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Oh du fröhliche

in Word fast 89 seiten :) viel spaß
von

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Kap. 1

Der Zug kroch nur noch. Natürlich wäre es verständlich gewesen, wenn sie

einen Berg hinauf gemusst hätten, aber sie waren in einem Tunnel, nicht mal

die leicht verschneite Umgebung konnte man hier mehr ansehen. Tore starrte

auf die Reflektion seines Gesichtes und grinste probehalber ein wenig,

richtete den Ring in der Augenbraue und fummelte an seinen Haaren herum. Er

sah so genervt aus, wie er sich fühlte.

Nichts gegen Christian. Nichts gegen die Vorstellung, sein Weihnachten doch

nicht in der Stadt, sondern in einem Dorf in Oberbayern, sehr angenehm in

der Nähe eines kleinen Skigebietes gelegen, und zudem mit einem

Studienfreund zu verbringen, nichts dagegen, aber er hatte was anderes

geplant, und das hätte er auch durchziehen sollen. Zudem nervte ihn das

stundenlange Sitzen in dieser Bummelbahn, die an jeder Milchkanne hielt.

Nachdenklich sah er sein eigenes, spitzes Gesicht an und richtete einige der

Haarspikes wieder auf, die dem superstarken Gel zum Trotz in seine Stirn

gefallen waren. Er warf Christian ihm gegenüber einen kleinen Blick zu. Der

war aber schon seit einer halben Stunde mit gerunzelter Stirn in sein Buch

vertieft.

Endgültig gegen seine Unruhe verlierend, sprang Tore auf und wollte gerade

aus dem Abteil laufen, als sie den Tunnel verließen und ihn gleißende Sonne,

von einer dicht verschneiten Wiese verstärkt, schmerzend blendete. "Na,

wenigstens das Board schleppe ich nicht umsonst mit." Zufrieden sah er zu

der sperrigen Snowboardtasche hin.

Christian schaute auf und lachte. "Hab ich dir doch gesagt. Da oben liegt

immer Schnee, manchmal mehr, als einem lieb sein kann. Schade, dass Lydia

nicht mitkommen konnte." Mit einem Gähnen legte er das Buch beiseite und

streckte sich. "Ich hoffe nur, dass Nathan pünktlich ist, um uns abzuholen.

Sonst wird das arg kalt. Die Wartehalle ist winzig, und ab und an fällt der

Strom dort aus."

Tore blickte vertrauensvoll zu seiner dicken Snowboardjacke, die über seiner

Tasche mit den überreichlich eingepackten Klamotten lag. Er machte nur ein

'Hm', während er in Gedanken einige Kreuze schlug, weil Lydia nicht dabei

war. Er hatte selten das Vergnügen mit der Flamme von Christians Herzen und

wollte diese Kontakte sicherlich auch nicht intensivieren. Wenn es nach

seiner sehr geheimen Meinung ging, dann nahm sie einen wirklich hübschen,

netten und engagierten Mann vom Markt. Einen Mann, für den er sich auch gern

in Reihe gestellt hätte, wenn... Tore biss die Zähne fester aufeinander.

Wenn da nicht all diese Probleme wären.

Zu seinem Glück kam der Ort recht bald schon in Sicht. Eingeschneite Häuser

mit hölzernen Balkonen, ein Kirchturm mit goldenem Wetterhahn. Dahinter

konnte man einen kleinen Blick auf einige Ankerlifte an Kinderhängen

erhaschen. "Na endlich! Ich kann auch nicht mehr länger sitzen bleiben!"

Übereifrig zerrte Tore seine Taschen von der Ablage herunter und ärgerte

sich wieder einmal, dass er so klein war und sich strecken musste. Hastig

zog er die weite, graue Cargohose wieder hoch und den grellorangefarbenen

Kapuzenpullover herunter.

Christian hatte weniger Probleme mit seinem Koffer, einem übergroßen

Exemplar mit grünblauen Schottenkaros, den er sich von seinen Eltern

geliehen hatte. Ohne sichtliche Anstrengung hob er ihn herab und ging zur

Tür.

"Der Schnee ist supertrocken, klasse zum Skifahren!", rief er begeistert,

als er nach draußen in die am Bahnsteig bereits ziemlich niedergetretene

Pracht sprang und sein Gepäck aus dem Zug wuchtete. Er stellte es aus dem

Weg und holte dann erst einmal einen Transportwagen. Suchend sah er sich um,

während er den Reißverschluss seiner dicken, blauen Daunenjacke schloss und

den ebenfalls blauen Schal einmal um den Hals wickelte. "Hm, Nathan ist noch

nicht zu sehen. Vielleicht steht er auch draußen."

