eine Bewegung, rechts von ihr, aus einer Ecke heraus. Sofort war jegliche Müdigkeit aus Sheila gewichen und sie war erschrocken aufgesprungen. Gab es hier etwa noch einen Eingang? Oder hatte er die ganze Zeit dort gesessen?

Ungläubig beobachtete Sheila den jungen Mann, der ein einfaches Schwert und einen Dolch quer durch den Raum trug und zu dem anderen Schwert, welches sie noch kurz zuvor berührt hatte, stellte. Sheilas Nerven waren zum zerreissen gespannt und sie war auch nicht ganz unempfänglich für die charismatische Ausstrahlung des Wolfes. Alles an ihm war toll. Sein Körper strotzte nur so vor Kraft und der Kontrast zwischen schwarzem Haar und kristallenen Augen war überwältigend. Er war ein Kopf größer als Sheila, doch durch sein Auftreten gewann er noch zusätzlich an Größe.

Als er sich zu ihr umwandte, hob er spöttisch eine Augenbraue und Sheila bemerkte, dass sie ihn mit offenen Mund anstarrte. Sie errötete und blickte verlegen zu Boden. Diese Augen...sie hatte sie schon einmal gesehen, aber wo?

„So setzt Euch doch bitte.“ Er deutete auf einen Felsen, der mit weichen Decken gepolstert war. Etwas steif ließ Sheila sich nieder. Kasuke setzte sich ihr gegenüber, zwischen ihnen einen kleinen Holztisch. Sheila kam kein Wort über die Lippen, aber anscheinend erwartete er es zunächst auch nicht von ihr.

„Ich hoffe Ihr entschuldigt, dass wir Euch heute Nacht so erschreckt haben, aber wir wussten nicht, dass Ihr fremd seid.“ Nette Umschreibung, dachte Sheila und nickte.

Sie betrachtete ihr Gegenüber weiterhin interessiert. Wie alt er wohl war. Seinem Auftreten nach, schien er alt und weise, doch sein Gesicht sagte ihr, dass er kaum älter war als sie selbst. Doch wie war das hier, mit dem Alter? Alterten Dämonen anders?

„So wie Ihr mich anseht, habt Ihr sicher viele Fragen.“ Kasuke lächelte, als Sheila erneut die Augen niederschlug und errötete. Seine Stimme war dunkel, fast ein Knurren aber man hörte einen jugendlichen, hellen Klang heraus. Irgendetwas an ihm fesselte sie, doch sie konnte es nicht benennen.

„Nun ja....,“ begann sie und nestelte an dem braunen Leinenkleid herum. Sie war sichtlich bemüht, die Fassung zu wahren, zu viel war in den letzten Stunden geschehen.

Dann sah sie auf, blickte Kasuke genau in die Augen. Ein Blitz schien ihn zu durchzucken und er musste Schlucken.

„Eigentlich möchte ich hauptsächlich wissen, wie ich hierher geraten bin und wie ich hier wieder weg komme.“ Ihre Stimme hatte einen hellen Klang und schlug Kasuke in seinen Bann, doch er riss sich zusammen.

„Wir wissen leider nicht viel mehr als Ihr.“ Forschend hielt Sheila Kasukes Blick fest. Er wusste mehr. Wollte er sich ihr nicht anvertrauen?

Doch Kasuke war niemand der log, sondern eher sehr direkt war.

„Das Einzige, was unserem Clan bekannt ist, ist eine Prophezeiung, nach der ein Menschenmädchen aus einer anderen Welt erscheinen wird.“

Sheila runzelte die Stirn. Sie kam sich immer mehr wie eine Spielfigur in einem Buch vor, welche durch einen Autor hin und her bewegt werden konnte. Eine Prophezeiung? So etwas gab es nicht im wirklichen Leben.

Doch hier war es real und sie wusste einfach nicht wie sie damit umgehen sollte.

„Und wie lautet diese Prophezeiung?“

„Damit solltet Ihr euch vorerst nicht auseinandersetzen. Zur gegeben Zeit, werde ich Euch ihren genauen Wortlaut mitteilen.“ Sheila spürte wie Zorn in ihr aufstieg. Wofür hielt er sie? Für schwach und dumm? Es ging immerhin um sie, also wollte sie auch alles wissen. Sie wollte gerade widersprechen, da hieß Kasuke sie auch schon zu schweigen. Er war es gewohnt, dass man ihm gehorchte und er würde sich durchsetzen. Da war Sheila sich sicher.

„Wie ist Euer Name?“ Immer noch leicht säuerlich stieß sie ihren Namen hervor.

Kasuke nickte.

„Mein Name ist Euch bereits bekannt?“ Sheila nickte.

„Nun gut, man wird Euch ein Zimmer zuteilen. Ich werde mich die nächsten Tage mit den anderen Clanoberhäuptern in Verbindung setzen. Bleibt hier in den Höhlen und Euch wird nichts geschehen.“ Sheila vernahm Schritte hinter sich. Die weiße Wölfin war wieder aufgetaucht.

Kasuke erhob sich und wandte sich einer Nische zu, in der mehrere Kristalle standen. Damit schien Sheila entlassen zu sein. Unwirsch erhob sie sich.

Sie wollte noch etwas sagen, doch ein giftiger Blick von Mika ließ sie erneut verstummen. Ärgerlich folgte sie der Wölfin.

Doch Sheila würde nicht so leicht aufgeben. Sie würde herausbekommen, was die Prophezeiung sagte. Sie merkte sich die Gänge mit einer eigene Zähltaktik. Sie würde sich nicht so leicht geschlagen geben. Kasuke hielt sie zu Unrecht schwach. Sie würde diese Dämonen eines Besseren belehren.

Adler, Panter und Hirsch

Oceans apart day after day

And I slowly go insane

I hear your voice on the line

But it doesn't stop the pain
 

If I see you next to never

How can we say forever
 

Wherever you go

Whatever you do

I will be right here waiting for you

Whatever it takes

Or how my heart breaks

I will be right here waiting for you
 

I took for granted, all the times

That I though would last somehow

I hear the laughter, I taste the tears

But I can't get near you now
 

Kapitel 5
 

Tagelang sah und hörte Sheila nichts von Kasuke oder Mika. Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte, denn ihr blieben nicht viele Dinge die sie tun konnte, außer durch die labyrinthartigen Gänge zu streifen oder sich mit Fry über die Wölfe und diese Welt zu unterhalten.

Fry erzählte ihr, dass die Welt unter zehn Clans aufgeteilt worden war und es dessen Pflicht war, die Menschen zu schützen und durch schlechte, wie gute Zeiten zu führen.

„Wir alle sind Dämonen, doch jeder Clan hat andere Merkmale. Unsere direkten Nachbarn sind die Felidae. Ein Clan der Katzen, wie du sie nennen würdest.“

Fry lächelte sanft und klopfte Sheila mütterlich aufs Knie. Sie saßen beide auf einem Felsvorsprung, mitten in der großen Halle, welche durch viele Feuer erhellt wurde, und ließen ihre Beine baumeln.

Fry hatte Sheila ins Herz geschlossen, was auf Gegenseitigkeit beruhte und sie waren ins Du übergegangen.

„Auch sie können sich verwandeln, wie wir, doch sie sind untereinander zusätzlich unterschiedlich. Es gibt Löwen, Panter (neue Rechtschreibung), Luchse und Leoparden und noch einige mehr.“

Sheila versuchte, sich das bildlich vorzustellen. Sie musste schmunzeln.

„Das ist irgendwie verrückt.“ Fry lachte.

„Du bis für uns auch schon sehr seltsam. Deine Kleidung hat für einiges Aufsehen gesorgt, im Rudel.“

Sheila dachte an ihre kniehohen Stiefel zurück. Mittlerweile hatte sie sich so sehr an ihre Leinenkleider und die Ledermokassins gewöhnt, dass sie sich fragte, wie sie je diese unbequemen Stiefel hatte tragen können.

Mit strahlenden Augen wandte sie sich erneut an Fry.

„Erzähl mir bitte mehr von den anderen Clans.“

Theatralisch räusperte Fry sich und ihre grauen Augen blickten in die Ferne.

„Es gibt noch etwas zu dem Oberhaupt der Felidae zu sagen. Als vor einigen Jahren ein Anschlag auf die Oberhäupter der umliegenden Clans verübt worden ist, wobei Kasukes Vater starb, wäre der Clan der Felidae beinahe in alle Winde zerstreut worden, da der alte Löwe Leu keine Nachkommen hatte. Doch Sekura hielt den Clan, trotz seiner Jugend, zusammen und wurde das neue Oberhaupt. Er war nicht viel älter als Kasuke damals, gerade mal 15, in euren Jahren gemessen.“

°Bewundernswert!°, dachte Sheila sich und versuchte sich vorzustellen, wie Kasuke in jüngeren Jahren gewesen war. Und auf einmal konnte sie ein wenig verstehen, warum er so streng war. Er hatte ganz plötzlich, dem Vater beraubt, die Verantwortung für mehrere hundert Wölfe auf sich nehmen müssen um für den Bestand des Wolfclans zu sorgen.

„Wo ist Kasuke eigentlich? Ich habe ihn, seitdem er mich empfangen hat, nicht mehr gesehen?“

Eigentlich war es ihr egal, wo dieser Wolf war, sagte Sheila sich. Aber sie wollte ja schließlich nach Hause.

„Er stattet den anderen Clans einen Besuch ab, um ihnen zu berichten, dass du hier bist.“ Fry zögerte einen Augenblick.

„Hat Kasuke dir von einer Prophezeiung erzählt?“

Sheila zuckte ungeduldig mit den Schultern. Dieser räudige Hund hatte es ja nicht für nötig gehalten, sie einzuweihen.

„Er hat es nur am Rande erwähnt. Anscheinend bin ich es nicht wert, Genaueres zu erfahren.“

Fry hörte eindeutig die unterdrückte Wut heraus, die Sheila mit viel Mühe zu verbergen versuchte.

„Das darfst du Kasuke nicht vorwerfen. Er weiß selber nicht so wirklich, was er von dieser Geschichte halten soll. Die Prophezeiung stammt von seiner Mutter, und sie sprach sie auf ihrem Totenbett.“

Sheila bemerkte, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam. Anscheinend steckte hinter diesem verschlossenen Wolf mit den blauen Augen mehr, als sie sehen konnte. Immerhin schien er ein fähiger Führer, denn sie hörte die anderen Wölfe nur mit größtem Respekt von dem jungen Oberhaupt sprechen.

„Bitte Fry, sag mir, um was es geht.“

„Nun, ich sollte dir vielleicht erst einmal erklären, dass unsere Welt bedroht wird. Von einer riesigen Armee böser Dämonen und Menschen, angeführt von einem Mischling, halb Mensch halb Dämon. Die kleinen Wildschweindämonen, die du an dem Abend, an dem Kasuke dich fand, gesehen hast, sind ebenfalls Abtrünnige. Sie heißen Onkais.“

Sheila musste bei dem Namen `Onkais´ losprusten, riss sich aber schnell zusammen, da sie Fry ansah, dass es sich um ein äußerst ernstes Thema handelte.

„Die Armee bekommt immer mehr Soldaten, die unsere Länder verwüsten und die Menschen töten oder rauben. Das Schlimme ist, dass sie uns über sind. Wir könnten uns zusammentun und doch wären wir unterlegen. Wir brauchen eine Führung, welche die Clans zusammenbringt und leitet. Wir sind zwar Dämonen aber in unseren Herzen sind wir doch schwach. Jeder will irgendwie ein Teil der Macht und das funktioniert einfach nicht.“

Sheila nickte, doch es machte sich ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend breit.

„Und die Prophezeiung sagt?“

„Das ein Mädchen aus einer anderen Welt kommen und uns aus diesen dunklen Zeiten herausführen wird.“

Jetzt war es um Sheilas Beherrschung geschehen. Schnaubend stand sie auf.

„Das glaubt ihr doch nicht wirklich. Ich fall doch schon in Ohnmacht, wenn mir plötzlich ein großer Wolf gegenüber steht.“ Unruhig schritt Sheila hin und her.

Nachdem sie schon ein paar Tage in dieser Welt war, wusste sie, dass Fry es ernst meinte. Das aber, gefiel ihr gar nicht. Fry stand ebenfalls auf.

„Kasuke wird die Clans, dessen Länder angrenzen, hierher holen, damit sie sich ein Bild von dem Ganzen machen können. Danach wird entschieden, ob eine große Versammlung einberufen und die Soldaten gerüstet werden.“

Als Sheila begriff, welche Größenordnung dies alles hatte, wurden ihre Knie weich und Fry sah, wie sie erbleichte.

Sie eilte zu dem Mädchen und stützte sie. Es wäre nicht gerade passend, hier, vor allen anderen Wölfen, ohnmächtig zu werden.

Ihre Stimme war nun kaum noch ein Flüstern und deren Wärme ließ das Blut in Sheilas Gesicht zurückkehren.

„Kasuke wird dich ihnen nicht ausliefern, habe keine Angst. Er hat dir seinen Schutz versichert und so wird das bleiben, bis du nach Hause zurück kannst.“

Erschöpft und den Tränen nahe, nickte Sheila. Sie musste es glauben, es blieb ihr nicht einmal etwas anderes übrig. Sie wusste ja nicht wirklich, wie sie hierher gekommen war und erst recht nicht, wie sie zurück nach Hause fand.
 

Fry und Sheila schritten gemeinsam die Serpentinen hinab um zu ihrer Höhle zu gelangen. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt und ihr war nach ein wenig Schlaf zumute. Das alles war so absurd. Wie konnten diese Dämonen tatsächlich glauben, sie wäre geschickt worden um die vereinten Clans in eine Schlacht zu führen. Sie hatte bisher nur eine Schlacht geführt und zwar ein Schlacht mit sich selbst und hier ging es um Leben und Tod.

°Die wissen nicht was sie reden. Wenn die anderen Dämonenoberhäupter mich sehen, werden sie Kasuke für bescheuert erklären und ich kann nach Hause.°
 

Plötzlich schien alles um Sheila herum zum Leben zu erwachen. Ein kleiner, brauner Wolf sprang ihnen vergnügt entgegen. Ein Welpe, wie Sheila feststellte. Er jaulte kurz und verschwand sofort wieder. Nachdenklich sah Fry ihm hinterher.

„Was ist los Fry? Alle scheinen plötzlich so aufgeregt.“

Das war noch untertrieben, denn über und unter ihnen sammelten sich plötzlich die Wölfe auf den einzelnen Felsvorsprüngen und starrten in die große Halle hinab. Die Alte folgte Sheilas Blick hinunter in die Halle.

„Kasuke kommt zurück.“

Sheilas Herz schlug einen Takt schneller. Also würde sich endlich etwas ändern.
 

Sie alle hatten ihre Tiergestalt angenommen und ein Mensch, aus Sheilas Zeit, hätte diese Kolonne als sehr merkwürdig bezeichnet. Wo gab es auch schon mal einen Wolf, einen Panter, einen Hirsch und einen Adler, die einträchtig nebeneinander her liefen oder flogen?

Als sie die große Halle hintereinander betraten, angeführt von Kasuke, hätte Sheila beinahe laut losgeprustet. Das würde ihr niemand glauben.

Kasuke ließ sich nicht auf seinem Thron, wenn man es so nennen konnte, nieder, sondern setzte sich zu den anderen Dämonen an die riesige Steintafel, jedoch ans Kopfende, sodass er seinen Sitz im Rücken hatte.

Kaum saßen sie, da verwandelten sie sich in ihre menschliche Gestalt zurück. Zum ersten Mal sah Sheila, wie Kasuke seine Waffen trug. Sie erinnerte sich daran, dass er bei ihrem ersten Treffen, im Wald, keinerlei Schwert oder Dolch getragen hatte. Anscheinend war es außerhalb seiner Grenzen, gefährlicher, als Sheila gedacht hatte.

Der Panter, rechts neben Kasuke, war zu einem stattlichen, muskulösen Mann geworden. Seine gelben Augen blickten kalt und berechnend und hoben sich von seinem schwarzen, etwas längeren Haar extrem ab. Er wies in allem eine gewisse Ähnlichkeit zu Kasuke auf und doch schienen sie von Grund auf verschieden, in Haltung und auch Ausstrahlung. Sheila hatte gedacht, dass Kasuke schon eine kalte und strenge Art an sich hatte, doch gegen den Panter schien Kasuke geradezu freundlich.

Links von Kasuke war der Hirsch zu einem drahtigen und großen Mann geworden, dessen Haare genauso braun waren, wie seine Haare. Sein Gesicht war kantig und wirkte angesichts des Panters und Kasuke, schon um einiges älter und erfahrener. Statt des prächtigen Geweihs, was er mit sich getragen hatte, hatte er nun eine Art Tattoowierung auf der Stirn, die ein Geweih darstellen sollte.

Neben ihm saß eine hübsche Frau, die als Kleidung ein Federkleid trug. Auch an Armen und Beinen konnte man feine hellbraune Daunen erkennen. Ihre dunklen Augen standen im Kontrast zu ihren hellen, bernsteinfarbenen Haaren und ihr Gesicht war anmutig, schmal und markant.

Sheila konnte von ihnen nicht genug sehen. Das alles war so unwirklich und doch so real.

Kasuke sprach gerade mit einem dunkelbraunen Wolf, der sofort die Serpentinen hochgejagt kam. Er sprach mit Fry, auf die eigentümlich wölfische Art mit Knurr- und Jaullauten.

Fry nickte und nahm Sheila am Arm.

„Sie wollen dich sehen, aber vorher werde ich dich ein wenig zurecht machen.“

Shiela hob spöttisch die Augenbrauen.

„Meinst du sie nehmen mich nicht ernst, wenn ich in normalen Kleidern vor sie trete?“

Fry schmunzelte belustigt.

„Du darfst die Waffen einer Frau nicht vergessen. Man macht immer einen besseren Eindruck, wenn man gut aussieht und ich will, dass Kasuke stolz auf dich ist.“

°Stolz?° Sheila schüttelte den Kopf. Was war sie? Ein Model, das hier vorgeführt werden sollte? Sie würde mit Kasuke ein ernstes Wort sprechen müssen und sie würde sich auch ganz sicher nicht einfach so begutachten lassen. Da hatten diese Dämonen aber nicht mir ihrer Wut gerechnet.
 

Das Kleid, welches sie nun anziehen sollte, hätte Sheila ihre Vorsätze beinahe vergessen lassen. Es war nicht aus Leinen, sondern aus weicher Seide, dabei hätte sie nie gedacht, dass es so etwas gab. Es war einerseits schlicht, doch durch die silberne Farbe, die langen, trompetenförmigen Ärmel und den weißen Gürtel, welcher das Kleid taillierte, wirkte es vornehm und wie aus einer anderen Zeit.

°Was es ja auch ist!°, ermahnte Sheila sich und blickte in einen leicht verzerrten Spiegel, den Fry ihr gebracht hatte.

„Wofür dieser Aufwand, Fry. Ich fühl mich nicht wohl in meiner Haut. Ich habe das Gefühl, ihr wollt jemanden täuschen mit diesem ganzen…..“ Sie beschrieb mit den Armen einen Kreis, mit dem sie sich einschloss.

Fry schüttelte gutmütig den Kopf.

„So darfst du das nicht sehen. Dort unten sitzen 4 sehr mächtige Dämonen und es sähe doch sicher etwas seltsam aus, wenn da ein ganz gewöhnlicher Mensch einher kommen würde. Du musst dich ein wenig abheben, damit man dir Aufmerksamkeit schenkt und du hast ja auch eine wichtige Rolle.“

Sheila sah noch einmal in den Spiegel. Fry hatte darauf bestanden, dass Sheila ihr schwarzes Haar offen trug.

„Ich habe keine wichtige Rolle, Fry. Ich gehör hier nicht einmal hin. Wie könnt ihr nur glauben, dass ich eure Rettung oder so etwas sein könnte?“

Sheila bemerkte, dass ihr das alles ein wenig über den Kopf wuchs. Das war doch einfach verrückt. Sie war drauf und dran, sich das Kleid einfach wieder vom Körper zu reißen und Kasuke zu sagen, was sie von diesem Schwachsinn hielt. Sie wollte nach Hause, verdammt noch mal, und nichts anderes.

Doch dann sah sie Fry, die fröhlich und zuversichtlich die alte Kleidung von Sheila zusammenfaltete und in die Nische zurücklegte, in der sich alle neuen Kleider von Sheila befanden. Die liebe, alte Wölfin setzte jedenfalls all ihr Vertrauen in sie und das hatte bisher noch nie jemand getan. Sheila seufzte und betrachtete noch einmal ihr Spiegelbild. Nun gut, dann würde sie sich betrachten lassen, wie so ein Wunderwesen, aber Kasuke würde noch sein Fett weg bekommen.

„Okay, Fry, ich bin bereit.“
 

Als Fry sie wieder durch die vielen Gänge führte, dachte Sheila zurück an den Moment, in dem sie in diese Welt katapultiert worden war. Diese alte Frau war merkwürdig gewesen. Jetzt wo sie so darüber nachdachte, erinnerte sie sich, wie selbstverständlich die Frau ihr Einblick in alles gewährt hatte. Dabei war es weit nach Ladenschlusszeit gewesen und sie war schließlich eine Fremde gewesen.

Sheila versuchte sich das Gesicht der alten Frau vorzustellen und stutzte plötzlich. Es war Fry gewesen!

Vorsichtig schielte sie zu der Wölfin, die lächelnd neben ihr herlief. Aber wie konnte das sein? Die Frau war doch ein Mensch gewesen. Obwohl, woher wollte sie das wissen? Wieso war ihr das nicht schon vorher aufgefallen?

°Weil du dumme Kuh mal wieder vollkommen in deiner Phantasiewelt gewesen bist.°, schalt sie sich. Aber hatte sie sich in Fry geirrt? War das alles womöglich eine Falle oder Ähnliches?

Vollkommen verunsichert und verwirrt folgte sie der Wölfin, die Sheilas Zögern sofort wahrnahm. Sie runzelte besorgt die Stirn.

„Was ist los? Ist dir nicht gut?“

Sheila schüttelte den Kopf, wie um ihn wieder klar zu bekommen.

„Sag mir, Fry. Könnte es sein, dass Jemand aus dieser Zeit in meine Welt gekommen ist, um mich zu holen oder hierher zu führen.“

Fry schien ernsthaft nachzudenken.

„Da ich, genauso wenig wie du, weiß, wie man zwischen den Welten reist, kann ich es dir nicht wirklich beantworten, aber ich denke, dass alles irgendwie möglich ist.“

Die Antwort beruhigte und befriedigte Sheila zwar nicht, aber Fry schien sehr glaubhaft, in dem was sie sagte. Vielleicht irrte sie sich ja auch. Sie würde es wohl früher oder später herausbekommen.
 

Auch wenn die Dämonen Sheilas Unsicherheit spürten, war sie doch für Alle eine Art Erscheinung. Auch wenn Fry Recht behielt mit dem Kleid, selbst ohne es, wären alle beeindruckt von Sheila gewesen. Dabei dachte Jeder etwas anderes von ihr.

Die Adlerdame (scheiße das es für Adler kein Femininum gibt) spürte eine stille und starke Kraft in dem Mädchen und sah etwas undefinierbar Gutes in dessen Augen. Auch wenn sie nicht wusste, ob dieser Mensch ihrer aller Rettung war, so ging von Sheila eine solch starke Ausstrahlung aus, dass Periphae doch gerne auf dieses Mädchen vertraut hätte.

Der Hirsch Harus war geblendet von Sheilas Schönheit. Er hielt nicht viel mehr von Menschen, als Wesen, die seines Schutzes bedurften und doch hatte er nie eine so eindrucksvolle Person gesehen. Er erkannte, was Kasuke in ihr gesehen hatte und was ihn veranlasste, sie alle hier um Rat zu fragen. Sheila strahlte Stärke und Zerbrechlichkeit zugleich aus. Es war paradox und doch, irgendwie passte es zueinander.

Sekura war da nicht so einfach zu blenden. Er sah wenig Hoffnung in einen schwachen Menschen und war schon seit jeher der Ansicht, dass die vereinigten Clans einen starken Dämon als Führung brauchten. Damit war dieses Mädchen und die Prophezeiung nicht mehr als Blasphemie.

Trotzdem konnte auch Sekura sich nicht gegen Sheilas Ausstrahlung wehren, doch es machte ihn wütend. Das waren Gefühle, die ihm nicht gefielen und auch nicht in sein Konzept passten. Dies war ein Mensch, nicht mehr und sie war schwach!

Kasuke hatte ähnliche Gedanken. Auch er war wütend. Wütend auf sich selbst, weil ihn Sheila soeben voll umgehauen hatte. Das Kleid umschmiegte ihren Körper wie eine zweite Haut und ließ ihren Teint dunkler wirken. Ihre grauen Augen wirkten geheimnisvoll und die Haare…. Er bewunderte diese Mähne aus Ebenholzen farbigem Samt. Verdammt, dieses Mädchen machte ihn wirr und das konnte er sich einfach nicht leisten. Er sah in die Gesichter der anderen und auch in ihnen meinte er, so etwas wie Bewunderung zu sehen.
 

Sheila ermahnte sich, den Dämonen in die Augen zu sehen. Sie wollten sie, Sheila, begutachten wie ein Tier, gut, aber sie würde nicht vor kalten gelben Augen oder scharfen Bemerkungen zurückschrecken. Sie war stark. Sie hatte ihr Leben alleine bestritten, schon immer. Hatte sich gegen die Behörden und brutale Menschen zur Wehr gesetzt. Von solchen Dingen konnten diese Wesen nichts ahnen und keiner von ihnen hätte in ihrer Welt bestehen können. Sie kannten nur den einfachen Weg. Man löste alles mit Blut.

Mit diesen Gedanken reckte Sheila das Kinn und trat von der letzten Stufe in die Halle. Von Nahem, waren die Dämonen noch eindrucksvoller und Sheila musste sich zusammenreißen, um sie nicht anzustarren. Sie versuchte sich aufs Wesentliche zu konzentrieren und den taxierenden Blicken standzuhalten.

Sie beobachtete die Mimik der Oberhäupter und auch wenn alle ihre Gedanken zu verbergen wussten, glaubte Sheila so etwas wie Anerkennung im Raum zu spüren. Doch sie traute sich nicht, sich auf ihre Gefühle zu verlassen. Seitdem sie Fry erkannt hatte, oder auch nicht erkannte hatte, sah sie in allem nur noch eine Art Farce.

Die Frau erhob als Erste ihre Stimme.

„So setzt Euch doch bitte. Wir haben einige Fragen an Euch.“

Die Stimme war weicher, als Sheila es sich bei einem Adler vorgestellt hätte. Doch was hatte auch ein Adler als Mensch für eine Stimme? Jedenfalls hatte der Ton der Frau etwas so Vertrautes, dass Sheila keinen Augenblick zögerte.

Auch weiterhin übernahm die Adlerlady das Wort. Sheila hatte nichts dagegen, denn bei der Frau fühlte sie soviel Freundlichkeit, dass es ihr einfacher fiel mit ihr zu sprechen.

„Mein Name ist Periphae und ich bin das Oberhaupt der Fogal. Ich denke, ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass wir auf deine Ankunft gewartet haben.“

Der Panter hinter ihr schnaubte leise. Periphae ignorierte es geduldig und hielt stattdessen Sheilas grauen Augen stand, die Entschlossenheit und Mut bereithielten.

„Sagt mir, Herrin, was denkt ihr über die Prophezeiung? Ihr müsst sicher überrascht gewesen sein.“

Als Periphae Sheila mit `Herrin´ ansprach, schluckte sie schwer. Diese Tiere meinten es wirklich ernst. Herrin? Dass sie nicht lachte.

Sheila begann unkontrolliert zu zittern und ging vor der Adlerlady in die Knie und senkte den Blick.

„Ich möchte Euch nicht enttäuschen…..“ Sie biss sich auf die Zunge, da sie nicht wusste, wie sie Periphae ansprechen sollte. „…..aber ich bin nicht mehr, als ein Mädchen aus einer anderen Welt. Ich kenne keinen Krieg und auch keine Monster. Ich kann nicht einmal Kämpfen.“ Sheila sah wieder auf. Diesmal traf ihr Blick den von Kasuke. Seine Augen waren kühl und ruhig, aber in ihnen schien ein Feuer zu lodern. Doch nicht weniger, als in Sheila.

„Es wäre für diese Welt der Untergang, wenn ihr Eure Hoffnung in mich setzen würdet. Bitte….ich will doch nur zurück, nach Hause.“
 

Nachdenklich sah Harus auf Sheila nieder. Er sah die Wahrheit ihrer Worte in ihrer Haltung und ihren großen, klaren Augen. Sie hatte Angst und sie war unsicher. Und doch, schien der Hirsch in diesem Augenblick zu wissen, dass nur Sheila der Prophezeiung würdig sein konnte. Wäre es nicht seltsam gewesen, wenn ein selbstsicherer Mensch vor ihnen gestanden hätte? Noch dazu, wenn er auch einer Welt stammt, in der nichts so wahr wie hier? Er hatte heute Nacht geträumt. Einer dieser Träume, die ihm zeigte was sein konnte und was gewesen war. Der Trazm war verschwommen gewesen, doch er erkannte diese grauen Augen wieder und erinnerte sich an das Gefühl der Erleichterung. Sie war es!

Er erhob sich von seinem Platz und schritt mit der Anmut des Tieres, welches er verkörperte, auf das kniende Mädchen zu. Seine grasgrüne Toga schien sich kaum zu bewegen, als er lief. Kasuke runzelte die Stirn und beobachtete jede einzelne Bewegung des Dämons. Harus war kein Mann großer Worte und auch sonst hielt er sich eher zurück. Und doch war er sehr weise und angesehen, bei den Menschen wie auch den anderen Dämonen.

Harus ging vor dem Mädchen in die Hocke und Strich ihr väterlich eine verirrte Haarlocke aus dem Gesicht. Sheila konnte ihre Augen nicht von diesen ernsten und zugleich warmen Zügen wenden. Sie meinte, Vertrauen und eine Zärtlichkeit zu verspüren, die sie einhüllte.

Als Harus sprach, war Sheila von dem tiefen, wohlklingenden Bariton nicht überrascht.

„Diese Welt war arm ohne Euch und sie wäre wieder arm, wenn ihr uns verlassen würdet. Ich versteh Eure Zweifel, Eure Angst, aber bitte, unterschätzt Euch nicht.“

Er half ihr hoch und hielt ihre Händen in den seinen. Sie waren warm und diese Wärme schien auf sie überzugehen.

„Die Clans dieser Welt stehen Euch in allem zur Seite.“

Warum klang all das, was er sagte so vernünftig? Wieso glaubte Sheila auf einmal, dass sie, die ihr zugedachte Aufgabe schaffen konnte? War es das Vertrauen, dass man ihr entgegenbrachte? Ein Blick auf Sekura sagte Sheila, dass nicht alle ihrer sicher waren, aber aus irgendeinem Grund, schien es zu reichen, dass dieser Mann an sie glaubte.

Harus wandte sich Kasuke zu, der sich sofort straffte. Der Hirschdämon hatte anscheinend eine respekteinflößende Stellung innerhalb aller Clans.

„Kasuke, sie bleibt weiterhin unter deinem Schutz. Ich werde die anderen Clans aufsuchen und eine Versammlung einberufen. Ich gehe davon aus, dass ihr hier an Nichts fehlen wird.“

Als Harus sich bei seinen letzten Worten zurückverwandelte, standen die anderen Dämonen auf. Kasuke, wie auch Sekura und Periphae verbeugten sich vor Harus.

„Seid unbesorgt, kleine Sheila. In Euch steckt mehr, als ihr ahnen könnt.“

Bevor Periphae Harus’ Beispiel folgte, legte sie Sheila noch einmal ihre dicht befederte Hand auf die Schulter. Mit einem Augenzwinkern legte sie dem Mädchen eine kleine Holzflöte in die Hand, welche mit einem Band um den Hals gelegt werden konnte.

„Damit steht dir das Volk der Fogal immer zu Diensten, solltest du ihre Hilfe brauchen.“ Sie gab Sheila einen Kuss auf die Stirn und wurde dann zu einem prächtigen Adler.

Sekura stand noch immer neben Kasuke am Kopfende der Steintafel. Er beobachtete die Abreisenden und das schwarzhaarige Mädchen mit diesen unsagbar grauen Augen. Womöglich konnte sie wirklich die Rettung der Nationen sein, doch andererseits hatte Harus vielleicht soeben ihrer aller Untergang heraufbeschworen. Sekura wandte sich ab und sah Kasuke ins Gesicht.

„Ich hoffe für uns alle, dass Harus richtig entschieden hat.“ Sie fassten einander am Unterarm und man erkannte eine uralte Freundschaft zwischen ihnen aufflammen.

Dann stand an Sekuras Stelle ein beeindruckender Panter, mit glänzend schwarzem Fell. Er fixierte Sheila noch einmal mit diesen unsäglich gelben Augen und verschwand dann mit einem eleganten Sprung.
 

Gedankenversunken blickte Sheila den Dämonen nach, die nach und nach in einen der größeren Tunnelgänge verschwunden waren. Ruhe war in die Höhle gekehrt, was Sheilas Gemüt entsprach. Sie verspürte Zuversicht und Mut. Plötzlich glaubte sie, dass sie nicht umsonst hierher geschickt worden war und sie würde alles tun, was nötig war um die Dämonen nicht zu enttäuschen.

°Dumm°, dachte sie sich. °Du hattest dir vorgenommen, den allen deine Meinung zu sagen und jetzt stehst du hier und rennst in dein Verderben. Und das in einer ganzen Welt!°

Und warum kam es ihr auf einmal nur halb so lächerlich vor? Hatte der Hirsch irgendetwas mit ihr gemacht?

Sie wandte sich zu Kasuke um. Dieser saß nun wieder an der Steintafel und ließ sie nicht aus den Augen. Er hatte seinen Kopf in seine gefalteten Hände gestützt und dachte nach.

Trotz Harus’ Worten, spürte Sheila plötzlich Wut in sich aufkeimen. Auch wenn er sie nur musterte, hatte sie das Gefühl, dass er durch sie hindurch sehen konnte.

„Bist du jetzt glücklich?“ Ihre Stimme war kalt und beherrscht. Kasuke hob die Augenbrauen.

„Verdammt, ihr glaubt doch nicht wirklich an die Geschichte!“ Kasuke erhob sich und stellte sich vor Sheila. Er schien amüsiert.

„Du scheinst doch selbst daran zu glauben, also was ist dein Problem?“

Er hatte das ausgesprochen, was sie gerade so störte. Sie glaubte mittlerweile selbst an die Prophezeiung. Wut schlug um in erneute Unsicherheit.

Sheila war in diesem Augenblick so verletzlich, dass es Kasuke die Kehle zuschnürte. Nichts hätte er lieber getan, als sie nun irgendwie zu trösten. Ein irrationaler Gedanke, den er nicht erklären konnte. Es war nicht richtig, nein, sogar vollkommen absurd.

Sheila sah, dass sich etwas in Kasukes Augen veränderte und sie schrak kaum merklich zurück. Sein Blick wurde dunkler und sie glaubte so etwas wie Schmerz und Leidenschaft in ihnen zu sehen. Was war das?

Verwirrt musterte sie seine Mimik, doch dieser Augenblick hatte nicht lange gedauert und Kasuke hatte sich schnell wieder unter Kontrolle, sodass Sheila glaubte, dass sie sich womöglich geirrt hatte.

Er musste jedoch den Blick abwenden, was Sheila und auch der alten Fry, welche hinter Sheila aufgetaucht war, nicht entgangen war.

Kasukes Stimme war rau, doch sie blieb fest und bestimmt.

„Du solltest zunächst einmal ruhen. Bald wird dein Training beginnen.“

„Training?“ Etwas konfus blickte Sheila sich zu Fry um, die ihr eine Hand auf die Schulter gelegt hatte.

Als Kasuke sich diesmal zu Sheila umwandte, war seine Mimik wieder unter Kontrolle. Kalt, berechnend und eine Spur abweisend.

„Wenn du überleben willst, musst du lernen mit Schwert und Bogen umzugehen.“

Training

Seh wie die Wolken so nah,

seh wie der Grund sich verliert.

Leg die Hände aufs Wasser und spür,

ich bin noch hier.

Alles kommt, wie es kommt

mit mir oder ohne mich.

Kann nur sehn, was mir scheint

und Vergessen sieht man nicht.
 

Und wie jedesmal

kennt nur das fliessende Wasser

den einen Weg, der es so einfach macht.

Und könnte ich sein

wie das fliessende Wasser.

Ich tausche alles gegen diese Kraft.
 

Wenn der Regen beginnt

kannst Du den Strom noch nicht sehn.

Wen er trifft, reißt er mit

und ihm kann nichts widerstehn.

Plötzlich scheint alles gleich,

auf einmal bist Du wie ich.

Alles andere wird leicht.

Sag mir, kennst Du das nicht?
 

Kapitel 6
 

Sachte fuhr Sheila mit ihren Fingern durch das kristallklare und angenehm kühle Wasser. Die Bäume und der blaue Himmel spiegelten sich in dem kleinen, ruhigen See und ihre Berührung zog langsam immer größere Kreise.

So entspannt war Sheila schon seit Tagen nicht mehr gewesen. Nicht, seitdem Kasuke sie zu Haruto gebracht hatte. Einem der ältesten und erfahrensten seiner Jäger, gleichzusetzen mit Soldaten. Zunächst hatte Sheila sich vor dem großen, fast schon anthrazitfarbenen Wolf mit der Narbe über dem linken Auge gefürchtet. Doch es stellte sich schnell heraus, dass der erste Eindruck bekanntlich doch täuschte. Haruto war zwar äußerst stark und auch als Mensch immer noch Angst einflößend, mit seinen bärenähnlichen Pranken und dem Schnauzer, der ein rundes Gesicht zierte, aber sein Gemüt war mit dem eines Teddybären zu vergleichen. Er war nicht träge oder langsam, da saß man einem Trugschluß auf. Nein, er war nur sanftmütig und freundlich und jede seiner Erklärungen war prompt einfacher für Sheila. Er lehrte sie, mit dem Schwert zu kämpfen und notfalls auch einen Dolch zu benutzen.

Zunächst war Sheila das Übungsschwert schon schwer vorgekommen, welches hauptsächlich aus Kupfer war, bis auf die kurze Klinge, welche aus reinem Stahl geschmiedet worden war. Als Sheila dies einmal gegenüber Haruto erwähnt hatte, hatte er ihr ein normales Schwert gegeben und Sheila wäre beinahe vorne über gefallen.

Haruto hatte heiter gelacht, was sich bei ihm wie Donnergrollen anhörte, und hatte ihr die schwere Waffe mit einer Leichtigkeit abgenommen, als wenn sie aus Blech wäre. Selbst seine bemuskelten Arme, spannten sich kaum an.

„Du wirst nicht so ein Schwert bekommen, Kleine.“ Liebevoll tätschelte Haruto Sheilas dünnen Ärmchen. Sie waren in der Woche, die sie nun trainierten, gute Freunde geworden. Jedoch sah Haruto in ihr womöglich mehr eine Tochter. Er hatte eine große Familie und alleine sein Wurf zählte an die 20 Kinder, was bei der Lebenserwartung der Dämonen nicht weiter verwunderlich war. So wie er mit seinen Welpen sprach, so ging er auch mit ihr um und Sheila sagte sich, wenn sie einen Vater hätte haben wollen, so dann mit Sicherheit einen wie Haruto.

„Auch die Jägerinnen tragen leichtere Schwerter.“ Er zwinkerte Sheila zu und in seinen fast schwarzen Augen stand der Schalk. „Aber das hören sie nicht gerne. Doch Körperbedingt ist es besser so. Frauen sind nun einmal zierlicher. Du wirst bald ein passendes Schwert kriegen, was deiner Kraft entspricht, Kleine.“

Sheila hatten ihn einfach nur angestrahlt. Sie konnte nicht anders, sie fühlte sich wohl und die viele Bewegung an der frischen Luft, hier in dem Waldstück vor dem Berg, tat ihr gut. Zwar stand sie jeden Morgen wie gerädert auf, weil Muskeln beansprucht wurden, die sonst eher ruhten, aber die Übungen mit schweren Hölzern und dem „leichten“ Schwert hatten nun einmal alleine der Muskelbildung gedient. Sheila konnte keinen Leib durchstoßen, wenn es nötig war, wenn sie es nicht schaffte, länger als 10 Minuten mit einem Stock auf eine Stoffpuppe einzuschlagen.

Mittlerweile war sie bei einer Viertelstunde.
 

Verträumt hing sie ihren Gedanken nach, als sie an dem besagten See saß, auf einer weichen Nadeldecke der vielen Fichten und Lärchen, die den Wald geheimnisvoller und abgelegener wirken ließen.

Immer wieder fuhr sie mit den Fingern durch die die Oberfläche des Sees, der durch einen Bergbach gespeist wurde. Sie saß auf dem Nadelbedeckten Vorsprung, sodass sie in tiefere Gewässer blickte. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich diesem Platz verbunden und das Wasser schien ihr wie eine weiche Decke, die Vergessenheit und Geborgenheit versprach.

Sie war so in ihrer eigenen Welt versunken, dass sie die Schritte hinter sich nicht hörte.

Ein kräftiger Stoß beförderte sie in den See.

(*wer nicht weiß, wie ich das meine: das ist ein Gefühl, dass ich bei solchen Nadelwäldern bekomme und jeder der schon mal durch einen durch gelaufen ist, kennt vielleicht das andere Aussehen im Gegensatz zu Mischwäldern)
 

Der See war kälter, als Sheila vermutet hatte und sie keuchte auf, als sie untertauchte, was ihr Wasser in den Mund und die Lunge beförderte. Das Wasser war nicht tief und sie sank nicht lange, bis sie den Grund erreichte und sich abstoßen konnte, um wieder die Oberfläche zu erreichen. Als sie laut hustend und um Atem ringend auftauchte, erblickte sie Kasuke, der am Ufer hockte und sie mit eisiger Miene beobachtete.

„Was sollte das, verdammt. Ich hätte fast einen Herzinfarkt erlitten, so kalt ist es hier drin.“

Kasuke verzog keine Miene, hielt ihr aber seine Hand hin, um ihr aus dem Wasser zu helfen.

Als Sheila wieder auf beiden Beinen stand, wrang sie ihre langen schwarzen Haare aus, wie auch ihre Kleidung. Kasuke stand etwas abseits und beobachtete sie stumm.

„Und sagst du mir jetzt, was das für ein Anschlag war?“ Kasuke stieß sich von der Kiefer ab, griff hinter sich und warf Sheila einen Dolch zu.

„Du warst unaufmerksam, schlimmer Fehler. Du musstest eine Lehre daraus ziehen.“ Sheila spürte die gute, alte Wut, die sie bei Kasuke anscheinend immer zu empfinden schien, doch sie riss sich zusammen. Er hatte leider auch Recht.

Resigniert warf sie die nassen Haare zurück und hob den Dolch auf, der zu ihren Füßen gelandet war. Seine Hülle war aus hartem Wildleder, welches durch Sehnen zusammengenäht worden war. Der Dolch an sich, war schlicht, mit einem Griff aus leicht rötlichem Kirschholz und etwa 15 cm lang. Sheilas, durch Haruto, geübter Blick sagte ihr, dass es sich um ein zweischneidiges Stilett handelte mit sehr scharfer Spitze. Haruto hatte ihr erzählt, dass solche Dolche äußerst verheerend waren, da sie größten inneren Schaden beim Gegner hervorriefen. Sheila musste unwillkürlich schlucken, als sie sich vorstellte, wie es sich wohl anfühlen mochte, in warmes Fleisch schneiden oder stoßen zu müssen. Wieder einmal, fühlte sie sich dieser Welt vollkommen fremd.

Sie beäugte ihn noch eine Weile und rief sich Gelerntes in den Sinn, dann schob sie die Klinge wieder in die Scheide und blickte Kasuke fragend an. Das dieser Wolf auch nie wirklich auf den Punkt kam.

„Du wirst heute lernen, wie man diese kleine Waffe effektiv einsetzt.“
 

Sie liefen zu der Lichtung, auf der Sheila bisher immer mit Haruto geübt hatte. Warum der alte Wolf nicht da war, wollte Sheila Kasuke nicht fragen. Es hatte seine Gründe und sie wollte nicht, dass der schwarze Wolf, mit den kalten Augen sie für schwach hielt.

Auf der hellen Lichtung standen zwei kleine Bäumchen, die jedoch schon einen recht kräftigen Stamm hatten, und mit Kleidern ausgestattet waren.

Sheila betrachtete die beiden „Menschen“ abschätzend und es dämmerte ihr, was Kasuke vorhatte.

„Ich werde dir zeigen, wo du zustechen musst, um einen Menschen innerhalb von Sekunden zu töten. In einem Kampf, in dem du durch Stärke und Größe benachteiligt bist, wird dir nichts anderes übrig bleiben, als schnell und gnadenlos zu sein.“

Vollkommen in seinem Element, betrachtete er die Puppen und winkte Sheila näher an sich heran, bis sie direkt neben ihm stand. Sie roch eine Mischung aus Wald, rauchigen Feuern und Mann an ihm und ihr schwirrte der Kopf. Wieso bemerkte sie so etwas, sonst nebensächliches für sie, an ihm?

Sheila biss sich auf die Zunge und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Attrappe.

„Die wichtigsten Stellen für dich sind hier…“, er deutete auf die Nierenpartie, „…am Herzen und an der Kehle. Wobei Kehle unter Umständen schon viel zu viel Kraft und Geschick erfordert. Ritzt du die Kehle nur an, hat dein Gegner dich schneller überrumpelt, als du ahnen kannst.“

Sheila überkam ein eiskalter Schauer und sie schüttelte sich kaum merklich, was Kasuke nicht entging. Doch statt sie verächtlich anzufahren, sah er sie direkt an.

„Töten macht nicht Spaß, ist aber leider nötig um zu Überleben. Auch ich empfinde jedes Mal Ekel, Trauer oder Angst, wenn unter meinen Händen Leben verrinnt.“

Sheila verlor sich in seinen Augen und wunderte sich über diese Gefühlsäußerung seitens Kasuke. Niemals hatte sie gedacht, dass er nicht so kalt war, wie er sich gab. Die Stille zwischen ihnen knisterte, die Umgebung um sie herum wurde formlos und unbedeutend. Sheila glaubte, ihrer beider Herzen schnell und fliegend schlagen zu hören, vollkommen einträchtig. Einen Augenblick glaubte Sheila, so etwas wie Wäre und Zuneigung in den kristallenden Augen zu erkennen, doch Kasuke fing sich als Erster und wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. Sheila atmete innerlich auf und fragte sich, was für Gefühle sie da empfand. Kasuke war ungehobelt, gefühllos und hart zu ihr. Er verkörperte alles, was sie wütend machte und er war der Letzte, für den sie solche Gefühle haben wollte…. und haben würde! Sheila zwang sich, der Lehrstunde ihre volle Aufmerksamkeit zu widmen.

Kasuke starrte vor sich auf den Rücken der Attrappe und sprach leise weiter.

„Die Nieren sind eine gute Stelle, kommt man aus dem Hinterhalt. Trifft man sie richtig, ist der Gegner innerhalb weniger Sekunden tot.“

Kasuke schritt wieder zur Vorderseite der Puppe und zeigte auf die vermeintlich linke Brust.

„Das Herz ist empfindlich und am Effektivsten, doch am schwierigsten zu treffen.“ Er trat beiseite und machte Sheila den Platz frei.

„Probier einmal, das Herz zu durchbohren.“

Skeptisch blickte Sheila auf die Puppe und rätselte, was Kasuke vorhatte. Wenn er sie so bat, musste es einen Grund geben, den sie bald erfahren würde. Sheila erinnerte sich an die Bilder in der Praxis von Dr. Naga. Sie wusste genau, wo das Herz sitzen musste, also verinnerlichte sie dieses Bild und machte sich bereit. Sie würde es dem Wolf zeigen.
 

Sheila zog den Dolch aus der Scheide und griff ihn, wie Haruto es ihr gezeigt hatte. Sie wollte einen kraftvollen Stoß ausführen, also musste sie ihn ganz in die Faust nehmen und seitlich zustechen. Sie holte aus, dachte an die Lehrsätze des alten Wolfes und stieß zu.
 

Die Vibration ging ihr von dem Arm, durch den Körper bis zu den Füßen. Sheila ließ den Dolch los, der in der Attrappe stecken blieb und starrte auf ihren tauben Arm. Die Wucht des Aufpralls war erst schmerzhaft und dann betäubend gewesen. Alle Nerven standen unter Hochspannung und ein stechender Schmerz breitete sich in Sheilas Schulterpartie aus, während sie ihren Arm noch immer nicht spüren konnte. Sie wollte die Hand öffnen und schließen, was erneute Impulse durch den Arm in die Schultern sandte und sie zusammenzucken ließ.

Als sie, schon fast wütend, aufsah, stand Kasuke vor ihr und nahm ihren Arm behutsam in die Hände. Er blickte sie nicht an und Sheila wusste nicht, ob er ihr auswich oder es nicht für nötig hielt. Es zeigte sich keinerlei Regung in seinem Gesicht.

„Das Herz ist umschlossen von den Rippen und in der Nähe der Wirbelsäule. Es kann immer passieren, dass du abrutscht und dann wirst du diesen Schmerz spüren. Es ist wichtig, dass du darauf vorbereitet bist, deshalb musstest du die Erfahrung selbst machen.“

Er begann ihren Arm zu reiben und zu massieren, was noch mehr Impulse ganz anderer Art durch ihren Körper sandte. °Verdammt, Sheila! Reiß dich zusammen!°

Sie sah zu der Attrappe, um sich von Kasukes Nähe ablenken zu lassen. Und dann ging ihr ein Licht auf. Sie hatte den Dolch, an den Ästen vorbei, in den Stamm gerammt. Kein Wunder, dass es so schmerzhaft gewesen war.

„Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin!“ Sheila schalt sich, ohne zu merken, dass sie laut sprach. Kasuke schmunzelte.

„Du bist nicht dumm und trotzdem hat bisher jeder einfach zu gestochen.“ Er wandte sich der Puppe zu und zog den Dolch hinaus. Als er sich wieder umwandte, um Sheila die Waffe zu geben, sah er in belustigte graue Augen.

„War das etwa ein Kompliment?“ Sheila sah, dass Kasuke jetzt erst bewusst wurde, was er gesagt hatte und er suchte hastig nach etwa, womit er seine Worte unbedeutend machen konnte. Doch kurze Zeit später zuckte er lediglich mit den Schultern.

Dieser Wolf war doch einfach ein Rätsel. Was störte ihn so an ihr? Er schien alles zu tun, um ihr entweder auszuweichen oder sie von sich zu weisen, selbst wenn sie nur nett sein wollte.
 

Kasuke geleitete Sheila zur Höhle, doch sie sah ihm an, dass es ihm unangenehm war. Was auch immer es war, es störte ihn? Was Sheila persönlich sehr nervte, war das Schweigen zwischen ihnen. Kurz vor dem Eingang zu dem Tunnel griff Sheila nach Kasukes Arm, um ihn zurückzuhalten. Sie hatte vermutet, dass er den Arm wegzog und Ausflüchte finden würde, doch er blieb ruhig und hielt ihrem Blick stand, nur sein Unterarm verspannte sich leicht.

„Was ist los? Du hast ein Problem mit mir und es stört mich schrecklich. Glaubst du, ich bin freiwillig hier? Oder ich will irgendetwas Besonderes sein? Sag mir, was dein Problem ist, verdammt! Ich kenn dich doch nicht einmal wirklich!“ Sheila steigerte sich in ihre Rage. Er wollte, dass sie hier die Heldin spielte, führte sie vor, als wenn sie ein seltenes Tier wäre und zwang sie dazu, Dinge zu lernen, die sie abstießen. Was war er, dass er sie mied, als wäre sie krank, sie rumstieß wie es ihm gefiel?

Kasukes Augen blieben kalt und Sheila gab auf. Sie wollte sich damit nicht mehr beschäftigen. Das war ein Witz. Was interessierte sie, was die Leute hier dachten? Wieso wartete sie darauf, dass man sie zur Heldin machte und ging nicht einfach dorthin zurück, wo sie aufgewacht war? Sie würde schon einen Weg finden und wenn sie Fry fragte, würde die sie sicher dorthin führen.

Sie wandte sich ab und ging in die Tunnel. Sie musste hier weg. Je schneller desto besser, sie machte sich ja doch nur etwas vor.
 

Kasuke spürte ein Zittern, dass von seinem Körper Besitz ergriff. Er sah Sheila nach, sah ihren resignierten Ausdruck im Gesicht und gleichzeitig auch die Entschlossenheit, die sich plötzlich abzeichnete. Was verlangte dieses Weib? Kasuke knurrte leise. Er führte einen der größten Clans durch Schlachten, doch er schaffte es einfach nicht mit diesem Mädchen umzugehen. Menschen waren so anders. Sie brauchten ständig freundliche Worte, Zuneigung und sie hatten eine so unbeschreibliche Macht. Wenn Sheila ihn mit ihren bestechenden Augen ansah und er hinter ihnen all die Wärme und Liebe sah, die nur Menschen einfach so geben konnten, dann fühlte er sich überrumpelt und verloren. Er konnte mit ihr nicht umgehen.

Doch er verstand sie auch ein wenig. Sie war nun einmal ein Mensch, fremd in einer Welt, die es für sie nur in ihrer Phantasie gab. Sie sehnte sich nicht nur nach Akzeptanz, sondern nach Beziehungen zu allen und jedem. Er hatte sie mit Fry, Haruto und den Jungwölfen gesehen. Sie war eine Person die Nähe brauchte und sie fand, da sie offen war und seine Clanmitglieder nur so in Wärme und Freundlichkeit einhüllte.

Wieso aber, konnte er sich nicht einfach so mit ihr verstehen? Weil ihn diese Wärme zu gut gefiel und weil….sie ihm nicht reichte. Ja, er wollte mehr von Sheila und das ging nicht. Aber wie konnte er das dem Menschen klar machen? Sie musste ein für alle mal begreifen, dass es unter Dämonen Grenzen gab, die es bei ihrer Rasse nicht gab.
 

Sheilas Heimweh vergrößerte sich von Schritt zu Schritt, den sie mehr in die Dunkelheit ging. Sie kannte mittlerweile den Weg durch das Labyrinth, von draußen hinein. Sie ging ihn fast wie ihm Schlaf, da sie mit den Gedanken sowieso ganz woanders war. Sie war wütend. Wütend auf Kasuke und vor allen Dingen auf sich. Was erwartete sie denn von dem Wolf? Er hatte ihr nicht ein einziges Mal eingeräumt, sie zu behandeln, wie die anderen es taten. Er wollte sie nicht in seiner Nähe haben und sie musste das akzeptieren, was nicht hieß, dass sie bleiben musste.

Warum störte sie es so? Verdammt, wer war er schon, sie kannte ihn doch nicht? Aber doch musste sie eingestehen, dass seine Meinung ihr wichtig war? Das war ein schönes Schlamassel, aber sie musste ehrlich zu sich sein.

Dieses Mal hörte sie die Geräusche. Sie kamen von hinten und auch wenn Sheila wusste, dass ihr hier keine Gefahr drohte, so würde sie sich nicht noch einmal überrumpeln lassen.

Sie verschwand in einer kleinen, natürlichen Nische und zückte den Dolch. Sie würde ihn nicht einsetzen, die Scheide lag noch schützend um die tödliche Klinge. Doch sie würde sich beweisen.

Er kam um die Ecke geeilt und zum Glück nicht in tierischer Gestalt, denn er wäre zu flink gewesen. Als Mensch war Kasuke aber nicht zu übersehen. Er schien sie nicht wahrzunehmen, was sie stutzig machte. Anscheinend beschäftigte ihn irgendetwas.

Als er die Nische passierte, sprang sie fast lautlos hervor und packte ihn um den Bauch. Kasuke blieb reglos stehen. Sie drückte ihm den gesicherten Dolch in die Nierengegend und verstärkte den Druck.

„Diesmal warst du unvorsichtig. Du solltest daraus eine Lehre ziehen.“

Sheila sah nicht sein Gesicht und konnte nicht erkennen, dass sich mit ihrer Berührung seine Augen verdunkelten. Sie wollte ihn gerade wieder loslassen, doch ihr triumphierender Blick verschwand und wich Entsetzen, als er sie mit einer einzigen Bewegung umdrehte und in seine Gewalt brachte. Ihr Herz begann zu rasen und sie hatte das Gefühl zu ersticken. Ihre Haut prickelte und sehnte sich nach seinen Berührungen. Als er sprach war seine Stimme leidenschaftlich und direkt.

„Und du solltest deinen Feind nicht unterschätzen und lass dir eins gesagt sein….“ Er ließ sie los und schob sie von sich. „Rühre nicht an Dingen, die du nicht willst und bereuen wirst.“

Die Vivipara

Hallo ihr Lieben, es tut mir so wahnsinnig Leid, dass ich so unregelmäßig schreibe im Moment, aber ich arbeite in letzter Zeit so viel und so lange, dass ich nur noch tot ins Bett falle. Ich werde euch aber treu bleiben. Dazu seid ihr und die Geschichte mir zu wichtig.

Danke für eure Geduld *bussi*
 

Kapitel 7
 

Haruto und Sheila führten das Training fort, wobei Haruto ihr weniger die Taktiken beibrachte, sondern mehr dafür sorgte, dass sie kräftiger wurde. Er hatte die leise Befürchtung, dass Sheila körperlich einem wahren Angriff nicht standhalten würde und psychisch womöglich erst recht nicht.
 

Eines Tages dann, stand er mit einer Felltasche um seinen Körper vor Sheila und erklärte ihr, sie würden einen kleinen Ausflug machen.

„Ich möchte dir gerne etwas zeigen.“

Sheila wollte Haruto nach dem Ziel fragen, doch der große Wolf wich ihr aus und führte sie durch den, mit Herbstlaub übersäten Wald. Haruto war schweigsam und er schien über etwas nachzusinnen. Seine dicken, buschigen Augenbrauen zogen sich über die dunklen Augen zusammen und sein Blick schien fern. Sheila glaubte nicht, dass er ihr antworten würde, wenn sie erneut versuchte, das Ziel ihrer Wanderung zu erfahren.

Sie liefen etwa eine Stunde, dann stieg der Weg ein wenig an und führte auf eine Hügelkuppe, von der aus man einen kleinen See sehen konnte. Haruto verwandelte sich in einen Wolf und ließ sich flach ins Gras nieder, als lausche er und warte auf irgendetwas oder irgendwen. Irritiert sah Sheila auf ihn hinab. Etwas ungeduldig bedeutete er ihr, sich ebenfalls ins Gras zu legen und den See zu beobachten.

Sheila fixierte die Büsche und Gräser um das Wasser herum, doch sie sah nichts und niemanden. Die Oberfläche des Sees schimmerte silbern und ruhig, wurde nur selten durch einen Fisch durchbrochen, der nach Insekten schnappte. Auch im Schilf, der das Ufer begrenzte und ins Wasser führte, bewegte sich nichts.

Sie wollte dies Haruto sagen, doch als sie sich umwandte, erkannte sie, dass neben ihr nicht länger Haruto, sondern ein wildes Tier lag und sie erschrak. Das Fell im Nacken des Wolfes war aufgestellt und ein leises Knurren kam aus der mächtigen Kehle des Tieres.

Sheila riss die grauen Augen auf.

„Haruto, was ist los? Was tust du da?“

Der Wolf fixierte irgendetwas und störte sich nicht an dem Mädchen neben sich. Sheila blickte in dieselbe Richtung in die Haruto sah und da, plötzlich, hüpfte ein zierliches Reh aus dem Schatten eines kleinen Baumes. Es schnupperte in der Luft, sah sich unsicher um und tapste dann zum Wasser. Obwohl es klein war, hatte es das Fell des Kitzes abgelegt, doch Sheila schätzte das Tier trotzdem kaum dem Kindesalter entwachsen. Irritiert stellte Sheila fest, dass sich die Muskeln von Haruto von Sekunde zu Sekunde mehr anspannten.

Dann ging ihr ein schrecklicher Verdacht auf. Entsetzt warf sie sich auf den Wolf.

„Nein, das kannst du nicht tun. Es hat dir nichts getan, Haruto. Bitte hör auf.“

Der Wolf schüttelte Sheila von sich und sah sie Ernst an. Seine Augen hatten noch immer etwas von Harutos menschlichem Ich.

„Der Tod ist nie schön, Kleines. Doch manchmal von Nöten. Du musst lernen damit umzugehen und bei klarem Verstand zu bleiben.“ Er sah wieder zu seiner Beute. Das Reh hatte von seinem Untergang noch nichts mitbekommen. Haruto spannte sich an.

°Das ist nicht richtig. Das ist einfach nicht richtig.° Wie von der Tarantel gestochen sprang Sheila, gleichzeitig mit Haruto, auf und schrie wie am Spieß.

„Hau ab. Los verschwinde. Renn.“

Eine Schrecksekunde stand das Reh wie angewurzelt an ein und derselben Stelle und starrte Sheila an. Seine braunen Augen waren geweitet und es ging lange keine Reaktion von dem Tier aus, zu lange für Sheila. Doch in dem Augenblick, in dem Haruto den Hügel hinunter preschte, ging ein Ruck durch das Reh und mit wenigen Sprüngen war es im Unterholz verschwunden.

Der Wolf, vom Jagdtrieb gepackt, rannte hinterher und verschwand ebenfalls krachend im Gehölz. Sheila blieb alleine zurück. Wie außer Atem sah sie den Tieren hinterher. Die Oberfläche des Sees war noch immer ruhig und reflektierte die umliegenden Bäume. Sheila schloß die Augen und ließ sich auf den Boden sinken.

Zum ersten Mal, seitdem sie in dieser Welt gefangen war, wurde Sheila richtig bewusst, dass sie hier unter Tieren hauste. Alle, ob Kasuke, Fry oder Periphae, waren Tiere, vielleicht intelligent wie Menschen aus ihrer Zeit und mit Fähigkeiten, die ihre Vorstellung sprengten, aber mit niederen Instinkten und einer Skrupellosigkeit, die sie nicht nachvollziehen konnte.

Eine Weile saß Sheila an ein und derselben Stelle, fortgerückt von der Wirklichkeit und träumte von ihrem Zuhause. Ob sie jemand vermisste? Womöglich Dr. Naga, der seine fleißige Auszubildende vermisste, so wie einige Patienten, aber sonst hatte sie niemanden auf der Welt und hier war es nicht anders. Man brauchte sie zwar hier. Ein Abbild einer Person die sie einfach nicht war, die Hoffnung geben sollte und selber gar keine hatte. Sie war in einer Welt gefangen, die sie in Angst und Schrecken versetzte und von ihr Dinge abverlangte, die ihr unmöglich erschienen.

Steif erhob Sheila sich und raffte ihre Röcke. Sie wollte alleine zurückgehen. Sie konnte nicht auf Haruto warten. Sie nahm ihm sein Verhalten nicht übel, doch sie konnte ihm nicht in die Augen sehen ohne zu frösteln. Er verkörperte diese Welt, er war ein Teil davon. Sie nicht. Sie hatte ihn für einen Freund gehalten, doch er war nur ein Phantom in einem Alptraum. Zum ersten Mal, seitdem Sheila in dieser Zeit war, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Nicht die Ungeheuerlichkeit der Absicht, dieses unschuldige Reh zu töten, hatte sie so ernüchtert. Nein, die Erkenntnis wie wenig wunderbar diese Fantasie aus ihren Büchern war und wie schrecklich und grausam sich alles entpuppte. Tränenblind stolperte Sheila durch den Wald, den Pfad zurück und schwor sich, eine Möglichkeit zu finden, zu fliehen.
 

Sheila schwänzte ab sofort die Trainingsstunden und auch sonst ging sie Haruto aus dem Weg. Manchmal, wenn sie ihn in der Höhle traf lugte sie verstohlen zu ihm hinüber und meinte so etwas wie Verletztheit in seinen Augen zu sehen. Doch sie konnte sich nicht überwinden. Anscheinend hatte Haruto weder Kasuke noch Fry etwas von ihrem Fehlen erzählt, denn Kasuke hatte sie seit Tagen nicht mehr gesehen und Fry verhielt sich wie immer.

Doch Sheila wusste nicht, dass Fry alles wusste und auch bemerkt hatte, dass Sheila sich immer mehr in sich und von den Wölfen zurückzog. Die Wolfsfamilien hatten das hübsche Mädchen lieb gewonnen und immer mehr erkundigten sich bei Fry, was mit Sheila nicht in Ordnung sei. Fry wusste keine Antwort, doch sie vermutete, dass Sheila einsamer war, als sie wahrnahm und sich ihre Seele mehr und mehr gegen diese Welt und ihre Situation sträubte.
 

Je mehr Sheila sich zurückzog, umso weniger bekam irgendjemand sie zu Gesicht. Immer öfter machte sie Streifzüge durch die Wälder, jedoch immer bewaffnet, da sie nicht wusste was sie von dieser bösen Armee zu erwarten hatte. Vor kurzem hatte sie ein kleines Dorf unweit der Höhle entdeckt. Es wurde ausschließlich von Menschen bewohnt und Sheilas Einsamkeit zog sie fast täglich zu einer kleinen Anhöhe am Rand des Waldes, von wo aus sie die Bewohner beobachten konnte.

Alle Menschen trugen, Sheilas Empfinden nach, mittelalterliche Kleidung. Erdfarbene Leinenkleider, wie auch Sheila es trug, doch viele waren barfuß. Sie gingen fast harmonisch ihren Arbeiten nach, pflügten die angrenzenden Felder, fütterten ihr Pferde oder trieben ihre Schafe. Einmal die Woche gab es einen Markt, an dem stets ein buntes und vergnügtes Treiben herrschte und von Tag zu Tag sehnte sich Sheila mehr nach Kontakt zu den Menschen. Doch sie war unsicher. Konnte sie sich so einfach dort unten blicken lassen? Was würde Kasuke dazu sagen? Was die Dorfbewohner?

Immer wieder schaffte Sheila es nicht sich zu überwinden und ins Dorf zu laufen. Wie sehr sie sich nach der menschlichen Wärme und Geborgenheit sehnte. Sie wollte geliebt werden. Wieder rannen Sheila Tränen übers Gesicht bei diesen Gedanken.
 

Noch jemand wusste von Sheilas Ausflügen: Mika. Hass und Misstrauen ließen sie das Mädchen ständig im Auge behalten und Kasuke dann von Sheilas Taten berichten. Kasuke wusste die ganze Zeit was Sheila tat, doch nie sagte er auch nur ein Wort. Das machte Mika wütend. Er ging diesem Mädchen größtmöglichst aus dem Weg, das wusste sie, aber Mika war nicht blind für den Grund. Sie sah Kasuke an und wusste, dass er versuchte, sich dem Zauber dieses Mädchens zu entziehen. Wann immer er konnte beobachtete er Sheila aber und ihm war nicht bewusst, dass Mika von seinem Geheimnis wusste.

Mika wollte alles versuchen, damit Sheila ihren Glanz verlor und Kasuke sich wieder nur für den Clan interessierte. Sie war schon fast froh gewesen, als er Mika gebeten hatte, dass sie auf das Mädchen aufpassen solle. Sie würde einen Weg finden, dass Kasuke Sheila von sich wies.
 

Zwei Wochen nachdem Sheila das Dorf entdeckt hatte, raffte sie all ihren Mut zusammen und entschied sich nun endlich, sich den Menschen zu zeigen.

Nun stand sie hier, am Rande des Waldes und zögerte noch immer. Sie hatte sich weiter weg vom Dorf niedergelassen, sodass sie niemand sehen konnte und sie auch nicht das Dorf. Sie wollte in Ruhe überlegen und für sich die richtige Entscheidung treffen.

Doch sie stand nun schon seit zwei Stunden hier. Immer wieder lief sie los und blieb dann doch wieder stehen um später am Ausgangspunkt zu sein. Was sollte sie den Leuten denn sagen, wer sie war?

Frustriert setzte Sheila sich auf den Boden, im Schatten eines Baumes und diskutierte mit sich selbst. Sie wünschte sich den Kontakt so sehr, aber womöglich würden die Menschen ihr nicht anders entgegenkommen als die Wölfe. Wenn sie wussten wer sie war, die Hoffnung dieser Welt, dann war sie so etwas wie ein Gott für diese Menschen und sie würden sie nicht wie ihresgleichen behandeln. Andererseits wusste Sheila auch nicht, wie diese Menschen auf Fremde reagierten, in dieser Zeit.
 

Nicht weit von Sheila duckte sich Mika hinter einen Strauch. Mißtrauisch beobachtete sie das Mädchen, welches laut mit sich stritt. Verächtlich stellte sie für sich fest, dass dieses Weib niemals die Hoffnung einer Nation sein konnte.

Plötzlich spitzten sich ihre Ohren. Was hatte Sheila soeben gesagt? Die Menschen im Dorf sollen ihr zur Flucht verhelfen? Mikas Puls beschleunigte sich. Das war die Chance, Kasuke gegen Sheila aufzuhetzen. Mit wenigen Sätzen eilte Mika zur Höhle zurück um Kasuke zu berichten und wenn sie viel Glück hatte, dann würden sie Sheila womöglich auf frischer Tat ertappen.
 

Sheila dagegen merkte nichts von Mika. Noch immer saß sie unterm Baum und diskutierte mit sich. Ein ulkiges Bild, doch bald seufzte Sheila resigniert auf.

°Ich weiß doch noch nicht einmal wer ich selbst bin und was alle hier von mir wollen.° Entmutigt stand sie auf und machte sich auf den Weg zum Berg zurück.

Plötzlich spürte Sheila ein Beben unter ihren Füßen. Zu Tode erschrocken blieb sie stehen und sah sich irritiert um. War das womöglich ein Erdbeben?

Die Bäume um sie herum knarrten laut und der Boden unter ihr rumorte und krachte unheimlich, Fast sekündlich schwoll der Lärm an. Sheila fuhr zum Wald herum und wich Schritt für Schritt zurück. Der Wald schien zum Leben zu erwachen und neigte sich bedrohlich über sie. In dem Moment vernahm Sheila einen ohrenbetäubenden Laut über sich, der ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Ein morscher Baum konnte dem Beben nicht länger Stand halten und stürzte, nur wenige Meter von Sheila entfernt, zu Boden.

Nun zögerte Sheila keinen Augenblick mehr. So schnell sie konnte entfernte sie sich vom Wald und erst als sie einige hundert Meter zwischen sich und die Bäumen gebracht hatte, wagte sie es stehen zu bleiben.

So plötzlich wie es angefangen hatte, so hörte es auch auf zu Beben. Erleichtert atmete Sheila auf. Sie hatte bisher noch nie ein Beben miterlebt und sie musste zugeben, dass ihr gehörig das Herz in die Hose gerutscht war. Nach dieser einschüchternden Erfahrung; entschloss Sheila sich zunächst wieder zu den Wölfen zurückzukehren. Sie wandte sich unsicher dem Wald zu und fragte sich, ob es ratsam war in die Wälder zurückzukehren. Wer wusste schon, ob die Erschütterung womöglich einige Bäume entwurzelt hatte und diese nun darauf warteten umzustürzen.

Ein wenig erbost riss Sheila sich zusammen. Es gab keinen anderen Weg zurück, also würde sie diesen einen auch gehen. Ein Beben würde sie nicht einschüchtern, schließlich hatte sie ganz andere Probleme!
 

In dem Augenblick vernahm Sheila Schreie. Schreckliche, angsterfüllte Schreie die dem Mädchen durch Mark und Bein gingen. Entsetzt stand Sheila wie angewurzelt noch immer an ein und derselben Stelle. Erst jetzt sah sie, dass über den Bäumen Rauch aufstieg.

Das Dorf! Erschrocken setzte Sheila sich in Bewegung. Warum sie zum Dorf lief, wusste sie nicht. Sie hatte plötzlich ein unbändiges Gefühl, sie müsse den Leuten im Dorf helfen. Womöglich hatten einige Häuser dem Beben nicht Stand halten können und standen in Flammen. Sie musste einfach helfen.

Weitere Beben und Gepolter ertönten und brachten Sheila aus dem Gleichgewicht. Je näher sie dem Dorf kamen, desto schriller und entsetzlicher wurden die Schreie. Instinktiv legte Sheila eine Hand auf ihr Kurzschwert. Irgendetwas sagte ihr, dass die Leute nicht wegen den Erschütterungen schrieen. Doch nichts konnte das Mädchen zur Umkehr bewegen. Eine innere, ihr unbekannte Stimme, weich doch bestimmt, trieb sie zum Dorf, sagte ihr, dass nur sie helfen konnte. Und Sheila verspürte zum ersten Mal die Gewissheit, dass dem so war. Ja, nur sie konnte helfen, niemand anders.

Sheilas Blut begann zu rauschen und in ihren Ohren zu dröhnen und sie spürte die nackte Angst, die nach ihrem Herz griff, doch die Stimme in ihrem Kopf und das Adrenalin übertönten ihre Instinkte und ließen sie noch schneller werden.

Fast blind brach sie durchs Gebüsch und landete am Rande des Dorfes. Was sie erblickte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Nicht die brennenden Häuser, nicht die panischen Menschen ließen sie stutzen. In der Mitte des Dorfes und zwischen einigen Hütten befanden sich einige riesige Krater und drum herum Leichen.

Sheila schloss für wenige Sekunden die Augen um ihre innere Stimme wieder zu finden. Haruto hatte gesagt, der Tod war nie schön, aber man müsste einen klaren Kopf behalten. Sheila konzentrierte sich auf die Stimme, sie hatte sie hierher geleitet und Sheila brauchte sie um zu wissen, wie sie helfen konnte. Was war hier nur geschehen?

In sich erkannte Sheila ein Licht, etwas, was sie noch nie zuvor gesehen hatte, jedoch was sie in diesem Augenblick für vollkommen normal hielt. Wieder ertönte die Stimme. Sie war eindeutig weiblich und schien eins mit ihr zu sein. Sie forderte Sheila auf ihr Schwert zu ziehen und sich bereit zu machen. Voller Vertrauen zog Sheila Lumidor, das Schwert, welches laut Haruto einmal einer starken Kriegerin gehört hatte.

Erschrocken musste Sheila erkennen, dass Lumidors Klinge pulsierte. Beinahe hätte sie es fallen lassen, doch wieder spürte sie die andere Präsenz in sich und auf einmal wusste sie, dass alles in Ordnung war.

Sheila richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Krater, aus denen es anfing merkwürdig zu Grollen. Langsam näherte sie sich einem dieser Krater, blieb jedoch etwa 200 Meter außerhalb der Reichweite. Die Menschen um sie herum riefen ihr etwas zu, doch Sheila hörte es nicht. Sie war fixiert auf die Geräusche, die aus der Erde kamen. Sie konnte nun die Leichen erkennen und musste mit Entsetzen feststellen, dass sie alle arg in Mitleidenschaft gezogen waren. Doch da rührte sich doch etwas. Ein Körper zuckte doch noch, oder?

Dann hörte sie den Ruf, ein Mann befreite sich von einigen Körpern und versuchte mühsam aufzustehen. Sofort steckte Sheila Lumidor weg und eilte dem Mann zur Hilfe. Wieder riefen die Dorfbewohner und Sheila verstand so viel wie, dass sie zurückkehren sollte. Doch Sheila hatte nur Augen für den Mann. Sein rechter Arm war zerschmettert und auch seine Beine schienen übel zugerichtet. Auch wenn Sheila wusste, dass dieser Mann womöglich wenig Überlebenschancen hatte, aufgrund der medizinischen Situation, so war ihr in diesem Moment doch nichts wichtiger als dieser einzelne Mensch. Als sie sich zu ihm niederließ und seinen gesunden Arm um ihre Schultern zog, sah er sie mit so großen und dankbaren Augen an, dass sie wusste sie hatte alles richtig gemacht.

Der Mann wog mindestens 200 Pfund und Sheila brauchte mehrere Anläufe, bis sie sein Gewicht soweit auf ihre schwachen Schultern verteilt hatte, dass sie ihn von dem Krater wegziehen konnte. Kaum hatte sie ihn an die Wand einer der wenigen, noch stehenden Hütten gelehnt, das ging ein erneuter Ruck durch die Erde und erneut begannen die Dörfler zu schreien. Kopflos rannten sie in die Wälder, wer nicht mehr laufen konnte, oder zu verängstigt war um den anderen zu folgen, betete zu Gott. Sheila drehte sich wieder den Kratern zu und plötzlich schien es überall zu wispern und Sheila lief ein Schauer über den Rücken.
 

Dann sah sie sie. Sie sahen aus wie riesige, etwa zwei Meter große Echsen in Rüstungen und in ihren roten Augen stand eindeutig die Mordlust. Wie erstarrt beobachtete Sheila, wie sie die wenigen Überlebenden mit wenigen Bissen und Schwerthieben töteten. Der Mann hinter ihr wisperte ein Stoßgebet und auch Sheila hatte ein solches auf den Lippen.

Dann hörte sie wieder die Stimme.

°Du bist stärker als sie, Sheila. Lumidor führt dich, verliere nicht den Mut und du kannst nicht verlieren.°

Wieder zog Sheila Lumidor und sah auf die pulsierende Klinge. Man hatte ihr dieses Schwert nicht ohne Grund gegeben und auch wenn sie nicht wusste, was es bewirkte, so musste sie doch vertrauen. Ansonsten war dies hier ihr Ende.

Sie fasste Lumidor mit beiden Händen, atmete tief durch und sah dann den Biestern entgegen. Ihre grauen Augen bekamen die Farben des Sturms und sie war nie entschlossener gewesen.

Eine innere Wärme und Kraft durchströmte sie bis hin zu ihren Händen und Sheila ging den Echsen entgegen. Sie hörte unverständliche Worte in ihrem Innern und wiederholte sie. Lumidor strahlte hell und die Echsen, die zuvor noch bei der einen Frau gelacht hatten, wichen ein wenig zurück. Der Größte unter ihnen, anscheinend der Hauptmann zischte seinen Soldaten etwas zu und sie gingen in Angriffsstellung. Auch Sheila blieb stehen und fixierte die Biester. Als sie nun sprach, hallte ihre Stimme unnatürlich laut über den Dorfplatz.

„Verschwindet hier. Kehrt zurück, wo ihr hergekommen seid.“

Der Hauptmann lachte zischend und seine Zunge zuckte dabei mehrfach hervor. Die Frau beeindruckte ihn, doch er hatte einen Auftrag und eine einzelne Person würde ihn nicht aufhalten.

„Verschwinde, ich werde dich verschonen. Dieses Dorf und der Wolfsclan sind unser.“

Irgendetwas an diesem Monster machte Sheila wütend und sie spürte wie sich Energie aufstaute.

Einige Echsen aus der ersten Reihe wichen zurück als Sheila plötzlich wie in Licht gebadet schien. Diese Frau war wie aus den Schauergeschichten entsprungen. Eine Frau, aus einer anderen Welt. Sie verkörperte die Naturgewalten in sich und bescherte ihren Feinden nichts als Unglück, so sagte man. Der Hauptmann zischte wütend auf, als er die Angst seiner Männer spürte.

„Verdammte Schwächlinge. Bleibt stehen oder ich bring euch eigenhändig um.“ Die Echsen standen still, zitterten doch immer noch. Der Hauptmann wandte sich wieder Sheila zu und seine roten Augen funkelten voller Hass.
 

Mika hatte nicht mehr bis in den Berg gemusst, denn Kasuke und seine Jäger waren ihr entgegen gekommen. Mika hatte ihm ihr Anliegen sofort vortragen wollen, doch er hatte sie unterbrochen und sie aufgefordert ihnen zu folgen.

„Irgendetwas stimmt nicht. Im Dorf gibt es Ärger.“

Mika war ihm irritiert gefolgt, schließlich war sie eben noch in der Nähe des Dorfes gewesen. Sie hatte zwar das Beben miterlebt, es aber unwichtig empfunden. Zu sehr war sie geblendet durch ihren Hass. Sie sah Kasuke aber an, dass er sich große Sorgen machte.

„Wo ist Sheila?“ Die Frage versetzte Mika in Angst und Schrecken, als Kasuke ihr Gesicht sah, knurrte er wütend und rannte weiter.

„Du solltest auf sie aufpassen.“

Mika senkte den weißen Kopf und sprintete hinterher.
 

Weit bevor sie das Dorf erreichten rochen sie das Blut. Wie Fry es vorhergesehen hatte. Sie war plötzlich wie von Sinnen gewesen und hatte Kasuke von einem Überfall aufs Dorf berichtet. Blut, hatte sie gesagt, überall Blut. Und so war es. Ein stechender Geruch und bei dem Gedanken, dass sich Sheilas Blut mit dem der anderen mischte, überkam Kasuke ein scharfer Schmerz. Er ließ einen lauten Heulton verlauten und seine Jäger fielen ein. Dann hechteten sie ins Dorf.
 

Sheila hatte die Wölfe gehört und ein Knoten, der sich die ganze Zeit in ihrer Brust befunden hatten, löste sich und Erleichterung machte sich breit. Lächelnd beobachtete sie, wie der Hauptmann zusammenzuckte und seine Männer wichen wieder zurück.
 

Als Kasuke Sheila sah, wollte er seinen Augen nicht trauen. Sie hielt das Schwert Lumidor in ihren Händen und ein unnatürliches Licht ging von ihr aus. Eine ungeheure Energie ließ ihr Haar wie im Wind wehen und ihr Gesichtsausdruck jagte selbst ihm einen Schauer über den Rücken. Doch er spürte, dass sie sich entspannte, als sie ihn bemerkte und ein Lächeln ging über ihr Gesicht. Er stellte sich neben sie und auch die anderen Wölfe reihten sich neben ihr auf. Kasuke wurde zum Menschen und zog sein Schwert.

Der Anblick der vielen Toten machte Kasuke wütend und traurig zugleich, doch seine Gedanken galten einzig und alleine Sheila. Wie verkraftete sie das Gesehene und was hatte sie auf einmal so mächtig werden lassen? Periphae hatte ihm prophezeit, dass in dem Mädchen etwas schlummere, das mächtiger war als alles Bekannte, doch das hier überraschte ihn doch. Sheila war stärker als er geglaubt hatte.

Seine blauen Augen fixierten die Vivipara. Sie waren bekannt für ihre Skrupellosigkeit und ihrem Spaß am Morden und Kasukes Wut steigerte sich noch mehr. Der Imperator schien Kasuke treffen zu wollen, doch nun war es an ihm, dem Imperator zu schaden. Er gab seinen Jägern ein Zeichen und ein ohrenbetäubendes Geheul durchbrach die Stille, die zwischen den beiden Parteien geherrscht hatte. Ängstlich sahen sich die Soldaten um.

Kasuke wandte sich unauffällig an Sheila.

„Sobald ich dir ein Zeichen gebe, flieh. Ich will dich hier weg haben. Es wird zu gefährlich und du bist noch zu schwach.“

Zunächst hatte Sheila widersprechen wollen, doch sie spürte, dass sie stetig an Energie verlor und kaum noch das Schwert halten konnte. Also nickte sie unsicher.

Kasuke lächelte leicht.

„Gut gemacht, Liebes. Und jetzt pass auf.“

In diesem Augenblick hörte Sheila es um sich herum rascheln und ein schreckliches Brüllen durchfuhr ihre Glieder.

Die Felidae! Damit hätte Sheila rechnen sollen. Sie waren der nahegelegenste Clan und mit Kasuke befreundet. Neben Kasuke tauchte Sekura auf, der Sheila mit seinen gelben Augen interessiert musterte und sich dann in seine Menschengestalt verwandelte.

„Da sind wir.“ Er sah sich um. „Scheint lustig hier zu werden.“ Sheila bemerkte Bewegung um sich herum und sah alle Arten von Raubkatzen. Löwen, Luchse, Geparden und sie alle strahlten dieselbe Entschlossenheit, wie ihr Anführer, aus. Kasuke legte eine Hand auf Sheilas angespannten, linken Arm.

„Lass jetzt los und flieh zum Berg zurück.“

Sheila nickte und schloss die Augen. Sie beschwor die Präsenz in sich, sie loszulassen und ihr die Flucht zu ermöglichen. Die Energie ebbte nun vollkommen ab und Lumidors Licht erlosch vollständig. Sheila fuhr herum und rannte, so schnell ihre entkräfteten Beine sie tragen konnten, in den Wald. Hinter sich hörte sie Schlachtgebrüll, doch sie wagte nicht sich umzudrehen.

Sie wusste nicht wie lange sie gebraucht hatte, um die Höhlen zu erreichen, doch dass sie die letzten Meter nicht kroch, war ein Wunder. Plötzlich schien all ihre Lebenskraft und der Wille in Sicherheit zu sein, zu weichen und sie wünschte sich nur den alles heilenden Schlaf. Verschwommen sah sie eine Person auf sich zu kommen. Doch wer es war, konnte sie nicht mehr erkennen. Überwältigt fiel sie in Frys Armen in Ohnmacht.

Celine

Kapitel 8
 

Sheila träumte und doch war es ihr, als wenn der kalte Steinboden unter ihren Füßen und die Fackeln an den Wänden real wären. Genauso real, wie die Frau, die ganz in weiß gekleidet vor ihr stand. Sheila glaubte in ihr eigenes Antlitz zu gucken, doch die Frau vor ihr war um einiges älter als sie selbst. Sie hielt Lumidor in der Hand. Auch jetzt ging von dem Schwert dieses gleißende, pulsierende Licht aus, wie zu dem Zeitpunkt, als die Vivipara sie hatten angreifen wollen.

Als die Frau anfing zu sprechen, schien die weiche, tiefe Stimme fast körperlos zu sein und hallte durch den Raum.

„Mein Name ist Celine. Auch ich komme aus der Welt, die du so überraschend verlassen musstest.“

Überrascht riss Sheila den Mund auf, doch kein Laut wollte ihr über die Lippen weichen.

Celine lächelte und kam näher. Zärtlich strich sie Sheila über die Wange, doch ihre Hand war kalt.

„ Ich war einmal die Beschützerin dieser Welt, deren Name Kemono ist.“ Ein wehmütiger Ausdruck war in Celines Augen zu erkennen. Ehrfürchtig hob sie Lumidor hoch.

„Dieses Schwert der `Wächterin´ hatte einmal die Aufgabe über das Gleichgewicht von Kemono zu wachen und es in seinen Fugen zu halten.“

Noch immer kam Sheila kein Ton über die Lippen, doch Celine schien ihre Gedanken lesen zu können.

„ Ich weiß nicht wie du wieder zurück in unsere Welt kommst. Ich bin damals freiwillig hier geblieben. Ich habe nie versucht zurückzukehren.“ Sheila meinte Tränen in Celines Augen zu erkennen. „ Für mich gab es dort nichts und hier alles.“

So schnell wie diese Emotionen gekommen waren, so schnell hatte Celine sich auch wieder gefangen. Bestimmt blickte sie in Sheilas Augen und ein Schauer erfüllte die Jüngere.

„ Hör auf deine innere Stimme, Sheila, das Gefühl, dass tief aus deinem Herzen kommt. Sie ist oft sehr leise, doch sie wird dich leiten. Du bist meine Wiedergeburt, ein Teil von mir, also wirst du denselben Weg gehen wie ich. Dein, unser Blut wird dich führen, denn es ist deine Bestimmung, dein Schicksal, dass dich hierher und in seine Arme geführt hat.“

Verwirrt wollte Sheila Einspruch erheben. In wessen Arme, wovon sprach Celine? Doch Celine ließ dieser innere Aufruhr kalt. Sie schien bereits weit weg, ihre Gestalt verschwamm immer mehr. Panisch wehrte Sheila sich dagegen, die Frau gehen zu lassen. Es musste doch einen Weg geben, zu fliehen. Wieder in die alte Welt, ins Vertraute zurück zu kehren. Doch bald war Celine nicht mehr zu sehen und Sheila blieb zurück, mit einem Gefühl einer nie gekannten Einsamkeit und sie hatte sich noch nie so verloren gefühlt.
 

Das Erste was sie erblickte, als sie die Augen öffnete, war das mächtige und so vertraute Gesicht Harutos, das sie beruhigend anlächelte.

Erst jetzt merkte Sheila, wie sehr sie Haruto vermisst hatte und wie Leid es ihr tat, dass sie ihn gemieden hatte.

„Wie fühlst du dich, Kleines?“ Ein Gefühl der Reue wollte Sheila die Kehle zuschnüren.

„Es tut mir so Leid, Haruto. Ich war gemein zu dir.“

Mit einer Zärtlichkeit, die seine großen Pranken nicht erahnen ließen, strich er Sheila über das nachtschwarze Haar.

„ Mach dir keine Gedanken. Ich wusste von Anfang an, dass du so reagieren würdest, welche Konsequenzen es haben würde. Doch ich musste es tun und ich hatte mir vorgenommen zu warten, bis du es selbst erkennen würdest.“

Beschämt versuchte Sheila sich aufzurichten. Sie befand sich in ihrem Zimmer und trug eine Art Nachthemd. Nur schwer konnte sie sich daran erinnern, wie sie hierher geraten war. Doch sie wusste, was geschehen war. Das Blut, die Leichen und diese schrecklichen Monster, die bereit gewesen waren sie zu töten. Ein stechender Schmerz breitete sich in Sheilas Kopf aus und erneut durchfuhr sie die Angst, die sie verspürt hatte. Schwer atmend stützte sie die heiße Stirn in die Hände. Besorgt drückte Haruto sie wieder in die Kissen.

„Du solltest noch ein wenig schlafen. Das, was du erleben und sehen musstest war eindeutig zu viel für dich.“

Sheila hätte sich gerne gewehrt, da sie den Schlaf fürchtete, aber ihr Körper schien wie gelähmt. Ängstlich legte sie eine Hand auf Harutos mächtigen Arm.

„Bitte geh nicht Haruto. Ich möchte nicht alleine sein.“

Haruto nahm Sheilas Hand in die seine und versprach, über sie zu wachen.
 

In derselben Zeit saßen Sekura und Kasuke in der großen Halle des Wolfsclans und besprachen ihre Verluste. Auf ihrer Seite hatte es keine Toten gegeben und nur wenig Verletzte, was die Beiden eindeutig aufatmen ließ. Die Vivipara waren bald geflüchtet, da sie sich eindeutig einer Übermacht gegenüber gesehen hatten. Doch weder Kasuke noch Sekura wagten sich etwas vor zu machen. Der Imperator hatte es auf sie abgesehen. Anscheinend sah er nur eine Chance und zwar die Clans zu schwächen und keiner der Oberhäupter glaubte, dass er es nur auf diese eine Weise tun und versuchen würde. Von jetzt an mussten sie vorsichtiger sein, als sie es je gewesen waren.

„Dieser Mistkerl wird mit Sicherheit auch versuchen uns von innen heraus zu vergiften.“ Angewidert verzog Sekura den Mund. Wenn er merkte, dass sein Freund eher abwesend war, dann überspielte er dies gekonnt.

„Sie ist stärker, als wir vermutet haben.“ Da Sekura wusste, dass Kasuke in diesem Moment an das Menschenmädchen dachte, schnitt er das Thema lieber direkt an.

Kasuke seufzte kaum hörbar und richtete nun zum ersten Mal seine Aufmerksamkeit auf den Panter. Sein Gesicht zierte ein fieser Schnitt, den ihm der Hauptmann der Vivipara mit seinen Krallen zugefügt hatte. Ansonsten war er, wie auch Sekura unverletzt.

„Ich denke, wir kennen noch nicht ihre ganze Kraft. Ich hoffe sie verkraftet das alles. Fry sagte mir, dass sie ohnmächtig geworden ist und sie schläft wohl immer noch.“

Sein Freund machte sich sonst nie Sorgen und das ließ Sekura ein wenig aufhorchen. Was war mit Kasuke los?

In dem Moment kam einer von Kasukes Jägern herein. Im Schlepptau: Mika.

Kasuke entließ den anderen Jäger und musterte Mika ausdruckslos. Sekura wäre am Liebsten gegangen, doch Kasuke bedeutete ihm, zu bleiben.

Als er sich nun an Mika wandte, war ein tiefes Knurren in seiner Stimme zu hören.

„Wieso hast du Sheila alleine gelassen?“ Schuldbewusst senkte die junge Wölfin den Kopf.

„Ich dachte, sie wollte fliehen und bevor ich eigenmächtig handelte, war es mir lieber Euch zu holen.“ Interessiert musterte Sekura die weiße Wölfin, während er sich lässig in einen der Steinstühle sinken ließ. Sie betete Kasuke an, ob sein Freund dies auch bemerkte?

„Ich hatte dir nur den Befehl gegeben auf sie Acht zu geben. Alles andere war unwichtig. Sie hätte sterben können.“ Noch immer hatte Kasuke seine Stimme nicht erhoben.

Mika schien immer kleiner zu werden. Welche Motive sie auch gehabt haben mochte, sie zeigte Reue. Ein Ruck ging durch Kasuke und er ließ ein wenig die Schultern sinken.

„Ich weiß, dass du sie nicht magst, Mika.“ Angesprochene wollte widersprechen, doch ein Blick von Kasuke genügte und sie war still.

„Doch sie ist wichtig für uns und Kemono, also bitte versuch sie zu akzeptieren. Wir können uns nicht leisten, uns untereinander zu hassen oder zu meiden.“

Mit diesen Worten war Mika eindeutig entlassen, doch sie zögerte einen Moment, bis sie sich umwandte und mit eingezogenem Schwanz den Saal verließ.

„Sie ist eifersüchtig, Kasuke.“ Sekura richtete sich aus dem Stuhle auf. Ärgerlich schüttelte Kasuke den Kopf. „Wieso sollte sie. Sie ist einfach nur eigensinnig, wie Frauen halt so sind.“

Sekura musste schmunzeln. „Wenn du das sagst. Aber selbst ich merke, dass du mehr über das Mädchen nachdenkst, als gut für dich ist und Mika sieht in dir den Junggesellen, der du bist, mein Freund.“
 

Als Sheila das nächste Mal erwachte, war sie alleine. Etwas unsicher sah sie sich um und entdeckte neben ihrem Kopf die Felltasche von Haruto. Wenn Sheila Haruto nicht gekannt hätte, hätte sie geglaubt, dass er sie vergessen hatte, doch so war der große Wolf nicht. Sie griff nach der Tasche und öffnete sie. Sofort wurden ihre Augen feucht.

In der Tasche befand sich nicht nur ihr Dolch, den sie verloren haben musste, sondern auch eine Brosche. Die Brosche zeigte einen Vollmond umrankt von Efeu. Das Zeichen von Harutos Familie. Sheila setzte sich auf, zog sich an und steckte die Brosche an ihr Kleid. Haruto hatte sie in seine Familie aufgenommen und zum ersten Mal fühlte sie sich in Kemono geborgen. Liebevoll strich sie über die das Schmuckstück und wehrte sich nur schwer gegen die aufkommenden Emotionen. In diesem Augenblick vernahm sie ein Räuspern hinter sich.

Erschrocken fuhr sie herum und entdeckte Kasuke in seiner menschlichen Gestalt, wie er im Eingang der Höhle stand. Ohne groß zu Zögern kam er herein und ließ sich auf Sheilas Bett nieder. Zum ersten Mal sah Sheila, dass der Herr der Wölfe scheinbar unsicher war und es gab ihr ein wenig das Gefühl von Heiterkeit.

Kasuke musterte die Brosche, die Sheila über ihrem Herzen befestigt hatte. Doch er sagte weiterhin nichts dazu.

„Wie geht es dir?“ Zum ersten Mal sah Kasuke Sheila in die Augen und sie glaubte so etwas wie wahre Besorgnis in den eisigen Augen zu sehen.

„Ich denke es wird schon gehen.“ Sheila wusste nicht wo sie anfangen sollte. Sie hatte viele Fragen und allem voran, ob die Vivipara fort waren. Erst jetzt bemerkte sie den tiefen Schnitt auf seiner linken Wange. Nur zu gerne hätte sie die Wunde berührt um den Schmerz zu lindern, stattdessen erkundigte sie sich nach den anderen Wölfen.

„Wir haben keine Verluste einzubüßen. Wenn die Felidae nicht gewesen wären, wäre es womöglich anders ausgegangen. Nichts desto Trotz sind diese Mistviecher geflohen.“

Sheila musste an das Bild der Leichen denken und es schüttelte sie. Kasuke bemerkte dies und wieder überkam ihn Unsicherheit.

„Es tut mir Leid, dass du das alles sehen musstest. Aber vielleicht beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass ohne dich es keine Überlebenden auf der Seite der Menschen gegeben hätte.“

Sheila konnte nichts dagegen tun, die Tränen füllten ihre Augen und schnürten ihr die Kehle zu.

„Es waren zu Viele, die ihr Leben lassen mussten. Wieso tut er das?“

Kasuke wusste was sie meinte. Er hatte das übermächtige Bedürfnis sie zu trösten, aber sein Stolz und seine Vernunft hielten ihn zurück.

„Niemand weiß so genau, was er denkt. Er strebt nach Macht und ihm ist egal, wie viele auf diesem Weg ihr Leben verlieren müssen. Auf beiden Seiten.“

„Hat ihn schon einmal jemand gesehen?“ Kasuke schüttelte den Kopf.

„Er macht ein Geheimnis aus seiner Person. Das macht ihn noch gefährlicher. Vor allen Dingen jetzt wo er weiß, dass die Prophezeiung sich erfüllt, wird er nichts unversucht lassen um an die `Wächterin´ zu kommen.“ In dem Moment, in dem er diese Worte ausgesprochen hatte, hätte Kasuke sich ohrfeigen können, doch Sheila reagierte nicht darauf.

Sheila hatte sich ebenfalls auf das Bett niedergelassen und blickte vor sich auf den Boden. Ihr fiel ihr schweres, schwarzes Haare ins Gesicht und wieder merkte Kasuke, dass sein Herz ihm nicht gehorchen wollte. Sheilas Worte holten ihn in die Realität zurück.

„Celine sagte, es wäre mein Schicksal.“

Der Name durchzuckte Kasuke, wie ein Pfeil. Erst jetzt sah er, dass Sheila ihn mit ihren Augen ansah.

„Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als in meine Welt zurück zu kehren, doch wie es aussieht, brauch ich daran nicht einmal zu denken, bis der Imperator geschlagen ist.“

Da Kasuke nichts sagte, sah sie ihn nun direkt an und bemerkte erst jetzt, dass er sie mit aufgerissenen Augen musterte.

„Was ist denn jetzt los?“ „Sagtest du Celine?“ Sheila runzelte die Stirn. „Ja, wieso? Kennst du sie etwa?“ Kasuke wich ihr aus und blickte auf seine Hände. Sheila musterte ihn irritiert und dachte dann an das, was Celine gesagt hatte. °In seine Arme geführt….!° Erschrocken sprang Sheila auf.

„Oh Gott. Du hast sie gekannt und du….“ Sheila sah Schmerz in seinen Augen, doch genauso schnell hatte er sich wieder in sich selbst zurückgezogen.

„Das ist unwichtig. Sie ist schon lange fort.“ Sheila spürte einen schmerzhaften Stich. Er sah sie in ihr. Deshalb wich er ihr aus.

„Nein, sie lebt durch mich.“ Sheilas Stimme brach kaum merklich. Er hatte sie geliebt. Kasuke hatte Celine geliebt und das war nicht einmal unwahrscheinlich, da Dämonen anders alterten als Menschen. Kasuke stand auf und wollte gehen. Er ertrug es nicht in diese, ihm so bekannten Augen zu blicken. Doch Sheila wollte es nicht darauf beruhen lassen. Wenn er ihr jetzt wieder aus dem Weg ging, war sie in derselben beschissenen Situation. Wenn er es nicht ertrug in ihr seine Geliebte zu sehen, dann musste sie gehen.

„Warte. Ich gehe.“ Sie griff nach Lumidor, welches die ganze Zeit auf dem Boden neben dem Bett gelegen hatte, und die Felltasche. Mehr besaß sie nicht und wieder wurde ihr schmerzlich bewusst, wie fremd sie war. Sie eilte an ihm vorbei, doch er ließ sie nicht so einfach gehen. Im Vorbeigehen griff er nach ihren Arm und sein Griff war fest wie ein Schraubstock.

„Du bleibst hier. Ich lass nicht zu, dass du wieder in dieselbe Situation gelangst wie heute morgen.“ Sheila schüttelte den Kopf.

„Darum geht es doch nicht, Kasuke.“ Sie hatte zum ersten Mal seinen Namen gesagt.

„Was auch immer Celine für dich war, der Gedanke an sie tut dir weh und du siehst sie in mir jeden Tag aufs Neue. Doch deine Gedanken sollten alleine deinem Clan gewidmet sein. Es ist das Beste, wenn ich gehe.“

Wenn Kasuke in seiner tierischen Gestalt vor ihr gestanden hätte, hätten sich vor Ärger seine Nackenhaare aufgestellt. Nicht sie wurmte ihn. Nicht Sheila. Es störte ihn vielmehr, dass er Celine vergessen und nicht in ihr gesehen hatte. Es war zwar bereits an die 100 Jahre her, aber hundert Jahre waren nichts in Anbetracht der Zeitspanne, die er lebte. Fry hatte ihn mit einer Medizin versorgt, die ihn hatte Celine vergessen lassen. Er hatte es so gewollt. Denn er hatte den Schmerz ihres Todes nicht ertragen können.

Er sah auf die unschuldigen grauen Augen herab, die ihn schmerzerfüllt ansahen. Warum hatte Celine ihnen ausgerechnet ihr Ebenbild geschickt? Und warum litt Sheila dermaßen unter der Erkenntnis, dass sie für ihn womöglich jemand anderen verkörperte?

„Du bleibst hier. Ich habe dir meinen Schutz versprochen und nichts wird daran etwas ändern. Celine ist schon lange tot und spielt in Kemono keine Rolle mehr.“

Ohne ein weiteres Wort ging der Wolf und ließ Sheila mit gemischten Gefühlen zurück. Er irrte sich, wenn er sagte, dass Celine keine Rolle mehr spielte. Sheila wusste es und er mit Sicherheit auch, doch er verschloss seine Augen davor.

In Sheila selbst spalteten sich tausende von Emotionen. Wieso litt sie unter der Erkenntnis, dass er in ihr immer nur Celine sehen würde? Sie hatte ihn doch für seine Unnahbarkeit und Arroganz gehasst! Was war anders? Sie wollte weg von hier. Kemono würde sie erst einmal nicht verlassen können, das war ihr klar, doch sie musste weg vom Clan der Wölfe. Sie würde Periphae aufsuchen und ihren Weg gehen um diese Welt vor dem Untergang zu retten. Heute Nacht würde es beginnen.

Erkenntnis der Gefühle

My love, here I stand before you

I am yours now from this moment on

Take my hand, only you can stop me shaking

We'll share forever, this I promise you
 

Chorus

And when I look in your eyes

All of my life is before me

And I'm not running anymore

'Cause I already know I'm home

With every beat of my heart

I'll give you my love completely

My darling, this I promise you
 

My love, I can feel your heartbeat

As we dance now closer than before

Don't let go, 'cause I could almost cry now

This is forever, I make this vow to you
 

Kapitel 9
 

Hart schlug Sheila auf einem felsigen Untergrund auf. Sie spürte, dass sie sich das Schienbein aufgerissen hatte, doch sie eilte unbeirrt weiter. Verdrängte das Gefühl der warmen, klebrigen Flüssigkeit die ihr Bein hinab lief. Dachte nicht daran, sich beirren zu lassen.

Ihre Augen gewöhnten sich nur schlecht an die vollkommene Dunkelheit, die diese Welt des Nachts an sich hatte, durch das fehlende Licht der Elektrizität.

Sheila war eindeutig im Nachteil. Die Wölfe sahen nicht nur besser, sondern kannten die Umgebung wie ihre Westentasche und es war nur eine Frage der Zeit bis ihr Verschwinden auffiel.

Sheila hatte beschlossen den Clan zu verlassen, kaum das Kasuke sie alleine gelassen hatte. „Fliehen“ konnte man es nicht bezeichnen, denn sie war nie wirklich eine Gefangene gewesen und sie spürte sogar einen Stich des Verlustes. In den wenigen Wochen war der Clan ihr doch ans Herz gewachsen, doch man hätte sie mit Sicherheit versucht aufzuhalten und das hatte sie versucht zu vermeiden. Vor allen Dingen verspürte sie Reue wegen Fry und Haruto. Sie hatte die Beiden mit Sicherheit enttäuscht und es störte sie ungemein. Sheila spürte Tränen in sich aufsteigen, ermahnte sich aber, den Kopf frei zu behalten.

Sie wusste nicht wirklich wo sie sich befand, doch die vielen Felsen um sich herum sagten ihr, dass sie sich noch immer in Nähe der Berge und somit auch der Höhle befand. Sie musste sich beeilen, denn irgendjemand hatte ihr Fortgehen entweder schon bemerkt oder mit den feinen Ohren der Tiere sogar gehört, wie sie gegangen war. Und womöglich bereits Kasuke informiert.

Sheila schloss die Augen und versuchte sich an die Richtung zu erinnern, in der das Dorf lag. Sie wollte sich an die entgegen gesetzte Richtung halten, denn Kasuke würde sie womöglich dort zuerst suchen, außerdem schauderte es sie bei dem Gedanken an die Geschehnisse des vorherigen Tages.

Sie erinnerte sich, dass sie auf der Flucht zur Höhle die Sonne im Rücken gehabt hatte. Sheila atmete einmal tief durch und wandte sich dann in die Richtung in der sich zaghaft die ersten Sonnenstrahlen zeigten. Es wurde allmählich brenzlig und hastige setzte Sheila ihren Weg fort. Sie musste einiges an Strecke zurücklegen, damit sie den Wölfen zuvorkam. Sie lief so schnell sie konnte. An Last trug sie nichts weiter als das, was sie am Leibe trug und die Felltasche, die Haruto ihr geschenkt hatte.

Die kalte, morgendliche Luft brannte ihr in den Lungen und nach und nach vernahm sie ein unerwünschtes Stechen in ihren Hüften. Doch die Sonne stieg unaufhaltsam über den Zenit und ließ ihr keine Zeit zu verschnaufen. Sheila sah sich um, doch der dichte Wald ließ ihr keine Möglichkeit zu erkennen, wie weit sie von den Bergen entfernt war. Jedoch machte sie sich nichts vor. Für die Wölfe war sie eindeutig zu langsam.

Sheila rastete erst, als die Hitze der Mittagssonne sie in die Knie zwang und sie es ohne Wasser und kein Bissen im Magen nicht mehr aushielt. Sie fand eine Quelle, der ein kleines Rinnsal entsprang und versuchte nachzuempfinden, wie weit sie gekommen war.

Sie machte sich nichts vor. Ihre „Flucht“ war unüberlegt gewesen und noch dümmer war ihr Grund. Ständig sagte sie sich, dass es das Beste gewesen war, doch um ehrlich zu sein, war Kasuke der Grund. Warum? Das konnte sie selbst nicht wirklich bestimmen. Aber Sheila wusste auch sonst nicht warum sie diesem instinktiven Gefühl gefolgt war. Kasuke war ungehobelt und streng. Er hatte ihr nie auch nur ein wenig Zuneigung zukommen lassen und doch war er auf eine, ihr unbestimmbare Weise der Grund für ihren Aufbruch.

Sheila schüttelte den Kopf, wie um alle die verwirrenden Gedanken von sich zu bringen. Sie musste ein wenig rasten und dann blieb ihr nichts als weiterzulaufen. Wenn sie sich richtig an Frys Worte erinnerte, dauerte es noch bis sie Feindesland betrat. Womöglich konnte sie vorerst bei einem anderen Clan unterkommen. Vielleicht fand sie Periphae oder den Hirsch. Die Beiden schienen ihr am Vernünftigsten gewesen und Sheila wusste im Moment keinen besseren Ort….außer vielleicht bei einem gewissen Wolf? Sie streckte sich aus und verbannte alle Gefühle und Gedanken um sich nur auf den dringend nötigen Schlaf zu konzentrieren.
 

Kasuke lehnte, äußerlich scheinbar ruhig, in seinem Thron, spielte mit seinem Dolch und starrte vor sich hin. Doch der Schein trog. Fry hatte ihn nur eine Stunde zuvor rasend vor Zorn erlebt. Und Sorge, doch das wollte er natürlich nicht zugeben, die alte Wölfin jedoch kannte ihren Anführer gut genug um es ihm anzusehen.

In diesem Augenblick wartete der große Wolf auf seine Jäger. Er hatte eine Hand voll von ihnen ausgesandt um Sheila zu finden.

Er hatte schon in der Nacht gespürt, dass etwas nicht stimmte, doch da er jeden Gedanken an das Mädchen von sich weisen wollte, war er nicht weiter drauf eingegangen. Nun war sie fort und er wusste nicht auf wen er wütender sein sollte. Diese törichte Sheila hatte gegen seinen Willen die Höhle verlassen, doch war er nicht der Grund dafür? Er hatte ihr angesehen, dass seine Beziehung zu Celine sie verstört hatte. Er hätte sie nicht so leichtfertig abspeisen und alleine lassen sollen. Auch wenn die Vergangenheit ihn schmerzte, Sheila konnte nichts dafür. Er hätte ihr mehr über Celine erzählen sollen, sie hatte ein Recht darauf.

Als zwei schmale, schneidige Wölfe in den Saal kamen sah er bemüht beherrscht auf. Ehrfürchtig verneigten sich die Beiden, nachdem sie ihre menschliche Form wieder angenommen hatten.

„Keine Spur von ihr, Herr. Doch Mika ist noch nicht zurückgekehrt.“

Kasukes Sorgen zerrten an seinem Herzen und schnürten sich mit jeder schlechten Nachricht noch enger um es. Jetzt hoffte er nur, dass Mika mehr Erfolg hatte. Schließlich konnte ein Mensch nicht so einfach verschwinden.
 

Sheila wachte mit einem Prickeln im Nacken auf. Sie hatte höchsten ein bis zwei Stunden geschlafen, wie der Stand der Sonne sie vermuten ließ. Doch ein unerklärbares Gefühl, dass sie jemand beobachtete ließ ihr keine Ruhe. Etwas zu vorsichtig stand sie auf und klopfte einzelne tote Blätter von ihrem Leinenkleid. Dabei ließ sie ihre Umgebung nicht aus den Augen.

Sheila bemühte sich ihr Herz zu beruhigen. Hatte man sie etwa gefunden? Oder war sie etwa doch in Feindesland geraten? Aber das war doch unmöglich. Sie war niemals weiter als 10 km gekommen.

Plötzlich raschelte es hinter ihr. Sheila fuhr herum und zog Lumidor, welches sie stets an ihrer Seite trug. Sie wusste sie musste ein lächerliches Bild abgeben, doch sie war geübt und nicht ungefährlich. Sollte ihr Gegner sie ruhig unterschätzen. Es wäre nur zu ihren Gunsten.

Das erste was Sheila sah, war eine weiße Schnauze und der Rest ließ Sheila zwar die Waffe senken, doch erleichtert war sie dennoch nicht.

„Mika!“

Die weiße Wölfin setzte sich vor Sheila und musterte sie stumm, dann verwandelte sie sich. Wieder bewunderte Sheila die junge Schönheit vor sich, mit den eisblauen Augen. Sheila wusste, oder ahnte zu wissen, was Mika von ihr hielt, doch sie konnte Mikas Gesichtsausdruck keine Feindschaft entnehmen. Eher Resignation.

Bevor die Wölfin etwas sagen konnte, griff Sheila nach ihrer Felltasche und richtete das Wort an sie.

„Ich geh mal davon aus, dass du mich zurückbringen sollst. Leider muss ich dich enttäuschen. Ich komme nicht mit.“

Mika verschränkte die Arme vor der Brust und Sheila sah so etwas wie Belustigung in ihren Augen aufblitzen.

„Das habe ich mir schon fast gedacht und ich werde dich nicht dazu zwingen.“ Erstaunt starrte Sheila Mika an. Sie hatte damit gerechnet, dass man sie mit Gewalt zurück zu den Bergen schleifen würde, wenn es nötig war. Ein Ruf und der Clan wäre hier um sie zu holen. Mika schien zu erkennen, was Sheila dachte und zum ersten Mal sah Sheila die Wölfin lächeln.

„Du bist die Auserwählte und was auch immer du für richtig hältst, dass solltest du tun. Aber ich denke du solltest wissen, dass Kasuke nicht gerade glücklich über deine Entscheidung ist, sogar ziemlich außer sich.“

Sheila nickte und ließ sich auf eine größere Wurzel nieder.

„Das habe ich mir gedacht.“ Sie sah zu Mika auf. „Was glaubst du, was das Klügste wäre für mich, zu tun?“

Mika schien überrascht, dass das Mädchen ihr eine solche Frage stellte. Etwas verlegen sah sie zur Seite,

„Die Frage solltest du mir nicht stellen. Ich bin, seitdem du hier bist, nur gegen dich gewesen. Habe alles getan um dich schlecht zu machen. Ich verdien das Vertrauen deiner Frage nicht.“

Mika hatte gedacht, dass Sheila bei diesem Geständnis wütend wurde, doch nichts dergleichen geschah. Das Mädchen sah auf die Felltasche hinab, schien mit den Gedanken weit fort.

„Ich glaube….“, sie richtete ihr Augenmerk wieder auf Mika, „….,dass gerade du wahrscheinlich am ehrlichsten zu mir warst. Man erntet nicht überall Sympathie und das find ich nicht weiter schlimm. Umso schöner find ich, dass du deine Gefühle mir gegenüber äußerst.“

Mika empfand zum ersten Mal wirklich Respekt und ein Fünkchen Zuneigung für den Menschen. Sie hatte sich getäuscht in Sheila, doch das störte sie nicht weiter. Es machte ihr sogar ihre nächste Tat umso einfacher.