In dem Moment schoss aus der Unterführung, durch die man den Ausgang

erreichen konnte, ein noch recht junger Golden Retriever. Bellend und vor

Begeisterung mit dem Schwanz wedelnd stürzte er zu Christian, der sich

lachend zu ihm hinunterbeugte, um ihn zu begrüßen und zu streicheln. Ein

scharfer Pfiff ertönte, und der Hund kehrte sofort wieder um und stürmte

dorthin zurück, wo er hergekommen war.

Mit einem breiten Grinsen richtete Christian sich wieder. "Das war Dunja,

die Herzensdame meines Bruders. Wir werden nicht warten müssen."

In dem Moment kam ein junger Mann in Jeans und einem dicken, olivgrünen

Parka die Treppen empor, dem man die Verwandtschaft mit Christian auf den

ersten Blick ansah. Ein wenig kleiner und mit strohblonden, verstrubbelten

Haaren statt Christians dunkelblonden hatte er jedoch das gleiche energische

Kinn und den gleichen geraden Mund, der zu einem fröhlichen Grinsen verzogen

war. Dunja trabte brav, aber noch immer wild wedelnd neben ihm her, als er

zu ihnen trat.

"Hallo, du alter Waldschrat! Schön, dich endlich mal wiederzusehen!"

Christian schloss seinen Bruder in eine herzliche Umarmung, und Nathan

erwiderte sie lachend. "Dito, Bücherwurm! Hast dich ja endlich aus deinen

verstaubten Unibibliotheken losreißen können. Ich dachte schon, sie hätten

angefangen, dich ebenfalls zu konservieren. Dann hätte deine Prinzessin

keine Freude mehr an dir gehabt."

Das trug ihm einen Knuff von Christian ein. "Besser, als im Wald Wurzeln zu

schlagen und dort zu bleiben, bis Moos auf der Westseite wächst. Oder war es

die Ostseite?"

Sie lachten, als sie sich voneinander trennten. Nathan wandte sich zu Tore

und hielt ihm noch immer grinsend die Hand hin. "Hallo."

Tore mochte es eigentlich immer, neue Leute zu treffen, aber dieses Mal war

er ein wenig nervös, weil es sich bei Nathan sehr offensichtlich um eine Art

Kompaktversion von Christian handelte. /Oh je. Gleich zwei von dieser

Sorte./ Er war ein wenig kleiner, ein wenig runder im Gesicht und deutlich

kräftiger gebaut, auch wenn er es schaffte, dabei nicht dick auszusehen.

Während die Brüder sich gutgelaunt irgendwelche Namen um die Ohren schlugen,

hockte er sich deswegen hin und streichelte die Hündin, in deren Brustfell

und Pfoten sich reichlich Schneeklumpen festgesetzt hatten.

Als er angesprochen wurde, erhob er sich hastig und nahm kurz die Hand.

"Hi." Sich nicht sicher, ob Christian ihn auch namentlich angekündigt hatte,

fügte er hinzu "Ich bin Tore." Rasch wendete er sich wieder von dem anderen

ab und hievte seine Tasche und die Snowboardtasche hoch.

Christian schob ihm den Transportwagen vor die Füße. "Du musst es dir nicht

schwerer machen als nötig, oder?"

"Was? Ne, das geht schon. Bei dem Schnee da vorn fahren die Dinger doch eh

nicht." Weil Christian den Wagen jedoch ohnehin zu schieben gedachte, und er

nicht unhöflich sein wollte, ließ Tore seine schwere Tasche neben den Koffer

fallen.

Nathan betrachtete den neusten Bekannten seines Bruders mit einer gewissen

Erleichterung. Er war nahezu immer der Meinung gewesen, dass Christian viel

zu gut aussehende Männer mit sich herumschleppte, ohne wirklich zu wissen,

was er da an seiner Seite hatte. Bereits als Teenager hatte er viel zu oft

dessen Freunde angehimmelt, ohne natürlich je eine Hoffnung auf mehr zu

haben, als dass es niemand bemerkte.

Zwar konnte man von Tore nicht sagen, dass er schlecht aussah, allein die

grauen Augen waren bemerkenswert, aber er hatte ihm mit je zwei Ringen in

den Ohren und dem einen in der Augenbraue schon mal deutlich zu viele

gepiercte Stellen. Dazu noch die spikigen Haare...

Nathan grinste leicht, als Dunja ihm mit dem Kopf gegen die Hand stieß, um

Aufmerksamkeit zu bekommen, und streichelte sie kurz. "Mädel, du kannst

nicht immer im Mittelpunkt stehen."

Wegen des Wagens mussten sie ein Stück weiter den Bahnsteig nach hinten

laufen, wo die Rampe zu finden war. Durch die zugige Unterführung ging es

direkt zu dem kleinen, zum Glück vom Schnee befreiten Parkplatz.

Nathan hatte einen großen, dunkelblauen Kombi, dessen Kofferraum für den

Hund zum Teil mit Decken ausgelegt und vom Rest des Wagens durch ein Gitter

abgetrennt war. Kaum hatte er die Klappe geöffnet, sprang Dunja auch schon

auf ihren Platz. Nathan befestigte den Koffer und die Taschen mit

Halteseilen, ehe er erst die Beifahrertür aufschloss und dann bei der

hinteren den Knopf hochzog, bevor er zur Fahrerseite ging.

"Die Zentralverriegelung hat zwei Wochen nach Kauf den Geist aufgegeben",

erklärte er auf einen fragenden Blick seines Bruders hin und zuckte mit den

Schultern. "Aber ansonsten läuft er brav. Mehr kann man von einem

Gebrauchten zu dem Preis kaum verlangen."

"Nee, echt nicht. Setz dich vor, Tore." Christian stieg bereits hinten ein

und schlug die Tür hinter sich zu.

Tore ließ sich seufzend in den Autositz fallen. Er hatte wirklich genug

gesessen, von dem Gedanken an eine weitere lange Autofahrt wurde ihm schon

ganz hampelig zu Mute. Aber da ihm nichts anderes übrig blieb, genoss er die

Aussicht auf die verschneiten Berghänge und das malerische Dorf.

"Echt hübsch hier." Er warf einen Seitenblick auf Nathan, der seine Jacke

öffnete. /Ja, nicht unhübsch. Schaut mir kräftig aus. Was arbeitet der noch

mal? Förster?/ Hastig wendete er den Blick wieder ab.

Nathan warf die Jacke nach hinten und zielgenau auf seinen Bruder, ehe er

unter Christians scherzhaftem Geschimpfe grinsend den Motor anließ und die

Heizung etwas höher drehte. "Besonders die Wälder abseits der

ausgetrampelten Touristenwege, die sind wirklich schön. Das solltest du dir

nicht entgehen lassen, wenn du dich auch nur den Hauch dafür interessierst."

Es überraschte ihn, dass Tore der ruhige Ort zu gefallen schien; er sah ihm

eher danach aus, als würde er sich nur in großen Menschenmengen und mit

lauter Musik wohlfühlen.

Tore nickte und warf einige Blicke umher. Er mochte die Stadt, das Summen

der Menschen, das Leben, und er mochte die städtischen Sportarten, vor

allem, wenn sie riskant waren. Mit Rollerblades oder dem Skateboard über

Parkbänke springen oder mit dem Mountainbike in U-Bahnschächten die Treppen

hinauf und hinab brettern. Aber zugleich konnte er Zuhause bei seinem Vater

auch stundenlang durch die Wälder streifen, und seine letzten drei Praktika

hatte er in Zeltcamps mit Überlebenstraining verbracht.

"Ich mag die Wälder, war aber noch nicht in einem Bergwald. Dafür ist es im

Winter auch ungeeignet, nicht wahr?" Munter machte er schon seine Pläne für

ein Schlittenrennen, als er einige der Rodelbahnen am Ortsausgang entdeckte.

Er grinste, als sich auf der Wiese zwei Schlitten nach rasantem Rennen

überschlugen und die zum Glück lachenden Kinder im Schnee herumkullerten.

"Cool! Rodeln gehen können wir auch, oder, Chris?"

"Auf jeden Fall! Oma hat die alten Schlitten mit Sicherheit noch im Keller

stehen. Ich muss wohl nur die Kufen entrosten."

Der Weg zu seinen Großeltern, die Nathan wesentlich öfter als seine Eltern

besuchte, war nicht allzu weit. Nach einer halben Stunde parkte er seinen

Wagen in die Einfahrt vor der Garage, in der leider nur Platz für ein Auto

war. Das große Zweifamilienhaus, das sich die alten Leute mit einer Familie

mit drei Kindern teilten, war weiß gestrichen und leuchtete mit dem Schnee

im Sonnenlicht um die Wette. Von dem Garten, der es umgab, war im Moment

nicht viel mehr als einige kahle Obstbäume, ebenso kahle Hecken und ein

freigeschaufelter Weg vom höher gelegenen Teil zur Garage hin zu sehen, den

gerade eine alte, zierliche Frau vorsichtig hinabkam. Sie hatte sich eine

braune Strickjacke übergeworfen und hielt sie vorne mit einer runzligen Hand

zu. Ihr rundes, faltiges Gesichtchen strahlte vor Freude, als Christian und

Nathan ausstiegen.

"Oma!" Christian lief ihr entgegen, umarmte sie und hob sie hoch, um sie

einmal im Kreis zu drehen, was ihr einen kleinen, halb erschrockenen Schrei

entlockte. "Lass mich runter, du verrückter Junge! Ist das schön, dass ihr

endlich da seid."