Sie kniete sich vor Sheila hin und grau traf auf blau, als die beiden Mädchen, sich gar nicht so unähnlich, einander zum ersten Mal in die Augen sahen.

„Entschuldige bitte, dass ich so gegen dich war und gib mir noch eine Chance. Solltest du es wünschen, so lüg ich für dich bei Kasuke. Er wird nicht erfahren, dass ich dich getroffen habe.“ Die Offenheit in Mikas Augen rührte Sheila. Sie nahm Mikas Hände in die ihren und die vertraute Berührung des Menschen ließen Mika verlegen werden.

„Lüg bitte nicht für mich. Berichte Kasuke, dass du mich gesehen hast. Sag ihm es geht mir gut und wir werden uns sicher alle wieder sehen. Schließlich stehen wie anscheinend vor so etwas wie einem Krieg.“ Als Sheila das Wort „Krieg“ aussprach, wurde ihr zum ersten Mal wirklich ihre Aufgabe bewusst und es schmeckte bitter auf ihrer Zunge.

„Doch niemand soll mich verfolgen. Ich bin noch immer überzeugt, dass ich richtig gehandelt habe. Kasuke wird wissen, dass ich die Wahrheit sage.“ Mika nickte feierlich und Sheila kam sich ein wenig albern vor, doch sie wollte Mika nicht beleidigen. Diese verwandelte sich wieder in einen Wolf und machte sich bereit, ihren Weg fortzusetzen.

Doch Sheila hielt sie noch einen Moment länger zurück.

„Und Mika! Bitte lass uns Freunde sein!“

Zum ersten Mal erwärmten sich die eisblauen Augen und Sheila wusste sie hatte eine Freundin fürs Leben gefunden. Dann verschwand Mika im Gebüsch und Sheila raffte sich auf um sich auf die Suche nach Harus zu machen.
 

Als Kasuke Mika betrachtete, die ihn stolz und unnachgiebig in die Augen blickte, spürte er nicht mehr Zorn sondern einen nie gekannten Schmerz. Mika hatte jedes Wort des Mädchens genau wiedergegeben und ja, Kasuke wusste, warum Sheila gegangen war. Aber wie sollte er sich und seinem Clan erklären, dass er Sheila hier im Gebirge haben wollte.

Ihn erfasste eine tiefe innere Unruhe und er überdachte seinen nächsten Schritt.

Sheila war auf dem Weg zu Harus, denn Mika hatte sie auf seinem Terrain gefunden. Sollte er ihr folgen und somit für sicheres Geleit sorgen? Der Clan kam für einige Zeit auch ohne die Anwesenheit des Oberhaupts aus und er hatte Sheila schließlich seinen Schutz zugesagt.

Er richtete sich auf und die Augen des ganzen Clans, vor ihm und über ihm, waren auf den schwarzen Wolf gerichtet.

„Ich werde ihr folgen und dafür sorgen, dass sie sicher bei Harus ankommt.“ Er wandte sich an Fry, die ihn ein wenig zu wissend ansah.

„Ich lege die Geschicke des Clans solange in deine Hände Fry.“ Fry nickte nur und sah dann ihrem Oberhaupt mit gemischten Gefühlen nach, als er die Höhle verließ. Das würde Sheila gar nicht gefallen.
 

Zur selben Zeit stand ein prächtiger Hirsch an einer, von leichten Nebeln umwobenen Quelle und starrte ins reine Wasser. Er sah das Mädchen kommen und er spürte auch den Wolf, der sie verfolgte. Er würde sich dem Mädchen zeigen und sie in sein Reich führen, aber zunächst einmal musste sie etwas mit Kasuke klären und er würde sich nicht einmischen.

Die Augen des Adlers auf seinem Rücken strahlten.

„Das wird immer interessanter.“
 

Sheila lief, bis es so dunkel geworden war, dass sie fürchtete nicht mehr in der Lage zu sein ein Feuer zu machen. Es dauerte auch eine ganze Weile, bis ihre ungeübten Finger es fertig gebracht hatten, den Feuersteinen einen Funken zu entlocken. Doch umso mehr freute sie sich über die kleine Flamme die langsam aufloderte.

Da Sheila in ihrer überstürzten Aktion nichts zu Essen mitgenommen hatte, begnügte sie sich mit Beeren und Pilzen, die sie auf der Wanderschaft gefunden hatte. Ihre Belesenheit und ihr Studium aller Giftpflanzen und Pilze, die Tiere womöglich fressen konnten, hatten ihr geholfen die richtigen Waldfrüchte auszuwählen. Doch Sheila machte sich nichts vor. Sie musste bald Harus finden, denn sie würde alleine nicht lange durchhalten. Dazu war sie zu sehr Stadtmensch.

Der Hunger trieb die Beeren und Pilze zwar hinein, doch sättigten sie nicht. Sheila musste also versuchen mit knurrenden Magen zu schlafen, was ihr jedoch ziemlich gut gelang, da sie vom langen Marsch sehr erschöpft war. Sie wickelte sich in einen Umhang, an den sie zumindest gedacht hatte, und hielt ihren Dolch in der linken Hand. Kaum hatte ihr Kopf die dichte Laubdecke berührt, da war sie auch schon eingenickt.
 

Kasukes Instinkte waren nur auf Sheila ausgerichtet und es war ihm ein leichtes sie zu finden. Jedes Blatt, jedes Blume und jeder Stein schien ihren Duft zu tragen. Es machte ihn schon fast verrückt. Als er ihre Nähe spürte wagte er es nicht, einfach so vor ihr zu erscheinen. Ihn packte plötzlich eine Unsicherheit, die ihn zögern ließ. Er roch das Feuer, bevor er es sah und musste Sheila seinen Respekt zusprechen. Sie wusste wie sie überlebte, auch wenn sie von nichts Ahnung hatte.

Er pirschte zu Sheilas Rastplatz und sah, dass sie schlief. Leichtsinnig auf eine Art und Weise, doch er konnte sich vorstellen, was sie für einen Gewaltmarsch hatte überstehen müssen, den ihre Füße nicht kannten. Da er nicht vermutete, dass Sheila erwachen würde, näherte er sich dem Feuer unbefangener. Verschiedene Reste von Pilzen sagten ihm, woraus ihr Abendessen bestanden haben musste und er ahnte, dass Sheila kommenden Morgen sehr hungrig erwachen würde. Umso besser, dass er nun anwesend war. Er würde für sie sorgen, so wie er es versprochen hatte.

Plötzlich drehte Sheila sich, etwas Unverständliches murmelnd, um (kenn ich, ich erzähle Romane und schlag meinen Freund ^^) und erschrocken sprang der Wolf zurück. Doch das Mädchen schien nicht zu erwachen. Sorgenfalten traten auf ihre Stirn. Sie musste schlecht träumen, denn sie stöhnte immer wieder. Sollte er sie wecken? Würde sie sich nicht furchtbar erschrecken, da sie vermutete alleine zu sein?

Dann sagte sie den Namen. „Celine.“ Kasuke erschauerte. Sah sie etwa Celine? Er beugte sich über das Mädchen um sie besser verstehen zu können. Tränen liefen ihr über die Wangen.
 

Sheila erlebte einen Ort des Grauens. Feuer und Verwüstung und schreiende Menschen, die um ihr Leben flehten. Sheila stand mitten in dem Geschehen. In ihren Händen trug sie ein Schwert und ein Schild zu ihrer Linken. Und doch, dass war nicht sie. Sie sah durch die Augen eines anderen Menschen. Nun bewegte sie sich über einen Dorfplatz, die Leute riefen ihren Namen, jubelten ihn erleichtert und sie stärkten sie. „Celine, Herrin Celine.“, ertönte es von überall her. Doch ihre Aufmerksamkeit war auf den Dämon vor ihr gerichtet. Er war gut drei Meter groß und sein Kopf glich dem einer Schlange, während der Rest seines Körpers aus den verschiedensten Körperteilen geformt worden zu sein schien. Er hatte alleine sechs behaarte Arme mit langen, gefährlichen Krallen. Dieses Monstrum war aus den Ängsten der Menschen entstanden und nährte sich auch von denen. Celine spürte, dass dieser Gegner nicht einfach zu schlagen war, doch wie immer war sie zuversichtlich. Lumidor pulsierte in ihrer Hand und würde sie nicht im Stich lassen.

Der Kampf war hart und Sheila spürte jeden Muskel des fremden Körpers, doch sie gab nicht auf. Sheila spürte die Entschlossenheit und das Pflichtbewusstsein, wie es nur eine Heldin empfinden konnte und es ging nahtlos auf sie über. Sie schien zum ersten Mal zu verstehen und ihre Aufgabe hinzunehmen.

Doch dann geschah das Unfassbare. Celine tötete den Dämonen, aber nicht ohne Konsequenzen. Bevor das Monstrum in sich zusammensackte, biss es die Frau mit den Giftzähnen in den Arm. Sheila spürte den Schmerz überdeutlich und Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie merkte wie Celine stürzte, aufgefangen von starken, liebevollen Armen, doch auch sie konnten das Feuer, das sich von dem Biss aus ausbreitete, nicht aufhalten. Sheila blickte in die Augen von Kasuke. Seine Augen zeigten Entsetzen und Schmerz und die Erkenntnis des Unvermeidlichen.

Dann verschwamm plötzlich alles und der Schmerz in Sheilas Körper ebbte ab. Als sie wieder etwas sah, blickte sie wieder in Kasukes Augen, doch diesmal frei von Schmerz nur voller Fragen.
 

Mit einem Schrei fuhr Sheila hoch und fort von Kasuke. Sie war vollkommen verwirrt und schweißgebadet und ihr Blick glitt hektisch hin und her.

„Was um Himmels Willen machst du denn hier?“ Ihre Frage kam automatisch, fast mechanisch, holte sie aber wieder in die Gegenwart und Realität zurück.

Ohne Sheila aus den Augen zu lassen, setzte sich Kasuke weiter fort von ihr, neben das Feuer.

„Ich habe versprochen dich zu beschützen. Also blieb mir nichts anderes übrig als dir zu folgen. Schließlich wolltest du ja nicht bei uns bleiben.“

Sheila holte schwer Atem. Ihr Herz raste, als wenn sie einen Marathon gelaufen wäre und sie bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.

„Das hättest du nicht tun sollen.“ Sie zog ihren Umhang fester um sich, fast als wenn sie sich vor Kasuke abschirmen wollte.

„Ich gab dir mein Wort.“

„Und du glaubst, dass ist Grund genug? Ich bin um deinetwillen gegangen.“ Sheila spürte Wut in sich aufsteigen. Den ganzen Tag war sie wie der Teufel gelaufen, nur um Kasuke hinter sich zulassen und nun war er hier. So selbstverständlich wie Baum und Strauch um sie herum.

„Verschwinde hier. Ich brauche keinen Schutz.“ Sheila wandte sich ab um ihre Entschlossenheit zu unterstreichen, doch Kasuke ließ nicht so mit sich reden. Und schon gar nicht von einem Menschen.

„Was glaubst du, wie weit du kommst, wenn du erneut Onkais begegnest? Ich will dich nicht enttäuschen, aber du hast keine Chance alleine, selbst mit Lumidor nicht.“ Er sagte es mit solcher Arroganz, dass es Sheila eiskalt den Rücken herunter lief und ein Feuer in ihr erweckte. Der Traum hatte sie vollkommen durcheinander gebracht und nun musste dieser anmaßende Wolf sie auch noch auf die Palme bringen. Sie hatte bisher noch nicht einmal ihre Beherrschung gegen ihn verloren, doch sie war in diesem Moment verletzlich und leicht angreifbar.

Ihre Augen verdunkelten sich, bekamen die Farbe des Sturmes und Zornes funkelnd sprang sie auf. Fasziniert beobachtete Kasuke das Mädchen, nein die Frau, vor sich, die nur so vor Emotionen übersprudelte. Plötzlich sah er Sheila in jeder Situation, in der er sie bereits erlebt hatte, mit anderen Augen. In dem weißen Kleid, in dem kleinen Teich, als er sie hineingestoßen hatte und verletzlich wie stark, mit einem ihm unbekannten Feuer, dass selbst ihn zu erreichen und zu wärmen schien. Und der Wolf verstieß in diesem Augenblick gegen seine Prinzipien und sein besseres Wissen, ohne jemals zuzugeben, dass dem so war: Er verliebte sich.

Sheila bemerkte die Veränderung in Kasuke nicht. Sie schluckte hart um nicht aus der Haut zu fahren.

„Lieber werde ich von den Onkais gejagt, als mich ständig mit einem arroganten Wolf zu streiten. Mach doch was du willst, nur geh mir nicht auf die Nerven.“ Demonstrativ, um das Gespräch als beendet zu erklären, wickelte Sheila sich wieder in den Umhang und stellte sich schlafend. In ihrer Wut fragte sie sich nicht, warum Kasuke schwieg.

Der Wolf kämpfte mit seinem stark klopfenden Herzen. Wollte nicht wahr haben, was er empfand, tat es als dumm ab. Doch in seinem Innern wusste er, dass er die Augen nicht verschließen konnte. Zärtlichkeit überströmte ihn, als er zu dem Rücken von Sheila blickte. Doch es würde sein Geheimnis bleiben und wenn er es mit ins Grab nahm.
 

Sheila dagegen fürchtete sich vor dem Einschlafen. Noch lange diese Nacht, beschäftigte sie der Traum und sie glaubte zu erkennen, was ihr Schicksal war und was Celine für Kasuke gewesen war.

Trennung

Quälende Rückenschmerzen ließen Sheila noch vor dem Morgengrauen erwachen. Ihr Schlaf war zwar nicht tief, jedoch trotzdem traumlos gewesen, was sie aufatmen ließ. Sie wollte nicht mehr von Celine träumen und die Erfahrung, sich in ihr wiederzufinden hatte Sheila Angst gemacht. Selbst wenn sie so etwas Ähnliches wie eine Reinkarnation war, so blieb sie noch immer sie selbst.

Die letzte Nacht hatte jedoch den Traum mit der Realität vermischt und Sheila hätte fast an der eigenen Identität und Individualität gezweifelt.

Steif von dem harten Boden auf dem sie genächtigt hatte, erhob Sheila sich. Sie hatte mindestens ein Dutzend blauer Flecken und sie befürchtete bereits jetzt, dass es einige Zeit dauern würde, bis sie sich wieder wohl in ihrer Haut fühlen würde. Nichts desto Trotz hielten die Schmerzen sie davon ab zu grübeln und somit begrüßte Sheila jedes Stechen oder Ziehen in ihrem Körper.

Was sie nicht unempfänglich dafür machte, dass sie bereits bevor sie nachgeschaut hatte wusste, dass Kasuke nicht mehr auf seinem Lager lag. Wo auch immer er war, er hatte nichts hinterlassen was darauf schließen ließ, dass er jemals anwesend gewesen wäre. Obwohl Sheila sich noch immer maßlos über sein Erscheinen und seine Anwesenheit ärgerte, fühlte sie sich doch einsam. Hatte sie ihn womöglich doch wütend gemacht und er hatte sich entschieden zu gehen? Gewundert hätte sie das nicht, schließlich war sie nicht gerade freundlich gewesen. Was Sheila sich nicht so recht erklären konnte. Wenn Kasuke sie kalt gelassen hätte, dann hätte sie sich nie so aufgeregt. Sheila hatte sich eigentlich von Anfang an über ihn geärgert. Sie erinnerte sich noch an den Moment, an dem er sie in den Teich gestoßen und sie dann mit einem höhnischen Blick beobachtet hatte, wie sie aus dem Wasser stieg. Genausowenig hatte er ihr von der Vorraussage oder Celine erzählt, womöglich hatte er gehofft sie manipulieren zu können. Was auch immer sein Anliegen war, er war Sheila wichtig und dafür hasste sie ihn.
 

Unsicher beobachtete der schwarze Wolf das Mädchen, dass sich mühsam erhob. Er sah ihr an, dass es ihr nicht gut ging und wieder einmal mehr wurde ihm bewusst, wie wenig Sheila in die Welt passte. Und doch liebte er sie. Sie konnten nicht zusammen sein und trotzdem hatte das Schicksal sie zusammengeführt. Seine Beziehung zu Celine war schon schwierig gewesen, alleine wegen der Rassenunterschiede die hier in Kemono galten und nicht gemischt werden durften. Das hier jedoch war vollkommen unmöglich und trotzdem hatte er diese Gefühle. Doch da Sheila ihn scheinbar verachtete oder zumindest seine Nähe meiden wollte, würde es wahrscheinlich kein großes Drama geben.

Kasuke erinnerte sich an das Rebhuhn in seinem blutigen Maul und raffte sich um nun doch zu Sheila zu stoßen. Sie würde großen Hunger haben und mit Sicherheit auch etwas essen, was von ihm kam. Da war er sich zumindest sicher.
 

Sheila entfernte etwaige Blätter und Zweige aus Haaren und Kleidern und machte sich bereit aufzubrechen. Kasuke dagegen saß wie eine Stunde zuvor, als er mit einem Frühstück gekommen war, schweigend in seiner Tierform am Rand des Lagers und starrte in die Ferne. Er hatte ihr einfach ein totes Huhn in den Schoß gelegt, sich wortlos umgedreht und etwas abseits zusammengerollt. Ob er schmollte oder einfach nichts mit ihr zu tun haben wollte, konnte Sheila nicht erkennen. Als er dann auch nicht aß, spürte Sheila wie Zorn in ihr aufstieg, doch sie hielt sich zurück. Wenn er sich so geben konnte, dann würde sie eben auch nichts mehr sagen.

Nun machte sie sich etwas umständlich fertig um ihm zu signalisieren, dass sie aufbrechen würde. Ob mit oder ohne ihn lag ganz in seinem Ermessen.

Ein wenig unsicher sah Sheila sich um. Sie wusste zwar aus welcher Richtung sie kam, doch wohin sollte sie gehen? SIe musste die anderen Clans aufsuchen, sie versammeln. Sheila hatte lange mit sich gerungen, doch sie wusste, die einzige reelle Chance zurück in ihre Welt zu kommen lag darin, dass Böse in Kemono zu stürzen und den Clans Frieden zu bringen. Die war ihr Schicksal entstanden aus einer Prophezeiung. Vorher durfte sie nicht damit rechnen, ihre Welt wiederzusehen.

Sheila blinzelte zu Kasuke hinüber. Ihn würde sie ganz sicher nicht nach dem Weg fragen, dass ließ ihr Stolz nicht zu. Nichts desto Trotz war sie gerade hilflos.

Ärgerlich sah sie sich um. Aus der Sicht der Clans war sie mächtig auf ihre ganz eigene Weise. Sheila dachte an ihre Vergangenheit. Hatte sie nicht immer ihren Weg gefunden?

Sheila schloß die Augen und versuchte, sich ganz auf ihr Herz zu konzentrieren. Hatte Celine nicht gesagt, dass sie auf ihr Herz hören solle? Wie auch immer sie es gemeint haben mochte, es kam darauf an was Sheila daraus machte. Mehr und mehr vernahm sie ihren eigenen Herzschlagen der ruhig und kräftig gegen ihre Brust schlug. Sie spürte ihr Blut, dass durch ihre Venen und Adern gepumpt wurde und vernahm das Leben, dass damit verbunden war. Um sie herum wurde es zunehmend stiller bis Sheila nur noch sich selbst wahrnahm. Sie war nun alleine in einem selbstgeschaffenen Kosmos. Plötzlich vernahm Sheila einen weiteren Herzschlag. Es war ihr als antworte dieser Impuls dem ihren und riefe sie. Wärme breitete sich in ihr aus, schien ihr Kraft zu geben. Fast sehnsüchtig verzehrte sich ihr eigenes Herz nach dieser Wärme und sagte ihr somit, wer auch immer dort auf sie wartete, er wollte ihr Gutes. Also konnte dies nur der richtige Weg sein. Sheila bestimmte die Richtung und schlug die Augen auf. Sie hatte ihren Weg gefunden.
 

Als sie sich zu Kasuke umwandte um ihm zu signalisieren, dass sie aufbrechen wollte, blickte sie geradewegs in seine eindrucksvollen Augen. Doch er sah sie mit solcher Intensität und scheinbarer Verblüffung an, dass sie sich selbst fühlte als wäre sie soeben aus einer Art Traum erwacht. Plötzlich wurde ihr erst bewusst, was sie soeben bewirkt und erfahren hatte. Es war ihr so selbstverständlich vorgekommen.

"Wie hast du das gemacht?"

Seine Stimme war heiser und rauh und ließ Sheila einen Schauer über den Rücken laufen.

Irritiert sah Sheila auf den Wolf herab, konnte nicht beschreiben was sie erlebt oder gefühlt hatte.

"Ich weiß es nicht, es war auf einmal alles da."

Kasuke erhob sich und wurde zum Menschen. Seine Gestalt beeindruckte Sheila immer wieder und berührte sie unangenehm.

"Du hast soeben eine Fähigkeit eingestezt, die wir "Suchen" nennen. Damit spüren wir Feinde wie Freunde auf. Ich kenne nur wenige, die das können."

Sheila wusste in diesem Augenblick die Antwort bevor Kasuke sie ausgesprochen hatte. Sie hatte Celines Fähigkeiten genutzt und das war auch mit der Grund, warum der Wolf so verdutzt gewesen war. Der Gedanke an Celine und Kasuke versetzte Sheila einen Stich und sie spürte erneut Zorn über sich hereinbrechen. Was war nur aus ihr geworden? Nie war sie jähzornig oder leicht reizbar gewesen, was hatte sich in ihr geändert?

Um Kasuke ihren Ärger nicht zu zeigen wandte sie sich einfach ab und ging den Weg, den ihr ihr Herz wies.
 

Kasuke verlor die Nerven. Diese abweisende Haltung von Sheila tat ihm weh, doch viel schlimmer fand er diese Schwankungen. Er versuchte neutral mit ihr umzugehen und sie war wie die Fahne im Wind, dabei hatte er nichts getan, dass ihren Zorn erklärte.

Hart griff er nach ihrem Arm und zog sie zu sich zurück, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. Das sein Herz in dem Moment einen Schlag aussetzte, als er die Emotionen in den grauen Augen erblickte, versuchte er zu verdrängen.

"Es mag dir nicht passen, dass ich dir helfen will, Sheila, aber ich werde nicht mehr von deiner Seite weichen bis alles durchgestanden ist. Doch ich hasse es, wenn Dinge unausgesprochen bleiben. Lass uns klare Verhältnisse schaffen."

Sheila versuchte Kasuke so emotionslos zu begegnen wie sie konnte und das obwohl sie wusste, dass es ihr nicht gelang. Er gab ihr soeben die Möglichkeit, sich Luft zu verschaffen und sie kämpfte hart mit sich, damit sie ihm nicht genau das entgegenschleuderte, was sie empfand.

Als Kasuke bemerkte, dass sie noch immer versuchte, etwas zu verbergen, empfand er selbst zum ersten Mal Wut.

"Verdammt, sag es. Du brauchst mir nichts vorzumachen und auch sonst niemanden."

Erneut brach ein Sturm in Sheilas Augen vom Zaun und Kasuke wusste, er hatte das richtige gesagt. Ihre Stimme jedoch war kaum ein Flüstern.

"Du willst die Wahrheit? Bitte! Ich hasse auch so vieles, Kasuke. Ich bin es Leid, als Abklatsch einer Person gesehen zu werden. Ich bin ich, ob ich Celine ähnlich sehe oder nicht. Ich will ihr nicht einmal im Innersten ähnlich sein."

Sheila sah nicht nur den Schmerz in Kasukes Gesicht, als sie Celine erwähnte, sondern auch, dass er sie unterbrechen wollte. Sie hob die Stimme und schnitt ihm diese Möglichkeit somit augenblicklich ab.

"Sag nicht, das ist nicht wahr. Ich seh es in deinen Augen, ständig und überall. Wahrscheinlich merkst du das nicht einmal. Celine ist damals gestorben und sie wird in mir nicht auferstehen. Du bist unehrlich zu mir und dir, wenn du es leugnest."

Kasukes Wut nährte sich an der Tatsache, dass er sich selbst nicht mehr so sicher war, ob Sheila Recht hatte.

"Wahrscheinlich willst du so sein wie sie und hast deshalb Phantasien. Du bist Celine in keinster Weise ähnlich, das stimmt. Sie hatte eine Größe, die du nie besitzen wirst. Beschmutze ihren Namen also nicht."

Sheila schluckte hart und betrachte Kasuke durch Tränenblinde Augen. Wäre er in diesem Augenblick ein Wolf gewesen, hätten sich seine Nackenhaare gesträubt, doch so verzerrte sich sein markantes, gutaussehendes Gesicht zu einer Fratze. Die Verzweiflung dahinter wollte Sheila nicht sehen. Eine Verzweiflung darüber, dass Kasuke sich nicht unter Kontrolle hatte. Er bereute seine Worte vom ersten Augenblick an, doch wusste er, dass sie einmal ausgesprochen nicht auszumerzen waren.

Auch Sheila wollte darauf nichts mehr erwidern.

"Ich gehe den Weg ab jetzt alleine. Lebwohl."

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ Kasuke in dem Wissen, dass er ihr nicht folgen würde.
 

EIn bisschen kurz aber lässt auf Großes blicken ^_~

Die Burg

Kapitel 11
 

„Sie hat Temperament, mein lieber Freund.“

Der prachtvolle Adler schüttelte sich und betrachtete wieder die weiße Kugel, in der Sheila zu sehen war, wie sie tränenblind durch den Wald lief.

Harus nickte.

„Und obwohl sie Celine so ähnlich ist, könnten sie nicht unterschiedlicher sein.“

Er sah zu dem eindrucksvollen Einhorn, welches an seiner rechten Seite stand. Der Hengst hieß Konomi und war der Herr der Einhörner, einer der letzten alten und mächtigen Clans die den letzten Krieg überlebt hatten. Eine Legende erzählte, dass es auch noch den legendären Clan der Benu überlebt hatte. Doch niemand hatte je wieder einen Phönix am Himmel schweben sehen. Harus dagegen glaubte, dass sie sich zeigen würden, wenn die Zeit reif wäre.

„Ich denke, dass wir sie nun zur Burg bringen sollten, Konomi.“

Das Einhorn wölbte den bemuskelten Hals zu einem Nicken und verschwand. Hinter Harus und Periphae tauchte Sekura in seiner Menschengestalt auf. Skeptisch beobachtete er noch immer Sheila, die nun an einem Bach Rast machte. Sie weinte scheinbar immer noch.

„Lass ihr Zeit, Sekura. Sie wird sich noch zu etwas Großem entpuppen.“ Periphaes Stimme schnitt hell wie ein Glockenklang durch die Wolken, die diesen Platz umhüllten. Angesichts der Fähigkeit des Adlers, seine Gedanken zu lesen zu können, rümpfte Sekura die Nase.

„Was wird Konomi nun tun?“

Harus verwandelte sich zurück in einen Menschen und musterte Sekura freundlich.

„Er wird Sheila zum Versammlungsort bringen. Währenddessen versammeln wir die fehlenden Clans dort. Es wird Zeit, dass alle Sheila kennen lernen.“

Auch Periphae stand nun wieder in ihrem prachtvollen Gewand neben Harus, jedoch war sie gut drei Köpfe kleiner als er, was ihrer Erscheinung keinen Abbruch tat.

„Wird es sie nicht überfordern, wenn plötzlich der Rat von zehn dämonischen Clans vor ihr steht?“

Harus blickte auf die Kugel und das Bild verschwamm. Es zeigte nun Kasuke, welcher noch immer verloren im Lager saß und nichts mit sich anzufangen wusste.

„Ich denke, sie wird es schaffen.“
 

Sheila hatte sich nur einen Moment der Schwäche gegönnt. Nur einen Moment. Zumindest versuchte sie, sich das einzureden. Sie hatte Kasuke Dinge gesagt, die sie bereute, egal wie sehr er sie verletzt hatte. Doch am meisten bereute sie, dass sie nun alleine mit dem Gefühl war, vollkommen verloren zu sein.

Eine halbe Stunde etwa hatte sie geweint, bis keine Träne mehr übrig gewesen war, die sie hätte weinen können. Auch wenn Tränen nicht halfen ihre Trauer fortzuspülen, so stärkten sie sie.

Ja, einen Moment der Schwäche. Doch sie würde sich nun nie mehr diesen Moment erlauben. Sie hatte eine Aufgabe. Sie musste sie ausführen und dann wäre sie bald wieder Zuhause, in ihrer Welt. Nichts würde sie daran noch hindern.
 

Es war schwer für Sheila, sich auf den Herzschlag zu konzentrieren, der sie leitete. Dazu musste sie ihr Denken vollkommen abstellen, was ihr nicht so Recht gelang. Immer wieder verlor sie die Spur und musste sich in alle Richtungen wenden, bis sie ihn erneut fand, nur damit er ihr wenig später wieder entglitt. Sie kam nur langsam voran, doch mittlerweile war sie davon überzeugt, dass Kasuke ihr nicht mehr folgen würde, also versuchte sie, den Druck auf ihren Schultern ein wenig zu lockern.

Als es dämmerte, hatte sie den Herzschlag bereits seit einer halben Stunde verloren. Frustriert und erschöpft ließ sie sich neben einer kleinen Kiefer auf dem weichen Nadelboden nieder. Sie war so unendlich müde und die Verzweiflung nagte zusätzlich an ihr. Was war sie nur für eine wunderbare Heldin. Sie konnte nicht einmal ihre eigenen Gefühle für kurze Zeit abstellen.
 

Sheila war nur kurz eingenickt, als warmer, feuchter Atem über ihre Wange strich. Erschrocken fuhr sie zusammen.

„Um Himmels Willen….“ Sie fuhr mit der Hand zu Lumidor, doch ein freundliches Wiehern ließ ihre Hand sofort wieder entspannen. Da das braune Pferd so nah vor ihr stand und der Mond nur wenig durch die Zweige brach, hatte das Pferde unheimlich seltsam deformiert gewirkt. Sheila hatte es als solches gar nicht erkannt.

Vorsichtig stand sie auf und streckte dem Tier die Hände hin.

„Was machst du denn hier, mein Schöner?“ Das Pferd stubste recht vertrauensvoll gegen Sheilas Hände und sie strich über die sanften Nüstern. Das Tier schien keinerlei Angst zu haben. Vielmehr hatte es den Anschein, es wolle sie zu etwas aufforden.

°Du siehst schon Gespenster, Sheila!°

Aber war das so abwegig? Hier in Kemono wahrscheinlich nicht.

„Was ist denn das?“

Sheila sprach mehr mit sich. Als sie dem Tier über den kraftvoll geschwungenen Hals fuhr, hatte sie einen Strick ertastet, der um den Hals geschlungen worden war. Rücken und Kopf dagegen waren nackt.

„Ob du mich wohl aufsitzen lässt?“

Was war, wenn dieses Tier wusste, wer sie war, oder für wen die Leute sie hielten? Dies war die Welt der Tiere! Auch wenn dieses Pferd nicht sprach, hieß das nicht, dass es nicht ihre Sprache verstand.

Vorsichtig strich sie dem Tier über den Rücken und schätzte das Stockmaß ab. Gut 1.65 m hoch. Es war zwar ohne Hilfe möglich, sich auf das Pferd zu setzen, aber schwierig.

„Ich hoffe, ich tu dir nicht weh, aber ich schätze, ich bin einigermaßen in Form.“

Sheila atmete einmal tief durch, legte ihre Hände flach auf den Rücken des Tieres und hievte sich hoch. Das Pferd zuckte nicht ein einziges Mal mit der Wimper, obwohl sie glaubte, dass sie sich doch sehr ungeschickt anstellte.

Als Sheila saß, wurde ihr erst so wirklich bewusst, was sie tat. Sie hatte sich voller Vertrauen auf ein Pferd gesetzt, das sie nicht kannte noch wusste sie, was es überhaupt wollte. Noch dazu konnte sie gar nicht reiten.

„Also gut!“, seufzte sie und schloß die Augen. Sie musste einfach vertrauen.

„Ich muss dir leider gestehen, dass ich zum einen keine Ahnung vom Reiten habe, und auch, dass ich mich vollkommen verlaufen habe. Mein Schicksal liegt also in deinen Händen.“

In scheinbar stillem Einverständnis setzte sich das Tier behutsam in Bewegung und Sheila konzentrierte sich alleine auf die Muskeln, die sich unter ihr bewegten.
 

Konomi mochte das Mädchen. Sie hatte ein Gespür fürs Gute, auch wenn er trotzdem fand, dass sie ein wenig leichtsinnig war. Er hatte sie unter einer Kiefer liegend vorgefunden in einem so undurchdringbaren Schlaf, wie ihn nur jemand haben konnte, der das Böse nicht kannte, nicht gespürt hatte.

Sie war nicht einen Augenblick skeptisch oder misstrauisch gewesen. Konomi wusste nicht,

ob das gut oder schlecht war. Vielleicht wäre sie vorsichtiger gewesen, wenn er in seiner wahren Gestalt aufgetaucht wäre. Ein Einhorn war sicher etwas Unglaubliches in den Augen des Mädchens, ein brauner Hengst dagegen war etwas, was sie kannte. Konomi wusste, er hatte richtig gehandelt.

Er konzentrierte sich auf das leichte Gewicht auf seinem Rücken und versuchte Sheila einzuschätzen. Sie war sonderbar, so wie Periphae gesagt hatte, aber würde sie hier überleben? Schon jetzt durchdrang ihn das überwältigende Gefühl, das Mädchen zu beschützen. Seine fast schon väterlichen Gefühle waren stark, schon jetzt in diesem Augenblick und auf einmal verstand er auch, was Kasuke so fertig machen musste. Sich in ein Wesen zu verlieben, das so ungreifbar wie ein Fabelwesen, eine Legende war, war so unmöglich wie falsch.

Und doch wünschte er Kasuke alles Gute. Er hatte den jungen Wolf kennen und schätzen gelernt. Stark und sonderbar weise für sein Alter. Eine würdige Nachfolge des großen Kosos, Kasukes Vater.
 

Irgendwann gegen Morgengrauen hatte das sanfte Schaukeln des Pferdes Sheila in den Schlaf gezwungen. Sie war erschöpfter gewesen, als sie selbst je zugegeben hätte. Sie hatte sich auch lange nicht mehr so geborgen gefühlt wie in diesem Augenblick.

Nach und nach war ihr schlanker Oberkörper nach vorne gesackt und lag nun auf dem kräftigen Hals des Tieres.

Konomi wurde warm ums Herz und er versuchte seine Hufe noch sanfter aufzusetzen.

Erst die Sonnenstrahlen des Tages und das abrupte Halten des Pferdes vermochte Sheila nach Stunden zu wecken.

Verschlafen setzte sie sich auf und suchte nach dem Grund für den Stopp. Sie hatten scheinbar den Wald verlassen und als Sheila sich umwandte stellte sie fest, dass dies schon länger der Fall sein musste, denn von Bäumen war weit und breit keine Spur. Irritiert sah Sheila dann nach vorne, um zu ergründen, ob ihnen womöglich ein Hindernis im Weg lag.

Ihr Herz setzte genau eine Sekunde lang aus, bevor sie überrascht aufkeuchte. °Unglaublich!°

Sie standen auf einer Art Hügel, der sanft in eine Talsohle hin abfiel. Vor ihnen und um sie herum war nur grün zu sehen. Gras wohin man schaute durchdrungen von einem blau glitzernden Fluß der sich durch das weite Land schlängelte und dann zwischen den Felsen des sich auftürmenden Gebirges verschwand.

Doch was sie erst recht beeindruckte und gleichzeitig ein Glücksgefühl in ihr hervorrief, war eine gigantische, scheinbar in den Fels gehauene Burg. Mit dem Gebirge im Rücken und der weiten Ebene vor sich, schien sie uneinnehmbar und gewaltig, doch Sheila spürte gleichzeitig so etwas wie das Gefühl ihrem Heim näher gekommen zu sein.

Mehr zu sich sagte sie: „Das war das Zuhause von Celine.“

Das Pferd unter ihr reckte den Hals als wolle es zustimmen und setzte sich dann wieder in Bewegung.

Innerlich raffte Sheila sich auf. Sie hatte gefunden, was sie gesucht hatte. Nun würde sie Celines Erbe antreten und das nicht alleine, denn sie wusste, man wartete auf sie.
 

Je näher sie der Burg kamen, umso unruhiger und nervöser wurde Sheila, doch die Pracht der mit Flaggen bestückten Zinnen schlugen sie vollkommen in den Bann. Die Mauern der Burg waren so breit und lang wie sie hoch waren und es gab vier kleinere Wachtürme und einen größeren Burgfried, der mittig erbaut worden war. Auch wenn die Türme gewaltig waren, sie schienen kaum Platz wegzunehmen. Und je näher sie kamen umso mehr konnte Sheila sich ausmalen, wie die Burg beschaffen war. Wahrscheinlich war sie nicht nur für den Kampf, sondern auch für die Verteidigung erbaut worden. Dort konnten mit Sicherheit nicht nur tausende von Soldaten, sondern auch viele Zivilisten Sicherheit und Schutz finden.

„Der perfekte Platz, um einen Krieg zu führen und zu überstehen.“ Sheila war zu überwältigt,

um zu merken, dass sie laut gesprochen hatte.

Konomi gab ihr im Stillen Recht. Dies hier war der perfekte Ort um eine Schlacht durchzuführen.

Dann fiel Sheila auf, dass die Fahnen, insgesamt 10, jeweils ein anderes Wappen oder ein anderes Zeichen trugen. Sie waren noch zu weit entfernt, als dass Sheila sie hätte entziffern können, doch ein Zeichen erkannte sie sofort wieder. Ein Schriftzug, der in der hier vorherrschenden Schrift „Wolf“ bedeutete: !( Mit dem Schriftprogramm Windings war das Zeichen unheimlich spektakulär, aber hier krieg ich es leider nicht hin, sry *sniff*)

Fry hatte ihr das Zeichen einmal erklärt, weil jede Wolfsfamilie selbiges in dem Familieneigenen Wappen trug, wie auch Haruto.

Sheila schluckte schwer bei dem Gedanken an ihren guten Freund, den sie womöglich sehr enttäuscht und verletzt hatte.

Da es zehn Flaggen und Wimpel waren, schloß sie daraus, dass es die Wappen der zehn herrschenden Clans war. Hatten sie sich etwa diesen Ort für eine Versammlung ausgesucht? Hatten Periphae und Harus nicht davon gesprochen, dass sie sich sammeln würden, um Pläne gegen den Imperator zu schmieden?

Obwohl sie noch gut zwei Meilen von dem einschüchternden Haupttor, welches mit Eisenbeschlägen gesichert war, entfernt waren, traten sie jetzt schon in den Schatten, den das monströse Bauwerk warf. Sheila hatte das Gefühl, sich ducken zu müssen.

Wenige Meter vor dem Tor steigerte sich ihre Nervosität ins Unermessliche. Sie würde der Mittelpunkt dieser Welt werden, sobald sie dieses Tor durchschritten hatte. Es war so einfach gewesen, sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn sie die Heldin einer ganzen Welt werden würde. Sie hatte sich das wie in einem ihrer Bücher vorgestellt. So einfach und befreiend. Doch diese Last erdrückte sie in diesem Augenblick fast.

In dem Moment, in dem sie sich aufraffte und tief Luft holte, um nicht in Panik zu geraten, öffnete sich fast lautlos das 15 Meter hohe Tor wie von Geisterhand und eröffnete Sheila mehr und mehr den Blick auf einen großen, weitflächigen Burghof.

Und er schien vollkommen leer. Sheilas Handflächen wurden feucht. War sie etwa in eine Falle geraten? Aber wieso fühlte sie sich so sehr mit diesem Ort verbunden?

Erst als sie unter den Wurfschächten hindurch war und das Tor passiert hatte, erkannte sie, dass sie erwartet wurde. Acht Personen standen in Reih und Glied inmitten des Hofes und sahen ihr entgegen.

Die Clanoberhäupter, wie sie vermutete. Sie alle waren in ihrer menschlichen Gestalt erschienen und Sheila erkannte sofort Harus, Periphae und Sekura.

Als das Pferd kaum zehn Meter vor den Oberhäuptern stoppte, lächelte Periphae Sheila liebevoll an.

„Schön, dass du hierher gefunden hast!“
 

An diesem Punkt muss ich mich herzlich bei Makochou-chan bedanken, die mir sehr geholfen hat. Mein GOtt, ich habe Fehler *deprimiertist*! Gut , dass ihc mich auf dich verlassen kann ^^ *knutscha*

Herzenskampf

Herzenskampf
 

Plötzlich schien alles um Sheila zum Leben zu erwachen. Als hätte die Burg ihren Atem angehalten und nun erleichtert ausgeatmet.

Sheila nahm Menschen wahr, die ihrem Tagewerk nachgingen und hier und da verstohlen herüber sahen. Auch Wesen dämonischer Natur waren zu sehen, jedoch schienen die Menschen darin keinerlei Problem zu sehen.

Sie lebten und arbeiteten miteinander als wären sie alle gleich. Aber warum wunderte es Sheila auch? Sie war hier die einzige Außenseiterin. Nur für sie war das seltsam und unwirklich.

Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder den Clanoberhäuptern, die sie teils wohlwollend teils erwartungsvoll ansahen. Sekura musterte sie unverhohlen und Sheila bekam eine Gänsehaut. Es würde schwer werden, sein Vertrauen zu gewinnen. Er glaubte nicht so einfach an ihre Rolle wie die anderen Dämonen.

Dann erst musterte sie die anderen Dämonen. Sheila kannte nur drei von ihnen, Periphae, Harus und Sekura. Adler, Hirsch und Panter. Kasuke fehlte, auch wenn seine Fahne über der Burg gehisst worden war. Trotzdem ahnte Sheila, dass es nicht lange dauern würde und auch Kasuke würde mit von der Partie sein. Ein wenig fürchtete sie sich vor diesem Treffen, aber ab jetzt würden sie sich auf neutralem Boden gegenüber stehen.

Sheila atmete einmal tief durch und saß von dem Braunen ab. Sie wollte den Oberhäuptern in die Augen sehen können. Sie brauchte das Pferd nicht um sich stark zu fühlen. Sie würde es ihnen beweisen.

Ohne auffällig zu starren begutachtete Sheila die Dämonen, die ihr noch unbekannt waren.

Direkt neben Sekura stand ein Mann, der seltsamer nicht hätte aussehen können. Es war schwierig für Sheila ihn zu beschreiben. Er hatte eine bläuliche Haut und es sah so aus, als hätte er Schuppen. Sein Haar war schwarz und seine Augen waren so stürmisch Grau, wie die ihren. Das waren die offensichtlichen Dinge, doch Sheila hätte seine ganze Gestalt als geschmeidig……ja fast stromlinienförmig beschrieben. Stromlinienförmig…womöglich ein Wesen des Wassers? Er war sehr groß und überragte bei weitem eine kleine, zierliche Frau. Sie trug keine Kleider, denn sie war fast geschlechtslos. Alle Formen und Rundungen waren von einem feinen Haarfilm überzogen, der eine leicht rötliche Färbung besaß, wie ihr schulterlanges Haar. Welches Tier sie darstellte, war Sheila sofort ersichtlich durch die violett, schwarzen Flügel. Ein Schmetterling, dachte Sheila entzückt.

Der Mann neben dem Schmetterling hatte nichts Menschliches mehr an sich. Er war durch und durch ein Dämon. Er war fast zwei Meter groß und stand aufrecht. Seine Haut war grün und dick wie ein Panzer. Er hatte das Gesicht einer Echse, trug jedoch die Kleider eines Kriegers. Gegen dieses Monstrum war der rothaarige Junge daneben fast winzig. Er war von menschlicher Gestalt wie Sekura und Kasuke, jedoch hatte er einen Schwanz, was ihn eindeutig als Fuchs auswies.

Der letzte in der Reihe war eindeutig ein Bär. Obwohl er von menschlicher Gestalt war. Er hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Haruto, war jedoch noch breiter und größer. Auf den ersten Blick schien er schwerfällig und seine braunen Augen ein wenig einfältig, doch Sheila ahnte, dass dem nur augenscheinlich so war.

Adler, Hirsch, Panter, Fisch, Schmetterling, Echse, Fuchs und Bär. Acht von zehn Clans waren vertreten. Kasuke verkörperte den Wolf, wer war also das zehnte Oberhaupt im Bunde? Sheila hörte, wie der Braune hinter ihr sich in Bewegung setzte. Er schritt an ihr vorbei und stellte sich zu Periphae. Irritiert beobachte Sheila wie sich zunächst die Fellfarbe des Pferdes von braun in weiß veränderte. Sein Schweif wurde zu einem weißen Schwanz, ähnlich dem eines Löwen und seine ganze Gestalt graziler. Zuletzt wuchs dem Schimmel ein silbrig glänzendes Horn aus der Stirn.

Sheila fiel buchstäblich alles aus dem Gesicht. Ein Einhorn. Sie hatte die ganze Zeit auf einem Einhorn gesessen, noch dazu auf einem der Clanoberhäupter. Sheila hatte das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die tiefe, wohltönende Stimme von Harus holte sie jedoch in die Wirklichkeit zurück.

„Willkommen, Herrin. Wir haben Euch bereits erwartet.“

Der respektvolle Ton verwirrte Sheila ein wenig und sie wusste nicht wie sie sich verhalten sollte. Machte man einen Hofknicks oder reagierte man gar nicht erst. Sheila stellte sich vor, wie sie einen Hofknicks machte und verwarf die Idee sofort wieder. Damit würde sie sich zum Gespött der Leute machen.

Periphae bemerkte, dass Sheila unsicher war und ergriff die Initiative. Sie kam dem Mädchen entgegen, wobei es wie immer so aussah als würde sie schweben.

„Ich werde Euch in eure Gemächer bringen. Ihr seid sicher müde und sehnt Euch nach einem erholenden Bad.“

Sheila nickte erleichtert und folgte der Adlerdame in die Burg, sich den Blicken der anderen vollkommen bewusst.
 

Die Augen geschlossen, versuchte Sheila sich zu entspannen und jeglichen Gedanken an diese Welt abzustellen. Es gelang ihr nicht. Zu sehr war sie überrumpelt von den vielen verschiedenen Eindrücken.

Periphae hatte sie durch ein Labyrinth von Gängen und Treppen in ein hell erleuchtetes Zimmer geführt, dass jeder Königin gerecht geworden wäre. Das mit schwerem, rotem Samt behangene Himmelbett, aus kräftigem Eichenholz gefertigt, lud nur gerade dazu ein, sofort einzuschlafen und zu träumen. Der nackte Steinboden war mit dicken Teppichen ausgelegt und eine Chaiselongue stand direkt vor einem beeindruckenden Kamin in dem ein einladendes Feuer brannte.

Was Sheila jedoch von dem Bett ablenkte war eine gusseiserne Badewanne aus der es dampfte und die einen wundervollen Geruch verströmte. Keine zwei Minuten später saß Sheila in der Wanne und genoss diesen Luxus, der ihr zuhause immer wie selbstverständlich erschienen war.
 

Lange hatte Sheila sich nicht mehr so sauber gefühlt. Wie lange, konnte sie nicht sagen, denn Sheila hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Deshalb schätzte sie auch, dass etwa eine halbe Stunde vergangen war, als zwei junge Mädchen schüchtern in das Zimmer eintraten. Sie trugen beide schwarze Leinenkleider und weiße Schürzen und Spitzenhäubchen. Stets den Blick gesenkt, halfen sie Sheila aus der Wanne und in ein raues, aber sauberes Handtuch aus Leinen. Frotée kannten sie hier nicht, stellte Sheila seufzend fest. Was erwartete sie denn auch. Die letzten Wochen hatte sie sich in einem See oder an einem Bach gewaschen. Das hier war purer Luxus.

Ein weiteres Mädchen kam herein und auch sie hielt die Augen gesenkt. Keiner von ihnen wagte es etwas zu sagen oder auch nur sie anzusehen. Sheila war unwohl bei diesem Verhalten. Die Mädchen waren kaum jünger als sie selbst. Sheila wollte grade das Wort an sie richten, als sie das Kleid erblickte, das die dritte Dienerin im Arm trug.

Es war von einem leuchtenden grün und Sheila bemerkte, dass es aus wertvollem, schwerem Samt geschneidert worden sein musste. Das Kleid war recht weit ausgeschnitten und der Ausschnitt mit einer farbgleichen Bordüre verziert. Um die Taille wand sich eine dicke Kordel die nicht nur zur Zierde, sondern auch als Gürtel diente. Die Enden der Kordel, die aus Leinen Geflochten worden war, hingen zur linken Seite herab. Der Rock des Kleides warf schlicht Falten und war sehr lang.

Was Sheila jedoch am Meisten beeindruckte war, dass dieses Kleid, trotz der Schlichtheit in ihren Augen königlich aussah. Nahezu prachtvoll.

Geduldig ließ Sheila sich von den stummen Mädchen ankleiden und frisieren. Nur als sie ihr ein Korsett anlegen wollten, weigerte Sheila sich. Die Mädchen sahen sie zwar entsetzt an, sagten aber weiter nichts. Zumindest in dieser Hinsicht war Sheila froh, dass ihr Wort anscheinend Gesetz war.

Als die Mädchen mit ihrem Werk zufrieden waren, schoben sie einen leicht verzerrten Spiel vor Sheila. Doch der Spiegel hätte noch blinder sein können, Sheila verschlug es die Sprache.

Die Dienerinnen hatten ganze Arbeit geleistet mit ihren langen schwarzen Haaren und sie kunstvoll hochgesteckt. Sheila wusste nicht, wann sie ihre Haare das letzte Mal so ordentlich gesehen hatte. Das Kleid machte sein Übriges. Sheila hatte das Gefühl, dass genau so eine Hexe aussehen musste. Das grüne Kleid hob ihre grauen Augen besonders hervor. Eine ungewöhnliche Augenfarbe, deren Intensität nun noch deutlicher hervorgehoben wurde.

Sheila hatte sich verändert. Lange hatte sie sich nicht mehr im Spiegel betrachtet und nun stand hier fast schon eine Frau vor ihr. Eine junge, zugegeben, aber dass sie eine geworden war konnte man nicht leugnen.

Sie ertappte sich dabei, dass sie sich fragte, was Kasuke wohl in ihr sah. Der Wolf war ihr ein Rätsel. Doch ihre wärmenden Gedanken an ihn waren es umso mehr.

Ein Klopfen holte sie in die Wirklichkeit zurück. Da die Dienstmädchen nicht reagierten, forderte Sheila die Person vor der Tür auf, hereinzukommen. Es war ein Mensch. Sofort musste Sheila über ihre Gedanken lachen, aber es war eben hier eine Überraschung, wenn man einen Menschen traf.

Es war ein Mann mittleren Alters, der zwar kein Problem damit hatte Sheila anzusehen, aber seine Unterwürfigkeit war eindeutig zu erkennen.

„Herrin, ich bitte Euch mir zu folgen. Die Anführer warten auf Euch im alten Thronsaal.“

Sheila spürte, wie ihr Herz zu fliegen anfing und sie schluckte schwer. Sie würde ihnen nun entgegentreten müssen. Wieso hatte sie nur das Gefühl, zur Schlachtbank gerufen zu werden?
 

Der Mann führte Sheila wieder durch die irreführenden Gänge, doch je näher sie dem Saal kamen, desto höher wurden die Räume und Flure und umso prachtvoller und heller waren sie eingerichtet.

Und Sheilas Herz schlug von Schritt zu Schritt heftiger sodass sie, als sie die drei Meter hohe Doppeltür erblickte fast einem Infarkt nahe war.

Der Mann öffnete die Tür, die schwer und laut in den Angeln knarrte, und kündigte sie lauthals an, was Sheila erröten ließ.

Sie fand sich in einer großen, von gigantischen Buntglasfenstern erhellten Halle wieder, die mit Wandteppichen geschmückt worden war. Die Teppiche gaben Legenden und Geschichten von Helden und Königen wieder, doch Sheila hatte keine Zeit sich die Bilder genauer anzusehen. Wenige Meter vor ihr saßen die Oberhäupter an einem langen schmalen Tisch und sahen ihr entgegen. Vor jedem stand ein Kelch und sie waren vollzählig, wie Sheila erkannte als sie Kasukes Gesicht wieder erkannte, der seinen Blick nicht von ihr lösen konnte.

So wie alle anderen.

Sheila war zwar bescheiden, sich aber ihrer Wirkung vollkommen bewusst. Da sie sich dumm vorkam, so wie sie da stand, ging sie ruhig und so galant wie möglich zu dem einzig freien Platz am Kopfende des Tisches, was mit dem langen Rock ihres Kleides nicht ganz einfach war.

Als sie saß bemerkte sie den wohlwollenden Blick von Periphae und Harus. Sheila nickte ihnen dankbar zu.
 

Zunächst wurde den zehn Clanführern und Sheila Speisen und Getränke gereicht und Sheila bemerkte erst jetzt, wie sehr sie eine ordentliche Mahlzeit vermisst hatte. Es wurde nicht nur Brot und Fleisch, sondern auch aller Art Gemüse und Obst dargeboten und Sheila freute sich über einen einfachen Apfel mehr, als über jedes Stück Fleisch, welches den großen Tisch zierte.

Doch sie bekam kaum einen Bissen herunter. Sie hatte Kasuke vielleicht nur wenige Stunden nicht gesehen, wenn es hoch kam einen Tag und doch kam es ihr so vor, als wenn sie sich eine Ewigkeit nicht gesehen hätten. Sheila wusste, dass sie sich in dem Augenblick verändert hatte, in dem sie diese Burg betreten hatte und nun sah sie den Wolf aus einem anderen Blickwinkel. Er war eine stattliche Erscheinung in seiner schwarzen Lederhose und in dem weißen Leinenhemd, doch Sheila schien zum ersten Mal wirklich das Feuer in seinen unglaublichen Augen zu bemerken.

Das sie ihn schon viel zu lange angestarrt hatte, fiel ihr erst auf, als er aufsah und ihr Blicke sich trafen. Sheila wurde heiß und kalt zugleich und sie hatte nicht die Kraft seinem Blick stand zu halten. Beschämt senkte sie die Augen und versuchte sich ihrer Mahlzeit zu widmen, sich Kasukes Aufmerksamkeit vollkommen bewusst.

Sie war verwirrt. Vielleicht kam in ihr auch ihre Vorfahrin durch. Celine hatte Kasuke geliebt, daran gab es keinen Zweifel. Sheila hatte das gefühlt, was Celines Herzen entsprungen war und sie hatte Kasukes Augen gesehen, wie er Celine im Traum angesehen hatte und wie er darauf reagiert hatte, als er Sheila als Reinkarnation erkannt hatte.

Unvorbereitet traf Sheila ein leiser Stich und sie wusste, dass sie es nicht akzeptieren konnte, nur als Wiedergeburt gesehen zu werden. Von Keinem und schon gar nicht von Kasuke. Deshalb hatten sich ihre Wege getrennt und dabei würde es bleiben. Und wieso dachte sie dann an ihn? Weil er ihr eine Bleibe gewährt hatte? Unwahrscheinlich. Er war nicht gerade freundlich zu ihr gewesen. Aber was spielte dann so mit ihr und ihrem Herzen? Wenn es Celines Gefühle waren, dann musste Sheila sie verbannen, sie auslöschen. Sie war auf ihre Art einzigartig und das würde sie sich nicht streitig machen lassen und erst Recht nicht von einem Geist.

Gleichzeitig hasste Sheila sich für solch Gedanken. Interpretierte sie nicht zu viel in die Situation? Steigerte sie sich nicht zu sehr in das Ganze hinein?

Sheila seufzte leise und fing sich einen Blick von Sekura ein, der das Mädchen und den Wolf beobachtet hatte. Sekura wusste nicht so wirklich was er von Sheila halten sollte. Er hatte früh gelernt nicht an Wunder zu glauben. Nicht Wunder hatten seinen Clan gerettet und er glaubte auch nicht, dass der große Clan der Phönixe wieder erwachen würde. Andererseits, wäre das Mädchen erfolgreich, dann war es auch gut. Der Panter legte nicht zu viel Hoffnung in Sheila, doch r ersehnte sich in seinem tiefsten Inneren ebenfalls Frieden, so wie jedes andere Wesen dieser Welt. Er konnte sich nur nicht wirklich erklären, wie dieses schmächtige, zarte Lebewesen diese Welt retten sollte. Sie war nicht zum Beschützen geboren worden, sondern um beschützt zu werden. Von ihm beschützt zu werden.

Diese Erkenntnis traf Sekura hart und ärgerte in gleichzeitig maßlos. Sie hatte ihn um den Finger gewickelt, so wie seinen Freund Kasuke. Doch er musste zugeben, dass sie nicht dazu beigetragen hatte.
 

Am Ende des Tisches saß Konomi, nun in seiner Menschengestalt. Sein langes silbrig glänzendes Haar hatte er zu einem lockeren Zopf zurückgebunden und das Horn auf seiner Stirn täuschte nicht darüber hinweg um wen es sich handelte. Seine Gesichtzüge waren ernst, elegant und freundlich zugleich, doch nun hatten sich seine dunklen Augenbrauen besorgt zusammengezogen. Gota, die Schmetterlingsfrau, die ihm gegenübersaß folgte seinem Blick zu Sheila.

„Ein erstaunliches Mädchen. Ich könnte sie noch so gut kennen und niemals einordnen.“ Ihre Stimme war so sanft wie ihre Flügel zart waren. Bei diesem Klang glättete sich Konomis Sorgenmiene.

„Sie ist wundervoll. Sheila trägt mehr Liebe in sich, als wir alle zusammen. Ich habe noch nie einen so gutmütigen Menschen getroffen. Nicht einmal einen Dämonen. Sie könnte sich wahrlich mit den großen Phönixen messen.“

Xantus die Echse hörte den Beiden interessiert zu, ebenso der Fuchs Inari.

„Die Phönixe sssssind nicht umsssonsssst ausssgerottet worden.“ Inari nickte Xantus zu.

„Das ist wahr. Es könnte ihr zum Verhängnis werden.“

„Oder ihre stärkste Waffe.“ Konomi sah wieder zu Sheila, die sich übertrieben mit ihrem Essen beschäftigte.

„Um ihre Sicherheit müssen wir uns jedenfalls keine Sorgen machen. Sie hat zumindest zwei Leibwächter die ihr nicht mehr von der Seite weichen werden.“

Aller Augen wandten sich Kasuke und Sekura zu.
 

SO das wars ersteinmal wieder ^^ Bussi an Euch Schätze

Versammlung

Als alle gesättigt waren, stand Konomi auf und jede Unterhaltung verstummte. Sheila hatte mit niemandem ein Wort gewechselt, so unwohl hatte sie sich gefühlt.

Umso glücklicher war sie, dass Konomi nun wieder den Tagesablauf in die Hand nahm.

Er klatschte in die Hände und lächelte in die Runde, wobei sein Blick zuletzt auf Sheila ruhte.

„Ich bitte Euch nun, liebe Freunde, mir in die Bibliothek zu folgen. Ich finde es ist an der Zeit auf die Probleme dieser Welt zu sprechen zu kommen.“

Sheilas Herz machte einen Satz. Endlich kamen sie voran. Bald würde sie womöglich verstehen, was ihre Aufgabe war und die Ziele der zehn Clans.

Immer noch ein wenig überfordert mit ihrer Situation, versuchte Sheila sich hinter der

Gruppe zu halten, doch Periphae war bald an ihrer Seite. Die Adlerdame hakte sich bei Sheila ein und drückte beruhigend ihre Hand.

„Mach dir keine Sorgen mein Kind. Keiner hier zweifelt wirklich an dir. Setz dich nicht unter Druck.“ Erst jetzt, da Periphae es aussprach, bemerkte Sheila, dass ihr größtes Problem darin lag, dass Sheila Angst hatte zu versagen. Sie wollte so gerne den Erwartungen der Dämonen und dieser Welt entsprechen, aber es war doch so schwer. Sheila atmete tief durch und rüstete sich. Periphae nickte anerkennend.

„Gut so mein Kind.“
 

Auf dem Weg zur besagten Bibliothek durchstreiften sie weitere hohe Gänge mit überdimensional großen Fenstern, die entweder auf den Burghof oder die Weite vor der Burg blicken ließen. Die Streben des Ganges waren mit Stuck verziert und doch schlicht und hier und dort befanden sich Gemälde von Burgbewohnern und Helden. Was Sheila sofort bemerkte, war die Tatsache, dass es nicht nur Dämonen waren, die diese Bilder zierten, sondern auch Menschen, meist wunderschöne Frauen in beeindruckenden Kleidern und Roben. Periphae erzählte ihr währenddessen alle Namen der Clanführer und ihr Herkommen.

Ein Gemälde ließ Sheila stutzen und sie blieb stehen. Periphae folgte ihrem Blick. Sheila meinte, sich darin wieder zu erkennen.

„Ja, das ist Celine, mein Kind.“

Sheila schluckte. Obwohl Celine kerzengerade auf einem Stuhl saß und einen ernsten und fast schon überheblichen Ausdruck im Gesicht hatte, schien alles an ihr weich und verführerisch. Sie trug ein feuerrotes Kleid, welches außergewöhnlich tief ausgeschnitten war und eine in gold gefasste Perlenkette wand sich um den schlanken, langen Hals. Sie hatte ihre feingliedrigen Hände im Schoß gefaltet und saß leicht seitlich, wobei ihr Gesicht jedoch genau dem Maler zugewandt war.

„Ihre Augen sind wie meine und doch sehe ich etwas ganz anderes in ihnen.“

Periphae sah Sheila an. Sie hatte geahnt, dass Sheila sich mit der Frage quälte, ob sie nur ein Abbild Celines war oder ein Individuum.

„Aussehen ist nicht alles, mein Kind. Zwischen euch liegen Welten.“

Sheila nickte und wandte den Blick ab.

„Ich weiß, dass sie anders ist….war. Aber wissen es auch alle anderen? Sehen sie vielleicht etwas in mir, dass ich nicht sein kann?“

Periphae lächelte, sodass sich kleine Fältchen um ihre gelblichen Augen bildeten.

„Meinst du Kasuke oder alle?“

Sheila errötete und versuchte, einen Ausweg aus dem Fettnäpfchen zu finden.

Die Adlerdame tätschelte ihr aber beruhigt die Hand, während sie den anderen wieder folgten.

„Der Wolf ist vielleicht vorgezeichnet, aber unterschätz ihn nicht. Auch er wird lernen, dass man die Vergangenheit nicht wieder beleben kann.“

„Hoffentlich!“, dachte Sheila
 

Vor einer weiteren gigantischen Doppeltür machten sie Halt. Das Zedernholz war mit rotem Samt ausgekleidet und auf beiden Flügeltüren waren Bilder eingenäht. Sheila trat einen Schritt näher und besah sich die Stickerreien.

Sie zeigten Menschen, scheinbar Gelehrte, die lasen, schrieben oder zeichneten.

„Dieser Raum dient nicht nur als Bibliothek, sondern wurde schon immer als Versammlungsraum, als Rückzugsmöglichkeit oder schlicht weg für die Bildung der Jungen genutzt“. Konomis dunkle Stimme drang an Sheilas Ohr. Er war an sie heran getreten, als er gesehen hatte, wie sie sich die Türen näher angesehen hatte.

Ein Angestellter, der es nicht wagte sie alle anzusehen, kam herbei geeilt und öffnete feierlich die Türen und bat sie einzutreten.

Sheila, der noch immer unbehaglich war, wenn sich jemand so unterwürfig verhielt, trat an den jungen Mann heran und legte ihm eine Hand auf den Arm. Erschrocken wäre er am Liebsten zurückgewichen, doch seine Ausbildung ließ dies nicht zu.

„Vielen Dank. Darf ich dich nach deinem Namen fragen?“

Dem Jungen fielen fast die Augen aus dem Kopf und Sheila schien das zunehmend absurder. Der Diener war so alt wie sie. Nervös blickte er den Dämonen hinterher und als er bemerkte, dass sich der Wolf und Herr Konomi umgewandt hatten, wollte ihm fast das Herz stehen bleiben.

„Ho…Hotori, Herrin.“

„Vielen Dank, Hotori. Versprichst du mir etwas?“

Der Junge nickte eifrig.

„Bitte tu mir den Gefallen und nenn mich bei meinem Namen. Ich heiße Sheila!“ Sie reichte dem schon sowieso kalkweißen Diener die Hand, der daraufhin noch eine Nuance bleicher wurde. Weil er nicht reagierte, nahm Sheila einfach die seine und drückte sachte.

„Ich möchte, dass wir jetzt Freunde sind.“

Ein weiteres Mal nickte der Junge, doch so langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.

Als Sheila sich nun umdrehte und den anderen in die Bibliothek folgen wollte, sah sie in zehn, unterschiedlich dreinblickende Gesichter. Einige sahen ungläubig zu dem Diener und ihr, doch Sekura, Kasuke und Konomi wirkten eher überrascht.

„Er ist doch auch nur ein Mensch so wie ich. Wieso sollte er vor mir Angst haben?“
 

Die Bibliothek war der Wahnsinn. Ein Paradies, wie Sheila fand. Die Decke war fünfzehn Meter hoch und fünfzehn Meter breit und in mehrere Etagen von Bücherregalen unterteilt, die durch eine Treppe erreicht werden konnten. Die obersten Bücher waren durch eine rollende Leiter zu erreichen, die über eine ovale, dem Raum angepasste Schiene lief.

Der ganze Raum war mit dunklem Teakholz ausgestattet, genauso wie der gigantische, runde Tisch in der Mitte des Raumes, so wie die Schreibpulte, die überall verteilt standen und mit Tinte und einer Gänsefeder ausgestattet worden waren. Doch der Raum wirkte deshalb nicht düster, sonder behaglich und warm durch die vielen Goldtöne die in den Wandbehängen, Vorhängen der zwei großen Fenster rechts neben der Tür und vielen Verzierungen eingearbeitet worden waren, die die Regale, Stühle und Tische verschönerten.

Die Clanführer sammelten sich um den Tisch, während Sheila über die Bücheranzahl staunte. Hoffentlich hatte sie irgendwann einmal die Möglichkeit hier zu stöbern.

Konomi wartete, bis jeder Platz genommen hatte, dann stand er auf. Er streckte seine Hand aus, sodass die Handfläche etwa einen Meter über dem Tisch schwebte.

Langsam entstand ein Glühen, was sich zunehmend ausbreitete. Sheila, scheinbar die einzige, die dies noch nicht gesehen hatte, beugte sich herüber, um alles genau beobachten zu können.

Eine Lichtkugel breitete sich nun nach und nach aus und wurde zusehends größer, bis es die Tischplatte berührte. Konomi nahm die Hand von der Kugel und das Licht verblasste und es war eine feste Form zu erkennen, mit Linien und Farben.

Konomi wandte sich an Sheila: „Darf ich vorstellen, Sheila. Unsere Welt: Kemono.“

Auf den ersten Blick sah sie der Erde sehr ähnlich, doch es gab nicht mehrere Kontinente, wie Amerika, Europa oder Afrika. Über den Globus zog sich in Form eines Bandes eine einzige Landmasse, nur die Küsten waren von einzelnen Inseln gespickt. (eine Zeichnung des Globus habe ich in den Charakteren hochgeladen.)

Konomi schnippte mit den Fingern und die Landmasse verfärbte sich in drei verschiedene Farben.

„Kemono ist durch ein Gebirge gigantischen Ausmaßes getrennt. Wir nennen es die kalten Berge, der Lebensraum großer Drachenschwärme“.

Drachen! Sheila fühlte sich erneut in einen Traum zurückversetzt.

Konomi machte eine leichte Handbewegung und der Globus bewegte sich ein wenig im Kreis, sodass jeder an der Tafel einen Blick auf den rot schraffierten Westen hatte.

„Es ist ein wesentlich kleinerer Teil von Kemono, aber alles hier ist von dem Imperator und seiner Armee unterworfen worden. Manche Teile schon seit unzähligen von Jahren, sodass kaum einer der Menschen sich dort noch daran erinnern kann, wie es früher einmal gewesen ist“. Ein Schatten zog über Konomis Gesicht. Harus, der rechts von ihr saß, beugte sich zu Sheila herüber: „Dieser Teil des Landes ist einmal von den Phönixen beherrscht worden. Der Imperator hat sie den Legenden nach vernichtet. Konomi kannte diesen Clan noch.“

Sheila nickte Harus zu, dass sie verstanden hatte. Welche Verbindung Konomi auch zu dem Clan der Phönixe gehabt haben mochte, es bekümmerte ihn sichtlich, dass der Imperator dieses Gebiet noch immer beherrschte.

Ein weiteres Mal drehte der Globus sich und Sheila bekam Sicht auf den größten Teil Kemonos, welcher grün gekennzeichnet worden war.

„Das ist der freie Teil unserer Welt. Bisher haben es nur kleine Truppen geschafft, die Berge zu überqueren, um unsere Dörfer zu terrorisieren. Leider muss ich sagen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Imperator genug Kraft gesammelt hat, um sich den Gefahren der kalten Berge zu stellen und uns anzugreifen. Vielleicht gelingt es ihm sogar, die Drachen für sich zu gewinnen“.

Xantus stand auf und Konomi nickte, um ihm die Möglichkeit zu gewähren, sich zu äußern.

„Issst dasssss nicht ssssehr unwahrssssscheinlich? Der Herr der Drachen hat nur den Phönixen Freundssssschaft gesssschworen.“

Konomi nickte.

„Das ist wahr. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Clan der Phönixe schon seit Jahren als ausgerottet gilt. Die Drachen sind schwierig und unberechenbar. Sie könnten sich auf die Seite schlagen, die sie für nützlich erachten“.

Die meisten nickten, der ein oder andere senkte den Blick, scheinbar in Gedanken versunken. Sheila wandte einen Augenblick den Blick vom Globus und sah sich nach Kasuke um. Er saß links von Konomi. Obwohl er wie immer zu sein schien, merkte sie ihm an, dass er kaum bei der Sache war. Er schien sich seine eigenen Gedanken zu machen und sie waren nicht gerade die schönsten, was seine verkrampfte Haltung erklärte.

Nun meldete sich der kleine Fuchs Inari zu Wort. Seine piepsige Stimme hallte durch den hohen Raum.

„Nun gut, wir wissen was uns bevorsteht. Aber haben wir auch schon einen genauen Plan, wie wir vorgehen sollen?“

Konomi sah zu Harus herüber, der sich daraufhin erhob. Da der Hirsch riesig in seiner Menschengestalt war, musste Sheila ihren Kopf fast gänzlich in den Nacken legen.

Einen kurzen Augenblick spürte sie den Blick Kasukes, dann widmete er seine Aufmerksamkeit ganz Harus.

„Zunächst sollten wir unsere Truppen mobilisieren und hier in der Ebene vor der Burg lagern lassen. Im Moment schätzen wir eine Stärke von etwa 20 000 Dämonen. Der nächste Schritt wäre zu überlegen, ob wir Menschen rekrutieren sollten. Da sie keinen Fürsprecher haben, wird dies Sheila übernehmen.“

Erschrocken fuhr Sheila auf.

„Wie bitte? Das ist doch ein Witz, oder?“

Sheila sah in die Runde, doch zu ihrem Entsetzen lachte niemand.

Konomi stand erneut auf und hob beschwichtigend die Hand.

„Du bist die Einzige, die unseren und den Truppen der Menschen Hoffnung geben kann. Solltest du der Meinung seien, dass die Menschen diesem Krieg nicht gewachsen sind, werden wir sie in Frieden lassen“.

Sheila erhob sich nun ebenfalls.

„Ich kann diese Entscheidung nicht fällen. Ich kann doch nicht über Leben und Tod entscheiden. Was auch immer ich entscheide, es ist falsch. Wenn ich die Menschen heraushalte, könnte die Truppenstärke nicht ausreichen. Andernfalls könnte es den Menschen das Leben kosten, da sie nichts gegen Dämonen ausrichten können.“

Konomi und Harus nickten.

„Dies ist deine erste Prüfung. Wir können dir diese Last nicht abnehmen.“

Sheila spürte Zorn in sich aufsteigen.

„Warum, um Himmels Willen, lasst ihr mich über Menschen entscheiden, als wenn sie Vieh wären? Was soll das für eine Prüfung sein?“

Periphae sah zu den beiden Clanführern. Typisch Männer. Vollkommen taktlos.

„Hör mir zu, mein Kind. Seitdem der Imperator sich einen Namen gemacht hat, sind die Menschen uneins. Wir können sie nicht mehr erreichen. Sie haben Angst vor uns.“

Sheila dachte an ihre eigene Gefühle, den Dämonen gegenüber und die Unterwürfigkeit der menschlichen Dienerschaft.

„Habt ihr euch vielleicht einmal gefragt, ob es eventuell an euch liegt? Habt ihr euch jemals darum bemüht mit den Menschen Freundschaft zu schließen? Sie zu verstehen?“

Sheila bemerkte, dass der großen Echse beinahe der Kragen vor Wut platzte, während Gota und Inari erschrocken dreinblickten, angesichts des Temperaments, das ihnen entgegenschlug. Einzig Kasuke musste schmunzeln. Er hatte diese Ausbrüche schon erleben dürfen.

„Natürlich haben sie Angst. Sie sind euch haushoch unterlegen und ihr habt scheinbar niemals den Versuch unternommen, ihnen klar zu machen, wie viel sie wert sind.“

Nun hatten zumindest ein paar der Clanführer den Anstand bedröppelt drein zu schauen.

Harus wandte sich direkt an Sheila.

„Du hast Recht und ich schäme mich, das zugeben zu müssen.“ Er neigte den Kopf und Sheila wurde ein wenig mulmig zumute. War sie vielleicht ein wenig zu sehr ausgerastet?

„Würdest du uns helfen, zu den Menschen zu finden, sodass wir anfangen einander zu verstehen?“

Was sollte sie darauf schon sagen? Sie nickte und wusste, dass sie nun aktiv an dieser Geschichte beteiligt war.
 

Etwa zwei Stunden versuchten sie sich darauf zu einigen, wie sie weiter vorgehen sollten. Wie Harus bereits gesagt hatte, würden alle Clans sich zunächst einmal vor den Toren der Burg einfinden. Währenddessen wurden Boten des Vogelclans zu den Dörfern der freien Zone fliegen und die Anführer der Menschen zusammentrommeln. Hier kam Sheila ins Spiel. Sie würde mit den Menschen Kontakt aufnehmen und deren Meinung zu dem Ganzen erfragen und versuchen zwischen den Dämonen und den Dörfern zu vermitteln. Der Clan der Echsen würde für Waffen sorgen, da sie die besten Waffenschmiede waren und Sekura und einige seiner erfahrensten Kämpfer sorgten für die Ausbildung der Soldaten.

Für die Verpflegung der Truppen würde jeder Clan für sich sorgen, da jeder Dämon eine andere Vorliebe an Nahrung hatte.

Letztendlich bekam jeder Clan eine andere Aufgabe. Die Wölfe waren als Späher bestens geeignet, während die Insekten unter der Erde und in den Lüften Patrouille flogen und gruben.
 

Irgendwann, nachdem sie sich mehr und mehr überflüssig fühlte, hatte sie sich entschuldigt und einen Weg nach draußen gesucht. Sie brauchte jetzt ein wenig Abstand, um sich an ihre Aufgabe zu gewöhnen, sie überhaupt erst einmal zu begreifen. Sie hatte Angst. Natürlich hatte sie Angst. Das was ihr da bevorstand, war das Größte, was sie in ihrem Leben hatte tun müssen. Wäre auch seltsam gewesen, wenn sie in ihrer Welt mit Dämonen gegen einen verrückten Imerator kämpfen hätte müssen.

Sheila musste unwillkürlich lachen, doch es war kein fröhliches Lachen. Die ganze Sache schmeckte ihr bitter auf der Zunge, doch sie würde es schaffen. Nur um allen zu zeigen, dass sie nicht Celine war und doch stark. Um es Kasuke zu zeigen, der ihr weniger und weniger aus dem Kopf ging.

Falkenauge

Sheila stand auf einem großen, von Buchsbäumen und Rosensträuchern gesäumten Balkon und starrte über das weite Land, das sich vor der Burg erstreckte.

Dort war sie hergekommen und war schnurstracks ihrem Schicksal in die Arme gelaufen, buchstäblich.

Sheila schlang die Arme um ihren Körper, so als ob sie versuche, sich davor zu schützen, einfach auseinander zu fallen. Sie war während der Versammlung, als ihre Anwesenheit nicht mehr weiter von Bedeutung gewesen war, hier her geflüchtet. Sie brauchte Luft um die Enge in ihrer Brust los zu werden und ihr war, als wenn ihr der Himmel jeden Augenblick auf den Kopf fallen würde.

Sheila hätte es nie vor den Clanführern zu gegeben – obwohl sie wusste, dass die Dämonen sich nicht täuschen ließen – aber sie fühlte sich überfordert. Von ihrer Entscheidung hing sehr viel ab, Menschenleben, und bei dem Gedanken wurde ihr schlecht.

Sie wäre mit einer passiveren Rolle wesentlich glücklicher gewesen. Irgendwo stehen und lieb winken und Hoffnung geben, aber Schicksale zu besiegeln, nein danke.

Doch es war zu spät, sie hatte eine Aufgabe und sie musste sie so gewissenhaft ausführen, wie sie konnte.

Erschöpft legte Sheila ihre Arme auf die Mauer des Balkons und die heiße Stirn darauf. Sie mussten so viele Truppen rekrutieren wie sie konnten, also auch menschliche Soldaten. Sheila wusste es und doch war ihr nicht wohl dabei. Was auch immer der Imperator war, er würde keine Rücksicht auf die schwächeren Gegner nehmen.

Sheila hatte nie einen Krieg erlebt. Alleine das Wort machte ihr Angst. Vor allen Dingen, weil die Lebewesen dieser Welt mit Mitteln kämpften, mit denen sie nichts anfangen konnte.

Sofort sah sie wieder das Bild der Dorfbewohner vor sich, die in so kurzer Zeit regelrecht abgeschlachtet worden waren. Nein, man würde auf die Menschen keine Rücksicht nehmen. Sheila musste den Menschen zumindest die Wahl lassen, ob sie sich verteidigen wollten.

„Warum kann ich nicht einfach aus diesem Alptraum aufwachen?“ In diesem Augenblick übermannte sie Heimweh und es verschlug ihr den Atem.
 

Wenig später lief sie gedankenverloren über den Burghof. Das letzte Mal, als sie hier gewesen war, hatte sie nicht allzu viel mitbekommen. Zu sehr war sie durch die Dämonen abgelenkt gewesen und auch jetzt war sie nicht wirklich bei der Sache. Doch sie musste einen klaren Kopf bekommen und deshalb hatte sie sich entschlossen, ein wenig umher zu laufen.

Die Sonne stand in ihrem Zenit und schien unbekümmert auf den Hof.

Sheila spürte die Wärme und Geborgenheit, die sie augenblicklich umfing und Ruhe überkam sie.

Die Menschen und Dämonen- Schmiede, Stallburschen, Ritter und einfache Bewohner- hielten in ihren Arbeiten und Gesprächen inne und begutachteten Sheila, die mitten auf dem Hof stand, die Augen geschlossen und einen entspannten Ausdruck im Gesicht.

Viele kannten die Geschichten, andere wiederum hatten sie erst kurz nach Sheilas Ankunft gehört. Doch jeder hatte sich gefragt, wie dieses Mädchen ihnen helfen sollte. Sie alle hatten Kämpfe miterlebt; darin gekämpft, Waffen erschaffen, oder verwundete Tiere und Menschen versorgt. Doch dort stand ein zierliches Mädchen. Jung noch und von schöner Gestalt, aber niemals in der Lage eine Schlacht zu führen. Und doch: sie verzauberte die Menschen. Keiner von ihnen konnte sich wirklich ihrer Ausstrahlung entziehen. Erst als Sheila die Augen öffnete, kehrten die Burgbewohner wieder zu ihren Aufgaben zurück.

Sheila hatte von den Vorgängen um sich herum nichts mitbekommen. Sie konnte auch nicht ahnen, wie sie auf die Bewohner dieser Welt wirkte. In ihr wohnte eine noch ihr vollkommen unbekannte Kraft, die jedoch außer ihr niemanden verborgen blieb. Selbst Blinde konnten es spüren und Taube es hören.

Da war etwas gekommen, das die Welt verändern würde.
 

Der Burghof hatte einen Durchmesser von etwa 150 Metern und war rund angelegt worden. Im Süden befand sich das riesige Tor und ihm gegenüber eine Treppe, die in die Burg selber führte. Diese Treppe hatte Sheila im Rücken, als sie nun das Treiben um sich herum betrachtete. Zu ihrer Linken waren Stallungen in den Fels des Gebirges gehauen worden, in denen geschäftig Ritter und Stallburschen umherliefen. Direkt daneben befand sich eine Schmiede aus der es stetig zischte und Rauch aus einem Loch im Strohgedeckten Dach stieg. Rechts von Sheila hatten einige Bewohner des Umlandes Marktstände errichtet, an denen es nur so von Menschen und Dämonen wimmelte. Marktschreier priesen Waren und Nahrungsmittel an.

Gemächlich schritt Sheila die Stände entlang. Sie nahm wahr, dass die Menschen ein wenig zur Seite gingen, sobald sie sich näherte, aber da sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, legte sie sich einfach ein Lächeln zurecht und lief weiter.

Sie sah verschiedene Lebensmittel vom Feld. Getreide, Mehl sowie Gemüse und ein wenig Obst. Doch auch Waren wie Wolle, Leinen und Schmuck wurden angeboten. Die Stoffe waren meist schlicht und farblos, doch die Frauen der Burg feilschten um jeden Meter, als wenn sie Gold in den Armen halten würden.

Dann erreichte Sheila einen kleinen Stand mit Schmuck. Der Mann hinter dem hölzernen Tisch sah alt aus und hatte kaum noch Zähne in seinem Mund, doch in seinem offenen Lächeln und seinen warmen, braunen Augen meinte Sheila ein wenig von seiner jugendlichen Aura zu spüren.

„Ein wunderschönen guten Tag, Mylady.“

Unwillkürlich musste Sheila lächeln, was den Mann für einen kurzen Augenblick aus der Fassung brachte. Doch dann leuchteten seine Augen umso mehr.

„Einen schönen Tag wünsch ich auch Euch.“ Sheila musste ein Kichern verhindern. Es war ungewöhnlich in der mittelalterlichen Sprache zu sprechen, aber es machte Spaß. Etwas anderes hätte diesen Mann auch mit Sicherheit verwirrt.

„Darf ich Euch sagen, dass ihr unglaubliche Augen habt?“ Bevor Sheila etwas erwidern konnte, kramte er auch schon in seiner Auslage und beförderte eine silberne, überraschend fein gearbeitet Kette hervor, an der ein Stein baumelte. Sheila streckte vorsichtig die Hand aus und berührte ihn, um ihn genauer besehen zu können. Er war blaugrau, mit seidig wogender Lichtlinie und faszinierte Sheila.

„Wir nennen es Falkenauge, doch der Stein hat die Farbe eurer Augen, wenn sie leuchten.“

Beschämt schlug Sheila die Augen nieder. Der Stein war wirklich wunderschön, aber der Mann übertrieb.

„Ich danke Euch, mein Herr. Leider habe ich kein Geld bei mir.“

Der Mann war doch mit Sicherheit an einem guten Geschäft interessiert. Doch er schien nicht enttäuscht zu sein. Viel mehr wurde sein zahnloses Grinsen noch breiter.

„Nein, dieses Schmuckstück möchte ich euch schenken. Es soll Euch Kraft geben.“

Erschrocken ließ Sheila den Stein los und schüttelte den Kopf.

„Nein, das kann ich nicht annehmen.“

„Doch, Mylady, das könnt ihr. Ihr seid mir nichts schuldig. Vielmehr schulden wir Euch Dank.“

Am Liebsten hätte Sheila laut aufgeschrieen. Sie war womöglich ihr Verderben, ihr Tod und dieser Mann bedankte sich. Sie hatte rein gar nichts getan und dieser Mann bedankte sich. Doch bevor Sheila einen hysterischen Anfall bekommen konnte, besann sie sich dieser liebevollen Augen ihres Gegenübers. Er hatte Vertrauen und Hoffnung. War das nicht genau das, was sie vermitteln sollte?

Huldvoll- und schrecklich gekünstelt- neigte Sheila zum Dank den Kopf und nahm das Falkenaugen entgegen. Um dem alten Mann eine Freude zu machen,

versuchte sie die Kette umzulegen, was diesen noch glücklicher aussehen ließ. Sie hatte ein wenig Schwierigkeiten mit dem Verschluss, was ihr langsam peinlich wurde.

Plötzlich legte sich eine warme, starke Hand auf die ihren und entnahmen ihr die Kette. Überrascht wandte sie sich um und sah in die gelben Augen von Sekura. Sheila spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß und drehte sich abrupt wieder um. Was machte er auf einmal hier?

Sie spürte, wie seine Hände geschickt den Verschluss der Kette bewältigten und dann – sie wusste nicht, ob sie es sich einbildete- eine Weile auf ihrem Nacken verweilten.

Als sie sich jedoch diesmal umwandte, hatte sie sich voll und ganz unter Kontrolle.

„Danke.“ Sie versuchte ihn unschuldig anzulächeln und hoffte, dass er nicht gesehen hatte wie sie errötet war.

Seitdem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, machte er sie nervös. Immer hatte sie das Gefühl, er würde sie durchschauen, sie nicht ernst nehmen. Sekura war Kasuke sehr ähnlich und doch…irgendwie beängstigend.

Forschend sah Sekura Sheila ins Gesicht, als würde er auf etwas warten. Sheila wurde ein wenig mulmig zumute, aber sie hielt diesen abschätzenden Augen stand. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dann riss Sekura sich von ihr los und kramte in der Tasche seiner braunen Lederweste und förderte ein paar Münzen zutage, die er dem Alten zuwarf. Dieser wollte sofort widersprechen, doch ein Blick genügte um ihn zum Verstummen zu bringen.

Sheila war bisher so sehr von Sekuras Augen gefangen gewesen, dass sie nicht auf seine Kleidung und seinen Körper geachtet hatte. Außer der Lederweste und – hose trug er nichts weiter. Nicht einmal Schuhe. Seine Brust, genau auf Sheilas Augenhöhe, war makellos und stark. Er stand Kasuke in nichts nach.

Sheila versuchte diese verwirrenden Gedanken loszuwerden und schritt an Sekura vorbei, der ihr auf dem Fuß folgte.

„Das war sehr unhöflich.“ Der feste Ton ihrer Stimme überraschte sie und strafte ihre zitternden Knie Lügen.

Sie hatte ihn nicht ansehen wollen, doch sie wollte ihm keine Schwäche zeigen. Sekura hob eine wohlgeformte Augenbraue.

„Was war unhöflich?“ Seine tiefe Stimme war atemberaubend. Immer die Ruhe, ermahnte sie sich. Diese Welt bekam ihr einfach nicht gut.

„Er hat mir die Kette geschenkt. Er wollte kein Geld. Es ihm zu geben, hat ihn gekränkt.“

Sekura machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Außer Geld wollen diese Menschen doch nichts. Es zu bekommen ist doch ihr ganzer Lebenssinn.“ Sheila spürte Ärger darüber, wie abfällig Sekura über die Menschen sprach. Wollte er sie provozieren?

Er hatte vielleicht Recht. Die Menschen lebten und arbeiten dafür, sich zu bereichern. Aber war es ihnen vor zu werfen? In ihrer Welt war es doch nicht anders.

Viele schufteten um ihre Familien zu ernähren, Kinder und Ehefrau glücklich zu machen. Sie alle gaben das Geld aus, um Glück und Frieden zu erfahren. Wieso sollte es hier anders sein? Der Alte hatte sicher Frau und Kinder. Jedes verkaufte Schmuckstück war ein sattes Kind.

„Kein Wunder, dass ihr nicht an die Menschen ran kommt. Ihr seht sie doch nur mit euren Augen, wollt sie gar nicht verstehen!“

„Was soll man da verstehen? Sie sind doch alle gleich.“

Sie stiegen die Treppe zur Burg hinauf, doch Sheila blieb abrupt stehen.

„Sie sind alle gleich? Nichts weiter als Tiere, die euch nützlich sind, oder was?“ Fasziniert beobachtete Sekura, wie Sheilas Gesichtsfarbe in rot überging und ihr Augen sich wie im Sturm bewölkten.

„Ihr selbstgerechten Monster. Ihr habt keine Ahnung. Ihr könnt noch so einiges von diesen Menschen lernen.“ Sheila holte tief Luft und ihre Augen funkelten.

„Alle gleich also. Bin ich etwa auch so leicht zu durchschauen? Dann kann ich euch ja nur wenig nutzen.“

Sie wollte schnellstmöglicht die Treppen zur Burg erklimmen und in ihrem Zimmer verschwinden. Sie hatte von Anfang an Recht gehabt, was sie über Sekura gedacht hatte. Er nahm sie nicht Ernst.

Obwohl er leise sprach, hörte Sheila jedes Wort, doch sie hielt nicht inne.

„Ich durchschaue dich kein bisschen und ich weiß nicht wieso.“
 

Stirnrunzelnd lehnte Kasuke an der Wand neben der großen Tür zu Burg und beobachtete Sekura. Wieso suchte sein alter Freund Kontakt zu Sheila?

Auch er wusste, dass Sekura nicht viel von Sheila hielt. Zumindest bis jetzt nicht. Was ging in dem Panter vor?

Aufgebracht stampfte Sheila an Kasuke vorbei. Er wusste sie hatte ihn bemerkt, aber sie wollte nicht mit ihm sprechen. Sie hatten auch seit dem Streit kein Wort mehr gewechselt und er würde das Schweigen nicht brechen. Celine war eine ständige Barriere zwischen ihnen. Er spürte Sheilas inneren Kampf und er konnte ihr nicht helfen, denn zu sehr beschäftigte ihn Celines Vermächtnis.

Sekura kam nun nachdenklich die Treppe hinauf, doch er blieb bei Kasuke stehen und sah Sheila nach.

„Ein seltsames Mädchen, findest du nicht auch?“

Kasuke spürte einen kleinen Stich der Eifersucht.

„Ohne Frage!“

„Das könnte noch interessant werden.“

Kasuke fragte nicht weiter nach, sondern nickte nur.
 

Klein, aber fein ^^

Neue Freunde

Sheila würde durch einen kleinen Teil Kemonos reisen und die Menschen dort treffen, um mit ihnen zu reden. Das war der Plan, der Sheila in der Nacht durch den Kopf gespukt war und sich nach und nach zu einem konkreten Gedanken heraus manifestiert hatte.

Sie hatte gekocht vor Wut, als sie sich ins Bett gelegt hatte. Die Art, wie die Dämonen über die Menschen sprachen, passte ihr gar nicht. Sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, alles zu boykottieren und nicht die Menschen aufzusuchen. Sie waren den Dämonen nichts schuldig, nur jahrelange Knechtschaft und viele Missverständnisse. Aber Sheila wusste auch, dass nicht alle Dämonen so dachten wie Sekura und sie die Hilfe wirklich nötig hatten. Vielleicht konnte es sogar zu einer besseren Welt führen, wenn die Menschen und Dämonen zueinander fanden.

„Jetzt werde ich schon zum Weltverbesserer!“ Sheila lächelte schief in den Spiegel, der ihre Frisierkommode zierte. Ihr fehlte hier nichts, zumindest sollte es so sein. Aber sie war einsam und sie hatte beschlossen, etwas dagegen zu tun.

Leise klopfte es. Wahrscheinlich waren es Sheilas Zofen Jania und Dala. Sheila hatte aus einem Impuls heraus versucht, mit den beiden Freundschaft zu schließen, was sich als unmöglich erwies. Die Beiden waren so eingeschüchtert, dass sie kaum den Blick vom Boden hoben und Sheila war machtlos.

Doch als die Tür sich öffnete stand da Hotori. Sein wuscheliges, schwarzes Haar stand ihm in alle Richtungen und er sah wie immer einwenig gehetzt drein.

Doch Sheila freute sich so, den Jungen wieder zu sehen, dass sie ihm fast um den Hals fiel.

„Hotori, wie schön dich zu sehen.“

Würdevoll nickte Hotori: „Herrin!“

Lachend boxte Sheila ihn gegen den Arm. Sie wusste nicht, was sie so übermütig werden ließ, aber es tat gut.

„Ich heiße Sheila, schon vergessen? Wir wollten doch Freunde sein.“

Ein gequälter Ausdruck glitt auf das hübsche Gesicht von Hotori.

„Herrin, das ist nicht so einfach. Es könnte mir die Stelle kosten.“ Sheila wusste, dass es stimmte, aber das war ein Grund mehr, gegen die Regeln zu verstoßen. Also wandte sie einen anderen Trick an.

„Glaubst du wirklich, irgendjemand stellt meine Entscheidungen in Frage?“ Sofort wusste sie, dass sie Hotori überzeugt hatte. Die Erkenntnis fegte geradezu über sein Gesicht.

„Wahrscheinlich nicht.“

„Nein, das werden sie nicht und sollten sie es tun, begehen sie einen Fehler.“

Ergeben nickte Hotori. Doch er fühlte sich eindeutig noch sehr Fehl am Platz, denn er stand immer noch in der Tür und trat von einem Fuß auf den anderen.

„Was treibt dich überhaupt her?“ Hotori schien angesichts ihrer Sprachweise nicht überrascht.

„Ich soll Eu…dir die Nachricht überbringen, dass Herr Konomi ein Gespräch wünscht. Gegen die Mittagszeit im Garten der Burg.“ Sheila verzog unwillig das Gesicht, aber sie hätte früher oder später eine Versammlung einberufen müssen, um den anderen von ihrem Plan zu erzählen. Sie nickte stattdessen einfach und dachte einen Augenblick nach. Sie wollte nicht mehr nur hier herumsitzen.

„Hotori? Hast du im Moment viel zu tun?“ Argwöhnisch beäugte er sie und Sheila musste wirklich über seine fein geschnitten Gesichtszüge staunen.

„Nein, ich habe im Moment nicht zu tun.“ Ihm war eindeutig nicht wohl bei diesem Eingeständnis.

„Gut, gib mir zehn Minuten und dann Treffen wir uns an der Treppe.“ Sie sah an sich herunter und nahm wahr, dass sie noch immer ihren Morgenmantel trug.

Bevor er widersprechen konnte, schob sie ihn auch schon aus ihrem Zimmer und schloß die Tür.
 

Sheila suchte sich aus ihrer Garderobe ein leichtes hellblaues Kleid heraus, da es sehr warm draußen war. Auch dieses Mal verzichtete sie auf ein Korsett, welches sie mit Sicherheit auch nicht alleine hätte anlegen und schnüren können. Doch sie hasste es bedient und betüddelt zu werden, deshalb entschied sie sich gegen die Hilfe von Dala oder Jania.

Nur ihre langen Haare machten ihre Mühe, denn sie konnte nicht mit einer der urtümlichen Spangen umgehen. Am Ende hatte sie die Haare nur aufgedreht und umständlich am Hinterkopf befestigt. Wahrscheinlich war es in dieser Welt um einiges einfacher, wenn man kurze Haare hatte.

Hotori wartete, so wie sie es ihm befohlen hatte und es freute sie einerseits, doch der Grund verstimmte sie. Auch seine betretene Miene ärgerte sie. Als wenn sie ihn zu irgendetwas zwingen würde. Sie wollte sich doch einfach nur nicht mehr so beschissen fühlen und sie brauchte Menschen um sich. Mitfühlende Wesen, so wie sie eines war. Sein anerkennender Blick entging ihr.

„Zeig mir bitte den Burggarten!“
 

Da seine tierischen Instinkte überwiegten, sobald er ein Wolf war, hatte Kasuke vorübergehend seiner menschlichen Gestalt entsagt. Er musste einen klaren Gedanken fassen oder einfach mal gar nicht denken. Also hatte er sich auf einer Wiese im Burggarten zusammengerollt und ließ die Sonne sein Fell erwärmen. Boten der Fogal hatten Fry aufgerufen, seine Wölfe hier her zu führen, so wie alle anderen Clans nun auf dem Weg hierher waren.

Er wollte alles mit einigem Abstand betrachten. Seine Gefühle zu Sheila, die Vorgänge um ihn herum und auch Sekuras Verhalten. Doch es gelang ihm einfach nicht, eine objektive Sicht zu erhalten. Er konnte seine Gefühle nicht einmal richtig benennen, sondern alles war verschwommen. Verschwommen mit Celine, die er an diesem Ort das erste Mal gesehen hatte.

Sie war stärker gewesen als Sheila, aufrechter und älter. Sie hatte neben einem der legendären Phönixe gestanden und auf die anderen Clanführer hinab geblickt. Kasuke war erst seit Kurzem in die Fußstapfen seines Vaters getreten und seine Mutter leidete an einer unbestimmten Krankheit. Demnach war ihm nicht gerade nach einem Menschen zumute, der so offensichtlich Macht auf ihn ausübte. Also hatte sich in ihm zunächst nur Widerwillen geregt, so wie bei Sekura. Diese Erkenntnis machte Kasuke nicht gerade glücklicher.

Die Anziehungskraft zwischen Celine und hm war immer stärker geworden. Er war ihr immer öfter aus dem Weg gegangen, da er sich für schwach hielt, empfand der Mensch ja schließlich nicht ebenso. Doch er irrte sich.

Es war nach einem der schrecklichsten Schlachten gewesen, die Kasuke jemals erlebt hatte. Sie hatten gesiegt, aber um einen hohen Preis. Viele waren gefallen, doch sie hatten den Feind zurückgeschlagen.

Man könnte es dem Siegestaumel, der Erleichterung zuschreiben, dass sie überlebt hatten, oder einfach dem Versuch alles unvergessen zu machen.

Sie waren hier, in diesem Garten aufeinander getroffen. Mittlerweile war der Mond aufgegangen und beide hatten sie Ruhe gesucht um die Wunden zu lecken. Es war wie verzaubert gewesen und es hatte keiner Worte gebraucht. Jeder hatte die Gedanken des anderen hören können.

Die Erinnerung an diese Nacht erfüllte Kasuke so sehr mit Schmerz, dass er sich in die Gegenwart zurück zwang. Ja er liebte Sheila, aber wie sehr, das konnte er nicht sagen.
 

Der Garten war wundervoll, keine Frage, doch alleine hätte Sheila ihn nie so erlebt, wie jetzt mit Hotori. Je länger sie neben einander herliefen, desto mehr entspannte er sich. Er erzählte auf Sheilas Wunsch, wo er lebte, wie viele Geschwister er hatte und, dass er hier arbeitete, weil er kein Bauer wie sein Vater werden wollte. Als er über seine Eltern sprach, über die Liebe, die seinen Vater und seine Mutter verband, spürte sie Hotoris Stolz und Zuneigung und sie beneidete ihn darum. Er war so unkompliziert, dass es sehr einfach war mit ihm zu lachen und ihn zu mögen. Irgendwann ließen sie sich auf einen alten Baumstamm nieder und genossen die Sonne.

Hotori war mit einer der schönsten Menschen die sei kannte. Seine grünen Augen standen im Kontrast mit seinen schwarzen Haaren und seiner gebräunten Haut, die er durch viele Tage an der frischen Luft erhalten haben musste. Er war größer als Sheila, was bei deren 1,65 nicht weiter verwunderte, und zwar noch schlaksig, aber sein Körperbau ließ erahnen, dass er recht muskulös werden würde. Einem Krieger gleich. Bei dem Gedanken zuckte Sheila zusammen. Alleine das Bild, wie Hotori in Rüstung und mit Schwert in die Arme des Feindes lief, erfüllte sie mit Grauen. Hotori spürte die Veränderung, die in Sheila vorging und rückte ein wenig ab.

„Kannst du mir auch ein wenig von dir erzählen?“

Damit hatte sie gerechnet und war trotzdem nicht sicher, was sie ihm erzählen sollte.

„Was hast du denn so über mich gehört?“

Hotori schien nicht zu gefallen, dass Sheila den Spieß wieder umgedreht hatte, doch die Frage war berechtigt und er beantwortete sie auch.

„Mein Vater erzählte mir, dass ein Mensch kommen würde, aus einer anderen Welt, um uns zu retten.“ Bei den Worten „andere Welt“ schielte er zu ihr hinüber.

Sheila seufzte und ergab sich ihrem Schicksal. Es fiel ihr bei Hotori einfach zu leicht, ehrlich zu sein.

„Das stimmt soweit, dass ich aus einer Welt komme, die ihr euch nicht einmal vorstellen könnt. Aber ob ich Kemono retten kann, bezweifle ich stark.“

Hotori schien über das Gesagte nachzudenken.

„Wie ist die andere Welt?“ Keine gute Frage!

„Anders. Es gibt keine Dämonen. Sollten es Krieg geben, dann nur zwischen Menschen und dann mit Waffen, die ganze Völker innerhalb einer Sekunde auslöschen können.“

„Hört sich ja gruselig an.“

Sheila musste laut lachen. Verwirrt wartete Hotori, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

„Was ist daran so lustig?“

„Tut mir Leid, aber das denke ich auch über eure Welt.“

„Aber wie kann man in einer so grausamen Welt lebe?“

„Sie ist gar nicht so schrecklich wie du denkst. Solche Kriege, wie ich sie genannt habe, werden vielleicht in ferner Zukunft passieren. Im Moment leben wir aber größten Teils in Frieden. Nur wenige Teile unserer Erde leben in Krieg. Außerdem ist unserer Welt viel größer. Ein Krieg auf der einen Seite der Erde, betrifft uns nicht direkt.“

Sheila sah Hotori an, dass er von den scheinbaren Ausmaßen durcheinander gebracht worden war.

„Ich glaube, ich würde trotzdem nicht tauschen wollen.“

„Man wählt immer lieber das Bekannte!“

Hotori nickte und dann breitete sich ein unwiderstehliches Grinsen auf seinem Gesicht aus. Die Frauen mussten ihm doch zu Füßen liegen.

„Erzähl mir was von deiner Vergangenheit, deiner Familie.“

Sheila musste schlucken und versuchte die Tür in ihrem Innern, welches so lange verschlossen gewesen war, zu verriegeln.

Besorgt musterte Hotori ihr Gesicht.

„Geht’s dir nicht gut?“

Matte schüttelte sie den Kopf.

„Ich rede nicht gerne darüber.“

Betreten sah Hotori zu Boden.

„Das tut mir Leid. Hätte ich geahnt…“

„Nein, du kannst nichts dafür. Ich müsste einmal darüber reden, aber es geht nicht so einfach.

„Wenn du es jemanden erzählen willst, ich hör dir gerne zu. Bei mir ist es sicher.“

Sheila sah ihm ins Gesicht und bemerkte die Entschlossenheit und Wärme in Hotoris Augen. Ja, ihm würde sie es irgendwann erzählen, aber nicht jetzt, nicht heute.
 

Kasuke hatte nicht zuhören wollen, wäre er aber von seinem Platz aufgestanden, hätte Sheila gewusst, dass er da Meiste gehört hatte. Deshalb verhielt er sich ruhig und wartete, dass sie gingen. Die Geschichten von Sheilas Welt interessierten ihn nicht sonderlich. Celine hatte ihm viel von der Erde erzählt, mehr als Sheila bereit war, dem Jungen zu eröffnen. Was ihn aber neugierig machte, war Sheilas Vergangenheit. Sie hatte sie sofort zurückgezogen, als der Mensch sie darauf angesprochen hatte. Es musste auf eine gewisse Art sehr schlimm sein und es wurmte Kasuke, dass er es nicht wusste.

Plötzlich kam eine Magd um die Ecke und rief den Namen „Hotori“. Ach, das war der Name, des Burschen vor der Bibliothek. Er sah, dass Sheila bedauerte, dass Hotori gehen musste und es wunderte ihn. Wieso suchte sie Kontakt zu einem der Diener? Und dann nahm sie ihn auch noch in den Arm. Kasuke sträubte sich das Nackenfell. Die einzige Befriedigung, die er hatte war, dass Hotori erschrocken aussah und dann ein wenig pikiert davon zog.

Sheila legte sich rücklings auf den Baumstamm und verschränkte die Arme über den Augen.

Am Liebsten wäre Kasuke aufgesprungen und hätte sie zur Rede gestellt, was ihr Betragen sollte. Sie musste lernen anders mit den Menschen und Dämonen umzugehen. Kemono war für solche offenen Gefühle nicht geschaffen.

Ein leises Geräusch ließ ihn herum fahren, bevor er zu Sprung ansetzen konnte. Neben ihm ging Sekura in seiner vollen Menschengestalt in die Hocke und sah ebenfalls zu Sheila herüber.

„Was ist los, alter Freund? Stört es dich, dass sie einen Menschen dir vorzieht.“

Kasuke schnaubte verächtlich und verwandelte sich ebenfalls zu einem Menschen.

„Wie kommst du darauf?“

„Nun ja, du sahst so aus, als ob du eine Beute augenblicklich erledigen wollen würdest.“ Ein verschmitztes Lächeln zog über seine wohlgeformten Lippen. Seine gelben Augen fixierten Kasuke.

„Du weißt doch gar nicht, wie das ist.“

„Das denkst du! Ich bin auch nur ein Mann, wie es die Menschen so schön formulieren.“

Sofort traf ihn ein giftiger Blick.

„Was hast du für Absichten?“

„Nur ehrliche, mein Freund, das kann ich dir versichern.“

Wütend grummelte Kasuke vor sich hin. Sekura musste lachen.

„Du hattest deine Chance, Kasuke. Du hast sie nicht genutzt.“

Ein kehliges Knurren kam über Kasukes Lippen.

Legenden und Geschichten

Es tut mir wahnsinnig Leid, dass es so lange dauert. Bei beiden FFs. Mein Problem ist nur, ich arbeite schon seit WOchen wie ne Bekloppte, sodass ich zu nichts mehr einen Nerv habe. Ich habe sogar ne Auszeichnung dafür bekommen, dass ih mir täglich den A*** aufreiße. ICh hoffe das Kapitel beruhigt euch ein wenig ^^
 

Ein Schatten legte sich über Sheila, was sie augenblicklich hochfahren ließ. War sie etwa eingeschlafen?

Konomi stand in seinem vollen Glanz und seiner Würde vor ihr und lächelte väterlich auf sie hinab.

„Entschuldige, dass ich mich verspäte.“ Verwirrt musste Sheila sich ins Gedächtnis rufen, weshalb sie ursprünglich in den Garten der Burg gegangen war.

„Ich muss dir gestehen, dass ich es vergessen habe, Konomi.“ Der Dämon lachte laut und kehlig, was Sheila ein wenig überraschte. Konomi war ihr immer ernst und äußerst bedächtig vorgekommen. Sofort mochte sie ihn um einiges mehr. Es tat gut eine, im Grunde vollkommen normale Seele bei sich zu haben, in dieser verrückten Welt.

„Nun….“, er räusperte sich um seine Haltung zurück zu gewinnen, „…ich wollte mit dir sprechen.“ Sheila nickte.

„In der nächsten Zeit wird sich unsere ganze Armee hier einfinden und ich möchte, dass du bereit dafür bist. Es werden die merkwürdigsten und womöglich beängstigendsten Gestalten hier eintreffen, die du je gesehen hast.“

Das wunderte Sheila nicht. Was hatte sie denn schon gesehen von Kemono?

„Sie werden dich sehen wollen und ich möchte dich bitten, sofort zu äußern wenn du damit nicht zurecht kommst. Wenn du möchtest, wird dir stets jemand zur Seite stehen.“

Nachdenklich sah Sheila auf ihre Hände, die sie ineinander verschlungen hatte.

„Was immer kommen mag, ich werde es schaffen.“ Sie sah auf.

„Ich habe lange darüber nachgedacht. Es war schwer für mich, meine Rolle zu akzeptieren und es wird immer so sein. Aber ich habe erkannt, dass ich auf eine besondere Art gebraucht werde und sollte ich es nicht einmal schaffen, unseren eigenen Soldaten ins Gesicht zu sehen, wie wird es dann bei unserem Feind?“

Konomi nickte nur, da er wusste, dass dies keine Frage war.

„Ich werde die Menschen aufsuchen, doch ich möchte ihnen die Wahl lassen. Sie sollen sich nicht verpflichtet fühlen, für etwas und jemanden ihr Leben zu riskieren, das ihnen nie wohl gesonnen war.“

Erneut nickte Konomi.

„Ich weiß, dass dich unsere Weise zu denken stört und kann es voll und ganz nachempfinden. Für viele von uns ist es schwer, die Menschen als ebenbürtig, gar als Unseresgleichen anzuerkennen. Aber ich denke, dass du mit deiner Meinung nicht ganz alleine bist. Bekehr uns. Zeig uns, dass wir irren können.“

Sheila spürte, dass es um ihr Herz ein wenig leichter wurde. Sie musste niemanden dazu zwingen, in den Tod zu gehen und nur darum war es ihr gegangen.

„Weißt du schon wann und wie du die Menschen aufsuchen willst?“

Sheila runzelte nachdenklich die Stirn.

„Ich denke, ich sollte die Ankunft der Armee abwarten. Ich sollte nicht fort sein, wenn sie kommen. Dann werde ich mit möglichst wenig Leuten aufbrechen und….“, unsicher sah sie Konomi an, „Wie viel Dörfer gibt es überhaupt in dieser Welt?“

Konomi schmunzelte.

„Nur wenige, aber sie liegen weit auseinander. Ich rate dir, die Fogal zu bitten, dich zu fliegen. Dann wird es niemals länger als ein paar Tage dauern. Oder du lässt eine Nachricht in Umlauf bringen, dass sie alle zu einem Punkt kommen um dich anzuhören.“

Sheila schüttelte vehement den Kopf.

„Nein. Ich werde sie aufsuchen. Ich möchte sie um etwas bitten und sie sollen das Gefühl haben, ich sei eine von ihnen.“
 

Die folgenden Tage verbrachte Sheila in der Bibliothek. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die ganze Geschichte Kemonos auswendig zu lernen. Das konnte ihr nur zum Vorteil gereichen und sie wollte nicht als Idiotin dastehen.

Alleine hätte Sheila in der Bibliothek nie die richtigen Bücher gefunden, doch Konomi schickte ihr eine ältere Dame, die Manola hieß und mit ihrer dicken Brille und dem strengen grauen Knoten wie eine Bibliothekarin aus ihrer Zeit aussah. In weniger als einer Stunde

türmten sich sechs dicke Wälzer vor Sheila und sie konnte sich an die Arbeit machen.

Das erste Buch, groß und schwer, in Leder gebunden und stark vergilbt, befasste sich hauptsächlich mit der Geographie Kemonos. Sheila erfuhr nicht viel mehr, als das was schon bei der Versammlung erklärt worden war. Doch erklärte das Buch, dass die beiden Teile Kemonos, die durch das Gebirge getrennt wurden, einst mal zwei Teile gewesen waren. Nicht das Gebirge sondern das Meer hatte die Landmassen getrennt. Irgendwann hatten sich die Kontinentalplatten so weit verschoben, dass die beiden Inseln ineinander gestoßen waren, was das Gebirge bildete und aus zwei Ländern eins machte. Plötzlich waren zwei vollkommen verschieden entwickelte Arten aufeinander getroffen. Der westliche Teil Kemonos, nun von ihnen durch die „Kalten Berge“ abgeschnitten, war karg und ähnelte mehr einer Sand- und Gesteinswüste mit wenigen Oasen, während der Osten üppig und grün war.

Spannungen und Kriege um die verschiedenen Territorien hatte es fast augenblicklich gegeben, aber der Imperator war erst fast 1000 Jahre später erschienen, wie Sheila aus einem anderen, noch dickeren Buch erfahren konnte.

Es hatte schon lange Frieden zwischen den verschiedenen Völkern gegeben und niemand kann bis heute sagen, woher der Mann kam, der sich nun Imperator nannte.

Äußerlich eindeutig ein Mensch, vereinte er jedoch die Kraft vieler verschiedener Dämonen in sich. Er wusste wie man die Massen manipulierte und schaffte es in wenigen Jahren eine Armee aufzustellen, die die freien Völker im Westen knechtete. Er wollte auch die grünen Weiden und reichen Völker des Ostens regieren, doch zunächst scheiterte er an den Drachen der „Kalten Berge“. Sie weigerten sich ein Heer solchen Ausmaßes passieren zu lassen. Ob sie einen Krieg fürchteten oder es Trotz war wusste damals niemand, doch die Armee des Imperators wurde erfolgreich vertrieben.

Die Gier war jedoch größer. Irgendwie schaffte er es, auch einige Drachenschwärme auf seine Seite zu bringen. Eine heftige Schlacht der Lüfte entfachte über dem Gebirge, denn Drachen sind stolze Tiere, die äußerst schlecht mit Verrat umgehen können. Doch das Böse siegte und der Imperator konnte ungehindert in den östlichen Teil des Landes einfallen.

Er brandschatzte, zerstörte und erschlug tausende von Menschen und Dämonen bis ihm Einhalt geboten wurde.

Bei diesem Absatz schluckte Sheila schwer.

Eine Frau, von weit her, schaffte es, alle Menschen und Dämonen, die bereit waren für ihre Freiheit zu kämpfen, zu sammeln und führte sie in den Kampf gegen den Feind. Der Imperator hatte ihre Macht unterschätzt. Für ihn war sie nichts weiter als ein Mensch, doch ihre Fähigkeiten überstiegen die seinen um einiges. Ihre Liebe, ihr Glaube und ihr Mut ließen sie siegen und verbannten den Feind aus dem Land des Ostens.