Christian tat ihr den Gefallen und ließ sie wieder gehen, sein Arm ruhte

jedoch weiterhin auf ihrer Schulter, bis sie den Rest des Weges zur Garage

gegangen waren. "Oma, das ist Tore. Tore, meine Oma."

Mit einem fröhlichen Lächeln hielt die alte Frau Tore die Hand hin. "Guten

Tag, junger Mann."

Tore hatte derweilen bereits seine Taschen aus dem Wagen gehoben, von dem

bellenden Hund umwuselt. Er wischte sich schnell noch einmal die Hand ab,

dann drückte er die Finger der Oma ein wenig und lächelte, so wohlerzogen er

konnte. "Hallo. Danke, dass ich hier sein darf."

"Ach, Horst, das ist mein Mann, und mich freut das, wenn die Kinder Freunde

mitbringen. Dann ist wieder ein wenig Leben im Haus." Sie zupfte an ihrem

weißen Dutt, dann zog sie fröstelnd die Jacke zurecht. "Lasst uns reingehen,

Kinder. Es ist eisig draußen."

Nathan war mit Christians Koffer und mit der fröhlich um ihn herum

springenden Dunja bereits vorweg gestapft, was Christian ein Grinsen

entlockte. "Manchmal sind kleine Brüder überaus praktisch, besonders, wenn

sie ein Auto und zu viel Energie haben."

Sie folgten ihm nach drinnen, wo ein alter Mann mit ausladendem Schnurbart

und grauem Haar schon auf sie wartete. Christian umarmte ihn ebenso herzlich

wie seine Großmutter, hob ihn jedoch nicht hoch. Noch einmal wiederholte

sich die Prozedur des Vorstellens.

"Ich bin noch nicht mit dem Kochen fertig, es ist ja auch noch früh." Die

alte Frau hängte ihre Strickjacke in eine von einer dunkelblauen Gardine

verborgene Garderobe, ehe sie in ihre Fellhausschuhe schlüpfte. "Wie wäre

es, ihr richtet euch ein und schaut euch dann noch mal ein wenig die

Umgebung an? Die Zugfahrt war mit Sicherheit auch lang genug, dass ihr euch

ein wenig bewegen wollt."

Kap.2

Christian grinste Tore an, als sie, nachdem sie ihn noch einmal umarmt

hatte, mit seinem Großvater im wahrscheinlich überheizten Wohnzimmer, durch

das man zur Küche gelangte, verschwand. "So, wie ich dich kenne, hat sie da

den Nagel auf den Kopf getroffen. Ein Wunder, dass du die Autofahrt noch

überlebt hast. Komm."

Das Zimmer, in das er Tore über eine Wendeltreppe nach oben brachte, war

nicht besonders groß und recht dunkel, dafür aber viel zu warm. Der

hellbraun gefleckte Teppich war vom Alter ausgetreten, aber sauber. Ein

Schrank aus dunklem Holz stand links der Tür, daneben eine Kommode. An der

Wand über dem großen, weißbezogenen Bett hing die gerahmte Kohlezeichnung

eines alten Fachwerkhauses. Schwere, braune Vorhänge, die mehr dem Schmuck

als einem anderen Zweck dienten, reichten bis fast auf den Boden.

"Uh, Oma hat wieder übertrieben. Schön kuschelig warm hier." Christian

lachte. "Richte dich ein, ich bin direkt nebenan. Das Bad gegenüber steht zu

deiner freien Verfügung und ist an dem netten, pausbäckigen Jungen mit dem

Pinkeltopf auf der Tür zu erkennen. Komm einfach rüber, wenn du fertig bist,

dann können wir wirklich noch mal raus."

Tore riss erst einmal das kleine Fenster auf und regelte die Heizung auf ein

Minimum. So wie die Daunenbetten aussahen, würde er sicherlich auch auf dem

Schnee noch warm darunter schlafen können. Als nächstes warf er ein T-Shirt

und eine weite, lange Hose auf das Bett und räumte Pullis und Hosen in die

Fächer des Schrankes, bevor er seine Skihose aufhängte und die warme

Unterwäsche in der Kommode verschwinden ließ.

Mit einem missmutigen Gesichtsausdruck versteckte er die Kondomschachtel aus

der Waschtasche unter seinen Socken in der zweiten Schublade. Er hatte doch

eigentlich etwas ganz anderes vorgehabt. Seufzend brachte er seinen

Kulturbeutel im braun gekachelten Bad unter, wo er sich gleich ein wenig um

seine Frisur kümmerte. Mit etwas Wasser und Energie befreite er die Haare

von dem meisten Gel und versteckte sie dann unter einem rot-grün kariertem

Tuch, das er im Nacken fest zuknotete.