Seine Niederlage mag dadurch erträglicher geworden sein, dass die Anführerin der freien Völker in der letzten Schlacht ihr Leben ließ, doch mit ihr starb nicht die Kraft der Armee. Der Imperator sollte für sehr lange Zeit keinen Fuß mehr über die „Kalten Berge“ setzen.

Ruhe kehrte ein und die Völker des Ostens konnten ihre Verluste beklagen und ihr Land wieder aufbauen, jedoch immer in dem Bewusstsein, dass dies nur ein vorübergehender Sieg sein würde. Seitdem warten Menschen, wie Dämonen auf denjenigen, der sie für immer befreien wird.

Sheila schlug das Buch zu und starrte zur Decke. Sie warten auf denjenigen, der sie befreien wird. Das konnte nicht sie sein. Das konnte sie nicht schaffen.

Aber besaß sie nicht ähnliche Eigenschaften, wie Celine? Liebte sie nicht? Sheila stütze den Kopf in die Hände. Ja, liebte sie nicht etwa ebenso? Liebe war so vielfältig. Bewies sie es nicht jeden Tag? Liebe zu Mensch oder Tier, zu Verwandten und Geliebten?

Und glaubte Sheila nicht auch? Glaubte sie nicht auch an den Sieg des Guten? Oder waren ihre Zweifel womöglich der Untergang?

Sheilas Kopf pochte heftig. Sie hatte Konomi gesagt, dass sie ihre Aufgabe in Angriff nehmen würde und sie würde keinen Rückzieher machen. Doch sie fühlte sich mit dieser Aufgabe so sehr alleine, dass ihre Zweifel sich nicht abschütteln ließen. Celine hatte wahrscheinlich nie welche verspürt. Sie war stärker als Sheila gewesen. Konnte sie deshalb so sehr zwischen ihr und Kasuke stehen?

Kasuke! Sie kannten einander kaum und dennoch wussten scheinbar sie beide, dass etwas zwischen ihnen war und dies war nicht nur Celine. Zumindest hoffte Sheila es, denn nichts konnte schlimmer sein, als die Tatsache, dass man sie nicht um ihretwillen liebte oder respektierte. Ja, sie wollte geliebt werden. War sie deshalb so empfänglich für die Details, die ihr Sekura, Kasuke und auch Hotori sandten und die sie womöglich überinterpretierte?

Sheila schob energisch das Geschichtsbuch beiseite und zog ein Pergament mit den verschiedensten Dämonenarten hervor.

Sie durfte sich den Kopf nicht vernebeln lassen. Sie würde sich zusammen reißen.
 

Für Außenstehende geschahen in der Zeit, in der Sheila in die Bibliothek verschwunden war, die Abstrusesten Dinge. Ständig tigerten entweder Menschen oder Tiere um das große Tor herum, wenn sie einander begegneten ignorierten sie sich oder verschwanden augenblicklich. Dass Tier und Mensch meist dieselben waren, vermochten nur die wenigsten zu erkennen. Die Dämonen und Menschen der Burg wussten jedoch um wen es sich handelte und die einen schmunzelten darüber, andere wiederum verstanden nicht so recht, was dort vor sich ging. Sheila ahnte ebenso wenig davon, denn keiner von Beiden ließ sich je in ihrer Nähe blicken.

Der Einzige, der es wagte Sheila zu unterbrechen und zu besuchen war Hotori, der ihr ihre oft düsteren Gedanken ein wenig erhellte und ihr ihre Tage einfacher machte. Oft hatte er auch Geschichten zu erzählen. Legenden, die er einmal gehört hatte, von Freunden oder Familie.

Meist waren sie sehr amüsant, doch eines Tages wusste er eine Legende der vergangenen Tage des Krieges zu erzählen. Über die Liebe von der Führerin zu einem Dämonen zu erzählen. Sheila ließ sich ihren Unmut und ihr stark schlagendes Herz nicht anmerken. Es war schwer ihm zuzuhören, aber sie wollte ihn nicht unterbrechen. Hotori würde sie nicht nach dem Grund fragen, aber sie würde immer wissen, dass sie ihm etwas verheimlicht hatte und das war nicht fair.

Nach dem was man sich erzählte, hatte es zunächst so ausgesehen, dass sie einander nicht mochten. Doch irgendwann, nach einer der schlimmsten Schlachten überhaupt, musste etwas passiert sein, das sie einander näher gebracht hatte. Danach waren sie unzertrennlich gewesen und viele hatten sich Sorgen gemacht, ob dies alles ein gutes Ende nehmen würde.

Jedoch das Celine umkommen würde, damit hatte niemand gerechnet und auch ganz sicher nicht das Liebespaar.

„Es muss dem Dämonen das Herz gebrochen haben. Man sagt sich, dass er sich danach zurückgezogen hat. Er ist wohl ein Clansführer und es heißt, er habe sich nie eine Partnerin unter seinesgleichen gesucht. Er konnte sich nicht trennen.“ Hotori starrte vor sich hin.

„Ob er wohl immer noch einsam ist?“

Sheila wollte und konnte dazu nichts sagen.
 

Am Abend zog ein Sturm über das Land, der nicht nur Gewitter, sondern enormen Platzregen zur Folge hatte, welcher einfach nicht aufhören wollte.

Beim Abendessen hatte Konomi ihr Gesellschaft geleistet und gemeint, dass sich das Land noch einmal Ruhe gönnen würde, bevor die Armeen ankommen würden. Sheila hielt die Erklärung für ein gewöhnliches Gewitter ein wenig weit hergeholt, sagte dazu aber einfach nichts.

Nun stand sie auf dem Gang zur Bibliothek, welcher auf einer Seite offen war und auf den Hof und das Gelände vor der Burg blicken ließ.

Sheila hatte sich so einsam in ihren Räumen gefühlt, dass es sie hierher geführt hatte. Das Gewitter hatte nichts Beängstigendes an sich, sondern war seltsam beruhigend. Die abgekühlte Luft strich ihr über das Gesicht und machte sie glücklich und sie wünschte sich so frei sein zu können, wie der Wind.

So fand Kasuke sie, mit geschlossenen Augen und vom Wind zerzausten Haaren. Er wollte zunächst den Rückweg antreten, doch hatte er nicht die Tage damit verbracht, einen Blick auf sie zu erhaschen?

Er stellte sich neben sie, ohne jedoch den Blick von ihr zu wenden. Sie wusste, dass er da war, da war er sich sicher. Ein Zucken, ein leichtes Zittern nur, in ihrem Gesicht gab ihm Recht und er hörte ihr Herz lauter und schneller schlagen.

„Schön dich zu sehen.“

Sie wandte sich zu ihm um.

„Die Wölfe sind bestimmt auch auf dem Weg hierher, nicht wahr?“

Kasuke wagte noch immer nicht, etwas zu sagen und Sheila schien dies auch nicht zu erwarten, sondern sah wieder in den Regen und die Nacht hinaus.

„Du hast sie sicher vermisst. Es wird dich vielleicht überraschen, aber ich sie auch.“ Kasukes Herz stand dem ihren nun in nichts mehr nach. Hatte sie den Streit etwa überwunden?

„Nur werden viele womöglich nie wieder nach Hause kommen.“

Sheilas Stimme brach und sie wandte ihr Gesicht ab. Er roch die Tränen, bevor er sie sah. Mit einem großen Schritt war er bei ihr und schlang die Arme um ihre bebenden Schultern. Er spürte, dass sie sich verkrampfte, überrascht und verwirrt von der plötzlichen Nähe und es ging ihm nicht anders. Doch loslassen wollte er sie nicht, unglücklich und verletzlich wie sie war. Er zog sie fester an seine Brust und legte das Kinn auf ihr zart duftendes Haar.

Mit einem Mal entspannte sie sich, schmiegte sich in seine Umarmung, als wenn sie immer dort hingehört hätte. Sie war nicht Celine, nein, so hatte Kasuke Celine nie gehalten.

„Du bist nicht allein. Nicht solange ich lebe, Sheila.“

Wie er ihren Namen sagte, sie hielt, war das real? Konnte sie dem Glauben schenken?

Sie wollte es so sehr. Diese Nähe und Wärme spüren. Sie fühlte wie seine Hitze auf sie überging und sie beide zu brennen schienen.

>Dann geschah etwas, dass sie einander näher brachte.< Sheila zuckte zusammen. Wiederholte sich die Geschichte mit ihr in der Hauptrolle? Sie löste sich von Kasuke und suchte seinen Blick. Seine Augen waren umwölkt von seinen Gefühlen und seine Haut dort gerötet, wo er sie berührt hatte.

Tränen stiegen ihr in die Augen, doch den Blick konnte sie nicht abwenden.

„Ich wünschte ich wüsste, ob das hier echt, ob das meine Gefühle sind.“

Schmerz breitete sich über Kasukes Gesicht aus. Sheilas Stimme war kaum mehr ein Flüstern.

„Sie wird immer zwischen uns sein, Kasuke. Das kann ich nicht ertragen.“

Sheila hasste sich für diese, in ihren Augen egoistischen Worte, aber ihr Herz schmerzte schon jetzt so sehr, dass es ihr den Atem raubte. Und Kasuke die Sprache.

Als Sheila den gequälten Gesichtsausdruck und sein Schweigen nicht mehr ertrug, wandte sie sich abrupt um und ging. Sein Schweigen war für sie mehr als tausend Worte.

Die Armee

Die folgende Nacht saß Sheila die meiste Zeit auf dem steinernen Fensterbrett ihres Zimmers, bewegungslos und stumm, und starrte durch das alte Glas in die undurchdringliche Nacht. Eine dichte Wolkendecke ließ kein Sternen-, kein Mondlicht zu ihr hindurch. Als wolle sie ihr das bisschen Schönheit der Welt auch noch rauben. Das Einzige, das genauso war, wie ihre Welt. Was sich vergleichen ließ.

Seitdem Sheila Kasuke im Korridor stehen gelassen hatte, erfüllte sie eine Unruhe. Sie versuchte jeden Gedanken an den Wolf zu verdrängen, doch ihr Herz spielte ihr unangenehme, schmerzhafte Streiche, indem es nicht in dem richtigen Takt schlagen wollte, wenn ihre Gedanken wieder zu den hellen, blauen Augen zurückkehrten. Oh, sie hatte es so satt. Diese Welt machte sie verrückt. Sie kannte weder Kasuke, noch irgendjemand sonst hier wirklich und trotzdem hatte sie das Gefühl, als wäre jeder hier irgendwie mit ihr verwoben. Starke, kleine Maschen, die Sheilas Schicksal unausweichlich mit dem von den unbeschreiblichsten Kreaturen verband.

Es wäre so einfach gewesen, das Gegebene einfach hinzunehmen. Doch Sheila litt auf eine ganz spezielle Weise. Sie hatte in ihrem ganzen Leben niemanden gehabt, der ihr wirklich Aufmerksamkeit schenkte. Außer die Männer, die nichts von ihr wollten außer ihren Körper. Sonst hatte sich nicht einer um ihr Wohlergehen geschert, sie auch nur ernst genommen. Warum, in Gottes Namen, sollte das jetzt der Fall sein?

Sheila hatte 1000 Gründe, warum sie den Dämonen vertrauen konnte, aber auch wenn sich die Vergangenheit oft gut verdrängen ließ, ganz ausgelöscht werden konnte sie nie. Und wie konnte sie einem Wolf trauen, der wahrscheinlich das in ihr begehrte, was er vor vielen Jahren verloren hatte? Was war, wenn sie ihren inneren Schweinehund überwand, sich ihm hingab und er dann realisierte, dass sie nicht Celine war? Wenn sie sich überhaupt irgendjemand je wieder würde nähern können. Rein körperlich. Daran war gar nicht zu denken.

Aber konnte sie das den Menschen und Dämonen aus dieser Welt erklären? Würden sie das hinnehmen und sie nicht verurteilen für ihre Schwäche und Unreinheit?

Sheila legte die heiße Stirn gegen das eisige, dicke Glas des Mittelalters. Sie wünschte sich die Wärme eine anderen Menschen, die sie umfing ohne sie in Panik zu versetzen. Etwas das sie hielt und stützte. Jetzt, hier und in alle Ewigkeit.

Leise stahl sich eine Träne über ihre rechte Wange.
 

Als Sheila den folgenden Morgen nicht zum Essen erschien, runzelte Sekura nachdenklich die Stirn. Er wusste, dass der Wolf und Sheila sich kurz näher gekommen waren. Es hatte ihm nicht gepasst, doch er wusste auch, dass Sheila sich recht schnell wieder zurückgezogen hatte. Er hatte so etwas wie Befriedigung verspürt, war jedoch nicht glücklich darüber. Das alles war nur eine Art Spiel für ihn, interessant und der Mühe wert, sich ein wenig mit dem ungewöhnlichen Mädchen zu beschäftigen. Dass er da Gefühle drin investierte gefiel ihm gar nicht. Wahrscheinlich bewertete er es über. Er hatte nur so etwas Kampfeslust gefühlt, sonst nichts. Doch er war nicht derjenige, der sie selbst belog und deshalb machte ihm das auch zu schaffen.

Damit Sekura sich nicht weiter damit beschäftigen musste, schaltete er augenblicklich seine Gedanken ab. Kasuke zu seiner Linken, war nicht gesprächiger und so hielt er sich an die Schmetterlingsdame zu seiner Rechten, der er wenig interessiert zuhörte.

Gegen Mittag erschien sie dann doch. In einem himmelblauen, mit grau durchsetzten Kleid und hochgedrehten Haaren sah Sheila aus, als wenn ihr Fernbleiben vom Frühstück nichts außer vielleicht ein Versehen gewesen war. Sie wirkte frisch und ausgeruht und wenn sie sich mit den anderen Clanoberhäuptern unterhielt, dann strahlten ihre Augen in dem hellsten Graublau. Sekura bemerkte, dass Kasuke ziemlich irritiert war und fühlte ein wenig Mitleid für seinen Freund. Er hatte sich anscheinend mehr Gedanken um das Geschehene gemacht, als die Schönheit, die nun mit Konomi zum Burggarten schritt.

So war das eben, Kasuke hatte für so was einfach kein Händchen und verlor jedes Mal sein Herz.

Sekura wusste, dass Sheila ein Problem damit hatte, dass sie Kasukes Verflossenen ähnlich sah, aber auch wenn sonst keiner der Beiden es sah, Sekura wusste, dass es dem Wolf um Sheila ging. Da war ein Leuchten in seinen Augen, wenn er sie sah, dass Kasuke nicht von Früher kannte. Celine war stark und unabhängig gewesen. Sie hatte Kasuke geliebt, war aber nie emotional abhängig gewesen. Sheila jedoch war zerbrechlich in jeder Hinsicht. Ihr Herz war aus feinstem Glas und sie behütete es sehr. Es musste wundervoll sein, von einem solchen Menschen geliebt zu werden. Das war wahre Liebe, ohne Zweifel. Doch wer würde Sheilas Herz besitzen können und es die Pflege angedeihen lassen, die es verdiente?
 

Gegen Morgengrauen hatte Sheila beschlossen, ihr Herz voll und ganz zu verschließen. Sie war stark, musste es sein. Trotzdem wagte sie es erst weit nach dem Frühstück, hinunter zu den anderen zu gehen. Viel zu sehr fürchtete sie, dass man ihr ihre lange Nacht ansah. Das war vielleicht dumm, aber sie ging ab jetzt nur ihren Weg und wollte sich vor niemanden rechtfertigen müssen. Sie musste durchhalten, sonst war nichts mehr wichtig. Womöglich überlebte sie den Krieg nicht und wenn doch, dann würde sie wahrscheinlich in ihre Welt zurückkehren. Wozu sich an etwas binden?

Es hatte lange gedauert, bis sie sich zu diesem Ergebnis hatte durchringen können, nun würde sie alles tun, um sich nicht mehr beirren zu lassen. Sie tat sich, und auch sonst niemanden, mit ihren momentanen Launen keinen Gefallen.

Sie hatte sich gerade mit Konomi auf der Steinbank im Garten eingefunden, als tiefes Dröhnen den Boden und alles um sie herum zu erschüttern schien. Konomi versteifte sich und richtete sein Gesicht gen Süden. Wäre er in seiner Tierform gewesen, dann hätte er seine Ohren gespitzt. Nervös schielte sie zu dem anmutigen Gesicht hinauf, dessen Augen geschlossen waren. Warum sagte er denn nichts?

Plötzlich breitete sich ein Lächeln über Konomis Gesicht aus und er sah auf sie herab.

„Nun, du wirst dich jetzt beweisen können.“

Konomi zog die vollkommen verwirrte Sheila auf die Füße.

„Wovon sprichst du?“

„Die Clans kommen.“

Sheilas Herz setzte einen Moment aus, nur um dann in doppelter Geschwindigkeit weiter zu rasen.

„Wie bitte? Jetzt schon? Ich weiß doch gar nicht, was ich zu ihnen sagen soll.“

Konomi lachte.

„Du brauchst noch nichts sagen. Wir gucken ihnen erstmal zu, wie sie eintreffen. Dann werden sicherlich die Clanführer erst einmal mit ihnen sprechen wollen. Viele von ihnen haben ihre Schwestern und Brüder schon lange nicht mehr gesehen.“

Zielstrebig lief der Mann, mit den silbernen Haaren, voran aus dem Garten. Verzweifelt sah Sheila an sich herab. Konnte sie sich so den tausenden von Dämonen präsentieren. Präsentieren! Sheila schluckte. Jetzt war es soweit. Nun würde nicht mehr nur geredet werden. Die Armee war da. Sie war in ihrem persönlichen Albtraum gefangen.

Sofort raffte sie die Röcke und folgte Konomi. Sie wollte jetzt bloß nicht alleine sein. Seine Stärke würde ihr helfen den Tag zu überstehen.

Konomi wartete auf dem Burghof auf sie, wo bereits die Clanoberhäupter, sowie viele Neugierige beisammen standen. Sheila sah gerade noch, wie Kasuke ihrem Blick auswich und sein Gesicht dem Tor zu wand. Es tat weh, aber da sie nicht die Einzige war, die dieses Schauspiel mit angesehen hatte, überging sie die Situation und wandte sich an Konomi. Sekura folgte mit gerunzelter Stirn Sheilas Blick.

„Ich werde mit Sheila auf die Burgmauern gehen. Ihr könnt frei entscheiden, ob ihr zu euren Clans gehen wollt oder hier bleibt.“ Die Aussage war rein hypothetisch und da die anderen das wussten, wandten sie sich alle zum Eingang der Burg und verwandelten sich in ihre tierische Gestalt um ihre Herden, Schwärme, Kolonien und Rudel zu empfangen. Konomi nickte Sheila zu und ging zum Wehrturm, dessen steinerne Wendeltreppe hinauf auf die Mauern führte.

„Konomi, wenn du ebenfalls hinaus zu den Herden willst, kann ich das verstehen. Du musst nicht mit mir kommen.“

Das Oberhaupt der Einhörner lachte und zwinkerte Sheila zu.

„Meine Brüder und ich kommunizieren über Gedanken. Wir sind ein unabhängiges Volk, wir regieren einander nicht.“

Verwirrt sah Sheila zu ihm hinauf, während er leichtfüßig die Treppe bestieg. Sheila musste sich sehr konzentrieren, damit sie auf dem, von vielen Füßen glatte gelaufenen Boden nicht ausglitt.

„Aber du bist doch auch so etwas wie ein Oberhaupt, oder nicht?“

„Ich bin für besondere Situationen dazu auserkoren worden, für die Einhörner zu sprechen, aber ich bin nicht ihr Oberhaupt.“

Sheila nickte bedächtig und dachte nach.

„Aber wem unterstehen dann die Pferderassen?“

„Indirekt uns. Wir wollen nicht regieren, das liegt nicht in unserer Natur. Wir beschützen nur.“

„So wie Kasuke sein Rudel beschützt, nur dass ihr alle gemeinsam wirkt.“

Konomi klopfte Sheila liebevoll auf die Schulter.

„Genau richtig, meine Kleine.“
 

Die Sonne blendete Sheila, als sie auf die Mauern hinaustraten. Überall standen dämonische und auch menschliche Wachen, die in die Ebene hinausblickten, aber sofort Haltung annahmen, als sie sahen, wer dort von dem Burghof hinauf gekommen war.

Konomi ignorierte sie, doch Sheila nickte ihnen zu und schenkte ihnen ein schwaches Lächeln, dass sie sofort zu erreichen schien. Sie entspannten sich alle augenblicklich.

Sheila sah auf die Ebene hinaus und bemerkte zunächst nichts außer den

Tieren, die in Reih und Glied vor dem Burgtor standen und warteten.

Das Rumoren der Erde nahm stetig zu, also musste bald etwas geschehen, auch wenn Sheilas schlechte Menschenaugen nichts sehen konnten.

Sie spürte, dass ihre Handflächen feucht wurden und der Stein darunter warm und glitschig geworden war und sie wünschte sich einmal mehr nach Hause.

Was sie erwartete, konnte Sheila sich nicht ausmalen und das was sie dann zu sehen bekam, übertraf alles, was sie je versucht hatte, sich vorzustellen.

Zunächst wuchs eine, flächenmäßig große, Staubwolke stetig an, ohne etwas enthüllen zu wollen. Konomi lächelte durchweg vor sich hin und Sheila hasste ihre schlechten Menschenaugen immer mehr. Erst als die Armee über die Hügelkuppe ins Tal kam, ging ein Ruck durch Sheila und jeden um sie herum. Sie kamen!

Vorne weg erkannte Sheila, in Gold und Silber getauchte Gestalten, eine strahlender als die andere und doch alle irgendwie eins. Sheila spürte Konomis Erregung und wusste sofort, dass es sich um seine Brüder und Schwester handeln musste. Ihnen folgten Pferde und Ponys in allen erdenklichen Farben und Größen. Sie galoppierten in aufgelöster Formation hin und her, doch überholten die Einhörner nie.

Der Schwarm Insekten, der ihnen folgte, war dagegen wie eine militärisch organisierte Truppe, jede Art unter sich und in Reih und Glied. Die Zahl der Insekten überstieg die der Pferde ums Hundertfache. Flankiert wurden sie von überdimensionalen Hornissen, die ihren Stachel wie einen Speer mit sich führten. Bei dem Anblick lief es Sheila eiskalt den Rücken herunter. Nicht nur, dass die, eindeutig als Soldaten gekennzeichneten Tiere, so groß wie ein Kleinwagen waren, sie strahlten auch so eine Härte aus, dass Sheila froh war, dass sie auf ihrer Seite kämpften.

Als Sheila die Wölfe, zusammen mit den Felidae, über die Hügel kommen sah, wurde ihr jedoch augenblicklich warm ums Herz. Es war, als wenn ein Stück von Geborgenheit zu ihr zurückgekehrt war. Und wenn ihre Augen sie nicht trogen, dann konnte sie sogar Fry und Mika an der Spitze ausmachen. Scheinbar hatten die Beiden die Führung über beide Clans angenommen. Es verwunderte Sheila nicht, schließlich waren die Clans Verbündete und hatten in vielen Schlachten nebeneinander gekämpft. Unwillkürlich musste Sheila an das Dorf denken, in dem nicht viel mehr übrig geblieben war, als der Tod. Sie schüttelte sich.

Eine dunkle Wolke, die Sheila in die Gegenwart zurückholte, wurde am Horizont sichtbar und immer größer. Sie näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. Sheila wusste nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte, denn direkt darunter kamen die Tiere des Waldes zum Vorschein. Ob Reh und Bock, Wildschwein, Bär, Fuchs und Dachs, sie alle eilten der Burg entgegen, im Schatten der Wolke, die Sheila nun als einen gigantischen Vogelschwarm ausmachen konnte. Der Schwarm hatte die Ausmaße von zwei Fußballfeldern und es gab wirklich jedes geflügelte Tier zu sehen, das es gab. Von Spatz über Möwe, Storch und Bussard.

Periphae, die direkt unter Sheila stand, schüttelte das Gefieder. Sie sehnte sich sicher nach der Freiheit der Lüfte.

Sheila sah den Vögeln nach die sich in die umstehenden Bäume oder auf die Wiese niederließen. Auch die anderen Dämonen und Tiere waren allmählich zum Stehen gekommen. Sie dachte zunächst, das wäre es gewesen, denn die Größe der Armee hatte jetzt schon unglaubliche Ausmaße in ihren Augen.

Sheila beobachtete, wie hier und da einige Tiere, andere, viel interessantere Formen und Gestalten annahmen. Sie war überrascht, aber schalt sich dann selbst dumm. Sie hatte doch gewusst, dass es sich nicht nur um Tiere, sondern um mächtige Dämonen handelte. Wesen, die sie nicht verstand, wie sie sich erneut eingestehen musste. Ihr Feind würde diese Armee nicht unterschätzen. Da war sie sich sicher.

Sheila beobachtete, wie Kasuke und die anderen zu ihren Leuten sprangen, flogen und rannten. Kasukes Freude, und die Überschwenglichkeit des Clans, machten Sheila ein wenig traurig. Sie verspürte keinen Neid, es war einfach die Resignation, dass sie diese Gefühle, die die Dämonen dort unten verspürten, nie erlebt hatte und nicht kannte, nie kennen würde.

Dann bemerkte sie, dass noch immer zwei Gestalten dort unten standen und warteten.

Ein missmutiger Laut seitens Konomi, ließ Sheila aufhorchen.

„Das sie auch immer den Effekt auf ihrer Seite haben wollen!“

Verwirrt blickte Sheila auf….und sah, dass sich erneut etwas auf die Burg zu bewegte. Es waren zwei Gruppen von etwas je 1000 bis 1500 Krieger. Sie alle saßen zu Pferd, was Sheila bei ihrer Größe und Kraft wunderte und an die armen Tiere denken ließ, die sie trugen. Da Konomi aber nicht deshalb verstimmt zu sein schien, ging Sheila davon aus, dass die Pferde das Gewicht der Muskelprotze tragen konnte.

Sheila wusste sofort um wen es sich handelte, als sie nahe genug heran gekommen waren, damit sie sie erkennen konnte. Denn sie alle sahen Xantus und auch Piscis, dem Fischdämon unglaublich ähnlich. Sheila hatte nicht damit gerechnet, dass Piscis viel mehr als sich selbst zur Armee beitragen konnte. Er beherrschte das Wasser und das war schließlich Meilen entfernt. Doch es gab anscheinend noch etliche Meermänner und – frauen mehr.

Die Echsendämonen dagegen waren für Sheila alle gleich, sie konnte nicht sagen, ob sie männlich oder weiblich, ob sie Merkmale hatten oder unterschiedlich groß waren. Nur dass sie groß waren, dass war eindeutig, und Furcht erregend.

Kurz darauf musste Sheila schaudernd erkennen, dass die Echsen nicht alleine kamen. Hinter ihnen folgten große Schlange, Salamander, die die verrücktesten Farben hatten, und viel anderes Schuppengetier.

Da Sheila nun davon ausging, dass nicht mehr allzu viele Dämonen dazu stoßen würden, wagte sie zum ersten Mal, sich einen Überblick zu schaffen. Sie hielt den Atem an.

„Um Himmels Willen! Wie viele sind das?“

Nun, da viele ihre Gestalt gewechselt hatten, und das nicht nur menschlich, wie Sheila unscharf erkennen konnte, schien die Armee stetig anzuwachsen und das Tal zunehmend zu schrumpfen.

Konomi blickte sich abschätzend um.

„Ich schätze, an die 15 000 Soldaten.“

Sheila schluckte. Es hörte sich viel an, war es das denn auch?

„Wie groß ist die Armee des Feindes?“

Konomi verzog sein Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen.

„Ungleich mehr!“

Sheila wollte fragen, wie viel „ungleich“ war, aber sie wagte es nicht. Sie hatte doch Angst vor der Antwort. Es war leichter, sich vorzustellen, dass nichts diese Dämonen aufhalten konnte.

Sheila beobachtete die kuriosen Verwandlungen, die dort unten Vonstatten gingen. Einige Dämonen nahmen kaum menschliche Züge an, mutierten stattdessen oft zu grausig hässlichen oder verteufelt schönen Wesen, die irgendwie…..magisch wirkten. Sheila hätte kein passenderes Wort finden können

Konomi folgte ihrem Blick und schmunzelte.

„Du wirst bald feststellen, dass diese Kreaturen dort unten oft die erstaunlichsten Fähigkeiten haben.“

„Für mich ist alles erstaunlich, was kommt dann wohl auf mich zu, wenn du sagst „erstaunlich“!“

Der Mann lachte und es hörte sich an, wie das tiefe Dröhnen von Kirchenglocken. Es wunderte sie, dass die Dämonen vor der Burg darauf nicht reagierten.

„Nicht, dass du tot umfällst, wenn Gegenstände um dich herum plötzlich zu Leben erwachen oder durch die Gegend fliegen.“

Sheila holte tief Atem.

„Könnte passieren.“

Während Konomi sich weiterhin amüsierte suchte Sheila den Wolfsclan. Sie waren nicht unweit der östlichen Burgmauer und hatten sich scheinbar viel zu erzählen. Gedankenverloren beobachtete sie, wie Fry und Mika scheinbar gleichzeitig sprachen und auch Sekura mit einbezogen, der neben Kasuke stand. Sheila seufzte leise und lehnte den Kopf auf ihre verschränkten Hände. Wie gerne wäre sie jetzt dort unten bei ihren Freunden. Den Wölfen.

Plötzlich fuhr Kasukes Kopf herum und seine Augen bohrten sich in die ihren. Sheila zuckte zurück und hielt den Atem an. Sie war doch ganz leise gewesen, er hatte es nicht hören können. Oder?

Sheila zuckte hin und her, unsicher ob sie den Blick abwenden sollte. Es ging nicht, er ging ihr durch Mark und Bein. Und zum ersten Mal wurde Sheila bewusst, wie sehr sie sich in seine Arme wünschte. Sie wollte nicht nur den Clan, sie wollte vor allen Dingen Kasuke und das zerstörte alles, was Sheila an Illusionen aufgebaut hatte. Sie konnte ihm nicht mehr entfliehen. Sie muss entweder aufs Ganze gehen oder sie würde untergehen. So oder so, die konnte nur verlieren.

Und somit lösten sich Stunden der vergangenen Nacht, mit ihren Tränen in Luft auf.
 

Ich hab euch alle ganz doll lüb :-X

Der Kuss

In Gedanken versunken stand Sheila in der Bibliothek, vor dem gewaltigen Tisch, der immer noch voll gepackt von Büchern, die sie in der letzten Zeit studiert hatte.

Ihre Nervosität machte Knoten in ihren Magen und sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, damit niemand sah, dass ihre Hände zitterten. Auch wenn im Moment niemand anwesend war. Aber sie musste erst sich selbst davon überzeugen, dass sie ruhig und mutig war, um den anderen gegenüber treten zu können.

Den anderen Tausenden!

Sheila legte den Kopf in den Nacken und schloss ie Augen.

Jania und Dala hatten sie in einer zweistündigen Sitzung vollkommen verändert. Sie hatten ihr langes schwarzes Haar in einem verschlungen Knote hochgesteckt, was Sheila sehr viel Geduld und einigen Schmerz gekostet hatte. Danach war wieder ein Streit wegen dem Korsett entstanden, den die Mädchen, obwohl sie mutiger geworden waren und ihr widersprochen hatten, verloren.

Dann war Hotori mit einem, in Leinen eingepackten, Kleid gekommen. Sheila hatte skeptisch beobachtet, wie er den Stoff wie ein Heiligtum vor sich her getragen hatte und hätte beinahe laut los gelacht, bei seiner feierlichen Miene.

Dala und Jania verhielten sich beim Anlegen, des beeindruckend roten Kleides, nicht anders. Sheila begutachtete das Kleidungsstück. Es war wirklich außergewöhnlich mit seinem samtigen, frischen Rot- Ton und dem fließenden, schmeichelhaften Stoff. Eine goldene Bordüre, diente als Gürtel, betonte die schmale Taille ihrer Trägerin und der recht tiefe Ausschnitt unterstrich das Ganze um Weiteres. Nichts was Sheila in ihrem Kleiderschrank hüten würde. Doch es ließ sie eindeutig in einem fast magischen Licht erscheinen und Sheila fühlte sich geschmeichelt. Die Haarpracht tat ihr Übriges. Trotz alledem, hatte sie das Gefühl, sich in einer aufgesetzten Rolle zu befinden.

Fast weggetreten strich Dala über das Kleid und Sheila fand es allmählich so übertrieben dämlich, dass sie vor Ungeduld langsam zu platzen drohte.

„Was, in Gottes Namen, ist denn mit euch los. Was ist mit diesem Kleid?“

Jania sah sie an, als wenn sie die Unwissenheit in Person wäre. Sheilas Geduld wurde hart auf die Probe gestellt.

„Aber hat man Euch das denn nicht gesagt?“

„Was gesagt?“

Dala und Jania wechselten einen unheilvollen Blick.

„Was denn?“

Dala, die Extrovertierte der Beiden, sprach zuerst, die Neuigkeit schien ihr unter den Nägeln zu brennen.

„Das war das Kleid, das die Herrin Celine getragen hat, als sie, wie ihr, sich dem Volk stellte. So sagt die Legende“

Sheila wurde schlecht, wenn sie an die eifrigen Gesichter der Beiden dachte. Wie hätten sie wissen sollen, dass es nichts Schlimmeres für Sheila gab, als Celine auch nur im Entferntesten ähnlich zu sehen.

Sie seufzte und rieb sich den Nacken. Sie hatte die Ruhe gesucht, aber Verstecken konnte sie sich nicht.

Sie war jetzt solange hier…waren es Wochen oder sogar Monate, sie wusste es nicht mehr…..und nun musste endlich etwas passieren. Sie straffte die Schulter wie Scarlett O’Hara – hier würden sie den Vergleich nie verstehen- und verließ die Bibliothek.

Es wartete Gott sei Dank niemand hinter der großen Doppeltür, um sie zu begleiten. Das hätte noch gefehlt. Sie wollte mit niemanden reden.

Bedächtig lief sie durch den Korridor, dessen Wände die Gemälde der Vorfahren zierte. Auch das ihrer Vorfahrin.

Sheila blieb vor Celine stehen, spürte ihren abschätzigen Blick auf sich ruhen.

„Nun hattest du doch Recht. Ich bin genau da, wo du mich gesehen hast.“ Ihre Augen verdunkelten sich. „Naja, nicht ganz. Wenn es dich glücklich macht: Ich werde deinen Platz in vielerlei Hinsicht nicht einnehmen können.“ Sie sah zu Boden. Nun flüsterte sie nur noch.

„Es würde sonst sein Herz brechen, wenn ich dein Schicksal teile. Und meines, wenn es nicht wahr ist, alles nur eine billige Kopie.“
 

Mika sah zu Kasuke auf und wunderte sich einmal mehr, dass er so verschlossen, fast wütend zu sein schien. Anscheinend hatte es etwas mit Sheila zu tun, denn keiner konnte ihn auf sie wirklich ansprechen. Nähere Informationen zu ihrem Wohlergehen, waren nur über Sekura zu bekommen.

Mika blickte abschätzend zu dem Panter, der wenige Meter entfernt mit einem seiner Löwen saß. Auch er war anders. Sie hatte Sekura immer nur den verdienten Respekt gezollt, nicht mehr. Er war ihr einfach zu kalt und arrogant. Doch wenn er von Sheila sprach, veränderten sich seine Augen. Vielleicht nicht mehr, aber ihren aufmerksamen Augen entging nichts. Fast ärgerte Mika es, dass sie ihm gegenüber so empfänglich war. Sie mochte Sekura nicht.

Mika seufzte. Sie vermisste den Menschen. Sheila hatte sich in den zwei Tagen, die sie nun schon hier waren, noch nicht blicken lassen und Mika hätte so gerne mit ihr geredet. Auch die anderen Wölfe waren ungeduldig. Mika blickte sich um. Nein, nicht nur die Wölfe, auch die anderen Dämonen erwarteten Sheila sehnsüchtig. Sie wollten sehen, für wen sie kämpften und war das nicht auch verständlich?

In den letzten Stunden waren noch einige Tiere, die wahrscheinlich zurückgeblieben waren, dazu gestoßen. Die Armee umfasste nun etwa 18 000 Dämonen. Weniger als man sich erhofft hatte, wie Mika wusste. Nun konnten sie nur noch auf die Menschen hoffen.

Ein Raunen ging durch die Massen, dann erhoben sich die Dämonen. Mika reckte sich, um den Ursprung für die Aufregung zu erfahren. Sie machte Konomi auf der Brustwehr der Burg aus. Sie hatte das mächtige Einhorn bisher nur einmal gesehen, von Weitem, doch die Pracht und die Macht dieses Dämons erschütterte sie immer wieder.

Diese Wirkung hatte Konomi nicht nur auf sie. Alle, ausnahmslos alle, verstummten und starrten gebannt zu ihm empor. Seine Stimme war leise, durchdrang jedoch jeden Winkel der Ebene.

„Brüder und Schwestern, erweist unserer Herrin die Ehre und zeigt euer wahres Gesicht.“

Die Dämonen wurden von Tieren zu ihrer wahren Gestalt.

Konomi nickte leicht und dann knarzten die gewaltigen Tor der Burg und öffneten sich, um dem Heer zu offenbaren, was dahinter war.
 

Sie hatten ihr angeboten, ihr ein Pferd zu geben. Womöglich hätte sich sogar Konomi bereit erklärt, sie in die Menge hinaus zu tragen, doch Sheila hatte abgelehnt.

Sie hatte Angst, oh ja, aber zu reiten, sich größer zu geben als sie war, dass wäre vortäuschen falscher Tatsachen gewesen. Die Dämonen waren alle größer und mächtiger als sie, schon möglich, aber Sheila würde das Rückrat haben, sich so zu geben wie sie war.

Konomi war zufrieden mit ihrer Entscheidung gewesen, dass wusste sie und unterstützte sie, sich gerade zu halten, während ihre Knie mehr als alles andere zitterten.

Als die Tore aufgingen, zuckte sie zunächst vor den Sonnenstrahlen, die sie blendeten, zurück. Trat dann jedoch, mit klopfenden Herzen, durch die Pforte.
 

Kasuke hielt ebenso den Atem an, wie jeder andere Dämon auf diesem Feld. Wenn diese Tore aufgingen, dann war Sheila nicht mehr, als eine Feldherrin für ihn. Etwas, dass er endlich verstehen musste. Er würde sie auf Abstand halten, ihr treu dienen und womöglich auch für sie sterben. Doch das war alles was er sich erlaubte. Sonst nichts.

Als die Tore sich öffneten, ging ein Ruck durch die Menge, denn jeder versucht den ersten Blick auf Sheila zu erhaschen. Auch er wollte wissen, wie Sheila sich den Dämonen stellen würde, schließlich kannte er sie besser als er wollte. Er konnte sich vorstellen, wie ihr Herz in diesem Moment aus ihrer Brust springen wollte. Fast war es ihm, als wenn er es hörte.

Im ersten Augenblick verhinderte die Sonne, dass man Sheila genauer erkennen konnte, doch dann durchdrang ihn eine Macht, die er nicht einordnen konnte. Ein Rucken zu seiner Linken und Rechten bestätigte, dass die anderen Krieger dieselbe Erfahrung gemacht hatten.

Eine dunkelhaarige Schönheit schritt durch das Tor. Ihr voraus ging ein undefinierbares Licht, welches ihre Macht definierte und die Armee beben ließ. Kasuke erfüllte eine Zuversicht und Hoffnung, die er bisher nicht verspürt hatte. Kurz war es ihm, als wenn Sheila jede Zelle in seinem Körper erfüllte und ihm unendliche Kraft verlieh.

Kräftigen Schrittes schritt sie den Hügel hinunter, auf die Menge zu. Sie schloß jeden mit einen Blick ein, der Vertrauen versprach und Frieden. Kasuke fragte sich einen kurzen Moment, ob Sheila wusste, wie sie wirkte und was mit ihr in den letzten Stunden geschehen war.

Als Sheila die ersten Reihen der Dämonen erreichte, ging eine Bewegung durch die Menge, die sich in Wellen bis in die hintersten Enden fortsetzte. Sie senkten den Kopf und knieten nieder. Kasuke sah, dass dies Sheila eindeutig unangenehm war und sie sah fassungslos zu, wie selbst Drei-Meter große Wesen auf ihre Größe schrumpften. Nicht, dass irgendjemandem aufgefallen wäre, wie winzig sie ihm Vergleich war. Sie sah aus wie ein Mensch, doch war

mächtiger als alle.

Kasuke beugte das Haupt. Sie war mächtiger als Celine, dass erkannte er jetzt und gefährlicher für ihn, als alles was ihn in diesen dunklen Zeiten erwartete.
 

Kaum hatte Sheila die Pforte durchlaufen, erfüllte sie eine Kraft, die sie nicht einordnen konnte. Celine war es nicht, ihre Präsenz schien fast vollständig verschwunden, aber irgendwie fühlte es sich an, als hätte ihr Mut und ihr Wille eine Macht in ihr entfesselt, die sie bisher unter Verschluss gehalten hatte. Sheila fühlte sich größer, stärker und gleichzeitig geistig so sehr gealtert, dass es sich umzuwerfen drohte. Doch sie Schritt ruhig auf die Heerscharen zu und wusste, sie konnte sie führen. Woher diese Sicherheit kam, dass wusste sie nicht, aber es gab ihr das Gefühl, hier her zu gehören. Alles war richtig, so wie es war. Ihr Schicksal erfüllte sich hier, sie hatte es nur erkennen müssen.

Trotzdem erschrak sie, als die Dämonen vor ihr in die Knie gingen. Sie hatte nicht geahnt, dass sie so eine Wirkung auf die Massen vor ihr hatte. Sie war irgendwie peinlich berührt. Doch dann räusperte sie sich.

Es schien wie ein Donnerhall, denn sofort reagierten sie alle. Sheila fand ihre neu erworbene Macht wirklich erstaunlich.

„Steht bitte auf.“

Sheilas Herz meldete sich zurück. Diese Krieger waren so viel älter und stärker als sie und nun hielt sie eine Ansprache. Grotesk!

Die Aufmerksamkeit der Dämonen war ungebrochen, sie hatten ihren Zwiespalt nicht bemerkt.

„Wir sind eins, in diesem Kampf, meine Freunde.“ Ihre Zunge tat, was sie wollte. Irgendwie war es lächerlich und dann wiederum kehrte ihre Weisheit zurück, eine innere Stimme, die sie daran erinnerte, dass nichts Lächerliches an dem Ganzen war.

Sie sah sich um und erkannte Kasuke, etwa hundert Meter von ihr entfernt. Sie sah ihn an und fuhr fort.

„Wir werden bald handeln müssen, dann darf es keine Unterschiede mehr geben.“

Sie ließ seinen Blick los, der ihr durch Mark und Bein ging, und ließ ihre Augen unbestimmt über viele abstruse Gestalten wandern.

„Auch nicht zwischen Menschen und Dämonen.“

Ein Raunen ging durch die Armee, doch keiner widersprach.

„Wir werden um Hilfe bitten und Seite an Seite kämpfen. Jeder ist unser Bruder und unsere Schwester und wir werden für unseren Nächsten einstehen, wenn es zum Kampf kommt.“

Sie holte tief Luft, woher sie diese Worte auch nahm, sie kosteten sie Kraft.

„Ich werde kämpfen und womöglich genauso verwundet werden wie ihr. Unser Feind macht keine Unterschiede im Kampf, er wird uns seine Krieger vor die Füße werfen und nicht um sie weinen. Doch wir werden jeden an unserer Seite schützen, als wenn es unser eigenes Leben wäre. Das macht uns stark und das lässt uns siegen.“

Sheila verstummte. Sie hatte alles gesagt, was zunächst zu sagen gab. Wie und wann es zum Kampf kommen würde, dass würden die Oberhäupter unter sich entscheiden.

Die Stille war zunächst drückend, doch Sheila war zu erschöpft, als das sie viel darum gegeben hätte. Was wunderte sie es auch, sie war doch nur ein Mädchen aus einer anderen Welt. Fast hätte sie laut los gelacht.

Sie wollte sich gerade abwenden, als die Armee in ohrenbetäubendes Brüllen verfiel. Verwirrt blinzelte Sheila in die Menge. Sie riefen, schrieen und jubelten und Sheila war es, als wenn ihr Kopf nicht erfassen wollte, was sich da abspielte. Sie riefen ihren Namen, bejubelten sie.

Eine Stimme an ihrer Seite, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich.

„Ich wusste, dass wir keinen Fehler machen würden, wenn wir dir unser Vertrauen schenken.“

Sheila sah in Konomis freundliches Gesicht und ihr fiel ein Stein vom Herzen, während sie sich fürchterlich unwohl fühlte, weil sie 18 000 Dämonen, außer Rand und Band gebracht hatte.
 

Am folgenden Abend wurde gefeiert und gelacht, als wenn eine große Last von den Dämonen genommen worden wäre. Überall über die Ebene verteilt, waren Feuer errichtet worden und Grüppchen saßen zusammen speisten und tranken.

Sheila hatte sich umgezogen und eine Weile das Treiben von den Burgmauern aus beobachtet, doch ihre Neugier war zu groß. Sie wollte sich unbedingt unter die Krieger mischen.

Natürlich konnte sie sich nicht unbemerkt bewegen. Egal woher sie lief, man nickte ihr zu, zeigte ihr die größte Ehrerbietung und bot ihr Speis und Trank an. Sheilas Manieren ließen sie an jedem Feuer halten. Sie wusste, dass die Dämonen sie nicht mit irgendwelchen Fragen bombardieren würden, doch Sheila wollte ein warmes, freundschaftliches Verhältnis zu den Kriegern, also versuchte sie mit ihnen zu plaudern und viel über ihre Heime, ihre Sitten und ihr Leben zu erfahren.

Dementsprechend war sie vollkommen fertig und voll mit Informationen und Bildern, als sie das Wolfsrudel erreichte. Die jungen Wölfe tummelten sich sofort um sie herum, sichtlich erfreut sie wieder zu sehen. Ihre Jugend ließ sie unempfänglich werden, für diesen maßlosen Respekt, mit dem die anderen Dämonen ihr begegneten. Sheila war sehr froh darüber.

Da kam auch schon Haruto angepoltert und erdrückte sie fast in einer mächtigen Umarmung.

„Mädchen, du hast mir gefehlt.“

„Haru..to…keine….L..uuft“

Dröhnend lachend löste er sich von ihr und rief seine Jungen zur Ordnung, die immer überschwänglicher wurden. Sheila lachte laut und spürte, wie alle Einsamkeit verflog, sie hatte eine Familie.

„Hallo, Sheila:.“

Sheila wandte sich um und entdeckte Mika. Ihre Freundin.

Mit zwei langen Schritten lag sie der zierlichen Mika in den Armen, die sich zunächst versteifte, dann jedoch die Umarmung erwiderte.

Sheila musste sich Tränen fortwischen, als sie alle begrüßt hatte.

„Meine Güte, hab ich euch vermisst.“

Ein Lachen ging durch die Menge. Fry schmunzelte und nickte.

„Wir dich auch.“

Oh, was für ein wunderbares Gefühl. Sheila war erfüllt von Liebe, sie drohte wie ein Kessel überzulaufen.

Sie sah sich um, wollte jedes Gesicht in sich aufnehmen. Da erst bemerkte sie, dass Kasuke nicht anwesend war. Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, doch Mika, und bestimmt auch Fry, hatten es bemerkt.

„Er ist in der Burg.“

„Wer?“

Doch Sheila konnte ihnen nichts vor machen.
 

Es war schon weit nach Mitternacht, als Sheila zur Burg zurückkehrte. Sie war ein wenig wackelig auf den Beinen – war es Schlehenschnaps gewesen? - aber sie fühlte sich pudelwohl, unterdrückte die meiste Zeit ein Kichern und freute sich auf ihr Bett.

Sie würde morgen mit den Oberhäuptern über den Plan sprechen, die Menschen aufzusuchen. Es war an der Zeit.

Sie näherte sich dem Burgtor und hüpfte den Hügel empor.

Ein Schatten erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie vernahm ein schrilles Kichern, dann lösten sich zwei Gestalten von der Burgmauer, trennten sich. Das Mädchen kam auf sie zu. Sheila kannte sie aus der Burg. Ein Zimmermädchen? Sie wusste nichts mehr, ihr Kopf war voll mit wirren Gedanken. Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass sie stehen geblieben war.

Das Mädchen knickste in ihre Richtung, die Wangen gerötet und ein wenig verlegen, und machte sich dann schnell auf den Weg durch das Tor.

Warum blieb sie nur stehen? Was interessierte sie, was die Diener der Burg taten.

Sie wollte gerade weiter gehen, da spürte sie, dass die andere Gestalt stehen geblieben war und sie ansah. Sheila kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit zu erkennen, wer da stand. Dämliche Menschenaugen!

Dann blitzen zwei Augen auf. Zwei sehr vertraute Augen. Sheila erstarrte. Ein Kloß im Hals ließ sie kaum atmen.
 

Ein Ruck ging durch sie hindurch und sie setzte sich augenblicklich in Bewegung. Sie war so dumm. Warum war sie nur stehen geblieben? Sie hatte es nicht sehen wollen.

Mit Händen zu Fäusten geballt, Arme an die Seite gepresst, eilte Sheila durch die Pforten und über den Burghof.

Die Stimme, die ihren Namen rief, ignorierte sie geflissentlich.

„Verdammt, Sheila, bleib stehen.“

Ein brutaler Ruck riss sie herum, sodass sie ins Wanken geriet. Ein stahlharter Griff hinderte sie am Stürzen. Sie schloß die Augen und stöhnte vor Schmerz. Kasuke wich sofort von ihr. Sheila rieb sich die Oberarme.

„Was willst du von mir?“

Lallte sie etwa?

„Was hast du dort gemacht.“ Er deutete wage zu den Mauern der Burg.

Sheila lachte hart auf.

„Ich war auf dem Weg zurück, nachdem ich die letzten Stunden bei deinen Wölfen war.“ Sie wandte das Gesicht ab, weil seine stechend blauen Augen ihr wehtaten.

„Da wo du nicht warst.“

„Willst du mich etwa verurteilen?“

Seine Stimme bebte vor Zorn, so wie sich ihrer in ihr regte.

„Habe ich das jemals getan? Tue ich das jetzt?“

Sie lallte eindeutig.

„Keine Ahnung, sag du es mir.“

Diese Arroganz. Schrecklich. Wenn sie nicht so daneben gewesen wäre, hätte sie ihm eins auf die Nase gegeben.

„Das ist doch lächerlich. Ich könnte dir hunderte von Dingen vorwerfen, aber nicht, dass du irgendwelche Mägde beglückst. Das ist dein Bier.“

Sie wandte sich um und sah nicht mehr, wie er, angesichts ihrer Wortwahl, die Brauen hob. Ihr Bett rief verführerisch und wenn sie im Land der Träume war, dann konnte sie das alles hier vergessen.

Mit einem Satz stand er vor ihr. Verdammte Dämonen. Sie war sofort in ihn hineingelaufen und verlor erneut die Balance. Dämlicher Schnaps. Nie wieder Alkohol.

Die Wärme und die Kraft, die sie umfingen, als er sie vor dem Sturz bewahrte, raubte ihr fast den Verstand. Gut, dass sie ihn benebelt hatte.

„Du meine Güte, du hast eindeutig zu viel getrunken.“

Sie schlug nach ihm, um von ihm loszukommen, doch er wich behände aus.

Seine Hände auf ihrer Haut hinterließen feurige Spuren. Ihr Atmen wurde mühselig. Panisch wehrte sie sich.

„Lass mich sofort los.“

„Beruhige dich, ich will dir doch nur helfen.“

„Nein!“

Sie schubste ihn von sich, als er den Griff etwas lockerte.

Als sie ihn ansah funkelten ihre Augen vor Wut und sie hatte sich noch nie so verletzlich gefühlt.

„Spar dir den Mist für die Mägde dieser Burg, oder sonst wen. Ich denke, du hast mehr als einmal verständlich gemacht, dass die Sache mit Celine der Grund für deine Anwesenheit ist.“

Das war unfair. Sie hatte ihn zuletzt von sich gewiesen. Aber sie erinnerte sich auch an die Worte im Wald.

Tränen wollten ihren Weg bahnen.

„Glaubst du wirklich, ich hätte weiterhin Interesse an dir? Wenn dem so wäre, hättest du mich sicher nicht mit dem Mädchen gesehen.“

Der saß.

„Achso, der Herr ändert schnell seine Meinung. Naja, gut. Wenn die Chancen auch so schlecht standen. Muss man halt seine Taktik ändern.“

Dass sie auch immer das letzte Wort haben musste. Sie redete Blödsinn, dass wusste sie.

„Du willst mir also erzählen, dass es dich kalt lässt, wenn wir uns sehen?“

Sheila tat so als würde sie nachdenken.

„Hmmmm, ja eindeutig.“

Kasuke trat näher, seine Augen blitzten gefährlich.

„Und, dass du hier überhaupt nichts spürst?“

Er hob die Hand und Sheila versuchte nicht zurück zu zucken. Die Blöße wollte sie sich nicht geben. Kasuke fuhr mit seinen Fingern von ihrem Hals, über ihr Schlüsselbein hinunter über ihre Brust und somit über ihr Herz. Es raste und die Finger hatten eine Gänsehaut zurück gelassen. Seine Hand verweilte dort einen Augenblick, dann zog er sie abrupt zurück. Sein hämisches Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus.

„Nein, tu ich nicht.“ Sie reckte das Kinn vor.

„Was willst du dir beweisen, Sheila?“

„Ich weiß nicht, wovon du redest.“

„Du spielst ein riskantes Spiel, wenn du denkst, du könntest mich leiden lassen, in dem du mir mit Celine den Kopf verdrehst.“

Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Tränensäcke, es gab Arbeit.

„Wie bitte?“ Sie schluckte.

„Du hältst das alles für eine Art Machtspiel?“

Kasuke antwortete nicht, sah sie nur abschätzend an.

„Du bist ein so jämmerlicher Idiot. Ich habe immer versucht, nicht Celine zu sein, doch alle Welt wollte sie in mir sehen. Du bist es gewesen, der mir die Ähnlichkeit aufzeigte. Du hast mir dadurch meinen Glauben an mich selbst genommen. Ich habe ständig an mir gezweifelt, weil du SIE in mir sahst.“

Sie ignorierte die Tränen, die heiß auf ihrer Wange brannten.

„Ich musste mich, wegen dir, erst einmal selber finden. Und wegen dir, war ich so einsam, wie nie zuvor in meinem Leben. Du weißt nicht woher ich komme und was ich durchgemacht habe. Alles was ich immer besaß, war mich selbst und mein Stolz und du, ja du, hast gerade das immer wieder in Frage gestellt.“

Sie ging einen Schritt auf ihn zu, blind vor Zorn.

„Wag es ja nicht, dich so weit zu überschätzen, dass ich so sehr auf dich abfahre. Ja, du hast mir zu denken gegeben und ja, du warst mir sehr wichtig. Vielleicht mehr, als gesund für mich ist. Aber das reicht nicht aus, um die Wunden zu schließen, die du mir zugefügt hast.“

Mit einem Ruck drehte sie sich um und rannte die Treppen hinauf, in die Burg. Sie wollte ihn hinter sich lassen, nichts mehr hören, nicht mehr sehen.

Sie hörte ihn nicht kommen, dazu waren ihre Schluchzer zu laut, doch der warme Körper, der sie plötzlich umfing und gegen die Mauern des Korridors drängte, war überdeutlich. Sheila versuchte sich, blind durch die Tränen, zu wehren, doch Kasuke hielt sie fest. Sein Atem berührte heiß ihr Gesicht und ließ es kribbeln, doch ihr Herz schrie vor Schmerz, weil es so viel Abstand wie möglich zwischen sich und ihm haben wollte.

Sie wollte schreien, rufen, alle in der Burg wecken, nur um von ihm fort zu kommen.

Dann senkte sich sein Mund auf ihren. Sheila zuckte zurück, als sie die warmen, fordernden Lippen auf den ihren spürte, doch die kalte Mauer in ihrem Rücken, hielt sie zurück.

Kasuke drängte sie, wollte sie ganz und Sheila hatte nicht die Kraft ihn zurück zu weisen. Ein heißer Schauer durchlief ihren Körper und entspannte diesen augenblicklich. Ihre Fäuste, die zwischen ihnen eingeklemmt waren, öffneten sich und lagen auf seiner Brust. Sheila stöhnte und gab Kasuke ganz nach. Süße und Leidenschaft erfüllte sie, als sein Kuss weniger fordernd, sondern zärtlich wurde.

Sheila war geneigt, sich im hin zu geben, so sehr war sie überwältigt von den Gefühlen, die Kasuke in ihr auslöste. Sie spürte, dass er sie wollte. Doch er ließ nach in seinem Griff, um zärtlich über ihren Nacken zu fahren, und die Hitze zu verschlimmern.

Warum hatten sie gestritten, wenn es doch auch so sein konnte? Sheila Hirn wollte aussetzen und alles vergessen, doch dann zuckte es wie ein Blitz durch ihre Gedanken.

*Es geschah etwas zwischen ihnen, dass sie einander näher brachte…*, ein Kichern folgte und zwei Schatten, die sich nach scheinbar Stunden voneinander lösten, dann Kasukes verächtliches Gesicht, seine Worte. Sheila keuchte auf, als die Schmerzen sie zurück eroberten.

Sie wehrte sich und Kasuke lies es zu. Verblüfft und mit, von Verlangen, dunklen Augen, sah er sie an. Beide atmeten sie schwer.

„Du Mistkerl. Hast du jetzt was du wolltest?“

Sie sprang vor und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.

„Ich hoffe du bist glücklich darüber, dass du Recht hattest. Du bist mir nicht egal.“

Diesmal verfolgte Kasuke sie nicht. Zu sehr war er von ihrem Ausbruch und seinen Gefühlen geschockt.

Neuer Mut

Am folgenden Morgen, die Sonne hatte gerade die ersten wärmenden Sonnenstrahlen über das Land geschickt, trafen sich die Clansoberhäupter, sowie ihre Generäle, und natürlich Sheila, in der großen Bibliothek.

Sheila hatte eigentlich von sich aus um eine Versammlung bitten wollen, doch es war etwas dazwischen gekommen. Dieses Etwas saß nun an dem mächtigen Holztisch, umhüllt von einer Decke und kaum größer als ein sechsjähriges Kind. Seine spitze braune Nase zitterte unentwegt, als wolle es den Geruch der Umstehenden in sich aufnehmen. Doch da der Dämon am ganzen Körper bebte, konnte das auch täuschen. Die blinden Augen, des Maulwurfs starrten ins Leere.

Sheila hielt sich im Hintergrund und lehnte an einem der gigantischen Bücherregale. Sie hatte die Nacht kaum geschlafen und ihre Laune war nicht die Beste gewesen, als Mika sie gegen fünf Uhr Morgens geholt hatte. Mika hatte skeptisch ihr zerknittertes Kleid vom Vortag angesehen, aber nichts gesagt.

Das was geschehen war, hatte Sheila längst ausgeblendet. Sie maß dem Ganzen keine Bedeutung mehr bei, zu sehr fürchtete sie die Kontrolle zu verlieren. Ob sie sich selbst belog, war ihr egal. Es gab wichtigere Dinge, wie sie hier wieder einmal vorgeführt bekam.

Konomi kniete neben dem Geschöpf nieder und legte ihm eine seiner sanften, aristokratischen Hände auf die Schulter. Der Maulwurf zuckte zusammen, doch er floh nicht. Konomi war viel zu beruhigend in seiner Art.

„Beruhige dich, mein Freund. Hier bist du sicher. Erzähl uns, was du gesehen hast.“

Der kleine Kerl schrumpfte noch einmal um mehrere Zentimeter und Sheila musste ihren Kopf ein wenig recken um ihn sehen zu können.

„ Es waren so viele. Wir…wir konnten nichts tun. Es waren zu viele.“ Die piepsige Stimme brach und er vergrub seine Schnauze in seinen krallenbewehrten Pfoten. Konomi sah sich nach Sheila um und hob eine graue Augenbraue. Er musste nichts sagen, Sheila verstand sofort. Sie hatte sich im Hintergrund halten wollen, aber war das hier nicht ihre Aufgabe? Sie war die Auserwählte.

Ohne irgendjemanden eines Blickes zu würdigen, stieß sie sich von dem Regal ab und ging auf den kleinen Dämon zu. Er hörte ihre Schritte und zuckte mit der winzigen Schnauze. Er musste wittern, dass sich ein weibliches Wesen, und noch dazu ein Mensch, näherte, denn er hob sein Gesicht und wandte es Sheila zu.

Auch sie ließ sich neben dem Maulwurf nieder, doch sie berührte ihn nicht.

„Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man nicht durch den Tod verlieren.“ Schweren Herzens dachte Sheila an ihre Mutter. Der Krebs hatte ihr auch keine Chance gelassen.

Der Dämon erstarrte, lauschte gebannt.

„Was auch immer passiert ist, wir können es nicht ändern, aber dir helfen es durch zu stehen. Du musst uns sagen, was geschehen ist.“

Der Maulwurf drehte sein Gesicht und schien ihr in die Augen zu sehen. Auch wenn Sheila wusste, dass dies nicht möglich sein konnte, spürte sie seine Seele verbunden mit ihrer.

„Sie ist es! Ihr habt sie gefunden!“, seine Stimme war kaum mehr ein Flüstern, doch jeder im Raum schien es vernommen zu haben. Sheila sah zu Konomi auf und er lächelte.

„Ja, Talpino und sie wird sich deiner Geschichte annehmen und sie hüten, wie einen Schatz.“

Talpino nickte und senkte den Kopf.

Sheila kam sich so wichtig vor, dass ihr Magen einen Satz machte. Mannoman, wie feierlich das sich anhörte. Sie würde sich nie daran gewöhnen.

„Ich bin so schnell hier hingekommen, wie ich konnte, aber es ist trotzdem mehr als fünf Sonnenaufgänge her.“

Sheila überschlug die Aussage. So hatte sie noch nie jemanden von Tagen reden hören. Sie sah sich um und erkannte, dass alle wie versteinert um sie herum standen. Dass sie atmeten, war kaum zu erkennen. Kasukes Blick wich sie automatisch aus.

„Die Welt legte sich zum Schlafen nieder, als wir uns aufmachten, an die Oberfläche zu reisen. Für viele unserer Jungen, war es das erste Mal.“

Ein seliger Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Sheila schmerzte das Herz. Sie kannte die Sitten dieser Dämonensippe nicht, aber sprach davon, als wenn es was ganz Besonderes gewesen wäre. Doch diese Emotionen währten nicht lange. Talpino versank noch tiefer in seiner Decke.

„Ich hörte sie nicht kommen. Wir waren nicht ganz an der Oberfläche angekommen, als ich Schreie vernahm. Die Schreie meiner Artgenossen. Doch das war nicht das Einzige. Die Erde begann zu Beben und plötzlich flohen alle wieder zurück in unseren Bau. Ich war so beschäftigt meine Familie nicht zu verlieren, dass ich erst zu spät bemerkte, dass wir angegriffen wurden.“

Talpino holte tief Luft.

„Alle schrieen durcheinander. Kaum einer verstand das Wort des anderen, bis ich selbst vor ihnen stand. Ich konnte sie natürlich nicht sehen, doch ich roch den Gestank des Todes und schmeckte die Gefahr. Ich weiß nicht, was sie waren. Solchen Monstern war ich noch nie begegnet, noch das ich je von ihnen gehört hatte.“

Sheila bemerkte, wie sich die anwesenden Dämonen ungläubig anblickten. Sie warf ihnen einen gereizten Blick zu. Nur weil der Maulwurf es nicht sehen konnte, hieß das nicht, dass er es nicht bemerkte.

Wieder schien Talpino sich ausschließlich an Sheila zu wenden.

„Sie können nicht viel größer als wir gewesen sein, vielleicht ähnlich wie Schlangen, ich weiß es nicht. Sie..w.wa..waren fast ge..geräuschlos.“

Eine dicke Träne kullerte durch sein dichtes Fell.

„Sie haben es nicht geschafft, keiner von meiner Sippe.“

Ein dicker Kloß wollte Sheila schier ersticken und sie schlang die Arme um das kleine Wesen. Sie konnte nicht anders.

„Wie kommt es, dass du dort heile heraus gekommen bist?“

Die tiefe, aggressive Stimme Sekuras durchschnitt die Schluchzer Talpinos. Sheila verspürte augenblicklich Mordlust, doch sie bemerkte, dass dies scheinbar auch für alle anderen von Bedeutung war.

Talpino weinte noch herzzerreißender und Sheila drückte ihn stärker an ihre Brust.

„Ich versteckte mich in einer Nische. Ich dachte, es wäre sinnlos und sie würden mich finden, wenn sie wollten und mehrere Male schienen sie mir sehr nahe, aber ich blieb verschont. Als ich dann mein Versteck verließ waren sie weg und….“

Erneut brach seine Stimme und Sheila bedeutet Konomi, dass nun genug war. Talpino war bestimmt Tag und Nacht gereist und hatte innerlich mehr Blut vergossen als alle seine Freunde zusammen. Die, die zurückblieben litten meist mehr, als die Verstorbenen.
 

Die Versammelten hatten sich zunächst zerstreut und Sheila hatte Talpino in ein ruhiges Zimmer gebracht und ihm Laudanum verabreicht, welches sie von Konomi zugesteckt bekommen hatte. Der Schlaf konnte gefürchtet aber auch heilend sein. Sheila hoffte, dass das Laudanum in der hohen Dosis, die sie verabreicht hatte, die Träume fern hielt und den heilenden Tiefschlaf herbeirief.

Als sie das Zimmer verließ, wartete Sekura auf sie. Ungehalten sah sie ihn nur kurz an und lief dann einfach an ihm vorbei, den Flur entlang. Sekura lief ungeniert einfach neben ihr her. Sheila war nicht mehr wütend, wegen seiner unsensiblen Frage in der Bibliothek, sie wusste dass es berechtigt gewesen wäre. Aber sie ertrug im Moment kein männliches Wesen um sich und sie wusste, dass Sekura ein wenig zu interessiert an ihr war.

„Wir versammeln uns gleich erneut. Es gibt einiges zu besprechen.“

Sheila nickte nur und beschleunigte ihre Schritte. Sie würde vorher auf jeden Fall etwas Frisches anziehen und sich waschen. Ihre Haare standen ihr wild um den Kopf und ansonsten fühlte sie sich auch vollkommen zerknittert.

Während sie an der Bibliothek vorbei und den Gang mit den Bildern hinunter lief, blieb der Panter an ihrer Seite und musterte sie. Entnervt blieb Sheila stehen. Ihre grauen Augen schienen vor Müdigkeit noch dunkler und ihre helle Haut, schien noch einen Ticken heller zu sein.

„Was ist?“

Aufgrund der Respektlosigkeit in ihrem Ton hob Sekura eine Augenbraue. Eine sehr attraktive Braue, wenn man es so bezeichnen konnte, aber Sheila hatte keinen Nerv dafür.

„Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht?“

„Und das kannst du nicht einfach fragen, sondern läufst wie so ein Depp neben mir her.“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.

Sekura schmunzelte.

„Nun ja, du scheinst mir sehr gereizt und ich dachte ich warte auf deinen Ausbruch und führe ihn nicht herbei.“

Sheila seufzte und schloss die Augen. Nein, darauf hatte sie jetzt keine Lust. Zuviel Spielerei für diesen Moment.

„Mir geht’s gut und nun werde ich auf mein Zimmer gehen und mich umziehen!“

Sie hatte vorgehabt, ihn einfach stehen zu lassen, aber er lief weiter neben ihr her.

„Sekura, ich kann mich alleine frisch machen. Ich brauche dich nicht dafür.“

„Ich habe gerade das Gefühl, dass du nicht alleine sein solltest.“

Sheila spürte Wut in sich aufsteigen.

„Und wie bist du auf diese glorreiche Idee gekommen?“

„Ich sehe dir an, dass etwas nicht stimmt und du nicht ein Auge zu getan hast.“

„Na und?“

„Du bist die Rettung dieser Welt. Da muss man doch ein Auge auf dich haben.“ Sheila runzelte die Stirn. Diese Ironie hatte sie sich doch nicht eingebildet.

Verärgert wandte sie sich zu ihm um. Spöttisch sah er auf sie herab.

„Weißte was? Du kannst mich mal. Du hast die Suppe die Suppe der Weisheit wohl mit einer Gabel gegessen!“

Sie ließ ihn mit einem irritierten Gesichtsausdruck zurück. Sollte er mal darüber nachdenken, was sie wohl meinte.
 

Eine knappe Stunde später fühlte sie sich frisch und entspannt und stampfte runter zur Bibliothek. Ihr Inneres war unerreichbar für alle und jeden und sie fühlte sich stark und unerreichbar. Sie hatte Celines Kleid mit einem grünen, schlichten Hauskleid getauscht und ihre Haare locker zurückgebunden. Das Kleid war praktischer, als diese ganzen aufwendig geschnittenen Werke, die sie bisher getragen hatte. Sie wollte Konomi sowieso demnächst dazu überreden, Hosen tragen zu dürfen. Das war einfach viel besser und sie würde sich auch niemals im Damensattel auf ein Pferd schwingen. Reiten war für sie auch so schon schwierig.

Sie sah kurz noch bei Talpino rein, doch er schlief noch immer und auch ruhig so wie es schien. Sie beauftragte ein junges Mädchen, über den Maulwurf zu wachen und ihr jede Veränderung sofort mitzuteilen.

Sie fand die Türen der Bibliothek verschlossen vor, doch sie wusste, dass Konomi und die anderen dort auf sie warteten. Was sie vielmehr störte war, dass Kasuke neben der Tür lehnte und aufblickte, als sie näher kam. Ihre Laune verschlechterte sich sofort wieder. Bevor er etwas sagen konnte hob sie die Hand.

„Ich will es gar nicht wissen.“

Sie lief an ihm vorbei und wollte die Tür öffnen, doch er hinderte sie daran. Als sein Hand die ihre berührte, zuckte sie zurück.

„Verdammt, was willst du?“, fauchte sie. Kasuke hatte den Anstand, betreten zu Boden zu schauen.

„Ich wollte mich entschuldigen.“ Seine raue, zugleich warme Stimme versetzte ihr einen Stich. Er wich ihrem Blick aus.

„Vergiss es einfach, okay?“

Sie wollte erneut die Flügeltür öffnen, doch er ließ es nicht zu. Ihr Kopf ruckte hoch und sie sah in seine kristallblauen Augen. Die Schatten unter diesen sah sie bewusst nicht.

„Ich hätte das nicht tun sollen. Ich bin ein Clanoberhaupt und müsste es besser wissen. Ich werde dich nicht länger belästigen. Du bist meine Herrin und ich habe gelobt, dich zu beschützen. Dabei wird es bleiben.“

Heißglühender Zorn, Trauer und Ungläubigkeit übermannten Sheila, so dass sie das Gefühl hatte, ihr würden die Beine unter dem Körper weg gezogen.

„Bitte, dann ist ja alles ausgesprochen!“

Damit ließ sie ihn stehen.
 

„Sie haben ihn leben lassen, damit er uns von dem Überfall erzählen kann.“

„Und was bezwecken sie damit?“

„Nichts Gutes, befürchte ich.“

Sie saßen allesamt um die Holztafel und diskutierten schon seit Stunden, wie es Sheila vorkam. Sie hatte noch nichts gesagt, sondern den Schlagabtausch, der einzelnen Clans beobachtet. Sie hatte alles Privates von sich gewiesen und fühlte sich sehr distanziert….und einsam. Kasukes Worte hatten wehgetan, aber sie waren richtig gewesen und nun würde sie zeigen, dass sie stark war. Nichts würde sie noch ablenken. Sie behielt die Kontrolle und blieb somit frei.

Sheila wandte sich an Xantus, der neben ihr saß.

„Wo genau liegt der Bau der Maulwürfe?“

Xantus blinzelte ein wenig, überrascht, dass sie das Wort an ihn direkt richtete.

Er sah zu der großen Landkarte, die in der Mitte der Tafel lag.

„Ssssehr nah an den kalten Bergen.“

Sheila musterte die Karte und erinnerte sich an die Geschichten, die sie gelesen hatte.

Konomi beobachtete Sheila eine Weile, dann räusperte er sich.

„Worüber denkst du nach, Sheila?“

Sheila runzelte leicht die Stirn und sah dann zu dem Einhorn auf.

„Ich denke, dass der Imperator vortastet. Es ist gut möglich, dass Talpino entkommen sollte, um uns zu verunsichern oder uns klar zu machen, wie präsent die Gefahr ist.“

Periphae musterte Sheila ruhig, aber Inari schüttelte den Kopf.

„Wie soll er denn über die Berge gekommen sein?“

Sheila blickte wieder auf die Karte.

„Dieser Angriff setzt nicht voraus, dass er selbst die Berge passiert hat. Außerdem hattet ihr mir gesagt, dass es möglich ist. Ich glaube, dass war ein Vorgeschmack.“

Harus nickte.

„Sheila hat Recht. Sollte dies eine Warnung sein, dann müssen wir handeln.“

Konomi runzelte die Stirn und musterte Sheila. Er schien irgendetwas in ihrem Gesicht abzulesen.

„Wir dürfen nichts überstürzen. Es ist gut möglich, dass der Feind erreichen will, dass wir kopflos werden. Das müssen wir verhindern.“

Sie nickten einstimmig.
 

Es war später Nachmittag, als Sheila die Bibliothek verließ. Sie kamen nicht voran, als würde eine Barriere in ihrer aller Köpfe herrschen und sie hatte raus gemusst. Dass die Menschen aufgesucht werden mussten stand fest, doch es waren mehr als einmal Zweifel aufgekommen, ob dies überhaupt etwas an der Situation ändern konnte. Niemand war sich sicher und Sheila erst recht nicht.

Sie lief zur Balustrade, wo sie bereits vor Tagen einmal mit Kasuke gestanden hatte. Der Blick in die Ebene hatte etwas Befreiendes an sich und Sheila atmete tief durch.

Der Feind hatte seine Macht demonstriert, doch baute er vielleicht ein Schloß aus Lug und Trug auf? Der Maulwurfdämon hatte die Feinde nicht sehen können, doch seine Familie war tot. Wie ernst war die Situation und was würde sie erwarten?

Die Dämonen, die sich in der Ebene tummelten und nach und nach die Lagerfeuer entzündeten, waren mächtig, aber wie konnten die Menschen mitwirken? Gab es etwas, was sie übersehen hatten.

Ein Luftzug kündigte Sekura an und Sheila versteifte sich ein wenig. Der männliche Geruch des Panters kam ihr allzu vertraut vor und sie schirmte sich automatisch vor ihm ab.

„Du trägst das Falkenauge nicht.“

Sheilas Hand fuhr zu ihrem Hals. Sie hatte es vorhin abgelegt, als sie sich gewaschen hatte. Sie musste es vergessen haben, doch sie würde Sekura nicht zeigen, dass sie es immer trug und nun vermisste.

„Ich hab es einfach vergessen.“ Sie sah ihn bei diesen Worten nicht ein einziges Mal an, sondern blickte weiterhin zu den Clans.

„Deine Worte vorhin habe ich nicht verstanden.“

Sheila musste lächeln.

„Das war der Sinn der Sache.“

„Warum tust du das?“

Sheila hätte am Liebsten geschrieen.

„Was?“

„Du spielst mit mir.“

Verzweifelt schüttelte Sheila den Kopf. Nun sah sie zum ersten Mal in seine bernsteinfarbenen Augen.

„Das ist nicht mein Ziel, Sekura. Ich will weder jemanden verärgern, noch ihn verwirren oder sonst was. Ich bin anders als ihr und vieles was ich tue, ist seltsam für euch. Bitte versteh es nicht falsch.“

Sekuras Augen verfinsterten sich.

„Du glaubst also, ich würde nicht merken, wenn ein Mädchen auf mich reagiert?“

„Das tu ich nicht und wenn, dann tut es mir Leid. Ich mach es nicht bewusst.“ Sheila wollte sich nicht streiten und war zu jedem Kompromiss bereit. Sie ging sofort in eine defensive Haltung.

Auch Sekura zog sich zurück.

„Ich glaube dir sogar, dass du nicht weißt, wie du wirkst.“ Auch er sah nun nach draußen. „Deshalb musst du verzeihen, wenn sich die Dämonen um dich herum lächerlich machen.“

Verwirrt blinzelte Sheila. „Du machst dich doch nicht lächerlich.“

Sekura schmunzelte und sah auf Sheila herab, doch seine Augen zeigten keine Arroganz oder Spott.

„Wenn du mich kennen würdest, hättest du eine andere Meinung. Und ich weiß, was Kasuke getan und gesagt hat, auch das war nicht richtig.“ Sheila machte sofort dicht und Sekura ging nicht weiter darauf ein.

Eine Weile starrten sie auf die Ebene hinaus, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Ein Geistesblitz ließ Sheila auffahren und sie wandte sich an den Panter. Fragend musterte er Sheila, lehnte aber weiterhin an der Balustrade.

„Welche Dämonen haben sich uns nicht angeschlossen?“

„Nur die Drachen und die Gefangenen des besetzten Teils Kemonos.“

Erregt packte Sheila Sekuras Arm.

„Hat schon mal jemand außer dem Feind gewagt, die Drachen um Hilfe zu bitten?“

„Schon möglich, aber es ist nicht bekannt. Sie sind zu unabhängig. Auch für uns ist es gefährlich.“

Sheila lief schon zurück zur Bibliothek. Irritiert folgte Sekura ihr.

„Deine glänzenden Augen verheißen nichts Gutes, fürchte ich. Denk lieber noch einmal darüber nach.“

„Nein, dazu ist es zu spät.“

Damit schwang sie die Türflügel auf und starrte in aufmerksame Gesichter.
 

Kaum hatte Sheila ihr Anliegen hervor gebracht, hatten alle am Tisch laut durcheinander geredet und diskutiert. Nur Konomi und Periphae hatten sie still gemustert. Sekura an ihrer Seite machte ein Gesicht, das besagen sollte, er habe es ja gewusst. Sie knuffte ihn in die Seite und fing sich einen ungeduldigen Blick ein.

Sheila verstand nur wenig von dem, was der Rat sagte, aber er war fast einstimmig gegen ihr Vorhaben. Kasuke schenkte ihr einen Blick, der sie als wahnsinnig einstufen sollte. Sie ignorierte ihn.

Konomi räusperte sich und es wurde fast augenblicklich still um ihn herum.

„Ist dir bewusst, dass es ein Selbstmordkommando ist?“

Sheila nickte.

„Ich habe genug gehört und gelesen um zu wissen, dass die Drachen gefährlich, eigensinnig und nicht einschätzbar sind. Trotzdem glaube ich, dass es ein Versuch wert ist. Sie würden uns einen sehr großen Vorteil bescheren.“

Periphaes melodische Stimme meldete sich zu Wort.

„Der Vorteil ist größer als du denkst, die Gefahren jedoch sind kaum ermessbar. Man würde sich nicht nur dem Feindesgebiet nähern, sondern sein Leben in die Hände einer Sippe legen, die sich nur für ihr eigenes Wohl interessiert.“

„Alles hat sein Für und Wider und wenn die Hoffnung nicht wäre, würde das Leben aufhören. Ich werde es versuchen. Mit oder ohne Euch. Ich werde nicht warten, bis der Feind die Berge überquert, die Drachen auf seine Seite gezogen und uns besiegt hat.“

Sie sah einmal in die Runde.

„Sterben werden wir dann sowieso. Wie möchte aber ich entscheiden und ich bin nicht dumm. Ich sehe doch das, was ihr alle wisst. Wir können so nichts ausrichten.“

Sie spürte aller Blicke auf sich und ihr Herz setzte an Tempo zu, doch sie würde nicht nachgeben. Die Menschen würden die Wahl haben, aber viel ausrichten konnten sie nicht. Sie brauchten eine Macht, die den Feind überraschte.

Sekura neben ihr berührte leicht ihren Arm, einer Feder gleich und sie sah zu ihm auf. Sie fand Entschlossenheit in seinen Gesichtszügen.

„Ich werde dich begleiten. Ich schwöre hier und jetzt, dass ich dich gesund zurück bringen werde.“

Konomi blickte nachdenklich ins Leere.

„Ich bin ebenfalls dabei, dass habe ich schon vor einiger Zeit geschworen.“ Sheila musterte Kasuke und musste ihm zugute halten, dass er sein Wort wirklich hielt, ob sie ihm nun nahe sein wollte oder nicht.

Konomi richtete nun seine Augen auf Sheila.

„Ich denke du solltest keine zu große Gruppe mitnehmen. Die Drachen sollten sehen können, dass ihr keine Bedrohung seid.“ Er richtete sich an Kasuke und Sekura.

„Nehmt eure getreuesten Generäle und Krieger mit, doch bedenkt, eure Gruppe sollte nicht mehr als zehn Mann umfassen.“ Er stand auf und ging zu Sheila. Er strich ihr sanft eine verirrte Strähne aus der Stirn und fuhr ihr über die Wange.

„Ich werde dich nicht aufhalten. Wenn du dieses Ziel nicht erreichen kannst, dann niemand. Es war immer ungeheuerlich, daran zu denken, aber nun glaube ich, es ist nur rechtens es zu versuchen.“

Seine Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern.

„Ich erwarte dich gesund zurück, meine Tochter der Sonne!“

Der Panter

Die Vorbereitungen für die Reise zu den kalten Bergen gingen stetig voran, obwohl Sheila viel Zeit damit verbrachte, sich unter die Armee zu mischen. Sie wollte dem Volk die Möglichkeit geben, selbst über sie zu urteilen, da sie blinde Loyalität verabscheute.

Am Ende irrten sich die Soldaten in ihr und sie verloren den Krieg, weil der Abgrund zwischen ihnen zu groß war. Sheila glaubte, dass dieses Volk auch ohne sie hätte in die Schlacht ziehen können, aber sie war so etwas wie ein Maskottchen….ja, so würde man sie zuhause nennen….und es war wichtig, dass man sein Maskottchen nicht überschätzte, sich alleine darauf verließ. Sie sollten sehen, dass sie, Sheila, nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war.

Und sie musste auch feststellen, dass es nicht gerade einfach war, als „normaler“ Mensch unter vielen, sehr unterschiedlichen Dämonen zu verweilen.

Während sie an den Wölfen sehr hing und auch die Vogeldämonen schätzen gelernt hatte, mit ihrer offenen und lebensfrohen Art, so waren ihr die Raubkatzen doch zu reserviert und die Insekten schienen zu keiner wahren Gefühlsregung fähig zu sein. Sheila wusste nie, ob einer dieser Dämonen einen Scherz machte oder es Ernst meinte und sie hatte oft das Gefühl das Falsche zu sagen.

Sie hatte es einmal gewagt zu behaupten, sie habe mal gehört, dass die Larven der Wespen tote Artgenossen fressen. Sheila wusste bis heute nicht, was in sie gefahren war, sie hatte es auch nur scherzhaft gemeint, doch auf einmal war ein unheimliches Summen entstanden und sie hatte die Flucht ergriffen.

Mit den Fischdämonen kam sie ebenfalls nicht auf einen grünen Zweig, weil viele Zähne wie Haifische hatten und immer diese zu blecken schienen, wenn sie in die Nähe kam. Womöglich grinsten sie nur, aber es jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Trotzdem begegnete man ihr immer mit Respekt und Freundlichkeit. Sheila merkte schnell, dass sie gerne unter Dämonen war, fort von dem Leben einer unbekannten, grauen Maus aus Tokio. Sie ertappte sich oft dabei, dass sie sogar ihr zuhause vergaß. Ein großes, leeres Haus und eine Arztpraxis, wo sie zwar ihre Leidenschaft ausüben konnte, aber nichts wirklich zu ihr gehörte.

Hier in Kemono hatte sie scheinbar sich selbst wieder gefunden. Grotesk wenn man bedachte, dass sie hier so etwas wie eine Heldin war mit Fähigkeiten, die alles ihr Bekannte weit überstieg. Aber was in dieser Welt tat das auch nicht.

Auch die Vorbereitungen für die Reise durch das östliche Land wirkten sich beruhigend und zugleich belebend auf sie aus.

Es musste nicht nur Proviant und Kleidung gepackt werden, sondern auch Waffen, Werkzeuge und Medikamente. Wann immer es sich einrichten ließ, sah Sheila den Männern zu, darunter Sekura, Kasuke und Haruto, wenn sie verschiedene Dolche, Armbrüste und Schwerter begutachteten und für reisetauglich oder nicht einstuften.

Hin und wieder ließen sich Haruto oder Sekura sogar zu einer Erklärung herab, da Sheila nie müde wurde Fragen zu stellen.

Bei einer solchen Gelegenheit zeigte Sekura ihr den Gebrauch eines so genannten Streitkolben. Er verließ mit ihr die Waffenkammer und ging mit ihr in einen der vielen Burgsäle, der unbenutzt war. Für Sheila sah die Waffe aus wie eine große Keule mit Dornen und Nieten und als Sekura die Waffe in Sheilas Hände legte, wäre sie beinahe vorne über gefallen. Belustigt nahm der Panter den Kolben wieder an sich.

„Diese Waffe wird oft in der Reiterei verwendet. Sie ist äußerst wirkungsvoll bei Feinden, die schwere Rüstungen tragen und werden von diesen auch oft verwendet.“

Er schwang die Waffe und machte einige Ausfallbewegungen, bei denen er unsichtbare Feinde bekämpfte. Sheila konnte nicht umhin, seine Kraft und die Bewegung der Muskeln zu bewundern. Er stand Kasuke in nichts nach. Mit flauem Gefühl im Magen erinnerte sie sich an die Kampfstunden, die der Wolf ihr gegeben hatte.

Nur wirkten die beiden Dämonen unterschiedlich auf sie. Während von Sekura Gefahr und etwas Dunkles ausging, überkam Sheila bei Kasuke Wärme, Abenteuer und gleichzeitig Geborgenheit. Nun ja, das war ja jetzt vorbei, wie Sheila sich ins Gedächtnis rief. Wenn sie diese Welt wieder verließ, egal ob tot oder lebendig, dann würde sie keine Narben behalten und keine hinterlassen.

Sekura zeigte ihr auch, wie man eine Armbrust benutzte, doch Sheila merkte, dass ihr diese Waffe zu viele Handgriffe zumutete. Da war es einfacher im Nahkampf mit dem Schwert zu kämpfen und von Weitem den Bogen zu verwenden. Auch hier ließ der Panter es sich nicht nehmen, ihr immer Neues beizubringen. Sheila spürte bald, dass Luminor ihr wie ein dritter Arm wurde und ihre Zielgenauigkeit immer mehr zunahm.

Zudem wurde Sekura ihr immer mehr zu einem, zwar grimmigen, aber guten Freund. Was er sich auch zum Ziel gemacht hatte, er bedrängte sie nie und war immer rücksichtsvoll.

Kasuke dagegen hielt sich sehr zurück. Er schien mit sich im Reinen zu sein, war immer freundlich jedoch reserviert und Sheila merkte, dass sich die Beziehung zwischen ihnen deutlich entspannt hatte. Sie konnte nicht ausmachen von wem es direkt ausging, aber es fühlte sich gut an. War sie denn wirklich verliebt? Möglicherweise war es nur eine Art Schwärmerei gewesen, Produkt ihrer Verwirrung über diese neue Welt und ihr neues Ich. Kasuke war der Erste gewesen, der ihr in Kemono über den Weg gelaufen war. Der Erste der ihr in diesem Chaos ein Heim gegeben hatte.

Diese Erklärung erleichterte Sheila, machte sie jedoch auch traurig. Sie wünschte sich so sehr Liebe und Zuneigung, doch hier in dieser Welt war sie sehr weit davon entfernt.

Wäre sie ein einfaches Bauern- oder Zimmermädchen gewesen, wäre es ihr leicht gefallen eine Beziehung zu Jemandem aufzubauen, Mensch oder Dämon. Doch sie war so etwas wie eine Heilige und niemand wurde in ihrer Gegenwart so richtig warm, selbst Hotori nicht, für den sie immer weniger Zeit aufbringen konnte.

Sie war jetzt drei Wochen auf der Burg, doch er konnte ihr noch immer nicht richtig ins Gesicht blicken und schien sich sichtlich unwohl zu fühlen, wenn er in ihrer Gegenwart war.

Und während Sheila ihr Herz an dieses Land verlor, war sie noch immer einsam.
 

Zwei Tag vor der geplanten Abreise stattete Konomi Sheila einen Besuch in der Bibliothek ab, wo sie sich in lokalen Büchern eingegraben hatte, mit deren Hilfe sie eine gute Route abzustecken versuchte.

Als er sie am Schreibtisch überraschte, zeigte sie ihm zufrieden ihr Werk und stellte, während sie auf sein Urteil wartete, fest, dass irgendetwas anders an dem Dämon war. Eine steile Falte auf seiner Stirn zeigte Sorgen, die sonst nicht an ihm zu sehen waren.

Nachdem er sich zufrieden über ihren Plan geäußert hatte, fragte sie ihn, was ihn bedrückte.

Ruhig und erhaben wie immer, setzte er sich zu ihr und blickte über die aufgeschlagenen Landkarten. Er machte eine Bewegung mit der Hand und mehrere Kreuze flammten auf dem Pergament rot auf.

Während Sheila noch rätselte, wie Konomi das gemacht hatte, fing er an zu sprechen: „Aus irgendeinem Grund schaffen es immer mehr feindliche Truppen über die Berge. Kleine, kaum ernst zu nehmende Horden von Kobolden, aber auch nie da gewesene Kreaturen, die Angst und Schrecken verbreiten, so wie die, die die Familie unseres Maulwurffreundes getötet haben. Die Kreuze markieren Stellen, an denen erst kürzlich Angriffe verübt wurden, mit Toten und vielen Verletzten.“

Sheila lauschte ihm schockiert und erkannte, dass die Überfälle meist Menschendörfer trafen und sich genau an ihrer Reiseroute befanden.

„Ich möchte, dass eure Reisegruppe verstärkt wird, Sheila.“

Sheila schüttelte den Kopf.

„Wir wollten doch nur Mindestmaß auffahren, damit die Drachen uns als neutral einstufen.“

„Die Situation hat sich geändert. Es ist sehr gefährlich geworden, die Straßen sind nicht mehr sicher.“

Sheila legte ihre Hand auf die von Konomi. Zum ersten Mal spürte sie, dass seine Haut so dünn wie Pergament war.

„Diese Expedition ist zu wichtig, als das wir sie aus Angst gefährden, Konomi. Außerdem sollten unsere Prioritäten bei den Dörfern liegen, die angegriffen worden sind und die, die noch verschont wurden.“

Konomi hob fragend eine graue Augenbraue.

„Wir müssen Hilfe aussenden, Konomi. Wir können das Volk nicht im Stich lassen. Sie haben Angst und müssen um ihr Leben und das ihrer Lieben fürchten.“

„Wie genau stellst du dir das vor?“

„Ich möchte….“, sie schluckte, bei dieser Wortwahl, erinnerte sich aber, dass sie eine gewisse Befehlsgewalt hatte. „ Ich möchte, dass einzelne Dämonentruppen in diese Gegend ausgesendet werden.“ Sie deutete auf die Karte und die Kreuze. „ Sie sollen ein wenig Sicherheit geben und den Menschen klar machen, dass sie nicht alleine sind. Gleichzeitig müssen wir ihnen helfen ihre Häuser wieder aufzubauen und die Toten zu begraben.“ Sie sah Konomi in die Augen, die sie aufmerksam musterten. „Sie sollen unsere Präsenz spüren. Wir müssen zusammenhalten, so können wir siegen.“
 

Später am Tag suchte Sheila Periphae auf, die sich in ihrem Zelt in der Ebene befand und ebenfalls über Landkarten saß. Als Sheila jedoch eintrat, erhob sie sich und kam ihr mit offenen Armen entgegen.

„Schön dich zu sehen, Sheila. Konomi hat mir von deinem Plan erzählt und ich find ihn großartig.“

Sheila lächelte.

„ Das freut mich, Periphae, aber ich bin nicht hier um mit dir über meine Idee zu sprechen.“

Periphae lotste Sheila zu ein paar Sitzkissen, auf denen sie sich niederließen.

„Ich möchte dich bitten, mir ein wenig von deinem Wissen, was die lokalen Heilpflanzen betrifft, weiterzugeben.“ Sheila räusperte sich. „ Ich habe in meiner Welt viel gelernt, was Medizin und Heilung anbelangt, doch das ist ganz anders als hier.“

Periphae legte den Kopf ein wenig schief, was den Vogel in ihr hervortreten ließ.

„Was lernt man denn so in deiner Welt?“

„Oh, dass ist eine sehr lange Geschichte, aber selten musste ich Kampfwunden heilen, die durch Schwerter oder Zauber hervorgerufen wurden.“

Wenn der Adlerdämon wüsste, wie wenig man tatsächlich auch nur darüber nachdachte.

Periphae erhob sich und zog eine Art Pergamentrolle aus einer kleinen Truhe, die neben dem hölzernen Tisch stand, an dem sie gesessen hatte. Sie überreichte sie Sheila.

„Ich könnte dir sehr, sehr viel erzählen, mein liebes Kind. Aber du könntest in so kurzer Zeit nicht so viel lernen. Nimm diese Schriftrolle mit und hüte sie wie einen Schatz, sie wird dir immer den richtigen Rat geben.“

Sheila bedankte sich und ging aus dem Zelt. Die Sonne schob sich über die Ebene, dem Horizont entgegen und die Clans entzündeten wieder ihre Lagerfeuer. In einer Entfernung konnte Sheila Mika sehen, die mit einigen Welpen spielte. Sheila erfüllte Sehnsucht, doch sie musste zur Burg zurück. Sekura wollte ihr eine Liste der Soldaten bringen, die sie begleiten würden.

Während sie den Weg zur Burg hoch stapfte, entrollte Sheila das Pergament, dass ihr seltsam dünn vorkam. Es war leer.
 

Zehn Pferde standen im Burghof und warteten geduldig darauf, dass die Gruppe Reisender alles an Proviant und Waffen verstaute. Sekura und Kasuke hatten jeder drei seiner Krieger ausgesucht, da sie denen am meisten vertrauten. Sheila hatte die Wahl gehabt, den Zehnten ihrer Gruppe auszusuchen. Sie hatte lange überlegt und sich zunächst überhaupt gefragt, ob sie nicht einen Menschen mitnehmen sollte. Doch Konomi hatte ihr versprochen, alle Menschen, die auf der Burg und im Umkreis lebten zu sammeln und sie für den Krieg kampftauglich zu machen.

„Sie werden sich zu verteidigen wissen, Sheila, das verspreche ich dir.“

Beruhigt hatte Sheila genickt und sich vorgenommen, die Menschen zur Burg zu schicken, wenn sie die Dörfer auf ihrem Weg passierten. Es war das Beste, was sie tun konnte. Die andere Frage war viel mehr, ob die Menschen so einfach ihre Dörfer verließen, aber Sheila wollte nichts unversucht lassen. Je sicherer das Volk war, desto weniger Angriffsfläche hatte der Imperator.

In etwas unbequemen braunen Reithosen und einem schwarzen Mantel eingehüllt, stand

Sheila im Burghof neben den Pferden und beobachtete ihre Gruppe. Sekura hatte zwei Leoparden und einen Löwen mitgenommen. Alles drei waren in ihrer Menschengestalt sehr muskulös, wobei die Leoparden eher drahtig waren, so wie Sekura selbst. Ihre Gesichter waren verkniffen und Sheila hatte sie nicht einmal lachen sehen. Kasuke hatte es mit seiner Wahl schwieriger gehabt. Haruto als Mitreisender war sofort klar gewesen, doch er hatte lange mit Mika diskutiert, die mit wollte, Kasuke war jedoch dagegen.

„Ich brauche dich als meine Stellvertretung.“

Mika hatte vehement den Kopf geschüttelt.

„Das kann Fry übernehmen, ich komme mit.“

Am Ende hatte Mika ihren Willen bekommen, denn sie alle wussten, dass Mika eine starke Ergänzung war. Zusätzlich hatte er einen seiner jüngeren Jäger ausgesucht, der sehr geschmeidig und schnell war. Kasuke hielt sehr große Stücke auf den Jungen, wie Mika Sheila erzählte.

Sheilas Wahl fiel nach einigen Überlegungen auf einen der Fogal. Sie glaubte, dass es ganz gut war Verstärkung aus der Luft zu bekommen, der als Bote oder Späher bestens fungieren konnte. Periphae sandte ihr eine ihrer Töchter.

„Piper ist stark und klug und sehr schnell. Sie wird euch vortrefflich dienen.“

Dass sie alle reiten sollten gefiel den Dämonen nicht so sehr, sie wären lieber selbst gelaufen, aber Konomi hatte zu Bedenken gegeben, dass es eine lange Reise war und sie alle ihre Kräfte noch brauchen würden. Grimmig hatten sie sich gefügt. Konomi hatte seine besten Pferde für sie erwählt. Für Sheila hatte er einen seiner Einhornbrüder ausgesucht. Dieser konnte genauso die Gestalt verändern und stand nun als Brauner neben ihr. Sheila hatte sich zunächst gewehrt, doch Konomi sagte, dass Loros immer Verbindung zu ihm hatte und es von Vorteil sein könnte.

Unsicher stand sie nun neben dem imposanten Pferd, dem man, wenn man es wusste, ansah, dass es nicht nur ein normales Reittier war. Sie konnte nicht gut reiten, eigentlich gar nicht und sie hatte Angst, dass sie sich zu ungeschickt anstellte.

„Es tut mir Leid, Loros, aber ich werde keine angenehme Reiterin sein.“

Loros blinzelte freundlich mit seinen langen Wimpern und sie hörte seine Stimme in ihrem Kopf.

„Mach dir keine Sorgen, du wirst es auf mir lernen.“

Sheila sah zu dem Sattel hinauf und betete, dass das Einhorn Recht behielt.

„Bist du soweit?“

Sheila sah hoch und blickte in Kasukes blauen Augen. Es versetzte ihr einen Stich, den sie erfolglos verdrängte. Sie schaffte es nur, seinem Blick auszuweichen.

„Ja, wir können aufbrechen.“ Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern. Nur weil Kasuke so eine starke Persönlichkeit war, hieß das nicht, dass sie das auch war. Sie war froh wie es im Moment lief, vor allen Dingen da sie nicht einmal wusste, ob sie wirklich verliebt gewesen war. Trotzdem wusste sie was geschehen war und was sie empfunden hatte.

Kasuke wollte ihr aufs Pferd helfen, doch sie saß alleine auf und blickte sich um, während ihre Begleiter in die Sättel stiegen. Die Dämonenführer standen um sie herum und beobachteten sie alle aufmerksam. Hotori war nicht gekommen. Sheila schluckte ihre Enttäuschung herunter und konzentrierte sich auf Konomi. Er lächelte ihr zu und Sheila schaffte es, es schwach zu erwidern. Dann nickte sie den anderen zu und der Konvoi setzte sich in Bewegung.

Es gab nichts mehr zu sagen. Konomi und sie hatten die Nacht davor sehr lange beieinander gesessen und waren alles einmal durchgegangen. Durch Loros würden sie in Kontakt bleiben, während Konomi dafür sorgte, dass das Heer bereit war für die Schlacht und einzelne Truppen im Land für Sicherheit sorgten.
 

Die Armee hatte still zugesehen, wie sie die Ebene verließen. Sheila hatte gemischte Gefühle in ihren Gesichtern gesehen. Hoffnung, Skepsis und Unwillen. Sie hatte versucht ihnen zuzulächeln und einige hatten darauf reagiert, aber eben nicht alle. Es war halt ein riskantes Unterfangen, doch wichtig und Sheila war sich sicher, dass sie das Richtige tat.

Als sie den Wald passierten konnten sie nur noch zu Zweit nebeneinander reiten. Loros kannte die Route und hatte sich mit ihr auf seinem Rücken an die Spitze begeben. Neben ihr befand sich Sekura und dahinter Kasuke und einer der Leoparden. Sie schwiegen alle, hingen ihren Gedanken nach, aber Sheila wusste, dass sie wachsam waren.

Sie waren etwa eine Stunde unterwegs, als Sekura sie ansprach.

„Machst du dir Sorgen?“

Sie sah auf und musste lächeln. Sekura hatte sich sehr verändert. Sie hätte nie gedacht, dass sie ihn einmal mögen würde.

„Nein, nicht direkt. Ich fühl mich einfach nur eigenartig. In meiner Welt würde ich so was nie machen.“

„Erzähl mir von deiner Welt.“

Sheila runzelte die Stirn. Wie sollte sie es treffend formulieren?

„Nun, sie ist frei von Magie und Dämonen. Tiere sind bei uns nur Tiere. Lebewesen, die weder sprechen noch zaubern können, aber unsere besten Freunde sind. Unsere Welt ist viel größer und es leben fast 7 Milliarden Menschen auf ihr.“

Sekuras Augenbrauen fuhren hoch und Sheila vernahm ein Geräusch hinter sich, das sich wie ein ungläubiges Schnauben anhörte. Sie brauchte sich gar nicht umdrehen um zu wissen, dass es Kasuke gewesen war.

„Wer regiert denn so viele Menschen? Es muss jemand sehr mächtiges sein.“

Sheila schüttelte den Kopf.

„So etwas wie Könige oder Imperatoren gibt es nicht so wie hier. Wir haben Politiker in jedem Land, die für das Volk entscheiden. Kein Einzelner hat Befehlsgewalt. Das würde nur zu einem Chaos führen.“

Sekura schien für eine Weile in Gedanken versunken zu sein.

„Sag, Sheila, hast du Familie zuhause?“

Sheila wandte das Gesicht ab.

„Nein.“

„Kein Mensch, der auf dich wartet.“

Der Kloß in ihrem Hals wuchs.

„Niemanden.“

„Das glaub ich dir nicht.“

Sheila blickte in ein ernstes Gesicht, dessen gelbe Augen besonders hervorstachen.

„Warum sollte ich dich anlügen?“

„Ich kann einfach nur nicht glauben, dass in deiner Welt kein Mann darauf wartet, dass du in seine Arme zurückkehrst.“

Sheila hätte am Liebsten laut los gelacht.

„Das ist aber tatsächlich so.“ Sie schmunzelte. „Die Männer in meiner Welt wollen so jemanden wie mich nicht.“

„Das sind aber komische Menschen, da in deiner Welt.“

Sekura sagte das mit so viel Unschuld und Unglauben, dass Sheila ihm nicht böse sein konnte.

„Ich möchte einfach keinen Mann an meiner Seite haben, Sekura.“

„Aber du bist im richtigen Alter und Menschen sind nicht gerne alleine. Zumindest reden sie ständig von der Liebe und der Freundschaft, als wenn es etwas Großartiges wäre.“

„Das ist es auch. Doch nicht jeder Mensch hat das Glück, all dies zu haben. Ich habe es nie gehabt und kann damit leben. Du scheinst doch auch keinen Wert darauf zu legen.“

„Ich bin ein Dämon, das zählt nicht. Mir reicht Loyalität.“

Sheila beobachtete Sekura, der starr nach vorne sah.

„Das wiederum glaub ich dir nicht. So sehr unterscheiden tut ihr euch nicht von den Menschen. Hast du all diese Gefühle einmal erlebt, wirst du anders denken.“

Sekura schnaubte nur.
 

Interessiert lauschte Kasuke. Vieles was Sheila über ihre Welt sagte, hatte Celine ihm damals auch erzählt. Trotzdem hörte es sich für ihn immer noch kurios an. Eine so große Welt, die nicht von Königen regiert wurde, wie sollte das gehen? Das war unvorstellbar.

Als es dann um Sheila ging, spitzte er seine Ohren. Sheila hatte Recht, Dämonen benötigten Liebe und Freundschaft. Aber nur, wenn sie einmal davon gekostet hatten. Es war wie eine Droge. Hatte man einmal etwas davon abbekommen, brauchte man es.

Sekura hatte nie wahre Gefühle kennen gelernt. Oh, sicher wusste er, wie sich die Umarmungen einer Frau anfühlten, aber er hatte nie mehr darin gesehen als Befriedigung. Ein Spaß, der notwendig war aber nichts weiter bedeutete. Liebte man jedoch, war es etwas vollkommen anderes.

Kasuke wusste wie es war und er beneidete oft seinen unwissenden Freund. In diesem Augenblick verzehrte er sich danach und nicht nur einfach nach Liebe, sondern nach Sheila. Doch er hatte einen Schlussstrich gezogen, denen sie beide befürworteten. Schließlich hatten sie nur gestritten und es hatte zu oft Missverständnisse und schlimme Worte gegeben. Keiner von ihnen hatte je irgendwelche Gefühle gestanden. Sie hatten sich dumm aufgeführt und er hatte es beendet. Aber wieso fühlte es sich so falsch an?
 

Sie rasteten nicht bis sie ihr Nachtlager aufschlugen. Loros hatte dafür eine Lichtung erwählt, die von einem Steinkreis umringt wurde. Haruto sagte, dass es verteidigungstechnisch ein sehr guter Platz war. Sie versorgten gemeinsam die Pferde, wobei das Einhorn seine Menschengestalt annahm und half. Sie sammelten Feuerholz und Mika bereite eine Brühe mit ein wenig Fleisch zu.

Seitdem Sheila mit Sekura geredet hatte, fühlte sie einen leisen Schmerz, der sich nicht auslöschen ließ. Er hatte ihr unbewusst klar gemacht, dass sie einsam war und sie litt darunter.

Auch der Panter war sehr schweigsam, doch er war von je her launisch und keiner ging darauf ein.

Loros besprach mit ihnen die Reiseroute. Sie würden gegen Nachmittag des folgenden Tages ein Dorf passieren und damit auch den Wald verlassen.

„Dort hast du deine erste Chance, mit den Menschen zu sprechen, Sheila.“

Sie nickte.

Kurze Zeit später wurde die Nachtwache besprochen, wobei Sheila trotz Protest ausgelassen wurde. Mürrisch bette Sheila sich in Decken, die sie mitgenommen hatte und versuchte zu schlafen. Sie schaffte es aber erst, als auch die anderen zu Bett gingen.
 

Sie träumte diese Nacht von zuhause. Sie sah ihr Haus, das leer geräumt war und die Praxis, die im Gegensatz dazu voll mit Patienten war, die auf ihre Sprechstunde warteten.

Als ihr Unterbewusstsein zu ihrer Vergangenheit wanderte, wachte sie auf.

Verschlafen sah sie sich um. Das Feuer war ein wenig heruntergebrannt, strahlte aber noch genug Licht aus, sodass Sheila die schlafenden Körper um sich herum erkennen konnte. Sie stand auf, da sie dringend ein stilles Örtchen aufsuchen musste und bemerkte, dass keine Wache zu sehen war. Sheila stieg über Haruto, der ganz in ihrer Nähe schlief und wandte sich dem Waldrand zu.

Wer auch immer Wache hatte, machte bestimmt eine Runde und sie wollte vermeiden, dass er sie überraschte. Sie lief so weit in den Wald hinein, wie sie sich traute und versuchte, das Feuer nicht aus den Augen zu verlieren. Dann erleichterte sie sich.

Es war kalt und Sheila hätte jetzt alles dafür gegeben, eine normale Toilette zu haben. Leider war die mehrere Dimensionen entfernt.

Vorsichtig, damit sie nicht über irgendwelche Äste stolperte, bahnte sie sich einen Weg zurück auf die Lichtung. Sie war doch ziemlich müde und auch wenn der Boden nicht einladend war, so wusste sie, dass sie ihre Kräfte brauchte.

Sheila kam gerade auf den Steinkreis zu, als etwas zwischen den Felsen hervorkam. Sie hätte fast geschrieen, erkannte aber dann die geschmeidigen Bewegungen eines Panters. Sekura kam in Tiergestalt auf sie zu und erhob sich dann.

„Du solltest nicht so weit weg gehen.“

Sheila lächelte.

„Ich wollte mir ein wenig Intimsphäre bewahren.“

Das Lächeln wurde nicht erwidert. Stattdessen starrte Sekura sie auf eine merkwürdige Art an. Sheila sah an sich herab. Sie hatte nur ein langes Hemd an, das gerade über ihre Knie ging und Schuhe, die sie sich wohl im Halbschlaf angezogen haben musste. Wieder einmal hatte sie nichts wirklich wahrgenommen. Typisch. Und in diesem Land war das wohl ein wenig zu freizügig.

„Tut mir Leid, ich war ein wenig durcheinander.“

Sie wollte an ihm vorbei treten, doch er versperrte ihr den Weg und kam auf sie zu. Seine Augen fixierten ihre, ohne sie wirklich anzusehen. Als er seine Hand an ihr Gesicht hob, wich sie automatisch zurück, bis sie einen Felsen im Rücken spürte.

„Hast du etwa Angst vor mir?“

Sheila schluckte schwer und schüttelte den Kopf. Was wollte er von ihr?

Als er diesmal die Hand hob, konnte sie ihm nicht mehr ausweichen. Mit schnell klopfenden Herzen und Gänsehaut spürte sie, wie er mit den Fingern sachte über ihre Stirn, Wange und Mund fuhr.

Sein Gesicht und sein Körper waren ihr so nahe, dass sie seine Wärme und seinen Atem spüren konnte. Ihre Knie wurden weich.

„Ich verstehe es nicht.“ Er flüsterte, doch Sheila nahm jedes Wort vollkommen in sich auf.

Er strich mit seinen Lippen über die ihren und Sheila spürte ein Begehren in sich, dass sie verwirrte.

„Sekura, was tu….tust du……?“ Das Zittern in ihr übertrug sich in ihre Stimme. Sie war brüchig und unsicher.

Sekuras Hände umfassten ihr Gesicht, seine Daumen strichen immer wieder zärtlich über ihr Gesicht.

„Ich weiß es nicht.“

Dann verschmolzen seine Lippen mit den ihren. Sheila zuckte ein wenig zurück, aber als ihr so unerwartete Zärtlichkeit entgegen kam, verlor sie den Kopf. Kein Fluchtgedanken, nein, nicht ein einziger Gedanke war mehr vorhanden. Nur dieser behutsame, warme Mund. Wahrscheinlich hätte sie sich sogar losreißen können, aber sie konnte, wollte nicht.

Seine Zunge strich vorsichtig über ihre Lippen und sie öffnete sich ihm mit einem Erschauern. Leidenschaft, die Sheila bisher für Mythos gehalten hatte, bemannte sich ihrer und sie war nicht mehr nur teilnahmslos, sondern ging vollkommen auf.

Sekuras Körper drückte ihren gegen den Felsen und seine Hände befanden sich recht und links neben ihrem Kopf, während sie sich in seinem Hemd festkrallte. Sie wollte ihn festhalten, versuchte krampfhaft die Zeit nicht verrinnen zu lassen, so sehr genoss sie sie. Sie spürte, dass sein Körper mehr wollte, sie wusste es und doch blieb er wo er war, machte keine Anstalten weiter zu gehen. Sheila hätte auch nicht gewusst, ob sie bereit gewesen wäre, es ihm zu geben.

Der Panter löste sich zuerst von ihr, legte seine Stirn aber an ihre. Ihrer beider Atem ging stoßweise und keiner wagte es, etwas zu sagen. Nach scheinbar einer Ewigkeit ergriff er das Wort.

„Ich habe mich getäuscht.“

Als er nicht weiter sprach, wagte auch Sheila es zu reden.

„Worin?“

Ihre Stimme war hoch und dünn. Er legte sein Kinn auf ihren Scheitel und atmete tief durch.

„Ich dachte, ich wäre stark genug, um mit dem Chaos, was du bei mir anrichtest fertig zu werden. Aber ich kann es nicht.“

„Du weißt, dass ich es nie drauf angelegt habe.“ Sheila fühlte sich unwohl und versuchte von ihm loszukommen, der Zauber war zerstört. Irritiert ließ er sie gewähren.

„Natürlich weiß ich es. Nichts desto Trotz hast du mich in deinen Bann gezogen.“

Als Sheila sich abwenden wollte, hielt er sie am Arm fest und zog sie zurück.

„Hab ich dir Unrecht getan?“

Sheila schüttelte den Kopf. Wieso sollte sie auch etwas anders behaupten, hatte sie sich nicht hingegeben?

„Darum geht es nicht.“

„Was ist es dann?“

Sie seufzte.

„Du hast einmal zu mir gesagt, ich soll es verzeihen, wenn Dämonen sich in meiner Gegenwart dumm benehmen. Da ich weiß, dass du…..es…als eine weitere Dummheit ansehen wirst, erspar ich uns beiden diesen peinlichen Moment.“

Obwohl Sheila versuchte, sich ihm zu entziehen ließ er sie nicht gehen. Seine Stimme hatte eine Spur von Zorn in sich.

„Das war keine Dummheit, Sheila. Ich habe nur das getan, was ich schon seit Wochen tun wollte.“

Er riss sie an sich und verschloss ihren Mund erneut mit dem seinen. Als er sie losließ, rang sie wieder nach Atem.

„Nur weil ich kein Mensch bin, heißt das nicht, dass ich nicht auch etwas fühle. Vielleicht nicht dasselbe wie ihr, aber es kommt dem schon nahe, also beleidige mich nicht, indem du meine Entscheidung als Dummheit abtust.“

Vor ihr stand nicht mehr der zärtliche Sekura, sondern der Panterdämon der er war. Sheila schluckte ihre Tränen herunter und wandte ihr Gesicht ab. Mit einem verächtlichen Laut ließ er sie los und Sheila rieb sich über den Arm. Was war nur in sie gefahren?