Dann kehrte er noch einmal ins Zimmer zurück und leerte zwei Bücher über

Jugendpsychologie, einen Block und Stifte auf den Fußboden neben das Bett.

Lächelnd setzte er als letztes einen abgegriffenen, weichen Stofftroll mit

rotem T-Shirt und violetten Wuschelhaaren zu den Schlafsachen auf das Bett.

Er erinnerte sich, wie einer seiner Schützlinge auf dem ersten Jugendcamp

ihn in seine Tasche geschmuggelt hatte. Der Troll war von dessen Mutter

handgenäht, das hatte Tore einmal erfahren, als er ihn bewundert hatte, um

zu verhindern, dass andere Jungs sich lustig machten.

Als Tore entsetzt darüber sogar zu dem Wohnhaus des Jungen gefahren war, um

den Troll zurückzugeben, hatte die Mutter des Jungen schlicht gesagt, dass

ihr Sohn den Troll gegen seine Angst vor dem Dunkeln gehabt hatte und sehr

offensichtlich keine Angst mehr habe.

"Behalten sie ihn für den nächsten Jungen, der sich im Dunkeln fürchtet",

hatte sie gesagt und Tore wusste, dass der Junge und vielleicht auch sie

bereits wussten, dass er ihn selber würde brauchen können, mehr als jeder

andere. Nur, dass das Dunkel, vor dem er sich fürchtete, nicht außerhalb

lag, sondern in ihm.

Hastig wendete er sich ab und nahm seine Handschuhe und die dicke Jacke auf,

um damit zu Christian nach nebenan zu gehen, so dass sie sich die Umgebung

ansehen konnte. Er brannte darauf, sich auszutoben.

Auch in Christians Zimmer stand das Fenster sperrangelweit offen, was zur

Folge hatte, dass sich die Temperatur langsam einem normalen Maß näherte.

Christian warf gerade seinen leeren Koffer auf den Schrank aus hellem

Birkenholz, während Nathan, der auf dem Bett saß, mit einer Hand seinen Hund

streichelte.

Er grinste Tore an, als dieser reinkam, registrierte das rot-grünkarierte

Tuch und befand im Stillen, dass es ihm wesentlich besser stand als die

Spikes, nicht, dass er ihm das jemals sagen würde. "Gar gekocht? Ich hatte

die Heizung runtergedreht, bevor ich gefahren bin, um euch zu holen. Aber

Oma scheint gedacht zu haben, ihr werdet erfroren sein, nach der langen Zug-

und dann noch einer Autofahrt."

"Das liegt nur daran, weil sie selber so leicht friert." Christian streckte

sich mit einem Gähnen. "Ich empfehle dir, ein T-Shirt anzuziehen, wenn wir

essen nachher. Das Wohnzimmer kocht genauso. Bist du fertig?"

Tore nickte nur und lockte die hechelnde Hündin zu sich. Grinsend strich er

ihr die Ohren platt an den Kopf und stellte fest, dass Hunde alle gleich

waren. Sie schloss die Augen und leckte ihm einmal durchs Gesicht. Das Licht

draußen wurde gerade leider trüber, und so sprang er gleich wieder auf und

ging aus dem Zimmer. "Dann mal los, bevor es wieder schneit, schaut mir ganz

danach aus."

"Ich mag Schnee auch dann, wenn er noch fällt." Christian grinste, griff

nach seiner blauen Jacke und folgte Tore. Fast zwei Stunden stapften sie

durch das verschneite Dorf, lieferten sich eine wilde Schneeballschlacht,

die nach kurzem Waffenstillstand in eine zweite überging, diskutierten

Professoren und Seminare durch und kamen schließlich ein wenig aufgeweicht

und mit roten Wangen wieder zurück.
 

Tore fühlte sich zwar ein wenig verfroren und kaum, dass sie den deutlich

wärmeren Flur wieder betraten, auch noch rotgesichtig, aber sein Körper

bedankte sich für die Bewegung und die frische Luft. Im Hausflur schlug

ihnen gleich der Duft von Suppe entgegen, und dies erinnerte Tore daran,

dass sein Magen auch nicht gerade verwöhnt worden war. Doch zunächst mussten

Christian und er aus den Sachen, auch wenn die kleine Oma schon aus der

Küchentür geschossen kam und sie für ihre Pünktlichkeit zum Essen lobte.

Schnell rannte Tore hinter Christian die Treppen zu dem kleinen Zimmerchen

hoch und zerrte sich die Kleidung vom Körper, um sie über einen Stuhl zu

hängen, den er vor die nun angenehm warme Heizung stellte.

Nur noch mit seiner roten, engen Lieblingsshorts und einem orangefarbenes

T-Shirt bekleidet stand er vor dem Schrank und überlegte, welche Hose er

anziehen sollte, als die Oma von unten her rief, dass das Essen auf dem

Tisch stände und sie sich die Hände waschen sollten. /Wie bei meiner Oma.