Sie sah noch einmal auf, aber Sekura hatte bereits den Blick abgewandt. Seine Augen schienen etwas hinter ihr zu fixieren. Als sie sich umdrehte, erkannte sie die Silhouette von Kasuke. Die beiden Dämonen ließen einander nicht aus den Augen und schienen so eine Art Zwiegespräch zu führen. Traurig über sich, die Situation und ihre Dummheit wandte sie sich ab und ging zurück ins Lager. Kasuke würdigte sie keines Blickes. Die Worte zwischen ihnen, waren bereits gesprochen.

Flüchtlinge

„Weißt du, was du tust?“ Kasuke blinzelte nicht ein einziges Mal, als er die Frage stellte, seine Augen waren starr auf Sekura gerichtet.

„Hast du es gewusst, mein Freund?“

„Ja, immer!“

„Und wieso ist sie dann alleine?“

Kasuke schüttelte den Kopf und sah zum Lagerfeuer.

„Das kannst du nicht verstehen.“

„Wieso sollte ich das nicht können? Du bist feige, das ist alles.“

Kasuke knurrte. „Ich bin nicht feige. Du weißt nicht wovon du redest. Liebe kann die Menschen zerstören.“

Sekuras Haltung veränderte sich nur wenige Millimeter, doch nun lag etwas Lauerndes in ihm. „Dich hat sie doch längst zerstört. Nun hast du Angst und aus Angst stößt du Sheila vor den Kopf.“ Kasuke fletschte die Zähne.

„Glaubst du wirklich, du hast den besseren Weg gewählt? Was glaubst du geschieht, wenn sie sich in dich verliebt, Sekura? Wir wissen nicht, ob sie zurück in ihre Welt gehen wird. Vielleicht überlebst du den Krieg nicht, oder sie. Es gibt so viele Dinge, die euch irgendwann entzweien werden und zumindest einer von euch wird fürchterlich leiden, wenn nicht sogar beide.“

Sekura Blick wirkte plötzlich entrückt und weicher. „Das ist der Grund, Kasuke? Deshalb bist du so?“ Der Panter schüttelte den Kopf. „Ich habe nie das fühlen dürfen, was du damals für Celine und nun für Sheila gefühlt hast, aber selbst jetzt, nachdem du alles von dir gewiesen hast, leidet mindestens einer von euch, wenn nicht sogar beide. Ich glaube der offensivere Weg ist der Beste. Alle anderen wären verschwendete Lebensmüh. Man kann es nicht aufhalten.“

Damit drehte Sekura sich um und verschwand im Wald.
 

Sheila erwachte noch von Sonnenaufgang durch ein sanftes Rütteln an ihrer Schulter. Sheila blickte verschlafen in die hellen Augen von Mika und musste lächeln.

„Ein nettes Gesicht am frühen Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen.“ Mika runzelte besorgt die Stirn. „Ist etwas nicht in Ordnung, Sheila?“

Sheila lachte. „Nimm nicht alles wortwörtlich, was ich sage. Ich red auch manchmal viel Unsinn.“ Die weiße Wölfin lächelte unsicher, half Sheila aber dann ihre Decken zusammen zu packen. Piper kam dazu, als sie die Satteltaschen verschlossen.

„Ihr werdet wie vorgesehen gegen Nachmittag im Dorf sein. Ich werde voraus fliegen und die Strecke absichern. Die Bäume flüstern unverständlich in den letzten Stunden. Irgendetwas stimmt nicht.“

Sheila machte sich keinen Kopf darüber, dass Bäume neuerdings flüsterten. Vielmehr machte ihr Sorgen, dass Piper Schwierigkeiten vermutete. „Was könnte das bedeuten?“

„Die Launen des Waldes sind unbeständig. Es könnten nur ein paar abgebrochene Zweige sein, die die Bäume ärgern. Aber es ist auch möglich, dass Truppen durch das Unterholz streifen und das möchte ich lieber überprüfen.“

Sheila nickte und sah mit gemischten Gefühlen zu, wie sich der Adler mit dem silbernen Gefieder in die Luft erhob. Langsam schob sich die Dämmerung über den Horizont und als sie aufstiegen sah Sheila sich nach ihrer Gruppe um. Sie waren vollzählig.

Sheila wagte es nicht, in die Richtung der beiden Dämonen zu blicken, die in letzter Zeit ständig ihre Gedanken beherrschten. Ihr fiel nur auf, dass die beiden sehr gereizt zu sein schienen. Auch Mika und Haruto fiel das auf und sie hielten sich recht weit von ihrem Clanoberhaupt auf.

Piper kreischte einmal laut auf und sie setzten sich in Bewegung.

Da Sheila in keiner Weise auf Loros einzuwirken brauchte, entspannte sie sich und sah sich um. Es war erstaunlich dem Wald dabei zu zusehen, wie er erwachte. Blumen und Blüten reckten sich der Sonne entgegen, Tiere kamen aus ihren Nachtlagern und schüttelten sich um den Tag zu begehen, während andere den Schlaf suchten. Sheila versuchte ihre Sinne zu schärfen und schloß die Augen um diese Welt auch einmal anders zu „sehen“.

Sie hörte nicht nur das rhythmische Klappern der Hufe, das Klirren der Geschirre und die gedämpften Gespräche der Gruppe, sondern auch die leisen Geräusche des Waldes. Vögel zwitscherten in vielen verschiedenen Tonlagen und jedes Tier hatte seine eigene Melodie. Jede Tierart hatte seinen eigenen charakteristischen Ruf. Sie unterhielten sich, gaben über weite Entfernungen weiter, was sie an einigen Stellen des Waldes ereignete. Es war melodisch und gleichzeitig so facettenreich, dass Sheila ewig hätte zuhören können.

Plötzlich spürte Sheila, wie sich die Tonlage des Waldes veränderte. Wie eine Welle breitete sich Unruhe aus, wurde scheinbar von den Blättern der Bäume getragen und ebbte dann wieder ab. Sheila öffnete die Augen und sah sich um. Nichts schien sich verändert zu haben. Die Pferde trotteten ruhig den Weg entlang, den Loros beschritt und Mika unterhielt sich mit Sekura.

„Du hast es gespürt, nicht wahr?“ Sheila erschrak, als sie Loros in ihrem Kopf spürte, nickte dann aber zögerlich.

„Unsere Umwelt sagt uns immer, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Das ist das, was Piper meinte.“

Sheila blickte sich noch einmal um.

„Die jungen Dämonenvölker haben nicht so ein feines Gespür. Dieser Aufruhr der Bäume war recht schwach, dass heißt der Ton ist weit gereist. Der Rest unserer Gruppe wird erst später die Signale empfangen.“ Sheila sah wieder nach vorn.

„Wieso kann ich es dann hören?“

„Das kann viele Gründe haben. Du bist nicht wie wir. Nicht so wie irgendjemand auf dieser Welt. Du hast Fähigkeiten, die noch unentdeckt sind und die keiner einschätzen kann.“

„Was ist, wenn ich sie zur falschen Zeit entdecke. Vielleicht kommt da auch nix mehr.“

„Hättest du die Bäume gehört, wenn du dich nicht drauf konzentriert hättest?“

„Nein.“

„Vielleicht kannst du die Dinge ja erlernen. Hervorlocken. Lass es auf dich zu kommen.“

Mürrisch starrte Sheila vor sich hin. Sie hasste das Ungewisse.
 

Wenige Stunden später, die Sonne näherte sich dem Zenit, stieß Piper wieder zu ihnen. Sie landete elegant vor der Gruppe und verwandelte sich zurück. Ihr silbernes Gefieder wirkte beeindruckend, so wie ihre ganze Erscheinung. Silbernes langes Haar wellte sich über ihren schlanken Rücken und ihre klaren Gesichtszüge hatten wenig von einem Vogel.

Ihre Stimme dagegen erinnerte Sheila an die Vogelgesänge, denen sie zuvor gelauscht hatte.

„Das Dorf ist nicht mehr weit entfernt. Es ist soweit alles in Ordnung, wir könne unseren Weg dorthin in Ruhe weiter führen.“

Loros und die anderen setzten sich wieder in Bewegung, aber Sheila war ein wenig irritiert.

„Piper, was heißt „soweit in Ordnung“?“

„Es droht keine Gefahr.“ Der Adler hatte sich wieder auf ihren Schimmel gesetzt und war nun zu Sheila aufgeschlossen.

„Aber?“ Dieses Wort stand so deutlich im Raum, dass Sheila danach hätte greifen können.

Piper schüttelte den hübschen Kopf. „Das kann ich dir nicht erklären, du musst es sehen.“
 

Die Bäume wurden immer lichter und kündigten an, dass der Wald bald endete. Sheila wünschte sich, durch die Bäume sehen zu können. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Was würde sie erwarten?

Sie spürte, dass alles um sie herum unruhiger wurde. Die Tiere, die Bäume, ja selbst die Pferde. Kasuke und Sekura tauchten an ihrer Seite auf, sie schienen es ebenfalls zu spüren und bildeten so etwas wie eine Leibwache.

Bald sah Sheila die ersten Rauchfahnen von Häusern. Stimmen wurden deutlich. Viele Stimmen, die wild durcheinander sprachen, Tiere die blökten und kreischten.

„Als wäre dort eine Menschenansammlung.“

„Das kommt dem Ganzen sehr nahe.“, meldete sich Piper zu Wort.

Die Gruppe passierte die letzten Bäume und sah auf ein Dorf hinab, das sich über viele Weiden und Felder erstreckte. Das größte Dorf, dass Sheila bisher gesehen hatte. Doch nicht die Häuser erweckten die Aufmerksamkeit der Gruppe. Überall waren Menschen. Sie scharten sich in Grüppchen um Wagen, Schubkarren oder Packtiere, die voll waren mit persönlichem Habe. Große Feuerstellen verteilten sich über die zertretenen, schlammigen Felder, an denen Frauen Suppe und Brot an die Menschen verteilten.

„Flüchtlinge.“ Kasuke sprach das aus, was sie alle dachten.

„Das sind bestimmt zweitausend Menschen. Woher kommen die alle?“ Mika sah sich mit weiten Augen um. Sheila erinnerte das an das Treiben zu Weihnachten in Tokio. Nur das hier niemand zum einkaufen kam.

Ein lauter Ruf erschallte, den Sheila nicht verstand und ein Zittern ging durch die Menge. Alle wandten sich um und sahen den Hügel hinauf. Sheila hielt die Luft an, als aller Augen auf ihr und ihrem Gefolge ruhten.

„Kommt!“ Sekura blickte Sheila einen Augenblick in die Augen, dann ritt er mit ihr den Hügel hinab. Sheila wusste nicht, was für einen Eindruck sie auf die Menschenmassen machten. Als sie das Feld passierten blickte sie in ausnahmslose leere, müde Augen die darauf warteten, dass sie sich erklärten. Sheila erschrak, als sie die teilweise mageren, armen Menschen sah, deren Kleider abgewetzt und Gesichter schmutzig waren.

In der Mitte des Pulks blieben sie stehen. Niemand rührte sich auch nur. Sheila fühlte sich unwohl und sah sich nach Sekura um. Dieser stellte so viel Überheblichkeit zur Schau, dass sie sich wieder zu ärgern begann.

„Dämonen!“ murmelte sie und saß ab. Kasuke und Piper sahen sie entrüstet an, aber Sheila ignorierte sie. Sie blickte sich um und entdeckte einen Mann in ihrer Nähe, der einigermaßen fit aussah. Sie trat auf ihn zu und versuchte zu übersehen, dass die Kinder in seiner Nähe zurück schreckten.

„Hallo, mein Name ist Sheila, ich komme von der Armee unseres Landes. Könnt Ihr mir sagen, wo ich euren…“, verwirrt sah sie sich nach Loros um. Wie nannte man die Leute hier, die das Sagen hatten? „Chief!“, ertönte Loros tiefe Stimme in ihrem Kopf. „Wo ich euren Chief finden kann?“

Der Blick des Mannes hatte zunächst skeptisch ihre Gestalt gemustert, doch nun wandte er sich an einen kleinen Jungen zu seiner Linken, der kaum älter als acht sein konnte. Er flüsterte ihm etwas zu und der Junge verschwand sofort in der Menge.

Das Schweigen der Bürger und Flüchtlinge lastete schwer auf Sheila. Sie begegneten ihnen mit einer Feindseligkeit, die ihr aufs Gemüt schlug. Doch wenn sie dann zu Kasuke, Piper und den anderen schaute, die noch immer auf den Pferden saßen und sich unnahbar gaben, wunderte sie das nicht. Diese Menschen hausten hier unter schlimmen Bedingungen und die Dämonen begegneten ihnen mit Arroganz. Wie hatte sie je glauben können, dass die Menschen kämpfen würden? Nicht für diese Wesen. Das wurde ihr schlagartig klar und sie verstand diese Haltung.

„Steigt sofort von den Pferden!“, zischte sie so böse, dass Mika und Haruto sie erschrocken anstarrten und sofort absaßen. Die anderen folgten nur zögerlich ihrem Beispiel. Ein Raunen ging durch die Menge. Die Menschen reagierten darauf. Wie, konnte Sheila nicht sagen.

Plötzlich schob sich ein großer, stattlicher Mann durch die Menge. Er war gut einen Kopf größer als Sheila, aber höchsten drei Jahre älter. Er strahlte jedoch so viel Autorität aus, dass das Alter nicht entscheidend war.

Mit unbewegter Miene musterte er erst die Gruppe, dann blieb sein Blick an Sheila hängen, die ihm unerschrocken in die Augen sah. Mit Menschen konnte sie jederzeit mithalten. Deshalb scheute sie eine Konfrontation nicht.

Der Mann hob eine Augenbraue, was sein hart wirkendes Gesicht ein wenig entspannte. Mit seinen braunen Locken und seinen hellen Augen, die an Whiskey erinnerten, sah er sogar richtig gut aus, wie Sheila fand.

„Ich bin Adriel, der Chief dieses Dorfes. Man sagte mir, ihr kämt von der Dämonenarmee der Prophezeiten.“

„Ja, dass ist wahr.“ Sheila riss das Wort sofort an sich. Sie würde ihren Dämonen gar nicht die Möglichkeit lassen, etwas Dummes zu sagen.

„Gut, dann sagt eurer Heiligen, oder was auch immer sie ist, wir werden nicht kämpfen.“

Sheila hörte wie Sekura knurrte, doch sie hob die Hand und blickte dem Hünen unerschrocken entgegen.

„Wir sind nicht hier, um euch in ihrem Namen zu den Waffen zu rufen. Wir rufen die Menschen zur Burg der Altehrwürdigen und in die Sicherheit der Mauern.“

Adriel lachte laut und viele Bürger fielen mit ein.

„Damit wir jeden Tag diese dreckigen Dämonen sehen müssen. Die werden uns nicht beschützen, die werden uns schön für sich schuften lassen. Wir bleiben hier. Die Flüchtlinge anderer Dörfer wissen, dass sie hier versorgt werden. Wir brauchen die Hilfe dieser Frau nicht.“

„Wie kannst du es wagen, so von ihr zu sprechen.“ Kasuke sprang vor und baute sich vor Adriel auf. Sheila schob sich zwischen die beiden und legte ihre Hände auf Kasukes Brust um ihn zurück zu drängen. Der Mann schien überrascht zu sein, dass ein Dämon sich so einfach von einem Menschen in Zaum halten ließ. Noch dazu von einer Frau. Er musterte sie misstrauisch.

„Das ist eure Entscheidung, Adriel.“ Sie wandte sich um und versuchte die Blicke der Menge einzufangen. „Trotzdem seid gewiss, dass ihr in der Burg Unterschlupf finden werdet, solltet ihr ihn suchen.“ Sie wandte sich wieder an Adriel. „Darf ich um eine Nacht Rast für meine Waffenbrüder und mich bitten, bevor wir weiterziehen?“

Adriel schien ein wenig verwirrt zu sein, angesichts Sheilas Rückzug aus der Diskussion, doch er wahrte sein Gesicht.

„Reisende sind immer willkommen. Ihr seid meine Gäste, bitte folgt mir.“

Sheila nickte und schloss sich ihm an, als er durch die Menge ging. Kasuke zog an ihrem Arm. „Wieso gehen wir mit ihm? Lass uns verschwinden, die wollen keine Hilfe.“ Sheila schüttelte vehement den Kopf.

„Nein. Wir werden die Gastfreundschaft nutzen. Es ist die Arroganz von euch Dämonen, die die Menschen so verbittert und ich lass das nicht auf uns sitzen.“

„Ach ja und was glaubst du, dagegen tun zu können?“

„Lass das mal die Sorge eines Menschen bleiben.“

Damit wandte sie sich ab und ignorierte ihn, sowie die feindseligen Blicke der Massen.
 

Man hatte sie zu einem recht beeindruckenden Haus geführt, dass dem Chief gehörte und ihnen dort die Pferde abgenommen, um sie zu versorgen. Loros hatte sich dafür entschieden, ein Pferd zu bleiben, damit er mit Konomi sprechen konnte und so ließen sie ihn mit den anderen im angrenzenden Stall zurück.

Adriel führte sie in das Fachwerkhaus und teilte ihnen je zu zweit ein Zimmer zu. Sheila musste zugeben, sie freute sich auf ein Bett, auch wenn sie es sich mit Mika teilte. Piper wollte in der Mansarde schlafen, als Vogel, sie schlief lieber so, wie sie sagte. Kasuke und Sekrua teilten sich die Zimmer mit ihren Kriegern.

Als Sheila sich bei dem Chief bedanken wollte wies er sie knapp aber bestimmt ab.

„Ihr scheint hier ein wenig das Sagen zu haben, also: Ich möchte, dass die Dämonen die Menschen hier in Frieden lassen, ansonsten kann ich für nichts garantieren. Gegen Acht wird meine Haushälterin unten Essen auftragen und Euch was als Wegzehrung einpacken. Ich erwarte, dass ihr gegen Morgengrauen verschwindet.“ Damit wandte er sich um und ging. Mika stand neben dem kleinen Fenster und beobachtete Sheila, als sie seufzend die Tür hinter ihm schloß.

„Wieso lässt du dir das gefallen?“

Sheila schüttelte müde den Kopf. „Bitte, Mika. Lass uns nicht diskutieren, vertrau mir. Es ist besser ihn nicht zu reizen oder zu beleidigen.“

„Warum sagst du ihm nicht wer du bist?“

„Was würde das bringen? Er und sein Volk hassen mich und das wofür ich stehe.“

Wütend knurrte die Wölfin. „Dann hasst er die Freiheit und den Frieden. Dieser Mensch ist dumm.“

„Nein, das ist er nicht!“ Verblüfft blickte Mika auf Sheila herab, die sich auf das alte Bett gesetzt hatte. „Wie meinst du das?“

„Diese Menschen reagieren nur auf das, was die Dämonen ihnen all die Jahre angetan haben. Würdest du jemanden vertrauen wollen, der dich immer mit Missachten und Arroganz gestraft hat?“ Mika wollte etwas einwenden, doch Sheila unterbrach sie.

„Ich mach dir keinen direkten Vorwurf Mika. Aber du müsstest euer Verhalten mal beobachten. Sekura und die anderen haben sich vorhin ganz furchtbar benommen.“ Nachdenklich setzte sich die Wölfin neben Sheila.

„Und was gedenkst du zu tun?“

„Ich werde so sein wie immer….und vielleicht kann ich noch etwas retten.“
 

Nachdem Sheila eine Weile vor dem schmutzigen Fenster des Zimmers gestanden hatte, hielt sie es nicht mehr in dem Raum aus. Die Dämonen hatten so etwas wie eine Ausgangssperre erhalten, an die sie sich halten würden, nachdem Sheila mit ihnen gesprochen hatte, so konnten sie auch ein wenig Kraft tanken vor der langen Reise, doch Sheila war ein Mensch und sie würde nach draußen gehen. Sie hielt es einfach nicht aus hier eingesperrt zu sein. Außerdem sah sie ihre Aufgabe noch nicht als erledigt an. Würden die Truppen des Imperators vorstoßen, dann hätte die Menschen hier keine Chance. Noch dazu glaubte Sheila nicht, dass das Dorf die Massen an Flüchtlingen ewig versorgen können würde. Die Burg dagegen war bestens ausgerüstet um Tausende Menschen durchbringen zu können.

Langsam ging Sheila die alte, aus Eichenholz gefertigte Treppe hinunter, die bei jedem ihrer Schritte knarrte. Sie hatte doch ein wenig Angst davor, Adriel zu begegnen, denn sie hatte nicht wirklich Lust auf eine Auseinandersetzung. Als sie die Tür nach draußen öffnete atmete sie erleichtert auf. Das Haus war vollkommen ruhig.

Sofort überwältigte sie wieder die Zahl der Bedürftigen. So konnten die Menschen nicht länger als ein paar Wochen leben. Hatten die denn nie etwas von Hygiene gehört? Wenn das so weiter ging würde die Ruhr oder Cholera ausbrechen. Entsetzt lief sie zwischen den Wagen durch und musterte das Elend, dass sich ihr zeigte. Mitleid übermannte sie.

Die Menschen schenkten ihr kaum Beachtung, zu sehr waren sie mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt.

Plötzlich vernahm sie das gequälte Kreischen eines Tieres. Sie folgte dem Rufen und entdeckte ein Maultier, das sich gegen zwei Männer zur Wehr setzte, die irgendetwas an seinem Hinterbein machen wollten. Derjenige, der das Bein in der Hand gehabt hatte, bekam einen ordentlichen Tritt ab und flog zur Seite. Einige Umstehende lachten, die Frau am Kopf des Maultieres aber jammerte: „Was hat er denn nur? Wenn er nicht bald wieder läuft, bin ich echt aufgeschmissen.“

Der Mann, der sich wieder aufgerappelt hatte und dem Tier einen bösen Blick zuwarf, richtete sich an die Frau: „Ich denke, wir werden ihn schlachten müssen. Er lässt sich nicht behandeln.“ Die Frau schluchzte laut auf und während die Menge diskutierte, ging Sheila zu dem Tier und strich ihm sanft über die Nüstern. Das Maultier wirkte gehetzt, es musste einige Schmerzen gehabt haben. Sie tastete sich langsam am Rücken zur Kruppe entlang. Mißtrauisch legte das Tier seine Ohren an.

„Was tut ihr da?“ Die Stimme der Frau drang an Sheilas Ohr.

„Gebt mir eine Minute, bitte!“ Sheila sah nicht einmal auf. Sie fuhr über die Kruppe zum Hinterbein hinunter.

„Ist das nicht dieses Weib, das mit den Dämonen gekommen ist. Pass auf, dass sie dein Tier nicht verflucht.“ Murmeln wurde laut und Sheila ärgerte sich. Nur die Ruhe bewahren, sagte sie sich. Sie fuhr über das Bein, das heiß und voller nässender Wunden war.

Bestimmt erhob sie sich und tätschelte dem Tier die Kruppe.

„Habt ihr das Tier auf die Wunden hin bereits behandelt?“

Unsicher nickte die Frau. „Ja, aber sie wollen nicht verheilen wie andere Wunden. Es ist verflucht.“

Sheila sah auf das Bein herab und schüttelte den Kopf.

„Dieses Tier hat Mauke und der Grund ist der Boden auf dem es steht.“ Die Menschen sahen einander an und dann zum Boden. „Was soll damit sein, Weib?“

Sheila ließ sich von dem Ton nicht abschrecken.

„Auf dieser matschigen, nassen Weide stehen über tausend Tiere, die Dreck produzieren. Dadurch ist in diesem Schlamm eine Krankheit ausgebrochen, die die Beine der Tiere angreift.“ Nun richtete sich Sheila direkt an die Besitzerin des Maultieres. „ Haltet die Beine möglichst sauber und trocken und wenn Ihr so etwas wie eine Fettsalbe habt, tragt sie einmal am Tag auf. Ihr werdet sehen, das Tier wird genesen.“ Sheila klopfte dem Maultier noch einmal den Hals und ging. Sie würde der Frau überlassen, ob sie das tat was sie ihr geraten hatte.

„Ihr seid heilkundig?“ Sheila zuckte zusammen, als sie die Stimme von Adriel vernahm. Er lachte. „Denkt ihr ich habe nicht bemerkt, dass ihr das Haus verlassen habt?“

„Ich bin kein Dämon.“

„Ich weiß und ich habe, glaube ich, bisher nichts gesagt, oder?“

Sheila wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wich seinen aufreizenden Augen aus und ging weiter.

„Ihr habt meine Frage nicht beantwortet.“

„Wollt ihr das denn wirklich wissen? Ich lüg doch sicher, wenn ich mit Dämonen verkehre.“

„Ihr scheint wütend zu sein.“

Sheila seufzte und blickte zu einer Mutter, die ihren Säugling unter einer ramponierten Plane säugte.

„Nein, nicht wütend. Traurig. Ich hatte nicht mit so einer Feindseligkeit gerechnet.“

„Dann scheint ihr nicht von hier zu sein. Das hier ist die Realität. So denken die Menschen.“

Sheila sah zu ihm auf und hielt seinem Blick stand.

„Das wird sie in den Abgrund reißen. Die Truppen des Imperators werden auch hierher kommen. Es wird viele Tote geben.“

„Die gibt es auch jetzt schon. Einige Flüchtlinge sind lange gereist um hierher zu gelangen.“

„Seht Ihr. Und hier sind sie auch nicht sicher. Die Armee sichert ihnen Verpflegung und Schutz zu. Ohne Gegenleistung. Die Menschen haben keine Verpflichtung zur Waffe zu greifen.“

„Ohne die Menschen sind die Dämonen aber aufgeschmissen.“

Überrascht sah Sheila Adriel an. Er lachte.

„Ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass die Armee der Dämonen zahlenmäßig unterlegen sein wird.“ Sheila sah zu Boden.

„Die Frau, die ihr die Prophezeite nennt, ist bereits auf einer Mission, alles zu tun um die Truppen zu verstärken. Aber sie sucht nicht die Menschen auf. Nicht für die Schlacht.“

Nachdenklich blickte Adriel über die Felder. „Was könnte sie wagen, was die Dämonen nicht auch so schon versucht hätten?“

Sheila folgte seinem Blick, versuchte das Elend auszublenden. Adriel sog zischend die Luft ein. „Sie würde doch nicht Dinge wagen, die ihren Tod bedeuten, oder?“

Sheila sah ihn nicht an. Er wusste, was sie vor hatten, dass spürte sie.

„Sie würde alles tun, um diese Welt zu schützen.“ Sie hatte sich nun soweit im Griff, um ihn emotionslos entgegen zu sehen. „Vielleicht ist es an der Zeit, einige Dinge zu überdenken, die ihr bisher gedacht habt.“ Sie drehte sich um und ging zurück zu Haus. Bevor sie außer Reichweite war, drehte sie sich noch einmal um.

„Ja, ich bin heilkundig und es gibt noch einige andere Fähigkeiten, die mir zu Eigen sind. Deshalb wurde ich prophezeit. Auch wenn ich dafür in den Tod gehen muss.“

Adriel riss überrascht die Augen auf und einige Menschen, die in der Nähe gewesen waren, fingen aufgeregt an zu reden. Sheila jedoch hörte kein Wort mehr. Sie verspürte einen Triumph, der das Elend um sie herum jedoch nicht verschwinden lassen konnte. Vielleicht aber, hatte sie den ersten Schritt getan, um dieses Los zu verbessern.
 

Gedankenverloren lief Sheila die Treppenstufen zu den Gästezimmern hoch. Sie hatte Loros noch einen Besuch abgestattet und er hatte ihr berichtet, dass bereits einige Menschen zur Burg gefunden hatten. Sie weigerten sich zwar, zu den Waffen zu greifen, da sie nicht an Sheila Existenz glaubten, aber sie waren in Sicherheit. Sheila hatte das Gefühl einen großen Schritt nach Vorne gemacht zu haben und so war ihr um einiges leichter ums Herz.

Die Person, die an ihrer Tür lehnte, sah sie erst, als sie aus dem Schatten trat. Es war Kasuke. Er hatte sein Lederrüstung abgelegt und trug nun ein gebleichtes Hemd zu seiner schwarzen Reithose. Sheila lief es heiß über den Rücken. Sie hatte komplett den Verstand verloren!

So emotionslos wie möglich lächelte sie ihn an.

„Alles okay?“

Kasuke nickte.

„Ja, ich wollte nur kurz mit dir reden.“

Verblüfft hob Sheila eine Augenbraue. „Ich dachte, es wäre alles gesagt.“

„Nun, vielleicht doch nicht alles.“ Er rang deutlich mit sich. Seine Stirn war leicht gerunzelt. Er schien die richtigen Worte zu suchen. Er seufzte laut.

„Ständig such ich nach den richtigen Worten. Ich kann einfach nicht vernünftig mit dir reden.“

Sheila schluckte einen Ansturm von Ärger runter. Wenn sie immer so auf ihn reagierte, konnten sie nie vernünftig miteinander umgehen. Sie lehnte sich gegen die Wand des Flurs und kämpfte mit einem aufmunternden Lächeln. „Dann sag es doch einfach frei heraus.“

Zweifelnd sah Kasuke sie an. „Ich weiß nicht, ob das so gut ist.“

„Ich glaube, wir beide sind an einem Punkt angekommen, an dem es nicht schlimmer sein könnte, oder?“ Kasuke dachte einen Augenblick nach und wandte sich dann um.

„Komm bitte mit auf den Dachboden, da ist es ruhig. Ich will darüber nicht mit dir reden, wenn Mika und Haruto mit den Ohren an der Tür hängen.“

Mit Kasuke alleine zu sein missfiel Sheila, aber sie konnte sich auch gut vorstellen, wie die beiden Wölfe versuchten, jedes Wort aufzuschnappen.

Eine weitere Eichentreppe führte auf den Dachboden, welcher scheinbar als Büro genutzt wurde. Unter einem Giebelfenster stand ein Tisch mit Schreibzeug und Büchern. In einer Ecke befanden sich ein wackeliges Holzregal und eine schwere Holztruhe. Die meisten Sachen waren verstaubt und schienen lange nicht genutzt worden sein.

Kasuke lief zum Fenster, sah einen Augenblick hinaus und lehnte sich dann gegen den Tisch, der leise knarrte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte sie. Da Sheila nicht einfach so mitten im Raum stehen bleiben wollte, ging sie erst zum Regal, strich mit den Fingern über alte Büchereinbände und stellte sich dann ans Fenster und sah hinaus. Man hatte einen genauen Blick auf Flüchtlingslager. Einen zu guten. Sie schloss die Augen.

Als sie sie wieder öffnete begegnete sie Kasukes stahlblauen Augen. Hätte er den Arm ausgestreckt, hätte er sie berühren können. Sheila überlief ein Schauer.

„Ich weiß, ich habe gesagt, dass wir zwischen uns eine Grenze ziehen müssen.“

Sheila schürzte die Lippen. „Nicht wortwörtlich, aber in etwa so hast du es gesagt.“

Kasuke ließ sich nicht beirren. Sheila schmerzte es, in sein schönes Antlitz zu gucken, somit sah sie zu Boden.

„Ich hatte auch Recht damit. Wir beide haben Verantwortung und wir streiten uns wie kleine Kinder und wissen nicht einmal warum.“

Sheila fuhr hoch. Misstrauisch sah sie ihm ins Gesicht. Der Wolf holte tief Luft und fuhr fort.

„Ich denke jedoch, dass zumindest ich weiß, warum ich mich so aufführe und….nun ja ich glaube, ich hätte es dir sagen sollen. Ich habe Dinge getan, die vielleicht die richtigen Vorsätze hatten, aber von mir falsch waren. Ich hätte es anders umsetzen müssen.“

Sheila kniff die Augen zusammen. Kasuke schien wieder mit sich zu ringen und das war kein einfacher Kampf. Nach einer Weile konnte sie es nicht mehr mit ansehen.

„Du musst mir nichts sagen, Kasuke. Solange du mir versprichst, dass wir Freunde sein können, gebe ich mich zufrieden. Ich brauche euch alle so sehr.“

Sie wollte sich abwenden, um die Sache zu beenden, doch Kasukes Hand schoss hervor und hielt sie fest. Sein Blick loderte, als er einen Schritt auf sie zu ging, schien die Hitze seines Körpers auf sie über zu gehen.

„Das Problem aber ist, dass ich immer mehr wollen werde als Freundschaft. Und das hat rein gar nichts mit Celine zu tun.“ Sheila war erschrocken angesichts Kasukes Offenheit. Er hatte noch nie so mit ihr gesprochen.

„Ich habe mich die ganz Zeit aufgeführt wie ein Idiot, weil ich dich will. Seitdem ich dich vor drei Monaten gefunden habe, komme ich mir vor wie bei einem Spießrutenlauf. Ich stehe zwischen dem was ich fühle, will und was richtig ist. Und ich bin dabei vollkommen egoistisch.“

Sein Griff lockerte sich ein wenig, als seine Stimme heiser wurde. Sheila lag ein großer Kloß im Hals, den ihr Herz dorthin befördert hatte. Wahrscheinlich war es ihr Herz selbst. Es raste.

Er zog sich ein wenig zurück.

„Ich kann meine eigenen Grenzen nicht halten. Es zerreißt mich und als ich dich mit Sekura gesehen habe….“ Sheila hob die Hand, um Kasuke zum Schweigen zu bewegen. Überfordert schüttelte sie den Kopf.

„Was erwartest du, was ich jetzt tue?“

Mutlos ließ Kasuke die Hände sinken. Sheila unterdrückte das Verlangen, ihn in die Arme zu nehmen, hielt sich aber zurück. Sie war doch kein Stück mehr Herr der Lage.

„Ich wollte dir das nicht sagen, damit du darauf reagierst. Es war dumm von mir zu glauben, dass ich einfach jetzt eine Rede vom Zaun breche und es macht die Sache einfacher.“

Er atmete tief ein und erhob sich. Beinahe zufällig streifte seine Hand die ihre, als er sich zu den Treppen wandte. Ein Stromschlag durchzuckte sie und sie meinte zu sehen, wie die Härchen auf Kasukes Unterarm sich aufstellten.

„Ich steh zu dem, was ich dir in der Burg versprochen habe. Ich bin deine Leibwache und dabei bleibt es.“ Er wandte sich wieder um. Die Unsicherheit in seinem Blick tat Sheila fast körperlich weh, doch sie konnte einfach nicht reagieren. „ Es tut mir Leid, dass ich dir Unbehagen bereitet habe, aber ich denke, jetzt ist wirklich alles gesagt zwischen uns.“ Er lächelte leicht. „Wir sehen uns beim Essen.“

Den Tränen nahe, sah Sheila zu wie Kasuke die Treppen zu den Zimmer hinunter ging. Nein, es war nicht alles gesagt. Sheila hatte ihren Standpunkt nicht klar gemacht. Aber welcher war es? Sie hatte sich so beeinflussen lassen von ihrer Wut und Enttäuschung, was sollte sie tun? Wie sollte sie auf Kasuke reagieren?
 


 

Ihr Lieben, ich wünsch euch eine wunderschöne Weihnacht und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Danke das ihr auch dieses Jahr meiner Story treu geblieben seit. SIe ist mein HErzstück. Danke!

Love will find a way

Lustlos stocherte Sheila in ihrem Essen rum. Sie hatte Adriel nicht mehr gesehen und zum Essen war er ebenfalls nicht aufgetaucht, aber er hatte nur das Beste auftischen lassen. Es gab Rebhuhn in Rotwein, alle möglichen Pasteten, Obst und Gemüse und frisches Brot. Ihre Mitreisenden freuten sich, doch Sheila war fast augenblicklich der Appetit vergangen. Sie dachte an die vielen Menschen außerhalb dieser Mauern, die sich um riesige Kessel scharten um etwas Suppe abzubekommen.

Gequält ließ sie den Blick von dem Essen und durch den Raum schweifen. Ihre Augen trafen die Kasukes, der am anderen Ende des Tisches saß. Er war ihr wohlweißlich aus dem Weg gegangen und Sheila wusste nicht ob sie ihm dankbar sein sollte. Sein Blick fiel auf ihren vollen Teller und er hob kaum merklich eine Augenbraue und sah sie dann wieder an. Es war ihr egal, ob er sich für den Grund hielt, aber sie ertrug es nicht mehr in dieser Runde. Sie stand auf und verließ ohne sich umzusehen den Raum. Sie hörte zwar, dass die Dämonen verstummten, aber es folgte ihr keiner. Das war ihr auch Recht so. In der Eingangshalle blieb sie stehen und schloss die Augen. Sie wollte nach Hause. Wenn sie schon wegen einigen Flüchtlingen so aus der Fassung geriet, was war erst wenn der Krieg ausbrach? Was für Opfer er fordern würde, war nicht klar, aber es würde entsetzlich werden. Auch für ihre Seite.

Sie stieg die Treppe zu ihren Räumen hinauf und ging in ihr Zimmer. Zögernd stellte sie sich an ihr Fenster. Über die ganze Ebene hinweg brannten kleine Feuer, die das Elend durch ihre Schönheit zu vertuschen vermochten. Doch Sheila wusste was dahinter steckte und es tat ihr in der Seele weh. Sie konnte nicht gehen, was würde sonst mit diesen Menschen passieren? Sie war ihre einzige Fürsprecherin.

Ohne groß zu überlegen nahm sie sich ihren Schal und verließ das Haus. Sie schlang ihn sich über Kopf und Schultern, um so wenig wie möglich aufzufallen. Es war um einiges kälter geworden und der Wind zog an ihren Knöcheln und Sheila fröstelte augenblicklich, als sie die Tür öffnete. Sie sah sich aufmerksam um, damit sie diesen Ort niemals vergessen würde. Das hier war der Ansporn für sie. Sheila würde alles tun, um dieser Welt ihren Frieden zu bringen, auch wenn sie nicht wusste, was sie bewirken konnte.

Plötzlich zog etwas an ihrem Rock. Sie drehte sich zu einem kleinen Mädchen von etwa sechs Jahren um. Ihr Gesicht war schmuddelig und ihr Haar verfilzt. Das kleine Gesichtchen war so blass, dass es im Dunklen der Nacht weiß leuchtete. Sheila ging vor dem Kind in die Knie und blickte ihr aufmerksam in die großen dunklen Augen.

„Ihr habt noch nichts zu Essen, Madam.“ Das Stimmchen war genauso dünn, wie die Hände und Arme, die sich Sheila mit einem Holzgefäß entgegenstreckten. „An der Feuerstelle gibt es noch Eintopf.“ Sheila nahm dem Kind die Schüssel ab. „Danke, meine Kleine. Gehst du mit mir dahin?“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich habe meine Portion schon gegessen. Jeder nur einmal.“ Sie deutete noch einmal auf die Schüssel. „Aber Ihr müsst noch etwas essen. Ich habe Euch heute noch nicht bei den Kesseln gesehen. Papa sagt, wir brauchen alle unsere Kräfte.“ Sheila versuchte zu lächeln und strich dem Kind über den Kopf.

„Wie heißt du?“

„Marla!“

„Gut, Marla. Bitte komm einmal mit mir mit, ja?“ Unsicher sah Marla sich um. „Ich weiß nicht, ob ich das darf.“ Sheila beugte sich zu ihr hinab, sodass nur sie das hören konnte, was Sheila flüsterte. „Mit mir darfst du ruhig mitgehen, Marla.“ Sie zog ein wenig den Schal zurück und die Augen des Mädchens wurden groß. „Ihr seid doch die Frau von der alle reden, oder?“ Sheila zwinkerte Marla zu und streckte die Hand nach ihr aus, welche diese sofort ergriff. „Wo gehen wir denn hin?“ Sheila lächelte zu dem Mädchen hinab: „Wir besuchen einen Freund von mir. Er wird dir gefallen.“

Sie passierten ein großes Stalltor, hinter dem einige Knaben im Stroh schliefen. Als sie die Schritte vernahmen sprangen sie sofort auf, doch Sheila zog den Schal vom Kopf und bedeutete ihnen, sich wieder hinzulegen. Verwundert sahen sie ihr nach. Sheila sah nicht, dass einer von den dreien davonlief.

Sie blieben vor einer Box am Ende der Stallungen stehen: „Komm heraus, mein Freund.“ Der Kopf eines Braunen schaute über die Stalltür. Das Mädchen sah das Tier abschätzig an. „Das ist doch nur ein Pferd. Mein Papa hat zwei davon. Die ziehen unseren Karren.“ Das Pferd schnaubte und Sheila musste lachen. „ Nein, Marla, dass ist kein gewöhnliches Pferd.“ Sie richtete sich zu Loros auf. „Du bist selber Schuld. Zeig dich.“

Der Braune schüttelte unwillig die Mähne, dann vollzogen sich Mähne, Fell, Schweif und Form des Tieres einer Wandlung. Das Fell wurde weiß, dass Tier schlanker und edler und ein Horn entwuchs seiner Stirn. Marla erstarrte, dann sprang sie hinter Sheila und lugte erschrocken hinter ihrem Rock hervor. Sheila kniete sich neben das Mädchen. „Darf ich dir meinen Freund Loros vorstellen.“ Schüchtern neigte Marla sich zu Sheila. „Das ist ein Wunderpferd. Papa sagt, sie sind älter als alle Menschen zusammen.“ Loros schnaubte und Sheila hörte ihn in ihren Gedanken und sie wusste, dass Marla es ebenso hörte. „Na vielen Dank auch!“ Sheila knuffte ihn in die Schnauze. „Er kann in meinem Kopf sprechen!“ Verwundert und überhaupt nicht mehr schüchtern, starrte das Kind Loros an. „Und noch viel mehr, kleines Menschenmädchen.“ Sheila war dem Einhorn einen bösen Blick zu, dann stand sie auf.

„Ich möchte dich bitten, dass du Verbindung zu Konomi aufnimmst. Ist es möglich, ihm meine Gedanken zu übermitteln?“ Das Einhorn schloß die Augen und neigte den Kopf zur Seite: „Nein, du kannst mir Bilder, die du gesehen hast übergeben und ich Konomi, aber Wörter kann nur ich überbringen.“ Sheila nickte. „Gut, wie kann ich dir meine Gedanken übergeben?“ „Berühr mein Horn.“ Sheila tat wie geheißen. Sie spürte die Energie, die von dem goldenen Horn ausging und merkte, wie diese durch sie hindurchströmte. Sie schloß die Augen und rief all die Bilder hervor, die sie quälten. Die Menschen – Väter, Mütter, Kinder, Schwestern und Brüder- die litten, vertrieben von ihren Heimen hungerten. Loros verzog keine Miene, doch als sie die Verbindung beendeten, sprach er nur zu ihr. „Ich habe mir schon gedacht, dass du nicht tatenlos zusehen würdest.“ Sheila wurde abweisend: „Wenn ich nichts tu, dann niemand.“ Loros ging nicht darauf ein, sondern konzentrierte sich. Sheila spürte den Zauber den er wob. Einige Minuten geschah nichts, womöglich sprach er bereits mit Konomi und übersandte ihm die Bilder.

„Schön etwas von dir zu hören Sheila. Loros sagte mir bereits, dass du wohlauf bist.“ Es war wundervoll, Konomis Stimme zu hören und Sheila musste lächeln, obwohl sie wusste, dass er es nicht sehen konnte. „Hallo Konomi. Geht es euch denn auch gut?“ „Ja, Liebes, aber sprich. Du hast mir etwas zu sagen und wir wollen den Lieben Loros doch nicht allzu lange strapazieren, so gern ich auch von dir höre.“ Sheila schluckte ihre Enttäuschung herunter. Sie war hier nicht mehr im 21. Jahrhundert, wo Telefone keine Mühe kosteten.

„Ich muss dich um etwas bitten Konomi. Sende bitte so viele Fogal wie möglich aus, das Land nach Flüchtlingen zu erkunden. Sollten sie Lager finden, sollen sie so viel Verpflegung, Kleider, Zelte und Medikamente wie möglich an diese verteilen. Und fangt hier bitte damit an. Wir müssen alles geben, was wir abzweigen können. Ich befürchte, dass bald Hunger und Krankheit um sich greifen wird.“

Konomi sagte zunächst nichts. Sheila strich dem Mädchen nervös über die Haare. Marla beobachtete die Schwarzhaarige nur mit großen Augen.

„Ich habe eben mit Periphae gesprochen. Sie ist hier bei mir. Wir beginnen damit, sobald die Sonne aufgeht. Durch Loros kenne ich euren Aufenthaltsort. Das hast du gut gemacht, Sheila.“

Sheila schloß erleichtert die Augen. „Ich danke euch, Konomi.“

Sie kniete sich wieder zu Marla hinab: „Ab jetzt bekommst du mehr zu Essen, meine Kleine. Und dein Papa auch.“

Marla warf sich Sheila um den Hals und Sheila hob sie auf den Arm. Sie strich Loros über die Nüstern und drehte sich um. Die Kleine musste zu ihrem Vater zurück.
 

In der Tür stand Adriel bei den Stallburschen. Sheila warf den Knaben einen bösen Blick zu, die ein wenig eingeschüchtert zu Boden sahen.

„Ich beherberge ein Einhorn und Ihr unterrichtet mich nicht?“ Adriels Tonfall störte Sheila und sie ignorierte ihn. Ungerührt verließ sie die Stallungen, mit dem Mädchen auf dem Arm. „Ich rede mit Euch. Prophezeit oder nicht, ich wünsche über die Vorgänge hier informiert zu werden.“ Wütend fuhr Sheila zu Adriel herum. Sie standen mittlerweile auf dem Platz vor seinem Haus und mehrere Flüchtlinge waren hinzugekommen. Auch Marlas Vater, der sie rief. Sheila ließ das Mädchen runter und stemmte dann die Hände in die Hüften. „Was glaubt ihr, was ich getan habe? Euch verraten, den Feinden übergeben? Ich bin überhaupt nicht dazu gezwungen, mit Euch über die Pläne der Armee zu sprechen. Wenn ich mit einem meiner Vertrauten spreche, dann werde ich Euch nicht sofort Bericht erstatten.“

„Das ist mein Dorf. Ihr seid mit den Dämonen hierher gekommen und ihr seid nicht gerade gern gesehene Gäste. Ihr seid geduldet, sonst nichts, also habt ihr euch gewissen Regeln und Sitten zu beugen.“ Sheila spürte, wie ihre Energie stieg, sie durfte sich nicht vergessen.

„Ihr schimpft auf die Dämonen und seid doch nicht besser.“ Die Umstehenden hielten die Luft an. „Diese unliebsamen Gäste haben eine Aufgabe, die eure Welt retten soll.“ Ihre Stimme wurde bedrohlich leise. „Vergesst das nie.“

Ein Raunen ging durch die Menge und Sheila spürte die Anwesenheit ihrer Dämonen. Seufzend schloß sie die Augen. Das war nicht gut. Sekura, Kasuke und Haruto bauten sich bereits hinter ihr auf und musterten die Menschen kritisch.

„Ich glaube, wir haben eure Gastfreundschaft überstrapaziert.“ Sheila kämpfte darum, dass ihre Stimme nicht zitterte. Warum lief alles so schief? Sie wollte helfen, doch man begegnete ihr mit Argwohn und Wut und das nur von ihrer eigenen Sippe. Piper verschwand zusammen mit Mika im Haus und holte alle ihre Sachen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Loros mit den anderen Pferden aus dem Stall kam. Als das Einhorn durch das Tor trat hielten die Menschen den Atem an. Die Stalljungen kamen erschrocken hinterher, wahrscheinlich konnten sie sich nicht so wirklich erklären, was da so eben passiert war.

Die Menschen der ersten Reihe hinter Adriel wichen ein wenig zurück und sahen sich unsicher nach ihrem Anführer um. Dieser zuckte jedoch mit keiner Wimper. Nur seine Hände ballten sich an seiner Seite zu Fäusten. Er stierte die drei Dämonen hinter Sheila an und sie hörte Kasuke leise knurren. Was ein Alptraum.

Loros gesellte sich an ihre Seite und Sheila wandte den Blick von den Menschen ab. Sie wollte diese Blicke nicht mehr sehen müssen. Nur Marla sah traurig zu ihr empor, die anderen waren abweisend, fast feindselig. Fast galant sprang sie auf Loros ungesattelten Rücken- ob ihr die Enttäuschung diese Kraft gab? - und blickte sich nach den anderen um. Mika und Piper hatte sich dazu gesellt und alle saßen auf. Nur Piper verwandelte sich, mit einem verächtlichen Blick in die Menge, in einen Adler. Die Menschen waren verzaubert von ihrer anmutigen Gestalt und dem silbernen Gefieder. Sheila entdeckte Zweifel in ihren Gesichtern. Adriel sah jedoch die ganze Zeit nur in ihr Gesicht. Es war, als suchte er etwas darin, was er nicht erkennen konnte. Sheila schlug die Augen nieder und Loros wandte sich ab. Er spürte, dass sie weg wollte. Das alles hinter sich lassen.

Kasuke suchte ihren Blick, doch sie wich ihm aus. Bestimmt setzte sie sich an die Spitze der Gruppe und sie verließen das Dorf über die weite Ebene, weg vom Wald, dem Dorf, den Menschen.
 

„Sag bitte Konomi nichts davon.“ Sie waren seit etwa einer Stunde unterwegs, schweigend und keiner hatte gewagt, dieses Schweigen zu brechen. Die Sonne war bereits untergegangen und Sheila wusste, sie mussten ein Nachtlager suchen, aber sie wollte einfach nicht zur Ruhe kommen.

Loros Muskeln zogen sich zusammen. „Wovor hast du Angst?“ Sheila blickte über die Felder, die sie, seit sie das Dorf verlassen hatten, passierten. Die Felder sahen wild und überwuchert aus, als hätten die Bauern aufgehört sie zu bestellen, was sicher auch der Fall war.

„Ich möchte ihm keinen Grund geben, an mir und meinen Absichten zu zweifeln.“ Loros schüttelte seine Mähne. „Du unterschätzt ihn, Sheila. Er würde nie an die zweifeln. Er vertraut dir. Dass diese Dörfler so reagiert haben heißt nicht, dass sie es nicht verdient hätten, dass man ihnen hilft.“ Sheila schloß die Augen und nickte dankbar. Vielleicht mochte Konomi ihre Entscheidungen nicht in Frage stellen, aber was war mit den anderen? Sheila wusste, sie sollte sich keine Gedanken darüber machen, aber das waren ihre Freunde.

Haruto schloß zu ihr auf. Sein väterlich besorgter Blick ließ Sheila lächeln. Er schien darüber erleichtert zu sein. „Wir müssen rasten, Liebes. Die Nacht wird sehr dunkel, wir haben Neumond.“ Sheila blickte zum Himmel. Eine schmale Sichel schob sich über den Horizont. Bald würden die Pferde und sie nicht mehr viel sehen können. Kasuke, Sekura und die anderen hätten damit kein Problem, doch die sie würde die Gruppe nur behindern. Sie nickte Haruto zu. „Sucht einen guten Platz für die Nacht.“

Der Wolf ließ sich wieder zurückfallen und besprach sich mit seinem Clansoberhaupt. Dieser sprang von dem Rappen, den er ritt, verwandelte sich in einen Wolf und verschwand in der Dunkelheit. Sheila wusste, dass die Felder zu ungeschützt waren. Sie hoffte, dass sie Schutz finden würden.
 

Kurze Zeit später tauchte Kasuke aus der Dunkelheit neben Sheila auf. Loros blieb stehen und sie warteten, dass Kasuke wieder seine menschliche Gestalt annahm. Bei dem Anblick seiner Verwandlung, bei der sich dieser schwarze, starke Wolf in den jungen Mann mit den eisblauen Augen verwandelte, überkam Sheila immer wieder ein Schauer. Zunächst sah er sie an, dann blickte er in die Runde. „Eine Meile von hier habe ich eine verlassene Scheune gefunden. Das Bauernhaus daneben ist abgebrannt, aber die Scheune ist geschützt und noch voll mit der letzten Ernte.“ Sekura schloß zu Sheila auf. „Die Bauern scheinen so gut wie alles hinter sich vernichtet zu haben.“ Sheila hoffte, dass es wirklich die Bauern selbst gewesen waren.

Sie setzten sich wieder in Bewegung und erreichten eine Viertel Stunde später die Scheune. Die Asche des Hauses war schon lange kalt, nur einige Balken hatten das Inferno überlebt. Sekura und seine Begleiter durchsuchten die Umgebung nach möglichen Gefahren, doch Sheila wusste auch, dass sie jagen gingen, denn Mika und Haruto begleiteten sie. Nur Kasuke ging nicht mit. Ruhig, als hätte er gar nicht bemerkt, dass die anderen Raubtiere weg waren, kramte er Brot aus den Satteltaschen, brachte die Pferde in die kleine Scheune, die jede Menge Stroh lagerte und befreite die Tiere von ihrer Last. Loros blieb erneut in seiner tierischen Gestalt und legte sich zu den Pferden. Piper verschwand auf einen der Balken, plusterte sich auf und steckte den Kopf in ihr Gefieder. Sheila wusste, dass der Adler zwischenzeitlich gejagt hatte und nicht mehr fressen brauchte.

Sie strich den Pferden noch einmal über Hals, Kruppe und Nüstern, dann machte sie sich an einem Strohballen zu schaffen und verteilte alles auf dem Boden. Hier und da schüttete sie ein wenig mehr auf, machte ein weiches Lager für jeden. Als sie fertig war, betrachtete sie stolz ihr Werk.

Kasuke schloß die Torflügel der Scheune und es wurde augenblicklich stockfinster. Wütend schnaubte Sheila. Na super. Sie würde nie heile zwei Meter weit kommen.

Plötzlich spürte sie eine warme Hand an ihrem Ellenbogen.

„Es tut mir Leid, ich habe vergessen, dass du nichts sehen kannst.“ Er bugsierte sie zu einem ihrer Strohlager und reichte ihr ihre Sachen und eine dicke Decke. „Wir können leider kein Feuer machen, sonst würde es der Scheune nicht anders gehen, als dem Haus.“ Sheila wusste, dass er Recht hatte und nickte. Sie wusste nicht wo er saß und wie nahe, aber sie spürte, dass er ihr nahe war. Sie hörte seinen ruhigen Atem und die Stille zerrte an ihren Nerven, obwohl sie wusste, dass sie nicht alleine waren. Sie wickelte sich in die Decke und legte sich ins Stroh. Wenn sie sofort einschlief, würde sie dieser peinlichen Situation entkommen. Doch natürlich stellte sich kein Schlaf ein.

„Es tut mir Leid, dass die Situation im Dorf eskaliert ist.“ Sheila erwartete in seiner Stimme Spott zu vernehmen, doch Kasuke schien ehrlich zu sein.

„Wieso sagst du das? Ich wette, es hat dich nicht überrascht.“ Das Stroh neben ihr raschelte, anscheinend hatte er sich neben sie gelegt. Ihr Herz raste augenblicklich. Kasuke lachte leise. „Keine Angst, ich fall nicht über dich her.“ Sheila hielt wütend die Luft an. Wieso bekam dieser Wolf eigentlich alles mit! Er lachte noch einmal, dann wurde er wieder Ernst: „Es hat mich nicht überrascht, aber nur weil ich weiß wie die Menschen über uns denken. Und gerade diese Leute, die alles wegen einem Krieg der Dämonen verloren haben, konnten uns nur mit Hass und Feindseligkeit begegnen.“

Sheila schlag die Arme um ihren Oberkörper und igelte sich ein. „Ich hatte so gehofft, dass sie mir vertrauen. Sie sind doch Menschen wie ich.“

„Sie sind nicht wie du, Sheila.“ Kasuke sagte so selten ihren Namen, dass es sie heiß durchfuhr, als er über seine Lippen kam. Sie wusste, er hatte ihre Reaktion gespürt, doch er ging nicht drauf ein. „Wärst du so wie sie, wärst du nicht hier. Du wurdest prophezeit und es gibt tausend Gründe weshalb. Wieso sollte sich die Geschichte die Mühe machen, jemanden aus einer ganz anderen Welt zu holen, um unsere Welt zu retten?“

Sheila ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. „Ich weiß es nicht, aber ich wünschte der Kelch wäre an mir vorüber gezogen.“ Sie wusste, dass er angesichts ihrer Formulierung die Stirn runzelte. Leise sagte er: „Ich bin froh, dass es nicht so ist.“

Sheila versuchte so zu tun, als habe sie es nicht gehört. „Du weißt nicht, wie einsam man sein kann, wenn man so weit fort von zuhause ist.“ Ihre Stimme zitterte leicht. Sie war alleine gewesen, daheim, in Tokio. Aber sie hatte es nicht anders gekannt, doch nun….

Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter und sie zuckte zurück. „Bitte.“ Sein flehentlicher Tonfall ließ sie ganz still halten. Es sah Kasuke nicht ähnlich, sich so verletzlich zu geben. Erneut raschelte das Stroh neben ihr und sie spürte seinen warmen Körper, der sich an sie schob, selbst durch die Decke. Froren Wölfe überhaupt?

Er legte seine Arme um sie und zog sie noch enger an sich. Er bettete ihren Kopf an seiner Brust und Sheila wurde es bei seiner Nähe, seinem Duft und dem Gefühl seinen Körper zu spüren schwindlig. Doch anstatt sich aus dieser Umarmung zu winden, kuschelte sie sich an seine Brust und atmete tief ein. Er strich ihr eine Träne weg, die sie bei ihren letzten Worten geweint hatte.

„Ich weiß, dass du mir auf das, was ich dir gesagt habe keine Antwort geben kannst, aber bitte lass mich dein Freund sein. Ich möchte dir zur Seite stehen, ohne dass du dich unwohl fühlst. Ich möchte dir zuhören, ohne dass du Angst hast, ich könnte dich verspotten.“ Er legte sein Kinn auf ihren Scheitel. „Du bist hier nicht alleine, Sheila. Ich würde dir bis in den Tod folgen, so wie viele andere. Bitte lass es nur zu.“

Sheilas Zunge schien ihr wie gelähmt. Ihr Herz schlug ihr hart gegen die Rippen und ein Kloß in ihrer Kehle, machte ihr das Schlucken schwer. „Das kann ich nicht, Kasuke. Rede bitte nicht über den Tod. Darüber darfst du nicht einmal nachdenken.“

„Wir befinden uns im Krieg. Ich habe dir geschworen, dich zu schützen auch wenn es mit meinem Leben sein sollte.“

Sheila begann unkontrolliert zu zittern. Kasukes Umarmung verstärkte sich und sie spürte wie er ihr Gesicht zu sich anhob. „Du hast Angst!“ Es war eine Feststellung. „Natürlich.“ „Wovor?“ Sheila schluckte. Wie kam sie da heraus, ohne ihre Gefühle zu verraten? „Davor, dass der Tod mir die nimmt, die mir nahe stehen.“ Kasuke schluckte. „Für jemanden zu sterben, den man liebt ist doch die beste Möglichkeit, diese Welt zu verlassen.“

Sheila schob Kasuke ein wenig von sich.

„Und was ist mit denen, die zurück bleiben? Die, die von uns gehen müssen nicht mehr leiden, die die zurückleiben sterben tausend Tode, ohne dass sie davon erlöst werden.“ (tut mir leid, wegen dieser pathetischen Worte, liegt mir im Moment sehr am Herzen)

Stille breitete sich zwischen ihnen aus und Kasuke schien zu einer Statue erstarrt, nur sein Atem zeigte, dass er da war….und die Wärme, die er an sie übergab. Dann vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren. „Als Celine starb dachte ich, der Tod wäre die einzige Erlösung.“ Sheila schluckte. Was hatte sie getan? Kasuke spürte, dass sie sich versteifte und zog sie erneut an seine Brust. Seine Stimme wurde tiefer und jagte ihr eine Gänsehaut über den ganzen Körper. „Aber das ist nichts, im Gegensatz zu dem Gefühl, dass ich empfinde, wenn ich daran denke, dass du, zerbrechlich wie du bist, diesen Krieg nicht überlebst. Ich weiß, ich werde dir in den Tod folgen. Bedingungslos.“

„Verdammt noch mal.“ Sie befreite ihre Arme und schlug ihm gegen seine nackte Brust und Schulter. Sie war wütend. Auf sich, auf ihn, sie wusste es nicht. „Wie kannst du so etwas sagen!“ Sie wand sich, doch Kasuke ließ sie nicht los. „Wie kannst du nur so egoistisch sein?“ „Wie bitte?“ Kasuke klang verwirrt. Matt hörte Sheila auf sich zu wehren. Er würde nicht nachgeben. „Du hast einen Clan der dich braucht und du redest davon zu sterben, selbst wenn du die Wahl hast.“ „Sheila, du verstehst nicht…..“ „Ich bin nicht blöd. Ich habe meine Mutter verloren und Dinge erlebt, die jeden Menschen zerbrechen würden. Ich habe es nur wegen ihr überlebt, weil ich dachte sie würde nicht wollen, dass ich aufgebe. Ich wollte so oft lieber tot sein, als weiter zu leben. Aber ich bin hier, oder?“ Kasuke legte seine Finger auf ihren Mund. „Hör mir zu!“ Sheila bebte vor Wut, als er seine Stirn gegen die ihre legte. „Ich liebe dich, mehr als mein Leben. Meine Einstellung mag altmodisch und dumm sein, aber ich kann nicht anders.“ Sheila spürte die Tränen auf ihren Wangen und versuchte gar nicht sie zu verbergen, er hatte sie sowieso schon gerochen. „Hast du dir denn nie daran gedacht, dass ich zurückgehen könnte?“ Kasuke legte seine Lippen auf ihre Wange, fing eine Träne ab. „Oh doch, seit dem ersten Moment, seitdem ich weiß wer du bist. Aber ich kann mich nicht von dir fern halten. Es ist schlimmer als die Hölle.“ Er strich ihr über den Hals und Sheila wurde mulmig zumute. „Solltest du gehen, glaube ich, dass die Macht, die dich hierher gebracht hat etwas Besseres für dich auserkoren hat als mich, als uns alle. Damit kann ich leben, solange du das Leben lebst, das dich glücklich macht. Diesen Schmerz werde ich mit Freuden auf mich nehmen.“

Sheilas Tränen wollten nicht versiegen. Kasukes Worte brannten sich in ihr Herz. „Ich wünschte….“, sie schluckte, „…ich könnte dir das geben, was du von mir brauchst.“ Kasuke lachte leise. „Ich habe im Moment alles, was ich mir wünsche, selbst wenn du mich nicht liebst. Es reicht mir, dass ich dir nahe sein kann. Du schickst mich nicht weg.“ Er verstärkte noch einmal seine Umarmung.

„Kasuke, ich bin zu einer solchen Liebe, wie du sie empfindest gar nicht fähig. Ich kann einem Mann nicht nahe sein…“, ihre Stimme brach. Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze, leicht wie die Berührung einer Feder.

„Darum geht es mir nicht, Sheila. Bitte, ich kenne deine Geschichte, deine Vergangenheit nicht und ich will, dass du es mir erst erzählst, wenn du es kannst.“

Sheila reckte ihren Hals und gab Kasuke einen leichten Kuss auf die Lippen. Es tat ihr fast leid, als sie seine Reaktion, die er so gut zu verstecken versuchte, spürte. Doch sie war erleichtert und froh, einen solchen Freund an ihrer Seite zu wissen.

„Lass uns Freunde sein, Kasuke.“ Sie stockte. „Unter einer Bedingung!“

Sheila spürte, dass er lächelte. „Und die wäre?“

„Bleib mir nie fern, außer es quält dich zu sehr!“

Kasuke lachte ein kehliges Lachen. „Das erste wird leicht, dass zweite bleibt immer mein Geheimnis!“ Sheila schlug Kasuke gegen die Schulter, kuschelte sich dann aber wieder in die Umarmung. Sie würde gut schlafen heute Nacht.

Destiny of summer

In the fields of summer

I will dance away with you

I never knew the pain would see us through

And though we fear the silence

We never ever realized

That life was only passing gently by
 

When the darkness seems to fall

Then I can hear you call

Your voice is clearer now than before

And in the summer rain

I'll carry all your pain

If I could only see you again
 

Kapitel: Destiny of Summer
 

Und sie schlief wirklich gut.

Sie träumte zum ersten Mal seit langem kein wirres Zeug, sondern ihre Träume waren klar wie das Wasser der Bergquellen, die sie vom Wolfsterrain kannte.

Sie sah ihre Mutter, wie sie vor dem Krebs ausgesehen hatte. Sie war jung und strahlte ihre nun erwachsene Tochter an, die ihr so ähnlich war. Sheila war überwältigt von dem Anblick des einzigen Menschen, der ihr je etwas in ihrer eigenen Welt bedeutet hatte. Sie hatte fast vergessen, wie ihre Mutter ausgesehen hatte. Nur an ihren Geruch konnte sie sich erinnern. Sie hatte immer ein wenig nach Lilien gerochen und in diesem Traum standen sie in einem Lilienfeld und der Duft war fast überwältigend.

Akio lächelte ihre Tochter nur an, kein Wort kam über ihre Lippen, doch Sheila war es, als könnte sie die warme, weiche Stimme ihrer Mutter hören.

„Es ist schön dich wieder zu sehen, mein Schatz. Ich bin froh dich ausgerechnet hier zu treffen.“

Sheilas Freude vernebelte ihre Gedanken und es dauerte bis sie begriff: „ Wie meinst du das, ausgerechnet hier?“ Ihre Mutter schwebte auf sie zu. Ja, sie schwebte, denn ihre Füße sah Sheila nicht. „Ich kann dir nichts über den Tod sagen, Schatz. Aber der Satz, ich werde immer bei dir sein, ist wahr. Ich bin dir bis hierher gefolgt und froh, dass du in Kemono bist.“ Sheila schluckte und erinnerte sich an ihre Zeit im Heim. Hatte ihre Mutter etwa wirklich alles gesehen? Eine kalte aber sanfte Hand legte sich an ihre Wange. Sheila sah in das geliebte Gesicht ihrer Mutter. Sie lächelte, doch ihre Augen waren traurig. „Ich hätte gerne etwas für dich getan, Engel. Aber ich konnte nicht. Jedoch sei dir gewiss, ich bin sehr stolz auf dich.“ Sheila blinzelte die Tränen weg und nickte. „Mama.“, flüsterte sie. Akios Augen wurden wieder weicher, liebevoller: „Vertrau weiterhin auf dich und die Entscheidungen, die dir dein Herz zuflüstert. Nicht selten ist es jemand der dich liebt und dir helfen möchte. Ich habe gesehen, dass noch schwere Prüfungen auf dich zukommen, aber auch das darf ich dir nicht sagen. Du wirst es schaffen, Schatz. DU hast die Kraft.“

Akios Gestalt wurde blasser und Sheila erschrak. Sie hatte doch erst jetzt ihre Mutter wieder gefunden, wieso wurde sie ihr genommen?

„Wehr dich nicht, gegen dein Bewusstsein. Es ist noch nicht an der Zeit, dass du bleiben solltest.“

Sheila spürte eine Träne auf ihrer Wange und dann hörte sie eine Stimme. Sie rief ihren Namen, doch Sheila war egal wer sie rief und warum. Sie sah nur ihrer Mutter nach, die immer blasser schien. Sie lächelte und erst als Akio ganz verschwunden war und Sheila sich nur noch in einem weißen Nebel befand, gestattete sie ihrem Bewusstsein, die Kontrolle zurück zu gewinnen.
 

Sie schlug ihre Augen auf und ihr war, als wenn sie alles schärfer und genauer erkennen könnte. Sie blickte in Kasukes Gesicht, der sich über sie beugte und an ihren Schultern rüttelte. Sie setzte sich auf.

Die Sonne war bereits aufgegangen, hatten sie nicht längst unterwegs sein sollen? Sie sah in die Runde. Aller Augen war auf sie gerichtet. Sekuras Blick war sogar fast wütend, aber Sheila konnte sich denken, wie er Kasuke und sie vorgefunden hatte und es passte ihm sicher nicht.

Verwundert blickte sie zu Piper und Mika auf, die als einzige fast schon besorgt waren. „Was ist los?“ Mika lachte nervös:“ Du hast geschlafen wie eine Tote, du wolltest gar nicht aufwachen. Du hast nicht einmal reagiert.“ Sie sah zu Loros hinüber, der seine Menschengestalt angenommen hatte. „Loros meinte, dass du nicht aufwachen wolltest und wir warten müssten, aber….“, sie zuckte hilflos mit den Schultern, „….aber es war keine schöne Erfahrung.“ Sheila stand ein wenig betreten auf und schüttelte das Stroh von sich ab. Sie erinnerte sich sehr gut daran, wie sie ihr Bewusstsein von sich gewiesen hatte. Sie hatte nicht bedacht, was für eine kurze Zeitspanne ein Traum sein konnte, während die Realität in Stunden verrann.

„Es tut mir Leid. Es war keine Absicht.“, flüsterte sie. Sie hörte Sekura schnauben und er wandte sich von der Gruppe ab. Seine beiden Gefolgsleute folgten ihm. „Wir sollten nun endlich los reiten, ansonsten können wir auch gleich hier bleiben.“ Sein Ton hätte sie ärgern sollen, was er auch unterschwellig tat, aber sie hatte auch ein schlechtes Gewissen. Er konnte nicht wissen, dass sie und Kasuke sich nur auf platonischer Weise näher gekommen waren, nicht auf Herzensebene. Aber vielleicht bildete sie sich da auch etwas ein. Vielleicht hatte er nichts gesehen, womöglich interessierte es ihn nicht einmal.

Die anderen machten sich nun auch aufbruchsbreit, und keiner sprach ein Wort.

Sheila ging zu Loros, der nun wieder das unscheinbare Pferd war und legte ihm vorsichtig die Satteltaschen über den Rücken. Auf einen Sattel hatte sie verzichtet, doch die Taschen brauchte sie. Auch sie hatte einige persönliche Sachen. Sie wusste sie konnte ihre Kleidung nicht oft wechseln und es war schwer, sich daran zu gewöhnen, aber sie hatte auf eine Haarbürste und einige kleine Assecoires bestanden, die es in dieser Zeit gab. Sie hatte sich in der Burg von einem Händler so etwas wie ein Parfum machen lassen, dass ihr zusagte. Es war nur leicht und kaum mit dem aus ihrer Welt zu vergleichen, denn es beinhaltete nur einige Pflanzensäfte. Konzentriert, aber schlicht. Es roch nach einer Note Lavendel, doch süßer und Sheila fühlte sich immer weniger verdreckt, wenn sie ihn roch. Dann hatte sie immer einen Schildplattkamm, Unterwäsche und verschiedenen Haarklammern dabei. Die Unterwäsche hatte sie sich auch anfertigen lassen. BH’s waren den Menschen hier fremd und die Schneider hatten sie seltsam angeblickt, als sie ihnen ihren eigenen gezeigt hatte und darauf bestand, die anderen müssten ebenso sein. Bei den Höschen dagegen waren sie schockiert gewesen. Wenn hier jemand Hosen unter den Röcken trug, dann lange und züchtige. Nicht so kleine Dinger, die kaum etwas verhüllten, doch Sheila konnte sich in diese Dinger aus festen Leinen im Sommer einfach nicht reinquetschen. Im Winter mochten sie praktisch sein, aber nicht bei 30° Celsius.

Sheila nahm den Kamm und fuhr durch ihr wirres, von Stroh befallenes Haar. Sie hörte ein Räuspern hinter sich. Kasuke stand hinter ihr und streckte die Hand nach dem Kamm aus. „Deine Haare sind zu lang, du kannst nicht ganz durch kommen mit dem Kamm.“ Sheila wusste, dass er Recht hatte, aber seltsam kam es ihr schon vor, als er den Kamm in seine ungelenk wirkenden Finger nahm, um sie von Stroh und Knoten zu befreien. Ungelenk war er aber ganz und gar nicht. Mit geschickten Bewegungen kämmte er ihr Haar durch, ohne ihr einmal weh zu tun. Sheila schloß die Augen und verdrängte das Bild, wie er Celine immer wieder die Haare gebürstet hatte. Woher sonst sollte er es können?

Nachdem er fertig war legte er vollkommen ausdruckslos den Kamm zurück in die Satteltasche und ging zu seinem Pferd. Sheila schluckte den Kloß runter, der sich bildete und schlang ihre mittlerweile sehr langen Haare zu einem Knoten zusammen, den sie am Hinterkopf fest steckte.

Sie sah an sich herab. Ihr langes grünes Kleid, war ebenfalls aus praktischen Leinen und mit einer gleichfarbigen Kordel, die das Kleid taillierte. Der Rock war lang und wenn sie auf Loros saß, sehr weit, sodass ihre Knöchel züchtig bedeckt waren.

Gestern hatte sie es noch schön gefunden, doch heute war es zerknittert von der Nacht im Stroh und es ärgerte sie. Sie würde die Sitten der alten Welt nie ablegen. Keinen hier interessierte ein paar Falten, sie störte sich dran. Sheila musste schmunzeln.

Sie ging mit Loros nach draußen und legte ihm eine Decke über den Rücken. Mit nackten Hintern wollte sie sich nicht unbedingt auf das Pferd setzen. Dann schwang sie behände auf seinen Rücken. Das Leben hier hatte sie sogar ziemlich sportlich gemacht, dachte sie.

Sekura würdigte sie keines Blickes, als er sich an die Gruppe richtete.

„Es ist noch ziemlich weit bis zu den Bergen. Mindesten 4 bis 5 Tagesritte, wenn wir uns an unseren Zeitplan halten.“ Sheila steckte den Seitenhieb locker weg. Arsch!

Piper landete neben den Pferden: „Wir haben jetzt erst einmal viel Feld und wenig Wald vor uns. Diese Gegend ist meist unbewohnt, da die Mensch mehr und mehr in den Osten ziehen, weg von den Bergen und den Horden, die ihr Unwesen treiben.“ Kasuke nickte und sah sich um. „Ich denke, das war nicht der letzte Hof, den wir verlassen vorfinden.“ Sheila sah sich ebenfalls nach dem verbrannten Gebäude um und fragte sich zum ersten Mal, wieso die Bauern nicht auch die Ernte vernichtet hatten. Im Falle einer Schlacht, würde die gegnerische Armee jede Menge Verpflegung finden. Sheila wollte so eben die Frage der Gruppe stellen, als Sekura los ritt und das Tempo ziemlich forsch anzog.

Männer, dachte sie und folgte ihnen schweigend.
 

Die nächsten drei Tage verliefen recht ereignislos, wenn man davon absah, dass es fast schon zu ruhig war. Kaum Menschen kreuzten ihren Weg und wenn, dann waren es Flüchtlinge, die ihnen feindselig gegenübertraten. Sheila versuchte meist mit ihnen zu sprechen, sie dazu überreden zur Burg zu reisen, doch sie glaubte wenig Erfolg zu haben.

Die Stimmung war weiterhin düster, obwohl Sheila nicht wusste, was den anderen über die Leber gelaufen war. Sie selber war wütend, wegen den Schwierigkeiten mit den Menschen und überfordert, weil sie glaubte, die Lage zu unterschätzen. Wie konnte es sein, dass ganze Landstriche entvölkert waren und die Dämonen nichts taten? Die Menschen waren nicht erst seit gestern aus ihren Höfen verschwunden. Wie Kasuke vermutet hatte, waren sie vielen leer stehenden Gebäuden begegnet.

Kasuke sprach ebenfalls nur das Nötigste mit ihr und Sheila hatte das Gefühl, dass er einfach vergessen hatte, was sie miteinander gesprochen hatten. Jedoch schienen alle gleich zu sein. Wie als hätten sie sich abgesprochen und wollten verhindern, dass Sheila etwas davon mitbekam.

Am Ende des dritten Tages, sie hatten ihr Lager in einem kleinen Wäldchen aufgeschlagen, hielt sie es nicht mehr aus. Sie sah den Dämonen eine Weile zu, wie sie stumm irgendwelchen Aufgaben nachkamen, fast mechanisch und wartete auf die günstige Gelegenheit, sich jemanden zur Brust zu nehmen. Die Gruppe hatte es sich seit Kurzem zur Gewohnheit gemacht einzelne Runden um das Lager zu gehen. Sheila wusste, dass es sinnvoll war Wache zu halten, aber warum manche das Lager verließen um durch die Gegend zu ziehen verstand sie nicht. Sie hatte einmal versucht Mika danach zu fragen, aber sie hatte abgeblockt und gemeint, sie wären eben zur Hälfte Tiere. Die Natur würde zwischenzeitlich nach ihnen rufen. Frustriert hatte Sheila diese Aussage geschluckt. Sie wusste, wenn Mika nichts sagte, dann auch nicht Loros, Piper oder Haruto.

Gegen Mitternacht übernahm Kasuke die Wache und Sheila zwang sich wach zu bleiben. Sie musste warten bis die anderen schliefen und der Wolf seine Runde begann. Er hatte ihr versprochen ihr Freund zu sein und nun würde sie dies einfordern.

Sheila kuschelte sich in ihre Decke und drehte sich so, dass sie Kasukes Profil im Blick hatte. Er schaute scheinbar gedankenverloren in die Flammen ihres Lagerfeuers. Seine schwarzen Haare schimmerten nachtblau und fielen ihm leicht ins Gesicht. Er hatte sie vor kurzer Zeit gekürzt, doch Sheila konnte sich nicht erinnern wann. Sie waren sich ja fast nur aus dem Weg gegangen. Seine ebenmäßigen Züge waren leicht angespannt und er wirkte älter. Sheila wusste, dass sie nicht nach ihren Zeitmaßstäben rechnen durfte, aber für einen Dämon war er verhältnismäßig jung und doch schien in diesem Augenblick die ganze Welt auf seinen Schultern zu lasten.

Sie seufzte leise und stand auf. Wie konnte ein Mensch wie sie, nur solch eine Verantwortung für andere fühlen? Aber irgendwie hatte ihre Vergangenheit keine Macht mehr über sie. Und was hatte ihre Mutter noch gesagt, hör auf dein Herz? Akio war sicher hier und leitete sie, wie sollte sie da nicht gehen?

Sie wuselte sich aus ihren Decken und ging zu Kasuke. Er sah nicht auf, aber sie wusste er hatte sie bemerkt. Langsam ließ sie sich neben ihn nieder und sah ebenfalls in die Flammen. „Solltest du nicht schlafen?“ Es war nichts Vorwurfsvolles in seiner Stimme, er stellte nur fest. Trotzdem ging Sheila nicht darauf ein. Warum sollte sie eigentlich noch warten?

„Was ist los?“ Sheila spürte, dass Kasuke den Kopf hob und sie ansah, doch sie erwiderte den Blick nicht. „Du brauchst jetzt nicht so zu tun, als wenn nichts wäre. Ihr seid alle komisch im Moment und ich will wissen warum.“ Schwiegen breitete sich zwischen ihnen aus und es hielt an. Sheila wartete, denn sie wollte, dass er es ihr sagte. Von sich aus, nicht weil sie ihn darum anbettelte. Sie war Mitglied dieser Gruppe und sie spürte, dass sie aus allem heraus gehalten wurde. Schlecht, wenn man die Rettung der Welt sein sollte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern bis er endlich sprach: „Die anderen haben vor etwa drei Tagen ein Massengrab entdeckt.“ Er sagte es so emotionslos, dass Sheila erschrocken zu ihm hinüber blickte. Doch seine Augen brannten vor Wut und so etwas wie Trauer. Wenn Sheila sich nicht irrte. „Die Höfe sind leer, weil die Familien zusammen getrieben und abgeschlachtet wurden.“ Deshalb die verschonte Ernte. Deshalb waren sie alle so komisch gewesen, als sie die Scheune verlassen hatten. Das war der Grund für Sekuras abweisende Haltung. Sheila schlug die Hände vors Gesicht und verdrängte die Bilder von zerfleischten Körpern und schreienden Familien, die einander sterben sahen. „Wie viele?“, hörte sie sich flüstern. Kasuke rutschte an sie heran und schlang seine Arme um Sheila. „Zu viele und keine Überlebenden.“ Sheila vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. „Wie konnte das geschehen, ohne dass jemand etwas bemerkt hat?“

Kasuke schüttelte den Kopf und legte sein Kinn auf ihren Scheitel: „Sie haben die äußersten Posten angegriffen und wie du selbst gesehen hast, ist um die Höfe herum Niemandsland. Und…“, er verstummte kurz und schien mit sich zu ringen. Sheila sah zu ihm auf und erkannte so etwas wie Zorn in seinen Augen, die sich verdunkelt hatten. „Und wir waren zu nachlässig. Wir haben uns in letzter Zeit auf zu viele verschiedene Dinge konzentriert und unsere Grenzen vernachlässigt. Das hätte nicht passieren dürfen.“ Eigentlich hätte Sheila es freuen müssen, dass Kasuke sich mit den Menschen verbunden fühlte, aber nicht unter solchen Umständen. Es war schwer für sie zu zusehen, wie er sich quälte. Vorsichtig legte sie eine Hand an seine Wange und ihr Blick traf den seinen. „Es wird nicht wieder passieren. Dafür reisen wir zu den Bergen.“ Kasuke schluckte, wich aber nicht ihren Augen aus. „Ich glaube, die Verluste werden schlimmer als wir gedacht haben.“ Verwirrt runzelte Sheila die Stirn. „Wie meinst du das?“ „Loros hat uns berichtet, dass viel mehr Horden in unser Land eingedrungen sind, als wir glauben. Viele Flüchtlingslager, die die Fogal aufgesucht hatten, waren dezimiert worden durch Angriffe.“ Er nahm ihre Hand von seiner Wange und hielt sie fest. „Der Krieg hat bereits begonnen, Sheila. Er wütet, ohne das der Imperator bereits die kalten Berge passiert hätte.“
 

Danach hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Das einzige, was sie Kasuke noch abgerungen hatte, war das Versprechen, nichts mehr zu verheimlichen, dann war sie einfach in seinen Armen eingenickt, wieder einmal. Doch sie wachte vor dem nächsten Schichtwechsel auf und ging zu ihrem Schlafplatz zurück, während Kasuke sich als Wolf irgendwo zusammenrollte. Er brauchte seinen Schlaf genauso wie die anderen.

Die Stimmung am nächsten Morgen war nicht besser, doch Sheila wusste wenigstens, warum es so still war. Nun konnte sie diese Last teilen und auch sie hielt die Augen nun besonders offen und wenn sie Menschen begegnete, redete sie mit neuer Inbrunst auf sie ein. Sie hatte neue Argumente und sie wusste nun auch, dass wirklich nur die Burg sicher war.

Gegen Nachmittag tauchten die ersten Bergspitzen am Horizont auf und Sheila spürte ein merkwürdiges Kribbeln im Körper. Sie hatte versucht zu verdrängen, was sie erwartete, doch nun musste sie sich wirklich damit auseinander setzen.

Sie schloß die Augen und versuchte Loros zu erreichen. °Ich kann dich immer hören, Sheila.° Sie lächelte und dachte: °Ich habe Angst, Loros, aber ich möchte so gerne stark sein.° Er schielte zu ihr hoch: °Hättest du keine Angst, wärst du ein Panter.° Sie kicherte und Haruto sah sie verwirrt an. Sie zwinkerte und auch er musste grinsen, wandte sich dann aber wieder ab.

°Kannst du mir einen gefallen tun, Loros.°

°Immer gerne, das weißt du doch.°

°Übermittel Konomi bitte, dass er die schnellsten Soldaten ausschicken soll, die Flüchtlingslager zu beschützen und zur Burg zu eskortieren. Ich denke, dass uns keine andere Wahl bleibt.°

Der Braune nickte mit seinem Kopf. °Du hast Recht. Eine gute Wahl.°

Die einzige, wie Sheila wusste.
 

Kurz bevor die Sonne unterging erreichten sie eine Grenze, die nicht offensichtlicher hätte sein können. Eine sichtbare Linie verdörrten, unfruchtbaren Landes erstreckte sich bis zu den massigen, dunklen Bergen. Die Pferde standen kurz still und die Gruppe sah in die Eben hinaus.

Sekura wandte sich um. „Wir müssen ab jetzt ungeschützt kampieren.“ Haruto knurrte missmutig und die anderen nickten grimmig.

„Wir sollten die Wache verdoppeln, solange wir hier sind.“ Kasuke sah Sheila an. „ Vier Augen sind einfach besser.“ Sheila nickte: „Ich möchte mich daran beteiligen. Meine Augen sind nicht so gut, aber ich finde es nicht fair zu schlafen, während ihr alle Wache schiebt.“ Piper wollte protestieren, doch Sheila winkte ab. „Wir machen es einfach so, okay?“ Sie saß ohne ein weiteres Wort ab und nahm die Taschen und die Decke von Loros Rücken. Die anderen folgten zögernd ihrem Beispiel.

Plötzlich zuckte Loros unsicher mit den Ohren vor und zurück und schnaubte. Irritiert sah Sheila den Brauen an. „Loros, was ist los?“

Die anderen Dämonen wandten sich zu ihnen um und musterten das Pferd. Kasuke und Sekura fuhren fast synchron herum und sahen in die Ebene hinaus. Sekura verwandelte sich und sprintete ein Stück über das verdörrte Land, dann verharrte er. Seine Muskeln waren angespannt und er bewegte sich nicht. Seine beiden Soldaten, sowie Mika und Kasuke waren ebenfalls in ihre Tiergestalt zusammen geschrumpft. Kasuke schob sich neben Sheila, sodass sie ihm die Hand auf den Kopf legen konnte. Seine Ohren waren gespitzt und seine Zähen leicht gebleckt: „Verdammt, da stimmt etwas nicht.“ Wenn er ein Tier war, war seine Stimme mehr Knurren und tiefer und doch hörte sie eindeutig Kasuke heraus.

Sheila versuchte etwas zu sehen, aber außer den Bergen, erkannte sie nichts. Sie sah sich um und war nun mehr der einzige Mensch in der Runde. Loros war zu einem Einhorn geworden und sein Horn leuchtete silbern. Verwirrt sah sie sich um. „Sollte ich mir Sorgen machen?“ Keiner antwortete, alle warteten angespannt. Sheila fluchte leise, etwas wie „dämliche Dämonen“, und holte Lumidor hervor. Sicher war sicher.

Sekura kam zurück gehetzt und kam abrupt vor Sheila zum Stehen. „Was auch immer da kommt, ich kenne es nicht.“ Er sah Sheila ziemlich abfällig an, wie sie fand. „Können wir sie irgendwohin bringen?“ Seine Stimme war mehr Fauchen als alles andere. Kasuke stellte sich vor Sheila und schüttelte den Kopf. „Das schaffen wir nicht, sie sind zu schnell.“ Sie? Sheila sah wieder über die Steppe. Sie sah niemanden.

„Gut, dann müssen wir wohl oder übel kämpfen.“ Sekura reckte sich und wurde zum Menschen. Er bestückte sich mit einem Schwert, mehreren Dolchen und Wurfsternen. Kasuke und Haruto folgten seinem Beispiel. Die anderen blieben wie sie waren. Sheila stand in dem ganzen Wirrwarr mit Lumidor in den Händen und fühlte sich ziemlich dämlich.

„Kann ich irgendetwas machen?“, fragte sie Loros, der noch immer zu ihrer Rechten stand. Sekura antwortete jedoch: „Bleib einfach da wo du bist.“

Sheila streckte ihm die Zunge heraus, was sie selber kindisch fand, doch Sekura nervte sie. Piper führte Sheila zu eine kleinen Felsformation, die sie ein wenig schützen sollte. Darum herum bauten sich die Dämonen auf und warteten. Harrten dem, das da kommen würde.

Sheila konzentrierte sich so auf den Horizont, dass ihr ihre Augen bald weh taten. Im ersten Moment sah sie deshalb die riesige Wolke aus Staub und Sand nicht, die auf sie zuraste. Erst als Kasuke gefährlich knurrte und sich ihr näherte, sah sie den Sturm. Erschrocken sog sie die Luft ein. Was zum Teufel war das?

Ein Sandsturm konnte nicht aus dem Nichts entstehen. Es hatte den ganzen Tag kein Lüftchen geweht und viel Sand fand man hier auch nicht. Sie musste sich eingestehen, dass sie Angst hatte. Wie so vieles überstieg das hier ihren Horizont. Normalerweise hätte sie das locker weg gesteckt, aber ihre Dämonen wussten ebenfalls nicht, was sie erwartete. Sheila spürte, wie das Adrenalin durch ihre Adern schoß und sie schloss ihre Hände fester um Lumidor. Was auch immer auf sie zukam, irgendwie würde sie bestehen. Irgendwie.

Sandstorm

Wo ist das Sternenlicht?

Schwarz ist der Tag

Wie find ich je wieder heim?

Heim, diesen leeren Traum

Nahm mir die Nacht

ich bin so allein

Du wolltest bei mir sein

Wann immer ich Hilfe brauch

Wann immer ich ruf nach dir

Doch du bist nicht da

Ich lausche ins Dunkel

Ob ich deine Stimme hör

Ein Wort, nur ein Wort, und schon

Vergeht der Alptraum

Wann bricht der Morgen an?

Oh endlose Nacht

Schlaflos ersehn ich den Tag

Als du noch bei mir warst

Sah ich den Weg

ich hab mich verirrt

Du wolltest bei mir sein

Wann immer ich Hilfe brauch

Wann immer ich ruf nach dir

Doch du bist nicht da

Ich lausche ins Dunkel

Ob ich deine Stimme hör

Ein Wort, nur ein Wort, und schon

Vergeht der Alptraum
 

Sekura fauchte und wurde zum Krieger. Wie immer erstaunt beobachtete Sheila, dass er augenblicklich Waffen an sich trug. Irgendwann würde sie die Dämonen einmal fragen, wie das möglich war. Sasuke trug eine zweischneidige, recht kleine Axt über den Rücken und ein großes Schwert an seiner linken Hüfte. Er zog dieses mit einer Hand und hielt sich bereit. Sheila hätte beide Hände gebraucht um es zu ziehen. Sie schaute auf Lumidor hinab, welches schwach leuchtete. Närrin, schalt sie sich. Sie würde gar nicht zum Zug kommen.

Entweder ihre Krieger waren dazwischen, oder sie würde überrannt werden.

Hilfe suchend sah sie sich um. Hinter dem Felsen stand eines der Pferde und hatte die Augen vor Angst geweitet. Sheila sah, dass der Sattel ebenso bebte. Sheila sprang auf und rannte zu dem Tier, das zurückzuckte. Sie zischte beruhigend und griff nach dem Gegenstand, welches ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Schwer lag die Armbrust in ihren Armen. Das Knurren hinter ihr, ignorierte sie. „Komm zurück, Sheila. Verdammt noch mal, bleib hinter dem Felsen.“ Kasuke war ebenfalls zum Menschen geworden und funkelte sie über die Schulter hinweg an. „Sofort!“ Sie griff sich Pfeile und sprang zurück in ihre Deckung. „Was auch immer du vorhast, lass es bleiben.“ Wütend kniff Sheila die Augen zusammen und musterte Kasuke, der sich nun nur noch auf die bevorstehende Gefahr konzentrierte. Blöder Wolf!

Sie blickte über die Ebene und schätzte den Sturm etwa fünf Kilometer entfernt. Für diese Entfernung würde er keine 30 Sekunden brauchen. Sie musste es einfach versuchen.

Sheila rief sich ihre Übungsstunden mit Haruto ins Gedächtnis. Sie klappte den Spannhebel herunter und zog die Sehne zurück. Vorsichtig legte sie den massiven Pfeil, der aus starkem Kiefernholz gefertigt worden war, ein und sah durch die Gabel, mit der sie das Ziel anpeilen konnte. Als sie die Maße des Sturmes sah, musste sie sich eingestehen, dass dies sinnlos war und konzentrierte ich nur noch auf den richtigen Moment. Als der Sturm knapp eine Meile vor ihnen war, ließ sie den Hebelverschluß vorschnellen. Der Bolzen zischte zwischen Sekura und Haruto hindurch und verschwand mitten im herumwirbelnden Sand. Sheila stöhnte auf. Was hatte sie sich dabei gedacht, in etwas zu schießen, das gar nicht aus festen Bestandteilen bestand? Sie wagte es nicht, aufzusehen, da sie befürchtete sich einen verächtlichen Blick seitens Sekura einzufangen.

Sie vernahm wie jemand überrascht keuchte und Sheila sah zaghaft über den Felsen. Der Sand wirbelte, aber er drehte sich nur noch um die eigene Achse, verharrte auf der Stelle und schien an Kraft nach zu lassen. Irritiert sah Sheila sich nach den anderen um. Kasuke und Sekura hatten ihre Kampfhaltung nicht aufgegeben, die restliche Gruppe schien jedoch ebenso überrascht wie sie.

Langsam sank der Sand in sich zusammen. Die Umdrehungen wurden weniger und Sheila meinte etwas in der Mitte des nun abflauenden Sturmes zu erkennen. Sie stand auf und kniff die Augen zusammen um zu erkennen, was sie da entdeckt hatte. Das Ding drehte sich um die eigene Achse und erst als es stehen blieb und der Sand um es herum versank, erkannte sie, dass es sich um eine Person handelte.

„Was in Gottes Namen….?“ Der Ausruf kam von Kasuke. Die anderen schwiegen, zu verwirrt um sich zu äußern. Sheila lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Neuankömmling. Es war ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig, der langsam auf sie zukam. Sheila sog zischend die Luft ein. Er hielt den Pfeil in seiner linken Hand.

„Begrüßt man so Freunde in eurem Land?“ Seine Stimme war tief und rau. Er warf den Bolzen zu Loros Füßen, der schnaubend zurücktrat. Sheila konnte nicht umhin, sein Äußeres zu begutachten. Er hatte sandfarbend- rote Haare und grüne Augen, die herausfordernd blitzen, als sein Blick auf Sheila fiel. Er trug ein weißes Stirnband, welches seine Haare bändigte und verhinderte, dass sie ihm in die Augen fielen.

„Ich hätte nicht gedacht, euch schon so bald anzutreffen.“ Ohne seine seltsamen Augen von Sheila zu wenden, ging er auf die Gruppe zu. Du meine Güte, er hatte sogar grüne Pupillen.

Sheila war so in diesen Anblick vertieft, dass sie erschrak, als Sekura plötzlich vor sprang und dem Mann seine Klinge an die Kehle hielt.

Seine Stimme war schneidend und bedrohlich und es lief Sheila eiskalt den Rücken runter: „Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht was du bist, Windkanter?“ Die Augen des Dämons mit den roten Haaren blitzten belustigt. „Ich sehe, du bist nicht auf den Kopf gefallen.“ Sekura verstärkte den Druck auf seine Kehle. „Das bin ich wirklich nicht, du Monster. Ich weiß nämlich auch, dass ihr dem Imperator verpflichtet seid. Ihr Windkanter steht sogar an vorderster Front.“ Kasuke, Haruto sowie die anderen Raubtiere knurrten aufgebracht. Der Windkanter sah wieder Sheila an, sprach jedoch zu allen: „Vielleicht solltest du, intelligent wie du bist, mir erst einmal die Möglichkeit geben, vor eurer Anführerin zu sprechen. Wie es sich gehört.“ Erschrocken fuhr Sheila auf und sah sich nach ihren Mitreisenden um. Er meinte doch nicht etwa sie!

„Ihr seid doch die Zauberin des Ostens, nehme ich an?“ Sheila sah diesen Typen mit den grünen Augen an und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. War sie das? Eine Zauberin? Was wussten die Wesen auf der anderen Seite des Berges von ihr?

Kasuke half ihr aus der Situation. Er kam zur ihr und stellte sich leicht vor sie. „Was glaubst du denn hier zu finden? Was ist die Zauberin für dich?“

Der Windkanter schüttelte den Kopf: „ Du solltest eher fragen, was die Zauberin für die Leute im Westen ist.“ Kasuke zuckte mit den Schultern. Sheila sah, dass er seine rechte Hand auf seinem Dolch an seiner Hüfte ruhen hatte. Er würde nicht zulassen, dass dieser Dämon ihr zu nahe kam, sollte er es schaffen Sekura zu überrumpeln, was sie für unwahrscheinlich hielt. Der Panter musste sich eindeutig zurück halten, damit er dem Windkanter nicht die Kehle aufschlitzte.

„Wie ihr wisst, verbreiten sich die Gerüchte schnell. Ich habe gehört ihr hättet eine Gruppe von Vivipara nahezu ausgelöscht.“

„Wir haben sie ausgelöscht.“, knurrte Haruto. Sheila grauste es bei dieser Erinnerung. Die vielen Menschen…..sie schüttelte den Kopf um die Bilder zu verjagen.

Der Dämon schüttelte amüsiert den Kopf: „Was glaubst du, woher ich davon weiß, Wolf? Es sind einige wenige zurückgekehrt und konnten uns berichten, was sie gesehen haben.“

„Und was soll das gewesen sein?“ Sekura verstärkte noch einmal den Druck. Der Windkanter wirkte zum ersten Mal wütend: „Wenn du nicht sofort die Klinge senkst…..“ „Was dann…..“ Sekura war eindeutig auf einen Kampf aus und Sheila sprang entsetzt auf. Sie brauchten die Informationen. „Sekura, hör auf!“ Alle Blicke fuhren zu ihr herum, auch die des Panters. Er wirkte irritiert. Sheila hatte noch nie so zu ihnen gesprochen.

Sie ging an Kasuke vorbei, der sich eindeutig nicht wohl in seiner Haut fühlte, denn er folgte ihr. Sie trat auf Sekura und den Windkanter zu. Beide ließen sie nicht aus den Augen, der Windkanter schien wieder amüsiert. Ärgerlich fragte sich Sheila, ob er wohl jemals etwas anders empfand. Sie richtete sich an Sekura: „Nimm das Schwert runter, bitte. Ich will hören, was er zu sagen hat.“ Mit einem Blick auf das arrogante Grinsen des Dämons fügte sie hinzu: „ Du darfst aber gerne zuschlagen, wenn er eine falsche Bewegung macht!“ Sekura brummte und senkte das Schwert. Mit Sekura und Kasuke an ihrer Seite fürchtete sie nicht, das ihr etwas geschehen konnte. Sie sah den Windkanter nun direkt an: „Was hat man euch berichtet?“
 

Interessiert begutachtete Sandaru das schwache menschliche Etwas, das ihm direkt ins Gesicht sah, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre seltsame Augenfarbe irritierte ihn. Die Menschen auf der anderen Seite der Berge sahen alle gleich aus. Ihre Haut war fast olivfarbend und ihre Augen ebenso dunkel, wie auch die Haare. Sie sah sich alle so ähnlich mit dem stumpfen, gelangweilten Gesichtsausdruck, dass sie ihn und sein Volk nicht weiter interessierten. Eine Bindung war sowieso vollkommen absurd. Die Windkanter mischten ihr Blut nicht mit anderen. Die Menschen des Osten waren anders, dass wusste er. Sie waren größer gebaut, kräftiger und sie waren unterschiedlicher. Und es brannte Leidenschaft in ihnen. Sie zu vernichten war fast berauschend gewesen.

Aber dieses komische Mädchen war trotzdem anders.

Was hatte der Imperator noch mal gesagt? Sie kam aus einer Welt, die außer ihm keiner hier kannte. Und sie war die Schwäche des Ostens. Die Dämonenclans waren wohl so dumm, auf diesen Menschen zu vertrauen.

Die Windkanter waren ein unabhängiges Volk, deshalb war Sandaru der Frau nie begegnet, der man vor mehr als hundert Jahren nachgesagt hatte, sie würde den Imperator stürzen. Sie hatte versagt und war in einer recht harmlosen Schlacht gefallen. Daraufhin waren die Clans so geschwächt gewesen, dass der Imperator sie leicht hatte zurückschlagen können. Nur die Drachen waren ihm im Weg gewesen. So wie auch heute noch.

Sandaru war erst viel später zur Armee gestoßen. Vor knapp 90 Jahren. Warum? Vielleicht aus Langeweile. Er wusste es nicht, es war ihm egal. Er lebte so lange und die Zeit war sein größter Feind geworden. Jeden Tag aufs Neue zu erleben, ohne Ziel, ohne Gefühl war ihm ein Graus und so schlug er die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes tot.

Die Augen des Mädchens –der Zauberin- sprühten vor Energie und Sandaru konnte sich nicht satt sehen. Sie war an sich schon eine interessante Erscheinung und er konnte dem Wolf ansehen, dass er mehr als nur in ihrem Bann war. Er war ihr schutzlos ausgeliefert.

Sandaru musste grinsen. Er wusste wer dieser Dämon war. Kasuke, Okamis Sohn. Nicht unbedingt schlecht, schon jetzt dessen Schwachstelle zu wissen. Okami war einfach zu zerstören gewesen. Der alte Wolf war des Kämpfens müde gewesen. Der Imperator hatte gesagt, es war einfach gewesen ihn zu zerstören.

Der Panter knurrte wieder ziemlich wütend und Sandaru hätte ihn am Liebsten mit einer Bewegung zu Boden geschickt, doch er durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren.

„Sie hat dich was gefragt, du Mistkerl.“

Das Mädchen warf dem Panter einen bösen Blick zu, den er zwar ignorierte, aber trotzdem schwieg.

„Nun ja, ihr wart anscheinend dumm genug den Anführer der Vivipara zu verschonen.“ Als die grauen Augen der Zauberin ihn nun zu durchbohren schienen, spürte er, wie sein Innerstes darauf reagierte. War sie vielleicht wirklich zur Magie fähig?

„Er sagte etwas von einem Menschen, der sich alleine gegen ihn und seine Truppe gestellt hat. Er versicherte uns, dass er die Frau töten wollte, sie jedoch ein Shobu gezogen hat, um ihn aufzuhalten.“ Bei dem Wort Shobu sah sich das Mädchen nach ihren Soldaten um. Sie schien eindeutig nicht zu wissen, was ein Shobu war. Interessant!

„Ein Schwert, dass alles Böse für seinen Herren zerstört. Durch und durch magisch.“ Ein muskulöser Wolf, älter als die anderen, abgesehen von dem Einhorn, sprach leise mit ihr. Sie nickte und wandte sich wieder mit wachsamen Blick um.

„Nun, dann kamen ihre zwei Clans zur Hilfe und den Rest der Geschichte kennt ihr ja.“ Das Mädchen verzog kaum merklich das Gesicht und sah ihn forschend ins Gesicht. Keiner der anderen Dämonen wagte, das Wort an ihn zu richten, während sie ihn so ansah. Er merkte, dass ihr Blick irgendetwas mit ihm anstellte. Er spürte etwas. Neugier? Er hatte so lange nichts gefühlt.

„Und was wollt Ihr nun hier?“ Der Klang von hellen, klaren Glocken hallte über die Ebene. Sandaru fühlte sich seltsam entrückt. Reiß dich zusammen, du hast ein Ziel!

„Ich gehöre zu einer Gruppe Abtrünniger. Wir haben die Wüsten der Schattenländer verlassen, um nach einem Gerücht zu suchen. Dem Gerücht, dass ihr jemanden gefunden habt, der uns in den Frieden führt.“

Als er von der Aufgabe des Mädchens sprach, verdrehte sie die Augen. War sie etwa nicht die Person die er suchte? Das konnte aber nicht sein. Es passte alles zusammen.

Die Gefolgsleute der Zauberin sahen einander unschlüssig an. Sie wandte sich um und sah dem Einhorn ins Gesicht. Sie schien auf irgendeine Art mit ihm zu kommunizieren, denn es sah aus, als ob sie ihm zuhörte. Nein, nicht nur sie. Alle!

„Nun, Ihr habt sie gefunden, aber ich sag euch wohl nichts Neues. Ihr wisst wen Ihr vor Euch habt.“ Der Adler auf dem Rücken des Einhorns sah ihn, sie hatte mit ihm gesprochen. „Jetzt wüssten wir nur gerne, was Euch bewogen hat, sie aufzusuchen.“

Er hatte sie soweit. Sie würden ihm zuhören. Er wusste, dass die Krieger unter ihnen ihm nicht trauten, aber anscheinend waren das Einhorn, der Adler und die Zauberin sich da nicht so sicher. Umso besser für ihn.

„Ich suche Euch“, er wandte sich direkt an das Mädchen, „ um euch im Kampf gegen den Imperator zu unterstützen. Ich habe Informationen, die euch sonst keiner geben kann.“ Nachdenklich sah sie ihn an. Er spürte, dass sie unsicher war. Sie konnte ihn nicht einschätzen. Sehr gut!

„Wie heißt Ihr?“ Die Frage schien ihm belanglos und doch verspürte er den Wunsch, diesem Mädchen alles zu sagen solange sie dies auch nur wollte. Er musste vorsichtig sein.

„Sandaru, Herrin.“ Er neigte leicht den Kopf. Er musste Respekt zeigen, so sehr es ihm auch schwer fiel. Die Zauberin verzog bei dem Wort leicht das Gesicht.

„Mein Name ist Sheila, nicht Herrin.“

Sheila ein seltsamer Name.

„Wo ist Eure Gruppe, Sandaru?“ Richtige Frage!

„Ich habe sie zurück gelassen. In den Mooren von Shinpai. Es war einfacher die Berge zu passieren, wenn ich alleine ging.“

Sheila nickte nachdenklich.

„Was erwartet ihr von mir?“ Sie machte es ihm echt einfach.

„Ich würde Euch gerne zu den Drachen begleiten und mich Euch würdig erweisen. Solltet ihr mir Glauben schenken, folge ich Euch in die Schlacht.“ Sie lächelte und wandte sich zu dem Einhorn um. Er hatte sie!

Zum ersten Mal sprach das Einhorn zu ihm selbst.

„Ihr könnt uns begleiten, aber seid Euch sicher, wir alle haben ein Auge auf Euch.“

Sandaru nickte bescheiden, was ihn fast zum Würgen gebracht hätte, doch er besann sich eines Besseren. Sheila schien erleichtert und lief zurück zu ihrer Gruppe. Ihre Rückansicht war auch nicht zu verachten. Das Spiel würde ihm Spaß bereiten.

Cold World

Sweet little words made for silence

Not talk

Young heart for love

Not heartache

Dark hair for catching the wind

Not to veil the sight of a cold world
 

Kiss while your lips are still red

While he`s still silent

Rest while bosom is still untouched, unveiled

Hold another hand while the hand`s still without a tool

Drown into eyes while they`re still blind

Love while the night still hides the withering dawn
 

Sheila ging zurück zu den Pferden, um sie hinter den Felsen hervor zu holen. Sie schnallte die Armbrust wieder an den Satteltaschen fest. Was sollte sie von diesem Mann halten? Sie spürte, dass die Wölfe und Katzen nicht glücklich mit seiner Anwesenheit waren. Mika hatte jetzt noch die Nackenhaare gesträubt.

Sheila seufzte. Sie war einfach nicht die richtige um eine Gruppe anzuführen. Sie konnte nicht mal eine Entscheidung richtig treffen. Was war, wenn sie sich irrte und Sandaru ihr Feind war?

Eine Berührung an ihrem rechten Arm riss sie aus den Gedanken. Grüne Augen trafen auf graue. Der Windkanter hielt ihr den Pfeil hin, den sie in den Sturm geschossen hatte.

„Guter Schuss.“ Sheila spürte, dass sie errötete und ärgerte sich maßlos. Bevor sie etwas sagen konnte, vernahm sie ein gefährliches Knurren und innerhalb von Sekunden stand Kasuke zwischen ihr und Sandaru und schlug dem Windkanter ins Gesicht. Dieser taumelte mehrere Schritte rückwärts und Sheila erkannte in seinen Augen eine Mordlust, die sie erschauern ließ. War das sein wahres Ich?

„Komm ihr nicht zu nahe, Bastard.“

Sandarus beängstigendes zweites Gesicht war genauso schnell verschwunden, wie es erschienen war. Stattdessen sah er den Wolf nur verächtlich an. „Du bist dir ihrer wohl nicht sicher. Naja, wie soll so ein kleiner Wolf auch die Herrin des Ostens schützen.“

Bevor Kasuke einen Satz nach vorne machen konnte, warf Sheila sich an seinen Arm. Sie wusste nicht, warum Sandaru den Wolf reizte, aber sie brauchte hier keinen Platzhirschkampf. Sekura kam Kasuke dann auch zuvor. Er packte den Windkanter an der Kehle und drückte zu. Seine Stimme war gefährlich ruhig: „Du bewegst dich auf sehr dünnem Eis, Dämon. Pass auf was du sagst.“

Sheila verdrehte die Augen: „Es reicht jetzt! Wir haben eine Aufgabe, vergesst das nicht.“ Sie wandte sich ab und schritt zu Loros. Sie wusste, dass Kasuke sauer auf sie war. Sie hätte Sandaru zurecht stutzen sollen, aber sie wollte den Konflikten lieber aus dem Weg gehen. Die Drachen waren nahe und sie hatten jetzt ganz andere Probleme.
 

Mürrisch sah Mika zu dem Windkanter, der neben Loros und Sheila lief. Dieser Dämon stank zum Himmel, wie sie fand. Im übertragenen Sinn. Wieso sollte ein Wesen der Schattenländer sich dem Heer des Ostens anschließen?

Sie hatte von klein auf gelernt, dass die Wesen auf der anderen Seite des Berges gar nicht von Gut und Böse unterscheiden konnten. Sie hielten das für richtig, was der Imperator ihnen vorhielt, egal was er tat. Sie waren ihm treu ergeben, warum wusste niemand. Dazu kannten die Dämonenclans das Volk des Westens zu wenig.

Sie grummelte leise vor sich hin. Und Sheila schien ihm sogar zu glauben. Sie war vielleicht unsicher, aber es dauerte keinen Tag mehr und sie fraß ihm aus der Hand, wenn er es richtig anstellte.

Sie sah aus dem Augenwinkel, dass Sekura zu ihr aufgeschlossen hatte. Er war wieder ein Panter. So wie er auf den Rücken von Sandaru starrte, wartete er mit Sicherheit nur auf eine falsche Bewegung um vorzuschnellen und ihm die Kehle raus zu reißen. Ihr sollte es recht sein, doch wünschte sie sich dummerweise, dass er nur einen Teil der Aufmerksamkeit, die er Sheila gab, ihr schenkte. Sie schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken zu vertreiben. Dann sah sie wieder nach vorne, um ebenfalls ein Auge auf den Neuankömmling zu haben. Wer wusste schon, was er im Schilde führte?
 

Obwohl die trockene Ebene nicht weit erschien, brauchte die Gruppe doch den ganzen Tag um sie zu durchqueren. Als sie den Fuß des Berges erreicht hatten senkte sich die Nacht herab.

„Wir sollten das Gebirge nicht betreten, wenn es dunkel ist. Wir kennen es nicht und die Drachen wären uns im Vorteil. Sie hätten uns schneller erledigt, als wir blinzeln können.“

Sekura sagte das so nüchtern, dass Sheila ein Schauder über den Rücken lief. Diese dämlichen Dämonen waren aber auch verdammt abgebrüht.

Sie sah die Felswand empor. Bedrohlich und gewaltig ragte es über ihr empor, wie eine dunkle Prophezeiung dessen, was sie dort erwartete. Führte sie die Gruppe vielleicht in den Tod? Sie sah sich verzweifelt nach den anderen um. Was war, wenn die Drachen ihre Gruppe als Bedrohung sahen? Sie waren dann vollkommen ausgeliefert.

Sheila verdrängte das Bild von geschundenen, zerschlagenen Körpern und sah wieder zum Gebirge hinauf. Ein Gedanke manifestierte sich in ihrem Kopf, der ihr schon jetzt den Magen umdrehte. Doch sie musste endlich anfangen Entscheidungen zu treffen.
 

Mika hatte die erste Möglichkeit genutzt, um die Gruppe zu verlassen. Sie konnte diesen arroganten Windkanter nicht mehr sehen und somit hatte sie sich bereit erklärt jagen zu gehen. Da die Gegend ziemlich ausgedörrt und abgestorben war, fing sie nur zwei Kaninchen, die sich scheinbar verirrt hatten. Es war nicht viel, vor allen Dingen jetzt, wo sie möglichst gestärkt sein mussten, aber sie mussten nehmen was sie bekamen.

Sie ließ sich ein bisschen zu viel Zeit beim Rückweg, aber nur gerade so viel, dass sie es damit erklären konnte, dass sie lange nach Beute hatte suchen müssen.

Piper half ihr beim Vorbereiten des Abendessens. Die Gruppe war schweigsam und äußerst angespannt. Auch Mika und Piper sprachen kaum miteinander. Mika glaubte sogar, dass Piper ihr nur half, weil sie etwas zu tun haben wollte, denn der Adler machte sich normalerweise nicht viel aus Hausarbeit.

Haruto und die Katzen lagen oder saßen in der Nähe des Feuers, das sie nur für Sheila errichtet hatten und Loros hatte sich zurückgezogen um wahrscheinlich Zwiesprache mit Konomi zu halten. Mika sah sich nach Kasuke und Sekura um.

Sie fand sie etwas abseits, wie sie zusammenhockten und Sandaru beobachteten, der wiederum ein Auge auf Sheila hatte. Eine Szene wie zum Malen geschaffen, dachte Mika.

Sie beobachtete Sheila ebenfalls eine Weile, während sie Wasser zum Kochen brachte. Das Mädchen stand an eins der Pferde gelehnt und sah stumm zu den Bergen hinauf. Irgendetwas war komisch. Mika konnte nicht sagen, wie sie darauf kam, wie sie dieses Gefühl beschreiben sollte, aber irgendetwas stimmte nicht.

Vielleicht war sie auch einfach übersensibel, die anderen bemerkten ja auch nichts. Aber das konnte auch daran liegen, dass sie so konzentriert auf den Windkanter achteten.

„Piper, was fällt dir an Sheila auf?“

Piper’s goldenen Augen schnellten zu Sheila hoch. Sie schürzte die dünnen Lippen.

„Sie ist sehr ruhig seitdem wir die Ebene passiert haben, aber das sind wir ja alle.“ Mika hatte es befürchtet, sie sah Gespenster. „Ich hatte nur irgendwie so ein Gefühl.“ Sie tat es mit einem Schulterzucken ab und sah wieder auf das siedende Wasser.
 