Wasch dir die Hände, kämm dir die Haare. Wie sieht du nur aus, Junge! Hast

du kein ordentliches Oberhemd für den Sonntag?/

Er grinste und strich das Hemd entlang. /Ordentliches Oberhemd und

ordentliche Hose, check. Immerhin werden die mit Sicherheit zur Kirche

gehen, und da muss ich mit./

Sein Hunger und die gebührende Höflichkeit trieben ihn dann jedoch an.

Hastig zog er sich seine olivegrüne Cargohose mit reichlich Taschen an den

unmöglichsten Orten an, zurrte sie recht niedrig mit einem Gürtel auf seinen

schmalen Hüften fest und stürmte dann sogar vor Christian noch die Stiege

hinunter, um zu sehen, ob er vielleicht den Tisch decken helfen konnte.

Nathan verteilte gerade Besteck neben Tellern mit blauem Zwiebelmuster, als

die Tür geöffnet wurde und jemand mit einem angenehm kühlen Windhauch in den

Raum kam. Dunja bellte einmal kurz zur Begrüßung, was Nathan den Kopf heben

ließ. Einen kurzen Moment lang schaute er Tore an, um sich dann wieder den

Löffeln und Gabeln zu widmen.

/Fehler in der ersten Einschätzung/, dachte er bei sich und seufzte lautlos.

Mit den von frischer Luft und Kälte geröteten Wangen und dem kleinen

Grinsen, das seinen etwas schmolligen Mund umspielte, sah Tore trotz der

Piercings wirklich gut aus. Nathan korrigierte seine Liste der attraktiven

Männer, die Christian magisch anzog, um eins nach oben.

"Kann ich helfen, oder bin ich schon zu spät?" Unsicher streifte Tore den

Wohnraum mit einem Blick und bemerkte mit einem kleinen Lächeln, dass sich

eine Katze faul vor dem Kachelofen ausstreckte.

"Du kannst noch Gläser holen, wenn du magst." Nathan wies auf einen Schrank

in der Ecke, über dem eine große Uhr hing. "Oma trinkt Wasser; Chris, Opa

und ich werden uns wohl am Bier festhalten. Magst du auch eins?"

Tore überlegte einen Moment lang, dann nickte er und ging zu dem Schrank, um

die Gläser vor den Tellern zu verteilen. Der Großvater kam zugleich mit

Christian in den Raum und setzte die Suppenterrine in der Mitte ab. Seine

Frau stellte einen Brotkorb dazu und zeigte Tore, auf welchem Platz er

sitzen würde. Neben Chris und Nathan gegenüber.

Sie beteten kurz und routiniert, dann wurde eine Weile lang schweigend

gegessen, bis die Großmutter mit den Fragen begann. Chris musste vom Studium

erzählen und von seiner freundlichen Freundin; und Tore musste eine Reihe

Fragen beantworten. Er musste noch einmal berichten, wie es dazu gekommen

war, dass er weder bei seinem Vater, noch seiner Mutter, beide geschieden

und neu liiert, das Fest verbringen würde.

Er hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber schob die Schuld dennoch voll

auf seine Eltern, indem er knapp erzählte, dass diese sich nicht

abgesprochen hatten und jeder ihren Sohn beim anderen vermutete. Um von sich

abzulenken, lobte er erst das Essen und fragte dann nach den lokalen

Bräuchen zum Weihnachtsfest.

Nathan sprach fast gar nicht, sah jedoch immer wieder zu Tore hin und nutzte

die Gelegenheit, als dieser die zahllosen Fragen beantworten musste, um ihn

aufmerksamer zu betrachten. Tores Gesicht war eine Mischung aus weich und

eckig, was ihn faszinierte und den anderen Mann interessanter machte, als es

klassische Schönheit bewirkt hätte. Das kleine, spitze Kinn stand in

Kontrast zu seinen weichen Lippen, die grauen Augen, von geschwungenen

Wimpern umrahmt, und die bogenförmigen Brauen zu den Wangenknochen und der

schmalen Nase. Blonde Haare suchten sich ihren Weg an den Ohren - trotz der

Ringe sehr hübschen Ohren - unter dem Tuch hervor, das er nach wie vor trug.

Kap. 3

Tore hatte eine wirklich niedliche Art, die Lippen zu verziehen, wenn er ein

wenig unsicher grinste; eine Art, die bei Nathan prompt den Wunsch

hervorrief, sie zu küssen und an der schmolligen Unterlippe zu knabbern.

Doch er verbot sich den Gedanken sofort, kaum dass er gekommen war.