Als erster war der Löwe aus Sekuras Truppe zur Wache aufgestellt worden. Sein Name war Kizukaséru, Aufmerksam, und genau das war er auch. Sheila konnte nicht schlafen und wälzte sich die meiste Zeit unruhig in ihren Decken hin und her. Zunächst hatte Kizuka hin und wieder zu ihr gesehen, doch mittlerweile hatte er das aufgegeben. Trotzdem wusste Sheila, dass er alles mitbekam, jeden Atemzug der Gruppe. Unruhig wartete sie die zwei Stunden ab, die eine Wache dauerte und hoffte, dass der Wachwechsel auf Haruto fiel. Der große Wolf würde es nie zugeben, aber sein Gehör hatte nachgelassen und als Wache war er mehr schlecht als recht. Er war zwar nicht zu unterschätzen, wenn es um einen Nahkampf ging, doch war er eher grobschlächtig und nicht so geschmeidig wie Kasuke.

Sheila betete, dass Kasuke nicht darauf bestand, dass jemand mit dem alten Wolf Wache hielt. Es würde zwar die Gefühle von Haruto verletzen, aber sie durften sich nun keine Unaufmerksamkeiten mehr leisten.

Am Ende musste Sheila noch weitere vier Stunden warten, bis Haruto an der Reihe war. Er schien müde, als Sekura ihn weckte und er setzte sich ziemlich verschlafen an das Feuer. Trotzdem wartete Sheila noch gut eine weitere Stunde, bis sie es wagte aus den Decken zu kriechen. Haruto nickte immer wieder ein und Sheila hatte Mitleid mit ihm. Kasuke würde sehr wütend sein, wenn er von der Unachtsamkeit seines Soldaten erfuhr. Sheila bat Haruto im Gedanken um Verzeihung.

Sie krabbelte von ihrem Schlafplatz weg zu einem Felsen, hinter dem sie Lumidor, eine Flasche Wasser und einen Mantel versteckt hatte. Den Dolch, den Haruto ihr geschenkt hatte, trug sie um ihr Bein geschnallt.

Da sie, wie jede andere Frau in dieser Welt, ein unscheinbares Leinenkleid trug, konnte sie problemlos an den Dolch heran kommen, wenn sie ihn benötigte.

Mit einem Blick auf den großen Wolf, schlich sie zu einem Ziegenpfad, den sie entdeckt hatte, als sie versucht hatte ein Versteck für ihre Waffen zu finden. Das war gar nicht so einfach gewesen, da die Dämonen immer ein Auge auf sie hatten, fast als wäre sie neu zur Gruppe gestoßen und nicht Sandaru. Mit dem Argument, sich ein wenig Privatsphäre schaffen zu müssen um sich umzuziehen, hatten Kasuke und Sekura dann endlich von ihr abgelassen. Diese Zeit hatte sie dann genutzt um alles zu verstauen, was sie für ihren Kurztrip in die Berge brauchte.

Sheila wusste, dass sie alleine kaum Chancen hatte, aber sie glaubte auch nicht, dass die Gruppe an sich mehr Möglichkeiten hatte. Das sie sich verirren könnte fiel ihr gar nicht ein. Die Drachen würden sie schon finden, darüber musste sie sich keine Sorgen machen und Proviant braucht sie nicht. Sie hatte nur einen kurzen Aufenthalt geplant und wenn die Drachen sie zu töten gedachten, dann brauchte sie sowieso nichts mitschleppen.

Sie warf sich den braunen Wollumhang über die Schultern und befestigte ihn am Hals, dann schlang sie den Schwertgürtel um ihre schmale Hüfte und versteckte ihn unter dem Mantel. Das Wasser befestigte sie ebenfalls daran. Ein Außenstehender würde kaum auffallen, dass er eine bewaffnete Frau vor sich stehen hatte. Sheila gab sich aber nicht der Illusion hin, dass die Drachen sie unterschätzen würden. Sie hatte keine näheren Informationen zu diesem Dämonenclan, aber sie waren mit Sicherheit nicht umsonst so gefürchtet.

Sie seufzte und spähte über einen Felsen hinweg zum Feuer. Harutos Kinn war auf seine Brust gesunken und auch sonst rührte sich nichts. Sie wusste nicht ob sie erleichtert sein sollte. Sie sah den Trampelpfad entlang, der sich zwischen den Felsen hoch schlängelte und dann im Dunkeln verschwand. Sheila schauderte und setzte sich dann in Bewegung. Jetzt oder nie. Zum ersten Mal seit Stunden wünschte sie sich, dass die Sonne bald aufging um ihr den Weg zu erhellen.
 

Haruto spürte die Hitze durch seinen Traum zu ihm durchdringen und er versuchte instinktiv davor zurück zu weichen. In seinem Unterbewusstsein erkannte er, dass er träumen musste, da er schlief, aber es war so heiß. Es war so heiß, dass es weh zu tun begann.

Es fühlte sich an, als ob er in Flammen stünde.

Haruto fuhr hoch und roch sofort, dass wirklich etwas brannte. Er sah an sich herab und erkannte, dass seine Fellhose glimmte. Verdammt, er war eingeschlafen und hatte sich in die Glut gerollt. Haruto strich sich mit einer Hand durch das Gesicht. Er hätte es nie vor Kasuke und den anderen zu gegeben, aber die Reise machte ihm wirklich zu schaffen. Er wusste, dass Sheila es ihm anmerkte. Sie sah ihn oft so komisch an, dann bemühte er sich zuversichtlich zu wirken, aber seiner Kleinen konnte er nichts vormachen.

Liebevoll warf er einen Blick zu ihrem Schlafplatz nur um erneut im Feuer zu landen. Er sprang auf, ohne das Zischen der Flammen zu beachten und lief zu dem Deckenknäuel, das ihm beängstigend leer erschien. Und er lag richtig. Der Wolf hob die Decken an, wie als hoffe er, dass sie sich in irgendeiner Ritze versteckt hielt.

„Haruto?“ Bei der Stimme des Leitwolfes zuckte Haruto zusammen. Kurz zischte der Gedanken durch seinen Kopf, wie er Kasuke die Situation erklären konnte, ohne sich selbst in die Misere zu bringen, doch dann wurde ihm gewahr, wie schlimm der Sachverhalt wirklich war.

„Hier bin ich. Komm schnell, Sheila ist weg.“

Kasuke stand augenblicklich neben ihm und auch von den anderen Schlafplätzen vernahm er Geräusche. Sie hatten es alle gehört.

„was meinst du damit, sie ist weg? Wann ist das passiert?“ Die Stimme von Kasuke war so gefährlich nah an einem Wutanfall, dass Haruto eine Sekunde zögerte.

„Als ich mich umsah, war sie nicht mehr da.“

„Wie kann sie so einfach verschwunden sein. Du hättest es doch hören müssen, dass da jemand kommt oder geht?“ Mika und Sekura gesellten sich zu ihnen und starrten ebenso ungläubig auf die leeren Decken wie Kasuke und Haruto. Der alte Wolf hob hilflos die Schultern: „Ich bin eingeschlafen.“

Ein Knurren, wie ein Feuersturm kam tief aus Kasukes Brust und richtete sich voll und ganz gegen Haruto: „WAS!“

Haruto wich augenblicklich zurück und hob die Hände, wie um Kasuke abzuwehren, dabei wussten Beide, er hätte sich nicht gewehrt wenn Kasuke sich entschlossen hätte ihn anzugreifen. „Wie kannst du einschlafen, wenn wir uns in solch einer gefährlichen Lage befinden? Woher sollen wir wissen, ob sie nicht entführt worden ist?“

„Kameraden, seht euch das an.“

Yanus, einer der Leoparden stand am Feuer und sah sich um. „Fällt euch etwas auf?“ Piper krächzte empört auf: „Dieser Windkanter ist ebenfalls nicht da!“

Ein Zittern ging durch Sekura und in weniger als einer Sekunde stand ein Panter neben Kasuke: „Sekura, warte!“

Der Panter hörte aber nicht mehr zu. Mit wenigen geschmeidigen Bewegungen war er in der Dunkelheit verschwunden. Kasuke ballte die Fäuste. Sie durften sich nicht noch größer aufspalten, sonst waren sie verwundbar. Ohen Haruto auch nur eines Blickes zu würdigen, wandte er sich an die Gruppe und vermehrt an Loros, der still am Rand der Gruppe in Menschengestalt wartete.

„Wir müssen jetzt zusammen bleiben. Kizukaséru und Mika bauen schnell das Lager ab, während wir nach Sheilas Spur suchen. Vielleicht erfahren wir, was geschehen ist.“ Alle Dämonen, bis auf der Löwe und die Wölfin, verwandelten sich in ihre tierische Gestalt und suchten das Terrain ab.
 

Je höher Sheila kam, desto älter wurde es um sie herum, obwohl sie in Bewegung war. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und konnte nur am Stand des Mondes vermuten, dass sie vielleicht zwei oder drei Stunden unterwegs war. Sie hatte gehofft, dass es leichter werden würde. Das die Drachen sich früher zu erkennen gaben, doch es geschah nichts. Vielmehr war es viel zu ruhig, denn auch die Nacht hatte seine Geräusche, doch die waren hier vollkommen verstummt.

Erschöpft und mutlos stützte sie sich mit einer Hand an einem Felsen ab. Der Weg war stetig angestiegen und hatte kaum Hindernisse geboten, was Sheila ein wenig verwirrte. Wenn die Berge kaum passiert wurden, weshalb gab es dann einen solchen Pfad? Wahrscheinlich hatten die Horden des Imperators genau diesen Weg erkoren, um heile das Gebirge zu überqueren. Mit einem Mal wurde Sheila klar, in welche Lage sie sich gebracht hatte.

Nicht nur die Drachen waren eine Gefahr für sie, was war, wenn sie diese nie zu Gesicht bekam, weil sie dem Feind in die Arme lief?

Mal wieder nicht sehr schlau, musste Sheila feststellen. Nun ja, zurück konnte sie nicht. Sie hätte sich sonst den ganzen Weg umsonst hoch gequält und ihr Stolz ließ nicht zu, sich den Fehler soweit einzugestehen, dass sie umkehren konnte.

Sie stieß sich von der Felswand ab und lief weiter. Schemenhaft konnte sie eine Wegbiegung ausmachen, die nach links auslief. Vielleicht stieß sie endlich auf etwas, dass darauf schließen ließ, dass hier oben überhaupt etwas lebte.

Erwartungsvoll, mit einem letzten bisschen Hoffnung, ging sie um eine Felsblock herum und stand vor….einer riesigen Plattform. Wäre sie in einem Wald gewesen, hätte sie von einer Lichtung gesprochen, doch dass hier war einfach eine knapp 140 m2 große Fläche deren Steinboden glatt poliert wirkte und in deren Mitte eine Felsformation stand, die Sheila ein wenig an einen Altar erinnerte. Unschlüssig verharrte sie bei dem Trampelpfad. Der Morgen dämmerte und mittlerweile konnte sie einigermaßen sehen, aber sie hatte trotzdem Angst. Der Ort jagte ihr aus irgendeinem Grund einen Schauer über den Rücken, als wenn eine unheilvolle Aura von dem Felsen in der Mitte ausging.

Unsicher sah sie sich erneut um. Nirgendwo schien eine Höhle zu sein oder Ähnliches. Die Plattform war einfach von Felswänden umschlossen, die weit in die Höhe ragten und am anderen Ende konnte sie sehen, dass der Pfad weiter ging.

Du musst einfach nur da hinüber und dann geht’s auch schon weiter, sagte sie sich. Trotzdem zögerte sie. Sie spürte, dass der Wind zulegte und Staub und Gestein wurden aufgewirbelt. Sheila stöhnte gequält. Würde es einen Sturm geben, waren ihre Pläne durchkreuzt und sie müsste sich irgendwo verstecken bis alles vorbei war.

Ohne weiter nachzudenken, das Ziel vor Augen, betrat sie die Plattform und steuerte zunächst auf die Felsen zu. Der Wind nahm zu, wirbelte ihr den Staub in die Augen und sie würde kurz in Deckung gehen müssen, bevor sie den Pfad erreichte. Woher kam dieser Wind nur auf einmal. Durch das laute Pfeifen konnte sie nichts hören und ihre Sinne waren durch und durch abgelenkt.

Sheila hockte sich kurz neben den Altar und suchte nach dem Pfad. Durch den aufgewirbelten Staub sah sie kaum etwas und hatte Angst sich zu verlaufen. Sie hatte mal davon gehört, dass in den Bergen, an ungeschützten Flächen der Wind kam und ging wie eine Laune, aber dieser Ort war von Felswänden umgeben. Es schien, als wollte etwas verhindern, dass sie weiter kam.

Sie schüttelte den Kopf um diesen Gedanken los zu werden und machte sich daran, weiter zu gehen. Sie erkannte den Pfad, wie er größer wurde und Freude keimte in ihr auf.

Dann fuhr ihr etwas schmerzhaft in den Rücken, riss ihr den Rücken des Kleides auf und sie stürzte zu Boden.
 

Kasuke und die anderen eilten ohne Gepäck und Pferde einen Wildpfad hoch, den sie kurz darauf gefunden hatten. Den Spuren nach zu urteilen war Sheila nicht verschleppt worden. Sie war freiwillig gegangen und hatte Lumidor mitgenommen.

Wieso hatte sie das nur getan? Was hatte sie sich davon versprochen? Kasuke Herz raste und schmerzte dabei so sehr, dass er es am Liebsten aus seiner Brust gerissen hätte. Wie konnte sie nur so etwas Gefährliches tun? Er konnte sie doch nicht beschützen!

Kurz darauf fanden sie auch Sekuras Fährte, die von Sandaru war nicht da. Sekura hatte einen großen Vorsprung und er war schnell, Kasuke hatte ihn noch nie so rennen sehen. Sie waren so oder so schneller als Sheila, sie war ihnen nur etwas eine halbe Stunde voraus und Sekura hatte sie sicher bald eingeholt. Es war wirklich ein Vorteil, dass sie ein Mensch war. Manchmal zumindest.
 

Von Zorn getrieben spurtete Sekura den Weg entlang. Sheilas Fährte nahm er kaum noch wahr. Sie war so allgegenwärtig, dass er nicht einmal die Schnauze senken musste. Hier und da hatte sie sich an einem Felsbrocken abgestützt, hatte inne gehalten.

Was den Panter gar nicht gefiel war, dass Sandaru nicht auffindbar war. Am Eingang zum Pfad hatte er seine Spur vernommen, doch dann hatte er sich von Sheila getrennt. Sekura wusste, dass die Windkanter die Möglichkeit hatten mit dem Wind zu gleiten. Er hoffte, dass Sandaru im Moment weit entfernt von dem Ort war, an dem Sheila sich befand.

Der Wind nahm genau in dem Moment zu, als Sekura über den Windkanter nachdachte. Er konzentrierte sich wieder auf den Weg und merkte, dass die Sheilas Spur frisch war. Er bemerkte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel und sprang gerade in dem Augenblick um eine Wegbiegung, las er sie auch fand.

Schlitternd kam er zum stehen und sein Herz wollte stehen bleiben. Sheila lag auf dem Rücken und sah mit weit aufgerissenen Augen zu etwas Großem empor, dass von einem Felsen auf sie hinunter starrte, in Angriffsstellung.

Sekura fauchte und fixierte den jungen Drachen, der definitiv nicht zum Spaßen aufgelegt war.

Mißtrauen

Sag mir das dieser Ort hier sicher ist,

und alles gute steht hier still.

Und dass das Wort das du mir heute gibst,

morgen noch genauso gilt.

Diese Welt ist schnell und hat verlernt beständig zu sein,

denn Versuchungen setzten ihre Frist.

Doch bitte schwör dass wenn ich wieder komm,

alles noch beim Alten ist.

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit,

in einer Welt in der nichts sicher scheint.

Gib mir in dieser schnellen Zeit, irgendwas das bleibt.

Gib mir einfach nur ein bisschen Halt,

und wieg mich einfach nur in Sicherheit.

Hol mich aus dieser schnellen Zeit,

nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit.

Gib mir was, irgendwas das bleibt.
 

Sheilas Rücken brannte und etwas lief ihr nass und klebrig das Rückgrat entlang. Sie hätte sich vielleicht Gedanken darüber machen sollen, dass sie verwundet war, doch in diesem Augenblick sah sie ihrem Tod in die Augen und was machte da schon ein paar Kratzer.

Die Augen vor ihr waren groß wie Untertassen und hatten die Farbe von flüssigem Gold, doch der heiße, fast faulig stinkende Atem lenkte Sheila von deren Intensität ab.

Es hatte ein wenig gebraucht bis sie realisiert hatte, was sie zu Boden gestoßen hatte. Sie kannte Drachen nur von Illustrationen aus irgendwelchen Märchen oder Gruselgeschichten, nie im Leben hätte sie sich ausgemalt, dass diese….Tiere..fast schon schön waren. Der Drache hatte taubengraue Schuppen, die seltsam zu leuchten schienen, als ob sie das Mondlicht absorbierten und dann vielfach zurückwarfen. Sein Hals war lang und wirkte geschmeidig, so wie sein ganzer, wohlproportionierter Körper. Einerseits sah der Dämon aus, wie eine Eidechse von elefantenartigen Ausmaßen, dann hatte das Tier jedoch zwei nach hinten gestreckte Hörner in derselben Farbe wie seine Panzerartige Haut, eine flache Stirn, die Sheila am liebsten gestreichelt hätte und war so geschmeidig und elegant wie eine Elfe.

Die Angst trat in den Hintergrund und das Mädchen fixierte vollkommen fasziniert das Geschöpf vor ihr. Der Drache knurrte gefährlich und Sheila sah, wie kleine Rauchwölkchen aus seinen Nüstern entschwanden und die Nachtluft aufstiegen.

Warum griff der Drache nicht an?

Sie musterte die goldenen Augen und bemerkte so etwas wie Unsicherheit und einen Ausdruck, der sie an einen Welpen erinnerte, der nicht wusste was er als nächstes tun sollte. Sie hörte das Fauchen eines wütenden Tieres und die Furcht durchzuckte sie, die sie eben nicht mehr gespürt hatte. Ein dunkler Pfeil schoß in ihr Blickfeld und brüllte den Drachen herausfordernd in das verblüffte Gesicht.

Sekura! Sheila freute sich den Panter zu sehen, doch sie sah wieder den Drachen an und musste überrascht feststellen, dass er fast menschliche Züge hatte. Emotionen von Verwirrung, Angst bis Zorn huschten über das hübsche, mondbeschienene Gesicht und das Maul öffnete sich und bleckte scharfe Reißzähne. Sheila schaute erschrocken auf die Zähne und sprang dann auf.

„Sekura!“

Der Panter wandte sich nicht um.

„Sekura, warte!“

Sheila sprang neben den Katzendämon und packte ihn am Nackenfell. Nicht, dass sie ihn hätte zurückhalten geschweige denn hochheben können, doch sie wollte ihm zeigen, dass er nichts überstürzen sollte und wusste nicht, wie sie ihn sonst hätte festhalten sollen.

Die Wut des Panters richtete sich jetzt gegen sie, während der Drache nur fauchte.

„Verdammt noch mal, Sekura, dass ist noch ein Kind! Er hat sogar noch Milchzähne.“ Sie deutete auf die entblößten Reißzähne, die ihr auf einmal nicht mehr so bedrohlich vorkamen.

Ohne seine Aufmerksamkeit von dem Ungetüm zu nehmen, sprach Sekura als Dämon zu ihr. Seine Stimme war ein wenig dunkler und rauer als sonst: „Deshalb ist er nicht weniger gefährlich. Er hat dich bereits verletzt, Sheila!“

Sheila rollte vorsichtig die Schultern und ein scharfer Schmerz durchzuckte sie. Ja, der Drache hatte sie wirklich verletzt, aber wenn er sie hätte töten wollen, dann hätte er es doch bereits getan, oder etwa nicht?

Vielleicht hatte er auch nur ein wenig mit dem Essen spielen wollen. Wer wusste das schon?

Was Sheila jedoch wusste war, dass sie zu zweit keine Chance gegen den Drachen hatten, auch nicht wenn es noch ein Jungtier war.

„Wir wissen nicht, was er will. Sollten wir nicht irgendwie….mit ihm kommunizieren, oder so?“

Sekura gluckste und sie wusste, dass es nichts mit Humor zu tun hatte. Er lachte sie aus, aber mit so einem sarkastisch, bösen Unterton, dass sie sich dumm fühlte.

„Glaubst du wirklich, wir leben so lange?“
 

Kasuke stürmte voran ohne groß drauf zu achten, ob die anderen ihm folgten. Wenn sie mithalten wollten, jetzt oder für immer, mussten sie sich anstrengen.

„Kannst du etwas sehen, Piper?“

Der Adler stieß einen schrillen Schrei aus und stieg dann in die Höhe. Sie verschwand aus Kasukes Blickfeld und er setzte zu einem Endspurt an. Er wusste im Moment nicht ob er wütend, besorgt oder verzweifelt sein sollte. Was hatte sich dieses dumme Mädchen nur dabei gedacht? Er hatte ihr mehr Köpfchen zugetraut, außerdem hatte er gedacht, es hätte sich etwas zwischen ihnen geändert. Doch wieder war sie weg gelaufen. Schon wieder.

Wieder ertönte Pipers Schrei, doch diesmal sagte er ihm etwas anderes.

Piper hatte Sheila gesichtet.
 

Der Drache brüllte und der Boden unter ihnen schien zu beben. Verzweifelt krallte Sheila sich in Sekuras Fell fest. Der Drache reagierte auf die Aggressivität des Panters und Sheila fühlte sich verloren zwischen diesen beiden Mächten.

Sie schloß die Augen. Wo war Celine, wenn sie sie brauchte? Ihr zweites Ich hatte so lange geschwiegen und sie hatte Kasukes Verflossene bisher auch nicht vermisst, doch sie brauchte deren Kraft.

Sheila, du hast Macht, Magie, jetzt musst du sie nur finden. Der Panter entriss sich ihren Fingern und stürmte auf den riesigen Dämon zu. Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, konnte sie sehen wie er Haken schlagend über die Felsen sprang und eine Lücke in der Deckung des Drachens suchte. Eine Vision von dem zerschlagenen Körper des Panters durchzuckte Sheila und sie spürte wie die Panik Hitzewellen durch ihren Körper sandte. Tausend Bilder schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf. Schlachten die geschlagen werden würden, Menschen in deren Gesichtern blankes Entsetzen zu sehen war und die Dämonen die um ihre Freiheit kämpften. Sheila wusste nicht, ob es Bilder der Vergangenheit oder möglichen Zukunft waren. Sie spürte jedoch nicht die Anwesenheit von Celine, sondern vielmehr eine elementare Kraft, die sie durch die Erde empfing. Ihr Angst und ihre Wut über die Situation verwandelten sich in Entschlossenheit.

„NEIN!“ Ihre Stimme hallte von den Felswänden wider und als sie die Augen öffnete sah sie, wie eine Energiewelle die Luft bewegte und auf die beiden Kontrahenten zuraste. Es kam Sheila wie eine Ewigkeit vor, doch all dies geschah in wenigen Augenblicken, denn die Welle umrundete Sekura in seinem Sprint und schien genau zwischen Panter und Drache zu implodieren. Bevor sie wussten wie ihnen geschah, stieß die Druckwelle sie auseinander. Der Drache rollte von dem Felsvorsprung und Sekura kam rechts von ihr auf. Er fiel auf die Seite, doch er schien sich nicht viel getan zu haben, denn er sprang bald wieder auf seine Füße.

Er schüttelte sich und sah sie verwirrt an.

„Ich habe Nein gesagt.“ Sheila erkannte ihre Stimme kaum wieder. Sie hörte sich an, als trüge der Wind sie mit sich fort, vervielfachte sie ums tausendfache und dröhnte ihr selbst in den Ohren.

Sie sah auf und erblickte den Drachen, der sich verunsichert hinter die Felsen duckte. Mit einer solchen Kraft hatte er nicht gerechnet und Sheila erkannte, dass er Angst hatte. Er sah aus wie ein getretener Hund.
 

Kasuke hörte Sheilas Stimme lange bevor er sie sah. Er wusste nicht, was er vernahm, doch es hörte sich so unnatürlich laut und energiegeladen an, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass dies Realität war. Er spürte einen Luftzug der von Magie angetrieben wurde und hechtete um eine Ecke.

Obwohl überwältigt von Sheilas Anblick erfasste er die Situation sofort. Er kam zum stehen und wusste nicht so wirklich, was er tun sollte.

Sheilas Körper sandte starke Magiefelder aus, die wie Wellen von ihr ausgingen, als wenn jemand in einen ruhigen Teich einen Kiesel geworfen hätte. Ihre Haut schimmerte, als hätte sie Licht absorbiert und Sekura stand ein wenig hinter ihr. Sein Fell war schmutzig und zerzaust und er entlastete sein linkes Hinterbein.

Zu seiner Rechten sah Kasuke einen Drachen kauern. Das Tier war noch jung und was immer sich hier abgespielt hatte, es hatte ihn fürchterlich erschreckt.
 

Sheila bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel. Ein großer schwarzer Wolf stand lauernd in der Nähe des Pfades und beobachtete sie. Kurze Zeit später landete ein Adler an seiner Seite und auch die anderen Dämonen erreichten die Plattform.

Ihre Freunde! Sie hatte sie aus der Geschichte raushalten wollen und nun waren sie alle hier, Wie hatte sie nur so vermessen sein können zu glauben, dass sie sie täuschen konnte?

Der Wolf bewegte sich auf sie zu und seine unglaublichen Augen glitten über sie hinweg wie Feuer. Sheila erschauerte.

„Was ist geschehen?“

Es war Loros in Einhorngestalt, der diese Frage stellte. Sheilas Blick lag weiterhin in den blauen Augen des großen Wolfes, doch sie antwortete ihm trotzdem: „Ich habe verhindert, dass Sekura das Jungtier dort verletzten konnte.“

Ungläubig sahen die Dämonen sie an. Mika schnellte hervor, um sich die Verletzungen des Panters anzusehen. „Warst du das?“

Sheila nickte leicht. „Es war die einzige Möglichkeit. Ich wusste nicht einmal, dass ich das kann.“ Mika schnaubte schockiert: „Du stellst das Leben eines anderen über das deiner Freunde?“

Sheila runzelte die Stirn. Wie konnte Mika so etwas von ihr behaupten?

Sie hörten ein tiefes Grollen und sofort gingen die Krieger in Angriffsstellung, wobei Loros sich zurückzog. Sheila sah auf und blickte in das flüssige Gold der Drachenaugen. Das Tier hatte sich ein wenig aufgerichtet und musterte sie interessiert. Neugierig und nicht aggressiv. Sie trat einen Schritt vor, doch Kasuke packte sie am Handgelenk. Seine Zähne gruben sich in ihre Haut, denn er hatte sich nicht die Zeit genommen, sich zu verwandeln.

Sheila stöhnte auf und versuchte sich ihm zu entziehen. „Du tust mir weh!“

Kasuke verstärkte den Zug nicht, blieb aber standhaft. „Verdammt noch mal, lass mich los!“

Sheila spürte erneut die Macht in ihr keimen, doch diesmal war sie wesentlich ruhiger und beherrschter als beim letzten Mal. Es war, als hätte sie Kasuke einen Stromschlag versetzt, denn er ließ winselnd ihren Arm los.

Ohne zurück zu blicken ging sie auf den Drachen zu, der angesichts ihres Mutes unruhig mit dem Kopf hin und her schwang. Sie musste sich vorsehen, ein Tier, das sich in die Ecke getrieben fühlte handelte nicht rational. Sie streckte ihre Hände, mit der Handfläche nach oben, aus und erneut wich der Drache zurück. Er wusste eindeutig nicht, was ihn erwartete und das machte ihn nervös. Er zischte und wieder stiegen Rauchwolken empor.

„So warte doch. Ich will dir nichts tun.“

Sheila wusste nicht, ob er intelligent genug war um sie zu verstehen. Am Ende entschied sie sich für die Variante, mit ihm zu sprechen wie mit einem Kind. Er musste intelligenter als ein Hund sein, denn die Drachen waren ebenfalls Dämonen und dazu noch sehr stark. Sie hatte es vielleicht mit einem Jungen zu tun, aber sie war nicht so dumm, ihn zu unterschätzen.

„Ich bin gekommen, um mit dir und den anderen Drachen zu sprechen. Ich habe keine böse Absichten.“ Zum ersten Mal fragte Sheila sich, wieso keine andere Drachen da waren. Die hätten das ganze Spektakel doch längst mitbekommen müssen.

Das Jungtier wurde ruhiger und taxierte sie nun nur noch. Beobachtete sie, wie sie näher und näher kam. Nur sein Lidschlag zeigte Sheila, dass er lebte. Erst als sie nur wenige Meter von ihm entfernt stand und seinen heißen Atem spüren konnte, blieb sie stehen.

Das mochte vielleicht noch ein Jungtier sein, aber selbst wenn es auf den vier Beinen hockte war es acht Meter hoch und Sheila musste den Kopf in den Nacken legen, damit sie mit ihren 1.70 m in seine Augen schauen konnte.

Das Tier beugte seinen geschwungenen Hals und kam ihr ein Stück entgegen. Sheila streckte die Hand aus, wie um ein Pferd zu streicheln und verharrte. Sie spürte mehr, als das sie hörte, wie die anderen die Luft anhielten. Seltsamerweise hatte sie keinerlei Angst. Aus irgendeinem Grund war sie sich sicher, dass der Drache ihr nichts tun wollte.

Dieser kam mit seiner runden, grauen Schnauze entgegen und legte sie in ihre Handfläche. Seine Schuppen waren erstaunlich weich und warm und Sheila strich mit der anderen Hand über die Nüstern. Hitze strömte ihr dort entgegen.

Plötzlich schreckte der Drache hoch und sah in den Himmel. Sheila folgte seinem Blick und bemerkte, dass die Sonne bereits dabei war, sich über den Horizont zu schieben. Aber nicht das hatte seine Aufmerksamkeit erregt.

Sie kniff die Augen gegen die aufgehende Sonne zusammen und erkannte zwei große Schatten, die sich vor selbigen schoben.

„Ich glaube, wir kriegen Gesellschaft.“ Sheila sah sich nach Kasuke um, der sie jedoch nicht beachtete, sondern weiter zum Himmel starrte.

Wenige Augenblicke später bekamen die Schatten Umrisse, dann Farben und letztendlich Konturen. Es waren zwei gigantische Drachen von der Größe eines großen Hauses. Einer war scharlachrot, der andere von so einem intensiven Blau, dass es Sheila die Sprache verschlug. Sie wusste nicht, ob es ein Zauber, ein Trick war um sie alle zu manipulieren, aber der Auftritt der Drachen war grandios.

Sheila wich zurück, als die beiden Neuankömmlinge neben dem grauen Jungtier landeten. Sie waren so mächtig und wirbelten so viel Staub auf, dass sie automatisch den Arm vor das Gesicht hob.

Ein starker Arm legte sich um ihre Taille und stützte sie. Sheila sah auf und entdeckte Kasuke in seiner menschlichen Gestalt, der die Drachen nicht aus den Augen ließ. Sie glaubte auch einen unwirschen Ausdruck um seinen Mund herum sehen zu können. Sie hatte ihn verstimmt, aber war sich nicht so sicher was es genau war.

Der Staub legte sich und Sheila konzentrierte sich nur noch auf die Aufgabe, die vor ihnen lag. Gefühle hatten hier keinen Platz.
 

Die beiden größeren Drachen sahen auf den Jüngeren herab und Sheila wusste, dass sie auf ihre Weise mit dem jeweiligen anderen kommunizierten. Genauer betrachtet, waren die Großen noch schöner als das Jungtier.

Der Drache mit den roten Schuppen war unglaublich muskulös und seine vier Beine weitaus länger als die des Grauen. Seine Krallen waren so lang, wie Sheilas Unterarm, wobei die vorderen Füße ein wenig wie Hände geformt waren, aber nur mit vier Fingern. Über seinen Rücken zogen sich runde Schildplattkämme, die zum Schwanz hin kleiner wurden und in einen gigantischen Stachel ausliefen. Sein Kopf war fast vollkommen flach, nur an der Schnauze befanden sich einige rote Barthaare. Als Sheila aufblickte, sah sie in tiefrote Augen, die sie ruhig musterten.

Der andere Drache war geschmeidiger und ein wenig kleiner, als der Rote. Sheila wusste nicht, wie sie es ausmachen sollte, aber sie hätte gesagt, der blaue Drache war ein Weibchen. Die eisgrauen Augen wurden von dichten Wimpern umrahmt und alles an ihre wirkte weich und rund. Sheila wusste, dass dies auch eine Täuschung sein konnte, aber dieses Tier war fast zu schön um wahr zu sein.

Die Minuten verstrichen, ohne dass sich auch nur einer rührte. Sheila wusste nicht, wie sie mit den Drachen umgehen musste und hoffte, dass diese den ersten Schritt machten, während die Tiere ihr gegenüber abwarteten.

Das Jungtier sah erwartungsvoll zu dem Roten auf und schien etwas in seinen Gedanken zu formen, worauf der andere kaum merklich mit einer Lefze zuckte. Dann richtete er sich auf seine Hinterbeine auf und Sheila sah sich einem Ungetüm von 25 Metern gegenüber.

Jetzt hatte sie doch Angst.

Sie wollte zurückweichen, doch Kasukes Griff war fest. Da musste sie jetzt durch!
 

„Ihr seid ziemlich mutig, Zauberin, wenn nicht sogar des Lebens müde. Was führt Euch hierher und lässt Euch einen Zauber wirken, der sich gegen die eigenen Reihen richtet?“

Sheila zuckte zusammen. Weniger wegen der lauten, dröhnenden Stimme des roten Drachens, die wie eine tiefe Glocke von den Wänden widerhallte, sondern mehr wegen dem Vorwurf, jemanden der Ihren verletzt zu haben.

Sie wagte es jedoch nicht, den Kopf zu senken, sondern hielt den bestechend roten Augen Stand, die sie in die Knie zwingen wollten. Zumindest hatte Sheila das Gefühl, dass dem so war.

Ich muss ehrlich zu mir selbst und den anderen sein, ermahnte sie sich.

„Ich richtete den Zauber nicht gegen die Meinen, sondern schlichtete einen Streit, der auszuarten schien. Ich war nicht bereit zu zulassen, dass ein Irrtum jemandem Schaden zufügen könnte.“

Einige Augenblicke musterten alle drei Drachen den winzigen Menschen vor sich und Sheila spürte jeden einzelnen Nerv in ihr vibrieren.

„Wer sagt Euch, dass dies ein Irrtum war? Wie ich sehe, seid Ihr verletzt, Zauberin.“ Sheila versuchte den stechenden Schmerz am Rücken zu vergessen und hörte hinter sich jemanden aufkeuchen. Ihre „Freunde“ hatten nur ihren Fehler gesehen, nichts anderes. Dass sie sich selbst verletzt haben könnte, war ihnen gar nicht in den Sinn gekommen.

„Geht es?“ flüsterte Kasuke. Sheila ignorierte ihn, so wie er sie zuvor.

„Hätte euer Gefährte mich töten wollen, hätte er es bereits getan, als ich nicht darauf achtete, was in meinem Rücken passiert.“

Sheila holte tief Luft. Sie musste sich ein wenig zu weit aus dem Fenster lehnen und brauchte allen ihren Mut.

„In der Welt aus der ich komme, tötet ein Junges nicht ohne einen Grund und ganz sicher nicht, weil es Spaß macht. Ich war bereit zu glauben, dass es sich bedroht fühlte von mir. Schließlich bin ich der Eindringling hier.“

„Ein naiver Glauben.“

„Ein Glauben, der mich von allen anderen abhebt. Deshalb bin ich hier.“

Der blaue Drachen sah überrascht aus und zuckte mit dem langen Schwanz hin und her.

Sheila versuchte, sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen.

„Das erklärt mir, Zauberin!“

Sie trat einen Schritt vor, weg von Kasuke.

„Ich kam hier her, alleine, ohne die Hilfe meiner Weggefährten in dem Glauben, dass dem Volk der Drachen das Wohl dieser Welt nicht egal sein kann.“ Der Rote schnaubte verächtlich, doch Sheila war noch nicht fertig. Sie erhob die Stimme um eine Nuance.

„Ich bin in dieses Geschehen geworfen worden, ohne gefragt zu werden. Doch ich weiß, ich hatte keine andere Wahl. Könnte ich in meiner eigenen Welt das Gleichgewicht wieder herstellen, würde ich es sofort tun, aber ich kann nicht. Hier habe ich die Möglichkeit, etwas zu bewirken, damit das Gute in Frieden bestehen kann.“

„Was haben wir damit zu tun, Menschenkind?“ Es war der helle Sopran der Blauen.

„Es ist eure Welt. Nicht die meine, eure. Die der Dämonen und ohne euch werden wir scheitern. Ich muss euch nicht sagen, dass der Feind sehr stark ist, zu stark. Ich bin überzeugt, dass ihr euch alle dem durchaus bewusst seid.“

Der größte Drache sah sie abschätzig an.

„Das mag alles der Wahrheit entsprechen, doch ich kann mich an eine Zeit des Krieges erinnern, da wart ihr sicher noch nicht geboren. Am Ende ist einer der größten, bedeutendsten und zugleich stärksten Clans vollkommen zerstört worden. Der Feind lässt uns zufrieden und das ist alles, was ich für mein Volk wünsche.“

Die Blaue kam Sheila ein Stück entgegen, sodass sie mit ihr auf einer Augenhöhe sein konnte.

„Was macht Euch nur so sicher, dass ihr etwas erreichen könnt?“

„Ich war mir nicht sicher.“

Die Blaue zuckte ungläubig zurück.

„Und Ihr wart bereit, für einen Irrtum Euer Leben zu lassen?“

„Ohne Unterstützung wird es sehr wahrscheinlich ebenfalls dazu kommen. Ich wusste, dass zumindest ich lieber bei dem Versuch sterbe alles zu geben, als in einer Schlacht, bei der ich nicht alle Möglichkeiten ausgekostet habe.“

Sheila drehte sich kaum merklich zu ihrer Gruppe: „Deshalb kam ich alleine.“ Sie wandte sich wieder den Drachen zu: „Ich entscheide nicht über Leben und Tod, nur wenn es um das Meine geht. Deshalb bin ich hier, um zu bitten. Nicht um zu fordern.“

Sheila spürte, wie alle Kraft von ihr wich. Sie hatte sich so sehr verändert ohne es zu merken. Sie war von dem verängstigten Mädchen zu einer Führungskraft geworden, die auch Kritik einstecken musste, so wie heute von ihren Dämonen.

Es tat weh, dass sie wirklich dachten, Sheila hätte es darauf angelegt Sekura zu verletzen. Es war schwer, seinen Mann zu stehen, wenn man alleine da stand. Doch sie hatte es geschafft und leider auch einen Teil ihres Vertrauens eingebüßt, welches sie zu ihren Soldaten gehabt hatte.

Sie senkte zum ersten Mal, seitdem die Drachen gelandet waren, den Kopf. Sie hatte ihren Standpunkt klar gemacht und mehr konnte sie nicht tun, außerdem machten sich die Verletzung und der Blutverlust langsam bemerkbar. Ihre Beine würden sie nicht mehr lange tragen.
 

„Ihr habt weiser und vernünftiger gesprochen, als ich es von einem Menschen erwartet hätte.“ Es war der Rote, der sich nun ihr entgegenstreckte. Sheila war versucht, mal wieder darauf zu plädieren, dass die Dämonen die Menschen unterschätzten, aber sie war zu müde um sich darüber weiter aufzuregen.

Leicht hob sie den Kopf, um wenigstens höflich zu bleiben. Sie wusste, dass man ihr ansah, wie zerschlagen sie sich fühlte.

Die Drachen sahen sich einen Augenblick an. Dann senkte die Blaue ihr Haupt.

„Wir können nicht guten Gewissens für den Krieg entscheiden.“

Sheila spürte, wie die Hoffnung und Zuversicht, mit ihrem Blut aus ihrem Körper sickerte.

„Dennoch möchte ich Euch mit auf den Weg geben, dass wir froh und auch überrascht sind zu erfahren, dass die Clans des Ostens ihre Macht wieder gefunden haben.“

Sheila war bereits dabei, auf Durchzug zu stellen. Sie hatte versagt, alles andere war unwichtig und viel zu anstrengend.

Der blaue Drache sah auf und nickte Loros zu: „Ihr Dämonen der alten Welt habt gut gewählt. Sie ist stark.“ Sheila bekam nicht mit, dass Loros den Drachen zunickte.

Nehmt das mit und versorgt die Wunden eurer Zauberin. In weniger als zwei Tagen wird kaum noch etwas zu sehen sein.“

Die Blaue spie eine blaue, kalte Flamme aus, die sich zu durchsichtigen Kristallen manifestierte. „Zerschlagt diese, es wirkt Wunder.“

Sheila sah nicht mehr hin. Sie senkte den Kopf und nickte den Drachen zu: „Ich danke Euch, dass Ihr mir zugehört habt. Das war mehr als ich erwarten konnte.“

Sie wandte sich ab und ging zurück zu dem Ziegenpfad, der sie in die Ebene zurückbringen würde….und nach Hause.
 

Sheila wusste nicht, wie lange sie es hatte durchhalten können, doch irgendwann hatten ihre letzten Kräfte nicht mehr ausgereicht sie zu tragen. Wie ein Motor der stotternd erstarb, taumelte sie vorwärts und landete prompt in weichen, warmen Arme und einer starken Brust.

„Oh Gott, Liebes, was haben sie mit dir denn angestellt?“ Es war Sandaru. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er nicht bei der Gruppe gestanden hatte. Sie wollte ihm die Frage stellen, wo er gewesen war, doch Mika kam ihr zuvor.

„Wo bist du gewesen?“ Dies war weniger eine Frage, als ein Vorwurf, dem Sheila entnehmen konnte, dass sie ihm sowieso nicht glauben würde. Egal was er erzählte.

„Ich hatte bemerkt, dass Sheila fort war und habe versucht ihr zu folgen. Meine Nase ist nur nicht so gut wie eure. Ich habe mich verlaufen.“

Ein Brüllen erschallte, dass eindeutig von Kizukaséru kam. Doch es war Pipers Stimme, die durch die kalte Morgenluft schnitt.

„Wag es nicht uns anzulügen. Du kannst fliegen und du hättest sie gefunden, wenn du sie gesucht hättest. Was hast du getan? Deine Truppen zusammen gesucht um uns zu überraschen?“

Sandarus Arme spannten sich an und Sheila wurde wütend. Wütend weil die anderen Sandaru Dingen bezichtigten die schwerwiegend waren und wütend, weil sie Sheila die Zuflucht in seinen Armen, die sie gerade so dringend benötigte, verwehrten.

Sie zwang ihren Körper dazu, sich ein letztes Mal aufzubäumen.

„Verdammt noch mal, jetzt ist endlich Schluß.“

Piper war ihr am nächsten und wich unwillkürlich zurück.

„Ihr hattet nichts Besseres zu tun, als mich dort oben zu verraten. Ihr habt mir nicht vertraut, sondern über mich geurteilt. Vielleicht solltet ihr euch in allen Belangen mit eurem Urteil ein wenig zurücknehmen.“

Sheila schlang die Arme um Sandarus Hals und er nahm sie behutsam auf die Arme.

„Wie schnell kannst du mich zu der Burg und meiner Armee bringen?“

„Schlaf ein wenig und bevor du aufwachst, bist du zuhause.“

„Die Burg ist nicht mein Zuhause!“ Doch sie nickte erleichtert und kuschelte sich wieder in seine Arme.

Sie hörte wie die Gruppe zornig durcheinander sprach. Sekura rief ihren Namen und sie wusste, wie sein hasserfüllter Ausdruck auf seinem Gesicht aussah. Sie hatte ihn des Öfteren mit angesehen.

Sheila spürte Kasukes Atem und seine Hand an ihrem Gesicht: „Wir werden die Piper mitschicken, sie kann dann Periphae Bericht erstatten. Wir sind in zwei Tagen ebenfalls zurück.“ Sheila ignorierte ihn. Dann hörte sie es Rascheln.

„Piper, gib dies deiner Mutter. Es wird Sheila heilen.“

Dann spürte Sheila einen Luftzug und sie fiel in einen traumlosen Schlaf.

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Als Sheila in ihrem Zimmer erwachte, fühlte sie sich steif und wund, aber ihr Rücken tat ihr nicht länger weh. Sie schob sich in eine sitzende Position, nur um wieder stöhnend zusammen zu sacken. Ihr Körper war wie aus Gummi und jede Bewegung war anstrengend.

„Warte bis du wieder bei Kräften bist.“

Sheila schrak hoch und entdeckte Konomi, der neben dem Fenster gelehnt hatte. Seine Stimme war so neutral und unbewegt, wie seine Miene. Sheila wich seinem Blick aus und sah auf die Bettdecke hinab.

„Wie lange habe ich geschlafen?“

„Der Windkanter hat dich gestern Abend hier her gebracht.“ Er ging um das Bett herum und setzte sich auf einen Hocker neben dem Bett. Er wirkte so konzentriert.

„Piper hat mir erzählt, dass die Drachen nicht umzustimmen waren.“ Das war keine Frage, keine Feststellung. Er sagte es so dahin, wie ein Bach plätscherte. Unbeteiligt und fast kalt. Sheila spürte, wie ihr Herz schneller schlug und Tränen sich einen Weg zu ihren Augen bahnten. Ihre Unterlippe bebte, als sie aufsah: „Es tut mir Leid, Konomi. Ich hätte es nie versuchen sollen. Das war ein dumme Idee.“

Zum ersten Mal kam eine Reaktion von dem Dämon, die man als emotional hätte ansehen können. Er runzelte die Stirn.

„Wovon redest du?“

Eine Träne lief ihr über die Wange. Na toll!

„Wir haben den Weg auf uns genommen, weil ich es so wollte und weil ihr mir überall hin gefolgt wärt. Und was hatten wir davon? Ich habe zwei Clanoberhäupter und einige Soldaten in Gefahr gebracht.“

Ungläubig schüttelte Konomi das weiße Haupt.

„Verdammt Sheila, dass ist vollkommen unwichtig. Als der Windkanter dich nach Hause gebracht hat, warst du einem Nervenzusammenbruch nahe.“

„Das glaube ich nicht!“

„Es ist aber so gewesen. Piper hat Bericht erstattet.“ Er stand wieder auf, irgendwie sonderbar nervös. Sheila folgte ihm mit den Augen, während er durch den Raum ging.

„Wir haben von dir zu viel verlangt. Du hast diese ganze Geschichte so einfach akzeptiert. Ich hätte besser auf dich Acht geben sollen.“

Jetzt war es an Sheila, ungläubig zu sein.

„Und wovon redest du jetzt?“

„Davon, dass ich die Zeichen nicht gesehen habe.“

„Welche Zeichen?“

„Dass wir dich überfordern. Du bist nicht Celine. Du bist viel zu zart und zerbrechlich und ich habe einfach akzeptiert, dass alles so einfach für dich scheint. Dabei war es viel zu schwer für dich.“

Sheila war, als würde Konomi wirr reden und sie gar nichts verstehen.

„Wie kommst du darauf? Es hat sich doch nichts geändert.“

„Doch Sheila, das hat es. Du kannst es nicht schaffen und bist ein Angriffspunkt für den Imperator geworden. Er wird dich dazu nutzen uns zu verletzen. Ich werde das nicht zulassen.“

Sheila war, als würde sich eine Zentnerlast auf ihr Herz, ihre Lunge und ihre Schultern senken. Wann war sie an diesen Punkt gelangt? Was hatte Konomi gesehen, was ihr entgangen war? Sie hatte jeden verdammten Schritt gemacht, den sie einmal für unmöglich gehalten hätte und nun war es fruchtlos geblieben. Sie hatte sich die ganze Zeit etwas vorgemacht.

Ihre Stimme war dünn wie Pergament, als sie wieder den Kopf hob. Ihre Augen waren trocken, jedoch hatten sie jeglichen Glanz verloren.

„Was hast du nun vor?“

Konomi sah Sheila nicht ein einziges Mal an, als er sagte: „ Du wirst weiterhin der Hoffnungsträger der Armee bleiben, denn die Menschen und Dämonen bauen auf dich. Jedoch wirst du dich nur noch ab und zu blicken lassen, Fragen beantworten und Zuversicht säen. Du wirst an allen Versammlungen teilnehmen, damit du auf dem Laufenden bleibst, aber alle Aktionen werden von uns Dämonen ausgeführt, nicht von dir.“

Er wollte aufstehen und gehen. „Konomi!“ Sein Gesicht wandte sich um und seine grauen Augen waren wieder kalt und unbeteiligt. „Wart ihr … wart ihr alle einstimmig in dieser Entscheidung?“

Konomi lächelte leicht. „Das waren wir schon, bevor du zu den Drachen aufgebrochen bist.“

Dann verließ er das Zimmer.
 

Sheila schloß die Augen und sank in die Kissen zurück. Ihr Kopf und ihr Herz waren leer und als eine Träne über ihre Wange lief, konnte sie nicht sagen warum sie weinte.

Fühlte sie sich vielleicht betrogen? Hintergangen oder vielleicht missverstanden? Sie wusste es nicht.

Es wird Zeit für dich, nach Hause zurück zu kehren, Sheila, sagte sie sich. Was hält dich denn hier? Du hast dich nur aus einem Grund auf diesen Humbug eingelassen, weil die Dämonen an dich glaubten. Doch was hast du jetzt noch?

Sie vertrauen dir nicht. Sie sind mit dir zu den Drachen aufgebrochen, mit dem Wissen, dass es deine letzte Tat sein wird.

Ein kleines Fünkchen Wut manifestierte sich in ihrem Herzen. Sie war doch nur ein Spielball dieser Geschichte gewesen.

Es klopfte.
 

Als Konomi die Bibliothek betrat, fuhr Kasuke aus dem großen Ohrensessel am Kamin auf. Nur Sekura blieb ruhig am Fenstersims sitzen.

„Ist sie wach?“

Konomi ging zu dem großen Tisch und ließ sich schwer auf einen Stuhl am Kopfende sinken. Obwohl Dämonen fast alterslos waren, merkte man ihm seine mehreren tausend Jahre in diesem Moment an.

„Sie ist gerade erst ausgewacht. Ich denke aber, sie wird noch eine Weile in ihrem Zimmer bleiben.“

Kasuke kam an den Tisch, stellte sich neben Konomi und stützte beide Hände an der Tischplatte auf. Forschend sah er dem Dämon ins Gesicht.

„Du hast es ihr gesagt, nicht wahr?“

Konomi nickte gedankenverloren und Kasuke schloß einen Moment die Augen. Wollte er es hören?

„Wie hat sie reagiert?“ Er ließ sich neben Konomi nieder, der den Kopf in die Hände sinken ließ.

„Ich weiß es nicht. Ich habe bisher noch nie erlebt, dass man Nichts in ihrem Gesicht sehen konnte. Wie würdest du dich fühlen?“

„Keine Ahnung, doch ich glaube Sheila zu kennen. Die nächste Zeit wird nicht einfach für sie.“

Sekura fauchte leise und löste sich vom Fenster.

„Nicht einfach für sie? Ihr habt ihr den einzigen Grund genommen, überhaupt hier zu sein.“

Kasuke fuhr hoch.

„Sollen wir sie denn weiterhin in Gefahr bringen?“ Konomi erhob die Hand und unterbrach die beiden Streithähne.

„Diese Diskussion hatten wir bereits. Soweit ich weiß, waren wir einstimmig dafür, Sheila aus dem Krieg heraus zu halten.“

„Ich habe für gar nichts gestimmt, Einhorn.“ Sekura bleckte die Zähne.

„Ihr habt Sheila damals einfach in ihre Aufgabe gestoßen und verlangt, dass sie vollkommen umdenkt und was hat sie getan? Sie hat auf unser Vertrauen gebaut und nun lasst ihr sie einfach so im Stich? Weil ihr feige seit.“

Er schlug auf die Tischplatte ein.

„Sie hat Großes bewiesen in den kalten Bergen, auch wenn sie erfolglos war. Diese Kraft, die von ihr ausging war unglaublich. Wie oft muss sie sich noch beweisen?“

Ein Windstoß fuhr durch den Raum, dessen Fenster verschlossen waren und Sekura verstummte. So also zeigte sich, wenn Konomi wütend war. Äußerlich schien nichts geschehen zu sein, doch Wolf und Panter spürten die statische Aufladung im Raum.

„Es ist nie etwas anderes behauptet worden, aber ich bin nicht bereit Sheilas Leben aufs Spiel zu setzen.“ Er wandte sich an Kasuke. „Sie wird nicht dasselbe Schicksal ereilen, wie Celine. Habt ihr mich verstanden?“ Die beiden jüngeren Dämonen nickten entschlossen.

„Noch wissen wir nicht, wie sie unseren Entschluss aufnehmen wird. Also seid wachsam, damit sie nichts Dummes tut.“
 

Sheila entschloss sich, dass sie nicht wissen wollte, wer vor ihrer Tür stand. Sie hätte keinem aus ihrer Gruppe ins Gesicht sehen können, ohne dass sie sich schlecht fühlte. Ob ihre waghalsige Aktion oder ihr Verrat der Grund waren, war uninteressant.

Wieder klopfte es und diesmal energischer. Sheila drehte der Tür den Rücken zu und schloss die Augen. Ein leises Knarren ertönte. Dann fiel ein Schatten auf ihr Gesicht.

„Ich weiß, dass du nicht schläfst, dafür atmest du viel zu schnell.“

Sheila seufzte und öffnete die Augen, nur um in Grüne zu schauen.

„Sandaru?“

Er griff sich übertrieben erstaunt an sein Herz.

„Du weißt noch, wie ich heiße.“

Sheila drehte sich genervt auf die andere Seite und der Windkanter hüpfte um das Bett herum.

„Jetzt sei nicht sauer. Ich freu mich doch nur, dass du wieder wach bist und es dir gut zu gehen scheint.“

Als Sheila ihn daraufhin weder ansah noch etwas sagte, runzelte er die Stirn.

„Dir geht es doch gut, oder?“

Sie konnte einfach nichts dagegen tun. Sie wollte stark sein, schließlich konnte sie nun nach Hause ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Aber die Tränen kamen und innerhalb weniger Sekunden brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus.

Sandaru kniete sich neben das Bett und nahm Sheilas Gesicht behutsam in seine Hände, bettete ihren Kopf auf seinem Arm und strich ihr über ihr Haar. Erst als sie sich ein wenig beruhigt hatte, wagte er etwas zu sagen: „Was ist passiert, Engel? Kann ich dir helfen?“

Sheila schüttelte leicht den Kopf. „Mir ist nicht zu helfen.“, schluchzte sie.

„Ist es immer noch wegen den Drachen? Du darfst dir deshalb keine Vorwürfe machen. Du hast getan, was du konntest. Die Entscheidung lag bei ihnen.“

Sheila schüttelte nur den Kopf und weitere Tränen bahnten sich ihren Weg. Sandaru wirkte verwirrt.

„Bist du immer noch sauer auf die anderen, weil sie dir nicht geglaubt haben?“

Wieder schüttelte Sheila den Kopf. „Nein, ich…sie wollen mich nicht mehr dabei haben. Sie haben…sie haben beschlossen, dass ich eine Gefahr darstelle. Und…“, sie musste schlucken und als sie dann weiter sprach, war Bitterkeit in ihren Worten zu erkennen, „…sie sind sich einig, dass ich nur noch so eine Art Maskottchen bin, das brav lächelt und winkt.“

„Ich weiß zwar nicht, was ein Maskottchen ist, aber ich glaube du meintest, dass du schön weiterhin so tust, als wenn du die Kriegerin und Zauberin bist, aber gleichzeitig nur darauf wartest, dass alles vorbei ist.“

Sheila nickte und Sandaru wischte ihr zärtlich eine Träne von der Wange.

„Wie konnten sie dir das nur antun.“

Sandaru sagte das mit so viel Gefühl und Unverständnis, dass Sheila nicht anders konnte, als ihm um den Hals zu fallen. Sandaru verlor das Gleichgewicht und beide landeten sie auf dem Boden neben dem Bett.

„Moment, was habe ich gesagt, dass es solcher Maßnahmen bedarf?“

Sheila kicherte. Sie lachte zum ersten Mal seit Langem.

„Es ist einfach schön, dass es hier jemanden gibt, der nicht gegen mich ist.“

„Willst du damit sagen, dass alle derselben Meinung waren?“

Traurigkeit legte sich wieder über Sheilas Züge und Sandaru fuhr wieder zärtlich darüber, wie um sie weg zu wischen.

„Sie sind alle Dummköpfe, Kleines.“

Er erhob sich und zog Sheila mit sich.

„Weißt du schon, was du tun willst?“

„Ich möchte am Liebsten sofort nach Hause, aber ich weiß nicht wie. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten und das zu tun, was Konomi und die anderen von mir wollen.“

Etwas schien in Sandarus Augen aufzublitzen und dann lächelte er.

„Was ist, wenn ich eventuell jemanden kenne, der dich zurück nach Hause bringen kann. Die Person stammt vermutlich sogar aus deiner Welt.“

Ungläubig sah Sheila Sandaru in die Augen, aber sie sah keinen Spott darin.

„Meinst du das ernst?“

„Natürlich und wenn du dir endlich was anziehst, dann erzähl ich dir davon.“

Sheila sah an sich herunter und erkannte, dass sie nur eine Art Baumwollnachthemd trug.

„Ups!“

Sandaru lachte und ging zur Tür.

„Wir treffen uns in einer halben Stunde vor deiner Tür und dann erzähl ich dir davon.“
 

Wäre er nicht ein Wolf gewesen, hätte man sagen können Kasuke tigere über die Brustwehr. Er warf immer wieder einen Blick auf die Armee, doch er schien sie gar nicht wirklich wahr zu nehmen. Die Soldaten der Burg, mal ein Dämon, mal ein Mensch, sahen dem Wolf einfach nur zu. Erst als Sekura von dem Burghof hochkam, um seinen tierischen Freund zu suchen, nahmen sie wieder Haltung an.

„Was ist los, Bruder?“

Er folgte Kasuke mit seinen gelben Augen. Der Wolf knurrte nur und lief weiter.

„Du läufst eine Schneise in den Stein!“

„Na und!“ Wie immer war die Stimme des Wolfes in Tiergestalt dunkler und rauchiger.

„Lass mich raten.“, seufzte Sekura und lehnte sich gegen eine der Zinnen.

„Es geht um Sheila.“ Das reichte.

„Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass wir einen Fehler machen, obwohl ich Konomis Meinung bin?“

Sekura war die Unruhe seines Freundes leid und setzte sich ihm einfach in den Weg. Kasuke schnaubte frustriert und ließ sich vor Sekura nieder.

„Ich denke auch, dass es ein Fehler ist, aber auch nur, weil ich Sheila nicht unterschätze. Was stört dich?“

„Ich weiß es nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir sie enttäuscht haben. Von jetzt auf gleich hat alles seine Bedeutung verloren. Alles was wir bis jetzt getan haben und das nur, weil Konomi der Meinung ist, dass sie es nicht schaffen kann.“

Sekura schürzte die Lippen: „Soweit ich mich erinnere, hast du ihm zugestimmt.“

Kasuke fletschte die Zähne: „Weil ich sie liebe. Ich wüsste sie am Liebsten ganz weit weg, egal wohin, sogar in ihre Welt zurück. Hauptsache sie ist nicht mehr in Gefahr.“

Sekura stützte seine Arme auf seine Knie ab und sah Kasuke eine Weile stumm in die blauen Augen. Dann seufzte er: „Hast du dir schon einmal überlegt mit ihr fort zu gehen?“

Obwohl man sagte, Tiere haben kaum Mimik, sah Kasuke in diesem Moment ziemlich verblüfft aus.

„Natürlich nicht, wie kommst du darauf?“

„Ich habe dich auf vielerlei leben und sterben sehen, Kasuke. Als Celine ging, dachte ich du würdest es nicht schaffen, aber du hast es. Wenn du Sheila verlierst, wirst du es nicht können.“

Kasuke setzte an etwas zu sagen, doch Sekura schnitt ihm das Wort ab: „Ich weiß, ihr seid euch nicht halb so nah, wie Celine und du es wart, aber eure Bindung ist stärker. Würdest du nur anfangen dich wie ein Mann, statt wie eine Maus zu benehmen, dann wäre sie längst dein.“

Kasuke schnaubte belustigt: „Soweit ich weiß, hast du selbst ein Auge auf sie geworfen. Woher die Reden auf einmal?“

Sekura wich seinem Blick aus.

„Sagen wir mal so, ich glaube ich möchte lieber mit Dämonen zu tun haben.“

Interessant, dachte Kasuke, aber er fragte seinen Freund nicht weiter. Sekura würde es ihm sowieso nicht erzählen, egal wie oft er fragen würde.

„Jedenfalls solltest du dir überlegen, ob es nicht besser für euch wäre, wenn du an ihrer Seite bleibst. Egal was geschieht. Und deshalb…“, der Panter erhob sich,“… solltest du jetzt zu ihr gehen und sie trösten und ihr erklären, wie es zu dieser Entscheidung kam.“
 

Sie hörten das Klicken von Pfoten auf der Treppe und ein weißer Wolf kam aus dem Turm geschossen. Schlitternd kam Mika neben Sekura zum Stehen.

„Du solltest mitkommen.“, japste sie, „Sheila hat soeben die Burg verlassen.“ Kasuke sprang auf und sah über die Mauern auf die Ebene hinaus. Es brauchte einen Moment, dann entdeckte er zwei Gestalten, die durch die Reihen der Zelte und Feuer gingen.

„Was tut sie denn da? Und wer ist das neben ihr?“, fragte der Panter. Mikas Stimme wurde bestimmter: "Kasuke, sie hatte Lumidor und einige Sachen wie auch Proviant dabei. Das da neben ihr ist der Windkanter.“

Kasuke wirbelte herum und jagte die Treppe hinunter. Sekura wollte sich verwandeln und ihm folgen, doch Mika stellte sich ihm in den Weg.

„Lass ihn alleine gehen. Sie hat schon mit mir nicht geredet, wenn du dann auch noch auf Sandaru losgehst, wird sie taub sein.“

Sekura fauchte wütend und wandte sich wieder zu der Brustwehr um.
 

Als Sheila durch die Reihen der Soldaten schritt, versuchte sie die Umstehenden auszublenden. Tu so als ob du Scheuklappen hast, es interessiert dich nicht was sie denken! Sandaru spürte ihre Unruhe und nahm ihre Hand in die seine.

„Willst du umkehren?“, flüsterte er. Sheila schüttelte den Kopf und reckte das Kinn. Man brauchte sie nicht, also konnte sie gehen wohin immer sie auch wollte.

Sandaru drückte ihre Hand und Sheila war erneut froh, den Dämon an ihrer Seite zu haben.

Als sie die Reihen der Armee passiert hatten, atmete Sheila sichtlich auf. Sie hatte es geschafft, sie würde alles hinter sich lassen.

„Wenn wir hinter dem Hügel sind, werde ich dich tragen und wir fliegen.“ Sheila nickte und schritt etwas schneller voran. Sie wollte weg, bevor sie jemand aufhielt. Sheila wunderte sich, dass Konnomi es nicht versucht hatte, denn er hatte mit Sicherheit die Mittel und Wege gehabt, davon zu erfahren was sie vor hatte, schon als sie ihre Sachen gepackt hatte.

„Sheila!“

Sheila zuckte zusammen und klammerte sich fast an Sandarus Hand. Das diese Stimme sie wanken lassen würde, hatte sie nicht bedacht. Bleib stark, Sheila!

Kasuke jagte um sie herum und stellte sich ihr in den Weg. Seine Flanken bebten und er hechelte, jedoch blickten seine Augen vollkommen klar.

„Sheila, was tust du?“

Sandaru sah Sheila an und schien darauf zu warten, dass sie ihn bat, Kasuke fort zu jagen, doch sie wusste sie musste sich ihm stellen.

„Ich werde nach Hause gehen.“ Sie wunderte sich darüber, wie kindlich unsicher ihre Stimme wirkte.

„Das ist doch wohl ein Scherz. Und dieser Bastard an deiner Seite soll dich dorthin bringen?“

„Er kennt jemanden, der aus meiner Welt stammt. Er wird wissen, wie ich zurückkomme.“

„Was ist, wenn er dich reinlegt? Ich traue ihm nicht, Sheila.“

Sheila spürte aufkommende Tränen.

„So wie ihr mir nicht vertraut habt?“ Sie erwartete keine Antwort darauf, sondern schob sie an ihm vorbei. Kasuke verwandelte sich in einen Menschen und packte sie am Arm.

„Du wirst nicht gehen!“

Sandaru zog sein Schwert und wollte dazwischen gehen, doch Sheila schüttelte den Kopf.

„Ich werde gehen. Denn ich will es so. Das hier ist nämlich nicht mehr meine Geschichte!“

Kasuke steigerte sich in eine verzweifelte Wut. Seine kristallenen Augen sprühten Funken.

„Dies hier ist genau so lange deine Geschichte, solange hier jemand an dich glaubt. Wie erklärst du den Soldaten dein Verschwinden?“

Er hatte einen wunden Punkt getroffen. Sheila konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.

„Wie wäre es, wenn du es ihnen erklärst, oder Konomi. Der kann das sicher gut. Ach warte, nein ich habe eine Idee. Erweckt Celine zum Leben. Sie ist die Stärkere von uns beiden, sie macht das alles mit links.“

Sie wollte sich losreißen, doch Kasuke hielt sie fest.

„Du tust mir weh!“

„Ich werde nicht zulassen, dass du gehst. Nicht mit ihm.“

„Es geht immer nur um dich, um euch, nicht wahr? Ich hasse euch alle.“ Sie zerrte an ihrem Arm.

„Dann hass mich, meinetwegen. Damit beweist du nur, dass unsere Entscheidung richtig war.“

Jetzt reichte es. Sheila spürte die Wut heiß wie Lava in ihren Venen und es schoß, gleich einem Vulkan, mit einer Geschwindigkeit, die verkündete, dass es nur zu einem Ausbruch kommen konnte.

Mit einer Schnelligkeit, die niemand für möglich gehalten hätte, leuchtete Sheila einen Moment auf, nur um dieses Glühen an Kasuke weiter zu geben. Es gab einen Knall und Kasuke flog zurück, als hätte ihn der Faustschlag eines Riesen erwischt.

Sheila hörte Knochen brechen und ihr wurde schlecht. Was hatte sie getan? Sie schlug die Hände vor ihren Mund und sah erschrocken, dass Kasuke sich kaum bewegen konnte.

„Oh Gott.“ Sie wollte zu ihm, doch Sandaru hielt sie zurück.

„Sheila, wir müssen hier weg. Du gehörst nicht länger zu ihnen. Du hast einen ihrer Oberhäupter verletzt.“

Sheila sah auf und bemerkte, dass die Soldaten auf sie zu gerannt kamen.

„Komm, wir fliegen jetzt schon.“ Er nahm die vollkommen gelähmte Sheila auf die Arme.

„Ich kann….ich kann nicht gehen. Kasuke..er ist verletzt.“

„Sheila, du warst das. Du bist nicht länger ihre Zauberin. Jetzt bist du der Feind.“

Sheila verbarg ihr Gesicht an Sandarus Brust und schluchzte heftig.

Was hatte sie nur getan?

Am Rand bekam sie mit, wie der Wind anfing zu pfeifen und zu rasen. Dann erhob Sandaru sich in die Lüfte.

Escape

„Verdammt noch mal, lasst mich endlich aufstehen.“ Kasuke schlug der jungen Frau an seinem Bett die Schüssel mit Brühe aus der Hand, welche diese sofort aufsammelte und dann die Flucht ergriff.

Doch seine Wut richtete sich gegen Sekura, der bereits Stunden ausharrte, um Kasuke zu überwachen. Der Wolf richtete sich Gift und Galle spuckend auf, nur um mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder zusammen zu sacken. Seine rechte Schulter, drei Rippen und ein Oberschenkel waren gebrochen, abgesehen von den blauen Flecken und der Wut, die Sheila bei ihm zurückgelassen hatte.

„Du dämliches Katzenvieh, ich will aufstehen, verstanden!“

Sekura hob eine Augenbraue: „Dann tu es doch. Interessiert mich wirklich brennend, wie weit du kommst.“

Kasuke schlug mit dem gesunden Arm die Decke zurück und Sekura musste schlucken, als er den malträtierten Körper seines Freundes sah. Sein rechter Arm war an seinem Körper fixiert worden und seine Haut bedeckte viele Flecken in den unterschiedlichsten Schattierungen.

Er hatte beobachten können, wie Sheila Kasuke zurückgeworfen hatte, als wäre er eine Puppe und Sekura wusste noch, dass er es nicht hatte fassen können. Er wusste das Sheila in bestimmten Situationen zu Einigem fähig war, nicht aber, dass sie bewusst jemanden derart verletzte. Wäre Kasuke aus anderem Holz geschnitzt gewesen, wäre er womöglich nicht wieder aufgestanden.

Der Wolf setzte sich ächzend auf und als er endlich saß, standen ihm die Schweißperlen auf der Stirn. Kasuke konnte Sekura nichts vormachen. Er tat wütend, wollte diesen Windkanter verfolgen und töten, wie er es immer wieder betonte, doch der Panter wusste, dass Kasuke verzweifelt war. Er verspürte Schmerzen, die er mit körperlichen Schmerzen zu überdecken versuchte.

°Warum hast du ihm das angetan, Sheila?° Sekura musste sich derart beherrschen, nicht zu seinem Freund zu eilen und ihn zu unterstützen, dass er mit den Zähnen knirschte. Kasuke zog sich am Kopfteil des schweren Eichenbettes auf die Beine, stand nur auf seinem rechten Bein und keuchte heftig.

„Deine Wunden heilen vielleicht schnell, Bruder, aber nicht so schnell.“ Sekura ging auf Kasuke zu, der sich nur mühsam auf dem Bein hielt, dass ihm übrig geblieben war.

„Leg dich hin. Wir werden sie verfolgen, dass schwöre ich dir, aber erst wenn du wieder gehen kannst.“ Er legte dem Wolf seine Hand auf die gesunde Schulter und drückte ihn sanft auf das Bett zurück.

Kasuke wehrte sich nicht. Er konnte nicht mehr und das wusste er genauso gut wie Sekura. Blicklos starrte der Wolf ins Leere. Sekuras Herz schmerzte es den Freund so zu sehen.

„Wieso ist sie mit ihm gegangen, Sekura? Warum hat sie nichts gesagt? Sheila kennt ihn nicht einmal.“

Hilflos setzte der Panter sich auf das Bett.

„Ich wusste, dass wir einen Fehler gemacht haben, als wir sie von ihren Pflichten entbunden haben, aber ich hätte nie geglaubt, dass sie uns verlässt.“ Er suchte in Kasukes Augen nach Zustimmung, doch er reagierte nicht. Sein Blick war dunkel und leer.

„Kasuke?“

„Ich wäre ihr überall hin gefolgt.“, flüsterte er, „Aber das kann ich jetzt nicht mehr.“

Sekura runzelte die Stirn: „Was meinst du?“

Kasuke hob das Gesicht und sah Sekura an, doch er schien durch ihn hindurch zu schauen.

„Sie hat sich gegen uns entschieden. Sheila ist nun nicht mehr hier und wenn Sandaru der ist, der ich vermute, dann wird sie unser Feind sein.“
 

Sheila zog die Decke um die Schultern enger und starrte ins Feuer. Sandaru hatte sie nach einigen Stunden in einem Wäldchen, unweit der Kalten Berge, abgesetzt und dann etwas zu essen gesucht. Er war mit einem Rebhuhn zurückgekehrt, doch Sheila konnte nichts essen. Immer wieder hörte sie Kasukes Knochen Knacken und knirschen und hätte sie etwas im Magen gehabt, hätte sie gewürgt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen und zu hoffen, dass sie es vergaß. Aber sie konnte nicht.

„Sheila?“ Sandaru setzte sich neben sie und musterte ihr versteinertes Gesicht. „Du hast das nicht gewollt.“

„Was ändert es? Ich habe es getan.“ Sie bewegte ihre Lippen, doch ansonsten war alles an ihr erstarrt. Wieso veränderte sie sich so? Wann hatte dieser Wandel begonnen?

„Er wird es überstehen. Dämonen heilen sehr schnell. In einer Woche geht es ihm wieder gut.“

„Aber er wird nicht vergessen.“

Nun sah Sandaru ebenso in die Flammen.

„Nein, vermutlich nicht. Aber hat es einen von ihnen interessiert, ob du vergessen kannst?“

Sheila neigte leicht den Kopf.

„Was meinst du?“

„Ich kenne dich nicht lange, aber man erzählt sich überall im Land, dass du aus einer ganz anderen Welt kommst. Ich stell es mir furchtbar vor aus dem Leben gerissen zu werden um jemand anderes zu werden.“ Er legte ihr eine Hand auf den Arm.

„Haben sie dich jemals gefragt, ob es dir gut geht, ob du es überstehen kannst?“

Sheila versuchte sich an die letzten Monate zu erinnern, doch sie sah nur die vielen Momente, in denen sie über ihren Schatten hatte springen müssen. Ständig hatte sie versucht es allen recht zu machen.

„Das dachte ich mir.“, sagte Sandaru, als er ihren traurigen Gesichtsausdruck sah. „Und dann haben sie ganz einfach beschlossen, dir das Einzige zu nehmen, was dich aufrecht gehalten hat: den Glauben an dich selbst und ihr Vertrauen.“

War das eine Träne dort auf ihrer Wange? Es fühlte sich so komisch an.

„Und war es nicht Kasuke, der dir sein Vertrauen als Erster entzogen hat. Dort auf dem Berg.“ Mit einer Geste deutete er auf die Kalten Berge, die man über die Bäume aufragen sah.

Kasuke! Wieder eine Träne. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte, doch sie hatte nichts erwidern können und nun hatte sie ihn verletzt. Körperlich und mit Sicherheit auch innerlich. Was musste er nur von ihr denken.

„Liebes!“ Sandaru fasste ihr sanft ans Kinn und drehte ihr Gesicht zu seinem. Sachte wischte er ihr eine Träne weg.

„Sie haben dich glauben lassen, du seiest ihre Rettung und dann haben sie dich fallen, obwohl du ihnen alles geopfert hast.“ Er küsste eine weitere Träne weg. „Sie verdienen deine Tränen nicht.“

Sheila schluckte und nickte, dann starrte sie wieder in die Flammen.

Ein Zurück gab es nicht.
 

Müde fuhr Sekura sich über das Gesicht. Er hatte es geschafft, Kasuke Laudanum zu verabreichen, damit er schlief. Und er hatte seinem Freund gerade soviel gegeben, dass der Schlaf so tief war, dass er auch traumlos blieb.

Er stand auf dem Gang zur Bibliothek und sah auf die Ebene hinaus, so wie es Sheila so oft getan hatte. Was hatte sie nur gedacht, wenn sie hier gestanden hatte? Er wünschte, sie hätten Sheila mehr Beachtung geschenkt. Immer hatten sie in ihr die Zauberin, die Rettung gesehen, nie den Menschen der sie wirklich war. Eine junge Frau, die in etwas hinein geraten war, dass ihr Angst und Sorgen machte und das sie nicht verstand.

Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen und wünschte, er hätte die Zeit zurück drehen können.

„Wie geht es ihm?“

Sekura spürte einen Schauer durch seinen Körper schießen, den er jedoch sofort verbannte. Er richtete sich auf und warf einen flüchtigen Blick auf die weiße Wölfin, die in Menschengestalt vor ihm stand.

„Er schläft. Ich glaube jedoch, dass es nur seinen Körper, nicht sein Herz heilen wird.“

Mika stellte sich neben ihn, doch zwischen ihnen war mindestens Platz für zwei weitere Personen. Sie blickte über die Ebene und die Armee, schein sie jedoch nicht wahrzunehmen.

„Die Wölfe machen sich bereit, Sheila zu folgen.“

„Irrsinn!“, knurrte Sekura. „Sie ging freiwillig mit Sandaru.“

Er spürte Mikas himmelblaue Augen auf seinem Gesicht ruhen. Er wollte nicht, dass sie ihn so ansah, prüfend und wissend.

„Was ist?“ Seine Frage war bissig und abwehrend, doch Mika zuckte nicht mit der Wimper, sah ihn einfach nur an.

„Ich habe wirklich geglaubt, du würdest Sheila lieben, doch du grämst dich nicht nur wegen ihr. Es geht dir um Kasuke, nicht wahr?“

„Was weißt du schon, wen ich liebe oder nicht?“

Mika schürzte die Lippen und wandte sich ab. Er wollte nicht, dass sie ging. Was waren das nur für Gedanken.

„Du weißt es anscheinend auch nicht.“ Sie verwandelte sich in den Wolf und blickte sich noch einmal um. „Die Wölfe sind bereit.“

Als sie den Flur hinunter raste, versuchte Sekura das Bedürfnis zu unterdrücken, ihr hinterher zu laufen und sie zu schütteln. Natürlich liebte er Sheila nicht, nichts desto trotz litt er genauso. Sie war eine Freundin. Eine Gefährtin.

Er würde mit Konomi reden.
 

„Wo sind wir hier?“ Sheila sah sich unsicher um. Sandaru hatte sie nicht zu dem Ziegenpfad geführt, denn sie beim letzten Mal benutzt hatten um die Berge zu betreten. Sie hatten eine viel längere Route gewählt und nun standen sie vor einem kleinen Höhleneingang, kaum mehr als eine Nische, die wie eine Wunde im Felsen klaffte.

„Das ist die sicherste Möglichkeit, die Berge zu passieren, ohne die Drachen wütend zu machen.“ Sandaru befahl dem Wind still zu sein und entzündete eine Fackel, die versteckt hinter einem Felsen gelegen hatte.

„Woher weißt du davon?“

Sandaru zögerte kurz, dann versuchte er sich an einem fröhlichem Lächeln, dass ihm misslang.

„Ich gehörte zur feindlichen Armee. Schon vergessen?“

Sheilas Herz krampfte einen Augenblick, aber sie konnte den Grund nicht benennen. Irgendwie waren alle ihre Denkprozesse ausgefallen. Dann fiel ihr etwas ein: „So also schaffen es die kleineren Horden des Imperators auf die andere Seite.“ Sie ging einige Schritte auf den Eingang zu und sah sich um. Der Weg war ausgetreten und hier und da waren Spuren zu entdecken, Hufe, Stiefel und Klauen.

Sie legte eine Hand an die Höhlenwand und sah sich nach Sandaru um.

Wie kann es sein, dass die Drachen von der Höhle nicht wissen? Die Berge gehören ihnen.“

Sandaru musste schlucken, als er Sheila dort an der Wand stehen sah. Sein verräterisches Herz zeigte ihm jedes Grübchen in ihrem wunderschönen Gesicht und ihr schwarzes Harr, dass sie hochgesteckt hatte, glänzte im Schein der Flammen, genauso wie ihre unglaublichen Augen.

°Sandaru, diese Gefühle schwächen dich. Denk daran.“

Mit versteinertem Gesicht, dass Sheila ein Runzeln auf die Stirn zauberte, kam er auf sie zu hielt die Flamme auf Augenhöhe. Seine grünen Augen ließen Sheilas Herz höher schlagen. °Stumm kleines Herz. Nicht einen neuen Fehler begehen!°

„Es ist ihnen nicht wichtig, was in den kleinen Höhlen passiert. Sie haben über die Jahrhunderte die Weitsicht verloren.“

Damit ging er an ihr vorbei, voran in die Höhle. Sheila schauderte es. Sollte sie ihm folgen? Er sagte ihr nicht mehr, als das es einen Mann gab, der sie zurückbringen konnte. Wieso war sie überhaupt mitgegangen? Sheila wusste, sie hatte die Nerven verloren, dort in der Burg. Doch jemandem zu folgen, den sie kaum mehr als vier Tage kannte, war Irrsinn.

Die Wunde des Berges, mit seinem tief schwarzen Eingang ermahnte sie. Sie schien zu sagen, hüte dich vor dem was kommen mag.

Ihr Zögern blieb nicht unbemerkt.

„Was ist los? Möchtest du doch zu ihnen zurückkehren?“

Sandarus Augen funkelten so spöttisch, dass sie wieder diese Wut verspürte, die wie Feuer durch ihre Adern rann. Doch es drohte nicht hervorzukommen. Sheila schloss kurz die Augen, dann betrat sie die Höhle.
 

Sekura betrat den Garten, der scheinbar täglich an Glanz verlor. Er hatte den Blumen und Gräsern innerhalb der Burgmauern nie Beachtung geschenkt, doch eine Magd hatte ihm erzählt, dass Konomi täglich hierher kam und den Pflanzen beim Sterben zusah.

Er fand das Einhorn auf einer steinernen Bank. Sekura erinnerte sich daran, dass er einmal mit Sheila dort gesessen hatte.

Als Sekura sich neben Konomi setzte, hob dieser nicht einmal den Kopf. Der Panter spürte, dass Konomi auf irgendeine Art ebenso verging wie die Lilien zu seinen Füßen. Nur das hinderte ihn daran, dem alten Dämon Vorwürfe zu machen.

Eine Weile schwiegen sie und Sekura umfasste die ganze Traurigkeit, die diesen Garten bedeckte.

„Ich habe einen schweren Fehler begangen.“

Sekura sah das Einhorn an, als er dessen brüchige Stimme vernahm. Konomi hatte sich immer noch nicht geregt.

„Ich hatte geglaubt, dass ich das Richtige tue, wenn ich Sheila aufgebe. Dass sie in Sicherheit wäre und nun hat sie sich gegen uns entschieden. Sie ist geradewegs in die Fänge des Feindes geraten.“

Sekura hob die Augenbrauen.

„Was meinst du?“

„Ich kenne den Windkanter. Er hat einmal gegen uns gekämpft. Ihr jungen Dämonen könnt euch vielleicht nicht erinnern, doch ich kenne jedes Gesicht unseres Feindes.“

Empört sprang der Panter auf.

„Wenn du wusstest, wer er ist, wieso hast du ihn unter uns weilen lassen? Warum hast du ihn nicht getötet.“

„Ich habe geglaubt, dass er nur ein Spitzel sei. Ich hoffte er würde dem Imperator sagen, dass Sheila nicht mehr für uns kämpfen würde. Ich hoffte, sie würden uns dann unterschätzen und Sheila vergessen.“

„Du Narr!“, fauchte Sekura. „ Du hast mit Sheilas Leben und Gefühlen gespielt.“

Konomi schloss die Augen. Pferde konnten nicht weinen, war das nicht so? Schließlich war ein Einhorn auch ein Pferd. Doch Konomi weinte und Sekura sah in ihm zum ersten Mal das sterbliche Geschöpf, dass er war.

„Ich werde ihnen mich anbieten. Ich glaube nicht, dass Sheila weiß, wen sie da bei sich hat. Der Imperator wird sich freuen, einen der letzten großen Dämonen zu töten.“

Konomi stand auf und wollte gehen, doch Sekura versperrte den Weg.

„Oh nein, jetzt ist Schluss mit diesem Unsinn.“ Sekura fixierte Konomi und von einem Augenblick auf den anderen wusste er, es gab nur wenige Möglichkeiten, die Geschichte zu retten.

„Du wirst die Armee versammeln und aufrüsten. Sie haben zu lange geruht.“ Sekura sah zu den Burgmauern. „Kasuke und ich werden mit einigen Soldaten Sheila folgen. Du führst die Armee zum Fuße der Kalten Berge. Dort warte auf uns.“

Er wandte sich um und schritt auf den Ausgang des Gartens zu. Kurz bevor er ihn verließ, sah er sich noch einmal nach Konomi um. „Egal was passiert, wir werden nicht kampflos sterben, hörst du?“ Dann ging er.
 

Stimmen rissen Sheila aus dem Schlaf. Sie war einige Stunden dem Licht gefolgt, das von Sandarus Fackel ausging ohne zu wissen ob es Tag oder Nacht war. Irgendwann hatte sie nicht mehr gekonnt. Wut hatte sie aufrecht gehalten und erst als sie ins Straucheln kam, hatte Sandaru sie dazu überreden können, sich schlafen zu legen.

Warum war sie wütend? Das war eine sehr gute Frage. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie einfach so gegangen war. Doch sie hasste auch die anderen, die Dämonen, von denen

sie gedacht hatte, sie wären ihre Freunde.

Hass! Wann hatte sie gelernt zu hassen? Was machte diese Welt aus ihr? Wieder ertönten Stimmen und Sheila blickte sich um. Sandaru hatte die Fackel entweder gelöscht oder er war fort und hatte sie mitgenommen, aber sie konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Sie rappelte sich auf, immer den Kopf eingezogen, da sie nicht ausmachen konnte, wann der nächste Vorsprung kam, und folgte den Stimmen, die zwar leise aber unüberhörbar waren. Nach wenigen Augenblicken konnte sie auch einen Lichtschein ausmachen. Sandaru war wirklich mit der Fackel weg gegangen.

Ihre Instinkte kehrten unerwartet zurück und vorsichtig näherte sie sich den Stimmen und dem Licht.

Sandaru war der Erste, den sie erkannte. Er hatte die Fackel in eine Halterung gesteckt, die scheinbar irgendwann dort angebracht worden war und lehnte an einen halbhohen Felsen und sah zu einer kleinen Gestalt hinauf, die kopfüber von der Decke hing.

Eine Fledermaus! Sheila musterte das kleine Tier interessiert. Von Nahem hatte sie noch nie eine gesehen, war ja schließlich nicht das übliche Haustier.

Sie wollte näher schleichen, als sie ein dünnes Stimmchen vernahm, dass eindeutig von dem Besucher kam. Sheila duckte sich hinter den Felsen und lauschte ungläubig.

„Wie lange wirst du sie noch im Glauben lassen, dass du ihr helfen willst?“

Sandaru schien genervt.

„Bis wir bei ihm angekommen sind. Ihr habt euch nicht einzumischen.“

Die Fledermaus flatterte aufgeregt.

„Der Herr zweifelte zwischenzeitlich an deiner Treue, Windkanter. Ich hoffe es hat sich daran nichts geändert.“

Sandaru packte sich den Flattermann und hielt in sich gefährlich nah ans Gesicht.

„Pass auf was du sagst, Dares. Die Kleine vertraut mir und das wird dem Imperator nur zu Gute kommen. Also wag es nicht an mir zu zweifeln.“

Der kleine Dämon hustete und erwiderte etwas, doch Sheila konnte es nicht mehr hören. Panisch lief sie zu ihrem Schlafplatz zurück, den sie fast übersehen hätte, doch sie fiel über Lumidor.

Wieso! Wieso war sie nur so dumm. So unendlich dumm.

Verzweifelt klaubte sie einige Dinge zusammen und sackte dann verzweifelt zusammen. Wie sollte sie nur hinaus finden? Es war so finster, sie würde sich verlaufen.

°Das ist deine Strafe. Du wirst hier umkommen, weil du so dumm warst zu vertrauen.° Sheila schluchzte laut auf. Kasuke! Wie konnte ich dir das nur antun? Was ist nur aus mir geworden.

Durch ihre Schluchzer hindurch hörte sie die Stimme erst nicht, doch als ein Lichtstreifen auf ihr Gesicht fiel fuhr sie erschrocken herum. Lumidor lag noch immer dort, wo sie über es gestolpert war. Doch es leuchtete.

„Sheila!“

Erschrocken wich Sheila zurück. Das Schwert sprach zu ihr.

„Sheila, nimm mich in die Hand.“

Zögernd griff Sheila nach ihrem Schwert. War das nicht die Stimme von Celine? Sie zog die Schwertscheide von der Klinge und ein mondblaues Licht erhellte die Höhle.

„Flieh.“, vernahm sie die Stimme und Sheila raffte sich auf und rannte.
 

„Mika?“

Die Wölfin schrak aus dem Schlaf und sah sich um. Sie hatte als Tier geschlafen, deshalb erfassten ihre Augen sofort den menschlichen Umriss an ihrer Seite. Die Stimme hätte sie unter hunderten erkannt.

Sie richtete sich auf und schüttelte sich.

„Sekura!“

Er ließ sich neben sie sinken und sah in den Schein des Feuers, dass einige Schritte weiter brannte. Die Welpen hatten sich dort versammelt und schliefen aneinander geschmiegt.

„Wir werden Sheila folgen.“

„Wann?“ Er hatte erwartet, dass sie Bedenken oder Ähnliches äußerte, doch sie war genauso bereit, wie sie angekündigt hatte. Sekura verbannte das Gefühl der Bewunderung und biss die Zähen aufeinander.

„Ich möchte Kasuke an meiner Seite haben. Er würde es uns nicht verzeihen, wenn wir ihn zurückließen.“

Die Wölfin sah gedankenverloren zu den Welpen und ihre weißen, bauschigen Ohren zuckten. „Er muss sich verwandeln, als Wolf heilt er schneller.“

„Ich glaube die Verwandlung ist zu schmerzhaft für ihn.“

„Für Sheila würde er es tun!“

Es schwang keinerlei Bitterkeit in ihrer Stimme mit. Hatte sie ihn etwa überwunden? Sekura hatte immer gedacht, dass sie ihren Anführer vergötterte. Mika bemerkte seinen Blick und deutete ihn richtig. Sie lachte und es hörte sich wie ein Bellen an.

„Diese Zeiten sind schon lange vorbei. Ich liebe Sheila wie eine Schwester. Ich würde sie um nichts beneiden.“ Sie sah ihn an und es schauderte ihn. „Naja um fast nichts, aber ich lag ja falsch, nicht wahr?“

Ihre Augen so wissend, so unglaublich intensiv. Irrte er sich oder war das gerade eine Anspielung auf ihn gewesen? Konnte das sein?

„Was meinst du?“

Mika schüttelte den Kopf und stand auf, sie machte sich auf den Weg zu den Welpen. Wahrscheinlich machte sie das mehrmals die Nacht um nach dem Rechten zu sehen.

„Mika, verdammt!“

Sie sah sich um.

Was oll ich dir sagen, was du nicht selber bereit bist zuzugeben?“

Damit setzte sie ihre Runde fort.
 

Ihr Atem war kaum mehr als ein Keuchen, als sie wieder unter dem Sternenhimmel stand. Wie froh sie war, die Höhlen hinter sich gelassen zu haben. Doch sie durfte nicht ausruhen. Dazu hatte sie keine Zeit, denn Sandaru hatte ihr Fehlen mit Sicherheit bereits bemerkt und ihre Spuren waren mit Sicherheit sehr deutlich, auch für einen Dämonen der nicht tierisch war.

Sie erblickte die Ebene vor sich und wusste fast augenblicklich, dass sie keine Chance hatte. Der Windkanter würde sie auf der Hälfte der Strecke einholen.

Denk nach! Die Armee war so weit fort, sie war auf sich alleine gestellt. Sehnsuchtsvoll dachte sie an die einzelnen Dämonen. An Kasuke am meisten, aber doch auch an Konomi und Periphae und…. Periphae!

Sheila wühlte in einer Tasche und hielt plötzlich die Flöte in der Hand, die die Adlerfrau ihr vor einiger Zeit gegeben hatte. „Damit steht das Volk der Fogal dir immer zu Diensten, solltest du Hilfe brauchen.“ Bei dem Gedanken an den Adler schwammen ihre Augen wieder in Tränen. Sie hatte nicht einmal die weise Periphae um Rat gefragt, bevor sie geflohen war.

Sheila lief los und schloss währenddessen die Lippen um die Flöte. Ein hoher, durchdringender Ton entstand und verschwand mit seinem Echo in der Dunkelheit. Wieder blies sie hinein, dann verschwan die Flöte wieder in ihrer Tasche und sie rannte weiter. Als der Wind zusehends zunahm wusste sie, Sandaru war nicht mehr weit. Oh lieber Gott, lass die Fogal schneller sein.
 

Wenige Augenblicke nachdem die Fogal im Lager Alarm geschlagen hatten, erschienen Mika und Sekura bei Periphae. Sie war erneut über eine Karte gebeugt, doch sie hatte die Augen geschlossen.

„Was ist geschehen?“ Ungeduldig kam Sekura auf Periphae zu und blickte auf die Karte. Die Adlerfrau hatte eine befederte Hand auf einer Stelle der Karte liegen, die Augen noch immer geschlossen und fuhr immer wieder über ein und dieselbe Zeichnung.

Mika sah Sekura über die Schulter: „Die Ebene der Kalten Berge!“, flüsterte sie.

„Was hat das mit sich auf sich, Alte?“ Periphae öffnete erbost die Augen, doch sie verkniff sich ein Kommentar. Es war keine Zeit für Diskussionen.

„Sheila hat soeben die Fogal um Hilfe gerufen.“

„Und worauf warten wir?“ Sekura wollte sich abwenden, doch Periphaes schrille Stimme hielt ihn zurück.

„Sie ist zu weit fort. Ich habe Patrouillen hingeschickt und die Schwärme, die in der Nähe der Kalten Berge sind werden ihr zur Hilfe eilen. Wir werden es aber nicht schaffen.“

Mika knurrte.

„Sollen wir etwa hier warten?“

„Das ist das Einzige was wir tun können. Ich bin geistig mit meinen Soldaten verbunden. Sie werden uns berichten.“

Sekura rastete aus.

„Ich habe es satt!“ Er trat einen Stuhl um. „Ich kann nicht abwarten. Was ist wenn sie stirbt und wir haben nichts getan!“

Periphae sah in ruhig in die gelben Augen. „Ihr habt bisher auch nur abgewartet. Jetzt müsst ihr es!“

Damit schloss sie wieder die Augen und lauschte auf ihre Patrouillen.
 

Der Wind zerrte an ihr und der Sand flog ihr in die Augen.

Nur noch wenige Augenblicke, dann hatte er sie. Sheila wagte nicht, sich umzusehen. Sie wusste, dann würde sie aufgeben. Die Wälder waren nicht weit, nur noch wenige Meter. Sie musste es schaffen.

So nah, sie waren so nah.

Plötzlich packte sie etwas an ihren Haaren und sie wurde zurückgeschleudert. Sie schrie auf und schlug hart gegen eine kleine Felsformation. Sheila schmeckte Blut und ihre Arme, wie auch ihr Rücken brannten wie Feuer. Sie richtete sich auf. Der Sand hatte mittlerweile eine solche Geschwindigkeit angenommen, dass er schmerzhaft auf ihre Haut niederprasselte.

„Du musst es schaffen!“ Sheila stand auf. Blut lief ihr aus einem Mundwinkel, doch sie wischte es unachtsam fort. Die Bäume, die würden ihr Schutz bieten. Sandaru war nichts ohne seinen Wind und Sand. Dort konnte sie kämpfen.

Ein Schlag, wie von einer Faust landete in ihrer Magengrube und Sheila sackte zusammen. Nein, sie musste auf die Beine kommen. Ein weiterer Schlag traf ihr Gesicht. Steine prasselten auf sie nieder. Einer trag sie an der linken Schläfe und Blut floss in Sheilas Auge. Oh Gott, was passierte hier nur. Wieder versuchte sie zum Stehen zu kommen. Der Wind flaute ab und sie hätte fast erleichtert aufgestöhnt. Die Bäume! Sie waren nicht weit. Dort musste sie hin. Sie strauchelte und fiel.

Ein starker Arm bremste den Sturz ab, doch er riss sie gleichsam brutal in die Höhe.

„Das war ein Fehler, Sheila.“ Sheila schluchzte laut auf, als sie die kalte Stimme von Sandaru vernahm.

„Wärst du nicht geflohen, hätte ich dir das Alles erspart. Ich wollte dir nicht wehtun.“

Da war sie wieder die Wut. Diesmal würde sie den Richtigen treffen. Feuer übermannte sie und lechzte danach, sich zu entladen.

„Oh nein!“ Er schlug sie ins Gesicht, so hart, dass sie fast ohnmächtig geworden wäre. Das Feuer verebbte. Nein, nein, oh bitte nein. Wieso verließ es sie?

Sandaru hielt sie noch immer in seinen Armen. Er brachte sein Gesicht so nah an ihres, dass sie seinen warmen Atem auf der Haut spürte.

„Ich will dir nicht wehtun, Sheila. Bitte wehr dich nicht.“ Er küsste sie auf die Wange und Sheila wandte sich von ihm ab.

„Ich habe…dir vertraut.“ Das Blut von der Schläfe lief ihr in den Mund und ließ sie würgen.

Sandaru legte sich sachte auf den Boden und zückte ein Tuch, um ihr das Blut aus Auge und Mund zu wischen.

„Ich werde aufpassen. Der Imperator wird dir kein Leid zufügen. Er wird dich nach Hause bringen. So wie ich es dir versprochen habe.“

Eine Träne vermischte sich mit Sheilas Blut. Es war ihr egal ob er es sah.

„Du bist ein Verräter. Ich wünschte, mein Pfeil hätte dich getroffen. Ich wünschte, ich wäre nicht so dumm gewesen in dir jemanden zu sehen, der du nicht bist.“

Herzzerreißende Schluchzer übermannten sie. Sie weinte nicht um sich, sie weinte um die Dinge, die sie getan hatte in ihrer Blindheit. In ihrem unendlich dummen Vertrauen.

„Töte mich. Es macht keinen Unterschied.“

Von jetzt auf gleich schien alles Leben in ihr zu erlischen. Sandaru wollte das Herz zerreißen.

„Sag das nicht. Sheila! Bitte sieh mich an.“ Sie reagierte nicht.

„Sheila, ich werde dir nicht weh tun. Ich….du bist mir wichtig.“ War es das was er fühlte? Die Worte passten irgendwie nicht. Wieder strich er ihr über die Wange, küsste sie, doch sie reagierte nicht.

Plötzlich vernahm er ein fürchterliches Kreischen und etwas packte ihn am Rücken, fuhr die Krallen in sein Fleisch und schleuderte ihn fort. Fort von Sheila!

Sheila wandte den Kopf und sah zwei gigantische Vögel. Einer davon war ein Adler, doch sie kannte ihn nicht. Das war jedoch egal. Sie waren gekommen.

„Das war ein Fehler!“

Sheila vernahm Sandarus wütende Stimme. Sie sah sich um. Der Adler hatte ihn bestimmt fünfzig Meter weit geworfen. Über Sheila legte sich ein Schatten und ein ziemlich hässlicher aber sehr großer Vogel landete neben ihr. Sie wusste nicht welcher Art er angehörte, aber das war ihr in diesem Augenblick auch egal.

„Setzt Euch auf meinen Rücken, Herrin.“

Stöhnend richtete Sheila sich auf. Sie hielt sich gerade an einem Flügel fest, als sie einen unmenschlichen Schrei vernahm. Der Fogal und Sheila sahen auf.

Oh Gott, was war das. Nicht nur Sandaru beschwor den Wind, hinter ihm erschien eine Front aus Sand, Wind und Geröll und bewegte sich rasend schnell auf sie zu.

„Herrin schnell. Wir müssen fort.“

Sheila nahm ihre ganze Kraft zusammen. Die Angst versuchte sie zu lähmen, doch wieder überwand sie sie. Sheila klammerte sich an dem Hals des Vogels fest und steckte ihr Beine unter die Flügel. Der Fogal.

Sheila sah auf Sandaru hinab und sah, dass er lächelte. Ein böses, siegessicheres Lächeln. Sheila schauderte.

Der Adler schrie und der Fogal, der sie trug antwortete.

Dann ging alles viel zu schnell. Eine Welle von immenser Kraft, bestehend aus Wind und Steinen rollte über sie und erfasste sie, als wären sie nur Spielzeug. Der Wind pfiff so laut, dass sie den Schmerzensschrei des Vogels nicht hören konnte. Sie spürte nur einen Ruck und dann kam die Erde unaufhaltsam näher.

Als sie durch die Bäume fielen, wurde es schwarz um Sheila!

High Hopes

Periphae schrie laut auf und vergrub dann ihr Gesicht in ihre federbesetzten Hände. Mika und Sekura sahen einander an und beide waren so bleich wie die Zeltwände. Keine wagte es die Frage zu stellen, deren Antwort sie fürchteten.

Die Plane des Eingangs wurde aufgerissen und Piper kam ins Zelt geeilt. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie sah mehr denn je aus wie ein Vogel, der aufgeschreckt sein Gefieder sträubte.

„Mutter, sie sind gestürzt!“

Mika jaulte auf und vergrub ihr Gesicht an Sekuras Schulter, der wie in Trance einen Arm um sie legte. Periphae sah auf und nickte langsam.

„Sie sind gestürzt, der Windkanter war zu stark.“, sie schluckte und sah dann Sekura an. „Ich kann euch nicht sagen ob sie überlebt hat, aber es sind noch andere Patrouillen unterwegs. Alle Fogal haben den Sturz gespürt, sie werden eingreifen.“

Ihre Stimme war von einer Zuversicht, die ihre Augen nicht erreichte. Mika löste sich von dem Panter: „Wir müssen doch etwas tun können?“

Sekura schüttelte den Kopf: „ Selbst wenn wir jetzt loseilen, vor Morgen sind wir nicht da.“, er wandte sich an die beiden Fogal, „Wie lange dauert es bis die ersten Patrouillen am Ort des Geschehens sind?“

Piper schloss die Augen, ihre Mutter stand noch immer wie gelähmt vor dem Tisch und starrte auf die Karte.

„Wenige Minuten. Sie sind alarmiert und auf alles gefasst.“

Der Panter nickte und sah Mika in die Augen: „Wir können nur hoffen, dass Sheila dann nicht mehr dort ist, denn solange der Windkanter sie hat, lebt sie und wurde nicht beim Sturz zerschmettert.“

Mika lief eine Träne über das Gesicht.
 

Es war so dunkel um sie herum, dass Sheila glaubte zu wissen, dass sie tot war. Sie hatte zwar immer geglaubt, dass ein weißes Licht sie locken und ihre Mutter sie erwarten würde, aber tiefe Schwärze war auch nicht zu verachten. Sie war einfach nur müde, sie wollte schlafen, für immer und einfach vergessen.

Dann jedoch holte Sheila der Schmerz wieder ein. Nein, das konnte nicht der Tod sein, außer sie war dafür in die Hölle gekommen, dass sie jemanden, den sie liebte verletzt hatte.

Die Schmerzen breiteten sich von ihrem Kopf über ihr Rückgrat auf den ganzen Körper aus und sandten Wellen bis in die Fingerspitzen. Es gab nichts, was ihr nicht wehtat.

Dann erinnerte sie sich an den Sturm und den Sturz des Fogals. Sie stöhnte und versuchte sich an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu kämpfen, was nicht einfach war. Ihr Verstand wollte ihr die Gnädigkeit der Ohnmacht bewahren, ihr Herz jedoch begehrte wieder einmal auf. Sie musste wissen, was mit dem Fogal geschehen war.

Ihr entfuhr ein Stöhnen, dass in ihren Ohren klingelte, und sie wusste, sie war kurz davor, die Oberfläche zu erreichen.

Eine warme Hand fuhr ihr über die Stirn und sie vernahm eine dunkle Stimme.

Kasuke? Konnte das sein?

Ein Schmerz durchfuhr sie, der nichts mit ihrem Körperzustand zu tun hatte, sondern ihrem Herzen entstammt. Nein, Kasuke würde nicht kommen. Sie hatte ihm weh getan, ihn verraten für Etwas, vor dem er sie hatte warnen, retten wollen.

Wieder vernahm sie die Stimme und erkannte, dass man ihren Namen rief.

Sheila zwang sich, die Augen zu öffnen.

„Sheila?“

Alles um sie herum war verschwommen, der Himmel über ihr war grau und sie roch Schwefel, doch das Gesicht neben sich konnte sie nicht ausmachen.

„Sheila, sieh mich an! Wie geht es dir?“

Diese Stimme! Sheila versuchte sich ruckartig aufzusetzen und als der Mann an ihrer Seite versuchte, sie zurück zu halten, schlug sie um sich.

„Du Mistkerl!“ Sie spürte Tränen auf ihren Wangen, doch ihre Augen hatten noch immer Schwierigkeiten. Anscheinend hatte sie ihr Kopf etwas abbekommen. Sie schlug erneut nach Sandaru und wollte aufstehen, dann jedoch durchzuckte sie ein Schmerz, der sie aus dem Gleichgewicht brachte und Übelkeit verursachte.

Sandaru fasste sie um die Schultern und hielt sie fest.

„Sheila, bitte! Mach es nicht noch schlimmer.“

Sheila schrie wütend auf und schlug ihm mit letzter Kraft ins Gesicht. Durch die Schemen konnte sie sehen, dass sein Gesicht mit dem Schlag herumfuhr.

„Nicht schlimmer?“, sich lachte bitter auf, dann übermannte sie der Schwindel und sie war erneut einer Ohnmacht nahe. Trotz des Schlages hielt Sandaru sie sanft und bettete sie in seinen Armen.

„Du hast dir beim Sturz nur eine Rippe und den rechten Oberarm gebrochen. Der Rest sind Prellungen, die sicher sehr schmerzhaft sind. Ich werde dir ein Schmerzmittel verabreichen, sobald wir im Lager angekommen sind.“, seine Stimme war belegt und doch recht neutral. „Ich denke auch, dass du dir den Kopf angeschlagen hast, doch du blutest nicht.“

Sheila blinzelte und bemerkte, dass die Sicht langsam wieder zunahm. Sie erkannte Sandarus Gesicht und musste feststellen, wie grau seine Gesichtsfarbe war. Doch es war ihr egal, was mit ihm war.

„Wie geht es dem Fogal?“, sie kämpfte mit den Tränen, doch sah dem Windkanter unentwegt ins Gesicht. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten und sah stattdessen zu Boden.

„Beide lebten noch, als ich mit dir floh. Die nächsten Dämonen waren im Anmarsch, sie werden ihnen geholfen haben.“

Sheila sah weg und versuchte ihn auszublenden. Die Enttäuschung und Wut nagte an ihr und sie wünschte, sie hätte die Kraft gehabt ihn zu verletzen. Doch sie spürte die Macht nicht mehr.
 

Sekura schluckte und drückte langsam die Klinke zu Kasukes Zimmer herunter. Er wagte es nicht, seinem Freund Bericht zu erstatten, aber er konnte es ihm nicht vorenthalten.

Er schob die Tür auf und blieb überrascht stehen, als er Kasuke in Menschengestalt am Fenster stehen sah.

„Du solltest doch Tier bleiben, umso schneller wirst du gesund.“

Kasuke fuhr herum und Sekura musste schlucken. Nicht die Blutergüsse und Wunden erschreckten ihn. Kasukes Gesicht war bleich und verzweifelt und sein ganzer Körper zitterte voller kaltem Schweiß.

„Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich weiß, dass etwas geschehen ist und als Wolf war es so laut, so deutlich und ich konnte es nicht erfassen.“ Er tat einen humpelnden Schritt auf Sekura zu. „Du bist gekommen, um mir davon zu berichten, nicht wahr?“

Sekura zögerte. Wie würde Kasuke auf die Neuigkeiten reagieren? Der Wolf strauchelte und fiel dem Panter buchstäblich in die Arme. Er krallte sich an dessen Armen fest und suchte den Blick seines Freundes.

„Sekura, bitte!“

Der Panter sah Kasuke an und fragte sich, wann sein Freund begonnen hatte, sich so zu verändern. Er war kalt und einsam gewesen und nun stand er hier, nicht mehr ganz Herr seiner Sinne und das für einen Menschen. Er hatte immer eine Schwäche für diese Rasse gehabt, doch nichts hatte ihn so aus der Ruhe bringen können, nicht einmal Celines Tod. Damals hatte er sich zurückgezogen, war unnahbar geworden. Sekura hatte ihn nie so aufgelöst erlebt.

Er schob den Wolf sanft zu seinem Bett und half ihm, sich darauf nieder zu lassen. Man sah ihm an, dass nicht nur seine Angst ihm zu schaffen machte. Sein Körper war nicht stark genug. Er brauchte alle Energie zum Regenerieren.

„Sheila hat vor etwa einer Stunde die Fogal um Hilfe gerufen.“

Kasuke richtete sich auf, seine Augen leuchteten.

„Das ist doch gut, oder nicht?“

Sekura verzog kaum merklich das Gesicht, doch Kasuke verstummte augenblicklich.

„Die Fogal konnten sie in der Ebene vor den Kalten Bergen finden. Sie war auf der Flucht vor dem Windkanter und er war ihr direkt auf den Fersen. Einer der Fogal konnte sich mit ihr noch in die Lüfte erheben, doch der Windkanter war zu schnell.“

Kasukes Gesichtsfarbe wurde so weiß wie die getünchten Wände und Sekura wusste, er musste jetzt schnell fortfahren, bevor Kasuke abschaltete.

„Sie sind abgestürzt. Zwei weitere Patrouillen kamen kurze Zeit später dazu und fanden die schwer verletzten Fogal, doch von Sheila fehlt jede Spur. Wir gehen davon aus, dass sie lebt und Sandaru sie auf die andere Seite der Berge gebracht hat, damit sie nicht mehr in unserer Reichweite ist.“

Kasuke sackte wortwörtlich zusammen. Leer starrte er vor sich hin.

Besorgt musterte Sekura seinen Freund und wusste nicht, was er sagen sollte. Er selber machte sich auch große Sorgen, doch den Schmerz des Wolfes konnte er nicht erfassen. Es fehlte ihm an Erfahrung in diesem Gefühl, dass sich Liebe nannte.

„Wie könnt ihr euch sicher sein, dass sie lebt?“

„Wie können wir vergessen zu hoffen? Kasuke!“ , er lehnte sich nach vorne um dem Wolf direkt in die Augen zu sehen. „Wenn sie tot wäre, was hätte sie noch für einen Nutzen für ihn gehabt. Er wird sie mitgenommen haben, da er sie dem Imperator bringen soll. Ich bin fest davon überzeugt.“

Kasuke sah auf, doch die Hoffnung, die der Panter hatte, sah man nicht in seinen Augen.

„Was werden wir tun?“, seine Stimme war schwach und leise.

„Ich habe die Armee alarmiert. Wir rüsten auf und werden uns bald auf den Weg zu den Bergen machen und lassen es auf eine Schlacht ankommen, wenn sie nicht bereit sind, Sheila frei zu lassen.“

„Wenn sie dann noch lebt!“

Sekura umfasste mit beiden Händen das Gesicht seines Freundes.

„Das wird sie. Ich glaube nicht, dass Sandaru zulässt, dass ihr etwas geschieht. Vertrau mir!“

Kasukes Augen leuchteten wütend bei dem Namen des Windkanters.

„Gib mir zwei Tage, dann kann ich reisen.“

Sekura nickte und wusste, wenn Kasuke das sagte, dann war dem auch so.
 

Sie befanden sich in so einer Art Moor, das fürchterlich nach Schwefel stank und Sheila minütlich den Atem raubte. Sandaru versuchte immer wieder, ein Gespräch in Gang zu setzen, doch sie wich ihm aus und ignorierte ihn. Sie aß nichts aus seiner Hand und sie trank nicht, wenn er ihr Wasser reichte.

Ja, es war vielleicht eine trotzige Art, aber das Leben hatte seinen Sinn für sie verloren und sie hasste diesen Mann, dem sie einmal so bedingungslos und naiv getraut hatte.

Irgendwann setzte er sich neben sie und sagte zunächst kein Wort. Sheila lag auf dem Rücken und hatte schon genug Mühe mit der gebrochenen Rippe zu atmen. Sie hatte gar nicht die Kraft, sich mit dem Windkanter auseinander zu setzen.

„Ich muss den Arm richten, Sheila.“

Wieder blinzelte Sheila nicht einmal. Ihren Arm versuchte sie zu ignorieren. Er stand in einem unnatürlichen Winkel ab und sandte Schmerzwellen durch ihren Körper. Doch sie sah die Schmerzen als Bestrafung und Läuterung zugleich. Sie hatte Schmerzen zugefügt, sie würde welche empfangen.

Er strich ihr mit der Hand sacht über die Wange. Die Berührung wirkte wie ein Stromschlag, den sie mit einem winzigen Stoß ihrer noch vorhandenen Macht beantwortete. Als hätte er sich verbrannt, zuckte Sandaru zurück und schüttelte die Hand. Doch er sagte nichts.

Irgendwann seufzte er laut und nahm ihren Arm in seine Hände. Sheila sehnte sich danach und fürchtete den Schmerz gleichermaßen, doch sie wehrte sich nicht. Sie sah nicht, was Sandaru tat, doch plötzlich hörte sie es knirschen und der Schmerz katapultierte sie an die Grenze des Bewusstseins. Sie schrie laut auf, um gleichzeitig in sich zusammen zu sacken.

In ihrem Dämmerzustand bekam sie mit, dass er ihren Arm an ihrem Körper fixierte und dann ging. Wohin konnte Sheila nicht sagen, es war ihr auch egal. Es hätte sie nicht einmal interessiert, wenn er sie hier alleine gelassen hätte.

Nach einiger Zeit übermannte sie doch der erholsame, alles vergessende Schlaf und Sheila gab sich ihm ganz hin.
 

Ihre Träume waren wirr und Bilder der letzten Wochen flogen nur so an ihr vorbei, ohne das Sheila sie hätte erfassen können. Sie sah die Rudel der Wölfe im Berg, Fry, wie sie die Welpen und Jungwölfe unterrichtete, die Armee und Kasuke. Sein Bild ließ sie nicht los. Sie hatte Erinnerungen der verschiedensten Art an ihn. Sein ernstes, unnahbares Gesicht, die Leidenschaft, die in ihm wuchs und den Schmerz, den sie ihm zugefügt hatte.

Irgendwann fand sie sich auf einem dunklen Weg wieder, ohne Anfang und ohne Ziel und es verfolgte sie das Gefühl, dass etwas hinter ihr war, auf sie lauerte. Sie lief, rannte und spürte, wie sie die Angst packte. Doch entkommen konnte sie nicht.

Stöhnend fuhr Sheila hoch, nur um im selben Moment wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück zu sinken. Sie versuchte die Umgebung zu erfassen und musste erkennen, dass sie nicht mehr in den Mooren waren.

Ungläubig griff sie nach der Decke, die über ihr ausgebreitet war.

Sheila sah zur Decke und an die Wände. So wie das aussah, befand sie sich in einem sehr großen Zelt mit schwarzen Zeltbahnen, ausgestattet mit einer weichen Pritsche, Fellen auf dem Boden und einem Tisch mit Stühlen. Sie versuchte sich mit dem gesunden Arm hoch zuschieben, damit sie zum Sitzen kam. Das erwies sich als schwieriger, als gedacht, denn ihre Rippe machte ihr einige Schwierigkeiten. Der rechte Arm war frisch verbunden und fachmännisch am Oberkörper fixiert und man hatte ihr scheinbar etwas gegen die Schmerzen gegeben, denn sie fühlte sich nicht mehr ganz so schlecht.

Unschlüssig sah sie sich wieder im Zelt um und lauschte auf die Geräusche um das Zelt herum. Sheila vernahm Stimmengemurmel und Klirren von Metall auf Metall. Aber alles schien gedämpft und weit entfernt. Vorsichtig schob sie ihre Beine über die Kante der Pritsche und versuchte, zum ersten Mal seit dem Sturz, auf eigene Füßen zu stehen.

Ihre Beine protestierten und fühlten sich wie Gummi an, doch sie ließ sich Zeit und es gestaltete sich nicht als unmöglich. Sheila wollte gerade ganz aufstehen, als jemand stützend einen Arm um sie legte und ihr aufhalf. Fast wäre sie vor Schreck gestürzt, aber die andere Person hielt sie fest.

Sie sah auf und blickte in Sandarus Gesicht. Die Wut kam so schnell zurück, wie sie sie verlassen hatte und sie kniff die Augen zusammen.

°Bitte, Celine, gib mir die Kraft ihn zu verletzen!°

Der Windkanter erkannte ihre Absichten und versetzte ihr einen leichten, aber äußerst schmerzhaften Hieb gegen die Rippen. Sheila war, als hätte man ihr alle Luft auf einmal geraubt.

„Unterschätz mich nicht, Sheila, ich habe mit mächtigeren Dämonen zu tun gehabt, als du dir vorstellen kannst.“

Sheila kämpfte mit den Tränen, die die Atemnot hervorgerufen hatte.

„Eins kann…ich dir….versprechen…..Ich gebe erst Ruhe….wenn ich dir….das angetan habe….was du Kasuke angetan hast.“

Sie fixierte sein Gesicht und versuchte so viel Hass zu zeigen, wie ihr möglich war. Sandaru schien auf eine Art verletzt zu sein von ihrem feindseligen Blick. Er wandte sein Gesicht ab, hielt sie jedoch trotzdem fest.

Erst jetzt sah sie, dass er eine schwarze, eng anliegende Uniform trug, deren Kragen seinen Hals schützte. An seiner Hüfte trug er Schwert und Dolch, am Rücken kreuzten sich zwei weitere Klingen.

Sandaru bemerkte ihren Blick und ein seltsames, jedoch nicht fröhliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Wir sind nun auf meinem Gebiet, Sheila und du befindest dich inmitten deiner Feinde.“ Er ließ seine Worte wirken, doch Sheila blieb unbeeindruckt. Sie hatte geahnt, dass er sie sicherlich nicht zu sich nach Hause brachte.

„Der Imperator möchte dich sehen.“ Nun sah Sheila doch erschrocken aus. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht und es tat Sandaru leid, dass er sie hatte provozieren wollen.

Er setzte sie behutsam zurück aufs Bett und nahm ein Bündel an sich, dass er beim Hereinkommen auf den Tisch gelegt haben musste.

„Ich möchte, dass du dieses Kleid anziehst. Es werden gleich zwei Frauen kommen, die dir helfen dich zu waschen und dich anzuziehen, dann geleite ich dich zum Imperator.“

Sheila wollte sich weigern, sich für den Feind umzuziehen, doch als sie an sich herunter sah, bemerkte sie, dass ihr Kleid zerrissen und schmutzstarrend war.

Zähneknirschend gab sie nach.
 

Die Frauen kamen wenig später und obwohl Sheila meinte, schon viel in ihrem Leben gesehen zu haben, erschrak sie vor deren Hässlichkeit. Die beiden schienen so etwas wie Oger zu sein. Ihre Haut war ledern und grün und sie hatten dünne Haare und je zwei Hörner und drei Augen. Sheila hätte sich am Liebsten geziert und versichert sie schaffe es alleine, aber Sandaru verließ nicht das Zelt, was sie erneut in Unmut versetzte.

„Verschwinde hier. Ich werde mich nicht entblößen, wenn du dabei bist!“ Die Oger schienen entsetzte, als sie hörten, wie Sheila mit dem Windkanter sprach, doch Sandaru winkte nur ab.

„Du hast keine Wahl, die Frauen werden dich gewaltsam entkleiden und waschen, wenn ich es befehle.“

Sheilas Wut stieg ins Unermessliche, doch Sandaru gab einem der Oger ein Zeichen und sie schlug ihr auf den rechten Oberarm. Sheila wäre fast in die Knie gegangen.

„Warum tust du das, Sandaru?“, presste Sheila durch zusammengekniffene Lippen hervor, als der Schmerz langsam abebbte. „Möchtest du mich solange demütigen, bis ich am Boden bin??

Sandaru schüttelte den Kopf.

„Nichts liegt mir ferner.“ , sagte er, als die Oger begannen, Sheila zu entkleiden. „Aber Oger fressen gerne Menschenfleisch und ich bin beruhigter, wenn ich auf dich aufpassen kann.“

Sandaru sagte zwar die Wahrheit, nichts desto trotz genoss er Sheilas Anblick. Nein, er warf ihn fast aus den Latschen. Sie war einfach perfekt und ihr Temperament, das ihre grauen Augen umwölkte machte dies alles noch besser.

Als die Frauen anfingen, sie zu waschen, sah Sheila, dass Sandaru schwer schluckte und aus irgendeinem Grund verspürte sie Triumph. Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, ob der Windkanter irgendetwas für sie empfand, ob körperlicher oder seelischer Natur und er hatte ihr gerade eine Möglichkeit geliefert, ihn zu manipulieren.

Sheila erinnerte sich daran, dass er immer zuvorkommend und zärtlich gewesen war, auch nachdem er sie gefangen genommen hatte. Vielleicht hatte sie seinen‚ Schwachpunkt entdeckt.

Selbst als die Frauen Sheila etwas ungeschickt in ein dunkelblaues Seidenkleid steckten, wich sie seinem Blick nicht aus. Sie hatte den Kampf auf ihre Weise angenommen und sie merkte, dass dem Windkanter ziemlich warm wurde.

Sandaru dagegen spürte zum ersten Mal so richtigen Zorn, seitdem er Sheila gefangen genommen hatte. Sie spielte mit ihm und reizte ihn. Er hasste aber gleichzeitig sich selbst, weil er so schwach war. Vielleicht war sie mächtiger, als er sich eingestehen wollte. Sie hatte ihn verhext und nutzte seine größte Schwäche gegen ihn selber; nämlich sie und ihre Reize.

Mit einer Geste schickte er die Oger weg und begutachtete Sheila mit einem geringschätzigen Blick.

„Ich denke, dass wird gehen.“

Die Frauen hatten Sheilas Haar gebürstet und nur leicht nach hinten gesteckt, sodass es ihr nicht ins Gesicht fiel, aber wallend über den Rücken lag.

Er wies auf einen Spiegel, doch Sheila sah nicht dorthin, sondern immer noch Sandaru an.

„Ob der Imperator weiß, wie schwach du wirklich bist?“

Sie hatte das nicht sagen wollen, doch sie hatte seine Qualen genossen und nun war es über sie gekommen.

Mit einem Satz stand Sandaru vor ihr, hatte ihren Nacken umschlungen und ihr Gesicht ganz nah an das seine gebracht. Sie spürte, wie sie ein heißer Schauer durchströmte und hatte zum ersten Mal den Zweifel, dass sie sich nicht vielleicht ebenso verschätzt hatte.

„Pass auf, mit wem du deine Spielchen treibst, Sheila. Ich könnte irgendwann das einfordern, was du mir so einige Male heute versprochen hast.“

Seine grünen Augen reizten Sheila bis aufs Blut und ihre Macht durchströmte sie erneut, doch nicht um sich gegen ihn zu richten.

„Das wagst du gar nicht! Du kannst nur lügen und betrügen. Zu was anderem bist du gar nicht fähig.“, ihre Stimme troff nur so vor Hohn.

Sandaru brachte ein erstaunliches Knurren zustande, dafür, dass er kein Tier war. Mit einem Mal senkten sich seine Lippen heiß auf die ihren und er drängte sie zurück zum Bett. Als sie mit den Beinen dagegen stieß, konnte sie nicht anders, als sich fallen zu lassen, was äußerst schmerzhaft war. Sandaru erstickte ihren leisen Schrei und presste sie aufs Bett nieder. Sheila hätte sich so gerne gewehrt, doch sie war nicht nur körperlich nicht in der Lage.

Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie so leidenschaftlich und gleichzeitig so ehrlich geküsst worden. Sie spürte, dass Sandaru alle seine Sehnsüchte in diesen einen Kuss legte und sie hatte das Gefühl, sie müsse ihn erwidern, seine geschundene Seele heilen. Alle Wut verschwand aus ihr und ihr altes Ich meldete sich zu Wort. Das verzeihende, liebenswürdige Ich.

Als Sandaru merkte, dass sie sich nicht wehrte, sondern ganz im Gegenteil, ihm entgegenkam, ging sein Herz auf und er stöhnte leise.

Er wurde sofort zärtlicher. Nahm nicht mehr, sondern wollte geben und Sheila fragte sich, ob er wirklich der war, der er zu sein schien.

Sie legte ihre gesunde Hand auf seinen Nacken und zog ihn zu sich hinunter, fuhr ihm durch die Haare, wie sie es bei einem Kind gemacht hätte, dass sie zu beruhigen versuchte und gab sich ihm gleichzeitig ein Stück weit hin.

Es war Sandaru, der den Kuss irgendwann beendete. Er stützte sich rechts und links, neben Sheila, auf dem Bett ab und sein Atem ging schwer. Seine grünen Augen waren dunkler geworden und er schien einen innerlichen Kampf auszufechten.

Auch Sheila rang um Atem, weil ihre Rippe sich so sehr beschwerte.

Langsam legte Sandaru seine Stirn gegen die ihre und schloss die Augen. Sheila sah den Schmerz in seinen Zügen.

„Das war das Dümmste, was ich tun konnte.“, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Wieso?“

Er öffnete die Augen und Sheila sah einen ganz anderen Sandaru als den, den sie zu kennen glaubte.

„Sich in den Feind zu verlieben ist doch dumm, nicht wahr?“

Sheilas Herz tat einen Satz und doch fühlte sie auch Mitleid. Sie konnte diese Liebe nicht erwidern. Ein Bild von Kasuke schoss ihr durch den Kopf.

„Ist es denn dann noch ein Feind?“, fragte sie ebenso leise.

Sandaru küsste sie leicht auf die Stirn und erhob sich dann. So vorsichtig wie möglich, zog er Sheila ebenso auf die Beine.

Er sagte lange nichts, schien zu überlegen und sah in die Ferne. Sheila richtete hilflos ihre Haare und das Kleid und merkte, dass ihr Gesicht für eine Gefangene viel zu sehr glühte.

„Ich habe kaum Möglichkeiten, Sheila. Egal wie ich mich entscheide, ich werde untergehen.“

Sheila sah in seine Augen und erkannte einen Schmerz, den sie nicht heilen konnte.

„Du kannst zu uns übertreten. Du musst nicht hier bleiben.“

Der Windkanter schüttelte den Kopf.

„Du weißt gar nichts über diese Welt. Ein Verrat würde mich sehr teuer zu stehen kommen. Zu teuer.“ Er sah einen Moment zu Boden. „Die Liebe ist vergänglich, nicht wahr?“

Er suchte erneut ihren Blick und er schien um Verständnis zu heischen.

„Ich bin lange genug ohne sie ausgekommen. Ich brauche sie nicht.“

Damit verließ er fast fluchtartig das Zelt.
 

Kasuke zog gerade etwas unbeholfen seine Rüstung an, als Sekura und Mika in sein Zimmer kamen. Er hatte ganz offensichtlich noch Schmerzen, doch das Warten hatte er satt.

Er hatte seinem Körper die zwei Tage gegeben, die er ihm versprochen hatte. Nicht eine Stunde mehr und deshalb zwang er sich jetzt dazu, die Reise aufzunehmen.

„Ist die Armee bereit?“

Sekura nickte und half dem Wolf, den Brustharnisch anzulegen.

„Bist du sicher, dass es nicht zu früh ist, Kasuke?“, Mika stellte sich neben die beiden Oberhäupter und musterte die Flecken in den verschiedensten Farben, die seinen Körper zierten.

Der Wolf schüttelte den Kopf und schnallte sein Schwert um, dass er in den letzten beiden Tagen ein ums andere Mal geschärft und poliert hatte.

„Ich bin kurz davor dem Wahnsinn zu verfallen.“ Er bückte sich, um den Dolch an seinen Unterschenkel zu schnallen und unterdrückte nur schlecht ein Stöhnen. Er hatte jede Nacht von Sheila geträumt und er ersehnte den Augenblick, in dem er sie sicher in seinen Armen wusste. Mika warf Sekura einen besorgten Blick zu, den Kasuke auffing.

„Ihr versteht das nicht.“, seine Stimme war belegt. „Ich dachte die ganze Zeit, sie wäre verloren für mich nun hat sich alles als Schwindel herausgestellt.“

Mika trat von einem Bein aufs andere.

„Du darfst nicht vergessen, dass sie aus freien Stücken mit ihm gegangen ist. Sie hat dich wissentlich verletzt.“, sie fing sich einen wütenden Blick von dem Panter ein. „Versteht mich bitte nicht falsch. Ich liebe Sheila, aber ich kann nicht leugnen, was ich gesehen habe.“

Kasuke nickte, doch er ließ sich nicht beirren.

„Ich glaube, Sheila zu kennen. Sie hat einen Ausweg aus der Situation gesucht, in die wir sie gedrängt haben. Das sie den falschen Weg eingeschlagen hat ist ein Fehler gewesen, den jeder von uns einmal macht.“ Kasuke überging Mikas zweifelnden Augen.

„Mika, ich liebe Sheila, mehr als ich je jemanden geliebt habe und ich weiß einfach, dass sie für uns nicht verloren ist. Sie hätte niemals die Fogal gerufen, wenn sie sich nicht schrecklich geirrt hätte.“

Er atmete tief durch und wies dann auf die Tür.

„Und nun lasst uns gehen. Die Zeit läuft gegen uns.“

Der Imperator

Unruhig betrachtete Kasuke die Armee, die sich nur schleppend formierte und daran war, das Tal zu verlassen. Sekura dagegen versuchte einen Überblick zu bekommen von der Truppenstärke und ihren Chancen.

Die beiden Dämonen standen auf einem der umliegenden Hügel, in ihre Rüstungen gekleidet und mit allerlei Waffen ausgestattet. Der einzige Unterschied zwischen ihnen war, dass der Wolfsdämon unruhig und sehr blass war, während der Panter vollkommen entspannt, aber wachsam schien.

„Wir müssen es schaffen, dass sie schneller werden, aber dabei formiert sind. Wir dürfen nicht schon auf der Reise angreifbar werden.“

Sekura sagte es nüchtern, aber Kasuke war ihm dankbar für diese Einschätzung. Sein Freund wusste, wie eilig er es hatte. Eilig genug um ein Risiko für die Soldaten zu werden, das wussten sie beide.

Piper landete neben ihnen und dann gesellte sich auch Harus dazu.

„Sie sind zu langsam.“, stellte der Hirsch fest. Pipers Adleraugen flogen geradezu über die Dämonenschar, als suche sie den Schwachpunkt.

„Wir müssen die Pferde und Raubtiere an die Spitze der Armee bringen, denn sie sind schnell. Die Mitte muss von den langsameren Dämonen gehalten werden, das Schlusslicht bilden die geflügelten Dämonen. Sie werden das Tempo von hinten anheizen.“ Sekura nickte und Harus und Piper verschwanden, um die Armee zu strukturieren.

„Kasuke, trotz allem werden wir mindestens zwei Tage brauchen um die Berge zu erreichen.“

Der Wolf ließ resignierend die Schultern fallen und Sekura machte sich ernsthaft Sorgen um seinen Freund. Kasuke wurde sich in diesem Zustand selbst gefährlich. Er ging auf den Wolf zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ihr wird nichts geschehen, hörst du? Wir haben sie unterschätzt, mein Freund. Den Fehler machen wir nicht noch einmal, okay?“

Kasuke nickte und er sah wieder ins Tal.

„Ich habe nur Angst, dass ich ihr nicht mehr sagen kann, wie sehr ich mir wünsche, dass sie hier bleibt.“

„Wieso sollte sie denn gehen?“ Der Panter runzelte die Stirn. Irgendetwas war ihm entgangen.

„Kannst du dich an die Geschichten erinnern, über den Imperator?“

Sekura nickte und nun wandte sich der Wolf ihm ganz zu.

„Ist dir nie aufgefallen, dass der Wortlaut, der ihn betrifft, dem von der Prophezeiung ähnelt?“ Sekura riss die Augen auf?

„Du glaubst, er kommt aus ihrer Welt?“

„Ich habe mich immer wieder gefragt, was ausschlaggebend dafür war, dass Sheila gegangen ist. Die Wut auf uns wird nicht alles gewesen sein, dass glaube ich nicht. So ist Sheila nicht.“

Kasuke schloss die Augen und Sekura wusste nicht, ob er den Gedanken nicht ertragen konnte, oder ob er sich zu erinnern versuchte.

„Ich glaube, der Windkanter hat ihr ein Angebot gemacht, dass sie dazu bewogen hat, mit ihm zu gehen. Er hat ihr eine Möglichkeit gezeigt, diese Welt zu verlassen und sie hat, verletzt wie sie war, einen Ausweg gesucht und gefunden.“

Sekura atmete tief durch. Diese Möglichkeit hatte er nie in Betracht gezogen. Er hatte sich auch nie wirklich Gedanken um die Herkunft des Imperators gemacht, obwohl Kasuke Recht hatte. Ein Wesen, halb Mensch halb Dämon, aus einer anderen Welt. Hieß es nicht so? Und war es nicht nur natürlich, dass der Feind mit jemandem bekämpft wurde, der aus seiner Welt stammt?

„Aber wieso ist sie geflohen? Wenn sie unbedingt zurück wollte und alles in Ordnung war, wieso hat sie die Fogal um Hilfe gerufen?“

Kasuke zuckte hilflos die Schultern.

„Vielleicht wusste sie nicht, dass von dem Imperator die Rede gewesen war. Aber selbst wenn sie überleben sollte, wird er sie loswerden wollen und am besten geht das, wenn er sie zurück schickt. Genau das, was sie will.“

Sekura sah den Schmerz auf dem Gesicht seines Freundes und sein Herz wurde ihm schwer. Wieso kam die Liebe immer so spät und dann mit voller Wucht? Kasuke hätte Sheila schon vor einiger Zeit haben können, doch die beiden hatten getanzt, immer und immer wieder und nun war es zu spät.

Der Panter schüttelte den Kopf. Es durfte nicht zu spät sein. Kasuke würde sie aufhalten. Deshalb würden sie sich beeilen und Sekura wusste, Sheila würde sich nicht einfach überrumpeln lassen. Sie würde den Imperator in Frage stellen.

Das hoffte er.
 

Müde sah Sheila in den verzerrten Spiegel. Ihr Arm pochte unangenehm, doch ihre Gedanken waren bei dem, was vor ihr lag.

Was hatten sie nur mit ihr vor? Würde der Imperator sie töten?

Wäre sie er, dann würde sie nicht zögern, dessen war sie sich klar. Sie war eine Bedrohung, der Feind.

Oder aber er schickte sie wirklich zurück, in ihre Welt, wenn er es überhaupt konnte.

Plötzlich war die Vorstellung zurückzukehren nicht mehr verlockend. Er schmerzte, daran zu denken, wen man zurück ließ.

Sheila wurde bewusst, was es bedeuten konnte, wenn sie verschwand.

Sie schloß die Augen und ihr plötzlich aufkeimender Selbsthass schmerzte sie sehr. In diesem Augenblick wünschte sie sich nichts mehr, als Kasukes Arme um sich zu spüren.

Ein Schluchzen entfuhr ihr bei dem Gedanken, was sie ihm angetan hatte.

Er würde sie nicht zurück wollen. Dieses ganze Hin und Her der letzten Monate hatte ihrer Verbindung sehr geschadet. Keiner von Beiden wusste was er wollte. Nie waren sie wirklich ehrlich gewesen. Wie hatte daraus etwas Konkretes entstehen können.

Erst eine solche Situation hatte Sheila zeigen können, wie sehr sie sich nach dem Wolfsdämon sehnte. Und nun war es wahrscheinlich zu spät.

Sheila spürte die Tränen, bevor sie sich bewusst war, dass sie weinte und sie tat es nicht um ihretwegen. Was mit ihr geschah, war ihr nicht mehr wichtig. Lieber wollte sie sterben, als alleine nach Hause zurückzukehren. Der Tod war nichts gegen die Angst davor, dass jemand wegen ihrer Dummheit und ihrem Egoismus leiden musste.

Sie hörte die Plane des Zeltes rascheln und als sie aufblickte, stand ein Mann vor ihr, der den Kopf einer Kobra hatte. Sheila erschauerte bei dem Anblick der eiskalten Augen, doch sie zuckt nicht ein einziges Mal mit der Wimper.

„Der Imperator erwartet Euch.“, zischte er.
 

Die Umstrukturierung der Armee erwies sich bald als effektiv. Sie legten ein zügiges Tempo an den Tag, für eine solch große Masse, doch Kasuke genügte das nicht.

Immer wieder eilte er voraus und Sekura ermahnte ihn oft zur Ruhe. Der Wolf war noch immer verletzt und er schadete sich nur selbst.

„Was hat Sheila davon, wenn wir bei den Bergen ankommen und du kannst nicht mehr kämpfen?“

Sekura sprang neben Kasuke her, der die Soldaten mal wieder weit hinter sich ließ.

„Ich weiß, dass du Recht hast, Sekura. Aber diese Angst macht mich schier wahnsinnig.“

„Das glaube ich dir, mein Freund, aber ich brauche dich an meiner Seite. Bitte, bleib geduldig.“

Kasuke fiel in den Schritt und blieb dann stehen. Er sah sich nicht nach der Armee um und man sah, dass es eine schwere Last war, die er trug.

„Kasuke, geh zu deinem Rudel. Pass dich ihrem Tempo an. Sie sind deine Familie, sie werden für dich da sein.“

Kasuke nickte und lief zurück. Sekura hatte das Gefühl, dass er mit einem kleinen Kind geschimpft hatte. Aber so verhielt der Wolf sich im Moment auch und dabei brauchte er dessen Kraft und Sinnesschärfe. Er war einer der besten Krieger, die sie auf ihrer Seite hatten.

Sekura spürte sie noch bevor sie neben ihm zum stehen kam.

„Hat er eingesehen, dass er sich töricht verhält.“

Sekura zwang sich, Mika nicht anzusehen. Abweisend ging er weiter.

„Anscheinend ist Kasuke nicht der Einzige, der sich töricht verhält.“

Sekura stutzte und fuhr herum, doch Mika war bereits zurück gelaufen und trabte jetzt an Kasukes Seite.

Frauen! Der Panter schüttelte sich und setzte dann seinen Weg fort.
 

Sheila trat hinter dem Schlangendämon aus dem Zelt und blieb erschrocken stehen. Sie hatte immer gewusst, dass das Böse ein Land verändern und charakterisieren würde. Ihm buchstäblich seinen Stempel aufdrücken würde. Aber sie hatte nicht mit so einer Einöde gerechnet.

Ihr Zelt stand auf einer Anhöhe und Sheila wunderte sich nicht darüber. Sie konnte sich denken, dass dem Imperator daran gelegen war, sie zu beeindrucken und von hier aus hatte sie einen sehr guten Überblick was seine Truppenstärke betraf.

Sie atmete einmal tief durch und vernahm den beißenden Gestank von Schwefel. Schwaden dieses gelben Dampfes stiegen aus Rissen in einem vollkommen ausgetrockneten Boden und umhüllte eine Armee unglaublichen Ausmaßes. Sheila konnte wirklich nur schätzen und war sich sicher, dass sie wahrscheinlich weit daneben lag, aber das dort unten war mindestens das Doppelte an Soldaten, was sie selbst aufbringen konnten.

Bäume oder Gräser waren meilenweit nicht zu sehen und Sheila konnte nur raten, wie sie diese Massen mit Wasser versorgten. Sie wandte sich leicht um und sah die Berge weit hinter sich. Ob die Drachen wussten, was sich hier zusammen braute? Das konnte ihnen doch nicht egal sein?

Sheila schluckte und vernahm dann das ungeduldige Zischen der Kobra. Es war Zeit, dass sie sich ihrem Feind stellte. Hoch erhobenen Hauptes trat sie ihm entgegen.
 

Als sich die Sonne dem Horizont näherte spürten die ersten Dämonen die Müdigkeit in den Knochen. Das Tempo der Armee war höllisch und langsam fing es an, seinen Tribut zu fordern.

Sekura blieb zwischen zwei Bäumen des Waldes stehen, den sie gerade passierten und musterte die Tiere, die nur noch schleppend vorankamen. Sie mussten rasten, was anderes blieb ihnen nicht übrig.

Er spürte Kasuke aus dem Unterholz kommen, wandte sich jedoch nicht um. Er roch die Erschöpfung seines Freundes. Kasuke musste ebenfalls ruhen, auch wenn er es nicht hören wollte.

„Du brauchst nichts sagen, Sekura. Die Armee muss sich ausruhen. Ich habe etwa eine Meile von hier eine gute Stellung an einem Hügel gesehen, die gut zu verteidigen ist.“

Sekura schickte ein Stoßgebet gen Himmel.

„Ich hatte denselben Gedanken, wir dürfen so nicht weiterreisen. Sie müssen ausruhen.“

Kasuke nickte nur, dann ließ er sich nieder und legte den Kopf auf seine Vorderpfoten. Sekura setzte sich neben ihn und musterte ihn durch seine gelben Augen. Kasuke hob ein Auge und bleckte die Zähne.

„Ich weiß, ich muss mich schonen.“

Sekura zuckte nur mit den Schultern und sah wieder durch die Reihen der Armee. Der Wolf würde eh nicht auf ihn hören.

„Ich habe einen Plan!“

Der Panter zuckte zusammen.

„Das will ich gar nicht hören.“ Er erhob sich und trottete parallel zu den Soldaten durchs Unterholz. Kasuke sprang ihm hinterher.

„Hör mir doch bitte zu. Diese Idee ist gut!“

Sekura lief einfach weiter und ignorierte ihn. Plötzlich vernahm er ein tiefes Grollen und eine Sekunde später lag er auf der Seite. Der Wolf hatte ihn gerammt und zu Boden geschleudert. Jeden anderen hätte Sekura nun angefallen, doch bei seinem Freund ermahnte er sich zur Ruhe. Kasuke war nicht zurechnungsfähig und verwirrte Dämonen wurden nicht gebissen.

„Ich werde vorauseilen und mich in ihr Lager schleichen.“

Sekura hatte sich geirrt, diesen Irren sollte er beißen.

„Jetzt drehst du vollkommen durch.“ Er warf den Wolf ab und schüttelte die Blätter aus dem Fell.

„Nein tu ich nicht. Überleg doch mal. Wir kennen nicht die Ausmaße unseres Feindes. Irgendwer muss spionieren und wer wäre geeigneter?“

„Ach da fallen mir so einige ein. Kleinere Tiere oder….gesunde!“

Er wandte sich wieder ab um Kasuke zu demonstrieren, wie wenig er von seinem Vorschlag hielt.

„Sekura, ich werde gehen. Ob du mir hilfst oder nicht.“

Diesmal war es der Panter der wie ein Blitz herumfuhr und seinem Freund eine verpasst. Der Wolf jaulte auf, als die Pranke des Panters in seine Schulter fuhr.

„Hast du auch nur eine Sekunde an dein Rudel gedacht, Kasuke?“ Seine Stimme war so leise und bedrohlich, wie Kasuke sie selten erlebt hatte und schon gar nicht gegen sich selbst gerichtet. „Liebe hin oder her, Sheila würde nicht wollen, dass du stirbst nur weil du so töricht warst dein Gehirn auszuschalten. Also reiß dich endlich zusammen.“

„Sekura! Lass ihn los!“

Beide Dämonen zuckten zusammen, als sie die Stimme von Mika vernahmen und rafften sich etwas verlegen auf.

Die Wölfin stellte sich an Kasukes Seite.

„Ich bin derselben Meinung wie Kasuke. Wir brauchen einen Spion und ich denke, dass er sehr wohl weiß, wie er ungesehen ins Lager kommt.“

Sekura stöhnte genervt auf.

„Ist das eine Krankheit der Wölfe? Diese Torheit?“

Kasuke rappelte sich auf und seine langsamen Bewegungen schmerzten auch seine Freunde.

„Das mag sein, mein Freund. Aber wir brauchen Sheila und ich spüre, dass sie noch hier ist. Nur wie lange noch?“

Kasuke wandte sich an Mika.

„Halte die Wölfe zusammen, Mika, ich vertrau dir.“ Dann sah er Sekura an. „Macht euch bereit. Die zweite Nacht, nachdem ihr die Berge erreicht habt, werde ich wieder zu euch stoßen und dann wissen wir mehr.“

Sekura schloß die Augen, doch er betete nicht mehr.
 

Als Sheila durch die Reihen der feindlichen Armee lief, versuchte sie die Augen vor sich auf den Boden zu richten. Die Soldaten waren verstummt und Sheila wusste, dass sie ihr nachsahen, ihre größte Feindin musterten und für sich entschieden, ob sie gefährlich war oder nicht.

Sheila dagegen versuchte den Anblick dieser Monster zu entgehen. Sie hatte nur flüchtig einige Fratzen gesehen, die ihr mehr als nur Unbehagen bereiteten und sie musste sich zusammen reißen, wenn sie dem Imperator gleich gegenüber stehen wollte ohne dass ihre Knie zitterten. Trotzdem blieb das Böse um sie herum ihr nicht fern. Sie hatte bisher nur die eigene Magie, die eigene Macht spüren können, doch nun war es ihr, als würde sich eine schwere Decke auf sie und ihre reine Kraft legen, die sie zu ersticken drohte. Sheila hätte nie geglaubt, dass eine solche Macht dermaßen zu greifen sein konnte. Auf der anderen Seite der Berge hatte sie es womöglich nicht fühlen können, da ihre Macht sich der des Landes anpasste. Hier aber war sie ein weißer Fleck in der Schwärze. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn sie weiß geleuchtet hätte, um das Schwarze um sich zu vertreiben.

Sheila schloss die Augen und versuchte ihre Macht ins sich wieder zu finden. Bereitwillig ließ sie sich rufen und auch Celine war bei ihr, das wusste Sheila und es beruhigte sie. Sie war nicht länger alleine.

Eine innere Stimme sagte ihr, dass auch die Dämonen ihre weiße Magie spüren mussten und sie mobilisierte ihr Kräfte um sie nach Außen zu transportieren. Sofort wichen einige der Soldaten um sie herum zurück und ein Murren lief durch die Masse. Als Sheila diesmal die Augen öffnete begegnete sie den feindlichen Reihen unerschrocken und wagte es, ihnen in die Augen zu sehen. Die Fratzen hatten nun keine Wirkung mehr auf sie.

Sie gingen auf ein schwarzes, gigantisches Zelt zu, das durch die untergehende Sonne an Wirkung gewann. Doch die letzten wärmenden Strahlen gaben Sheila noch immer Zuversicht und als die Kobra die Plane beiseite schob und ihr bedeutete hindurch zu schreiten, ging sie erhobenen Hauptes hindurch.
 

Der Wind in seinem Fell gab Kasuke die Kraft ein Tempo zurück zu legen, welches seine Kraft weit überstieg. Immer wieder betete er die Geister, die Götter und alle Mächte dieser Welt an, dass sie ihm die Kraft schenkten, das retten zu können, was nicht nur ihm wichtig war, sondern auch dieser Welt die Freiheit bedeutete.

Nicht eine Sekunde verschwendete er einen Gedanken daran, was genau in diesem Augenblick geschehen könnte. Er wollte nur das sehen, was er verhindern konnte und deshalb war er bereit zu sterben.
 

Sheila hatte geglaubt das Zelt in vollkommener Finsternis vor zu finden, doch es war mit allerlei Fackeln erhellt und genauso groß, wie sie es sich von Außen vorgestellt hatte. Der Raum war sogar noch einmal abgetrennt, wobei sie selber in eine Art Empfangsraum geführt worden war. Möglichweise befand sich hinter den Stoffbahnen so etwas wie en privates Gemach. Sheila hatte aber nicht genug Zeit, um sich darüber mehr Gedanken zu machen, denn ihre Aufmerksamkeit wurde zuerst auf Sandaru gelenkt, der in voller Rüstung neben einem hohen Stuhl stand und sie fixierte. Er versuchte, keinerlei Regung zu zeigen, doch Sheila meinte zu sehehn, dass er die Zähne zusammen biss.

Erst ihr zweiter Blick fiel auf den Mann, der in diesem, scheinbar aus Knochen geschnitzten und mit Fellen ausgelegten, Stuhl saß.

Sheila wusste nicht, was sie erwartet hatte. Ein Monster, einen Dämon? Aber mit Sicherheit keinen Menschen, obwohl sie wusste, dass er aus ihrer Welt stammen sollte.

Seine Haare waren silbern, auch wenn er kaum älter als sie selbst aussah, und fielen ihm in die Augen. Sein Gesicht war markant und konnte als gut aussehend bezeichnet werden, doch seine vollkommen schwarzen Augen waren so stechend und wirkten dermaßen bösartig, dass er alle Anziehungskraft verlor. Er trug ebenfalls eine Art Rüstung, doch war diese sehr ausgefallen. Er trug schwarze, lederne Armschienen und diese Art Schutz bedeckte die meisten seiner Körperteile, darüber lag ein heller sandfarbener Mantel. Auch wenn der Imperator saß, so war er niemals größer als sie.

Doch es ging eine solche Macht von ihm aus, dass Sheila die Brust eng wurde. Wenn es stimmte, dass er aus ihrer Welt kam, war er mehrere hundert Jahre alt und weitaus mächtiger als sie.

Sheila schluckte und versuchte seinen schwarzen Augen standzuhalten. Die Kobra hatte vor dem einzigen Ausgang Platz genommen und Sheila fühlte sich wie auf einem Präsentierteller. Sie musste jetzt beweisen, dass sie keinerlei Angst vor dem hatte, was auch immer auf sie wartete. Das Problem war nur, dass sie dermaßen angespannt war, dass es schwer war dies nicht nach außen dringen zu lassen.

Der Imperator stand auf und trat auf sie zu. Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen.

„Wie schön ein Gesicht aus meiner eigenen Welt zu sehen.“

So freundlich man diese Worte auch hätte auslegen könne, die Kälte in seiner dunklen Stimme strafte sie Lügen.

„Dort drüben muss es sich reichlich verändert haben in den letzten 500 Jahren, nehme ich an.“ Er trat noch einen Schritt auf sie zu und Sheila reckte das Kinn. Sofort blieb der Imperator stehen, wie als wenn zwischen ihnen eine unüberwindbare Barriere wäre. Sheila wusste Celine war an ihrer Seite und schloss sie in einen Kreis der reinen Magie ein. Es war sicherlich eine Überwindung für ihren Feind, ihr nahe zu kommen.

Das Lächeln auf des Imperators Gesicht wurde ein wenig deutlicher und er ging an ihr vorbei zu einem Tisch, auf dem einige Speisen und Getränke lagerten. Er schenkte sich eine rote Flüssigkeit in ein Kristallglas und füllte dann ein weiteres. Mit den beiden Gläsern ging er wieder auf Sheila zu und reichte ihr eins. Am Liebsten wäre sie davor zurückgewichen, doch er stellte sie auf die Probe und deshalb nahm sie es ihm aus der Hand.

In genau diesem Augenblick trafen sich ihrer beider Magie genau über dem Glas. Es war, als wenn zwei Wände aufeinander trafen und wie zwei Gegenpole voneinander abgestoßen wurden. Sheila erschrak ein wenig, doch schaffte sie es, das Glas ohne etwas zu verschütten entgegen zu nehmen. Die Probe hatte nicht darin gelegen, ob sie den Trank entgegen nahm, sondern wie mächtig sie wirklich war.

Ein leichtes Stirnrunzeln des Feindes sagte ihr, dass sie mächtiger war, als er vermutet hatte. Sheila war sich selber nicht über ihre Kraft im Klaren, umso erfreuter war sie, dass der Imperator eindeutig nicht glücklich über seine Einschätzung war. Sandaru ließ seinen Herren auch nicht aus den Augen. Was er sah schien ihn nachdenklich zu stimmen.

Der Imperator ließ sich wieder auf seinem Trohn nieder und bedeutete Sheila, sich auf einen Schemel zu seinen Füßen nieder zu lassen.

Sheila schüttelte den Kopf: „Nein, danke ich stehe lieber.“

Ihr Tonfall und ihre stolze Haltung verbreitete Unbehagen unter den Dienern und Sandaru, doch der Imperator schien amüsiert. Sheila bemerkte erst jetzt, dass sich überall unscheinbare Gestalten verbargen. Ihre demütige Haltung wies sie eindeutig als Untergebene aus, die wahrscheinlich zum Wohl des Herren bereitstanden.

„Nun sagt mir, wie hat sich unsere Welt gemacht in den letzten Jahrhunderten?“

„Sie ist sicherlich ebenso schön und gefährlich wie eh und je, nur hat man mittlerweile andere Möglichkeiten gefunden, um sie zu zerstören und der Komfort ist um einiges höher.“ Sheilas Stimme hatte noch immer etwas Unerschrockenes und sie lobte sich selbst für ihre Fassung.

„Das hört sich doch interessant an, nicht wahr mein lieber Sandaru? Eine Frau mit einem solchen Wissen und solcher Erfahrung ist eindeutig verführerisch, oder?“

Nicht an dem was er sagte ließ den Seitenhieb vermuten, doch so wie Sandaru sich versteifte, war er da gewesen.

„Nun Lady Sheila – ich darf Euch doch so nennen- was führt Euch in diese Welt? Wo doch die unsrige so viel interessanter und schöner ist?“

Sheila wusste, er lockte sie und sie musste weise antworten.

„Ich denke, ich bin aus den gleichen Stücken hier, wie ihr, nur waren unsere Wege unterschiedlich.“

„Ich denke, da irrt ihr Euch.“

Sheila stutzte einen Augenblick. Wie konnte er das meinen?

„Im Gegensatz zu Euch, war es meine Bestreben die Pforten der Dimensionen zu durchschreiten. Ich war schon in unserer Welt ein Zauberer der zu Höherem strebte. Die Grenzen die mir jedoch dort auferlegt wurden, wagte ich zu sprengen.“ Er trank einen Schluck aus dem Kristall und schaute bedeutungsvoll auf ihr Glas, doch sie rührte es nicht an.

„So wie ich es jedoch vernahm, seid Ihr, liebe Lady Sheila, nicht freiwillig hier. Ihr suchtet selbst nach dem Weg nach Hause.“

Sheila konnte dies nicht leugnen.

„Das ist wahr, Herr, aber ich denke, dass ich mich irrte.“

Der Imperator runzelte die Stirn.

„Ich denke, dass die Menschen in unserer Welt nicht annähernd so gut sein können, wenn sie ein solches Monster wie Euch erschaffen haben. Somit gibt es dort nichts, was mich reizen könnte nach Hause zurück zu kehren.“

Der Griff um das Kristallglas ihres Feindes verstärkte sich leicht.

„Ihr seid sehr vorlaut für eine Person in Eurer Lage.“

„Das mag daran liegen, dass ich keine Angst vor einem Menschen habe!“

Sein Gesicht verfärbte sich rot.

„Ich bin schon lange keiner mehr.“ Sandaru sah seinen Herren abschätzig an. Sheila vermutete, dass der Windkanter die Schwäche seines Herren gewahr wurde.

„Nein im Herzen vielleicht nicht mehr, doch seid ihr für mich nichts weiter, als eine arme, wahnsinnige Seele, die meint seine Fesseln der Sterblichkeit sprengen zu können.“

Sheila stellte seelenruhig das Glas auf den Tisch zurück.

„Auch in unserer Welt gab es solche wie Euch, die auch ohne Magie die Möglichkeit hatten Millionen von Menschen zu töten. Doch nicht einer von ihnen überlebte diesen Wahnsinn. Sie wurden immer gestürzt.“

Wieder erhob der Imperator sich und diesmal überwand er die Barriere zwischen ihnen, sodass sein Gesicht dem ihren sehr nah kam. Sheila zwang sich, nicht zurück zu weichen. Sie schlug sich bisher super und das würde auch so bleiben. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Sie konnte einen Schauer angesichts seiner schwarzen Augen und seiner kalten Hand nicht unterdrücken. Ansonsten verspürte sie nur Abscheu.

„Und ihr gedenkt mich zu stürzen?“ Er sagte es mit so viel Verachtung, dass Sheila fröstelte.

„Ich glaube nicht, dass diese Aufgabe mir zufallen wird, aber ich bin mir sicher, dass es geschehen wird. Vielleicht heute, vielleicht in Jahren, aber es wird geschehen.“ Die letzten Worte waren geflüstert gewesen, doch jeder hatte sie gehört. Über die Schulter hinweg sah sie, dass Sandaru sie genau beobachtete.

Der Imperator lachte und ließ sie los. Er entfernte sich einen Schritt von ihr und musterte sie amüsiert.

„Ihr gefallt mir. Ich werde Euch behalten, denn ich weiß was ihr den Clans wert seit.“ Er ging zum Tisch nahm eine Weintraube und steckte sie sich genüsslich in den Mund.

„Und vielleicht finde ich in Euch eine vorzügliche Partnerin, wer weiß!“

„Nur über meine Leiche!“

„Vielleicht!“

Der Imperator grinste und gab Sandaru ein Zeichen.

Der Windkanter nahm Sheila am gesunden Arm und führte sie aus dem Zelt. Den ganzen Weg zurück zu dem ihren spürte sie ein unheimliches Kribbeln im Nacken.

Reunion

Als Kasuke die Kalten Berge erreichte, hatte er die Grenzen seines gepeinigten Körpers erreicht. Der Wunsch, Sheila zu finden hatte ihn getragen, doch es war nicht mehr, als ein Adrenalinschub gewesen, der ihn nun verließ.

Müde ließ er sich im Schatten eines Felsens nieder und versuchte seine Kraft zu sammeln. Die Sonne würde bald untergehen.

Er war vollkommen spontan aufgebrochen, hatte nur Sheila im Kopf gehabt. Doch nun musste er sich die Zeit nehmen und seinen Plan durchdenken. Weder Sheila, noch die Dämonen profitierten davon, wenn er sich gefangen nehmen oder töten ließ.

Er ließ den schweren Kopf auf seine Vorderpfoten nieder und schloss die Augen. Er konnte nicht kämpfend ins Lager kommen. Ihm blieb nichts weiter übrig, als sich anzuschleichen und zu hoffen, dass der Feind blinde Flecke in seiner Überwachung hatte.

Kasuke fuhr sich mit der Pfote über die empfindliche Schnauze. Es gab nichts an seinem Körper, das ihm nicht wehtat. Aber er musste es einfach versuchen.

Keiner der Dämonen in seiner Armee war jemals auf der anderen Seite gewesen. Es gab einfach keine andere Möglichkeit. Er musste darauf bauen, dass der Imperator seine Feinde unterschätzte, jetzt wo er Sheila in seiner Gewalt hatte.

Kasuke kroch in einen Felsspalt und wartete auf die Nacht, während er betete, dass sein Körper ihn nicht im Stich ließ.
 

Sheila ließ sich auf ihr Feldbett nieder und starrte stumm vor sich auf den Boden. Sie ignorierte Sandaru, obwohl er noch immer im Zelt war. Er war keine Gefahr.

In diesem Augenblick gab es nur eine Sache, eine Frage, die ihre Aufmerksamkeit forderte. Wie konnte sie der Armee nutzen? Wie konnte sie den Imperator aufhalten? Sheila hatte die Truppenstärke gesehen und obwohl sie sich nichts hatte anmerken lassen, hatte sie doch Angst bekommen. Nicht Angst um sich, ihr Leben, sondern um das ihrer Freunde.

Sie machte sich nichts vor. Die Armee der Dämonen hatte keine Chance.

Sheila seufzte und legte die Hände vors Gesicht.

Das Feldbett wankte und ein Arm legte sich schwer um ihre Schultern. Erschrocken zuckte Sheila zurück und sah in die grünen Augen Sandarus. Der einzige Grund, der sie daran hinderte, ihn von sich zu stoßen, ihn den Feind, war der Ausdruck seiner Augen. Er empfand Mitleid!

Er schob sie ein wenig weg und musterte sie eingehend.

„Sheila, bitte hör mich an. Du - ihr- habt keine Chance. Bitte gib auf und unterwirf dich ihm.“

Empört sprang Sheila auf.

„Das kannst du nicht ernst meinen! Das würde ich nie tun!“

„Bitte!“ Sandaru war ebenfalls aufgestanden und hatte die Hände gehoben, wie als wollte er ihr zeigen, dass er ihr nicht wehtun würde.

„Er wird dich töten, wenn er erstmal genug von dir hat.“

„Das ist doch vollkommen gleichgültig? Was bedeutet mein Leben, wenn die anderen überleben?“

Sandaru schüttelte den Kopf und ließ sich wieder auf das Bett sinken.

„Ich weiß nicht, aus welcher Welt du stammst, ich habe sie nie gesehen. Doch das was ich darüber weiß, sagt mir, dass sie um einiges sicherer als Kemono ist. Wieso gehst du nicht dorthin zurück? Dieser Krieg ist nicht deiner!“

Das Mitleid war Angst gewichen. Der Windkanter hatte Angst um sie. Sheila hatte sich zumindest in diesem Punkt nicht geirrt. Sandaru war kein Monster. Nur ein Soldat in der falschen Armee.

Sheila ging vor ihm in die Hocke, was schwierig war, mit einem fixierten Arm.

„Stimmt, du kennst meine Welt nicht und doch hast du Recht. Sie ist anders, aber auch dort gibt es Gefahren. Mein persönliches Los war die Einsamkeit und die habe ich in Kemono verloren.“ Sie lächelte schwach und musste die Tränen der Erkenntnis verdrängen.

„Wenn ich jetzt gehen würde, könnte ich dort nicht mehr leben. Es würde mich umbringen, nur einen Tag dort zu verbringen, in dem Gedanken an euch. So weit fort von mir.“

Nun stahl sich doch eine Träne über ihre Wange. Perplex berührte Sandaru diese Träne.

Sheilas Stimme war nun nur noch ein Flüstern: „Ich möchte lieber hier sterben, als dort leben!“ Sie lächelte und gab Sandaru einen Kuss auf die Stirn, als sie aufstand. Erst jetzt wurde ihr klar, dass genau das was sie gesagt hatte, die Wahrheit war.

Sandaru räusperte sich und stand auf. Sein Blick lag einen Augenblick zu lange auf ihrem Gesicht, dann wandte er sich ab. Kurz bevor er das Zelt verließ, blieb er jedoch stehen.

„Ich werde alles dafür tun deinen Tod heraus zu zögern, doch ich weiß nicht, wie lange!“

Dann ging er.

Sheila starrte eine Weile stumm auf die Zeltplane und fragte sich, wie sie diese Worte aufnehmen sollte.

Sie hatte nicht geglaubt, dass er sich gegen seinen Herren stellen würde. Also war dies das größte Opfer, das er bringen konnte.

Sheila seufzte erneut und legte sich auf das Bett.

Auf seine Art, war auch Sandaru ihr Freund. Trotz der gebrochenen Knochen und der Situation, in die er sie gebracht hatte. Wie konnte sie ihm helfen, seine Seele nicht zu verlieren?
 

Als die Dunkelheit die Armee überraschte, waren sie noch gut einen Tag von den Bergen entfernt. Die Soldaten waren teilweise am Ende ihrer Kräfte, denn Sekura hatte das Tempo noch einmal angezogen, nachdem der Wolf sie verlassen hatte.

Mika sah über die Köpfe der Soldaten hinweg und erkannte hier und dort tiefe Erschöpfung. Sie vermutete, dass der Panter Angst um Kasuke hatte. Ihm wäre es mit Sicherheit lieber gewesen, er hätte die Möglichkeit gehabt dem Wolf alle Knochen zu brechen und ihn somit daran zu hindern, dieses Selbstmordkommando aufzufahren. Doch Mika wusste auch, dass Kasuke sich selbst in diesem Zustand zu Sheila geschleppt hätte.

Mika verwandelte sich in einen Menschen und fuhr sich mit der Hand durch ihre langen silbernen Haare. Hoffentlich hatte sie sich nicht geirrt.

Gleichzeitig wusste sie, dass sie nichts hätte ändern können. Zumindest nicht, was Kasuke betraf. Sie war vernarrt in ihn gewesen. Aber sie hatte nicht die Gefühle besessen, die Sheila und Kasuke aneinander band. Die beiden hatten sich wirklich die meiste Zeit gestritten und der eine hatte den anderen verletzt. Und doch waren sie immer bereit gewesen füreinander ein zu stehen.

Sheila war nicht gegangen, weil Konomis Entschluss sie verletzt hatte, da war Mika sich sicher. Das war nur der Tropfen gewesen, der das Fass hatte zum Überlaufen bringen können. Mika hatte gesehen, wie Sheila ihrer aller Verrat bei den Drachen nur schlecht weg gesteckt hatte. Diesen Schmerz in ihren Augen, der nicht von ihrer Wunde herrührte.

Mika passierte die einzelnen Gruppen die dabei waren Feuer zu entzünden um die Dunkelheit damit zu vertreiben.

Wie viele würden nach Hause zurückkehren? Wem war es bestimmt zu überleben?

Bei einer Gruppe von Maulwürfen blieb sie stehen. Die kleinen Dämonen zeichneten etwas in den Sand und besprachen sich in einer anderen Sprache angeregt darüber. Mika entdeckte Talpino in deren Mitte, dem es schon viel besser zu gehen schien. Die Wölfin musste daran denken, wie Sheila dem kleinen Kerl beigestanden hatte, als er sie am meisten gebraucht hatte.

Plötzlich stand Inari der Fuchs neben ihr und musterte die Zeichen im Boden.

„Sie überlegen, wie sie den Feind überraschen können. So wie das aussieht, spielen sie mit dem Gedanken, den Feind zu unterwandern und sie in ein Loch zu stürzen.“

Mika nickte anerkennend.

„Ist das in einer solchen Größenordnung denn möglich?“

„Nicht in der einer ganzen Armee. Sie könnten ihnen aber einen riesigen Schrecken einjagen.“

Mika und Inari lachten leise, dann verabschiedete die Wölfin sich und ging weiter.

Sie wollte einfach nur ein wenig spazieren gehen um den Kopf klar zu bekommen, doch überall wurde sie angesprochen, nach Kasuke’s Verbleib befragt und um Rat gebeten. Was Kasuke betraf, sagte sie nur so viel, als das er unterwegs war, den Feind auszuspionieren. Einige Dämonen waren beruhigt, andere fragten sich, warum er diese Aufgabe nicht einem weniger wertvollen Soldaten überlassen hatte. Bei dieser Frage musste Mika sofort an Sheila denken. Eine solche Einstellung hätte sie schockiert, doch für die Dämonen war das normal.

„Er wollte den Besten!“

Mit dieser Antwort waren alle zufrieden.

Irgendwann kam sie am Rand der Lichtung an, auf der sie kampierten und setzte sich, dankbar für die Einsamkeit, unter eine alte Eiche. Die Wurzeln waren einladend, groß und dick und ragten hier und da aus dem Boden heraus, sodass sie sich bequem hinein setzen konnte. Von hier hatte Mika einen wunderbaren Überblick über die Lichtung und die Armee. Die vielen kleinen Feuerchen, das Geräusch der Waffen und leisen Gespräche machte Mika irgendwie traurig.

Sie wünschte sich, Sheila wäre hier und würde mit ihrer guten Laune und ihrem liebevollen Wesen, die Situation aufheitern. Doch Sheila war weit weg und womöglich schwer verletzt. Nur daran, dass das Menschkind tot sein könnte, daran wollte Mika nicht denken. Sie legte den Kopf in die Hände und starrte vor sich hin, versuchte sich das Lachen und die Stimme von Sheila vorzustellen.

„Es ist hart zu wissen, dass einige nicht wieder kehren werden!“

Mika zuckte zusammen und sah auf.

Über ihr in den dicken, knorrigen Ästen hockte Sekura als Panter. Sein Schwanz zuckte unruhig hin und her und Mika fragte sich, wie lange er dort schon saß. Sie wurde unvorsichtig.

Ohne etwas zu erwidern stand sie auf und wollte zu den Soldaten zurückkehren. Sekura hatte ihr mehr als einmal klar gemacht, dass er ihre Gesellschaft nicht wünschte, also mied sie die seine lieber.

„Warte!“ Mit einem Satz landete der Panter vor ihr und verwandelte sich in die menschliche Gestalt. Nun war er gut einen Kopf größer als sie und Mika musste in seine gelben Augen auf sehen, die im Dunkeln unnatürlich leuchteten.

„Du gehst mir aus dem Weg?!“

Das war Frage und Feststellung zugleich und Mika wusste nicht so wirklich, was sie dazu sagen sollte. Also zuckte sie nur mit den Schultern und drängte sich an ihm vorbei. Ihr Gemütszustand ließ eine längere Diskussion mit ihm nicht zu.

Doch Sekura ließ sich nicht abwimmeln und lief neben ihr her, ohne sie aus den Augen zu lassen. Leider war sie auch nicht die Geduldigste, somit hatte er sie bald soweit, dass sie stehen blieb und sich ihm zuwandte.

„Was willst du von mir?“

Die Frage hatte den Panter überrascht und er hatte darauf partout keine direkte Antwort. Mika verdrehte die Augen und ging weiter.

„Ich weiß es nicht!“

Sekrua stand noch immer an derselben Stelle und wirkte dermaßen hilflos, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Ehrlich gesagt, hatte sie ihn noch nie hilflos erlebt. In den ganzen 200 Jahren nicht, die sie ihn kannte.

Sie schüttelte den Kopf und kehrte zu ihm zurück.

„Du warst noch nicht ein einziges Mal freundlich zu mir! Warum sollte ich dann hier bleiben, wenn du es dir auf einmal anders überlegst?“

Auch darauf hatte er keine Antwort.

„Ich geh dir nicht aus dem Weg, aber es reizt mich auch nicht, deine Nähe zu suchen.“

Mika war der Meinung, sie habe nun genug dazu gesagt. Sie wollte zu ihrem Rudel zurück und der alten Fry Gesellschaft leisten, die die Reise nicht gerade gut wegsteckte.

„Ich bin nicht wie Kasuke!“ Überrascht blieb sie stehen und sah ihn an.

„Wie bitte?“

„Er hat eine schwache, eine gute Seite. So etwas besitze ich nicht.“

Verwirrt sah sie den Panter an. Wie meinte er das?

„Ich wünschte ich könnte Gefühle zulassen, aber ich habe das verlernt und kommt mir etwas zu nahe, versuche ich es zu vergessen.“

Er kam auf sie zu und blieb unbeholfen vor ihr stehen. Es sah sogar so aus, als wüsste er nicht, wohin mit seinen Händen, als verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Ich habe deine Versuche mir nahe zu kommen, mir bei zu stehen bemerkt, wollte sie aber nicht wahr haben. Es wäre eine Schwäche gewesen.“

Sein Atem strich über Mikas Gesicht und sie erschauerte, wandte den Kopf ab um ihre Gefühle zu verbergen.

„Bist du deshalb wütend auf mich?“ Er flüsterte beinahe.

„Ich bin nicht wütend!“, hörte sie sich sagen. Wieso war sie auf einmal so Durcheinander, so unsicher.

„Darf ich dich dann um Etwas bitten?“

Fragend blickte die Wölfin auf. Was konnte er von ihr wollen? Sekura trat von einem Bein auf das andere, nicht sicher, wie er das was sagen wollte, formulieren sollte,

„Wir werden morgen die Berge erreichen und womöglich ins Verderben rennen!“ Er sagte es so sachlich, wie immer und einen Augenblick meinte sie, sich den unsicheren Panter eingebildet zu haben. Doch dann brach er abrupt ab und sah sie hilflos an.

„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.“

Mika musterte ihn. Was auch immer ihm auf dem Herzen lag, er wollte es loswerden, konnte aber nicht. Sie trat auf ihn zu und löste seine verkrampften Arme, dann sah sie ihm direkt in die Augen.

„Sag es genau so, wie es dir auf der Zunge liegt!“

Sekura kämpfte mit seinem inneren Schweinehund, dann seufzte er laut und nahm Mikas Hände überraschenderweise in die seinen. Sie musste ebenso geschockt aussehen, denn Sekura lachte laut und entspannte sich sichtlich.

„Würdest du einfach bei mir bleiben? Ich möchte … ich kann im Moment nicht alleine sein.“

Mikas Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann zu rasen. Sie schluckte schwer. Als Sekura sah, dass sie zögerte lächelte er wieder.

„Ich werde auch nett sein!“

Hilflos zuckte Mika mit den Schultern.

„Das ist jawohl das Mindeste!“
 

Als die letzten Strahlen der Sonne hinter den Bergen verschwunden waren, kam der Imperator zu Sheila.

Er trug nun eine wesentlich stärkere Rüstung und Sheila schluckte schwer. Hieß das, dass die Armee im Anmarsch war?

Das musste so sein. Natürlich hatten die Dämonen des Ostens nicht mehr gezögert, als Sandaru sie verschleppt hatte. Wie hatte sie daran nicht denken können?

Als der Imperator ihr erschrockenes Gesicht sah, lächelte er süffisant und setzte sich auf den einzigen Hocker im Zelt. Sheila hatte sich, seitdem sie zurückgekehrt war, nicht mehr vom Bett erhoben, doch sie saß so aufrecht, wie es ihr möglich war ohne allzu große Schmerzen zu haben.

„Ich sehe, dir ist aufgegangen, dass deine Freunde auf dem Weg hierher sind.“

Er wartete auf eine Reaktion ihrerseits, aber Sheila starrte ihn nur an, ohne zu blinzeln.

„Nun, dir wird klar sein, dass wir sie überrennen werden. Sie haben keine Chance.“

Er stand auf und lief ruhig durch das Zelt, berührte hier einen Becher und dort ein Kissen. Dabei wirkte er so selbstsicher, dass Sheila sich um einiges kleiner fühlte. Doch wenn sie nun aufstand, dachte der Imperator sicher, dass sie nervös war. Außerdem wusste sie nicht, ob ihre Beine sie trugen.

„Ich mache dir ein Angebot, dass du in einer solchen Situation nicht ausschlagen kannst.“ Er drehte sich zu ihr um und das eisige Grinsen in seinem Gesicht ließ sie frösteln.

„Du wirst dich ergeben und somit auch die Clans. Um dies zu besiegeln, wirst du an meiner Seite sein, wenn ich Kemono beherrsche.“

Der Zorn trieb ihr die Macht unter die Haut, aber Sheila blieb ruhig. Sie hatte sich in den letzten Stunden genau ausgemalt, welche Dinge der Imperator zu ihr sagen könnte, würde und was er zu tun gedachte. Deshalb traf sein Vorschlag sie nicht unvorbereitet.

„Nein!“, ihre Stimme blieb ruhig und tonlos, was dem Imperator eine Augenbraue in die Höhe trieb.

„Du bist dir im Klaren darüber, was die Konsequenzen für dich und dein Volk sein werden?“

„Der Tod ist weitaus annehmbarer als unter Eurer Knechtschaft zu leben.“

Der Imperator schürzte die Lippen und betrachtete Sheila eine Weile vollkommen bewegungslos. Nur seine Augen verrieten, dass er lebte.

Sheila hielt seinem Blick stand, auch wenn sie zwischenzeitlich glaubte, dass ihr die Kraft dazu fehlte.

„Du hast Zeit bis Tagesanbruch. Dann werde ich dich zum Schlachtfeld führen und dort wirst du dich entscheiden!“

Ohne eine weitere Reaktion ihrerseits abzuwarten, verließ er das Zelt. Die Wachposten vor der Tür, zwei Oger, verschlossen sofort die Plane.

Sheila starrte auf ihre Hände, die es erst jetzt wagten zu zittern. Hatte sie richtig gehandelt? Vielleicht hatte sie ihrer aller Tod unterzeichnet, nur weil sie nicht bereit war, ihren Stolz aufzugeben!

Leise stahl sich eine Träne über ihre Wange. Wie konnte man in einer solchen Situation noch realistisch handeln?
 

Etwa eine Stunde später kauerte ein schwarzer Wolf hinter einem Felsen und wurde somit unsichtbar. Von hier aus hatte er einen sehr guten Blick auf das Lager der feindlichen Armee. Er musste zugeben, das was er sah jagte ihm schon einen Schauer über den Rücken und sein Fell sträubte sich.

Kasuke hatte gewusst, dass der Feind in der Überzahl war. Aber das was er sah, überstieg seine Erwartungen. Er vernahm ein Rauschen und duckte sich noch mehr. Es war eigentlich unmöglich, dass man ihn sah, denn die Dunkelheit verschluckte ihn fast vollständig, doch über ihm kam ein Schwarm Fledermäuse in Sichtweite. Mit ihren Echos war es gut möglich, dass sie ihn aufspürten.

Der Wolf warf noch einmal einen Blick ins Lager. Er hatte gedacht, es wäre näher an den Bergen. Sein Geruchssinn hatte ihn in einen Tunnel geführt, den Sandaru benutzt hatte. Überall waren Sheilas Spuren gewesen. Für seine empfindlichen Sinne waren sie fast sichtbar geworden, so sehr war er darauf fixiert, Sheila zu finden.

Doch das Lager war gut vier Stunden entfernt gewesen. Kasuke fragte sich, ob dem Feind überhaupt bewusst war, dass ihnen ein Angriff bevor stand.

Kasuke sah sich das Terrain vor ihm genauer an. Es war felsig, aber ansonsten sehr karg und trocken. Es war zwar dunkel, doch er war sich nahezu sicher, dass auf der Seite des Imperators ebenfalls Wesen waren, die die Nacht zum Tag machen konnten. Er musste äußerst vorsichtig sein.

Geduckt robbte er zur nächsten Felsformation und sah sich nach allen Seiten um. Er wollte auf gar keinen Fall überrascht werden, bevor er nicht wusste, dass es Sheila gut ging. Als er nichts hörte, sprang er mehrere Meter über die Fläche und kam so dem Lager um einiges näher.

Mehr und mehr vernahm er nicht nur Geräusche, sondern den bestialischen Gestank diverser Latrinen und wenn er sich nicht irrte, hörte er das Wispern einiger Nachtmahre. Im Stillen betete Kasuke, dass Sheila keinem dieser Monster begegnet war. Sie waren kaum sichtbar und erschienen, wie der Name schon sagte, nur wenn die Dunkelheit das Land heimsuchte. Sie hatten die erschreckende Eigenschaft, einen Menschen zu hypnotisieren und in den Wahnsinn zu treiben. Kasuke fürchtete sie jedoch nur aus einem einzigen Grund. Sie kämpften einfach nicht fair. Hatten Nachtmahre einen in der Gewalt, konnte man sich kaum noch wehren.

Kasuke überlegte einen Moment, wie er diesen Monstern ausweichen konnte, doch genau in diesem Augenblick spürte er einen Luftzug und es wurde still um ihn herum.

Es gab jetzt nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie lauerten ihm auf oder sie waren auf Mission, demnach fort.

Kasuke hob den Kopf vom Boden und spitzte die Ohren. Er vernahm wirklich nichts.

Einige Augenblicke ließ er verstreichen, dann näherte er sich den ersten Zelten. Verwundert legte er sich hinter einem Zelt nieder, das dem Geruch zufolge so etwas wie eine Vorratskammer war. Wo waren die Wachen? Das alles war doch viel zu einfach! Der Wolf wagte es nicht, sofort ins Lager einzudringen, so groß es auch war. Dort wäre er wie auf dem Präsentierteller gewesen und das passte ihm gar nicht.

Also begann er damit, die Grenzen des Lagers abzulaufen. So stark der Gestank hier auch war, er vertraute darauf, dass sein Herz Sheila fand.
 

Mika gähnte und lehnte sich wieder gegen den Stamm der Eiche.

Sekura und sie saßen bereits seit einiger Zeit nebeneinander an dem Baum gelehnt und sahen stumm auf das Lager hinunter. Mika versuchte auszublenden, dass sie sich tatsächlich wohl fühlte. Aber das ging natürlich nicht, also akzeptierte sie es bald.

Sekura war wirklich nett, weil er nichts sagte und so konnten beide ihren Gedanken nachgehen ohne alleine zu sein.

„Du solltest schlafen gehen!“

Mika richtete sich auf und schüttelte den Kopf.

„Kannst du etwa schlafen heute Nacht?“

„Nein!“

„Siehst du! Ich auch nicht.“

Die Wölfin lehnte sich nach vorne und schlang die Arme um die Knie. Sie konnte schlecht zugeben, dass sie 1. den Schlaf fürchtete und 2. nicht gehen wollte.

„Was ist, wenn ich dir verspreche, dass ich über dich wachen werde, wenn du schläfst!“

Mika warf ihm einen misstrauischen Blick zu.

Sekura lachte. Es war so ungewohnt, diesen Ton von ihm zu hören, dass die Wölfin die Augen verengte.

„Was glaubst du denn, was ich tun könnte?“

Das Lachen schwang noch im Gesagten mit, doch die Frage schien dem Felidae wirklich wichtig zu sein. Mika seufzte.

„Natürlich nichts! Mich hat nur dein Entgegenkommen gewundert.“

Sie sagte natürlich nicht, dass sie sich auch so schon hilflos genug fühlte. Sich ihm vollkommen auszuliefern war dann einfach zu viel. Sekura robbte ein wenig nach vorne und sah die Wölfin sehr intensiv an. Zunächst versuchte sie, ihn zu ignorieren, doch lange behielt sie die Nerven nicht.

„Was ist, verdammt noch mal, los mit dir?“

„Was stört dich daran, dass ich versuche nett zu sein?“

„Das bist nicht du!“

Mika sprang auf und drehte sich zu Sekura um, der sie noch immer anstarrte. Doch er war weder überrascht noch sauer. Er schien eher abzuwarten.

Doch auf einmal wusste Mika nicht mehr, was sie hätte sagen sollen. Sie war nicht wütend auf Sekura. Nicht wirklich. Sie kam einfach mit dieser Situation nicht zurecht.

Erst ignorierte er sie oder war einfach abweisend und auf einmal machte er so viele Schritte auf sie zu, die so plötzlich und so unerwartet kamen, dass er sie überrannte.

Hilflos warf sie die Arme in die Luft und machte dann auf dem Absatz kehrt. Sie hielt das jetzt nicht mehr aus.

„Mika!“

„Nein!“

Einfach weiter gehen, sagte sie sich. Sie wollte nicht hören, was er ihr zu sagen hatte.

„Bitte warte doch!“

Dieser unbekannte Ton in seiner Stimme. Das machte sie nervös.

Die Wölfin vernahm ein Knurren und spürte wie Sekura zu dem Tier wurde, was er verkörperte. Sofort verwandelte sie sich ebenfalls.

Wenn er meinte, er konnte sie so überrumpeln, dann hatte er sich geschnitten. Mika war vielleicht keine Katze, aber für einen Wolf sehr schnell und Kasuke in dieser einen Disziplin sogar überlegen.

Sie blendete ihren Verfolger aus und brachte ihren Körper nah an den Boden. Somit wurde sie windschnittiger und spürte, dass Sekura zurückfiel. Ihre Pfoten gruben sich in die Erde und Mika spürte wie der Adrenalin durch ihre Venen schoß.

Sie jagten nur ums Lager herum, aber sie waren so schnell, dass sie die anderen Dämonen vollständig aus dem Sichtfeld verloren.

Das Tempo war berauschend und Mika fühlte, dass sie sich dadurch Erleichterung verschaffte. Die Anspannung der letzten Stunden fiel für diesen Augenblick von ihr ab und sie stieß ein übermütiges Heulen aus, dass von einigen Wölfen fragend erwidert wurde. Wahrscheinlich dachte ihr Rudel, sie wäre vollkommen übergeschnappt.

Sie jagte auf einen kleinen Abhang zu, der sich vom Lager entfernte und verlangsamte ihr Tempo. Sie hatte sich genug vergnügt.

Doch sie hatte ihren Verfolger vergessen.

Sekura nutzte die Gelegenheit und sprang ihr in den ungeschützten Rücken. Seine Krallen waren zwar eingefahren, doch die Wucht des Aufpralles ließ alle Luft aus Mikas Lunge entweichen. Er umklammerte sie mit seinen Pranken und gemeinsam rollte sie den Abhang hinunter.

Keuchend blieben sie in einer Wolke aus Staub liegen. Als Mika aufsah, schaute sie in das menschliche Gesicht des Panters. Sie hatte nicht übel Lust ihn weg zu beißen, da er auf ihr zum Liegen gekommen war, aber es war gegen die Regeln. Er war in diesem Augenblick der schwächere von beiden. Also verwandelte auch Mika sich zurück.

Böse funkelte sie ihn aus ihren eisblauen Augen an.

„Was sollte das? Du hättest mir jeden Knochen brechen können!“

Zu spät erkannte sie, dass seine Mimik sich verändert hatte.

Im nächsten Augenblick senkten sich seine Lippen heiß auf die ihren. Innerhalb weniger Augenblicke, war Mika zum zweiten Mal aller Luft beraubt worden. Nun blieb ihr auch noch das Herz stehen.

Sein Kuss war bittend und hart zugleich. Es war, als stellte er die Frage ohne die Antwort abzuwarten und über dem ganzen lag ein Hauch von Verzweiflung. Er wollte sie in diesem Augenblick nicht nur, er brauchte sie auch und das ließ Mika weich werden.

Doch sie wollte das auch und Sekura nachzugeben war, wie eine tonnenschwere Last los zu werden, die ihr Herz hatte zerquetschen wollen.

Sie schmeckte Wasser, Rauch und Mann und wollte immer mehr.

Sekura war irgendwann derjenige, der sich löste. Einen Moment sah er sie einfach nur an, als wolle er diesen Moment und ihren Anblick auskosten. Dann seufzte er.

„Wer hätte gedacht, dass wir an diesen Punkt gelangen!“

Seine Stimme war so voller Resignation, dass Mika unwohl wurde. Sie schlug die Augen nieder und versuchte aufzustehen, was Sekura überrascht zuließ.

Geschäftig klopfte sie ihre Kleidung ab, die hauptsächlich aus Leder war und recht eng anlag. So etwas trug sich unter Rüstungen immer besser, als Leinen.

Sekura stand ebenfalls auf und musterte Mika ein wenig verwundert.

„Habe ich was Falsches gesagt?“

Die Wölfin riss sich zusammen um ihre Mimik in dem Griff zu bekommen und sah ihm dann in die Augen.

„Du sagst doch immer das Richtige im richtigen Augenblick!“

Sie wollte gehen, doch Sekura hielt sie fest. Erkennen lag in seinem Blick und Mika fühlte sich dumm. Wieso schien er sie immer zu durchschauen?

„Mika, das gerade habe ich so gewollt.“

Sie errötete und schlug die Augen nieder.

„Ich wollte es die ganze Zeit, aber konnte es nicht.“

„Du schienst irgendwie traurig.“

Sie sah ihn immer noch nicht an.

Vorsichtig legte er einen Finger unter ihr Kinn und hob es an. Sein Atem strich ihr übers Gesicht und versetzte ihr Stromstöße, die ihren Körper vibrieren ließen.

„Ich bin traurig. Aber nur weil wir uns an einem Zeitpunkt näher gekommen sind, in dem unsere Atemzüge gezählt sind.“

Er nahm sie in den Arm und legte ihren Kopf an seine Brust. Automatisch, als gehöre sie genau dorthin, legte sie die Arme um ihn.

„Lass uns diese wenigen Momente zusammen bleiben.“
 

Die Müdigkeit hatte Sheila dann doch bald überwältigt. Sie hatte sich zwar nicht viel bewegt, was ihr bei den Schmerzen sowieso nicht möglich war, doch die Situation und die Gedanken die sie nicht losließen, bescherten ihr das Glück, in den Schlaf zu flüchten.

Doch auch dort ließen die Träume sie nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder sah sie ihre Freunde, die unterschiedlichsten Tode sterben. Meist in der Schlacht, die unausweichlich auf sie zukam und die das Ende bedeutete. Hoffnung hatte sie nicht mehr.

Plötzlich legte sich etwas fest auf ihren Mund. Ihr Unterbewusstsein vermischte dies mit einem Traum, indem sich eine Schlange um ihr Gesicht legte und Sheila schlug um sich. Der Schmerz ihrer Schulter und Rippen holte sie in die Gegenwart zurück.

Der Schrei blieb ihr im Halse stecken und als sie mit weit aufgerissenen Augen den Kopf abwandte, brauchten ihre Augen eine Weile, bis der Schatten neben ihr ein Gesicht bekam.

„Kasuke!“, keuchte sie und wagte es nicht, sich zu bewegen. Vielleicht war auch dies ein Traum und er würde wieder verschwinden.

„Sei leise, die Wachen stehen noch immer vor dem Zelt.“

Doch Sheila war bereits auf den Beinen und warf sich dem Wolf an den Hals. Überrascht wankte Kasuke im ersten Augenblick, legte dann jedoch vorsichtig die Arme um ihre Schultern. Er vernahm ihre leisen Schluchzer und fuhr ihr sacht über das Haar.

„Es tut mir so Leid.“, brachte sie hervor, ohne auch nur einen Zentimeter aus seiner Umarmung zu weichen.

„Es tut mir alles so Leid!“

Ihre Tränen wurden stärker und sie bebte. Kasuke spürte, dass sie Schmerzen hatten und schob sie sachte zum Bett und zwang sie, sich zu setzen. Es war schwer, sie dazu zu bringen, ihn los zu lassen.

„Wie schwer bist du verletzt?“

Sheila sah auf und bewunderte, dass Kasuke wie immer die Situation vollkommen unter Kontrolle hatte. Er würde sich nicht von seinen Gefühlen leiten lassen. Ihr Herz schmerzte, als sie die verblassenden Blutergüsse in seinem Gesicht und seinen Armen sah. Das war ihr Werk. Sachte strich sie über eine unansehnliche Verletzung an seinem Unterarm, den er sofort zurückzog.

Sheila versuchte sich zu konzentrieren.

„Es geht mir eigentlich ganz gut. Ich habe nur Schmerzen.“

Sie sah auf ihre Schlinge hinab, in der ihr Arm steckte.

„Leider bin ich auch nicht allzu beweglich.“

„Ist das beim Sturz der Fogal passiert?“

Ein Bild von dichten Bäumen, auf die sie zustürzte, manifestierte sich in ihrem Kopf und Sheila schloss die Augen.

„Ja. Sandaru hat mich nicht mehr angerührt und der Imperator auch nicht.“

Kasuke wich zurück und musterte sie einen Augenblick, ohne dass man hätte sagen können, was er dachte.

„Du hast den Imperator gesehen?“

Sheila nickte.

„Ja, er wollte mit mir sprechen.“

„Wird er dich zurück schicken?“

Kasukes nüchterne Stimme, schickte Sheila einen Schauer über den Rücken.

„Es ist komplizierter!“

„Was will er dann?“

Sheila zupfte an ihrem Verband.

„Sheila! Was will er dann?“

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. Wieso musste er so hartnäckig sein? Sie schämte sich auch so schon.

„Eure Kapitulation und mich an seiner Seite.“, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. Sie musste sich zusammenreißen, damit die Wachen sie nicht hörten.

„Was hast du ihm geantwortet?“

Sheila sah rot. Sie sprang auf, was ihr ein Ziehen in der Rippengegend bescherte und schlug nach dem Wolf.

„Was glaubst du, was ich geantwortet habe? Das ich gerne seine Königin werde? Dass ich euch knechten möchte? Wofür nach Hause gehen? Ich kann doch ein ganzes Reich beherrschen.“

Sie griff mit der gesunden Hand nach einem kleinen Kerzenleuchter und schlug erneut nach dem Wolf, der ihr behände auswich.

„Weißt du was? Mich interessiert es nicht mehr, ob ihr Vertrauen in mich habt. Das ist doch vergebliche Lebensmühe.“

Sie ließ den Kandelaber fallen und drehte Kasuke den Rücken zu, damit er nicht sah, dass die Wut und die Trauer ihr die Tränen in die Augen getrieben hatten.

Sie hatte geahnt, dass ihr Angriff auf Kasuke nicht ohne Folgen bleiben würde. Aber sie hatte niemanden je Grund zu Zweifeln gegeben, was ihre Loyalität betraf. Sie hatte nur nach Hause gewollt. Keiner hatte gewusst, wer Sandaru wirklich war. Sie war nicht freiwillig auf dieser Seite von Kemono.

Kasukes drehte sie sachte zu sich um und suchte ihren Blick, in dem er ihren Kopf anhob. Leider blieben ihm somit auch nicht die Tränen verborgen, mit denen sie noch immer kämpfte.

Diesmal war er es, der sie in die Arme nahm.

„Es tut mir so Leid, Liebes. Ich hatte solche Angst um dich, dass ich nicht wusste, wie ich anfangen soll. Ich wollte dich nicht verletzen.“

Sheila sah auf und schniefte.

„Du hattest Angst um mich?“

Kasuke lächelte.

„Natürlich. Ich war krank vor Sorge.“

„Aber ich habe dich verletzt!“

Die Erinnerung quälte Sheila sehr und das blieb auch Kasuke nicht verborgen.

„Ich bin nicht dumm, Sheila. Ich weiß, was der Grund für deine Reaktion war.“

Er strich ihr zärtlich über das Gesicht, froh, dass er es wieder in den Händen halten konnte.

Er legte seine Stirn an ihre und flüsterte: „Nichts hätte mich davon abgehalten, hier her zu kommen!“

Dann schlang Sheila ihre gesunde Hand in sein weiches Haar und zog seinen Kopf herunter. Verlangend und forsch küsste sie ihn, so wie sie niemanden je geküsst hatte. Das hier war nicht zu vergleichen mit dem Kuss vor der Burg. Sheilas Gefühle hatten sie geleitet. Sie verzehrte sich schon so lange danach, einfach zu handeln. Celine in den Hintergrund zu drängen und einfach nur sie selbst zu sein.

Kasuke schien zunächst überrascht, doch er hatte sich bald gefangen und mit einem Seufzer gab er sich ihr ganz hin. Er wollte ihr so viel geben, ihr beweisen, was sie ihm wert war, denn in Worte ließ sich das nicht fassen.

Sheila drängte sich an den Wolf, was sie sofort bereute. Ein scharfer Schmerz ließ sich zusammen zucken und sie musste sich von Kasuke lösen.

„Verdammt noch mal!“, fluchte sie und presste ihre Hand an die Rippen.

Kasukes lächelte und legte seine Hand auf die ihre. Sie war so viel größer als die ihre und Narben zeichneten sie. Seine Wärme ging auf sie über und Sheila fühlte sich, als wäre alles Angst und jeder Zweifel von ihr gewichen. Seine eisblauen Augen glühten vor Zärtlichkeit und Sheila musste erneut gegen die Tränen ankämpfen.

„Wieso wird einem so vieles erst so spät klar?“, wisperte sie. Kasuke küsste eine Träne weg. Seine Lippen waren so weich. Viel weicher, als sie es erwartet hatte, war er doch oft so unerbittlich.

„Es ist nie zu spät, mein Engel!“

„Wir werden hier nicht heile weg kommen, Kasuke. Und sollten wir es schaffen, werden wir die Schlacht nicht überleben. Ich habe die Truppen gesehen, wir haben keine Chance.“

Kasuke wirkte amüsiert, was Sheila nicht nachempfinden konnte.

„Seit wann hast gerade du keine Hoffnung mehr?“, fragte er. „Du ist diejenige, die uns Dämonen gelehrt hat, zu hoffen und zu kämpfen.“

Sheila schlug die Augen nieder.

„Seitdem ich dazu fähig war, jemanden zu verletzen, den ich liebe.“

Oh Gott, sie hatte es ausgesprochen. SIE hatte es gesagt und nicht Celine. Sheila spürte die Röte, die sich in ihrem Gesicht breit machte. Kasuke berührte leicht ihre Wange und sie sah auf.

„Wäre es nicht derjenige gewesen, der dich ebenso liebt, den du verletzt hast, müsstest du dir Sorgen machen.“

Er küsste sie und ihr Herz machte einen Satz.

„Doch so hast du mir gezeigt, wie sehr ich dich brauche und mein Innerstes zuoberst gekehrt.“

Sheila musterte ihn skeptisch.

„Außerdem hast du endlich zugegeben, dass du ebenso fühlst und dafür darfst du mich gerne noch mal schocken.“

Kasuke grinste und Sheila musste an dem Abend in der Scheune denken, an dem er sich ihr geöffnet hatte und sie diejenige gewesen war, die ihn in seine Schranken gewiesen hatte. Sie erwiderte sein Lächeln.
 

„Wie kommen wir hier jetzt weg?“

Sie hatten sich auf ihr Feldbett gesetzt, ohne einander loszulassen. Kasuke sah sich im Zelt um.

„Es wird schwierig sein, dass Lager wieder zu verlassen. Vor allen Dingen mit dir, noch dazu verletzt.“

Er sah Sheila wieder an.

„Es war viel zu einfach, wie ich hier her gelangt bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Imperator nicht weiß, wenn du die Grenzen passierst.“

Sheila runzelte die Stirn und musste sich eingestehen, dass Kasuke Recht hatte.

„Hast du einen Plan?“

Kasuke verzog den Mund. Ein freudloses Lächeln.

„Keiner, der mir gelegen kommt.“

Er drehte sich etwas, sodass er Sheila komplett in den Arm nehmen konnte.

„Du wirst dem Imperator zustimmen!“

„Wie bitte!“, Sheila dämpfte ihre Stimme im letzten Augenblick.

„Das kannst du nicht verlangen!“

Kasuke legte ihr beschwichtigend eine Hand an die Wange.

„Ich möchte erreichen, dass er dich über die kalten Berge zum Schlachtfeld bringt. Erst dort haben wir die Möglichkeit dich zu befreien.“

Er seufzte leise.

„Bis dahin musst du alles tun, um ihn bei Laune zu halten.“

Sheila schluckte und wusste, dass dies der einzige Weg war.

„Das ertrag ich nicht!“

Kasuke gab ihr einen Kuss auf die Stirn und drückte dann ihren Kopf an seine Brust.

„Schau nur nach vorne. Das ist die einzige Möglichkeit.“
 

Eine Weile schwiegen sie und Sheila genoss Kasukes Nähe. Doch bald regte er sich und ihr Herz raste vor Angst.

„Ich muss gehen. Noch hat der Imperator mich nicht entdeckt.“

Er löste sich vorsichtig aus ihrer Umarmung und stand auf. Erst jetzt bemerkte Sheila, dass ert keinerlei Waffen trug.

„Du bist unbewaffnet!“, sagte sie erschrocken.

Er sah auf seinen Gürtel herab.

„Ich hätte sowieso keine Chance, wenn sie mich finden würden. Und so bin ich leichter.“

Sheila schüttelte das Bild eines Kampfes ab.

Er sah sie noch einen Augenblick an und schickte sich dann an, sich zurück in einen Wolf zu verwandeln.

„Warte!“

Sie sprang auf und hielt ihn am Arm fest.

„Bitte bleib diese Nacht hier!“

Überrascht riss er die Augen auf.

„Ist das dein Ernst?“

„Wir wissen beide nicht, ob wir uns wieder sehen, sei ehrlich. Bitte bleib hier.“ Sie schluckte. „Du kannst…du kannst auch morgen früh, vor Sonnenaufgang gehen.“

Kasukes Augen verdunkelten sich.

„Du verlangst zu viel von mir. Meine Selbstbeherrschung ist nicht gerade stark.“

Sheila hätte ihm am Liebsten gesagt, dass sie Selbstbeherrschung nicht brauchte, aber sie waren im Feindesland und sie beide waren verletzt.

„Bitte halt mich einfach nur fest. Ich mache dir keinen Ärger.“

Kasuke verdrehte die Augen und musste gegen seinen Willen lächeln.

„Was machst du nur, dass ich mich für dich immer foltern lasse.“

Dann nahm er sie in den Arm.

Destiny cames

Sekura und Mika schliefen diese Nacht nicht. Sie hielten sich fest, stumm und jeder für sich und doch nicht alleine. Mika versuchte den Gedanken an der Morgen zu verdrängen, Sekura konzentrierte sich nur an das warme Gewicht in seinen Armen.

Wieso war ihm erst jetzt aufgefallen, dass er genau das immer gebraucht hatte? Das Leben spielte oft ein seltsames, grausames Spiel mit ihnen.

Der Panter blickte in den klaren Sternenhimmel und rief sich das Bild seines Freundes, dem Wolf, vor Augen. Kasuke hatte so sehr geliebt und war so oft verletzt worden. Celine, die von ihm gegangen war und nur eine Hülle zurück gelassen hatte und nun Sheila, die ihn hatte wieder zu einem Ganzen machen können. Doch ihnen war die Zeit dazu nicht vergönnt gewesen.

Was wäre wohl geschehen, wenn Sheila ein Teil dieser Welt gewesen wäre? Hätte sie Kasuke dann trotzdem heilen können, von seiner Trauer und seinem Schmerz? Wäre der Wolf dann endlich wieder glücklich gewesen?

Sekura schloss die Augen und befahl seinem Herzen zu schweigen.

Es war müßig an die Dinge zu denken, die hätten sein können. Nie geschah etwas ohne Grund. Eine höhere Macht hatte ihnen dieses Schicksal bestimmt, sie konnten noch so sehr fluchen.

Der Panter wandte das Gesicht ab und küsste Mika auf die Stirn.

Die Wölfin sah auf und Sekura erkannte denselben leisen Schmerz, der auch ihn quälte.
 

Sheila erwachte weit vor Morgengrauen, doch Kasuke war bereits fort. Die Stelle neben ihr war kalt und sofort fröstelte die junge Frau. Wann er wohl gegangen war, wo er sich nun befand?

Sheila spürte heiße Tränen aufsteigen, weil sie sich plötzlich so furchtbar alleine fühlte. Sie wusste tief in ihrem Innern, dass der Wolf hatte gehen müssen, doch er hatte sich nicht verabschiedet und sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie ihn womöglich zum letzten Mal gesehen hatte.

Sheila schüttelte den Kopf und versuchte ihre Gedanken frei zu bekommen. Kasuke wollte, dass sie den Imperator täuschte und dafür brauchte sie einen klaren Kopf.

Sie wollte ihn wieder sehen, also musste sie sich zusammen reißen.

Etwas steif durch ihre Wunden, erhob sie sich von ihrem Lager und sah sich nach ihrer Reisekleidung um, die die Oger auf ihren Wunsch hin gereinigt hatten. Sie hätte am Liebsten etwas getragen was ihr gehörte, doch sie musste taktisch klug vorgehen. Sie durfte nicht den Trotz und die Wut zeigen, die sie mit sich trug.

Der Imperator sollte denken, dass er sie genau dort hatte, wo er sie haben wollte.

Sheila ging zu der Truhe, die die Dienerinnen auf geheiß des Imperators in das Zelt gebracht hatten, als sie hierher gelangt war. Sie wusste, dass diese Truhe hauptsächlich aufreizende Kleider enthielt und hatte bisher einen großen Bogen darum gemacht, diese Kleider anzuziehen. Das letzte Kleid, das sie hier heraus genommen hatte, hatte sie geschickt mit einer Spitzenbordüre versetzt, dass alle Blöße bedeckte. Dem Imperator war dies nicht aufgefallen, da sie ihn in den wenigen Tagen, die sie hier verbracht hatte, nicht oft gesehen hatte. Heute jedoch musste sie alles geben um ihm zu gefallen.

Sheila ließ sich auf die Knie nieder und öffnete die Truhe widerwillig.

Ihre Wut unterdrückend wühlte sie sich durch die zarteste Seide und die kräftigsten Farben.

Am Ende blieb ihr die Wahl zwischen einem hauchzarten, tief ausgeschnittenen Kleid in Weiß und rotem Brokat, der so geschnitten war, dass ihr Dekolletee sehr empor gehoben wurde, dessen Stoff jedoch robuster war.

Sheila hatte viel Mühe in das rote Brokatkleid zu schlüpfen, da ihre Schulter ihr sehr im Weg war. Der dumpfe Schmerz machte das alles zur Tortur, aber sie wollte die Hilfe der Oger nicht.

Einige Zeit später schleppte sie sich zum Spiegel.

„Wie die Kriegsgöttin persönlich!“

Erschrocken fuhr sie zum Eingang des Zeltes herum.

Sandaru lehnte dort und musterte sie unverhohlen bewundernd und auch gierig. Sheila spürte den Ärger in sich aufsteigen und wandte sich wieder zum Spiegel um.

Sie trug ihr schwarzes Haar offen, sodass es in Wellen auf ihren Rücken fiel. Durch den Kontrast rot und schwarz, war sie unnatürlich blass und ihre grauen Augen wirkten groß und unheilvoll. Sandaru hatte Recht. Man hätte sie zur Botin des Todes ausschicken können.

Eine Weile betrachtete sie sich nachdenklich im Spiegel. Sie war älter geworden. Sheila wusste nicht wie lange sie wirklich in dieser Welt war, doch die Zeit hatte sie verändert. Sie war nicht mehr die Träumerin, die vor ihrer Welt und ihren Problemen floh. Sie hatte Mut, Kraft und Weisheit erlangt. Sie war ein anderer Mensch geworden.

„Ich kann nicht zurück.“, flüsterte sie.

Sandaru trat hinter sie.

„Also hast du eine Entscheidung getroffen?“ Der Windkanter sah ihr durch den Spiegel in die Augen.

Sheila wusste, er wollte eine Antwort auf das Angebot des Imperators.

Steif und unerbittlich wandte sie sich zu ihm um und sah ihm unerschrocken ins Gesicht.

„Sag deinem Herrn, ich gehe auf sein Angebot ein. Ich werde bei der Schlacht an seiner Seite sein.“
 

Noch vor Morgengrauen standen Panter und Wölfin auf und gingen zu ihren Clans zurück. Es galt den Weitermarsch und die Schlacht vorzubereiten.

Keiner von Beiden sagte ein Wort des Abschieds. Es wäre zu schmerzlich gewesen.

Die Soldaten der Armee waren zum größten Teil bereits dabei, ihre Waffen zu prüfen oder zu schärfen. Die Frauen die mit gekommen waren, bereiteten ein reichhaltiges Mahl.

Eine Henkersmahlzeit für einige, ging es Sekura durch den Kopf.

Auch er überprüfte seine Waffen.

Sie würden gegen Mittag die Berge erreichen. Natürlich hoffte der Panter, dass Kasuke dort auf ihn warten würde. Mit Sheila zusammen.

Wenn dies jedoch nicht der Fall sein würde, würden sie warten. Der Imperator würde kommen, da war Sekura sich sicher.
 

Als die Soldaten das Lager abbrachen, sammelte Sekura alle Clanführer und deren Offiziere. Der Panter sah sich um. Zu seiner Linken standen die Wölfe, Hirsch, Adler und Schmetterling. Auf der anderen Seite Fuchs, Fisch, Einhorn, Echse und Bär.

Der Fuchs, der Bär und der Hirsch vereinten alle Tiere des Waldes. Die Schmetterlingsdame alle Insekten und das Einhorn die gehuften Tiere dieser Welt. Periphae, der Adler, war die Führerin der Vögel in all ihren Arten, wie Xantus für alle Echsen. Pisces, der Herr der Seen, Flüsse und Meere vereinigte zwar die Bewohner der Tiefen, jedoch bestand seine Armee ausschließlich aus Dämonen, die das Wasser verlassen konnten. Hätte die Schlacht in der Nähe eines Sees oder Ähnlichem stattgefunden, wäre sein Clan ihnen von Nutzen gewesen. In diesem Fall, zählte Sekura auf jeden Dämon, den Pisces ihm bieten konnte.

Für Kasuke waren Mika und Haruto gekommen. Sie alle sahen stumm und ernst auf ein Bild, dass Sekura in den Staub gezeichnet hatte. Man konnte die Ebene und die kalten Berge erkennen.

„Ich werde euch nun berichten, was ich in den letzten Tagen aus den Gesprächen mit den einzelnen Clans erfahren habe. Jeder hat Fähigkeiten, die es zu nutzen gilt.“
 

Sandaru war bald darauf wieder gegangen.

Sheila lief zunächst unruhig herum, besann sich aber eines Besseren. Sie musste sich die Zeit nehmen, sich zu sammeln. Man durfte ihr ihre Nervosität und Angst nicht ansehen.

Also lief sie zu ihren Lager und ließ sich auf dem Bett nieder.

Draußen lärmten die Dämonen, da sie sich zum Aufbruch bereit machten. Sheila überlief ein Schauer.

Konzentriert schloss sie die Augen und beschwor Kasuke vor ihrem inneren Auge herauf, so wie er sie zuletzt angesehen hatte.

All der Zorn, der Schmerz und der Zwist waren zwischen ihnen verschwunden gewesen. Es zählte nur noch der eine für den anderen. Was gewesen war, war gewichen angesichts ihrer Gegenwart und Zukunft.

Sheila öffnete die Augen und strich zärtlich über das Kissen, wo einige Stunden zuvor Kasuke Kopf gelegen hatte. Ihre Finger wanderten über den weichen Stoff und ihr Herz wurde augenblicklich leichter.

Plötzlich hielt sie inne.

Sie fuhr noch einmal über den Bezug. Da war irgendwas Festes, Kleines unter dem Kissenbezug!

Sheila sprang auf und hob das Kissen an. Sie suchte die Leiste des Bezugs und schob ihre gesunde Hand hinein. Als sie sie wieder hervorzog hielt sie einen Ring in der Hand. Er war schwer und breit. Sheila drehte ihn und erkannte das Wappen der Wölfe.

Sie schluckte schwer, da sie plötzlich einen Kloß im Hals verspürte.

Er war nicht einfach gegangen. Sie sah vor sich, wie Kasuke sich über sie beugte, sie sanft auf die Stirn küsste und den Ring vom Finger zog, um ihn in das Kissen zu schieben. Er hatte ihr zeigen wollen, dass sie nicht alleine war und auf einmal fühlte sie sich viel selbstsicherer. Solange Kasuke hier bei ihr war, konnte sie die Kraft dazu aufbringen, einen Verrat zu spielen, der ihr Herz zerriss.

Sheila schob sich den Ring zunächst auf ihre Finger, doch er war eindeutig zu groß. Also riss sie eine dünne, silberne Kordel von einem der Wandbehänge und befestigte den Ring daran. Dann legte sie sich ihn um den Hals und ließ ihn zwischen ihren Brüsten verschwinden. Der Imperator durfte ihn nicht sehen.

Sofort nahm der Ring ihre Körperwärme an und verschmolz so mit ihr. Kasuke war nun ein Teil von ihr.
 

Ein, vielleicht zwei Stunden später kam dann der Imperator persönlich zu ihr. Er kündigte sich weder an, noch kam ihm ein Diener voraus. Er stand einfach plötzlich vor ihr, doch Sheilas Nervenbahnen waren so auf diesen Augenblick fixiert gewesen, dass sie nicht zurückwich.

Er trug dieselbe Rüstung wie zuvor und über seinem Rücken war ein gigantisches Schwert geschnallt. Doch Sheila war sich sicher, dass der Imperator nicht selbst kämpfen würde und sollte es soweit sein, würde er sich seiner Magie bedienen.

Er musterte sie genauso kalt, wie sie ihn, doch seinen Mund verzog ein höhnisches Lächeln. Er musterte sie unverhohlen und nickte anerkennend.

„Du weißt dich deiner Reize zu bedienen, Zauberin.“

Er ging um sie herum, während sie stolz das Kinn hob. Ihre gesunde Hand jedoch verkrampfte sie im Brokat, da sie befürchtete, dass sie zittern könnte. Er stand nun wieder vor ihr und sie sah ihm so unerschrocken wie möglich ins Gesicht.

„Du bist also bereit, deine Freunde sterben zu sehen?“

Sheilas Herz setzte einen Augenblick aus, doch sie riss sich zusammen.

„Ich bin bereit, das Einzige zu tun, was ihnen Knechtschaft erspart, auch wenn es meine eigene bedeutet.“

Der Imperator schmunzelte.

„Du bist stärker als ich dachte. Im Alten Ägypten wärst du eine hervorragende Pharaonin geworden.“

Er musterte sie weiterhin. Sheila fragte sich, ob er genau von dort kam. Aus dem Alten Ägypten. Er war bereits lange Teil von Kemonos Geschichte, auch wenn Sheila nicht wusste wie die Zeit parallel zu ihrer Welt lief. Das Alte Ägypten hatte von 3000 bis 400 vor Christus existiert. Sie selber war im Jahr 2007 nach Christus in diese Welt gekommen. Hatte Kasuke nicht gesagt, dass sein Vater durch die Hand des Imperators gestorben war?

Wann war dann wohl der Imperator hier aufgetaucht?

Egal wie Sheila hin und her rechnete, es schien, dass die Zeit in Kemono im Gegensatz zu der ihrer Welt im Schneckentempo verlief. Wenn sie jemals zurückkehren sollte, in welchem Zeitalter würde sie dann erscheinen?

Sheila riss sich aus ihren Gedanken. Ihr Gegenüber grinste amüsiert, als hätte er ihre Gedanken verfolgt.

„Ich sehe du begreifst die Dimension, in der ich mich fortbewege. Es gab mich schon zu einer Zeit, als die Menschheit noch von der Magie wusste. Und ich habe überlebt und ich werde es wieder tun.“

Er legte seine eiskalte Hand an ihre Wange und zwang sie näher an sein Gesicht, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.

„Diese Welt wird mir gehören und dann du. Du wirst mich wollen, Zauberin, und nicht diesen Wolf.“

Sheila keuchte.

„Was ist mit Kasuke?“

Bei dem Namen des Wolfes verzog der Imperator das Gesicht.

„Denkst du wirklich, mir bleibt etwas verborgen? Durch Sandaru habe ich alles sehen können, Zauberin. Dieser Wolf wird durch meine Hand fallen.“

Sheila schloss die Augen, weil ihr schwindelig wurde. Hoffentlich ging Kasukes Plan auf.

Der Imperator drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, der einen Schmerz durch ihren Leib zucken ließ und Sheila fiel in sich zusammen. Das alles war so schnell gegangenen, dass sie betäubt zu ihm auf sah.

„Ich habe dich soeben deiner Kraft beraubt. Deine einzige Aufgabe wird es sein, deinen Freunden deinen Verrat zu offenbaren.“

Er kniete zu ihr nieder und hob sie auf ihre Arme. Sheila hätte sie am Liebsten gewehrt, doch sie spürte nicht einmal mehr den Schmerz aus ihren Wunden.

„Ich werde nicht zulassen, dass du mich schlägst, kleine Zauberin.“, flüsterte er. „Wenn es soweit ist, wirst du mich anbetteln dir das zu geben, was du brauchst.“

Damit verließ er mit ihr auf dem Arm, das Zelt.
 

Die Armee kam diesmal schneller vorwärts, als die ganze bisherige Reise. Sekura kannte dieses Phänomen. Die Reise zu einem Schlachtfeld war auch ein innerer Kampf für jeden seiner Soldaten. Hatte man jedoch den Punkt überschritten, an dem es ein Zurück hätte geben können, strebte man fast in den Krieg, da nur die Schlacht das Ende bedeuten konnte.

Sekura fühlte nicht anders, doch sein innerer Kampf zerriss ihn beinahe. Er ahnte, dass ihnen noch Schwierigkeiten auferlegt sein würden, die sie alle in die Knie zwingen würden. Der Imperator hatte Jahrzehntelang keine offene Schlacht gefordert und hatte sich immer hinter den Bergen verschanzt. Das einzige, was man von ihm hörte, waren die einzelnen Hiebe, die er dem Osten durch Überfälle versetzte. Doch er hatte sich nach dem Fall Celines zurückgezogen, was niemand so wirklich hatte verstehen können.

Wären sie damals nicht so furchtbar demoralisiert gewesen, hätten sie ihn vielleicht endgültig zerstören können, doch mit Celine, war der Kampfgeist gestorben.

Was bezweckte der Imperator also? Er musste doch einen Trumpf im Ärmel haben!

Sekura verwandelte sich in seine tierische Gestalt und strebte zur Spitze. Nur noch wenige Baumreihen und sie erreichten die Ebene. Dort wo das Unheil seinen Anfang genommen hatte. Dort wo Sheila sich für Sandaru entschieden hatte.
 

Der Imperator hob Sheila auf ein prachtvolles Pferd, welches Sheila eindeutig als Dämon identifizierte. Seine Augen waren Feuerrot und aus seinen Nüstern stieg Dampf auf, während sein schwarzes Fell fast unnatürlich glänzte. Vielleicht war dies nicht einmal ein Pferd.

Doch die Gedanken wurden durch die Mühe vertrieben, die sie hatte um sich auf dem Pferd zu halten. Der Imperator hatte mit seinem Lippen alles genommen, was sie an Lebensenergie besessen hatte. Jetzt fühlte sie sich ausgelaugt und ihre Glieder waren wie Gummi.

Als der Imperator auf sie zu ritt, gab sie sich alle Mühe um ihre Kreuz durch zu drücken und stolz zu wirken, doch es trieb ihr nur den Schweiß auf die Stirn.

„Meine Zauberin, sieh dich um und sehe die Macht und den Untergang.“

Sheila hob kreidebleich den Kopf und sah sich um.

Vor ihr erstreckte sich ein Meer aus Monstern, Alpträumen und Horrorvisionen.

Sie übergab sich.
 

Als die Armee der Clans die Wälder hinter sich ließ, blendete sie die hoch stehende Sonne. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Reihen über die Ebene sehen konnte.

Erschrocken schnappte Sekura nach Luft und ein Raunen ging durch die Reihe seiner Soldaten. Der Rest der Armee schob sich durch die Bäume, sodass bald Chaos herrschte.

Sofort kamen einige Offiziere nach Vorne um zu sehen, was die Spitze zum Stehen gebrachte hatte.

„Sekura! Was ist?“ Mika sprang als Wölfin an seine Seite und stockte.

„Menschen!“, stieß Konomi hervor, der ebenfalls aus den Reihen seiner Clansmitglieder hervorkam. Das Echo vom Ausruf des Einhorns ging durch die ganze Armee.

Über die Ebene erstreckte sich ein Zeltlager, dass vermuten ließ, dass gut 10 000 Menschen hier untergekommen waren.

Mika sah zu Sekura auf.

„Aber wie kann das sein? Und was tun sie hier?“

Der Panter wandte sich zu den anderen Oberhäuptern um, die nun vollzählig erschienen waren.

„Das müssen wir sie wohl fragen.“

Er sah Konomi an.

„Führt die Armee aus den Bäumen und versammelt sie abseits des menschlichen Feldlagers. Ich möchte sie nicht beunruhigen.“ Dann wandte Sekura sich an Mika.

„Ich werde alleine zu ihnen gehen und mit ihren Anführern sprechen. Versucht Ordnung zu schaffen.“

Als Sekura zum Menschen wurde, tat Mika es ihm nach.

„Aber was ist, wenn sie dir gefährlich werden?“

„Dann habe ich was falsch gemacht. Ich glaube nicht, dass dies Menschen aus dem Westen sind. Sie haben einen guten Grund hier zu sein und wenn ich das richtig erkannt habe, sind sie mit Waffen gekommen. Vielleicht hat Sheila mehr Eindruck gemacht, als wir vermutet hatten.“

Mika riss verwundert die Augen auf und sah noch einmal über die Ebene. Erst jetzt erkannte sie die vielen Pferd, Katapulte und vernahm das Klirren von Schwertern und Surren von Pfeilen. Konnte das tatsächlich wahr sein?

Sie legte dem Panter eine Hand auf dem Arm und küsste ihr zärtlich auf den Mund.

„Viel Glück.“

Dann wandte sie sich ab um Konomi und den anderen zu helfen.
 

Während des gesamten Rittes kämpfte Sheila mit Übelkeit und Panik. Sie hatte das Grauen gesehen, welches der Imperator so gut hatte verstecken können. Hässliche, missgebildete Gestalten begleiteten ihren Weg. Viele sahen aus wie Kreuzungen aus den Alpträumen der Menschen, andere waren so Grauenerregend, dass Sheila die Augen schließen musste.

Was hatte dieser Mistkerl da nur erschaffen? Oger, Schlange, Riesen, Trolle. All das war zu begreifen. Doch diese Wesen waren nicht natürlich. Sie hatten Klauen und Zähne, hatten Körper die ständig ihre Form änderten. Mal waren sie menschenähnlich, jedoch mit überlangen, starken Gliedern, oder sie waren wie Geister, die einen zu ersticken drohten. Alleine ihre Anwesenheit, trieb Sheila die Kälte und Hoffnungslosigkeit in die Knochen. Bald hatte die Verzweiflung sie so sehr gepackt, dass sie sich den Tod wünschte.

Als sie den Bergen näher kamen, ritt der Imperator an der Spitze und Sheila hinter ihm, eingekesselt von seinen scheinbar besten Soldaten. Auf diesen Gedanken kam sie auch nur, weil Sandaru zu ihrer Rechten ritt.

„Sheila?“

Sie öffnete die Augen nicht und versuchte die Stimme des Windkanters zu verdrängen.

„Sheila!“

Er wurde eindringlicher und berührte sie am Oberarm.

Nur widerwillig öffnete sie die Augen und sah Sandaru an. Seine Besorgnis bereitete ihr Schmerz. Er hatte sie verraten!

„Möchtest du Wasser? Du siehst ganz furchtbar aus.“

Mit letzter Kraft schlug sie ihm die dargebotene Feldflasche aus der Hand.

„Du magst das Böse ertragen zu können, das dich umkreist. Ich kann es nicht.“

Damit wandte sie sich wieder von ihm ab.

„Diese Kreaturen, Sheila, sie peinigen gerade diejenigen die rein sind. Sie ernähren sich von deinem Grauen. Es sind Ausgeburten der Hölle.“

Sheila spürte nichts. Keine Wut, keinen Zorn. Nur ihr Gehirn arbeitete noch.

„Sollen sie sich ergötzen.“, brachte sie hervor und Sandaru schwieg.

Plötzlich hielten sie an und alles wurde still.

Nun musste Sheila die Augen öffnen. Denn nichts verriet, was gerade geschah.

Als sie aufsah, hielt sie erschrocken die Luft an. Sie hatten die Kalten Berge erreicht. Sheila lehnte sich leicht nach vorne. Sie fragte sich, was der Imperator nun wohl vorhatte. Er konnte mit der Armee nicht die Berge überqueren, selbst wenn die Drachen sie passieren ließen. Die Pfade durch die Berge waren schmal und ließen kaum zwei Soldaten neben einander laufen. Bei diesen Kreaturen war das noch unmöglicher.

Sheila sah kurz zu Sandaru hinüber und erkannte, dass dieses Problem ihm scheinbar keine Sorgen machte. Er schien einfach nur abzuwarten.

In diesem Augenblick ertönte ein Summen.

Sheila konnte dieses Geräusch zunächst nicht zuordnen und sah sich um, da sie beinahe einen Insektenschwarm erwartete, doch die Lautstärke nahm zu und sie erkannte bald, dass es sich um Worte handelte.

Worte die der Imperator sang. Sheila keuchte auf. Das Summen, das alles um sie herum zu erfüllen schien, war Magie in einer Form, die Sheila bisher nicht erlebt hatte. Ihre Macht manifestierte sich in Gefühlen, Emotionen. Das hier war elementarer.

Plötzlich schien die Luft dicker zu werden und Sheila bekam Schwierigkeiten zu atmen. Ihre Sicht verschwamm und es war ihr, als müsse sie ihre Augen frei wischen, wie eine Scheibe die beschlagen war.

Dann veränderte sich das Geräusch. Das Summen blieb, doch ein seltsames Krachen und Poltern kam hinzu, dass ebenfalls stetig anstieg. Sheila konnte noch immer nicht richtig sehen, womit ihr die Vorgänge größtenteils verborgen blieben. Sie sah Schatten, die über sie hinweg schossen, sah die Umrisse der Soldaten vor ihr, die sich nicht bewegten und spürte, wie die Angst ihren Nacken hoch kroch.

Eine Explosion beförderte sie beinahe aus dem Sattel, doch Sandaru hielt sie fest. Dann war es still.

Die Luft konnte wieder geatmet werden und Sheilas Augen versuchten zu erfassen, was sie bisher nicht hatten sehen können. Hätte Sandaru nicht seinem Arm um ihre Taille liegen, wäre sie wahrscheinlich vom Pferd gestürzt.

Voller Entsetzen starrte sie auf eine breite Schneise, die sich in den Berg gefressen hatte. Der Berg war nur noch ein Hügel.
 

Sekura legte all seine Waffen ab und machte sich dann zu Fuß auf den Weg zum Lager. Schon von weitem hörte der Panter, dass die Menschen verstummten. Ihnen war mit Sicherheit nicht verborgen geblieben, was der Wald ihnen da vor die Füße gespuckt hatte. Eine Armee war ja auch nicht gerade zu übersehen. Außerdem schätzte er die Menschen klug genug um Wachen in den Wäldern zu postieren. Was ihn persönlich ein wenig irritierte war, dass sie diese nicht bemerkt hatten.

Sekura passierte die ersten Reihen von Zelten dun Männern. Alle Soldaten waren stumm und musterten ihn. Der Panter wusste, dass sie nur auf einen Vorwand warteten, um ihn anzugreifen. Doch er war unbewaffnet und somit keine Gefahr solange er Mensch blieb.

Er lief so lange durch die Menge, bis er meinte das Zentrum erreicht zu haben. Dann blieb er stehen und sah sich in den Reihen der Menschen um.

Sie waren ausnahmslos bewaffnet. Die einen mit Schwerter, die anderen mit Äxten und sogar mit Mistgabeln, doch es war der Gesichtsausdruck dieser Menschen, der Sekura sagte, dass sie ernsthafte Gegner waren.

Sie wollten siegen, sie wollten Leben und sie hatten die Courage dazu.

Er riss sich von der Menge los und rief laut: „Wer führt euch in die Schlacht?“

Die Soldaten bewegten sich weder, noch sagte sie was. Die Stille blieb.

„Ich bin Sekura, Oberhaupt der Felidae und Befehlshaber der dämonischen Armee! Wer führt euch an?“ Er hatte seine Stimme erneut gehoben, und er spürte das Echo seiner Stimme im Wind verhallen.

„Das bin ich.“

Der Panter sah zu seiner Linken und blickte in ein bekanntes Gesicht.

„Adriel?“

Der junge Mann hob eine Augenbraue.

„Ihr erkennt mich? Soweit ich weiß, war es Eure Zauberin die wert auf unsere Gesellschaft legte, nicht Ihr.“

Sekura rief sich ihre letzte Begegnung ins Gedächtnis und musste Adriel zugestehen, dass diese nicht gerade freundlich verlaufen war.

„Ihr wart es jedoch, der die Zauberin aus dem Dorf verbannte.“, gab er im ruhigen Ton zurück. „Ihr wart es, der ihr nicht zuhören wollte.“ Er ging einige Schritte auf den Mann zu und sah ihm direkt in die whiskeyfarbenen Augen.

„Sheila hat stets zu den Menschen gehalten. Deshalb bin ich hier. Ich möchte Euch fragen, warum Ihr hier seid. Mit all diesen Menschen.“ Er machte eine ausladende Geste und schloß somit das ganze Lager mit ein.

Adriel missachtete seine Geste und ließ den Panter nicht aus den Augen.

„Was glaubt ihr, was die Menschen hier wollen?“

„Ihr wollt die Antwort eines Dämons hören?“

Sie schenkten sich nichts und Sekura wusste, wäre Sheila hier gewesen, sie hätte ihnen beiden eine Kopfnuss verpasst. Doch sie war nicht hier, also musste er aus dieser Situation kommen. Alleine.

Als Adriel auf diese Frage nicht antwortete, seufzte Sekura leise und richtete sich auf.

„Ich versuche so zu denken, wie Sheila es getan hätte.“, sagte er leise und wusste das Adriel jedes Wort verstanden hatte. Er nickte ihn auffordernd zu.

„Ihr seid mit Waffen und Rüstung hier. Die Armee ist groß, somit muss sich nach unserer Trennung etwas ereignet haben, dass Euch dazu bewegt hat, die Menschen zu versammeln.“

Er sah Adriel einen Augenblick in die Augen und wusste, dass er soweit richtig lag.

„Dies ist kein Flüchtlingslager. Ihr bereitete euch auf eine Schlacht vor. Die Schlacht, die auch wir Dämonen suchen und ihr werdet nicht gegen uns kämpfen.“ Er holte tief Luft.