/Niemals, niemals, niemals versuchst du dein Glück bei den Freunden deines

Bruders/, sagte er sich stumm den Vorsatz vor, den er sich schon vor Jahren

auferlegt hatte. Weder hatte er Lust auf Ärger mit Christian, noch darauf,

dass dessen Freunde diesem Ärger machten, weil er einen schwulen Bruder

hatte, noch wollte er sich hoffnungslos in einen Hetero zu verlieben.

Tore bemerkte verwirrt, dass Nathan ihn gemustert hatte. Sein

Gesichtsausdruck dabei wirkte, als ob er etwas sagen wollte und lediglich

keine Chance dazu bekam. Fragend hob Tore den Kopf ein wenig mehr und sah

ihn an, um ihn vielleicht dadurch zum Sprechen zu bringen.

Nathan erwiderte den Blick, nur um festzustellen, dass er die grauen Augen

in direktem Kontakt noch viel aufregender fand. Er lächelte in dem Moment,

in dem er erwartete, dass der andere ihn fragen würde, warum er starrte,

wies dann mit einer kleinen Kopfbewegung auf Tores nahezu leeres Bierglas.

"Ich hole gleich noch ein paar Flaschen aus dem Keller, im Kühlschrank ist

nichts mehr. Magst du was Spezielles? Ich habe gestern noch zwei Kästen

gekauft. Wir haben Pils, Weizen, Dunkles und ein paar Flaschen

Alkoholfreies."

Tore blinzelte einmal. /Starrt er mich an? Das war Starren; das war in die

Augen starren./ Er fing sich dann jedoch gleich wieder und legte den Kopf

schief. /Wie sehr in die Augen starren war das?/ "Ich... komme eben mit,

dann kann ich selber sehen, und wir können den Kühlschrank auffüllen."

Energiegeladen sprang er auf und legte die Serviette neben seinen ohnehin

schon leeren Teller. "Wo geht's lang?"

Die Reaktion überraschte Nathan, doch er ließ es sich nicht anmerken.

Stattdessen beugte er sich zu seiner Großmutter, der er ansehen konnte, dass

sie es nicht mochte, dass sie aufstanden, und küsste sie auf die Wange. "Wir

sind gleich wieder da, Ömchen." Es war unfair von ihm, denn er wusste, dass

sie dem nicht widerstehen konnte, aber das störte ihn im Moment nicht.

"Chris, Weizen? Opa, ein Pils, oder?" Als die beiden nickten, erhob er sich

ebenfalls und nickte Tore zu. "Na, dann komm. Nein, Dunja, du bleibst hier",

fügte er gleich darauf an, als er sah, wie sich sein Hund hoffnungsvoll in

seiner Ecke aufrichtete, nur um dann mit einem Seufzen wieder in sich

zusammenzusinken. Er grinste, als sie das Wohnzimmer verließen und er die

Tür hinter ihnen schloss, damit die Wärme nicht entweichen konnte. "Sie

denkt immer gleich, es geht spazieren."

Tore streckte sich, um mit den Fingern an einen Querbalken zu kommen. "Och,

ich würde gleich mit ihr gehen, holt sie Stöckchen?"

"Liebend gerne. Ausdauernder, als du es dir vorstellen kannst." Nathan

beobachtete Tore aus den Augenwinkeln, als sie gemeinsam zur Treppe liefen,

ehe er dann vorging. Die ausgebeulte Hose und das weite T-Shirt ließen

ohnehin keinen guten Blick auf... /Nathan!/

"Ich gehe nachher ohnehin noch mal mit ihr. Kannst gerne mitkommen, wenn du

magst." Er öffnete die schwere Kellertür und schaltete das Licht an. Durch

den Waschkeller, in dem Waschmaschine und Trockner standen, führte er ihn

weiter nach hinten, in den nächsten Raum, dessen Wände mit Regalen voller

Vorräte verstellt waren.

Tore sah sich einmal kurz um. Wie bei seinen Großeltern. Ein Gewusel

nützlicher und einfach nur so aufbewahrter Dinge tummelte sich ordentlich in

Holzregalen an frisch geweißten Wänden. Direkt neben dem Eingang standen die

Bierkästen. "Ich komme gern mit. Diese lange Zugfahrt hat mich ganz hibbelig

gemacht."

Im Geiste notierte Nathan sich, dass er hier mal ausmisten musste, bevor er

abfuhr. "Magst du Hunde?"

Tore lud sich von den Weizenbierflaschen einige auf den Arm und balancierte

noch zwei Flaschen Dunkles dazu. "Mein Vater geht gern jagen, er hat zwei

Weimaraner."

Mit ihrer Ladung gingen sie wieder zu den anderen zurück, wo Tore

feststellte, dass die Großmutter auch in einer weiteren Sache seiner eigenen

Oma glich. Sein Teller war ungefragt noch einmal mit der leckeren Suppe

gefüllt worden. Grinsend nahm er wieder Platz und aß zuende, die

Unterhaltung war durch den Bierausflug zu anderen Themen gewechselt.