„Was mir nur nicht ganz klar ist, ist der Grund für euer Erscheinen hier.“

Adriel musterte ihn einige Augenblicke abschätzig, schien sich dann jedoch einen Ruck zu geben.

„Unser Grund ist derselbe, den ihr habt.“

„Sheila?“, stieß der Panter hervor.

„Aber wie habt ihr von ihrer Entführung erfahren?“

Adriel verzog grimmig den Mund.

„Ihr seid nicht die Einzigen, die über Spitzel verfügen. Es waren Menschen in den Wäldern, als die Fogal mit Sheila stürzten. Sie haben beobachtet, wie die Zauberin verschleppt wurde.“

„Ich war der Meinung, Ihr glaubt nicht an die Prophezeiung in Sheila.“

„Ich irrte mich. Als ihr fort rittet, sah ich etwas in ihren Augen. Einen Mut und eine Stärke, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Sie ist etwas Besonderes. Es war nur an uns, ihr zu vertrauen. In der Hinsicht haben wir einen Fehler gemacht.“

„Nicht nur Ihr.“, sagte der Panter.

Sekura atmete auf. Die Menschen waren gekommen. Für Sheila, sie hatte die Dämonen und Menschen vereint.

Thoughts of Death

Dann bebte die Erde.

Erschrockene Rufe hallten über die Ebene. Menschlicher und dämonischer Natur. Jeder versuchte Halt zu finden und Chaos zu vermeiden. Die Menschen gingen, von der Erde bezwungen, auf die Knie. In jedem Gesicht spiegelte sich die gleiche Überraschung und dasselbe Entsetzen.

Genauso plötzlich, wie das Beben begonnen hatte, war es schon wieder vorüber. Sekura sah sich um und sah in allen Gesichtern, die gleichen Fragen. Was war geschehen?

Doch für weitere Fragen blieb keine Zeit. Ein Ohrenbetäubendes Tosen ließ die Massen zusammensacken und auch der Panter stürzte zu Boden.

Steine prasselten auf sie nieder und Schreie wurden laut. Sekura wurde von einem größeren Felsen an der linken Schulter getroffen und ein stechender Schmerz breitete sich bis in die Fingerspitzen aus. Er keuchte, wagte aber nicht, die Arme von seinem Kopf zu nehmen. Der nächste Felsen konnte seinen Schädel zertrümmern.

Als der Steinhagel verstummte, war es plötzlich sehr ruhig. Nur vereinzelte Schluchzer waren zu hören.

Unter Schmerzen richtete der Panter sich auf und was er sah verschlug ihm die Sprache. Von dem Feldlager, war nicht mehr viel übrig. Die meisten Menschen lagen am Boden, stöhnten und wanden sich. Nur wenige waren nicht verletzt, einige regten sich gar nicht mehr. Sofort wandte Sekura sich zu der dämonischen Armee um und erkannte, dass sie kaum was abbekommen hatte. Sie hatten zu nah am Wald gestanden. Der Hagel hatte sie nicht erreicht. Es waren bereits Hilfstrupps der Dämonen unterwegs.

Ein Fluch in seiner Nähe ließ ihn herumfahren und er erkannte Adriel, der sich mühsam aufrappelte. Sein rechtes Hosenbein war aufgerissen und er blutete sehr stark aus einer Wunde direkt an der Wade. Ansonsten schien er jedoch wohlauf.

Sekura ging auf ihn zu um ihn aufzuhelfen und Adriel nahm die Hilfe an.

„Was, in Gottes Namen, war das?“

Der Mensch klopfte sich den Staub von seinem Wams und sah den Panter mit kreidebleichem Gesicht an. Sekura jedoch hatte bereits den Ursprung des Steinschlags erkannt und die Beine drohten ihm nach zu geben.

„Der Feind hat soeben eine Möglichkeit gefunden, die Berge ohne Schwierigkeiten zu passieren.“, flüsterte er.
 

Sheila war zum Heulen zumute. Doch sie hatte keine Tränen. Noch immer gehorchte ihr Körper ihr nicht. Sie war nur noch in einer nutzlosen Hülle gefangen. Das einzige was noch ihr gehörte, war ihr Geist. Und der musste nun mit ansehen, wie die Truppen der Hölle sich in Bewegung setzten um den Tod zu bringen.

Plötzlich war es ihr, als habe Celine und deren Kraft sie auf immer verlassen. Sie war wieder der Mensch, der sie in der anderen Welt gewesen war. Keine Zauberin. Keine Hexe, nicht mal mehr Sheila! Sie war einfach nur da.

Ein Schluchzer drang durch ihre Kehle, doch endete in einem Wimmern.

Ihre Zweifel hatten sich bewahrheitet und waren in einem Desaster geendet. Sie war nicht nur nicht die Rettung dieser Welt, sie hatte alles zum Schlimmsten gekehrt. Der Imperator hatte sie in der Hand und sie wusste, er würde diese Waffe klug nutzen.

Ein leiser Gedanke fing an, sich in ihrem Kopf zu manifestieren. Ein Hauch einer Idee, der immer größer wurde, wie die Wellen einen Teiches, dessen Wasser in Aufruhr geraten war.

Es gab nur eine Möglichkeit dem Imperator die Waffe zu nehmen, die er mit ihr in der Hand hielt. Ihr eigener Tod.
 

Sandaru blickte zu Sheila hinüber, die mit ihrem Oberkörper und ihrem Gesicht auf dem Hals des Pferdes lag. Man hätte denken können, sie schliefe, doch ihre Augen waren offen. Sie hatte schlichtweg keine Kraft mehr, aufrecht zu sitzen. Ihre sonst so starken, grauen Augen starrten dumpf ins Leere.

Sandaru wandte das Gesicht ab und versuchte den Schmerz zu verdrängen, der in seiner Brust wie ein Feuer wütete, seitdem er Sheila zum Imperator gebracht hatte. Er hatte dieser Frau Schmerzen zugefügt, auf jede erdenkliche Weise und nun wurde sie gequält. Sie wusste was geschehen würde und konnte dem nicht entfliehen. Es war, als würde sie zur Schlachtbank geführt. Und er selber hatte ihr den Weg geebnet.

Er war ein Monster. Das wusste er und es hatte ihn nie gestört, aber wieso jetzt? Wieso verursachte Sheilas Schmerz ein Echo in seinem eigenen Herzen?

Er öffnete die Augen wieder und sah den Hügel hinauf. Das war das letzte Hindernis, dass sie trennte. Trennte von den Dämonen, die ihn in seiner Mitte aufgenommen hatten, aufgrund eines Wortes der Frau neben ihn. Und er hatte sie alle verraten.
 

Die Soldaten der Dämonenarmee halfen den verwundeten Menschen, soweit es ihnen möglich war. Doch nicht alles war durch Magie heilbar. Knapp 60 Menschen hatten durch die Steine den Tod gefunden und der Anblick, des gespaltenen Berges machten es nur schlimmer, die Menschen war von einem auf den anderen Augenblick demoralisiert.

Adriel und Sekura versuchten Ordnung in die Reihen der Soldaten zu bringen und ein Lager für die Verwundeten zu schaffen. Die weiblichen Dämonen, die zur Versorgung mit gekommen waren, errichteten eins zwischen den Bäumen des Waldes.

Sekura gönnte sich gerade einen Augenblick, um sich ein Bild der Lage zu machen, als Fry zu ihm trat.

Auch sie sah mit düsterem Gesichtsausdruck zu den Kalten Bergen.

„Sheila wollte immer, dass sich Dämonen und Menschen vereinen. Doch sie hat sicher nicht gewollt, dass es so verläuft.“

Sekura musterte die alte Wölfin, die er immer nur am Rande wahrgenommen hatte. Sie war zwar als weise und unersetzlich bekannt und der Panter stellte das nicht infrage, aber er hatte bisher nie ein Wort mit der Wölfin gesprochen.

Nun wandte Fry sich direkt an Sekura.

„Was glaubst du, ist dort geschehen?“

Der Panter runzelte die Stirn.

„Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie der Feind die Berge passieren will. Die Drachen würden sie zwar nicht angreifen, das haben sie sehr deutlich gemacht. Aber es wäre trotzdem zu riskant gewesen.“

Er lächelte und es war kein amüsiertes Lächeln.

„Ich hätte nicht gedacht, dass er eine solche Macht besitzt. Ich denke, wir haben nur noch knapp einen Tag, bevor er die Ebene erreicht.“

Fry nickte und bestätigte seine Einschätzung.

Der Panter wollte sich umdrehen und damit beginnen, die beiden Armeen auf die Schlacht vorzubereiten, doch die Alte hielt ihn auf.

„Sekura!“

Er wandte sich noch einmal um und erkannte Sorge in ihren alten Augen.

„Wird Kasuke zurückkehren?“

Sekura schloß die Augen und versuchte die Angst zu verdrängen, die ihn bereits seit dem Morgengrauen gefangen hielt. Kasuke hätte schon längst zurück sein sollen.

„Wenn ich das wüsste, Fry, dann würde mir das hier alles leichter fallen.“

Er öffnete die Augen und versuchte ihr klar zu machen, dass er ihre Sorge teilte. Fry lächelte leicht.

„Du hast dich verändert, Sekura. Auch du. Egal wie das hier ausgeht. Sheila hat auch allen geholfen. Nicht nur Kasuke, sondern auch Mika und dir.“

Sie ging auf ihn zu und küsste ihn sachte auf die Stirn.

„Vergiss nicht, was wir gewonnen haben. Der Feind ist um so vieles ärmer als wir.“
 

Sheila wusste nicht, wie lange sie so daher ritten. Vielleicht war sie für einige Zeit weg getreten gewesen oder hatte geschlafen. Sie konnte es nicht sagen. Sie kam erst wieder zu sich, als sie die erste Chance witterte, dem Ganzen ein Ende zu setzen.

Sie hatten die Anhöhe noch lange nicht erreicht, als sich die Reihen der Soldaten verlagern musste, da sich zu ihrer Linken eine Felsspalte öffnete, die sehr breit und tief schien. Sheila konnte den Kopf zwar nicht heben, doch aus den Augenwinkeln sah sie das tiefe Schwarz. Eine ausnahmsweise schöne Farbe, wie Sheila fand.

Sie könnte sich einfach fallen lassen. Sie spürte ihren Körper sowieso nicht, der Sturz würde also nicht schlimm enden. Im besten Fall, würde es ganz schnell vorbei sein.

Das dämonische Pferd unter ihr wurde unruhig.

Konnte es etwa ihre Gedanken lesen, oder ahnte es etwas? Sheila legte den Kopf auf die andere Seite und sah Sandaru an. Sein Mund war zu einer harten, unerbittlichen Linie verzogen und er starrte stumm geradeaus.

Sie hatte ihm vertraut und somit ihrer aller Schicksal besiegelt.

Und trotzdem konnte sie keinen Hass gegen ihn spüren. Sheila wusste nicht weshalb sie so fühlte, doch es schien nicht richtig den Windkanter zu verurteilen. Ihr Herz sagte ihr, dass er litt. Auch wenn sie nicht wusste, wie er wirklich dachte.

Sandaru spürte ihren Blick und sah sich nach ihr um. Seine Miene wurde ein wenig weicher, als er bemerkte, dass sie ihn ansah.

„Sheila!“

„Hast du es je bereut?“

Sandaru zuckte zurück. Was auch immer er in diesem Moment gedacht hatte, es schmerzte ihn.

„Was soll ich bereut haben?“

„Eine Entscheidung, die anderen Schmerz zufügen könnte. Selbst wenn sie richtig ist?“, flüsterte sie.

Sandaru wandte das Gesicht ab, doch er antwortete.

„Ich kann es mir nicht erlauben zu bereuen.“

Sheila lächelte. Ein trauriges Lächeln, das sich in Sandarus Gehirn brannte.

„Ich kann es auch nicht.“

In diesem Augenblick ließ sie sich fallen.

„Sheila!!!!“, schrie Sandaru und sprang vom Pferd. Die Dämonen um ihn herum wurden unruhig und weitere Rufe wurden laut, während Sandaru zur Felsspalte stürzte und hinunter sah. Dort war nichts außer Dunkelheit.
 

Als es Abend wurde, hatten sich die Menschen soweit von den Verlusten erholt, dass sie sich zusammenfanden um über die bevorstehende Schlacht zu beraten. Um jedes Feuer war auch mindestens ein Dämon zugegen, der sich mit den Menschen austauschte.

Sekura und Adriel standen mit Konomi und Harus zusammen und überblickten das Treiben der Soldaten. Sie alle wirkten zufrieden, soweit es in einer solchen Situation möglich war.

„Wer hätte je gedacht, dass Menschen Seite an Seite mit Dämonen kämpfen würden.“

Harus reckte anerkennend seinen langen, eleganten Hirschhals und Konomi schüttelte seine prachtvolle, weiße Mähne. Sekura war in seiner Menschengestalt geblieben, weil er als Raubtier wesentlich erschreckender war, als ein Einhorn oder ein Hirsch. Er brauchte das Vertrauen der Menschen und das Adriels.

Dieser wandte sich an Harus.

„Wer hätte je gedacht, dass ihr Dämonen uns als ebenbürtige Soldaten empfangen würdet.“

Konomi lachte.

„Touché! Da hast du Recht.“

„Sag mir Panter…“, Adriel sah Sekura an, der ihn abwartend ansah. „Meine Offiziere sagen, mir, dass eure Dämonen davon ausgehen, dass einer eurer Anführer auf dem Weg zu Sheila gefallen ist. Ist da was Wahres dran?“

Sekura senkte das Haupt, da er wusste, dass auch die anderen in der Runde ihn fragend ansahen.

„Er ist Sheila gefolgt? Alleine?“, stieß Harus hervor. „Ich wusste es stimmt was nicht, aber ich hätte nicht gedacht, dass er so waghalsig sein würde. Und dass ausgerechnet du ihn hast gehen lassen.“

Konomi starrte ihn einfach nur sprachlos an.

Wäre Sekura ein Panter gewesen, hätte er jetzt sein Fell gesträubt. Stattdessen manifestierte sich sein Ärger in einem stechenden Kopfschmerz hinter seinen Augen.

„Keiner hätte Kasuke in diesem Augenblick aufhalten können. Nicht ich und schon gar keiner von euch.“, fauchte er.

Die Dämonen und auch Adriel sahen ihn befremdet an.

„Ihr habt Sheila nie als den fühlenden Mensch gesehen, der sie war. Ich habe ihr nicht vertraut und ihr habt in ihr nur die Prophezeiung gesehen. Keiner von uns hat hinter die Fassade geblickt.“

Er wandte sich an Konomi.

„Die ganze Zeit, die du mit ihr verbracht hast. Ist dir jemals aufgefallen, was Sheila wirklich für Kasuke empfunden hat? Was für einen inneren Zwist sie ausgestanden hat? Welche Fragen sie sich gestellt hat? Keiner hat sich darüber Gedanken gemacht, weil wir nur die Lösung unseres Problems vor Augen hatten. Doch Sheila hat nicht nur den Kampf ausgefochten, den die Veränderungen mit sich brachten, sondern auch einen inneren Kampf, den sie verloren hat, als wir ihr unser Vertrauen entzogen haben.“

Sekura schloss die Augen um sich zu beruhigen. Als er glaubte, sich gefasst zu haben, wagte er es wieder zu sprechen.

„Kasuke kämpft ebenfalls. Seitdem Sheila in Kemono ist bekämpft er sich selbst. Erst jetzt, wo womöglich alles zu spät ist, kann er den Versuch unternehmen, die zu retten die er liebt. Das erste Mal, seitdem der Imperator sich damals zurückgezogen hat.“

Er blickte um sich.

„Wie hätte ich ihn da aufhalten sollen?“
 

Die Dämonen und der Mensch standen einige Zeit stumm zusammen, jeder mit seinen eigenen Gedanken.

Sekura fühlte sich ausgelaugt und müde, doch auch erleichtert. Die Wut auf sich selbst und die anderen Clanführer hatte ihn verfolgt, sodass er immer das Gefühl gehabt hatte, etwas mit sich herumzutragen, was er nicht loswerden konnte.

Der Hirsch räusperte sich.

„Ich denke, das heißt für uns nur eins.“

Sekura blickte auf. Alle lauschten auf Harus, doch dieser sah nur Sekura an.

„Wir müssen darauf vertrauen, dass Liebe immer siegt und versuchen solange zu überstehen, wie es möglich ist. Sollten wir durch unsere eigenen Fehler untergehen, ist das unser Schicksal. Ich werde jedenfalls dafür sorgen, dass so wenige Unschuldige wie möglich diese Welt vorzeitig verlassen.“

Er nickte Adriel zu.

„Ich möchte, dass die Menschen soweit von uns Dämonen geschützt werden, dass der Feind sie nicht sofort niedermetzelt. Sie sind vielleicht nicht so stark wie wir, aber sie werden der Schlüssel der Schlacht sein.“

Aller Augen richteten sich auf den Panter, wobei Adriel überrascht wirkte.

Sekura nickte.

„Ich erkläre mich damit einverstanden.“
 

Dumpfes Grollen bebte unter ihrem Körper. Es war als wenn alles an ihr zitterte, doch es ging nicht von ihr selber aus. Sie versuchte den Kopf zu heben, doch sie hatte noch immer nicht die Kraft. Auch spürte sie kaum etwas. Doch sie schmeckte Blut, viel Blut. Sie würgte fast geräuschlos und versuchte, den metallenen Geschmack auszuspucken.

Sie gab alles um die Augen zu öffnen und als es ihr gelang, sah sie um sich herum nur Schwärze. Über ihr war ein sehr schmaler Streif Sonnenlicht, das so weit weg schien, dass es nicht mehr ihr durchdrang. Sheila versuchte sich auf die entfernte Oberfläche zu konzentrieren, da es ihr war, als fehlte ihr ein großer Teil der letzten Minuten. Wieso war sie hier?

Sie hatte auf dem Pferd gelegen und sie wusste, dass es der Imperator gewesen war, der sie gelähmt hatte.

Aber wie kam sie hierher? Der Feind hatte nichts damit zu tun. Das konnte sie sich nicht vorstellen, denn er brauchte sie nicht. In ihrem Kopf war derselbe Lichtfetzen, den sie hier in der Dunkelheit ausmachen konnte. Nur wusste sie, dass dieses Licht ihr die letzten Erinnerungen offenbaren konnte.

Nach und nach kamen Stimmen zu ihr durch und Schatten flogen durch das Licht. Wer auch immer dort oben war, sie schienen aufgeregt, wütend und hektisch. Sheila konnte nicht verstehen warum. War es wegen ihr?

Die Bewegungen unter ihr nahmen zu und ab und Sheila versuchte erneut, sich aufzurichten, doch sie konnte einfach nicht. Sie war vollkommen gelähmt.

Frustriert streckte sie die Hand aus und versuchte mit aller Kraft ihre Handflächen auf den Boden abzustützen. Irgendwo musste doch noch etwas von ihrer Kraft da sein.

Das einzige, was noch an ihr fühlen konnte waren die Fingerspitzen und sie fuhren über glatten, geriffelten Stein, der seltsam warm war.

Erneut versuchte sie ihre Kraft zu mobilisieren, doch sie konnte nicht einmal mehr den Kopf heben. Irgendwie schien es ihr, dass ihr Körper noch schwächer war, als zuvor.

Sie vernahm ein Zischen in der Luft und ein grausames schmatzendes Geräusch und als sie aufsah, erkannte sie mehrere Schatten, die sich ihr näherten. Und je näher sie ihr kamen umso dunkler wurde es in ihrem Kopf. Kälte die sie nicht im Körper spürte manifestierte sich in ihren Gedanken und in Sheila keimte Angst auf.

Was auch immer auf sie zukam, es war böse.

Die Erde unter ihr vibrierte erneut und Sheila spürte, dass sie rutschte. Sie hätte am Liebsten geschrieen, weil sie den Fall nicht verhindern konnte, doch auch das blieb ihr verwehrt.

Etwas Großes legte sich über sie und schob sie scheinbar in so eine Art Höhle, denn alles um sie herum wurde dunkel. Die Kälte in ihrem Kopf verschwand augenblicklich und weitere Wärme umfing sie.

Das Vibrieren wurde zu einem stetigen Heben und Senken des Bodens und Verwirrung machte sich in Sheila breit. Wo auch immer sie war, es erinnerte sie an Atemzüge….

Sheila riss die Augen auf. Die einzige Reaktion zu der sie fähig war. Etwas unter ihr atmete. Und es war groß, sehr groß, wie es schien.

Sheila kämpfte erneut gegen Panik. Das zischende, schmatzende Geräusch kam wieder näher, doch erreichte es sie nicht. Stattdessen umfing sie weiterhin eine Wärme, die sie normalerweise nicht spüren durfte, konnte. Ein Grollen kam von diesem Etwas, dass sie berührte oder auch hielt.

Ein schriller Schrei ertönte, der nicht von ihrem Retter kam, sondern sehr unwirklich erschien. Dann wurde es still.

Wenige Augenblicke später setzte sich das Etwas in Bewegung. Sheila konnte noch immer nichts sehen, auch wusste sie nicht, ob sie sich in dem Tier befand oder davon gehalten war. Wie sie darauf kam, dass es sich um ein Tier handelte?

Es knurrte, es war warm und ein Gefühl sagte ihr, dass sie sicher war. Die Haut des Tieres war glatt und trotzdem uneben. Es schien als berührte sie einen warmen Stein. Als besäße es einen Panzer.

„Es ist ein Panzer.“

Sheila wäre zusammengezuckt, hätte sie es gekonnt.

„Ja, ich kann Eure Gedanken lesen und Ihr die meinen. Ich habe Euch durch die Felsen verfolgt. Dass Ihr Euch in den Tod stürzen würdest, damit habe ich aber nicht gerechnet.“

Sie hatte sich in die Schlucht gestürzt?

„Ja, was Ihr Euch dabei gedacht habt, weiß ich auch nicht.“

Das Tier schüttelte sich, doch es bewegte sich noch immer vorwärts.

„Jedenfalls was es dumm, denn Ihr seid ziemlich schwer verletzt, weshalb Ihr Euch jetzt noch weniger bewegen könnt. Seid froh, dass Ihr nichts spüren könnt.“

Sheila schluckte schwer. Sie hatte diese Tat verdrängt, weil sie sich selbst damit Angst gemacht hatte. Sie hatte sich was antun wollen und wäre dieses Tier nicht da gewesen, wäre sie womöglich tot.

„Da könnt Ihr Euch aber sicher sein. Und ich mag es nicht, wenn man mich als Tier bezeichnet. Wir sind uns bereits begegnet.“

Gedanklich runzelte Sheila die Stirn. Sie war ihm begegnet. Welches Tier konnte nur annähernd so groß sein? Welches Tier kannte sie, das groß war und ihr zur Hilfe eilen würde. Etwas, dass sich in den Bergen auskannte und genug Respekt verbreitete, dass es das Böse in die Flucht schlug.

„Zauberin, es liegt auf der Hand und Ihr wisst das.“

Ein Gedanke keimte in ihr auf, den sie nicht zu denken wagte. War es möglich?

War es der Rote? Der Drache, der ihr genau hier, in diesen Bergen gegenüber gestanden hatte.

„Ich würde sagen, Ihr habt das Rätsel gelöst!“

Warum? Warum hatte er sie gerettet?

„Wäre es Euch doch lieber gewesen zu sterben?“

Die Drachen hatten nicht helfen wollen. Sie hatten sich dagegen entschieden um ihr Volk zu schützen. Sheila hatte versagt.

„Wir haben uns dagegen entschieden, das ist wahr. Nichts desto Trotz sind wir nicht gewillt zu zusehen, wie unsere Heimat zerstört und eine Unschuldige verletzt und getötet wird.“

Das die Drachen ihre Heimat beschützen, war Sheila begreiflich. Doch was sie mit ihrem Schicksal zu tun hatten, war ihr weiterhin ein Rätsel.

„Junge Zauberin! In diesem Augenblick hat sich das Rad Eures Schicksals gedreht. Für mich gilt es, Euch hier weg zu bringen, damit unsere Heiler Euch helfen.“

Sheila spürte, dass sich etwas in ihre sträubte. Sie kontne nicht gehen. Die schlacht stand kurz davor und solange sie lebte, würde sie kämpfen, selbst wenn sie es nicht konnte. Alleine ihre Anwesenheit konnte helfen. Wussten ihre Freunde, dass sie lebte, würden sie wieder hoffen und stark gegen den Feind sein.

„Ich werde die Menschen nie verstehen.“, seufzte der Drache, während er sich weiter durch die Dunkelheit schlängelte.

„Doch ich möchte Euch die Chance geben, mir Eure Gedanken zu erklären.“

Wann?

„Auf dem Weg zu meinem Volk!“

The Dragons

Und der Drache gab ihr die Zeit. Eine Zeit, die, wie Sheila wusste, keinen Bestand hatte. Genau in diesem Augenblick, konnte der Imperator die Berge überwunden haben. Womöglich stand er bereits vor Kasuke und seiner Armee.

Sheila konzentrierte sich zunächst nur auf die wesentlichen Dinge, doch während sie den Drachen an ihren Gedanken teilhaben ließ, kamen immer mehr Emotionen hoch und sie begann ihm Einsicht in ihr tiefstes Inneres zu gewähren.

Der rote Drache sah, dachte und fühlte wie sie und Sheila ließ ihn gerne teilhaben. Es war ihr, als habe sie sich einer großen Last entledigt. Nun gab es jemanden, der tatsächlich wusste, wie sie war. Was sie getan hatte und was sie sich gewünscht hatte.

Das Volk der Drachen hatte sich dafür entschieden, dem Osten seine Hilfe zu verweigern. Sheila hatte sich damit abgefunden. Nichts desto Trotz war sie froh, dem Roten zeigen zu können, was sie bewegt hatte, für das ihr unbekannte Volk einzustehen.

Als sie geendet hatte, die letzten Bilder von Kasuke hallten immer noch in ihr nach, schwieg die riesige Echse. Man hörte nur das stetige Flügelschlagen des Tieres, das durch einen tiefen, dunklen Tunnel flog, und das Tropfen von Wasser. Sheila ließ sich von den Geräuschen einlullen und träumte davon, Kasuke bald wieder zu sehen.

Sie wollte, dass der Albtraum bald zuende war, auch wenn das bedeutete, dass sie diese Welt für immer verlassen musste.

"Die Menschen sind ein seltsames Volk!", brummte der Drache.

"Was macht sie denn in deinen Augen so seltsam"

"Sie opfern sich für Individuen. In meinen 4000 Jahren, habe ich immer wieder beobachten können, wie ein Mensch sein Leben für das eines anderen gab. Mütter für ihre Kinder, Männer für ihre Frauen und Freunde füreinander."

Der Rote legte sich in eine Kurve, was Sheila daran erkannte, dass er sein Gewicht verlagerte.

"Wir Drachen wollen nur das Bestehen unserer Art sichern. Ein kleiner Wunsch, misst man das nach Menschenstandard."

Er verstummte wieder und Sheila suchte nach den richtigen Worten.

"Aber würdest du nicht jedes deiner Jungen davor schützen zu sterben?"

"Es dient der Art."

Sheila hätte den Kopf geschüttelt, wäre es ihr möglich gewesen. So langsam spürte sie, dass mit ihrem Körper nicht stimmte. Schmerzen kamen durch den Nebel auf sie zu. Schmerzen, die sie nicht erahnen konnte und vor denen sie sich fürchtete.

Sie vermutete, dass sie sich immer weiter von der Macht des Imperators entfernten und er somit keinen Einfluß mehr auf sie hatte.

"Es dient deiner Art und doch rettest du somit auch ein Individuum. Man muss es nur erkennen."

Sheila unterdrückte ein Stöhnen, als sie ihre Beine spürte. Doch sie konnte sie nicht bewegen. Jeder Versuch sandte eine Schmerzwelle durch ihren gesamten Körper.

"Sind deine Freunde auch diese Schmerzen wert?"

Kasukes Gesicht tauchte vor Sheilas Augen auf.

"Ja, jeden Dolchstoß"

"Würden sie das auch für dich tun?"

Sheila versuchte sich an den Moment zu erinnern, in dem sie Kasuke verletzt hatte. Sie wollte, dass der Drache ihr Entsetzen spürte.

"Er hat es getan um mich vor Schaden zu bewahren."

"Was hätte er wohl getan, wenn du nicht zurückgekehrt wärst?"

In der Stimme des Drachens lag eine Neugier und eine Kälte, die Sheila wütend machte. Mit den Schmerzen, kam auch ihre Macht wieder und sie spürte die Wallungen, die sie ergriffen. Der Rote lachte und die Felsen um sie herum bebten.

"Kleiner Mensch. Auch wenn ich deine Macht gerne mal gespürt hätte, du schadest dir nur damit. Warte noch wenige Augenblicke. Wir sind gleich da."

Und dann ging die Sonne auf.
 

Die Nacht war wolkenverhangen und der Mond, sowie die Sterne verbargen sich, als wüssten sie, was lauerte. Auch die Soldaten beider Armeen waren still. Es herrschte eine Melancholie, die nur vor einer Schlacht herrschte. Eine seltsame Stille, die beherrscht war von Gedanken und Gefühlen. Niemand war an diesem Abend wirklich alleine. Heute Nacht wurde ein Bund zwischen all diesen Männern und Dämonen geschlossen, der Mut und Stärke weckte.

Sekura und Mika verbrachten die Zeit gemeinsam und sie liebten sich.

Es war kein Abschied. Sie gaben und nahmen ohne Hast und gaben sich ein Versprechen, dass Zukunft verhieß.

Die, die ihre Familien mitgebracht hatten, taten es ihnen gleich.

Nur einer stand alleine am Rand des Lagers und suchte die Sterne, die sich nicht zeigen wollten.

Das Fell des Einhorns glänzte im Widerschein der Feuer, doch die Wärme der Flammen erreichten es nicht. Konomi hatte nie an Götter und höhere Mächte geglaubt und doch betete er. Er sehnte sich den Frieden und das Leben all dieser tapferen Männer herbei. Er wünschte, dass Sheila genau hier bei ihm stand und ihm die Hoffnung gab, die er nur durch sie kennengelernt hatte.

Er hatte immer geglaubt, dass er stärker war als die anderen, doch die Jahre hatten ihn nicht weiser werden lassen. Sheila hätte etwas bewirken können, doch er hatte sie eingeschränkt und sie im Stich gelassen. Nun stand er hier und sah nur noch den Tod.

Er spürte das Mädchen nicht mehr und auf einmal fühlte er sich verlassen und einsam.

Das Einhorn bemerkte nicht den Feuerschweif, der über den Himmel jagte.
 

Sheila schloss zunächst die Augen vor dem schmerzenden Licht, dass sie beinahe erblinden ließ. Erst als der rasende Schmerz in ihrem Kopf nachließ, wagte sie es sie wieder zu öffnen.

Sie hatte gelaubt im Freien zu sein, umso erstaunter war sie als sie zur Decke einer Höhle blickte, die in tausend verschiedenen Farben leuchtete. Sheila hatte keine Ahnung davon, aber sie vermutete, dass mehrere Tausende von Juwelen das Licht brachen, welches von Feuern ausging, die sie nicht sehen konnte.

Trotz der Schmerzen, die sich ausbreiteten, konnte sie sich noch immer nicht bewegen. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als zur Decke zu starren. Der Rote schien sie abgelegt zu haben, denn sie hörte das Rauschen der Flügel nicht mehr.

Ein Knurren ertönte und Sheila spürte, wie Erde bebte, als würden schwere Körper auf sie zu kommen. Etwas zischte an ihrem Ohr und Stimmen wurden laut, die tief grollten und Sheilas Körper erbeben ließen. Sie verstand die Worte nicht, da sie in einer fremden Sprache gesprochen wurden, doch sie schienen zu diskutieren. Sheila hoffte, dass sie nicht über ihren Tod abstimmten. Der Rote hatte sie doch nicht gerettet, um sie dann dem Schicksal zu überlassen.

Dass sie selbst vor Kurzem noch ihrem Leben hatte ein Ende setzen wollen, hatte sie längst verdrängt. Sie war nicht mehr in der Hand des Feindes, zumindest glaubte sie das, und somit musste sie sich keine Sorgen mehr darüber machen, dass sie als Waffe fungieren konnte.

Ein Schatten legte sich über sie und Sheila meinte Krallen zu erkennen, Einen kurzen Augenblick überkam sie die Angst, man wolle sie zerquetschen, doch im nächsten Augenblick riss eine Schmerzwelle sie aus diesen Gedanken. Sie schrie, doch sie bemerkte nicht, dass sie ihre Stimme wieder hatte. Ihr ganzer Körper schien in Flammen zu stehen und ihre Macht begehrte dagegen auf, doch sie konnte nichts ausrichten. Alles in ihr versuchte zu fliehen, doch der Schmerz fesselte und band sie. Sheila glaubte erblindet zu sein, denn sie sah nur noch weißes Licht. Das Licht des unsagbaren Schmerzes.

Irgendwann hatte sie nicht mehr die Kraft aufzubegehren und ihre Schreie verhallten, doch es stelte sich keine Ohnmacht ein. Vielmehr ebbte das Grauen ab und ließ eine unglaubliche Erschöpfung zurück.

Sheila spürte, dass sie ihre Finger in Kiesbestreuten Boden grub und lockerte den Griff. Sie bewegte den Kopf und öffnete die Augen. Sie konnte sich wieder rühren.

Das erste was sie sah, war der mächtige Körper des roten Drachens. Hinter ihm waren noch mehr Drachen zu sehen, die die verschiedensten Musterungen und Fraben hatten. Kein Drache glich sich, selbst wenn es nur kleinste Details waren.

Sheila erkannte auch das Jungtier, welches ihr in den Kalten Bergen begegnet war und das schöne Drachenweibchen. Der junge Drache kam ein wenig näher und musterte sie mit seinen wunderbar goldenen Augen.

"Du bist der seltsamste 'Mensch, den ich je gesehen habe.", knurrte er und Sheila riss überrascht die Augen auf.

"Du sprichst meine Sprache?"

Der Drache lachte dröhnend.

"Ich bin zwar noch jung, aber viele Hundert Jahre älter als du. Deine Sprache hat sich nicht sehr verändert in dieser Zeit."

Sheila schluckte schwer.

"Dann hast du alles verstanden, was ich damals gesagt habe," Das war eine Feststellung, keine Frage.

"Wieso hast du nichts gesagt?"

Der blau Drache, das Weibchen trat vor.

"Weil es ihm untersagt war. Er sollte Euch testen."

Sie fuhr die Krallen aus und schob sie sachte unter Sheilas Körper.

"Richtet Euch auf. Ihr seid geheilt."

Überwältigt von den Eindrücken und den gigantischen Tieren um sie herum, hatte sie ganz vergessen, dass sie vor wenigen Minuten noch in Flammen gestanden hatte. Vorsichtig bewegte sie sich, doch ihr Körper gehorchte ihr, als wäre nie etwas geschehen.

Sie erhob sich langsam, blieb jedoch sitzen.

"Wie schlimm war ich verletzt?"

"Ihr habt es geschafft, Euch fast jeden Knochen zu brechen, aber Euer Leib ist zu mächtig um dadurch zerstört zu werden."

Sheila runzelte die Stirn.

"Wie meint Ihr das?"

"Eure Macht hat Euch das Leben gerettet."

"Aber ich habe sie doch gar nicht gespürt."

"Weil sie sich an einem Punkt gesammelt hatte, wo Ihr sie nicht erreichen konntet."

Sheila schüttelte den Kopf, da sie spürte, dass er diese Informationen nur schwer verarbeiten konnte. Also versuchte sie ihre Gedanken auf ein anderes Thema zu bringen. Es gab einiges, das mehr Priorität hatte.

"Was heißt, dass er mich prüfen sollte." Sheila fixierte den jungen Drachen argwöhnisch. Sie hatte das Vertrauen ihrer Freunde aufs Spiel gesetzt, indem sie ihn geschützt hatte und nun musste sie erfahren, dass die Drachen nur mit ihr gespielt hatten.

"Das ist nicht wahr!", grummelte der rote Drache.

"Wir mussten wissen, wer Ihr seid und was für Absichten Ihr habt."

Geschmeidig wand er sich durch die Reihen der anderen Drachen und blieb genau vor ihr stehen. Er war gigantisch und obwohl Sheila wusste, dass sie gut 20 Meter wachsen musste bevor sie auf einer Höhe mit ihm war, stand sie auf. Sie sah ihm fest in die Augen, auch wenn das tiefe Rot sie schwindelig machte.

"Warum hat Euch das interessiert?", sie konnte nicht verhindern, dass sie wütend klang.

"Ich bin mit guten Absichten zu euch in die Berge gekommen..", sie sah auch die anderen Drachen an, sie schätzte ihr Zahl auf etwa 20. "Und habe bewiesen, dass ich keinen Schaden für das Volk der Drachen wollte." Sie erhob ihre Stimme und ein Fauchen lag darin. "Und ihr wart nicht bereit für uns einzustehen."

Heißer Schwefelatem kam ihr entgegen, als der schwarze Drache sie wütend anbrüllte. Sheila zuckte nicht mal mit der Wimper, sondern sah ihn ruhig an. Macht strömte heiß durch ihre Adern, doch nur ein Hundertstel davon gab sie frei und holte somit ihr Gegenüber von den Beinen.

Erschrocken rappelte der Schwarze sich auf und sah erst den roten Drachen, dann Sheila an. Der Rote schmunzelte, wenn man das Zahnblecken so deuten konnte.

"Du hast sie unterschätzt, mein Sohn."

Er beugte sich ein wenig zu Sheila hinab.

"Hast du eine Ahnung, wie es dazu kam, dass die Phönixe verschwanden?"

Sheila schüttelte den Kopf.

"Diese Geschichte konnte ich nicht in der Bibliothek der Burg finden. Sie ist nirgends erfasst."

Der Drache ließ sich auf den Vorderbeinen nieder, sodass Sheila nicht mehr aufsehen musste.

"Diese Legende ist so furchtbar für die Welt gewesen, dass niemand, der ihren Untergang miterlebt hatte, fähig war sie aufzuschreiben. Mit den Phönixen ist damals ide Hoffnung gegangen."

"Was hat der 'Imperator getan?"

Das Lachen der Drachen um sie herum ließ den Boden erbeben. Nur der Rote musterte sie lediglich stumm. Als es ruhig um sie herum wurde, trat die Blaue vor.

"Es gibt schlimmeres Böses, als den Imperator. Die Phönixe verschwanden, weil das dunkelste, grauenvollste Böse ihnen jeglichen Grund zur Existenz nahm."

Sheila runzelte die Stirn.

"Dieses Böse....wieso hat es ausgerechnet den Phönixen die Existenz...", sie suchte nach dem passenden Wort, "...geraubt?"

Der rote Drache hob seine Tatze und drehte sie mit der Handfläche nach oben.

"Vertrau mir.", brummte er und Sheila ging auf seine großen Krallen zu. Er senkte seine Pfote und Sheila trat auf sie.

Es wurde schwarz um sie herum.
 

Ein Summen kündigte die feindliche Armee an. Es war wie ein Schatten, der sich vom Horizont ausbreitete und die Welt mit Kälte überzog. Doch das Frösteln blieb aus. Menschen wie Dämonen sahen, dass ihr Tod nahte, doch sie dachten nur an das was sie verloren, wenn sie nicht kämpften.

Wenn sie starben, würde auch ein Teil ihrer Welt sterben. Gaben sie jedoch auf, so würde alles untergehen.

Mika blickte über ihr Volk, Kasukes Volk und wünschte sich eine Zeit, in der diese Wölfe in Glück und ohne Sorgen leben konnten. Doch sie wusste auch, dass dies in ferner Zukunft lag.

Ihre Augen wanderte wie von Selbst zu Sekura, der grimmig dem Feind entgegen blickte.

Womöglich bildete sie sich den Zauber ein, den sie verspürt hatte. Die Bindung, die zwischen ihnen bestand. Sie liebte den Panter, doch er hatte dies nie zu ihr gesagt. Es war dumm von ihr, sich diese Worte zu erhoffen. Sie hatten beide geschwiegen, als sie sich getrennt hatten. In beiderseitigem Einverständnis, wie sie glaubte. Doch nun schmerzte ihr Herz, ihre Angst wuchs. Nicht ihre Angst zu sterben in der Schlacht. Sie blickte in das unnachgiebige Gesicht eines unnachgiebigen, kalten Dämons. Und sie liebte jeden einzigen Zug davon. Sie konnte, sie durfte ihn nicht verlieren. Sie hatten sich doch erst gefunden.

Plötzlich sah Sekura sich um, als habe er ihre Gedanken gehört, wie sie ihn ruften.

Seine gelben Augen zeigten keine Regung, sondern sahen sie einfach nur an, abwartend, als erwarte er, dass sie ihm alles offenbarte.

Mika konnte diesem Blick nicht standhalten.

Ihr Gesicht brannte vor Scham, weil sie mehr in diese Geschichte gelegt hatte, als gewesen war. Sie würde hier auf dieser Ebene sterben. Alleine, wie sie es immer gewesen war.

Die Erde bebte und ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge, was Mikas Konzentration wieder auf die Feindesfront lenkte.

Der Schatten, der über den Hügel kam war nun greifbar und wurde zu einer Gestalt des Grauens.

Mika machte eine Person aus, die an der Spitze des feindlichen Heeres ritt. Im ersten Moment sah Mika einen Menschen, im nächsten ein Monster. Nichts an ihm war deutlicher als das Böse. Die Dämonen hinter ihm waren erschreckend und grauenvoll, doch sie alle waren durch das was sie waren definiert. Der Imperator jedoch war todbringend.

Mika musste sich nicht umsehen, um zu erahnen was ihr Freunde dachten. Dieser Mann brauchte keine Armee hinter sich.

Haruto trat an die Seite der Wölfin.

"Sheila ist nicht bei ihnen."

Sie atmete auf.

"Dann konnte Kasuke sie retten."

"Aber wo ist er dann?"

Mika runzelte die Stirn.

"Was willst du damit sagen?"

Haruto schüttelte den Kopf.

"Ich habe einfach das Gefühl, dass etwas nicht stimmt."

Die Wölfin blickte wieder der Armee entgegen, die sich unaufhaltsam dem Hügel näherte.

Wo war Kasuke?
 

Ein Lichtblitz brachte Sheila zurück ins Bewusstsein. Dem Blitz folgte ein Krachen und erschrocken sah sie sich um. Sie auf auf einer weiten Ebene, doch sie befand sich nicht in der Nähe der kalten Berge. Diesen Ort kannte Sheila nicht, doch das war unwichgtig angesichts des Bildes, welches sich eröffnete. Unter zuckenden Blitzen und krachenden Donner standen sich zwei Fronten gegenüber, die unterschiedlich nicht hätten sein können.

Mensch gegen Dämon.

"Sie sind Feinde?"

Sheila hatte mit sich selbst gesprochen, doch sofort vernahm sie die Stimme des roten Drachens.

"Nein, dies sieht wie eine Schlacht aus, doch es ist ein Treffen, welches die Menschen einberufen haben."

Sheila sah sich um, doch sie sah den Drachen nicht.

"Du befindest dich in meinen Erinnerungen. Ich werde dich durch sie hindurch begleiten."

Sheila nickte und wandte sich wieder der Szenerie vor ihr zu. Die musterte die Front der Dämonen und erkannte alle Clans, die auch in der Gegenwart exestierten. Jedoch sah sie auch die Drachen, die sich etwas weiter hinten aufhielten. Alle Dämonen blickten reserviert, doch die Menschen waren die, die Aggressivität ausstrahlten. Sheila war verwirrt.

"Vor vielen Jahren haben die Menschen mit uns Dämonen einen Pakt geschlossen, nach dem wir uns bereit erklärten ihnen Sicherheit und Führung zu gewährleisten."

Sheila musterte noch immer die beiden Parteien, die sichansahen, als würden sie auf etwas warten.

"Warum sollten sie das wollen?"

"Die Menschen hatten Angst vor uns, weil wir anders waren. Sie sind eine sehr junge Spezies. Jahrelang hielten die Dämonen sich versteckt, damit die Menschen sich nicht zu sorgen brauchten, Doch sie wussten immer von unserer Existenz und bald kam es zu Auseinandersetzungen. Die Menschen glaubten, sie müssten uns bekämpfen, doch sie überlebten selten diese Scharmützel. Bald darauf erkannten einige schlauen Köpfe, dass sie sich selbst schadeten und sie suchten uns, um mit uns zu reden."

Sheila runzelte die Stirn.

"Das ist aber nicht diese Unterredung, nicht wahr?"

"Nein. Zwischen diesen beiden Ereignissen liegen Jahrhunderte."

Sheila nickte.

"Das habe ich befürchtet. Fahr fort."

"Es wurde der Pakt des Friedens geschlossen, doch auch das war nicht ganz so einfach. Die Menschen fürchteten uns nach wie vor und sie forderten einen Beweis, einen Tribut, den wir ihnen zollen sollten."

Es krachte wieder laut und Sheila überkam ein ungutes Gefühl.

"Der Clan der Phönixe gaben ihr wertvollstes Gut in die Obhut dieser Menschen. Ihre Unsterblichkeit in Form eines goldenen Steines."

Sie keuchte auf.

"Wie konnten sie so etwas fort geben."

"Die Phönixe sind das Symbol für Frieden, Glück und Schönheit und so leben sie auch. Sie bringen den neuen Tag und die Hoffnung und wollten dies mit den Menschen teilen um Frieden zu erwirken."

Sheila sah in den Himmel der grau und schwarz zur gleichen Zeit war.

"Ich vermute, das Verhängnis nimmt nun seinen Lauf."

Stille war ihr Antwort genug. Sie blickte geradeaus und ihr klopfendes Herz hallte in ihren Ohren über die gesamte Ebene. Regen trat ein, doch Sheila wurde nicht nass.

Mit dem nächsten Blitz färbte sich der graue Himmel einen Augenblick rot. Dann schwebten gut ein Dutzend Vögel mit goldenen Schwanzfedern und schimmernden Hauben über den anderen Dämonen und es war Sheila, als wäre die Nacht um einiges heller geworden.

Doch die Menschen verzogen keine Miene.

Der größte Vogel landete zwischen den Fronten und war gut zwei Meter größer als der Mensch. Er blickte sie nur stumm an und wartete.

In diesem Augenblick trat ein Mensch vor und er hielt etwas in der Hand. Es leuchtete und glänzte und Sheila vermutete, dass es der Stein der Unsterblichkeit war.

"Wir wollen nicht mehr von euch regiert werden. Hiermit entsagen wir dem Bund."

Sheila kniff die Augen zusammen und versuchte die Stimme des Phönixes auszumachen, doch er antwortete nicht. Stattdessen sah er den Mensch nur stumm an.

Etwas blitzte in den Augen des Vogels und das Gesicht des Mannes verwandelte sich in die Grimasse des Zorns. Er stieß einen Schrei aus und schleuderte den Stein zu Boden, der dort in tausende Splitter zerstob.

Mit einem lauten Tosen erhoben sich die Dämoen,brüllten und kreischten angesichts dieser Tat. Doch die Phönixe waren noch immer still. Sheila schien es, dass sie ihre Form veränderten. Wie eine Gestalt, die sich im Nebel auflöste.

Dann reckten sie sich und ein melodisches und doch grauenvolles entwand sich aus ihren emporgereckten Schnäbeln. Im nächsten Augenblick waren sie verschwunden. Die Reaktion der Dämonen war, dass sie auf die Menschen losgingen und eine unheimliche Schlacht tobte.

Sheila wand sich ab, als auch die Details der blutigen Schlacht vor ihre Augen trat.

Dann stand sie in einem leeren, dunklen Raum. Die Kampfgeräusche waren verschwunden und Sheila vernahm nur noch ihre eigene Atemgeräusche.

"So begann das schwarze Zeitalter. Durch den Verrat der Menschen, verschwanden die Phönixe und eine blutige Zeit begann."

"Wieso haben die Phönixe sich nicht gewehrt."

"Der Vogel, der dem Mann gegenüber gestanden hat, hat zu ihnen allen in ihren Gedanken gesprochen. Er hat ihnen Bilder der Zukunft gezeigt, die er selbst gesehen hat. Die Zukunft, wie sie ohne die Dämonen sein würde. Die Menschen würden sich selbst zerstören."

"Ist es wahr?"

"Die Menschen wollten dies nicht einsehen und deshalb zerschlugen sie den Zoll, den die Phönixe ihnen überlassen hatten und somit auch ihr Volk. Nicht nur die Kämpfe mit den Dämonen auch Hass, Neid und Gier zerstörten ganze Familien und einige Jahrzehnte später ersuchten das Volk der Menschen uns um Hilfe."

Sheila schüttelte den Kopf. Es war immer dasselbe. Ihre Spezies war in vielerlei Hinsicht überall gleich. Sie eiferten nach allem und schadeten sich am Ende selbst. Sie fragte sich, ob es in ihrer Welt mehr Gerechtigkeit geben würde, hätten sie eine höhere Macht, die sie lenkte.

Hätte sie womöglich eine andere Kindheit gehabt? Wäre diesen bösen Männern entkommen.

Sheila fröstelte. Sie hatte so lange nicht mehr an ihre Welt und an ihre Vergangenheit gedacht, dass der Gedanke ihr Angst bereitete. All die Dinge, die ihr widerfahren waren, hatte hier ihre Bedeutung verloren.

"Was habt ihr geantwortet?"

"Das Volk der Drachen wohnte diesem Treffen nicht bei. Unser Volk ist genauso alt wie das der Phönixe. Ihr Verschwinden traf uns hart und wir weigerten uns, mit den Menschen zu kooperieren."

Sheila erinnerte sich daran, dass nur die Drachen und Phönixe keine Tiere in dem Sinne waren, wie sie sie kannte. Sie waren Sagengestalten und irgendwie machte die

Erklärung einen Sinn.

"Doch die Dämonen gingen erneut einen Bund ein, mit dem Unterschied, dass sich keiner mehr so in die Hände in dieses unstetige Volk gab, wie es die P'hönixe getan hatten. Die Wesen dieser Welt haben diese Geschichten schon längst vergessen. Doch du hast selbst gesehen, dass Vorurteile geblieben sind und sich auch nie ganz begleichen lassen werden."

Sheila dachte an all die Situationen in denen Mensch und Dämon sich feindlich gegenüber gestanden hatten.

"Bring mich bitte wieder in die Höhle.", flüsterte sie.
 

Als die feindliche Armee die Ebene erreichte, wurde den Clans das Ausmaß der Streitmacht erst klar. Sie waren hoffnungslos in der Unterzahl. Die Clanführer und Oberhäupter der Menschen standen an der Spitze ihrer Soldaten und sahen stumm zu, wie die Feinde Stellung bezogen. Inari runzelte die Stirn und sah über die Ebene.

"Sie werden noch nicht angreifen."

Periphae schüttelte ihr Gefieder.

"Nicht vor Morgen früh. Der Imperator wird noch mit uns sprechen wollen. Schließlich hatte oder hat er Sheila in seiner Gewalt."

Sie hatten darüber gesprochen, dass Sheila womöglich nicht mehr in seiner Gefangenschaft war, aber sie wollten nichts riskieren. Womöglich täuschte er sie auch nur.

"Ich möchte, dass ihr alle noch einmal den Schlachtplan mit euren Soldaten durchgeht.", knurrte Sekura und wandte sich dann an Konomi.

"Kannst du sie spüren?"

Das Einhorn sah verhärmt aus, doch der Panter konnte darauf keine Rücksicht nehmen.

"Schon eine ganze Weile nicht mehr. Aber das kann alles bedeuten."

"Was ist alles?"

Mikas Kopf ruckte herum angesichts der ruppigen Art, die Sekura an den Tag legte, aber sie hütete sich einzuschreiten. Konomi nahm es unbeeindruckt hin.

"Sie könnte tot, weit fort, von einen Zauber verborgen oder in der Hand eines mächtigen Dämons aus der alten Welt sein. Das sind die Möglichkeiten. Letzteres können wir ausschließen, da nur noch die Einhörner und Drachen zu dem alten Volk gehören."

Sekura wandte sich ab und ging zu seinen Felidae. Mika nutzte die Gelegenheit um zu Konomi zu treten.

"Was denkst du? Wo ist sie?"

Das Einhorn senkte den Kopf.

"Ich weiß es nicht."

"Hast du nicht einmal eine Ahnung?"

"Meine Kräfte lassen mich im Stich."

Mika spürte Zorn.

"Weil du dich aufgibst. Verdammt Konomi. Das hätte Sheila nie gewollt."

Sie hatte ihn scheinbar an einem wunden Punkt getroffen, denn er richtete sich leicht auf.

"Du kannst dir weiter Vorwürfe machen oder uns helfen das hier durchzustehen und wenn das nur heißt, dass du versuchst sie aufzuspüren."

Konomi hob den Kopf und richtete ihn gen Himmel.

"Ich kann es versuchen, aber ich habe irgendwie die Verbindung verloren, als sie uns verließ."

"Du kennst Magie, die uns nicht geläufig ist. Du hast Sheila besser verstanden, als wir alle. Denn du kennst ihre Macht. Finde sie, Konomi."

Damit überließ sie ihn sich selbst. Er musste zu sich selbst zurückfinden, bevor er bereit war, sich auf die Schlacht einzulassen. Er musste sich verzeihen.

Sie trabte an einigen Soldaten vorbei und suchte sich einen Platz abseits der Armee.

Wo war Kasuke?

Hoffentlich war er bei Sheila und Konomi fand sie beide.

Der Wolf hatte schon lämgst zurück sein wollen.

"Kasuke! Komm zurück.", winselte sie.
 

Die Drachen hatten ihr Früchte und Beeren gebracht, doch Sheila konnte nichts anrühren. Die Geschichte dieser Welt machte sie traurig. Immer waren es Verrat und Hass, die das Ende eines Volkes herbeiführten.

Ihre Freunde sahen gerade ihrem Tod entgegen, weil vor vielen, vielen Jahren ein Einzelner ein unsagbares Verbrechen an den Dämonen begangen hatte. Und sie saß hier und hatte jegliche Hoffnung verloren.

Sheila wischte eine Träne fort.

Die Drachen lagen oder saßen um sie herum und schienen in eine Art Trance gefallen zu sein. Wahrscheinlich ruhten sie auf diese Art, aber was kümmerte sie das schon. Jedenfalls ignorierten sie sie.

Mit einem Ruck stand sie auf und ging ohne jegliches Kommentar auf einen Gang zu.

Das blaue Drachenweibchen hob den Kopf und folgte ihr mit den Augen.

"Was tut Ihr?"

"Ich werde zu meinen Freunden gehen und mit ihnen sterben."

Eine rote Pranke versperrte ihr den Weg.

Wütend funkelte Sheila den Drachen an und richtete ihre Macht wie eine Waffe auf ihn.

"Haltet mich nicht auf.", fauchte sie.

"Ich lasse nicht zu, dass diese Welt ein so kostbares Gut tötet."

"Ich bin kein Gegenstand, sondern ein Teil dieser Welt.", schrie sie. "Und ich werde für die sterben, die zu mir gehören. Dämon wie Mensch."

Eine Energiewelle ließ die Höhlenwände erzittern und der Boden tat sich dort auf, wo der rote Drache ihr den Weg verweigert hatte.

"Ihr verkriecht euch hier, feige und ängstlich. Die einzigen Dämonen dieser Welt, die nicht den Mut besitzen für etwas einzustehen, dass auch ihnen gehört."

Sheila hörte, dass einige Drachen fauchten und sie wusste, dass sie mit dem Feuer und dem Leben spielte, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch ihr Zorn und ihre Verzweiflung war grenzenlos.

"Ihr wolltet, dass ich euch verstehe. Ich habe die Geschichte gehört und sie ist traurig, aber das was dort draussen soeben geschieht wird noch um einiges schlimmer. Denn ihr werdet die einzigen sein, die noch übrig sind. Die einzigen und ihr werdet einsam im Leben sein. Ich vereint im Tod mit denen, die mir etwas bedeuten."

Eine Machtschatten umgab sie, als sie sich einen Weg durch die Drachen bahnte.

"Wartet!"

Es war das Drachenweibchen. Der rote Drache zischte, als sie Sheila folgte, doch sie ignorierte ihn.

"Ich werde dich zu deinen Freunden fliegen. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es rechtzeitig bis zu Beginn der Schlacht."

Sheila spürte ein wenig Erleichterung, denn ínsgheim hatte sie nicht gewusst, wie sie zur Ebene hatte gelangen sollen.

"Woher wisst ihr, dass der Kampf noch nicht begonnen hat?"

"Weil ich es höre. Der Imperator zögert noch."

Das Weibchen senkte den Kopf, sodass Sheila sich in ihren Nacken setzen konnte.

"Ich lasse nicht zu, dass du dich in Gefahr bringst.", knurrte der Rote. Die Blaue wandte sich ab.

"Ich werde die Zauberin nicht im Stich lassen. Wie viele Beweise brauchen wir denn noch, dass sie die Prophezeite ist?"

Sheila wurde hellhörig. Auch hier hatte man von der Prophezeiung gehört?

"Eine Wölfin sprach davon auf ihrem Totenbett. Wir sollten das nicht ernst nehmen.", sagte ein Drache der die grüne Farbe eines Smaragdes hatte.

Das Weibchen schüttelte den Kopf und Sheila hatte einige Mühe sich festzuhalten.

"Diese Wölfin war eine Lykantropin des alten Geschlechts. Sie hatte das zweite Gesicht und sie war mächtig."

Sie kroch auf den Höhlengang zu.

"Synthra!"

Das Weibchen stockte.

"Wirst du ihr zur Seite stehen?"

"Ja!"

"Wieso?"

"Weil sie in allem Recht hatte, was sie gesagt hat. Von Anfang an. Ich werde die Phönixe nicht verraten indem ich jemanden die Hilfe versage, der sie sofort von ihnen bekommen hätte. Die Zauberin ist der Grund dafür, dass der Clan der Phönixe bereitwillig ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat. Sie ist das, was sie beschützen wollten und ich werde es ihnen gleich tun."

"Du könntest ums Leben kommen."

"Was macht es denn für einen Unterschied? Ich möchte lieber bei dem Versuch sterben unsere Welt zu erhalten, als in einer zu leben, in der das Böse regiert."

Damit verschwand sie in dem Gang.
 

"Herrin, wir müssen uns beeilen. Ich spüre, dass Unheil auf uns wartet."

Sheila nickte und führte sich das Gesicht des Imperators vor Augen.

Synthra stockte einen Augenblick.

"Das ist der Feind?"

Sheila versuchte sich an alles erinnern, was sie im Lager der feindlichen Armee gesehen hatte. Das Drachenweibchen musste wissen, was sich da auf der Ebene zusammentat. Wahrscheinlich wusste sie auch, was für unsägliche Monster das waren.

Ein Schauer lief durch den Körper, der weiterhin durch die Tunnel der Höhlen kroch.

"Er hat alles zusammengerufen, was den Menschen den Atem stocken lassen wird. Das sind Monster, die selbst uns Dämonen schaudern lassen."

Sie knurrte leise.

"Aber er ist ein Mensch.", stieß Sheila hervor. "Ich weiß es und ich werde ihn genau an dem Punkt treffen, der ihn am meisten schmerzt."

"Ich hoffe ihr habt Recht."

Das hoffe ich auch, dachte Sheila.

Ein Lichtschimmer wurde immer größer und in der nächsten Sekunde erhoben sie sich in den roten Abendhimmel und über die Felsen.

Hier konnte Sheila nun sehen, wie weit die Berge sich tatsächlich erstreckte. Vor ihr tat sich eine Landschaft aus Stein und Fels auf, die von den Farben der Sonne erhellt wurden. Es sah wunderschön aus.

"Und doch ist es trostlos und niederschmetternd."

Sheila sah auf Synthras Kopf hinab, musste sich aber dazu zwingen wieder nach oben zu sehen, da ihr angesichts der Höhe schwindelig wurde.

"Du lebst nicht gerne hier?"

"Ich möchte mich über die Weiten der Welt bewegen können. Ich möchte das Meer und die Wüste sehen. Ich will frei sein."

"Aber du hast Flügel. Was hindert dich?"

"Die Angst des roten Drachens, wie Ihr ihn nennt. Er sorgt sich um unser Volk."

Sheila schloss die Augen. Fehler konnten so schmerzhaft sein, vor allen Dingen wenn man denjenigen Schmerz zufügte, die man liebte.

"Ihr liebt einen Dämon?"

Sheila zuckte zusammen, als sie den vorwurfsvollen Ton hörte. Sie hatte nicht bewusst an Kasuke gedacht, nicht an ihn als Person und deshalb hatte sie nicht mit Synthras Reaktion gerechnet.

"Herrin. Ihr wisst, dass das unmöglich ist,"

Verdrängte Angst zog Sheila das Herz zusammen. Liebe musste einen Weg finden. Sie musste einfach.

Synthra seufzte leise, doch für Sheila gut hörbar.

"Was ist wenn er die Schlacht nicht überlebt?"

Sheila unterdrückte ein Stöhnen der Pein. Während Synthra darüber sprach sandte sie ihr Bilder, die sie an eine solche Zukunft denken ließ.

"Hör sofort auf. Warum tust du das?"

"Ich möchte Euch wappnen."

"Wieso?"

"Weil der Führer der Wölfe nicht bei seinem Clan angekommen ist."

Die Schlacht

Das Blut wich ihr so schnell aus dem Kopf, dass sie drohte vom Nacken des Drachen zu fallen. Graue Punkte tanzten vor ihren Augen, während die Worte von Synthra in ihrem Kopf widerhallten. Weil der Führer der Wölfe nicht bei seinem Clan angekommen ist.

Synthra fauchte und versteifte sich, als sie spürte, dass Sheila in sich zusammen sackte.

"Herrin, reißt euch zusammen!"

Sheilas Glieder fühlten sich kalt und steif an und doch zitterte sie.

"Wie kann das sein? Er ist bei der Armee."

Sheila spürte das Bedauern des Drachen in ihren Gedanken, doch das konnte den Schmerz und die Panik nicht lindern. Wenn Kasuke die Armee nicht erreicht hatte, musste ihm etwas zu gestoßen sein.

Mit einem Mal senkte sich heiße Wut auf sie hinab. Wenn er nicht bei der Armee war, dann konnte ihm nur etwas zugestoßen sein, als er sie verlassen hatte und die einzigen, die einem mächtigen Dämon wie dem Wolf etwas anhaben konnten, waren die Drachen oder der Imperator selbst.

Wir hätten ihm nichts zuleide getan.

Sheila sandte dem Drachen eine Entschuldigung, aber auch ein Versprechen. Sie würde diesem grausamen, dummen Mann dafür büßen lassen, dass er so vielen Leid zugefügt hatte.

Bitter wurde ihr bewusst, dass der Wolf wahrscheinlich die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen war und sie ihn mit ihrer dummen Idee, sich in die Schlucht zu stürzen verlassen hatte.

„Hoffentlich lebt er noch!“ flüsterte sie, doch Synthra hörte sie genau.
 

Es kam, wie sie es erwartet hatten. Der Imperator löste sich von den Massen seiner Soldaten und ritt auf seine Feinde hinzu. Er war alleine und nur jemand, der nichts fürchtete war so waghalsig.

„Wir werden ihm entgegen gehen.“ Sekura schwang sich auf ein Pferd, welches ihm der Heerführer der Menschen gegeben hatte und Konomi, Periphae und Harus folgten ihm in ihrer dämonischen Gestalt. Sie waren nicht so dumm zu glauben, dass sie sich gefahrlos ihrem Gegenüber stellen konnten.

Etwa auf der Hälfte trafen die Kontrahenten aufeinander. Sekura wunderte sich, dass sein Gegenüber so sehr Mensch war. Doch im selben Moment revidierte er seine Feststellung. Seinen Feind umgab eine solche dunkle, eisige Aura, dass es ihm fast die Sprache verschlug. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Adler, der auf Konomis Rücken gelandet war, sein Gefieder schüttelte. Auch wenn sie ein Vogel war, wusste Sekura genau was Periphae empfand.

Der Imperator grinste höhnisch, als er die Gruppe musterte.

„Ich sehe, in den Reihen des Ostens hat sich nicht viel getan.“ Er lachte und es war als würde ein Orkan über das Feld brausen. „Nur das ihr Menschen an eurer Seite habt ist mir neu.“ Er wandte sich an das Einhorn, das zur Linken von Sekura stand.

„Seid ihr etwa so schwach geworden, weiser Konomi?“ Dies war keine Frage, daher ging das Einhorn nicht auf die Herausforderung ein.

Es war Sekura der das Wort an sich nahm.

„Gebt uns die Magierin zurück und wir lassen euch ohne Verluste ziehen.“

Die Antwort des Imperators war ein so grausames und höhnisches Lachen, dass die Menschen und Dämonen im Rücken der Gruppe einen Schauer nicht unterdrücken konnten. Sekura dagegen zuckte nicht einmal mit der Wimper. Unbeeindruckt ließ er seinen Feind nicht aus den Augen. Irgendetwas schien seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Eure Armee hat keine Chance gegen meine. Ich würde sagen, ich sage worin unsere Verhandlungen bestehen.“

Er wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel, doch Konomi war sich sicher, dass dieses Monster vor ihm, gar nicht wusste, wie sich Emotionen anfühlten.

Der Imperator wurde nun ernst, aber seine Augen funkelten bösartig, als er sich leicht im Sattel nach vorne beugte.

„Ich würde vorschlagen, ihr übergebt mir die Herrschaft über den gesamten Osten und eure Freiheit und dafür lass ich euch nicht abschlachten.“

Er kicherte erneut grausam und die Augen von Sekura verengten sich zu Schlitzen.

„WO ist die Magierin?“

Sein Ton war dermaßen anmaßend und direkt, dass die Dämonen sich nach ihm umsahen.

„In meiner Gewalt, wie ihr sicher wisst.“

„Wir wollen sie sehen!“

Der Imperator hob die Augenbrauen.

„Sie wird die Königin an meiner Seite sein, sie hat bereits zugestimmt, daher habt ihr jeglichen Anspruch auf sie verloren.“ Er lachte erneut. „Ich denke, ihre Aufgabe hat sie nicht ganz nach euren Vorstellungen erfüllt, aber sie ist sowieso zu schade für euch.“

Sein anzüglicher Blick und die ungeheure Behauptung, Sheila hätte sie verraten entlockte Sekura ein Fauchen.

„Du lügst!“ Sein Pferd wurde aufgrund der steigenden dämonischen Aura nervös.

Der Imperator tat überrascht.

„Wenn dem so ist, wieso ist der Wolf dann nicht in eurer Mitte?“

Periphae krächzte verunsichert und auch Sekura knickte ein wenig in seiner Selbstbeherrschung ein.

„Die Magierin hat ihn mir ausgeliefert, als Geschenk für ihren zukünftigen König.“

Der Panter spürte, wie die Angst an die Oberfläche schwappte wie eine Welle. Kasuke war nicht zurück gekehrt, wie sonst konnte also der Feind dies wissen, wenn er ihn nicht tatsächlich in seinen Händen hatte.

„Ihr behaltet die Magierin und ihr gebt uns den Clanführer der Wölfe zurück.“

Harus, Konomi und Periphae protestierten gleichzeitig, doch Sekura ließ sich nicht beirren. Starr hielt er dem Blick des Feindes stand, der sichtlich amüsiert war über die Uneinigkeit in den Reihen der Dämonen.

„Das würde ich ja gerne, aber ich denke nicht, dass dies noch möglich ist.“

Er hob die Hand und ein Schatten löste sich aus der brodelnden Masse des Bösen und jagte über die Weiten auf ihre Gruppe zu.

Sekuras Augen weiten sich und er schluckte schwer.

„Das kann doch nicht sein.“, flüsterte Harus, doch Sekura hatte längst erkannt, dass es sein Freund war, der nun an die Seite des Imperators trottete.

Kasukes Augen waren leer und seelenlos und es sah so aus als schaue er durch seine Freunde hindurch. Sein Fell war struppig und matt und es schien, als wäre Kasuke nur körperlich anwesend.

„Euer Clanführer gehört nun in meine Reihen.“ Sein Lächeln verschwand von einem auf den anderen Schlag vollständig. „Ergebt euch mir oder es wird euer Tod sein.“

Dies waren die letzten Worte und sie waren entlassen. Der Imperator wendete sein Pferd und gallopierte zurück zu seiner Armee.

Sekura schloss kurz die Augen, damit er nicht mit ansehen musste, wie Kasuke ihm folgte. Dann wandte er sich an seine Freunde.

„Wir werden kämpfen!“

Periphae kreischte unsicher.

„Wir haben aber doch keine Chance. Er hat Kasuke und Sheila auf seiner Seite. Die Armee wird die Kraft nicht mehr haben.“

„Konomi ist dir etwas aufgefallen?“

Der Kopf des Einhorns ruckte hoch und auch Harus sah den Panter fragend an.

„Nicht nur, dass er am Anfang ziemlich unsicher schien und uns eine Show geliefert hat, sondern er hat uns nur einen Grund geliefert, um an unseren Absichten zu zweifeln.“

„Ich sehe zwei Gründe, um uns zu ergeben“, gab der Hirsch von sich, doch Konomi musterte den Panter einen Augenblick.

„Du glaubst, dass er in Bezug auf Sheila gelogen hat.“

Sekura nickte und sah über die Ebene.

„ Er hat uns nur Kasuke präsentiert, wobei Sheila sein größeres Steckenpferd ist. Den Menschen ist es nicht wichtig ob einer von uns in die Hände des Feindes geraten ist, bei Sheila ist es was anderes. Wir haben bereits einmal an Sheila gezweifelt, lasst uns nicht noch einmal denselben Fehler machen.“
 

Sheila versuchte in diesem Augenblick Verbindung mit Lumidor aufzunehmen. Sie hatte das Schwert im Lager des Feindes lassen müssen und sie brauchte es. Wenn Lumidor wirklich ein magisches Schwert war, das ihr gehörte, dann musste sie doch irgendwie an es gelangen können. Synthra ging plötzlich in den Sinkflug und landete zwischen einer Gruppe von Felsen.

Irritiert rutschte Sheila vom Nacken des Tieres.

„Warum sind wir hier gelandet?“

Weil Ihr Waffen brauchen werdet und Lumidor unerreichbar ist, solange es in den Händen des Feindes ist.

Sheila sah sich um. Sie standen auf einem Plateau, das dem glich, auf dem sie den Drachen das erste Mal begegnet war. Doch in der Mitte stand ein Felsen, der gespalten war. Von der Form und der Farbe her, sah er aus wie ein Ei.

Unwillkürlich ging Sheila auf diesen Stein zu. Irgendetwas zog sie dorthin, schien sie zu rufen und als sie den sonst leblosen, harten Granit berührte, fühlte er sich sogar warm an.

Ihr spürt es, nicht wahr?

„Was ist das?“ Sheila konnte nicht den Blick von dem Felsen nehmen, während sie sprach.

Als die Phönixe verschwanden fuhr ein grässlicher Sturm über die Welt und ein Blitz fuhr in diesen Stein. Als wäre alles was noch übrig war in diesem Felsen verewigt.

„Glaubst du, dass ich die Phönixe spüre?“ Der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Vielleicht nicht die Phönixe selbst, aber einen Teil von ihnen.

Der unbändige Wunsch, dieses Volk gekannt zu haben, entstand in Sheilas Brust und sie spürte erneut Zweifel in sich aufkommen. Sie war ein kleiner Mensch, der gegen einen wahnsinnigen, mächtigen Mann antreten sollte.

Verliert nicht den Mut.

Synthra kam nun auch näher und deutete auf den gespaltenen Felsen.

Geht hindurch und sollten die Phönixe uns wohlgesinnt sein, werden sie uns ihre Hilfe nicht entsagen.

Sheila war verwirrt.

„Ich dachte, es gäbe keine Phönixe mehr.“

So mächtige und alte Dämonen verschwinden nie ganz. Würde man die Drachen ebenfalls ausrotten, so gäbe es immer noch etwas von uns auf dieser Welt. Und wenn es nur ein Teil unserer Magie wäre.

Sheila schüttelte den Kopf, wie um die Gedanken in ihrem Kopf wieder in Reih und Glied zu bekommen. Die Gesetze und Regeln dieser Welt waren ihr noch immer nicht vertraut und doch machten die Worte des Drachen Sinn. Sie spürte etwas in dem Granit unter ihrer Handfläche und auch wenn die Phönixe nicht körperlich da waren, so war ein Teil von ihnen hier.

Nur widerwillig löste Sheila sich von dem Felsen und schritt durch den Spalt. Als sie hindurch war schüttelte sie sich. Es hatte sich angefühlt, als ob sie durch eine Wand warmen Wassers ginge, doch sie war trocken und auf einmal fühlte sich alles um sie herum kalt an. Synthra beobachtete sie interessiert.

Sheila wollte gerade fragen, was nun passieren sollte, als sie ein kleines Licht, wie ein Glühwürmchen aus dem tiefsten Punkt des Spalts, glimmen sah, das sich sekündlich vergrößerte. Es war wie eine kleine Sonne, die pulsierte und wuchs.

Dann materialisierte sich etwas in dem Licht, was weder der Drache noch sie selbst wirklich erkennen konnten. Erst als das Licht so groß war, dass sie hätte hindurch gehen können, implodierte es und es vielen Gegenstände auf den Boden.

Geblendet brauchte Sheila erst ein wenig, bis sie erkennen konnte, was die Phönixe ihr geschenkt hatten.

Genau zwischen den Felsen lag ein Bogen, ein Köcher mit Pfeilen, ein Kurzschwert und ein kleines Stück Holz. Der Bogen wie auch das Schwert waren leicht und sobald Sheila sie in den Händen hielt, spürte sie wie eine Kraft ihr Selbstvertrauen und Geschick im Umgang mit den Waffen sandte. Das dritte Geschenk dagegen ähnelte der Pfeife, die Sheila einmal von Periphae geschenkt bekommen hatte. Was sie jedoch damit rufen sollte wusste sie nicht.

Sie widerstand der Versuchung es auszuprobieren.

Als sie sich an den Drachen wandte, bemerkte sie einen merkwürdigen Glanz in Synthras Augen.

„Stimmt etwas nicht?“

Hätte ich nur noch einen Zweifel gehabt, dass ihr diejenige seid, die uns retten wird, so hat sich dies in diesem Augenblick widerlegt.

Sheila lächelte säuerlich.

„Gut zu wissen.“

Sie krabbelte wieder auf den gesenkten Nacken des Drachen.

„Und nun müssen wir uns beeilen.“
 

Der Beginn der Schlacht kam über die Ebene wie ein Sturm aus Feuer. Es wurde still, nur der Wind pfiff und wirbelte Staub auf.

Dann begann der erste Angriff und er war so unbemerkt gekommen, dass er die Armee der Menschen und Dämonen unvorbereitet traf. Die Feinde hatten eine Stoßwelle der Angst gesandt, vermittelt durch die Nachtmahre, die sich aufgrund des Tages in den Bergen aufhielten.

Sofort legte sich die Panik auf die Gemüter der Verbündeten, krallte sich in deren Brust fest und beschwerte das Atmen. Schweiß stand den Menschen auf der Stirn und den Dämonen stand der Wahnsinn in den Augen.

Im nächsten Moment ging ein Ruck durch die Feinde und mit ohrenbetäubenden, markerschütternden Gebrüll, rasten sie über die Ebene.

Sekura brauchte alle Kraft um sich wieder auf die Schlacht zu konzentrieren. Die Panik, die ihn ergriffen hatte, lähmte seinen Verstand und es war nicht leicht, sich davon zu befreien.

Doch als er spürte wie die Erde bebte, kam auch er selbst zurück.

„Formiert euch!“, brüllte er und seine Stimme holte auch den letzten zurück in die Gegenwart. Während die Ungetüme und Monster unaufhaltsam auf sie zu kamen, blieben die Verbündeten ruhig und sahen furchtlos in die schwarze Masse.

„Legt die Bogen an! Senkt die Speere.“

Die Bogenschützen, fast alles Menschen, zielten gen Himmel, während alle Soldaten ihre Speere ausrichteten.

„LOS!“

In dem Moment, in dem das Heer sich in Bewegung setzte, um die Feinde mit den tödlichen Holzlanzen zu bremsen, schoßen die Menschen die Pfeile ab, die vorher von Konomi mit enormer magischer Kraft ausgestattet worden waren.

Die erste Welle der Feinde wurde mit den Pfeilen nieder gestreckt, dann prallten sie mit einer solchen Wucht auf die Speerträger, dass es laut krachte.

Dann gab es nur noch Chaos.

Dämonen kämpften mit Schwertern oder in ihrer tierischen Gestalt mit den Ausgeburten der Hölle. Gigantische Trolle versuchten alles unter sich zu zermalmen, ob Freund oder Feind und hinterlistige, giftige Wesen lähmten, was sie in die Finger bekamen.

In den Reihen der Verbündeten galt es, die Menschen so weit zu schützen, wie es möglich war. So kämpften Mensch und Dämon meist Seite an Seite und deckten sich, wo sie nur konnten. Doch Verluste gab es auf allen Seiten.

Mit einer ungeheuren Geschwindigkeit wechselte Sekura immer wieder die Gestalt. Das kostete immens Kraft, doch so war er für seine Gegner fast unbesiegbar. In dem Durcheinander konnte er sich kaum einen Überblick über die Lage verschaffen. Er hatte mit einem jungen Burschen zusammen gekämpft, doch er war ihm vor einer Zeit abhanden gekommen und Sekura befürchtete, dass er es nicht geschafft hatte.

Während er dem Hieb einer Axt auswich, die von einer gekrümmten, hässlichen Gestalt geschwungen wurde, schaute er sich um. Die Reihen der Verbündeten lichteten sich zunehmend, während der Feind kaum Schaden zu erleiden schien.

In seiner Nähe entdeckte er Harus, der in seiner Menschengestalt das Schwert schwang und irgendwie unwirklich wirkte, in seinem grünem Gewand.

Mit einem Schlag setzte er seinem Gegner ein Ende und kämpfte sich dann zu dem Hirschdämon durch.

„Unsere Verluste sind zu groß!“

Harus wandte nicht einen Augenblick seine Augen von seinem Feind ab, so hoch konzentriert war er, doch er hatte den Panter verstanden.

„Wir müssen uns soweit zurück ziehen, dass wir unsere Überraschung einsetzen können.“

Sekura nickte und töte im selben Moment einen Schlangendämon, der ihn hatte beißen wollen.

„Rückzug!“, brüllte er und die Verbündeten wusste sofort, was ihre Aufgabe war. So gut es ging versuchten sie in einer Reihe Abstand zwischen sich und dem Feind zu bringen. Die größeren und stärkeren Dämonen waren an die Front gezogen um die Feinde mit ihren mächtigen Schwertern auf Abstand zu halten.

Sekura schaute über die Massen hinweg und als er meinte, die Grenze erreicht zu haben schrie er: „JETZT!“

Auf einmal rumorte der Boden und die Soldaten des feindlichen Heeres schienen verwirrt. Einige hörten ganz auf zu kämpfen und schauten verdutzt zu Boden.

Dann brach der Boden auf und winzige Maulwurfdämonen zogen ihre Opfer hinab ins Erdreich und gaben ihnen dort den Rest. Ein entsetzliches Summen ertönte, als nun auch Insektendämonen aus der Erde hervorkamen und über ihre Feinde herfielen.

Diesen Augenblick nutzten die Verbündeten um zurück zu schlagen und nun hatten Menschen und Dämonen den Vorteil auf ihrer Seite.

Sekura suchte den Imperator, um zu sehen wie er auf den herben Rückschlag reagierte. Er fand ihn weitab vom Schlachtfeld, entspannt und desinteressiert. Neben ihm stand Kasuke und beobachtete das Geschehen.

Sekura spürte einen so unbändigen Zorn in sich aufsteigen, dass er gleich drei Gegner auf einmal nieder streckte. Wie konnte dieses Monster nur so überheblich sein? Es schein ihn gar nicht zu interessieren, was aus seinen Soldaten wurde. Und warum schickte er Kasuke nicht in den Kampf?

Plötzlich bebte erneut die Erde und Sekura hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Einer seiner Gegner stürzte gegen ihn und warf ihn zu Boden, doch er konnte sich rechtzeitig abrollen und den Feind unschädlich machen.

Irritiert sah er sich um. Hatten die Maulwürfe mehrere Fallen gegraben? Das war zumindest nicht abgesprochen gewesen.

Doch dann tat sich die Erde auf und trennte Teile der Armeen vollständig. Erschrocken sah Sekura zu, wie sich ein tiefer Spalt zwischen ihm und einem großen Teil seiner Verbündeten auftat. Auch die andere Armee wurde getrennt, sodass nun vier Parteien kämpften.

Durch den Staub und den Rauch konnte Sekura Mika erkennen, die in ihrer Wolfgestalt auf der anderen Seite stand und genauso zu ihm herüber starrte.

Doch lange blieben sie nicht in diesen Zustand, denn im nächsten Augenblick schossen riesige Feuertentakeln aus der Erde und schlugen nach den Menschen und Dämonen. Sekura schaffte es, noch auszuweichen, aber einige, die neben ihm gestanden hatten, standen sofort in Flammen. Ihre grausamen Schmerzensschreie hallten über das Feld und fanden ein Echo in den panischen Stimmen ihrer Freunde.

Damit hatte Sekura nicht gerechnet. Was auch immer sie angriff war eine Macht, die älter als sie alle war.

„Weg von dem Feuer!“, brüllte er und unter Mühe bewegten sie sich fort, doch es hatte keinen Sinn. Die Tentakeln schienen unendlich lang zu sein und mit jedem trägen Streich, starben viele der Soldaten.

Plötzlich streifte ein Feuerarm Sekuras Rücken und unter höllischen Schmerzen sackte er in sich zusammen. Er brannte nicht, doch seine Haut war weg geätzt und seine Sinne drohten ihm zu schwinden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass ein Troll auf ihn zu stapfte um ihm zu zertrampeln. Er versuchte sich zu verwandeln, da er als Panter wesentlich schneller war und die Wunden vielleicht erträglicher wurden, doch er schaffte es nicht. Das Feuer schien ihm alle seine Kräfte zu rauben.

Der Troll schwang seine Keule und ließ sie niedersausen.

Doch sie fand nicht ihr Ziel.

Als Sekura aufblickte lag der Troll neben ihm und ein Pfeil stak aus seinem Rücken. Dann vernahm er Flügelrauschen, das so enorm war, dass selbst die Feinde in die Lüfte schauten.

„Das ist doch nicht möglich.“, flüsterte er.

Die Sonne verdunkelte sich, als ein großer Schatten über den Himmel zog. Dann folgten ihm noch weitere.

„Die Drachen sind gekommen.“, schallte es durch die Reihen der Menschen und Dämonen. Tatsächlich folgten dem blauen Drachen, den Sekura bereits einmal gesehen hatte fast 100 Drachen. Auch der große Rote war bei ihnen.

Was auch immer diese Wesen umgestimmt hatte, es hätte keinen besseren Zeitpunkt geben können. Denn wenn die Drachen eins beherrschten, dann war es das Feuer.

Sofort traten einige den Kampf gegen das Monster aus den Untiefen an, während andere die feindliche Armee von oben bekämpfte.

Sekura spürte, dass es ihm leichter ums Herz wurde, doch sein Rücken heilte dadurch nicht. Er konnte sich kaum bewegen, so war aufstehen unmöglich. Langsam ließ er sich zu Boden sinken. Müdigkeit überkam ihn.

Nun waren die Drachen doch gekommen und die Erleichterung sagte ihm, dass er nicht mehr kämpfen brauchte. Einfach nur hinlegen und ausruhen.

Ein Knurren ließ ihn ein letztes Mal die Augen öffnen. Über ihm stand Kasuke und fletschte bedrohlich die Zähne.

Die Prüfung

Sekura stöhnte unter der Last des Wolfes auf seiner Brust. Sein Rücken sandte unsagbare Schmerzen durch seinen Körper.

„Kasuke!“, stieß er hervor. „Bitte komm zu dir!“

Doch der Wolf hörte ihn nicht. Geifer tropfte von seinen Reißzähnen und das tiefe Grollen nahm stetig zu. Seine Absicht war eindeutig, seinen ehemaligen Freund und Kameraden zu töten und Sekura wusste, dass er es nicht verhindern konnte. Eine Traurigkeit erfasste ihn, die ihm die Kehle zuschnürte. Er trauerte nicht um sein Leben, welches er verlieren würde. Das hier und jetzt sein Ende finden würde. Nein, es brach ihm das Herz, das es Kasuke war, der ihn töten würde.

Sie hatten so viele Jahre, Jahrzehnte Seite an Seite gekämpft und hier würde das alle ein Ende finden. Kasuke fletschte die Zähne, dann biss er zu.

Er verbiss sich in Sekuras Kehle und der Schmerz, der den Panter durchzuckte, ließ seine Sinne schwinden. Er hörte einen Schrei, doch er wusste nicht ob er von ihm oder Kasuke kam. Der Wolf schüttelte ihn, was Sekura nur am Ruck seines Körpers und an dem reißenden, ohrenbetäubenden Geräusch erkannte. Der Wolf hatte ihm die Kehle aufgerissen.

Ein Jaulen kam auf und plötzlich war die Last von seiner Brust genommen.

Durch seinen verschleierten Blick erkannte er Kasuke einige Meter von ihm entfernt, aus seiner Flanke stak ein Pfeil und über ihm selbst stand eine menschliche Gestalt. Ihre Aura war ihm bekannt, doch er konnte sie nicht erkennen.
 

Als Sheila und Synthra die Ebene erreichten, weitete sich vor ihnen ein Bild des Schreckens aus. Ein Stakkato aus klirrenden Waffen, Kampf- und Schmerzensschreie vermischte sich mit dem Brüllen tosender Flammen. Mit Erschrecken erkannte Sheila, dass ihre Armee stark zurückgeschlagen wurde und nicht nur Dämonen kämpften. Auch Menschen versuchten gegen die Macht des Feindes anzukommen.

Herrin, sie schaffen es nicht! Dieses Feuer ist eine uralte, böse Kraft, die die alten Völker nur mit Mühe hatten bannen können.

Sheila spürte die Tränen, die ihre Wange benetzten, doch sie brachte keinen Ton heraus. Das Grauen, welches sich vor ihr ausbreitete war so unfassbar. Ich bin doch nur ein Mensch!, sagte sie sich. Das kann ich nicht schaffen!

Sythra wandte ihren Blick von der Schlacht ab und sah sich nach Sheila um.

Ihr seid der einzige Mensch, der dieser Schlacht eine Wendung geben kann!

Sheila sah auf die Ebene hinab. Einige hundert Meter unter ihr saß der Imperator auf seinem Pferd und beobachtete gelassen, wie sich die beiden Armeen gegenseitig abschlachteten. Die grauenhaften Flammenarme töteten sogar sein eigenes Volk, doch das schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren.

Ein unbändiger Hass stieg in ihr auf. Eine reinigende, stärkende Wut, die alles andere in ihr verzehrte.

„Synthra!“

Sheila und der blaue Drache schraken zusammen, dann erzitterte die Erden unter ihn und ein Luftzug fegte Sheila fast von Synthras Rücken. Neben ihr war der rote Drache gelandet.

Er musterte die beiden einen Augenblick, dann sah er ebenfalls auf die Kämpfenden hinab.

Es sieht nicht sehr gut für euch aus, Herrin!

Sheila schnaubte. Das sah sie selber. Sie legte die Waffen an, die der Stein ihr geschenkt hatte und sprang von dem Rücken des Drachen, würde sie sich halt alleine an den Abstieg machen. Verwundert beobachtete der Rote sie, dann sah er seine Gefährtin an.

Die Waffen….

Synthra nickte nur.

Herrin!

Sheila sah sich nach dem Drachen um.

Ihr werdet nicht alleine kämpfen.

Flügelrauschen ertönte und irritiert versuchte sie den Ursprung auszumachen.

Kommt!

Und plötzlich tauchten weitere Drachen aus dem Gebirge auf, mehr als sie in der Höhle gesehen hatte. Ihr Herz machte einen Satz und sie sprang zurück auf Synthras Nacken.

„Könnt ihr was gegen die Flammen tun?“, rief sie, gegen den Geräuschpegel ankämpfend.

Wir können die Flammen zurücktreiben, sodass sie niemanden mehr verletzten.

„Stellt so viele ab, dass die Flammen die Armeen unbehelligt lassen. Der Rest muss aus der Luft unterstützen.“

Sheila gingen diese Befehle so einfach über Lippen, als wären sie nicht an diese riesigen Geschöpfe gerichtet. Der Rote brüllte, dann setzte sich der Schwarm in Bewegung.

Synthra stieß sich ab und sauste die Felsen hinab. Sheila war, als müsse ihr Gesicht erfrieren, doch gleichzeitig erfasste sie ihre Macht und pulsierte stark unter ihrer Haut.

Kurz sah sie die Fratze des Imperators vor sich, verzerrt durch Schrecken und Zorn, dann spürte sie Hitze der Flammen. Die Drachen spien Feuer, welches auf die Flammenarme traf. Feuer frass Feuer und es sah aus, als ob die Drachen zumindest vorerst die Oberhand hätten.

Beide Armeen sahen ihnen entgegen, die einen hoffnungsvoll, die anderen mit Schrecken. Nun erfüllte das Brüllen der Drachen den Himmel und die Feinde versuchten zu fliehen, was die aufgerissene Erde verhinderte. Dies war die Möglichkeit der Verbündeten, zurückzuschlagen. Unversehens wendete sich das Kriegsglück zu Gunsten der Verbündeten.

Sheila hatte jedoch nicht viel Zeit, sich darüber zu freuen. Verzweifelt suchte sie ihre Freunde, doch in den Massen, die in dem Rauch eingehüllt waren, konnte sie kaum etwas erkennen. Der Schrei eines Vogels ertönte und plötzlich flog Piper mit ihr auf einer Höhe.

„Sheila, du lebst!!“, schrie sie und Sheila meinte eine Träne im Wind verschwinden zu sehen.

„Piper, bin ich froh dich zu sehen! Du musst sofort verkünden, dass du mich gesehen hast.“

Der Fogal verstand und mit einem weiteren Schrei stürzte sie zurück in die Schlacht. Synthra flog Kreise, während Sheila versuchte, das Getümmel zu überblicken.

„Synthra, ich muss darunter und kämpfen.“, brüllte sie, doch der blaue Drache blieb weiterhin über den Kämpfenden.

Ich kann Euch nicht darunter bringen.

Zum ersten Mal wirkte dieses mächtige Wesen unsicher.

„Das ist meine Aufgabe, das weißt du!“ Sheila sprach jetzt leise, denn sie wusste, dass der Drache sie verstand. „Ich bin deshalb hier! Das war mein Ziel!“

Synthra schüttelte sich, doch dann setzte sie zum Sinkflug an. Erleichtert sah Sheila dem Boden entgegen.

Dann sah sie es im Augenwinkel. Der Schreck fuhr ihr mit einer solchen Kraft durch die Glieder, dass sie kurz das Gleichgewicht verlor. Synthras Reaktion war schnell genug, dies auszugleichen, doch sie verlor den Kurs und flog übers Feld hinaus.

„Dreh sofort um! Wir müssen zurück!“

Panik schwang in Sheilas Stimme mit. Sofort wendete der Drachen. Sheila erhob sich und Synthra hörte, wie sie den Bogen spannte.

„Flieg so tief wie möglich, sodass ich abspringen kann und behalte deinen Kurs so bei.“

Der Drache stellte keine Fragen mehr. Konzentriert sank sie zunehmend in Richtung Schlacht, sodass ihre Krallen den einen oder anderen Feind zu Boden riss.

Sheila fixierte ihr Ziel. Bitte lass den Pfeil das richtige Ziel treffen! Dann ließ sie los!

Als der Pfeil den Wolf in der Flanke traf, war es Sheila als müsse ihr Herz in tausend Stücke zerreissen. Sie sprang fast augenblicklich danach zu Boden und kam über dem Opfer des Wolfes zum Stehen. Der Drache flog davon, um mit ihren Brüder und Schwestern zu kämpfen.
 

„Sekura!“

Der Panter öffnete sichtlich bemüht die Augen. Diese Stimme…

„Sekura bitte sieh mich an!“

„Sheila?“, flüsterte er. „Ich wusste, dass du nicht an seiner Seite sein konntest!“

Sekura sah furchtbar aus. Seine Wunden waren tief und lebensgefährlich. Sheila verspürte einen unsagbaren Schmerz.

„Bitte schweig. Erst helfe ich dir und dann bring ich dich hier weg.“

Sie riss sich die Jacke von den Schultern und riss das Leinen in Streifen. Einen Teil hielt sie als Kompresse an Sekuras Hals, den Rest nahm sie als Verbandsmaterial.

„Kannst du dich verwandeln?“, stieß sie hervor. Sie beide wussten, dass er seine Verletzungen als Mensch nicht überleben würde.

„Ich habe die Kraft nicht, Sheila!“

Sofort traten ihr die Tränen in die Augen.

„Seit wann gibst du auf, du Idiot?! Du bist der Stärkere von uns beiden. Also bemüh dich, verdammt noch mal!“

Sekura lächelte sie mit einer solchen Wärme an, dass ihr es die Kehle zuschnürte.

„Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich immer bewundert habe. Du bist das Beste, was mir passieren konnte.“

„Verabschiedest du dich etwa? Vergiss das mal ganz schnell.“ Sieh sah sich nach einem Gegenstand um, den sie für die Kompresse nutzen konnte. Direkt in ihrer Nähe lag ein kleiner Dolch, den sie sofort mit einband.

In dem Moment vernahm sie ein tiefes Grollen hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum, dann jedoch wich ihr alles Blut aus dem Gesicht.

„Kasuke?“ Ihre Erleichterung darüber, dass er lebte wurde getrübt durch das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

„Sheila! Er ist nicht er selbst!“

Sie sah auf ihren Freund herab und seine stark blutenden Wunden. Ein Teil waren Brandverletzungen, doch der Rest…

„Sag mit nicht, dass er das war.“

Sekuras schmerzumwölkten Augen schlossen sich.

Sheila stand auf und zückte ihr Schwert. Mit zitternden Knien sah sie in die blicklosen Augen des Wolfes. Mit fletschenden Zähnen kauerte er sich einige Meter vor ihr zu Boden, bereit sie anzugreifen. Seine rechte Hinterpfote konnte er aufgrund des Pfeils nicht belasten. Ihres Pfeils. Sie hatte Kasuke angeschossen. Sheila war kurz davor die Besinnung zu verlieren, doch die Macht, die in ihr immer mehr zum Vorschein kam, holte sie zurück in die Gegenwart.

„Wenn du mich angreifst, Kasuke, wird dieses Schwert dich töten!“, sagte sie so beherrscht wie möglich. „Ich weiß nicht, was der Feind mit dir gemacht hat, aber ich weiß, dass du das hier nicht willst.“ Das Knurren des Wolfes nahm zu, genauso wie Sheilas Angst, den Wolf wirklich töten zu müssen. Der Wolf setzte sich in Bewegung und versuchte Sheila zurückzudrängen. Er schien zu versuchen, sie von Sekura zu entfernen, doch Sheila blieb standhaft.

„Wer bin ich, Kasuke, du kennst mich! Hast du etwa alles vergessen, was uns verbindet?“ Der Wolf spitzte die Ohren, doch seine bedrohliche Haltung veränderte sich nicht. „Wie konnte dich ein so dummer Zauberer dazu bringen, alles zu vergessen?“

Erneut knurrte der Wolf. Sie schein ihn zu erzürnen, aber das hieß zumindest, dass er sie verstand.

„Du hast keinen Grund sauer zu sein, weißt du?“ Wieder rannen ihr Tränen über die Wangen. „Wärst du nicht so dermaßen stolz gewesen, wäre ich nie davon gelaufen und du nicht in die Hände des Feindes gefallen.“

Sie sah den Angriff zu spät kommen, doch instinktiv drehte sie sich zur Seite. In dem Moment, in dem er ihren Arm erwischte, schlug Sheila ihm das Schwert in die linke Schulter. Der Schlag war so heftig, dass der Wolf sofort wieder ihren Arm losließ, ihr dabei aber eine tiefe Wunde zufügte. Kasuke schlug hart neben Sekura auf und blieb dort liegen.

Sofort eilte sie zu ihm und suchte in dem dicken Fell nach seinem Puls. Seine Schulter war schwer malträtiert und er selber nicht bei Besinnung. Erst nach einiger Zeit fand sie seinen Herzschlag, der schwach aber regelmäßig ging. Erst jetzt knickte sie ein. Warm lief das Blut über ihren Arm, doch der Schmerz, war dumpf und rückte in den Hintergrund.

Sie sah sich nach Sekura um. Erleichtert bemerkte sie, dass er die Augen geöffnet hatte. Er starrte sie an.

„Ich ruf jetzt einen Drachen, der euch beide hier weg bringt.“

Nur mit Mühe rappelte sie sich auf, schloss die Augen und rief in ihren Gedanken nach Hilfe. Im selben Augenblick landete der Rote neben ihr. Mit einem Blick hatte er die Situation erfasst, doch er überließ Sheila die Entscheidung.

„Bitte flieg sie in Sicherheit.“
 

Sie wandte sich an Sekura. Plötzlich vernahm sie ein schreckliches Brüllen. Erschrocken wich sie zurück und stürzte über Kasukes Körper. Der Drache wand sich unter scheinbar grauenhaften Schmerzen, krümmte sich und fiel in sich zusammen. Mit weit aufgerissen Augen sah sie über dem Roten hinweg den Imperator auf sich zu kommen.

Er lächelte höhnisch und stieg über den Drachen, als wäre er nicht viel mehr als ein lästiger Felsen.

„Sieh an. Ich dachte du wärst tot. Bedauerlich, dass du es irgendwie doch geschafft hast.“ Er sah über die Ebene und Sheila tat es ihm gleich. Die Reihen der Feinde lichteten sich zunehmend und das Feuer aus den Tiefen war gebannt. Der Sieg des Guten war zum Greifen nah.

„Vielleicht ist dies euer Sieg, aber nicht deiner!“

Langsam näherte er sich ihr, der Hohn wich der Grausamkeit.

„All deine Freunde sind entweder verwundet, tot oder kämpfen und werden somit nicht bemerken, wenn ich dich und deine dummen Schoßtiere töte.“ Er lachte hart. „Und ich werde es genießen.“

Sheila rutschte zu Kasuke und Sekura. Der eine war bewusstlos, der andere konnte sich nicht bewegen, bekam jedoch alles mit. Sie nahm Sekuras Hand und legte die andere auf Kasukes Fell.

„Ich lass euch nicht sterben!“, flüsterte sie. Sekura zwinkerte und sie sah die Wut und den Hass in seinen Augen. Es musste ihn wahnsinnig machen, bewegungsunfähig zu sein.

„Was auch immer du versuchst, du hast keine Chance.“ Er schmunzelte. „Dass du das noch immer nicht verstanden hast?!“

„Es gibt Dinge, die Ihr nie verstehen werdet.“, fauchte Sheila. „Ihr seid nur ein widerlicher, bedauernswerter Mensch, der mit der Macht dieser Welt spielt, aber sie nicht begreift!“

„Was denn? Ich bin der mächtigste Mann auf dieser Welt. Ich denke….“ Er lächelte wieder sein grausames Lächeln. „Ich denke, dass du die einzige bist, die mir gefährlich werden könnte. Du bist bedauerlicherweise die einzige, die weiß was ich bin und deshalb…“ Er hob seine rechte Hand, seine Handfläche war leer. „…wirst du leider sterben müssen.“

Plötzlich spürte Sheila, wie die Geräuschkulisse um sie herum verstummte. Stattdessen lud sich die Welt um sie herum auf, es knisterte und zischte und Sheila überkam eine solche tiefgründige Angst, dass sie wusste, dies waren nicht ihre Empfindungen.

Sie verspürte einen Druck an der Hand. Sekura sah sie an, sein Blick war klar und stark.

Er vertraute ihr. Sie sah auf Kasuke hinunter. Sein Atem ging regelmäßig, jedoch blutete er sehr stark. Wahrscheinlich hatte ihr Feind dafür gesorgt, dass er sich nie wieder würde erinnern können, aber er war immer noch ihre Liebe und ihr Leben.

Ihr Leben….! Wann hatte sie angefangen, diese Welt zu der ihren zu machen? Wann hatte sie ihre Vergangenheit zu vergessen?

Was sie jedoch noch mehr wunderte war, dass sie nichts vermisste.

Sie schlug die Augen auf und sah dem Imperator direkt in die Augen. Um ihn herum knisterte es gefährlich und die Atmosphäre veränderte sich zunehmend.

Er würde diesen Moment dafür nutzen, sie für immer los zu werden. Sheila schloss die Augen und horchte in sich hinein. Sie beschwor Celine, doch sie fand nur ein durch und durch rotes Feuer, was sich in ihrer Mitte zu manifestieren schien und wuchs. Diese Wärme die davon ausging, kam ihr bekannt und doch so neu vor, trotzdem verlieh es ihr Zuversicht.

Die Flamme wurde größer und strömte durch ihr Adern, in ihre Fingerspitzen und Zehen und schien sie ganz auszufüllen.

Als sich die bösartige Macht des Feindes über sie entlud, bebte die Erde.
 

Der Schlacht war zu Ende. Feind und Verbündete starrten entsetzt auf die Szene, die sich ihnen bot. Das Mädchen, von der alle als die Prophezeite und Magierin sprachen, kniete vor zwei Dämonen, schien sie schützen zu wollen und war dem Imperator und seiner Macht ausgeliefert.

Konomi’s und Haru’s Grauen spiegelte sich auf ihren Gesichtern wider. Die Magie des Imperators war dermaßen böse, dass selbst seine Sklaven vor Angst erzitterten. Alles schien den Atem anzuhalten. Die Drachen hatten sich auf das Gebirge zurück gezogen, verängstigt, da einer der ihren niedergestreckt worden war.

Der Blick des Einhorns fiel auf Sheila. Sein kleines Mädchen. Er wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als sein Leben für sie geben zu können, doch er wusste zur selben Zeit, dass es zu spät kam. Dann bebte die Erde und die Hölle kam auf Sheila nieder.
 

Sheila schloss die Augen und legte ihre Hände auf ihre Freunde. Die Wärme in ihr schien aus ihr hinaus, auf Kasuke und Sekura über zu strömen und Sheila betete. Sie betete nicht zu Gott. Der schien ihr hier fehl am Platz zu sein. Nein, sie betete zu dem Guten dieser Welt. Sie hatte dem Imperator gesagt, dass er die Macht von Kemono nicht begriff und auch sie nahm sich davon nicht aus. Sie war ebenso fremd wie er. Aber sie respektierte diese Welt und seine Geschöpfe und so flehte sie die Mächte an, ihr bei zu stehen. Sie spürte Druck über sie hinwegfegen und kleine Steine prasselten auf sie hernieder, trafen ihre bloße Haut, wie kleine schmerzhafte Stiche.

Doch der erwartete Schmerz blieb aus.

Als sich die Welt um sie herum wieder zu beruhigen schien, wagte Sheila sich zu erheben. Um sie herum lag ein dichter Schleier aus Rauch, Staub und Flammen. Was auch immer auf sie nieder gegangen war, es hatte einen Krater hinterlassen. Sie sah sich nach den beiden Dämonen um. Kasuke lag unverändert auf der Seite, Sekura starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sie ging zu ihm und strich ihm über die Wange.

„Es wird alles gut!“, woher sie diese Zuversicht hatte wusste sie nicht.

Als sie auf ihre Hand sah, schrak sie kurz zurück. Sie glühte in der gleichen Farbe, die sie in ihrem Innern gesehen hatte. Langsam stand sie auf und sah an sich hinab, alles an ihr leuchtete. Der Rauch legte sich und Sheila wandte sich zum Imperator um…und starrte in dessen wütende und gleichzeitig entsetzte Gesichtzüge.

Er stieß einen markerschütternden Schrei aus und griff sie an. Nicht mit dem Schwert, sondern mit Magie, die Hieben gleich auf sie einschlugen. Sheila reagierte instinktiv. Sie wehrte jeden seiner Streiche mit den Händen und Armen ab, zog das Schwert und parierte. Der rote Mantel schützte sie.

Die Miene des Feindes verzerrte sich zu einer unmenschlichen Fratze, während Sheila immer ruhiger wurde.
 

Für Außenstehende wirkte sie übernatürlich und auf eine gewisse Weise erschreckend. Nun erkannten die Streitkräfte des Grauens, das sie verloren hatten, sie wandten sich um und flohen. Verblüfft beobachteten die Verbündeten, dass sie nicht einmal abzuwarten schienen, wie dieses Duell ausgehen würde.

Weit kamen sie jedoch nicht, denn die Drachen warteten auf sie.

Fassungslos sahen Mensch und Dämon zu, wie die Feinde in einem Meer aus Flammen zu Grunde gingen. Nur eine einzige Gestalt war nicht geflohen. Mika erkannte den Windkanter, der verwundet zwischen all den Menschen stand und ebenfalls den Blick nicht von Sheila wenden konnte. Zu seinen Füßen lagen Schlangendämonen und sein Schwert steckte noch immer in einem Troll. Hatte er etwa für sie gekämpft?
 

Der Imperator versuchte Sheila zurückzudrängen. Vermutlich an die beiden Dämonen zu ihren Füßen zu kommen, doch Sheila erlaubte es sich nicht Boden zu verlieren. Verbissen parierte sie seine Attacken. Sie musste ihn unter Druck setzen, doch sie konnte mit ihrer neu gewonnen Magie nicht umgehen. Er würde sie töten.

Sie versuchte sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schwammen, waren nicht zu fassen. Wütend über sich selbst parierte sie einen Hieb mit voller Wucht und konnte ihm einen Schritt entgegen gehen. Dann plötzlich war sie in einer Parallelwelt.

Sie sah sich im Lager des Feindes, sah sich aus der Perspektive eines anderen, fühlte die Emotionen eines anderen. Eine starke Liebe und einen unsagbaren Schmerz. Die Person litt darunter, sie Sheila zurück zu lassen. Dies waren Kasukes Erinnerungen. Sheila hielt den Atem an.

Er wandte sich ab, ging in die Dunkelheit fort. Er fürchtete sich, doch nicht wegen dem Bösen, sondern aus Sorge um sie. Er schlich an mehreren Zelten vorbei, sah Dämonen am Feuer, wich Patrouillen aus. Fast hatte er das Lager verlassen, nur noch wenige Meter. Plötzlich rasten Grauen, Panik und Schmerz auf ihn ein. Sein Kopf fühlte sich an, als ob er bersten wolle. Er sah Sheila in tausend verschiedenen Arten sterben und es wollte ihn umbringen. Dann verlor er den Verstand.

Sheila wurde wieder in die Realität zurück katapultiert. Hass glomm in ihren Augen und sie sah, dass der Imperator ihr diese Bilder gesandt hatte. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass Kasuke in seinen Reihen gewesen war.

„Was hast du mit ihm gemacht?“, schrie sie. Die Macht in ihr pulsierte, schien auf einmal greifbar. Sie ging auf ihn zu, sprühte nur so vor Zorn. „Was hast du getan?“

Sie sah die Flammen im Rücken des Imperators, nur flüchtig, doch sie wusste, dass er verloren hatte.

„Die Nachtmare haben ihm seine Seele geraubt.“ Er lachte. „Er muss sehr gut geschmeckt haben, mit all seinen nutzlosen Emotionen.“

„Bastard!“, schrie Sheila und stürzte sich auf ihn. In dem Moment löste sich das rot Licht von ihrem Körper schlug auf den Imperator ein. Verblüfft verlor er das Gleichgewicht und stürzte hinten über. Als er versuchte sich aufzurappeln, stand Sheila über ihm. Diesmal ballte sich die Magie in ihren Händen. Entsetzt starrte er sie an, konnte scheinbar nicht begreifen, wie sich sein Blatt hatte wenden können.

„Sag mir, wie man das rückgängig machen kann und ich lasse dich am Leben.“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.

Stolz und Panik mischten sich in seinen Blick, der hastig hin und her huschte. Wahrscheinlich suchte er seine Armee, die nicht mehr da war, wie Sheila wusste. Dann sah er sie wieder an.

„Seine Seele ist verloren!“ Er lachte wie ein Wahnsinniger. „Nichts kann ihn retten.“

Die roten Flammen in Sheilas Hand glommen auf und der Imperator wich zurück. Plötzlich züngelten weiter Flammen an seiner Rüstung empor, schmolzen Stahl und Eisen. Er stieß einen Schrei aus.

„Hör sofort auf damit!“ Panisch versuchte er von ihr fort zu kommen, doch Sheila folgte ihm. Ihre Ruhe und Gelassenheit sorgten für eine Gänsehaut bei den Soldaten ihrer Armee.

„Du hast tausende Dämonen und Menschen ermordet.“, sie ging weiter, die Flammen züngelten seine Arme und Beine empor. Der Imperator schrie vor Schmerzen. „Familien und Geliebte ins Unglück gestürzt, Kindern ihre Eltern und Verwandte genommen!“ Die Haut des Feindes schlug Blasen, seine Stimme wurde immer schriller und schriller.

„Warum sollte dich nicht ein ebensolches Schicksal ereilen?“

Sheila war wie im Rausch. Ihre Seele wurde auf eine Probe gestellt. Das Böse in ihr, ihr Zorn und ihr Hass, sprachen aus ihr. Er hatte so Vielen Leid zugefügt, war es dann nicht recht, dass er dafür litt?
 

Mika sah voller Entsetzen, wie Sheila, ihre liebe Freundin, grausam ihren Gegner folterte. Panisch sah sich nach den anderen um, nicht weit von ihr saßen einige Fogal zusammen, die einen in Menschengestalt, die anderen als Dämonen. Sie erkannte Periphae, die ebenso erschrocken das Geschehen beobachtete. Sie sprang in die Gruppe und einige Fogal stoben auseinander.

„Periphae, sie verliert sich. Können wir nicht irgendetwas tun?“

Der Fogal sah sie an, als habe sie gar nicht bemerkt, dass sie überhaupt anwesend war. Dann schüttelte sie sich und sie schien wieder voll da zu sein.

„Die Macht, die sie benutzt ist gefährlich. Sie ist ebenso alt, wie des Imperators, doch viel mächtiger. Wenn sie nicht aufpasst, wird sie davon verschlungen. Sie kann ja scheinbar jetzt schon nicht mehr einen klaren Gedanken fassen.“

Mika sah hektisch zu Sheila hinüber.

„Woher soll sie das denn auch wissen. Das ist das erste Mal, dass sie wirklich Magie benutzt und mit Sicherheit nicht eine solche Kraft.“

„Sie muss sich besinnen, wer sie ist!“

„Wie können wir ihr helfen?“

Periphae sah dem Wolf an, dass sie bereit war, alles zu tun, damit Sheila nichts geschah.

„Ruf die anderen zusammen, wir greifen in das Geschehen ein.“

Periphae verwandelte sich und erhob sich in die Lüfte. Mit einem Schrei rief sie Piper zu sich. Mit einem Blick nach unten erkannte sie, dass der Wolfsclan, Harus und Konomi ebenfalls folgten.
 

Der Hass in Sheila stieg einer Flut gleich und mit ihm die Macht. Der Imperator wand sich nur noch, noch immer lebend, sich den Tod jedoch wünschend. Sheila genoss jeden Augenblick. Immer wieder fühlte sie Kasukes Verzweiflung und den Schmerz, das Gefühl den Verstand zu verlieren und somit zu vergessen, wer er wirklich war. Dann mischten sich Bilder ihrer Vergangenheit mit denen dieser Welt. Sie sah den Leiter des Heims. Seine Fratze, wie er sich genussvoll an ihr verging, die vielen bösen Worte und Schläge, die ihr Leben bis dahin begleitet hatten. Den Schmerz, den sie verspürt hatte, als ihre Mutter gestorben war, hatte nichts mehr mit der natürlichen Trauer zu tun. Plötzlich hasste sie auch ihre Mutter dafür, dass sie sie verlassen hatte.

Bald vermischte sich Fantasie mit der Realität und Sheila bildete sich ein, dass ihr ganzes Leben eine Lüge war. Niemand war für sie da gewesen, sie war immer ausgenutzt worden, in beiden Welten und hatte immer für sich alleine kämpfen müssen. Tränen liefen ihr über die Wangen, die aber bald verpufften.

Der Imperator litt grauenvolle Schmerzen. Er der so viele hatte leiden lassen. Einer, der aus ihrer Welt gekommen war, wie sie.

Plötzlich hörte sie ein Wispern an ihrem Ohr. Ihr Name, der immer wieder gesagt wurde.

Eine Hand legte sich auf ihren Arm. Wie in Trance nahm sie wahr, dass die Hand blutverschmiert war und ihr doch bekannt vorkam.

„Sheila, hör auf!“, die Stimmer war so sanft. Ein absolutes Gegenstück zu ihren Gefühlen. Einen kurzen Augenblick stutzte sie. Wieso fühlte sie Zuneigung, wenn sie diese Stimmer hörte? Sie hatte doch niemanden auf dieser Welt.

„Sheila, sieh mich an. Du musst das nicht tun.“

Sheila blinzelte verwirrt und sah dann in ein bekanntes Gesicht. Sein Hals war verbunden und er war bleich, neben ihn stand ein Mädchen, zierlich und doch stützte sie ihn.

Hinter den beiden sah sie ein Einhorn und einen Hirsch, zwei Adler und ein Rudel Wölfe.

All dies sagte ihr etwas, sie fühlte etwas vollkommen neues, was sich Bahn zu brechen drohte.

„Du bist nicht wie er, Sheila. Du gehörst hier her. Du bist ein Teil von uns.“

Sheila spürte, wie ein Beben durch ihren Körper ging. Ihre Macht ließ nach und die Schreie ihres Feindes verglommen zu einem Stöhnen. Wer war sie? Diese Wesen um sie herum wussten es, wieso hatte sie es vergessen?

Plötzlich nahmen die beiden sie in den Arm. Sheila roch den durchdringenden Geruch des Blutes, doch sie spürte nur die Wärme, die von den beiden auf sie überging.

Und dann schob sich ihre Welt wieder an ihren richtigen Platz. Alles machte wieder Sinn und Sheila fing an zu weinen. Dieses unglaubliche, grausame Gefühl wich aus ihrem Körper und ihr wurde übel. Bevor sie jedoch zusammensackte, fingen ihre Freunde sie auf.

Konomi kam und nahm sie in die Arme.

„Mein Kind, es ist alles gut. Du bist bei uns und wir lassen dich nicht mehr los!“

Plötzlich standen sie alle um sie herum und jeder rief ihren Namen oder sagte etwas zu ihr. Sie sah in das zerschrammt Gesicht von Haruto, dass sie so väterlich anlächelte und sie wusste, dass sie angekommen war. Dies war ihr zuhause und niemand würde ihr das je wieder weg nehmen.

Trotz dieser überströmenden Gefühle, vergaß sie nicht, dass sie den Imperator schwer verletzt hatte. Sie machte sich von Konomi los und stand auf. Erleichtert sah sie, dass der rote Drache wieder zu scih gekommen war und von seiner Gefährtin umsorgt wurde.

Der Imperator lag zusammengekrümmt auf dem Boden, an seinen krampfartigen Atemzügen erkannte sie, dass er noch lebte. Sie kniete sich neben ihn und bei ihren Anblick glomm Panik in seinen Augen auf.

„Fast wäre ich so geworden wie du!“, flüsterte sie. Er hatte keine Kraft mehr, ihr zu antworten.

Sie sah kurz zu ihren Freunden zurück, die sie abwartend musterten, dann wandte sie sich an ihren Feind und legte ihm eine Hand auf die verbrannte Schulter. Als er zusammenzuckte, tat es ihr unsagbar leid, dass sie ihn so verletzt hatte. Sie beugte sich zu ihm hinab, sodass nur er sie hören konnte.

„Ich sagte dir, dass du diese Macht nicht verstehst und ich nehme mich nicht davon aus. Aber wenn ich Recht behalte hat jede Münze zwei Seiten. Das was zerstören kann, kann auch Gutes vollbringen.“

Und sie behielt recht. Wieder glühte ihre Haut, doch es war nicht dieselbe Hitze, wie sie sie bereits gespürt hatte. Warm, wie ein Wasserfall aus Licht, ging das Feuer auf den Imperator über. Langsam floss es über seinen Körper hinweg und verwundert beobachteten die Umstehenden, wie sich seine Haut und Rüstung zurückbildeten, bis nichts mehr von den schlimmen Verbrennungen zu sehen war.

Die ganze Zeit über starrte der Imperator sie an, seine Gefühle waren ihm jedoch nicht anzusehen.

Als er vollständig regeneriert war, stand er langsam auf. Sheila ließ dies geschehen, denn sie wusste, er konnte nicht fliehen. Er war ein einziges Mal im Nachtteil.

„Ich muss mich vor dir verneigen.“, sagte er und keinerlei Spott lag in seiner Stimme. „Ich habe dich unterschätzt. Was wird nun mit mir geschehen?“

Er musterte die anderen, als erwarte er dort seinen Urteilsspruch, doch keiner sagte etwas. Sheila sah sich einmal kurz um und sie wusste, was die einzige richtige Entscheidung war.

„Du wirst zurückgehen.“

Verwirrt sah er sie an.

„Nicht zurück über die Berge, sondern in deine, unsere Welt. Du gehörst hier nicht hin!“

Entsetzt riss er die Augen auf.

„Nein, dass kannst du nicht tun.“, keuchte er.

„Solange du hier bist, wird Kemono nicht ins Gleichgewicht zurück kehren. Du gehst!“

„Du weißt nicht wo ich her komme. Dort erwartet mich nichts, als Armut und ein Dasein als unbedeutende Person, die der Willkür eines Königs ausgesetzt ist.“

Sheila lächelte leicht, denn wenn sie richtig lag und er aus dem alten Ägypten kam, wusste sie in etwa was ihm bevorstand, aber das änderte nichts.

„Dies ist aber dein Schicksal.“

Sie griff in ihre Tasche und förderte die kleine Flöte hervor, die sie von den Phönixen vererbt bekommen hatte. Alles hatte seine Zeit und wenn sie sich nicht täuschte, hatte diese Flöte einen Auftrag, sowie Schwert und Bogen.

Sie setzte sie an die Lippen und mit nur einem Ton entströmte ihr eine solch liebliche Melodie, dass alle gebannt lauschten.

Als Sheila absetzte war es ihr, als vertausendfachten sich Geräusche wie Vogelgesang, der sachte Wind der durch Gräser strich und die Melodie auf seine Art wider gab. Der Himmel erstrahlte in einem unglaublichen warmen Blau-Ton und Farben, die einem Regenbogen entsprungen sein konnten, fegte schleierartig hinüber. Bald wurden die Rot-Töne kräftiger und Sheila hörte, wie alle um sie herum den Atem anhielten, als sich die Farben zu Formen und Gestalten entwickelten.

Dann kamen sie.

Ihre Feder sandten Goldschimmer, wo immer sie flogen. Ihre Schreie waren so wunderschön, verheißungsvoll und Glücksgefühle kamen auf. Plötzlich jubelten alle um Sheila herum, während sie einfach nur in den Himmel sah. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich ihrer Mutter nah. Hier in dieser Welt, die ihre Mutter nie gesehen hatte, spürte sie dass sie stolz auf ihre Tochter war.
 

Die Phönixe griffen sich den überraschten Imperator. Er versuchte sich zu wehren, doch sie schienen dies nicht einmal zu bemerken. Im nächsten Augenblick verschwanden sie mit ihm in einem gleißenden Licht. Sheila vermutete, dass er nun an den Ufern des Nils wieder zu sich kommen würde. Dort wo er hin gehörte.

Sie drehte sich zu ihren Freunden um, die sie ehrfürchtig beobachteten.

„Kommt, lasst uns nach Hause gehen.“

Verlorene Seelen

So, ihr Lieben! Das Ende ist nah, aber es muss noch ein letztes Kapitel kommen, was ich hiermit einleite. Dann geht eine Ära zuende. :3 Danke euch
 

Die Zahl der Toten war auf beiden Seiten, Mensch und Dämon, sehr hoch. Zwischen Verwundeten und Gefallenen suchten die Überlebenden nach ihren Freunden und Familien, um sie würdevoll zu bestatten oder nach Hause zu bringen. Die meisten entschieden sich dafür, ihre Angehörigen noch auf dem Schlachtfeld der Erde zu übergeben. Sheila hoffte, dass dieser Friedhof einmal Gedenkstätte und Mahnmal zugleich werden würde.

Sheila versuchte so viel Trost zu spenden wie es ihr möglich war, doch die meisten waren stolz auf das, was jeder von ihnen geleistet hatte. Es dauerte fünf Tage die Ebene endgültig verlassen zu können und Tag für Tag wurde an den Lagerfeuern die Geschichten eines jeden Toten erzählt.

Sheila war berührt von der Art und Weise, wie die Bewohner von Kemono mit ihren Verlusten umgingen. Sie selber fing bald darauf an, ihre Konzentration nur noch auf die zu verwenden, die noch lebten und bei denen es galt, dafür zu sorgen, dass es so blieb. Sie verloren auch in der Zeit nach der Schlacht noch den ein oder anderen, doch Sheila und die anderen kämpften hart um jedes Leben, sodass sie viel bewirken konnten. Die Macht der Phönixe hatte sie nach dem Kampf sehr bald verlassen und so war sie nur noch auf ihre medizinischen Kenntnisse angewiesen und auch wenn Magie in einigen Fällen sicher hilfreich gewesen wäre, so war sie froh, einfach nur noch ein Mensch zu sein. Wahrscheinlich schlummerte noch immer ein Teil der Macht in ihr, aber sie war kaum noch präsent.

Kurz nach dem Kampf hatte es eine Weile gedauert, bis die Menschen und auch einige Dämonen ihre leise Angst vor ihr verloren. Sheila konnte nur ahnen, was für ein Bild sie abgegeben haben musste und es grauste ihr. Sie verstand die Reaktionen, aber es machte sie auch ein wenig traurig. Doch je mehr sie sich in die Aufgaben stürzte, umso einfacher wurde es für sie. Nun war sie wieder eine von ihnen, die alles dafür tat, dass sie heile zurückkehrten.

Sie lief über einen Platz, um den sie herum ein Zeltlager gebaut hatten. Auf der einen Seite schliefen die unversehrten Soldaten und deren Familien, auf der anderen Seite war das Lazarett. Überall wimmelte es geschäftig. Niemand sprach mehr viel von dem Kampf, der nur wenige Tage zurücklag, aber an Bedeutung verloren hatte. Sheila hatte soeben mit Konomi und Adriel über ihr weiteres Vorgehen gesprochen. Die meisten Patienten waren so stabil, dass sie zur Burg zurückkehren konnten und daher hatten sie beschlossen im Morgengrauen des kommenden Tages aufzubrechen. Sheila wollte nun Sekura aufsuchen, der ebenfalls noch im Lazarett lag.

Mit der letzten Kraft, die Sheila gehabt hatte, hatte sie Sekura helfen könne, sich zurück zu verwandeln. Seitdem ließ er sich von Mika verwöhnen, was der sich auch sichtlich wohlwollend gefallen ließ.

Auch als sie jetzt das große Zelt betrat, saß Mika neben dem Panter und wechselte seinen Verband, während sie ihm wild gestikulierend etwas erzählte. Die beiden wirkten so glücklich, dass es Sheila warm ums Herz wurde.

„Ich sehe der Patient ist wohl auf!“, scherzte sie und Mika errötete leicht.

„Er sieht besser aus, nicht wahr?“, flötete sie und Sheila musste schmunzeln. Wenn sie daran zurück dachte, wie schwer sie beide es einmal miteinander gehabt hatten, war sie froh, dass es nun anders war. Sheila war keine Konkurrentin mehr für die junge Frau.

„Und ob!“, Sheila grinste und setzt sich auf die andere Seite des Bettes. „Die Frage ist nur, ob wir ihn je wieder auf die Beine bekommen, wenn er sich so umsorgen lassen kann?!“

„Ich war schwer verletzt!“, protestierte Sekura, sichtlich empört über Sheilas Vermutung. Sie tätschelte ihm das schwarze Fell.

„Keine Sorge, es war nicht so gemeint. Wann glaubst du denn, dass du wieder reisen kannst?“

„Kehren wir nach Hause zurück?“, rief Mika aus. Ihr Gesicht glühte und Sheila konnte gut verstehen, dass die Wölfin Heimweh hatte.

„Wir möchten so bald wie möglich aufbrechen, daher verschaffen wir uns gerade einen Überblick. Die Dämonen, die kaum Verletzungen davon getragen haben, helfen den Menschen bereits ihre Lager abzubrechen und heim zu kehren.“

Das größte Wunder dieses Krieges war der Zusammenhalt der verfeindeten Völker gewesen. Mensch und Dämon hatten begonnen einander zu respektieren und sie halfen sich, wo sie konnten. Die Dämonen begleiteten die Menschen ihrer Lande zurück in ihre Dörfer, wo sie unterstützt werden sollten alles wieder aufzubauen. Einige wenige Gruppen waren bereits aufgebrochen.

Mika sah betreten zu Boden: „Was ist mit Kasuke? Kommt er mit uns?“

Kasuke lag in Ketten in einem Käfig aus Holz, den sie notdürftig errichtet hatten. Als er das Bewusstsein wieder erlangt hatte, hatte er erneut versucht, Sheila zu töten. Harus hatte den jungen Wolf niedergeschlagen und sie hatten ihn fesseln müssen. Seitdem verweigerte Kasuke Futter und Wasser und versuchte jeden anzufallen, der ihm zu nahe kam. Er hatte seine Sprache wieder gefunden, aber trotzdem kein Erkennen gezeigt.

Sheila schloss einen kurzen Augenblick die Augen. Es war als habe sie Kasuke verloren, obwohl er noch immer lebte und sie wusste nicht wie sie damit umgehen sollte. Ihr Herz schrie unentwegt, doch die vielen Dinge, die um sie herum passierten, übertönten es. Nur nachts gestattete sie sich zu weinen. Meist verließ sie dann das Lager und suchte die Einsamkeit, sofern dies möglich war.

„Wir werden ihn ruhig stellen und mitnehmen, vielleicht erinnert er sich, wenn er zuhause ist.“ Sekura und Mika sahen ihn an, dass sie nicht annähernd so viel Zuversicht besaß, wie sie versuchte zu vermitteln. Doch Sheila wechselte das Thema, damit sie nicht mehr Gefühle in ihr hervor holten.

„Sandaru wird übrigens hier im Osten bleiben.“

Sekura fauchte unwillig.

„Er hat uns geholfen, Sekura, und er hat mir nie wissentlich Leid zugefügt. Ich denke, wir sollten ihm eine Chance geben.“

Mika sah kurz Sekura an, wie um ihn um Verzeihung zu bitten, dann wandte sie sich an Sheila: „Wird er bei dir bleiben?“

Sheila zuckte zusammen.

„Er wird mich zur Burg begleiten. Dort wird er entscheiden, wohin es ihn verschlagen wird.“

„Kehrst du nicht zu den Wölfen zurück?“ Sekura musterte sie argwöhnisch.

„Nicht sofort. Die Burg ist immer noch der Stützpunkt der Clans und Konomi bat mich, dort für eine Weile die Stellung zu halten.“ Sheila zuckte mit den Schultern. „Ich bleib dann erst einmal und was danach kommt, hängt von den Umständen ab.“

Ob Kasuke wieder zu sich kam oder nicht, doch das sprach keiner aus.
 

An diesem Abend setzte Sheila sich zu Kasuke. Der Käfig stand außerhalb des Lagers, da es Vielen Unbehagen bereitete, den Feind in ihrer Nähe zu haben und so war sie ungestört. Als der Wolf ihrer Schritte hörte, sah er auf, doch er knurrte nur leise und legte seinen Kopf dann wieder auf die Vorderpfoten. Seitdem er gemerkt zu haben schien, dass er keinerlei Schade anrichten konnte, ignorierte er seinerseits meist die Umstehenden.

Sheila umschlang ihre Knie und legte das Kinn darauf, dann starrte sie einfach nur in den Käfig. So oft sie auch versuchte, Kasuke in diesem Tier zu sehen, es war ihr einfach nicht möglich. Ihr Kasuke hätte sich gewehrt, hätte Sheila und die anderen erkannt, aber dieses Monster war immun gegen alle ihre Versuche. Selbst Konomi wusste keinen Rat.

Sheila hatte die Drachen gefragt, ob sie nicht eine Magie kannte, die dem Wolf seine Seele zurückgeben konnte, doch weder Synthra noch der Rote hatten eine Antwort gewusst. Seit diesem letzten Gespräch waren die Drachen in ihr Gebirge zurückgekehrt, mit dem Versprechen, nun wieder ungehindert die Herren der Lüfte zu sein und Sheila bald besuchen zu kommen.

Leise summte sie eine Melodie, die sie noch aus Kindertagen kannte. Ihre Mutter hatte sie ihr manchmal vorgesungen, wenn sie nicht schlafen konnte und seltsamerweise hatte sie sich erst während der Schlacht wieder daran erinnern können.

Als der Wolf die Melodie vernahm knurrte er erneut und fletschte die Zähne. Überrascht hielt Sheila inne.

"Hör auf damit!", geiferte er und warf sich gegen die Gitter.

Erschrocken wich sie zurück.

„Was ist? Magst du das nicht?“ .

Dies war seine erste wirklich Reaktion auf etwas anderes als ihre pure Anwesenheit. Als Kasuke sich etwas zurückzog, rutschte sie näher an seinen Käfig. Seine Augen glänzten wie fiebrig und seine Haltung war nicht mehr bedrohlich sondern eher ängstlich. Nachdenklich beobachtete sie, wie der Wolf sich in die hinterste Ecke kauerte und dort abwartend lauerte. Es schien nicht, als wollte er auf ihre Frage antworten.

Eine Weile beobachtete sie, wie er auf und ab tigerte und sich dann wieder beruhigte.

„Wir hatten nie die Möglichkeit, uns wirklich kennen zu lernen. Das macht mich wirklich traurig, weißt du?“

Kasuke spitzte die Ohren und diese Geste war für Sheila, als ob ein Damm in ihr gebrochen wäre.

„Ich hätte dir so gerne erzählt, wie mein Leben in meiner Welt war. Was ich erlebt habe. Du hättest es vielleicht verstanden und mich nicht verurteilt.“

Aus irgendeinem Grund spürte sie erneut Tränen, die sich Bahn zu brechen drohten.

„Und nun scheint es, als hätte ich dich verloren noch bevor wir überhaupt die Chance bekommen haben, ein Leben miteinander zu verbringen. Das wäre doch sicher eine interessante Kombination gewesen.“ Sie lachte bitter auf, was in einem Schluchzer endete.

Der Wolf winselte nur als Antwort.
 

Noch bevor die Sonne aufging, brach über die Hälfte des Lagers auf um zu ihren Heimen zurück zu kehren. Überall spürte man die Vorfreude und Erleichterung darüber, wohlbehalten und erfolgreich nach Hause gehen zu können. Die die noch zu schwach waren, um zu reiten oder zu laufen, wurden mit Unterstützung der Dämonen transportiert.

Sheila beobachtete stumm den Abzug der Truppen von einer Anhöhe aus. Mika spannte einige Wolfsdämonen vor Kasukes Wagen, damit dieser zu der Burg gezogen werden konnte. Kasuke gebärdete sich wie ein Verrückter, warf sich immer wieder gegen die Gitter und versuchte seine einstigen Freunde zu beißen.

Immer noch etwas humpelnd kam Sekura herauf und stellte sich neben sie. Die Wunde an seinem Hals würde eine schlimme Narbe geben, aber Sheila fand, dass ihn das nur verwegener und attraktiver werden ließ.

„Wenn du möchtest, kannst du auch mit uns Felidae gehen. Ich meine..“ Er räusperte sich. „…wenn es zu schwer für dich ist.“

Sheila lächelte ihn dankbar an, schüttelte jedoch den Kopf.

„Das kann ich nicht. Die Wölfe sind so etwas wie meine Familie. Ich werde sie in einer solchen Situation nicht alleine lassen. Vielleicht haben wir noch eine Chance.“

„Vielleicht.“, sagte der Panter, doch Sheila brauchte ihn nicht ansehen, um zu wissen, was er dachte.

„Wirst du ihm eines Tages verzeihen?“, flüsterte sie und zwang sich, nicht auf die Verletzung zu schauen.

„Ich weiß, dass es dumm ist, aber der Gedanke, dass Kasuke mich fast getötet hätte, ob bei Bewusstsein oder nicht, ist sehr schwierig für mich. Als hätte er mich verraten.“

Er sah auf sie hinab.

„Er wollte dir ebenso Leid zufügen, Sheila. Wie fühlst du dich denn?"

Sheila schluckte schwer. Diese Frage hatte sie sich die halbe Nacht gestellt.

„Als hätte ich ihn für immer verloren.“ Sie blinzelte Tränen weg.

Sekura nahm sie in den Arm und Sheila spürte, dass ihre Kräfte schwanden. Der Gedanke, dass Kasuke nie wieder er selbst sein würde, war zermürbend und Hoffnung zu empfinden eine Herausforderung. Sie wünschte mit einem Mal, dass sie Kasuke nie begegnet wäre, denn dann hätte der Imperator nichts gegen den Wolf in der Hand gehabt. Bei all der Macht, die es auf dieser Welt gab und die ihr inne gewesen war, gab es scheinbar keinen Weg, um dieses Martyrium zu beenden. Das war so unfair. Der Wolf hatte in den Reihen des Guten gekämpft und für den Sieg seine Seele hergegeben.

Sekura schob sie sanft von sich und schaute ihr in die Augen.

„Wenn Kemono will, dass das Gute auf ihm siegt, wird es dafür sorgen, dass Kasuke zurückkehrt. Bis bald, Kleine.“

Sandaru kam in diesem Moment den Hügel hinauf. Sheila sah, dass es Sekura widerstrebte, sie mit dem Windkanter alleine zu lassen, aber doch nickte er ihm zu.

Dann küsste er sie auf die Stirn und sprang als elegante Raubkatze zu seinem Clan, der nur noch auf ihn gewartet hatte. Nun verließen auch die Felidae die Ebene.

In einiger Entfernung konnte Sheila Konomi und seinen Clan sehen, der sich sammelte. Sie würden Sheila zur Burg tragen und Konomi würde dort bei ihr bleiben. Es war also auch für sie Zeit aufzubrechen.

Sie blickte zu Sandaru auf, der neben ihr stand und ebenfalls das Lager überblickte, bevor er sie ansah. "Ich danke dir, nach allem was passiert ist, dass ich bei dir bleiben kann.", sagte er. Seine Miene war dabei so demütig, dass Sheila lachen musste.

"Wie oft willst du das noch sagen? Bist du mir jetzt etwa den Rest deines Lebens Gehorsam schuldig?"

Auch der Windkanter lächelte leicht, versuchte aber ernst zu bleiben.

"Wenn Ihr das wünscht, Herrin!"

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, dass möchte ich nicht, okay? Lass uns jetzt gehen!"

Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn zu den Pferden.
 

Den langen Weg zur Burg legten sie in Schweigen zurück. Natürlich freuten auch die Clans der Pferde und Wölfe sich, dass Frieden ins Land gekehrt war, doch das Schicksal der Zauberin und des Wolfsführers ging jedem recht nah. Meist ging Sheila abends zu dem Käfig, manchmal sang sie oder redete mit dem Wolf und schlief in seiner Nähe, doch er zeigte weder Erkennen, noch antwortete er.

Zunächst hatte Sandaru versucht, Sheila Gesellschaft zu leisten, doch Kasuke war jedes Mal ausser sich gewesen, sodass sie ihn gebeten hatte, sie alleine zu lassen

Die letzte Nacht der Reise verbrachten sie auf einer Lichtung im dichten Wald. Sheila hatte schon den ganzen Tag kein Wort gesagt und Mika fing an, sich ernsthaft Sorgen um ihre Freundin zu machen. Auch die Wölfin war niedergeschlagen, da sie nicht nur Sekura vermisste, sondern auch um ihren Clanführer trauerte. Doch mit anzusehen, wie Sheila immer mehr ein Schatten ihrer selbst wurde, war fast noch unerträglicher.

Wie die Nächte davor raffte Sheila ihr Hab und Gut zusammen und zog sich zum Käfig zurück. Konomi hatte sie tagsüber dazu gezwungen etwas zu essen, aber sie nutzte den Trubel des Feuerschürens dazu, um zu verschwinden. Ganz unbemerkt war dies nicht geblieben, aber die Dämonen hatten sich daran gewöhnt, dass die Zauberin weder mit ihnen aß noch bei den geselligen Runden um das Feuer anwesend war. Diejenigen, die sie nicht näher kannten, machten sich nicht weiter Gedanken. Vielmehr war dieses Mädchen ja auch vorher schon so etwas wie ein Mysterium für sie gewesen. Ihre Freunde dagegen waren beunruhigt.

Sheila wickelte sich in ein dickes Fell und lauschte den Stimmen, die aus dem Lager zu ihr hinüber schwappten. Sie vermisste die Wärme, die von den heiteren und glücklichen Gemütern ausging. Sie erzählten sich Anekdoten aus einer anderen Zeit und lachten und freuten sich. Und daran war ja auch nichts verkehrt. Der Krieg war vorbei, die Gefahr gebannt. Es gab gar keine bessere Zeit, als das Hier und Jetzt, um sich des Lebens zu freuen.

Hin wieder sah Sheila sich mit Kasuke dort sitzen, ebenso froh und entspannt. Sie würden lachen und der Wolf würde ebenfalls Geschichten zu erzählen haben. Dann erinnerte sie sic an den Moment, bei dem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Die Liebe, die ihr Hoffnung gegeben hatte, als sie dachte, sie wäre verloren, seine sonst eisigen Augen, die auf einmal so viel Wärme ausstrahlten. Wenn Sheila sich an den Abend im Lager des Feindes erinnerte, wurde der Schmerz umso heftiger und sie verlor erneut ein Stück ihres Herzens. Sie hob das Gesicht und überließ es dem Wind, ihre Tränen zu trocknen.

„Es wird nicht einfacher, wenn du dich weiter quälst.“

Mika setzte sich neben Sheila, die ihre Freundin kaum beachtete. Sie starrte weiterhin geradeaus, ohne wirklich etwas zu sehen.

„Und Kasuke hätte nicht gewollt, dass er dich mit in den Abgrund zieht.“

Langsam drehte Sheila den Kopf, bis ihre stumpfen Augen denen der Wölfin begegneten. Mika schluckte hart.

„Im Gegensatz zu Kasuke besitze ich noch eine Seele, die leiden kann. Da ist er klar im Vorteil.“

„Die die zurückbleiben, sind immer diejenigen, denen es am schlechtesten geht, Sheila. Aber trotzdem müssen wir immer weiter machen. So ist der Kreislauf des Lebens.“

Sheila verzog das Gesicht.

„Meinst du nicht der Tod ist angenehmer, wenn die Seele weiterlebt?“

Mika stutzte. In den Geschichten ihres Clans hieß es, dass wenn ein Wolfsdämon starb, er seinen Ahnen begegnen würde um fortan bei ihnen zu wachen. Was geschah mit Kasuke, wenn er ohne seine Seele starb?

Sheila schien Mikas Gesichtsausdruck richtig zu deuten und nahm die Wölfin in den Arm. Sie wusste, dass sie sich früher oder später darüber Gedanken machen mussten, was aus dem Wolf wurde. Ihn den Rest seines Lebens in Gefangenschaft zu behalten war einfach keine Option.

"In meiner Welt sind Wölfe Tiere, die Instinkten folgen, für ihr Rudel und Futterbeschaffung leben." Mika sah auf und lauschte gebannt den Worten ihrer Freundin. "Vielleicht wäre es einfacher für ihn, wenn er dort leben könnte. Als ganz normaler Wolf."

Erschrocken fuhr Mika auf.

"Heißt das, du willst uns verlassen und....Kasuke mitnehmen?" Sheila zuckte leicht mit den Schultern.

"Ich weiß ja nicht einmal ob das möglich ist. Ob ich überhaupt in meine Welt zurückkehren kann. Aber ich kann Kasuke nicht so leben lassen." Tränen brachen sich Bahn, ohne das einer ihnen Beachtung schenkte.

"Ich kann das nicht Mika! Er entgleitet mir und hier hat er als das was er ist keinerlei Chance."

Mika nickte stumm und blickte zum Käfig, in dem ihr Clansführer aufmerksam ihr Gespräch zu verfolgen schien. Er saß aufrecht und seine Ohren waren gespitzt, seine grauen Augen waren einzig und allein auf Sheila gerichtet. Er verstand jedes Wort, doch hatte er bisher nur wenig gesprochen, seitdme sie ihn eingesperrt hatten. Mika verwandelte sich in die weiße Wölfin. Sheila sprang erschrocken auf, als sie sich dem Käfig näherte. Fast wäre sie dazwischen gegangen, doch ein Blick von Mika sagte ihr, dass sie sich nicht einmischen durfte.

"Was ist los? Findest du das amüsant?", knurrte sie. Das schwarze Fell ihres Gegenübers sträubte sich, doch sonst war ihm keinerlei Regung anzumerken. Mika dagegen wirkte äußerst agressiv und Sheila lief es eiskalt über den Rücken, während sie ihre Freundin beobachtete.

"Was ist? Bist du nur noch ein dummes Tier?", wütend fletschte sie die Zähne, während Kasuke kalt auf sie hinab blickte.

"Wäre ich nicht eingesperrt, würdest du nicht so eine dicke Lippe riskieren.", knurrte er. Überrascht sah Sheila dabei zu, wie Mika weiterhin provozierte. Sie schlich um den Käfig herum und giftete ihn die ganze Zeit an.

"Selbst dann würdest du wahrscheinlich nicht einmal mehr ehrenhaft kämpfen. Wie es einem Dämon gebührt. Du bist nichts außer Dreck, Kasuke."

"Nun, dir ist scheinbar entgangen, dass ich für ein seelenloses Wesen noch recht viel von dem verstehe, was ihr alle sagt."

Sheila sprang auf und ging zwischen die beiden Dämonen. Mika wollte protestieren, doch Sheila konnte Kasuke nur in die Augen sehen.

"Mika, hör auf damit."

Die Wölfin verwandelte sich zurück und versuchte zu sehen, was Sheila scheinbar entdeckt zu haben schien.

"Wie lange ist das schon so?", flüsterte sie, doch Sheila konnte diese Frage nicht beantworten und sie wusste der Wolf würde es ihr nicht sagen.
 

"Und du weißt nicht, seit wann Kasuke in dieser Verfassung ist?"

Konomi lief in seiner menschlichen Gestalt um das Feuer herum, während weit über 20 Augenpaare im folgten.

"Nein, ich war so.....abwesend..ich finde keine Worte dafür.", Sheila hob verzweifelt die Hände. "Aber obwohl er scheinbar eine Seele zu haben scheint, erkennt er nicht, dass wir seine Freunde sind. Seine Augen, Konomi...sie sind klar!"

Konomi sah einige Zeit gedankenverloren in die Flammen. Der Wolf sprach mit ihnen, nahm alles auf und konnte mit den Worten etwas anfangen, er zeigte sich beherrscht und kühl und doch war er nicht er selbst.

"Ich habe eine Vermutung, mein Kind, aber ich weiß nicht, ob uns das gefallen wird. Außerdem kann ich mir nicht sicher sein."

Sheila runzelte die Stirn und zögerte einen Augenblick, doch Haruto war es, der Konomi bat, fort zu fahren: "Jetzt kannst du es uns auch genauso gut sagen,vielleicht hilft uns das weiter."

Konomi sah nicht von dem Feuer auf, schien dort etwas zu sehen, was für sonst keinen sichtbar war.

"Ich glaube, dass er mit dem Tod des Bösen und seines Peinigers einen Teil seiner Seele zurück erlangt hat. Nur leider ernähren sich Nachtmahre vor allem von dem Guten, welches in jeder menschlichen und dämonischen Seele ruht."

"Heißt das, dass er auf eine gewisse Art wieder er selbst ist, aber dies nur der böse Teil in ihm ist?", fragte Mika. In den Reihen des Wolfsrudels kam Gemurmel auf, was durch eine Handbewegung Konomis sofort wieder verstummte.

"Das ist einfach formuliert, nur befürchte ich, dass er sich wahrscheinlich auch an manche Dinge erinnert, es ihm aber egal ist. Möglicherweise hat er nicht einmal ein Ziel oder einen Grund irgendetwas zu tun, außer das was einmal sein Auftrag gewesen war, seine Freunde zu töten." Er wandte sich an den Windkanter, der die ganze Zeit außerhalb des Kreises gestanden hatte. "Lieg ich da in etwa richtig, Sandaru?"

Angesprochener stieß sich von dem Stamm des Baumes ab, an dem er gelehnt hatte und trat nun ebenfalls ans Feuer, dabei ließ er Sheila nicht aus den Augen, jederzeit der nicht immer freundlichen Blicke der anderen bewusst.

"In der Zeit, in der ich unter dem Befehl des Imperators gestanden habe, konnte ich nur ein einziges Mal erleben, wie die Seele eines Soldaten zurück kehrte. Es war ein Versuch des Imperators, eine Rasse zu züchten, die vollkommen skupellos war und doch nicht sich selbst verlor."

"Was geschah?", nicht nur Mika, sondern auch alle anderen hingen ihm gebannt an den Lippen.

"Ich tötete ihn, denn er richtete sich gegen seinen Stamm und gegen seinen eigenen Bruder, mich. Er war außer Kontrolle."

Er sah auf Sheila hinab, die ihre Arme um ihre Knie geschlungen hatte und ins Leere starrte.

"Er wusste wer wir waren, aber außer dem, der ihn erschaffen hatte, sah er alle als seine Feinde an. Bevor er mein Volk auslöschen konnte, tötete ich ihn lieber selber. Erst als das Leben aus ihm wich, erkannte er, was er getan hatte." Er hob entschuldigend die Hände.

"Ich habe keine einfach Lösung dafür, Sheila, doch ich glaube nicht, dass es unmöglich ist, das Gute in jemanden zurück zu bringen. Mein Bruder war schon vor diesem Versuch dem Imperator vollkommen verfallen gewesen. Dein Wolf dagegen hat für das Gute gekämpft. Es ist anders."

Sheila nickte und stand auf.

"Ich werde darüber nachdenken."
 

Als sie am nächsten Tag das Lager abbrachen, war Sheila still wie immer. Sandaru hatte sie nicht aus den Augen lassen wollen und glich ihrem Schatten. Kaum jemand hatte diese Nacht wirklich schlafen können und nun legte sich eine angespannte Stimmung über die Gruppe. In wenigen Stunden würden sie die Burg erreichen, doch was dann?

Sheila saß auf Loros und überließ es ihm, dem Weg zu folgen, während sie ihren Gedanken nach hing. Sandaru hatte seinen Bruder töten müssen, eine Option, die sie nicht akzeptieren würde. Doch wie konnte sie das verhindern?

Wenn Kasuke weiterhin seinen eigenen Clan und die anderen Dämonen attackierte, würde er früher oder später sein Ende finden und für immer einsperren konnten sie ihn nicht. Das war grausam.

Sie schloß die Augen. Wieso fehlte ihr die Kraft, wenn sie sie brauchte? Celine hätte mit Sicherheit einen Ausweg gewusst. Warum sie ausgerechnet jetzt an ihre Ahnin dachte, wusste sie nicht, doch sie fühlte keinerlei Eifersucht. Stattdessen sehnte sie Kasukes ehemalige Liebe herbei. Vielleicht hätte Celine ihn retten können. Sie war Sheila immer so viel besonnener vorgekommen, so viel ruhiger und stärker als sie selbst es je hätte sein können. Wäre Celine damals nicht gestorben, wäre Sheila niemals hierher gekommen. Celine hätte den Imperator vernichtet und alles wäre gut gewesen.

Doch sie hatten alle keinen Einfluß auf das Schicksal und nun war sie es die einen Ausweg suchen musste. Aber warum sie? Sie schaute sich zum ersten Mal seit langem wieder mit den Augen einer Fremden um. Die Dämonen, die Macht, all diese Fabelwesen. Das war nichts, mit dem sie aufgewachsen war. Was suchte sie dann noch hier? Solange sie eine Aufgabe gehabt hatte, war ihr es so einfach erschienen immer wieder zu vergessen, dass sie aus einer anderen Welt kam. Doch was war jetzt? Was würde aus ihr werden? Sie wusste, sie war überall willkommen, aber sie würde einfach nicht hierher gehören.

Sheila wandte sich zum rollenden Käfig um und begenete Kasukes kalten, klaren Augen, die sich in ihre bohrten. Doch es ängstigte sie nicht. Sie erwiderte ungerührt seinen Blick. Er war der einzige Bezugspunkt in Kemono und wenn sie nicht um ihn kämpfte, verlor sie alles.

Another Person

Die Menschen auf der Burg empfingen sie wie die Helden der Nation, die sie auch waren. Die Soldaten freuten sich über die Aufmerksamkeiten, den Jubel und die Rufe. Sie ritten durch Blumenregen und Gesängen und auch Sheila konnte sich nicht ganz der Freude der Bevölkerung erwehren. Trotzdem hielt sie sich nach der Ankunft in der Burg nicht lange auf, sondern zog sich augenblicklich zurück, nachdem sie Kasukes Wächtern den Befehl gegeben hatte, ihn in das größte Verlies zu bringen, welches die Burg hergab.

Sie wusste, dass die Soldaten ihr Verhalten argwöhnisch beobachteten, aber sie hatte im Moment genug davon ständig jemanden um sich zu haben.

Auf ihrem Zimmer, welches sich nicht ein bisschen verändert hatte, erwartete sie ein Zuber mit heißem Wasser. Angesichts dieses Luxus, der so liebevoll für sie hergerichtet worden war, noch bevor sie die Burg betreten hatte, stiegen ihr erneut Tränen in die Augen.

Sie musste unbedingt was gegen ihre Emotionen tun. Seit dem Ende des Krieges weinte sie öfter als ihr ganzes bisheriges Leben davor.

Als sie sich entkleidete, wagte sie es kaum in den verschwommenen Spiegel zu blicken. Sie wusste, dass sie nicht nur enorm abgenommen hatte. Auch ihre Haare waren strähnig und glanzlos und einige Blutergüsse aus der letzten Schlacht, schillerten in den Farben des Regenbogens. Das warme, duftende Wasser ließ sie jedoch alles vergessen.

Mit einem leisen Seufzer glitt sie weiter ins Nass und hoffte wenigstens für einen Moment einfach nur nicht denken zu müssen.
 

„Ihr habt ihn in Ketten gelegt?“

Sheila war von dem langen Tisch in der Bibliothek aufgesprungen, an dem sie vor einigen Wochen noch die Karten der Welt Kemono studiert hatte. Sie hatte nicht Vergessen können und deshalb hatte sie Konomi aufgesucht. Sie musste einen Weg finden Kasuke zu retten, doch das Einhorn hatte seine eigene Meinung in dieser Sache. Kaum hatte sie angefangen, ihn um Hilfe zu bitten, als er ihr schon erklärt hatte, dass sie den Wolf nicht retten konnten und er daher im tiefsten Verlies in Ketten lag.

„Dazu hattest du kein Recht!“

Sheila war außer sich.

„Ich weiß, dass du immer noch die Hoffnung hast, dass er sich erinnert. Aber Sheila, er ist nur noch ein Monster. Bitte versteh doch, dass unser primäres Ziel sein muss, dass er niemanden etwas tun kann.“

Sheila blieb vor ihm stehen und schlug auf den Tisch.

„Solange die Türen dort unten geschlossen sind, kann er niemanden was tun. Die Ketten waren unnötig.“

Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Saal.
 

„Herrin bitte. Wir haben Anweisungen!“

„Und wie lauten diese Anweisungen?“

Sheila sah dem Soldaten an, dass ihm bei ihrem Anblick sichtlich unwohl war. Ihrer Wut nach zu urteilen, musste sie auch einen beängstigenden Eindruck machen. Was ihr ganz recht war.

„Niemand darf in das Verlies. Keiner!“

„Und wie bekommt der Gefangene Wasser und Futter?“

Der Mann wusste scheinbar keine Antwort. Sheila machte einen Schritt auf ihn zu.

„Du öffnest jetzt sofort die Tür. Meinetwegen kannst du danach deinem Befehlshaber sofort bescheid sagen, aber ich werde nicht zulassen, dass ihr den Wolf verhungern lasst. Dann seid ihr alle nicht besser, als unsere Feinde es waren.“

Sie entriss ihm den schweren Schlüssel und öffnete die ersten Gitter, die zur Holztür führten und somit zum Gefängnis.
 

Als Sheila Kasukes Verlies betrat verließ sie der Mut. Der Wolf hatte tatsächlich den größten Raum bekommen, doch schwere Ketten legten sich um seinen Hals, seinen Körper und jedes seiner Beine. Er lag auf der Seite und hob nicht einmal den Kopf, als sie die Tür hinter sich schloß. Sie musste einige Stufen hinuntergehen, um zu ihm zu gelangen. Fackeln wurden an den Wänden gehalten, spendeten aber so wenig Licht, dass sie nur Umrisse des Wolfes erkennen konnte.

Vorsichtig näherte sie sich dem Schatten.

„Kasuke?“ Ihre Stimme war dünn, doch sie wusste, dass er sie hörte.

Ein leises Knurren erfüllte den Raum.

„Verschwinde!“

Sheila blieb stehen.

„Kannst du dich aufrichten?“

Er antwortete nicht. Sie ging einen weiteren Schritt auf ihn zu. Plötzlich sprang er auf uns fletschte die Zähne. Sein Maul verfehlte nur knapp ihren Arm. Erschrocken fiel Sheila hinten über. Die Ketten hatten ihn daran gehindert, ihr etwas anzutun.

Ein Zittern durchlief ihren Körper. Doch es war keine Angst.

„Du Vollidiot!“ Innerhalb eines Augenblicks war sie wieder auf den Beinen und schlug ihm mit einer Faust auf die Schnauze. Im ersten Moment waren beide vollkommen perplex. Kasuke fing sich schneller als Sheila und begann erneut zu knurren.

„Was willst du eigentlich von mir?“ Die tiefe Stimme, die Dämonen in ihrer tierischen Gestalt eigen war, machte es Sheila noch schwerer Kasuke in dieser Gestalt wider zu erkennen.

Sheila ließ sich auf die kalte, lehmige Erde sinken.

„Keine Ahnung! Ich dachte, ich könnte dir helfen.“

„Ich will deine Hilfe nicht. Verschwinde!“

„Willst du in diesen Ketten verrotten?“

Kasuke begann nun unruhig hin und her zu laufen. Soweit es ihm möglich war.

„In dem Moment, in dem du mich befreist, besteht die Möglichkeit, dass ich dich töte. Und trotzdem willst du mir helfen.“ Sein heiseres Lachen glich einem Husten.

„Dummes Weib.“

„Dummes Tier!“

„Wie bitte?“ Erneut fletschte er die Zähne. „Pass auf was du sagst.“

„Wenn du mich tötest, wirst du ebenso sterben. Wenn du dich jedoch benimmst, wirst du die Ketten los und bist vielleicht bald wieder frei. Da du aber nicht gerade kooperativ bist, endet es für dich scheinbar auf jeden Fall tödlich. Wer ist hier also dumm?“

Der Wolf grummelte, sagte aber nichts weiter.

„Kasuke, bitte erklär mir bitte, was du willst. Der Imperator ist tot. Seine Armee zerschlagen.“

Stille. Sheila seufzte leise. Kasuke war schon immer stur gewesen, doch in der jetzigen Situation hasste sie das noch mehr. Gerade als sie aufstehen wollte, begegnete er ihrem Blick und sie zögerte.

„Ich kann mich an vieles erinnern. Ich weiß wer ich war und was ich getan habe. Aber es ist mir egal. Ich möchte nicht mehr der sein, der ich war. Das heißt aber, dass ich entweder hier verrotte oder jedem von euch die Kehle durchbeiße. Es gibt nicht viele Optionen für jemanden wie mich.“

„Du würdest es nicht einmal versuchen, nicht wahr?“

Er schüttelte sein Fell.

„Was soll ich denn noch versuchen?“

Sheila stand auf und sah nachdenklich auf den Wolf hinab. Das war nicht Kasuke. Nicht der, den sie geliebt hatte.

„Zu überleben. Ich will nicht, dass sie dich töten. Aber genau das wird früher oder später passieren, denn in einem seid ihr euch einig. Sie interessieren sich auch nicht dafür, was du gewesen bist.“

Sie wandte sich ab. Es war an der Zeit, dass sie die Hoffnung aufgab. Er wusste wer sie war. Aber es war ihm egal.

„Wieso interessierst du dich dafür?“ Seine Stimme war voller Hohn. Sheila biss sich auf die Lippen. Dieser Mistkerl.

„Wenn du das nicht weißt, dann weiß es keiner.“

Oben an der Tür drehte sie sich noch ein letztes Mal um.

„Wenn du bereits bist, mit mir ordentlich zu verhandeln, kannst du nach mir rufen lassen. Ansonsten sag ich dir wohl Lebwohl.“

Die Tür schloss sich geräuschvoll.
 

Mika gesellte sich zu Sheila, die über die Ebene sah und beobachtete, wie die Sonne sich hinter den Horizont schob. Diesen Platz hatte sie damals schon gerne aufgesucht, doch heute war einfach alles anders. Mika lehnte sich über die Balustrade und sah in den Burghof, wo die Menschen ihre Waren zusammenpackten. Es war Zeit, nach Hause zurück zu kehren.

„Diese Normalität fühlt sich irgendwie seltsam an, nicht wahr?“

Sheila schloss die Augen und nickte.

„Trotzdem sehe ich ihnen gerne zu. Es beruhigt mich.“ Sie sah auf.

„Wann wirst du zu Sekura gehen, Mika. Ich sehe dir doch an, dass du ihn vermisst.“

Mika rieb sich ein wenig unbehaglich über den Arm.

„Solange ich nicht weiß, was mit Kasuke geschehen wird, kann ich nicht gehen. Er ist…war der Clanführer.“

„Du kannst nichts tun, Mika.“ Sheila seufzte und sah wieder dem roten Himmel entgegen. „Entweder er entscheidet sich für den Frieden oder Konomi wird ihn töten.“

Mika standen plötzlich die Tränen in den Augen. Dies war das erste Mal, dass Sheila ihrer Freundin die Last der letzten Tage und Wochen ansah. Sie umarmte die Wölfin. Der Duft von Lavendel stieg ihr in die Nase.

„Er hat die Wahl. Kehre zu Sekura und deinem Clan heim. Sie brauchen dich. Ich komm so bald wie möglich zu euch. Bete, das es gute Nachrichten sein werden.“

Auch Sheila würde beten.
 

Es dauerte fünf Tage bis Hotori, der Sheila sehr viel Zeit gewidmet hatte, ihr die Nachricht überbrachte, dass der Wolf nach ihr gefragt hatte. Sheila hatte fast nicht mehr damit gerechnet und an der Art, wie Hotori über Kasuke sprach, hörte sie seine Ablehnung.

Kasuke saß aufrecht, als sie seine Zelle betrat, doch sie sah, dass er geschwächt war. Die Ketten hatten ihm Fell weg gescheuert und sie meinte auch Blut sehen zu können. Doch das Licht war nach wie vor sehr schlecht. Trotz seiner schlechten Verfassung, glühten seine Augen und Sheila sah denselben Hass in ihnen, wie vor einigen Tagen.

Doch sie ließ sich nicht beirren. Sie ging so weit heran, wie sie es wagte und blieb dann mit verschränkten Armen vor ihm stehen. Solange er Wolf war, konnte sie auf ihn hinab sehen.

Zunächst sagte keiner von ihnen was und Sheila hatte das Gefühl, dass er so eine Art Nervenkrieg führte. Vollkommen lächerlich, wenn man bedachte in welcher Lage er war. Doch sie konnte sich vorstellen, dass es ihm nicht leicht gefallen war, sie zu bitten.

„Ich bin bereit, mit dir zu verhandeln.“

Sheila musste sich eine abfällige Bemerkung verkneifen. Trotzdem konnte sie nicht umhin, ihn in seine Schranken zu verweisen.

„Ich muss vorher eins klar stellen. Da du dich an deine Vergangenheit erinnern kannst, solltest du wissen, dass auch für mich nichts davon noch eine Bedeutung hat. Daher brauchst du nicht glauben, dass du mich in der Hinsicht übers Ohr hauen kannst.“

Der Wolf bleckte die Zähne, was Sheila als Grinsen verstand.

„Ich weiß zwar nicht, was „übers Ohr hauen“ heißt, aber ich denke ich weiß, was du meinst. Also können wir ja zum Geschäft kommen.“

Sheila nickte erwartungsvoll.

„Ich möchte, dass die Ketten abgenommen werden. Ich möchte meine menschliche Gestalt annehmen können und ein Bett, sowie Licht und Feuer haben. Ich brauche regelmäßige Mahlzeiten, die mir nicht von den Wachen, sondern von dir gebracht werden. Sonst will ich, dass man mich in Ruhe lässt.“

Sheila wartete einen Augenblick, ob Kasuke noch weitere Forderungen stellen würde. Doch er beobachtete sie nur durch seine blauen Augen, die so verwirrende Gefühle in ihr wach riefen.

„Die Ketten werden dir nur abgenommen, wenn du das Versprechen ablegst, niemanden etwas zu tun.“

Kasuke nickte: „Mehr als mein Wort werde ich dir nicht geben können.“

„Die Frage ist, wie viel das Wort eines Verräters wert ist.“

Bei dem Wort „Verräter“ brummte der Wolf zornig.

„Komm näher!“, bellte er.

Sheila zögerte. Das war doch nicht sein ernst.

„Entweder ich beweis es dir jetzt oder nie. Also komm näher!“

„Wenn du dir nicht langsam angewöhnst höflicher mit mir zu reden, kannst du das Ganze vergessen.“, giftete sie, trat aber einige Schritte in seine Richtung. Was war nur in sie gefahren?

In dem Augenblick, in dem sie sich diese Frage stellte, setzte Kasuke zum Sprung an. Sheila hatte keine Chance. Sie fiel und schlug mit dem Kopf auf dem harten Boden auf, sodass ihr einen Augenblick schwindelig wurde und der Schmerz ihr den Atem nahm. Jetzt würde er sie töten, da war sie sich ganz sicher.

Doch es passierte nichts. Ein schweres Gewicht lag auf ihr und als sie die Augen öffnete, blickte sie geradewegs in Kasukes. Ihr blieb die Luft weg.

„Wenn ich dich hätte töten wollen, könnte ich es genau jetzt tun.“ Seine Schnauze kam ihrer entblößten Kehle gefährlich nahe und ein Schaudern lief durch ihren Körper, während sie ihm unverwandt entgegenblickte. Kasukes Blick verschleierte sich einen Augenblick und er schien verwirrt. Im nächsten Moment war er auch schon wieder von ihr herunter gesprungen.

„Ich werde nur dir nichts tun. Daher möchte ich sonst niemanden sehen. Ist das klar?“

Sheila nickte, doch sie brachte kein Wort hervor. Ihm so nahe zu sein, auch wenn er nicht mehr der Kasuke war, den sie gekannt hatte, war verstörend gewesen.

Sie wandte sich ab und verließ das Gefängnis ohne ein Wort zu sagen.
 

Konomi hatte sich zwei Stunden so heftig mit Sheila gestritten, dass alle Dienstboten das Weite gesucht hatten. Sie hatte ihn im Saal beim Abendessen vorgefunden, wo er mit Mika und Loros zusammen gesessen hatte. Sheila sah Mika und auch Loros an, dass sie skeptisch über Kasukes Vorschlag dachten. Aber Konomi war wirklich außer sich.

„Das kommt nicht in Frage. Er wird irgendwann die Situation ausnutzen und dich töten, auch wenn er es jetzt noch nicht getan hat. Er ist immer noch der Feind.“

„Er ist aber auch immer noch Kasuke! Und solange die Möglichkeit besteht, dass wir ihn zurück holen können, werde ich nichts unversucht lassen.“

„Das lass ich nicht zu.“

„Was willst du denn tun?“, schrie Sheila. „Ich gehöre gar nicht in eure Welt. Meine Aufgabe ist erfüllt. Selbst wenn ich bei diesem Versuch sterbe, dann ist nur alles wie vorher und ihr könnt Kasuke immer noch töten.“

Konomi verlor die Fassung. Sein Gesicht glich einer Maske aus Zorn, doch auch Schmerz war darin zu lesen.

„Du denkst wirklich, dass du nicht in unsere Welt gehörst? Du bist ein Teil von Kemono. Von uns. Wie kannst du nur so etwas sagen!“

Angesichts seiner Reaktion war Sheila ein wenig erschrocken. Konomi war nicht nur stur, die Situation ging im wirklich nah. Sie trat auf ihn zu und umschlang ihn mit ihren Armen.

„Es tut mir Leid, Konomi. Ich habe mich zu sehr auf Kasuke konzentriert und nicht gesehen, was um mich herum geschieht.“

Sie blickte auf und wusste, dass ihr das Oberhaupt der Einhörner so nah stand wie ein Vater.

„Aber bitte vertrau mir. Wenn ich es nicht versuche, wird mich die Frage zugrunde richten, ob ich ihn hätte retten können.“

Damit war der Streit beendet gewesen.

Alle Bediensteten waren dazu angehalten, Sheila alles zu bringen was sie benötigte.
 

Doch sie war die einzige, die das Verlies betrat. So wie Kasuke es gewünscht hatte. Bevor sie die Ketten löste, richtete sie ihm den Raum so behaglich ein, wie sie konnte. Sie schürte ein Feuer, das den Raum so hell erleuchtete, dass sie zum ersten Mal richtig sah, wie schlimm Kasuke wirklich aussah. Doch sie verbot sich jegliche Gefühlsregung.

Sie brachte Stühle und Tische, Kissen, Decken und eine Matratze aus Stroh. Sogar Bücher legte sie auf den Tisch, auch wenn er sie nicht gewünscht hatte.

Der Wolf selber sagte die ganze Zeit kein Wort, sondern sah ihr nur zu, wie sie sein Gefängnis einrichtete. Erst als sie den Tisch mit Fleisch, Käse und Wein gedeckt hatte, trat sie auf ihn zu um ihm die Ketten abzunehmen.

Die letzen Schritte waren die schwersten und es gelang ihr nur mit Mühe zu verhindern, dass er ihre Angst roch. Doch er schien so sehr von der Mahlzeit abgelenkt zu sein, dass er nicht einmal zuckte, als sie ungelenk an seine aufgescheuerte Haut kam.

Als sie auch die letzten Ketten gelöst hatte, verwandelte Kasuke sich augenblicklich in einen Menschen. Er trug nicht einen Fetzen Kleidung am Leib und Sheila hätte sich beschämt beiseite gedreht, wenn die vielen Verletzungen seine blasse Haut nicht so verunstaltet hätten. Gerade als sie auf ihn zugehen wollte, um die malträtierte Haut zu berühren, fing sie seinen Blick auf, der sie musterte. Sofort stockte sie. Es war ein Reflex gewesen. Ein Reflex der ihr sagte, dass sie Kasukes Verlust in ihrem Unterbewusstsein noch immer nicht verkraftet hatte. Und der Dämon vor ihr sah das auch.

Als sie zurück weichen wollte, packte er sich an beiden Armen und zog sie zu sich heran. So nah, dass sich ihrer beider Gesichter beinahe berührten. Sheila war wie erstarrt. Wie ein Tier, das im Augenblick des zu erwartenden Todes nicht mehr fähig war sich zu rühren.

Sein Atem strich warm über ihr Gesicht.

„So ist das also. Es ist nicht von Bedeutung, he?“

Er war nicht Kasuke. Sheila versuchte diesen Gedanken zwischen sie zu schieben, wie eine rettende Barriere. Er war nicht Kasuke.

Seine Lippen strichen über ihren Hals, wie Tage zuvor, als er noch ein Tier gewesen war. Er schnupperte an ihr, sie hörte seinen Atem, hörte wie er ihre Witterung in sich aufnahm.

„Du riechst gut. Eine Abwechslung zu dem Gestank hier unten.“

Sie schaffte es ihm einen Arm zu entziehen und im nächsten Augenblick hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Kasuke schien so verblüfft zu sein, dass er zunächst gar nicht reagierte. Sheila ging zum Tisch und hob einen Bündel Kleider auf, den sie ihm mitgebracht hatte. Immer noch perplex fing der Dämon das Bündel auf, während Sheila ihn alleine ließ.
 

„Halt mich bloß auf den Laufenden.“, sagte Mika.

Sheila und die Wölfin gingen gerade über den Burghof und hinaus über die Ebene. Mika würde heute nach Hause zurück kehren und die Freude darüber war unverkennbar.

„Natürlich, aber du weißt ja, dass sich nicht viel tut.“

Mika schüttelte hilflos den Kopf.

„Und er redet gar kein Wort mit dir?“

Sheila zuckte mit den Schultern.

„Er ignoriert mich. Meistens liest er und sieht nicht einmal auf, wenn ich ihm sein Essen hinstelle. Er behandelt mich wie ein Herr seine Magd.“

Sie mussten beide über den Vergleich schmunzeln. Sheila hatte so gar nichts von einer Magd. In den letzten zwei Wochen, nachdem sie Kasuke von den Ketten befreit hatte, war sie wieder aufgeblüht und schöner denn je. Die Herren der Burg, allen voran Hotori machten Sheila den Hof und Mika und sie hatten sich nicht selten über diverse Aufmerksamkeiten amüsiert. Unter anderem über kitschige Ständchen unter ihrem Fenster, mitten in der Nacht. Wahrscheinlich hätte der Windkanter sich auch noch hinzu gesellt, wenn er nicht vor einigen Tagen abgereist wäre. Er wollte ein wenig die Gegend erkunden, hatte er gesagt. Sheila wusste, dass er einen Platz für sich in diesem Teil der Welt suchte.

Aber sie war auch nicht bereit einen Mann zu wählen.

„Vielleicht solltest du dich hin und wieder bei ihm einnisten, damit du deine Ruhe vor deinen Verehrern hast.“, scherzte Mika. Sheila verdrehte die Augen.

„Erinnere mich nicht daran. Wenn das so weiter geht, breche ich meine Zelte ab und folge dir.“

Sie lachten und umarmten sich.

„Grüße die anderen von mir.“

Dann war die Wölfin schon verschwunden.
 

Nachdem Mika abgereist war, fiel es Sheila schwer, die Niedergeschlagenheit zu bekämpfen. Konomi plante einen Schlag in den Westen, hinter die Kalten Berge, um sicher zu gehen, dass sich dort keine neue Macht erhob und da Sheila sich nicht an kriegerischen Planungen beteiligen wollte, verbrachte sie viel Zeit alleine. Abgesehen von den Momenten, an dem sie von den Männern in Anspruch genommen wurde, die im heiratsfähigen Alter waren.

Das hielt sie meist nicht lange aus und so wirkte sie eines Tages fast erleichtert, als sie Kasuke sein Essen bringen musste. Als sich die schweren Gitter hinter ihr schlossen, atmete sie sichtlich auf. Mika hatte recht, sie musste sich hier verkriechen um ihre Ruhe zu haben.

Wie immer ging sie in das Verlies um ihm das Essen hin zu stellen und wie immer beachtete sie Kasuke nicht. Daher bemerkte sie nicht, dass er nicht wie üblich auf dem Bett hockte und las. Erst als sie sich umwandte, um das Verlies zu verlassen, bemerkte sie, dass etwas anders war, denn sie lief direkt in hin hinein. Vor Schreck quietschte sie und legte eine Hand auf die Brust um ihren Atem zu beruhigen.

„So tief in Gedanken versunken zu sein, kann mitunter tödlich enden.“, sagte er leise.

Sheila funkelte ihn böse an und versuchte sich an ihm vorbei zu schieben, doch er stellte sich ihr in den Weg.

„Was soll das?“, sie schlug ihm vor die Brust. Sie hätte genauso gegen Granit schlagen können.

„Ich will, dass du mir Gesellschaft leistest.“

„Das ist kein Teil der Abmachung!“ Ihre Laune war wirklich nicht die beste. Musste jetzt auch noch dieser Monster ihr auf die Nerven gehen.

Er lächelte süffisant und ließ sich mit verschränkten Armen elegant auf die Tischkante nieder.

„Du kannst natürlich auch zu der hechelnden Meute zurück, die dich oben erwartet.“

Überrascht riss sie die Augen auf.

„Woher…?“

„Nun ja, das ein oder andere bekomme sogar ich mit.“ Er nickte in Richtung Tür. „Die Wächter unterhalten mitunter lautstark über die Vorgänge in der Burg. Sie sagen auch, dass du noch immer keinem deine Gunst schenken willst, sehr bedauerlich.“

„Das geht dich nichts an!“, fauchte sie. Doch ihn amüsierte ihre Reaktion.

„Wenn man es in Betracht zieht, dass wir ja mal so etwas wie ein Liebespaar waren, darf ich wohl auch eine Meinung dazu haben, oder nicht?“

Sheila blieb der Mund offen stehen. Der hatte sie doch nicht mehr alle. Über so was redete sie gar nicht erst mit ihm.

„Geh mir aus dem Weg!“ Sie schob sich an ihm vorbei, doch im nächsten Moment hatte er sie gepackt und mit einem Griff auf den Stuhl befördert. In der nächsten Sekunde saß er mit ihr am Tisch. Während er die Nahrungsmittel auspackte, die sie ihm gebracht hatte ließ er sie nicht aus den Augen. Sheilas Herz raste, aber nicht aus Angst.

„Was willst du von mir?“

„Das sagte ich doch, Gesellschaft!“

„Ein Monster wie du hat Verlangen nach Gesellschaft?“

„Touché!“ Er lachte. Was war nur in ihn gefahren?

Er teilte das Fleisch auf und schob es ihr auf einem Stück Stoff entgegen. Während er zu essen begann, starrte sie ihn nur böse an.

Dass sie nicht aß, schien ihn überhaupt nicht zu stören. Sie musterte ihn. Er trug nur eine Kombination aus grauem Leinen und doch sah er so gesund und kräftig aus, wie lange nicht mehr. Erst als er fertig war, sah er sie wieder an.

„Da du nun hier bist, erzähl mir ein bisschen von dem Teil von mir, den ich nicht mehr besitze.“ Sheila hob die Augenbrauen.

„Das interessiert dich doch nicht wirklich. Du hast gesagt, du willst nicht mehr so sein.“

Er wirkte einen Augenblick so, als ob er darüber nachdachte. Sheila ahnte aber, dass dies nur Theater war.

„Nein, ich möchte nicht mehr so sein. Aber du hängst an diesem Ich. Daher find ich es interessant.“

Sheila stand auf: „Da es diesen Teil nicht mehr gibt, spreche ich auch nicht darüber.“

„Sag mir, diese Momente bevor ich in die Hände des Imperators gefallen bin, hast du sie genossen?“

Sheila bekam eine Gänsehaut. Diese Erinnerung hatte sie sich bewahrt, denn es waren die letzten Augenblicke der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft gewesen. Indem er darüber sprach, beschmutzte er sie.

Er kam auf sie zu und Sheila musste sich stark zusammenreißen, damit sie sich nicht auf der Stelle umdrehte und den Raum verlies. Als er vor ihr stand, berührte er sie sanft an der Wange. Eine trügerische Art, die sie ihm nicht abkaufte.

„Hat dir das Gefallen, wenn ich dich so berührte?“

Seine Hand fuhr ihr über das Kinn in den Nacken und legte sich dann dem Weg folgend auf ihre Hüfte. Kasuke sah ihr die ganze Zeit in die Augen, doch Sheila konnte keine Regung in ihnen sehen, während ihre die Farbe des Sturms annahmen. Diese Grausamkeit würde sie ihm nicht verzeihen.

Als sie nun den Mund öffnete, lag in jedem ihrer Worte das Gift von Tausenden von Schlangen: „Lieber würde ich mich von einem der Männern dort oben berühren lassen, als dir je zu Willen zu sein.“ Dann spuckte sie ihm ins Gesicht. Kasuke war verblüfft, doch nicht sehr lange. Bevor Sheila die Flucht ergreifen konnte, packte er so hart zu, dass sich ihr ganzer Körper an seinen schmiegte.

„Ich könnte dich auf der Stelle töten und dir fällt nichts Besseres ein, als mich zu beleidigen?“

Auch wenn ihr Herz ihr bis zum Hals schlug, zitterte nicht einmal ihre Stimme: „Dann bring es hinter dich. Töte mich!“

Kasuke knurrte, aber er bewegte sich nicht.

„Du bist so ein dummes Ding. Das wird dich noch einmal das Leben kosten.“

Und seine Lippen senkten sich so hart und heiß auf die ihren, dass ihr die Luft wegblieb. Auch jetzt spürte sie, dass es nicht Kasuke war, der sie küsste. Er war ihr vertraut, aber im selben Augenblick so fremd, wie überhaupt möglich. Was sie jedoch überraschte war, mit welcher Intensität er sie küsste. Einer Leidenschaft und Härte, als suche er etwas, ein Ertrinkender der den Sauerstoff brauchte.

Sheilas Gegenwehr erlosch ziemlich schnell, da sie nicht in der Lage war, ihm zu entkommen. Alles in ihr strahlte dieselbe Hitze aus, die auch er empfinden musste. Die Härte in ihm schmerzte bald und sie wusste, dass er dafür sorgen würde, dass jeder sehen konnte, was hier geschehen war.

Als er endlich von ihr abließ, waren sie beide außer Atem, doch Sheila war es, die sich am Tisch festhalten musste. Warum fühlte es sich auf einmal so an, als habe sie etwas so unwiderruflich verloren, wie ihr eigenes Leben? Es breitete sich eine unglaubliche Leere in ihr aus und sie war den Tränen nahe. Sie sah auf und bemerkte, dass Kasuke sie ansah. Seine Augen waren verschleiert, als würde er sie gar nicht richtig wahrnehmen. Sie stieß sich vom Tisch ab und ging an ihm vorbei. Diesmal hielt er sie nicht auf.

„Damit ist unsere Abmachung hinfällig.“, brachte sie nur mühsam hervor. „Meinetwegen kannst du hier unten krepieren!“

Sie spürte nicht einmal seinen stechenden Blick, der ihr folgte, bis sie die Tür geschlossen hatte.
 

Auch wenn Sheila tief verletzt und unglaublich wütend war, schaffte sie es nicht, Kasuke aus ihren Gedanken zu verbannen. Mit dem Verlassen der Zelle vor einigen Tagen, war keiner mehr in das Verlies gegangen um den Wolf zu versorgen. Einige Soldaten hatten hin und wieder Wasser und Brot durch einen winzigen Spalt geschoben, aber es genügte nicht und das wusste Sheila.

Aber sie konnte nicht wieder zurück.

Sie schlief schlecht, träumte grauenvolle Dinge und bekam keinen Bissen herunter. Das Schlimmste war, dass sie nicht wusste, was sie so fertig machte. Immer öfter fühlte sie sich eingesperrt und bald war sie dazu übergegangen, mit einem der Pferddämonen lange und schnelle Ausritte zu unternehmen, damit sie dem Grau der Burg entkommen konnte. Der Rappe war ein Freund von Loros und er schien jederzeit zu wissen, was sie brauchte und empfand selbst Freude an den teils riskanten Manövern.

Sheila war ihm unendlich dankbar. Doch es waren meist nur wenige Stunden, die sie betäubten. Dann musste sie sich erneut ihrer tief empfundenen Verzweiflung stellen. Viele der jungen Männer hatten bereits aufgehört ihre Nähe zu suchen, zu seltsam verhielt sich die Zauberin. Nur Hotori blieb an ihrer Seite, auch wenn sie sich nie mit ihm unterhielt. Er war einfach anwesend.

In solchen Momenten fragte sie sich, ob es nicht sinnvoll war, die Burg zu verlassen und ein neues Leben in der Abgeschiedenheit zu gründen. Sandaru ließ hin und wieder von sich hören und meist berichtete er von der Ablehnung der Menschen und Dämonen des Ostens. Vielleicht sollte sie ihn bitten, sie mit zu nehmen. Sie vertraute ihm. Zusammen hatten sie vielleicht eine Chance.

Sheila saß im Burggarten und lauschte den Vögeln. Der Sommer ging dem Ende zu, aber die Sonnenstrahlen wärmten ihre Haut, sodass sie sich für einen Moment einbilden konnte, dass sie die Wärme auch im Herzen spürte.

Hotori schien ausgerechnet heute Gartendienst zu haben, denn er jähtete ausgerechnet wenige Meter von ihr entfernt Unkraut. Mittlerweile tat es ihr fast leid, dass sie ihm nicht das schenken konnte, was er sich von ihr erhoffte. Eine junge Magd eilte über den Kiesweg, doch als sie Hotori erblickte stockte sie kurz und errötete augenblicklich. Interessiert musterte Sheila das Mädchen. Sie war ein wenig jünger als sie selbst, aber sehr hübsch und eindeutig schwer verliebt in den treuen Diener. Doch dass sie nicht Hotori sondern Sheila ansteuerte merkte diese erst, als die Kleine direkt vor ihr stehen blieb.

„Herrin?“

Sheila blinzelte gegen die Sonne.

„Was kann ich für dich tun?“

Die Magd räusperte sich unbehaglich und schielte zu Hotori, der zwar weiter arbeitete, aber ihnen mit Sicherheit zuhörte.

„Der Wolf verlangt nach Euch!“

Sheila verdrängt alle negativen Gefühle.

„Lass ihm ausrichten, dass ich nicht mehr an seine Abmachung gebunden bin.“

Das Mädchen rang die Hände in den Falten ihrer Schürze und mittlerweile vermutete Sheila, dass nicht nur der junge Mann im Blumenbeet der Grund war.

„Nun, die Soldaten bitten Euch, sofort zu kommen. Der Gefangene, er hat versucht…er wollte dir Tür aufbrechen. Dabei ist einer von ihnen verletzt worden.“

Entsetzt sprang Sheila auf.

„Ist er ernsthaft zu Schaden gekommen?“

„Ich weiß es nicht genau, Herrin!“

Doch das hörte Sheila nicht mehr, sie hatte bereits das Ende des Gartens erreicht.
 

Es war schwierig gewesen, die Soldaten davon zu überzeugen, dass sie in die Zelle gehen musste. Kasuke hatte sich gegen die Tür geworfen, als der Wächter ihm Wasser hinein schieben wollte. Dabei hatte sich der Mann die Schulter ausgekugelt. Da sie aber zu Dritt gewesen waren, hatte Kasuke keine Chance gehabt, doch Konomi war bereits unterrichtet und Sheila hatte die Befürchtung, dass Kasukes Uhr nun endgültig abgelaufen war. Das konnte sie doch nicht einfach hinnehmen.

Die Soldaten hatten sich erst überreden lassen ihr den Weg zum Verlies freizugeben, als sie ein Kurzschwert von ihnen genommen hatte. Sheila hatte keinen Zweifel, dass sie bereit war, dies zu nutzen, wenn es nötig war. Sie hatte den Umgang mit der Waffe nicht verlernt.

Einer der Wächter öffnete vorsichtig die Tür und Sheila ging mit der gezückten Klinge voran in die Zelle. Dass dies vollkommen unbegründet war, zeigte sich als sich die Tür hinter ihr schloss. Kasuke stand mit dem Rücken zum Eingang, vor der erloschenen Feuerstelle. Noch immer auf dem oberen Treppenabsatz stehend, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Es roch unangenehm, da die Bettpfanne seit längerem nicht geleert worden war. Doch was sie noch mehr erschreckt war der Zustand der Zelle, denn Kasuke musste in einem Wutanfall alles kurz und klein geschlagen haben. Der Tisch lag zwar auf der Seite, schien aber heile geblieben zu sein. Die Stühle dagegen waren zu Brennholz verarbeitet worden zu sein, ebenso das Bett und die Bücher.

In diesem Augenblick wandte sich der Wolfsdämon um und blickte zu ihr hinauf. Als er das Schwert in ihrer Hand sah, lächelte er spöttisch. Seine Wangen waren hohler geworden und seine Erscheinung verdreckt, doch seiner gefährlichen Ausstrahlung tat dies keinen Abbruch.

Sheila löste sich von der Tür und ging die Stufen in den Raum hinab, das Schwert immer im Anschlag und die Augenauf die Gefahr gerichtet. Kasuke bewegte sich nicht von der Stelle.

„Ich hoffe dir ist bewusst, dass du mit deiner Aktion deinem Leben ein Ende gesetzt hast. Konomi wird keinen Grund mehr sehen, dich am Leben zu erhalten.“

Der Wolfsdämon verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und warum kommst du dann noch einmal hierher?“

Sheila stutzte. Er hatte Recht. Wieso war sie in das Verlies gekommen, wenn sie doch wusste, dass sein Schicksal so unausweichlich war. Sie ließ das resigniert das Schwert sinken.

„Ich habe keine Ahnung!“

Sie sah auf und begegnete den kühlen Augen des Wolfdämons. Es war tatsächlich an der Zeit, sich irgendwo ein neues Leben aufzubauen- oder zu sterben. Sheila atmete tief durch.

„Konomi wird genau in diesem Augenblick darüber entscheiden, wie du sterben wirst. Ich kann dir leider nicht mehr helfen.“

Sie wandte sich ab. Sie würde jetzt gehen und versuchen, alles hinter sich zu lassen. Am Besten sie fand einen Weg, in ihre Welt zurück zu kehren. Dort hatte sie andere Herausforderungen zu meistern, normale Geschichten. Nichts mit Dämonen, Monstern oder Kriegen.

Doch sie schaffte es nicht weiter, als bis zu der ersten Stufe der Treppe. Dann packte sie etwas von hinten und legte die kalte Klinge des Schwertes an ihre Kehle.

„Du hast selbst gesagt, dass unsere Abmachung hinfällig ist. Und nun bringst du mich hier raus!“
 

Sheila hätte Angst haben sollen, aber stattdessen war sie sauer. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden und spürte einen scharfen Schmerz am Hals. Vor Wut stieß sie einen Schrei aus. Der Griff verstärkte sich.

„Wenn du so weiter machst, bist du tot bevor wir die Zelle verlassen haben!“, presste Kasuke hervor.

Sie trat ihm mit der Ferse gegen das Schienbein. Der Wolfsdämon zuckte nur leicht zusammen.

„Du Bastard!“, fauchte sie. „Ich geh keinen Schritt mit dir!“

Kasuke knurrte.

„Das werden wir ja sehen!“

Plötzlich explodierten Millionen Lichter aus Schmerz in ihrem Kopf, bevor es dunkel wurde.
 

Schaukeln. So ein unerträgliches Schaukeln. Wieso hörte das nicht auf. Übelkeit übermannte sie, wallte in ihr hoch. Sie schaffte es gerade noch, die Augen zu öffnen und erkannte L

laubbedeckten Waldboden, bevor dieser auch schon näher kam. Der Aufprall schmerzte, aber der Schwindel war schlimmer. Mit letzter Kraft übergab sie sich. Dann konnte sie nur noch den Kopf festhalten. Wieso drehte sich nur alles so schnell. Sie wimmerte leise. Als Antwort erhielt sie ein wütendes Schnauben.

Ein Pferd! Das hatte so geschaukelt.

Etwas landete dumpf neben ihr und sie erkannte wage zwei blanke Füße.

„Steh auf!“ Sie wurde in die Höhe gerissen, doch ihre Beine trugen sie nicht. Wieder musste sie würgen. Sie bekam eine Ohrfeige und als ob der Schmerz ihr Gehirn wieder an die richtige Stelle rückte, schaffte sie es endlich, ihre Augen auf ihr Gegenüber zu fixieren. Kasuke!

Mit einem Schrei warf sie sich auf ihn, schlug nach ihm, doch sie konnte nicht stehen. In dem Moment, als er ihr auswich, sackte sie wieder in sich zusammen.

Diese Kopfschmerzen. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie ihren Hinterkopf nach Verletzungen abtastete. Sheila spürte eindeutig eine Beule, ernsthaft verletzt war sie aber nicht, zumindest äußerlich. Sie schlang ihre Arme um die Knie und legte ihr Gesicht darauf. Wenn sie nur einen Augenblick zum Ausruhen hatte, würde das Kopfkarussell mit Sicherheit aufhören.

„Bleib wo du bist oder ich sorg dafür, dass es schlimmer wird!“

Als könnte sie gerade auch nur einen Schritt machen.

Sie hörte, wie Kasuke um sie herum lief und irgendwelche Dinge tat. Hass loderte in ihr auf, doch er hatte sie wirksam außer Gefecht gesetzt.

Als sie einige Zeit später Wärme verspürte, vermutete sie, dass er ein Feuer geschürt hatte. Zumindest schien er nicht mehr zu erwarten, dass sie heute weiter ritten. Sheila hob den Kopf und versuchte das Pferd zu erkennen, welches sie getragen hatte. Wenn sie richtig lag, war es der Rappe Orpheus, ihr Freund. Sie musste sich stark konzentrieren, damit sie ihn richtig sah. Das Pferd blickte in ihre Richtung, doch wenn sie sich nicht irrte, was Orpheus auf jegliche, erdenklich Art gefesselt, sodass er nicht fliehen konnte. Sie meinte Wut in seinen Augen lodern zu sehen.

In dem Moment trat Kasuke aus dem Wald. Dem Licht nach zu urteilen, ging die Sonne unter. Der Dämon trug Holz auf den Armen, welches er nun in die Flammen warf. Hungrig leckten sie daran.

„Trink!“

Er hielt ihr einen ledernen Wasserschlauch hin. Sie wandte den Kopf ab. Sofort griff er nach ihrem Kinn und versuchte sie zu zwingen, den Mund aufzumachen. Das Ergebnis war, dass sie sich verschluckte und husten musste. Sofort kam es ihr so vor, als würde der Kopf von ihren Schultern fallen.

„Lass mich in Ruhe!“, wimmerte sie, erneut den Kopf auf die Knie gepresst.

Wieder spürte sie seine Nähe, roch den brennenden Gestank von Alkohol. Im nächsten Moment fühlte sie einen stechenden Schmerz am Hals. Sie schlug nach ihm und traf ihn am Arm, sodass er von ihr ablassen musste. Ihr Blick fiel auf einen sauberen Leinenstreifen in seiner Hand, an der feuchten Stelle war Blut.

„Entweder du lässt mich den Schnitt am Hals säubern oder du wirst Fieber bekommen.“

Sheila erinnerte sich. Der Schnitt, den er ihr zugefügt hatte, mit ihrem Schwert.

„Fahr zur Hölle!“, zischte sie und wich vor ihm zurück. Kasuke seufzte und blickte verächtlich auf sie hinab.

„Willst du etwas so etwas wie einen Märtyrertod sterben? Wenn ja, bist du auf dem besten Weg dorthin.“

Sheila warf Orpheus einen Blick zu, was dem Wolf nicht verborgen blieb.

„Lass ihn frei!“

„Und was glaubst du, wie ich mit dir im Schlepptau vorwärts kommen soll?“

Sheila fuhr sich über das nasse Gesicht. Sie würde keine Schwäche mehr zeigen.

„Dann lass ihn und mich hier. Du brauchst uns nicht mehr. Als Wolf bist du schneller, als mit uns.“

Orpheus schnaubte, ließ aber den Wolfsdämon nicht aus den Augen. Sein Hals war an den Baum gebunden worden, sodass er nicht einmal den Kopf bewegen konnte.

„Schöner Versuch, aber du bist zu wertvoll. Du bist mein Freischein.“

Er sah sich um und schien zu wittern.

„Es war zwar sehr einfach die Burg zu verlasse, als sie bemerkten, dass ich dich in meiner Gewalt hatte. Aber sie werden mich verfolgen.“ Er sah auf Sheila hinab. „ Solange du jedoch bei mir bist, werden sie mir nicht zu nahe kommen.“ Er grinste böse. „Wie töricht Gefühle machen können.“

„Du hast ja keine Ahnung!“, gab Sheila angewidert zurück.

Kasuke hob nur eine Augenbraue und setzte sich. Er hatte irgendwann gejagt, denn er begann nun ein Kaninchen auszuweiden. Sheila wandte sich mit Ekel erfüllt ab.
 

Weder aß Sheila, noch trank sie. Alles in ihr widerstrebte dieser Gefangenschaft und es war ihr egal, ob sie überlebte oder nicht.

Nachdem Kasuke mit Gewalt versucht hatte, sie zu ernähren, hatte er es bald auch schon aufgegeben. Sheila war so unglaublich stur. Sie waren mittlerweile zwei Tage unterwegs und er konnte mit ansehen, wie sie Stunde für Stunde mehr in sich zusammen sackte. Mittlerweile saß sie vor ihm im Sattel, sodass er sie stützen konnte. Seine Verfolger saßen ihm im Nacken, aber wenn sie so weiter machte, hatte er mehr als nur ein Problem.

Er blickte sich um und witterte. Er konnte sich dunkel an diese Gegend erinnern. Sie konnten sich hier verstecken, aber er musste das Pferd los werden. Kasuke schob Sheila von dem Rappen und sie landete unsanft zu Füßen einer großen Eiche. Sie stöhnte vor Schmerzen, aber mehr als sich zusammen zu krümmen schaffte sie nicht. Er sprang nun ebenfalls ab und nahm dem Tier das Halfter ab.

„Verschwinde!“ Er schlug dem Rappen gegen die Flanke. Das Pferd scheute, wollte sich aber nicht vom Fleck bewegen. Seine Augen rollten und es versuchte um Kasuke herum zu tänzeln. Sheila lag hinter ihm und der Wolf durchschaute die Absicht des Tieres.

„Wag es nicht, mich herauszufordern!“, knurrte er. „Dann seid ihr beide tot.“

Orpheus blähte die Nüstern und stieg auf die Hinterbeine, aber er wagte keinen weiteren Schritt. Er warf den Kopf herum und bleckte die Zähne, dann jedoch machte er auf der Hinterhand und galoppierte zwischen den Bäumen davon. Kasuke war sich jedoch sicher, dass er Orpheus nicht das letzte Mal gesehen hatte.

Er wandte sich Sheila zu. Die junge Frau hatte sich zusammen gerollt, aber ihre Augen waren wach und bei Bewusstsein und sie starrte ihn an.
 

Orpheus ist frei! Sheila konnte einen erleichterten Seufzer nicht unterdrücken, aber der Wolfsdämon war zu abgelenkt um es zu hören. Wenigstens konnte Kasuke nur noch sie mit in den Abgrund reißen. Nun sah er sie an. Sein Blick sagte ihr, wie frustriert er darüber war, dass sie sich so quer stellte. Aber sie wollte einfach nicht zulassen, dass er sie als Druckmittel nutzen konnte.

Er hockte sich neben sie. Noch immer erwischte sie sich dabei, wie sie hin und wieder bekannte Züge in seinem Gesicht suchte. Doch da war nichts als Härte.

„Ich werde dich jetzt tragen!“, er knurrte diese Worte fast und Sheila versuchte, sich ihm zu entwinden.

„Hör sofort auf damit!“ Er schlug ihr ins Gesicht. Sheila spuckte ihm ins Gesicht.

„Du widerlicher Köter. Fass mich nicht noch einmal an!“

In diesem Moment schalt sie sich selbst als dumm, weil sie sich zum Hungern entschieden hatte. Sie hatte ihm kaum was entgegen zu setzen. Kasuke fluchte auch nur ausführlich und im nächsten Moment hatte er sie trotz allem auf den Arm gehoben.

„Wenn es dir lieber ist, dass ich dich wieder ins Land der Träume schicke, mach so weiter.“

Frustriert musste Sheila zugeben, dass sie nicht schon wieder geschlagen werden wollte.
 

Mit tiefen Zornesfalten auf dem sonst so glatten, erhabenen Gesicht beobachtete Konomi die Ärzte, die sich um die Verletzungen von Orpheus kümmerten. Der Rappe hatte sofort wieder umkehren wollen um Sheila zu retten, aber Konomi wusste, dass sie keine Fehler machen durften. In dem Moment, indem sich der Wolfsdämon in die Enge getrieben fühlte, würde er Sheila verletzen. Das mussten sie verhindern.

Periphae landete neben ihm und sträubte ihr Gefieder.

Kurz nachdem er hilflos hatte mit ansehen müssen, wie Kasuke Sheila mit einer Klinge an der Kehle entführte, hatte er die Clanführer zur Hilfe gerufen. Nicht alle hatten seinem Ruf sofort folgen können, da die Clans immer noch im Aufbau ihrer Dörfer waren, aber Periphae, die Felidae und die Echsen hatten sich bereits bei ihm eingefunden.

„Ich habe sie verloren!“, kreischte Periphae frustriert. „Er muss geahnt haben, dass wir ihn von der Luft aus suchen werden.“

Ein Fauchen zu seiner Rechten kündigte Sekura an. Konomi wusste, dass der Panter Sheilas Entführung durch seinen ehemaligen Kameraden mehr als persönlich nahm.

„Er wird sich ein Versteck suchen. Ich werde ihn suchen!“

Doch Konomi schüttelte nur den Kopf, sein silbernes Haar wehte im schwachen Wind.

„Er weiß wer du bist, Sekura, und wird wissen was deine nächsten Schritte sind. Ich habe jemand anderes nach ihnen ausgesandt.“

Sekura wirkte verwirrt und sah Periphae an, die Konomi nicht aus den Augen ließ.

„Mit ihm wird Kasuke nicht rechnen.“
 

Durch einen winzigen Gang, in den sie nur auf dem Bauch liegend hinein passten, hatte Kasuke sie in eine Höhle geschoben, die scheinbar immer tiefer in die Erde führte. Sheila sah nichts und es fiel ihr schwer zu kriechen, da es sehr Kraftraubend war. Doch Kasuke dränget sie bestimmt und grob weiter.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich vor ihnen eine Kathedrale aus Stein. Verblüfft stockte Sheila und sah sich um. In der Mitte der Höhle lag ein See, der zu strahlen schien und sein Licht reflektierte sich in den feuchten Wänden. Wie tausende Kristalle.

Kasuke war über sie hinweg geklettert und lief um den See herum, der schätzungsweise nicht mehr als 25 Meter Umfang hatte. Er schien etwas zu suchen und wenige Augenblicke später erhellte eine Flamme die doch vergleichsweise kleine Höhle. Die Reflektionen hatten sie größer wirken lassen. Der Wolf entzündete eine Fackel und steckte sie in eine Halterung, die schon vorher dort gewesen sein musste. Das hieß, er wusste wo er war. Ein großer Vorteil gegenüber seinen Verfolgern.

Sheilas Hoffnung, dass man sie bald finden würde, schwand gerade gegen null.

Der Wolfsdämon kam auf sie zu und Sheila konnte sich nicht dagegen wehren, dass sie zurückweichen wollte. Doch Kasuke war es eindeutig leid, sich immer mit ihr zu streiten und warf sie einfach nur über die Schulter.

Er schleppte sie zu einem Platz, der eindeutig schon vorher zum Lagern genutzt worden war. Kaum hatte er sie abgesetzt, da zog er auch schon Decken aus einer Nische und warf ihr eine zu.

„Wenn du schon verhungern willst, halt dich wenigstens warm.“

Dann hatte er die Höhle auch schon wieder verlassen.
 

Jetzt war der Moment der Flucht. Das sagte sie sich nun bereits seit über einer Stunde. Trotzdem kauerte sie sich nach wie vor in eine Ecke der Höhle und starrte auf den Ausgang, durch den Kasuke verschwunden war. Was sollte sie nur tun? Egal wie sehr sie sich zur Wehr setzte, sie kam nicht gegen ihn an. Trotz der Strapazen behielt er sie immer noch bei sich, kümmerte sich sogar um sie.

„Verdammt noch mal!“ Sie versuchte sich auszurappeln. Sie musste diesen dummen Essstreik aufgeben, sonst würde er leichtes Spiel mit ihr haben, außerdem quälte sie der Durst fürchterlich. Sie stand etwas wackelig auf den Beinen, doch sie stand. Sie streifte die Decke von den Schultern und die Kälte der Höhle trieb ihr eine Gänsehaut über den kompletten Körper. Langsam ging sie zu dem kleinen See hinunter.

Die Kristalle auf dem Boden des Wassers leuchteten so unglaublich hell, dass Sheila nicht mehr die Augen davon abwenden konnte. Ein Summen erfüllte den Raum, etwas zog an ihr. Ein warmes Gefühl, ein Versprechen, dass es einen Ort gab, der besser war als alles was sie bisher kannte. In ihren Ohren rauschte es. Sheila berührte das Wasser und plötzlich war ihr nicht mehr kalt. Nein, eine Wärme strömte durch ihre Fingerspitzen in den Rest ihres Körpers und sie hörte Stimmen. Aber sie kannte diese Stimme doch!

„Mama?“, flüsterte sie. Jemand rief nach ihr, doch die Rufe kamen nicht von dem Ort, der so schön leuchtete. Die Rufe kamen aus der kalten Welt. Dort wollte sie aber nicht hin. Sie fiel dem Wasser entgegen und Glückseligkeit empfing sie.

Während sie dem Grund des Sees entgegen sank und der Sauerstoffgehalt in ihrem Gehirn immer mehr abnahm, sah sie eine Wiese voller Blüten. Die Vögel zwitscherten vergnügt und die Sonne wärmte ihre Haut. Alle Sorgen waren vergessen. Genau dort wollte sie hin. Dort wartete jemand auf sie. Da war sie sich sicher.

Aber warum sank sie nur so langsam. Sheila versuchte den Wiesen entgegen zu schwimmen, doch sie kamen einfach nicht näher.

Wieder Rufe. Lauter diesmal, bestimmter. Wer war das denn nur? Sah er denn nicht, was sie sah?

Plötzlich tauchte eine Gestalt vor ihr auf. Sie kannte das Gesicht, doch es störte das Bild. Es gehörte nicht in ihr neue, schöne Welt. Ein Ruck ging durch ihren Körper und etwas wollte sie von den Wiesen fort zerren. Sheila schrie und wehrte sich. Sterne tanzten vor ihren Augen. Sternschnuppen explodierten. Dieses Wesen entführte sie durch das Universum, wollte ihr den Frieden nicht gönnen, doch sie kam einfach nicht dagegen an. Die Wärme verschwand und Kälte breitete sich in ihr aus. Etwas stieß sie hart gegen die Brust und eine Stimme brüllte so laut, dass ihr die Ohren weh taten. Kein Vogel war mehr zu hören.

„Verdammt! Mach die Augen auf!“

Ein Schwall Wasser ergoss sich aus Sheilas Mund und genau dies war der Augenblick, an dem sie das Bewusstsein zurück erlangte. Ein schwerer Hustenanfall schüttelte sie, während irgendjemand ihr die Schultern und Kopf hielt. Sie war vollkommen orientierungslos und verwirrt.

„Ist dein neuer Plan, Tod durch Ertrinken?“

Sheila folgte der Stimme und blickte in unglaublich blaue Augen. Sie wirkten erschrocken und gehetzt, doch Sheila wusste nicht was der Grund dafür war.

„Du bist…“, sie hustete. „Du bist so wunderschön.“, flüsterte sie.

Ihr Gegenüber wirkte überrascht und amüsiert zugleich.

„Was auch immer in diesem Wasser ist, für Menschen ist das wohl nichts.“

Er löste sich von Sheila und lehnte sie gegen einen Felsvorsprung. Jetzt konnte sie ihn ganz sehen und Alarmglocken schrillten in ihrem Kopf. Ihr wurde schummrig. Wieso hatte sie das Gefühl, als würden zwei Herzen in ihrer Brust schlagen?

„Wer bist du?“ Sie wusste, dass sie ihn kannte, aber diese Frage war so präsent. Der Mann runzelte leicht die Stirn.

„Hast du dir den Kopf auch angeschlagen?“

„Du bist nicht der Richtige!“

Dann war es dunkel.
 

Nachdenklich blickte Sandaru auf die Spuren, die sich im Fluss verloren. Der Wolf war gut. Er versuchte nicht nur seine Spuren zu verdecken, sondern auch seine Witterung. Und wenn er den Spuren der letzten Stunden Glauben schenken konnte, musste Kasuke Sheila getragen haben. Seine Abdrücke waren tiefer gewesen, als habe er eine Last mit sich geschleppt. Der Windkanter musste dem Wolfsdämon Respekt zollen. Er hatte Sheila mehrere Stunden getragen, ohne einen Augenblick sein Tempo zu zügeln. Doch wieso ließ er sie nicht einfach zurück. In seiner jetzigen Lage war sie doch nur ein Hindernis.

Sandaru hörte die anderen nahen. Sie würden sich nicht sehr über seine Vermutungen freuen.
 

Die Wärme kehrte in ihren Körper zurück und vertrieb die klamme Kälte. Ihre Lunge und Kehle brannten, aber sie konnte atmen und es fühlte sich an, als habe sie das zu lange nicht mehr gemacht.

Sheila öffnete die Augen. Sie lag noch immer in der Höhle, doch mittlerweile brannte ein Feuer und ein Fasan briet darüber. Sie versuchte sich aufzusetzen und konnte nur mit Mühe ein Husten unterdrücken. Was hatte sie denn nur getan? Es war alles so verschwommen.

Sie sah an sich hinab und erschrak. Sie war nackt. Nur eine Decke aus weichem Fell bedeckte ihre Blöße. Panisch sah sie sich um und entdeckte ihre Kleider über die Felsen verteilt, ausgebreitet und scheinbar feucht.

„Da wünscht sich mein altes Ich nichts sehnlicher, als dir einmal so nah zu sein und dann kann man es nicht einmal ausnutzen.“

Kasuke kam mit der Feldflasche in der Hand ans Feuer. Sein spöttisch, herablassender Blick widerte Sheila an.

„Ein dreckiger Köter wie du kann froh sein, wenn er so etwas überhaupt sieht. Ich hoffe für dich, dass du weg geschaut hast!“

„Wie hätte ich dir dann die nassen Kleider ausziehen sollen? Ich hätte dich im See lassen sollen!“, brummte er.

„Das hättest du. Der Tod war wirklich verlockend.“ Sie musste nun doch husten, was das Brennen in ihrer Kehle verschlimmerte.

„Das war eine Illusion. Dämonen sind vor diesen mächtige Kristallen gefeit, aber ich habe irgendwie vergessen, dass ihr Menschen schwach genug seid, davon angezogen zu werden.“

„Lieber eine tödliche Illusion, als deine Gesellschaft, noch dazu unbekleidet.“

Kasuke lachte leise. Ein tiefes, wohltönendes Lachen. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals.

„Dabei könnten wir so gut miteinander auskommen, wenn du nicht so kratzbürstig wärst!“

Sheila ignorierte ihn. Sie war es so leid. Konnte er sie nicht einfach zurücklassen?

„Warum geht’s du nicht einfach in den Westen, hinter die Kalten Berge. Dort würde niemand nach dir suchen und du bräuchtest mich nicht mehr.“

„Mit gefällt deine Gesellschaft aber!“ Er schmunzelte und blickte bedeutungsschwer auf die Decke, die sie sich bis unter das Kinn gezogen hatte. Sheila musste sich wirklich zusammen reißen, damit sie diplomatisch blieb.

„Ich bin doch nur eine Last. Du musst mich tragen und ich habe einen Hang dazu, mir das Leben zu nehmen. Was kann daran schon unterhaltsam sein?“

„Dass du den alten Kasuke noch immer liebst!“

Sheila schnappte erschrocken nach Luft.

„Wie bitte?“

Seine blauen Augen musterten sie so intensiv, als wollten sie bis in ihr Innerstes dringen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

„Nun ja, du hast es selber auf den Punkt gebracht. Es gibt auf dieser Welt nichts mehr, was meine Existenz rechtfertigen würde. Der Imperator, der mich geschaffen hat, ist tot und seine Armee zerschlagen. Mein jämmerliches, von Zweifeln und Schuldgefühlen zerfressenes Ich wurde von den Nachtmahren vollkommen verinnerlicht und nur meine böse, egoistische Seite ist übrig geblieben.“ Er hob die Arme, als wäre er hilflos, doch seine Augen glitzerten amüsiert. „Womit soll ich mir also die Zeit vertreiben?“

Sheila schluckte hart.

„Es ist wirklich nichts mehr von dem Kasuke übrig den ich gekannt habe!“, zischte sie. „Du bist einfach nur eine Ausgeburt der Phantasie eines Wahnsinnigen. Du quälst mich und hast Spaß dran. Das hättest du mir niemals angetan!“ Sie würde nicht weinen! Nicht vor ihm!

Er kam ihr gefährlich nahe und der Duft von Erde und feuchter Haut stieg ihr in die Nase.

„Trotzdem hast du versucht, mir das Leben zu retten. Und ich das deine.“

„Ein schwerer Fehler!“ Sie konnte nicht verhindern, dass sich ihr Atem beschleunigte.

„Denkst du das wirklich?“ Er schien tatsächlich an der Antwort interessiert zu sein. Sheila wünschte sich jedoch gerade nichts sehnlicher, als dass er von ihr abrückte.

„Du warst es, der gesagt hat, dass nur deine böse Seite übrig ist. Und diese Seite kann keinerlei Interesse an meinem Wohlergehen haben.“

Kasuke musterte sie, nahm ihren erhöhten Puls und ihre Nervosität wahr. Sie erwartete Hohn, erntete aber keinen.

„Ich bin nicht der Wolf, den du gekannt hast, aber ich bin Kasuke.“ Er forschte in ihrem Gesicht und wurde mit einem kurzen, schmerzverzehrten Aufblitzen belohnt. „Und du weißt das.“

„Was ändert das?“ Er labte sich an diesen Grausamkeiten. Er nahm die Tränen in ihren Augen genauso wahr, wie das Zittern ihrer Stimme.

„Dich reizt doch nur deine Macht über mich, die Zauberin die den Imperator getötet hat. Du bist kalt und grausam.“

Er fing eine Träne auf und musterte sie wie ein seltenes Insekt.

„Ich kann mich an dich erinnern, aber nicht an das Gefühl, was ich in deinen Augen sehen kann.“ Er blickte ihr in die Augen, als müsse er seinen Worten eine Stütze verleihen. „Ich weiß nicht was du für mich bist, aber ich weiß, dass ich dich nicht töten will.“ Er berührte eine Strähne ihres Haares.

Sheila begann zunehmend unkontrolliert zu zittern. Alles in ihr schrie.

„Bitte hör auf!“, schluchzte sie. „Das ist nicht fair…das habe ich nicht verdient.“

Kasuke rückte ein wenig von ihr ab, blieb aber stumm. Die junge Frau machte den Eindruck, als habe sie furchtbare Schmerzen, doch er konnte nicht wirklich den Ursprung dafür ausmachen.

Und genau in diesem Augenblick entlud sich ein blaues Licht. Sheilas Macht und sie wusste nicht, woher sie auf einmal kam. Doch sie traf Kasuke wie ein Blitzschlag mitten auf die Brust. Mit einem Knall flog er durch die Höhle und prallte so hart gegen die Wand, dass der Berg zitterte.
 

Erschrocken schlug Sheila die Hände vor den Mund. Wie gelähmt blickte sie auf den leblosen, in Rauch gehüllten Körper, der einige Meter von ihr entfernt liegen geblieben war. Ähnliche Bilder drängten sich ihr auf. Damals hatte sie gedacht, sie hätte ihn umgebracht. Dort, vor der Burg.

„Kasuke!“

Beinahe wäre sie über die geraffte Decke gestürzt und doch war sie in wenigen Schritten an seiner Seite.

Der Wolfsdämon lag auf dem Rücken. Seine Augen waren geschlossen und es sah fast so aus, als ob er schliefe, wenn nicht die grauenvolle Verletzung auf seiner Brust gewesen wäre. Als hätte ihn ein Schwert aus Feuer getroffen, lief eine verbrannte Fleischwunde von der linken Schulter zu der rechten Hüfte. Der Geruch von verkohltem Fleisch drang nur mühsam in Sheilas Bewusstsein. Die Panik schnürte ihr die Kehle zu.

Sie wagte es nicht ihn zu berühren, verharrte unschlüssig über ihm.

„Kasuke, bitte sag was!“, flüsterte sie. „Bitte mach die Augen auf.“

Mit zitternden Fingern versuchte sie seinen Puls zu fühlen, doch sie konnte ihn nicht finden. Jetzt konnte Sheila die Tränen nicht mehr zurück halten. Laut schluchzend legte sie ihr Ohr an sein Gesicht, in der Hoffnung, dass er atmete. Sie hörte nur ihr eigenes, unkontrolliertes Keuchen.

Was hatte sie nur getan.

Sie legte eine Hand auf seine Stirn und sah in genau diesem Augenblick nur den Kasuke, den sie geliebt hatte.

„Es tut mir so leid, hörst du?“, wisperte sie, noch immer geschüttelt durch die Tränen. Sie schloss die Augen. Sheila, du musst dich zusammen reißen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schlug gegen die Felswand. Es war jetzt nicht wichtig, wer da vor ihr lag. Sie musste sich darauf konzentrieren, was getan werden musste.

Diesmal suchte sie mit ruhiger Hand nach dem Puls des Dämons. Erneut musste sie die Panik niederkämpfen, dass sie zu spät sein könnte. Dass sie ihn getötet hatte.

Doch da! Sie spürte etwas.

Sofort konnte sie wieder freier atmen. Er lebte und noch dazu schlug sein Herz recht kräftig. Okay, das war eine gute Nachricht, als nächstes die Wunde.

Sie hatte ihn schwer getroffen, schlimmer als damals. Ein Mensch hätte das nicht überlebt, doch Kasuke war anders. Sheila hatte mehr als einmal gesehen, wozu Dämonen fähig waren.

Vorsichtig berührte sie ihn an der Wange: „Kasuke, bitte, du musst zu dir kommen!“ Er musste sich verwandeln. „Kasuke!“ Sie hatte solche Angst seine Verletzungen zu verschlimmern. Nun nahm sie sein Gesicht in beide Hände. Tränen liefen erst ihr und dann ihm über die Wangen. „Hörst du mich, Kasuke? Unsere Diskussion ist noch nicht beendet. Hast du gehört?“

Sie strich ihm über den Kopf. Irgendwie musste sie ihn dazu bringen, das Bewusstsein zurück zu erlangen. Nur er konnte sich selbst halten. Sheila blickte sich um. Wenn sie zum See ging um Wasser zu holen, lief sie erneut Gefahr, von den Kristallen verzaubert zu werden. Dann war sie Kasuke auch keine Hilfe mehr.

Trotzdem zögerte sie nicht eine weitere Sekunde.

Sie hastete zum See, mit dem leeren Wasserschlauch in den Händen und schon nach wenigen Metern summte es wieder in ihrem Kopf.

Er wird sterben! Wenn ich jetzt einknicke, kann ich ihm nicht mehr helfen!, wiederholte sie immer wieder und konzentrierte sich auf ein Bild. Eine Erinnerung aus einer Zeit, als der Wolf noch ihr Freund gewesen war. Der letzte Moment, bevor sie ihn verloren hatte.

Sie stolperte über die Ecken der Decke und ging am Ufer in die Knie. Die Kristalle schienen noch intensiver zu leuchten. Warum dauerte es nur so lange, bis der Schlauch sich füllte? Wieder hörte sie Stimmen. Sie flüsterten und Sheila verstand sie nicht.

Kasuke! Kasuke!

Der Name war wie ein Anker, der sie in der Realität hielt auch wenn die Ränder ihres Bewusstseins bereits unscharf waren. Dann war der Wasserschlauch voll. Sheila wäre beinahe erneut gestürzt, als sie zu dem Wolfsdämon zurückeilte. Doch sie fing sich.

Wieder suchte sie seinen Puls. Keine Veränderung. Sheila hob den Schlauch an und leerte ihn über seinem Gesicht. Keine Reaktion. Verdammt, wie hatte sie auch glauben können, dass das half. Verzweifelt sah sie dem Wasser nach, das über den Felsenboden zurück in den See floss. Blau Blitze…..

Das war’s!!! Sie suchte in ihrem Inneren nach der Macht, die sich solange verborgen hatte und dann in einem Moment, in dem sie in Not war wieder aufgetaucht war. Sie brauchte jetzt ihre Hilfe.

Sheile legte die Hände in die Reste des Wassers. Das nannte man wohl eine mittelalterliche Art der Reanimation. Dann schossen die Blitze über das Wasser in Kasukes Körper. Sheila versuchte die Energie einigermaßen zu bündeln, damit sie ihn nicht grillte. Der Wolf öffnete sofort die Augen und keuchte.

„Kannst du mich hören?“, sie beugte sich über ihn, versuchte seinen Blick auf sie zu konzentrieren. Seine Augen folgten ihrer Stimme. Er wollte sprechen, aber seine Stimme versagte.

„Du musst versuchen, dich in einen Wolf zu verwandeln. Verstehst du?“

Kasuke blinzelte, sein Blick verschleierte sich und im nächsten Moment schmolz seine Gestalt auch schon und wurde zu dem schwarzen Wolf, den sie so gut kannte. Die Verletzung sah immer noch schlimm aus, aber wirkte weniger gefährlich. Kasuke versuchte sich knurrend aufzuraffen. Es schien, als wolle er zwischen Sheila und sich Abstand bringen.

„Bleib liegen!“, schimpfte sie, doch als sie ihn berühren wollte schnappte er nach ihr. Alle Angst um sein Leben war mit einem Mal verflogen. „Du sturer Mistkerl!“

Der Wolf fletschte die Zähne.

„Ich schwöre bei allen Mächten dieser Erde, dass ich dir nie wieder das Leben retten werde!“ Sie stand auf und ging zurück zum Lager. Es war an der Zeit, dass sie wieder ihre Kleider trug. Solange Kasuke verletzt war, konnte sie fliehen und diesmal würde sie nichts abhalten.

Ein Winseln ließ Sheila kurz zögern. Als sie sich umdrehte, sah sie wie der Wolf seinem Instinkt folgend an der Wunde leckte.

„Nein! Bist du verrückt geworden?“ Ohne sich der Gefahr weiter bewusst zu sein, die seine Nähe bedeutete, schlug sie ihm auf die Schnauze. „So wird es nur schlimmer.“ Sie durchsuchte seine Sachen und fand den Branntwein, mit dem er vor einigen Tagen versucht hatte ihren Schnitt am Hals zu reinigen. Sauberes Leinen jedoch hatte sie nicht. Sheila sah sich um. Ihre Kleider waren voll von dem Wasser des merkwürdigen Kristallsees, das war keine gute Alternative. Sie blickte an sich hinab. Nur die Decken blieben ihr.

„Dass ich so etwas für dich tu!“, seufzte sie.
 

Blitze zogen über dem Himmeln und das laute Grollen verriet Sandaru, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Wenn er die Spur nicht in wenigen Minuten wieder fand, würde er Sheila nie aufspüren können. Er bemerkte, dass die Fogal abzogen. Bei dem Wetter liefen sie Gefahr, von Blitzen getroffen zu werden.

„Wenn wir sie nicht bald finden, werde ich verrückt.“ Der Anführer der Felidae war aus dem Schatten der Bäume getreten und sah wie der Windkanter besorgt in die Lüfte.

„Kasuke scheint eine Möglichkeit zu kennen, sich hier in dieser Gegend zu verstecken!“, er blickte auf den Panter hinab. „Du hast wirklich keine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte?“

Der Panter fauchte wütend.

„Wenn ich es wüsste, würde ich mit Sicherheit nicht mit dir hier stehen, du ….“

Sandaru hatte sich jedoch bereits abgewandt. Er wusste, dass Sekura eine Abneigung gegen ihn hatte, aber dafür hatte er keine Zeit. Er sah noch einmal in den Himmel. Es war sogar zu spät.
 

Eine Stunde später trug sie das einzige einigermaßen trockene Kleidungsstück, ein dünnes Unterhemd, und hatte die Decken in Streifen gerissen. Mit einem Teil des Stoffes hatte sie die Wunde gereinigt und nur ihre bösen Blicke schienen den Wolf davon zu überzeugen, dass er sich besser nicht wehrte. Die Wunde heilte bereits leicht, also musste sie sich beeilen. War sie einmal geschlossen, konnte Sheila sie nicht mehr ordnungsgemäß reinigen. Dann nutze sie den Rest der Decke um ihn zu verbinden. Während der Behandlung hatte der Wolf hin und wieder gewinselt, doch ansonsten hatte er sich vorbildlich verhalten.

Kaum war sie fertig gewesen, hatte sie sich auch von ihm abgewandt. Sie wusste, dass es ihm widerstrebte ihr gegenüber hilflos zu sein, denn er robbte trotz größter Schmerzen ans Feuer heran, ohne sie um Hilfe zu bitten. Doch dann sackte er auch sofort wieder auf die Seite.

Sheila tat so, als habe sie es nicht bemerkt. Der in Vergessenheit geratene Fasan war mittlerweile mehr als nur gut durch und sie nahm ihm vom Feuer. Kasuke musste für den Heilungsprozess, der durch das hohe Tempo des Dämonenbluts sehr viel Energie kostete, viel fressen. Sie zerschnitt mit dem Kurzschwert etwas umständlich den trockenen Vogel und legte das Fleisch vor die Schnauze des Wolfs. Kasuke öffnete die Augen und wirkte einen Augenblick überrascht. Er ließ Sheila nicht aus den Augen, während sie ihm alles in kleinen Happen vorbereitete.

Erst als sie sich wieder gesetzt hatte, begann er zu fressen.

Sheila war auf einmal so unglaublich müde. Nicht nur, dass sie einen Teil ihrer Energie durch die Gegend geschossen hatte, auch ihr Angst Kasuke zu verlieren und die Anspannung zollten ihren Tribut. Sie rollte sich am Feuer zusammen, da sie nun auch dank der fehlenden Kleider fror.

Außerhalb des Berges donnerte es dumpf. Ein Gewitter! Jetzt würde sich die Suche nach ihr erst einmal verzögern.

Sheila blickte mit schweren Lidern in die Flammen.

Dabei hatte sie doch die Möglichkeit zu fliehen und trotzdem war sie noch hier. Sie hatte Angst Kasuke zu verlieren, dabei war er doch schon länger kein Teil mehr von ihr. Ihre Augen schlossen sich. Darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Nicht jetzt.
 

Träge beobachtete Kasuke die junge Frau, die ihm gegenüber am Feuer noch immer tief schlief. Das dünne, graue Hemd bedeckte Sheila kaum und er konnte sehen, dass sie fror. Ihr schwarzes Haar lag wirr um ihren Kopf herum und fiel ihr in Gesicht.

Sie hatte ihn verletzt, aber auch gerettet. Die Wunde heilte aus irgendeinem Grund rasend schnell, schneller als er es gewohnt war und er fragte sich, ob es an Sheilas Macht lag. Er hatte noch immer Schmerzen und er wusste, dass er momentan nicht weit kommen würde, aber er lebte.

Er robbte um das Feuer herum, damit er sie genauer betrachten konnte. Warum war sie nicht geflohen? Er hätte sie nicht aufgehalten, nicht hindern können. Seine Schnauze berührte ihr Haar. Sie war so unbeschreiblich traurig und das nur, weil er nicht mehr der war, den sie einst gekannt hatte. Auch Trauer war ihm kein Begriff. Doch er sah, dass Gefühle auch körperlicher Natur waren und er wusste was physische Schmerzen waren. Gerade jetzt war ihm das nur allzu deutlich.

War es dann so, dass Sheila die ganze Zeit Schmerzen litt? Als ob er ihr mit seiner Anwesenheit jede Minuten einen Dolch in ihr zartes Fleisch stieß.

Der Gedanke störte ihn. Er wollte sie nicht verletzten und auch nicht töten. Er war grob gewesen, dass wusste er, aber er hatte es ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass er ihr nichts antun würde.

Er legte den Kopf auf die Vorderpfoten und musterte Sheila lange.

Was war das mit ihr nur?



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Kommentare zu dieser Fanfic (198)
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Von: abgemeldet
2012-04-07T14:06:40+00:00 07.04.2012 16:06
Hallo : )
Tschuldige, dass ich das Kapitel erst jetzt gesehen habe... . Es ist wunderschön. Vielen Dank. Ich sitze hier mit Tränen in den Augen. Es ist so traurig, bei der Person zu sein, die man liebt, die das aber wiederum nicht erwidern kann ..

Wünsche Dir schöne Ostern, Mako
Von: abgemeldet
2012-02-27T21:32:27+00:00 27.02.2012 22:32
Was für ein schöne Kapitel =)
Ich hoffe, du bringst deine Geschichte so zu ende, wie es passt und dir gedacht ist.

Grüüüße, Mako
Von:  mitsuki11
2011-10-03T16:52:55+00:00 03.10.2011 18:52
Super Kapitel!!!

Ich hoffe sie schafft es ihn zurück zu bringen!!

LG Mina
Von: abgemeldet
2011-08-27T15:37:06+00:00 27.08.2011 17:37
Was für ein wunderschönes Kapitel :)
Einmal hast du einen falschen Artikel benutzt, glaube Seite 11 unterer Absatz, aber insgesamt wirklich fehlerfrei.

Und was mich wie damals schon immer faszinierte, war, dass man als Leser so hineingezogen wird in die Welt, die du aufgebaut hast. Man kann sich wundervoll alles vorstellen, das Gute wie das Böse. Auch sind die Emotionen sehr ergreifend.

Ich weiß nicht, wie du weiter geplant hast, aber dies fühlt sich wie das Ende an, auf das nur noch ein Epilog folgt. Möge es so sein, dann hoffe ich, dass du auch von dieser herrlichen Welt Abschied nehmen kannst
Von:  mitsuki11
2011-08-26T20:38:47+00:00 26.08.2011 22:38
Juhu du hast endlich weiter geschrieben!! Aber was ist mit Kasuke und Sekura? Aber ich denke mal wenn sie den Imperator heilen konnte, dann müssen die beiden auch zu schaffen sein!! Freue mich auf das nächste Kapitel!!

Lg Mina
Von: abgemeldet
2011-07-28T15:24:28+00:00 28.07.2011 17:24
Wirklich schön :)
so auf den ersten Blick entdecke ich keine Kommafehler oder ähnliches ;)

Ich hoffe, du schaffst das Durchhaltevermögen, dieser Geschichte ein Ende zu geben. Sie hat es verdient,

deine Makochou
Von:  x_BlackCat_x
2011-04-25T16:33:00+00:00 25.04.2011 18:33
ich liebe diese Storry. hab sie gestern gelesen die ganze nacht durch und ich bin hell begeistert! <3
Ich hoffe du schreibst bald bald weiter =D
ich werde dir eine treue leserin sein

lg Cat
Von:  Lillijana
2010-05-12T19:09:53+00:00 12.05.2010 21:09
Die Kapitel werden ja immer besser :-)
Ich freu mich schon tierisch auf das nächste Kapitel!

LG Lillijana
Von:  saku-alwi
2010-01-11T18:37:56+00:00 11.01.2010 19:37
Heeeeeeeeeey,
klasse kapi und hoffentlich folgt das nächste bald.

saku-alwi
Von:  mitsuki11
2010-01-10T18:18:44+00:00 10.01.2010 19:18
Wie immer ein super Kapitel!!

Mensch wie kannst du an einer solchen stelle nur aufhören?
Freue mich auf das nächste Kapitel!!!

Lg
Mina


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