Nach dem Essen und Tischabräumen saßen sie gemeinsam mit den Großeltern im

Wohnzimmer, um weitere Fragen zu beantworten, die sich neben dem Studium

natürlich auch um die liebe Verwandtschaft drehten. Nach zwanzig Minuten und

ein paar Blicken zu Tore hin beschloss Nathan, ihn sowohl von den für ihn

vollkommen uninteressanten Themen, wie auch vom ruhigen Sitzen zu erlösen.

Innerlich schmunzelte er in sich hinein. /Ein Energiepotential scheint der

Mann zu haben, das ist unglaublich. Wirkt manchmal wie ein Kind damit./

Er stand auf, was die Hündin in ihrer Ecke hoffnungsvoll den Kopf heben

ließ. "Ich geh noch mit Dunja raus", verkündete er, und allein der Klang des

Namens ließ Dunja fröhlich aufspringen und schon mal zur Tür vorlaufen.

"Tore, willst du noch immer mit? Oder doch lieber verdauen."

"Bin gleich wieder unten, Nathan." Im Geiste notierte Tore sich als erstes

die Frage, wie man den Namen leichter auszusprechen machen konnte. Schon

wenige Minuten später gingen sie mit der bellenden und um sie herspringenden

Hündin in Richtung des nahen Waldstückes vom Haus davon. Christian hatte

nicht mitkommen wollen, sondern sich mit einem Buch auf die dicke Couch zu

der ebenso dicken Katze gelegt.

"Und da soll man ihn etwas anderes als Bücherwurm nennen." Nathan grinste

und schob die Hände tiefer in die Taschen seines dicken Parkas. Immerhin

hatte Christian die Großer-Bruder-Allüren aufgegeben, dass man kleinere

Brüder nicht mit den Freunden weggehen lassen konnte, da kleine Brüder

ohnehin nur nervten. Seitdem sie nicht mehr zusammen wohnten, kamen sie

ohnehin viel besser miteinander aus. "Was studierst du? Auch Soziologie und

Pädagogik wie Chris?"

Tore nickte erst, dann schüttelte er leicht den Kopf. "Ich studiere

Erlebnispädagogik und werde im nächsten Semester noch Psychologie dazu

nehmen. Jugendpsychologie, wenn ich endlich einen Platz bekomme." Er warf

seinem Versprechen folgend schon zum vierten Mal einen knorrigen Ast, damit

die eifrige Hündin ihn zu ihm zurückbringen konnte.

"Das ist ein wenig anders. Man kümmert sich darum, wie Freizeitheime oder

diese Manager-Testzentren aufgebaut und geführt werden sollen. Ich hab

bislang immer am liebsten mit Kindern gearbeitet, auf Überlebenscamps oder

Wandertouren." Er warf einen Seitenblick auf Nathan. "Was machst du noch

mal? Ich weiß gar nicht, ob Chris es erzählt hat." /Er ist nett... netter

als Chris sogar noch, und das ist schwer./

Nathan lachte. "Wenn mein Bruder was davon erzählt hat, dann

höchstwahrscheinlich mit dieser 'Wie kann man nur so viel Grünzeug

mögen'-Miene. Ich bin Landschaftsgärtner. Das heißt, wir machen so etwas wie

Straßenrandbegrünung, Parkanlagen pflegen et cetera. Ich liebe den Job. Und

er hat den Vorteil, dass ich Dunja fast immer dabei haben kann." Er warf

seiner Hündin einen liebevollen Blick zu. "Kleiner Racker. Seitdem muss ich

morgens nicht mehr alleine Joggen."

"Klingt auch nicht schlecht, der Job." Tore streckte sich und gähnte

verhalten. Das andere Klima nahm ihn doch ein wenig mit. "Aber da würden mir

die kreischenden, nervtötenden Kinder fehlen. Ich weiß, ich bin verrückt,

brauchste nicht noch sagen." Er grinste frech und hob dann den Kopf, als er

eben genau das hörte. Kreischende, lärmende Kinder beim Spielen.

Als sie um eine Kurve bogen, gelangten sie zu einem See, auf dem etliche

Kinder und Jugendliche Schlittschuh liefen oder sich bei einem kleinen

Hockeyspiel austobten. Er deutete zum See hin. "Siehste? So was. Hey, kann

man hier irgendwo Schlittschuhe leihen? Mist, hab meine natürlich nicht mit.

Hm, aber vielleicht..." Im Geiste planend lief Tore auf eine Gruppe Kids zu.
 

Es kostete ihn nur wenig Verhandlungen. Mit einem Augenbrauenpiercing war

man zur Zeit ziemlich hipp, sehr offensichtlich auch auf dem Dorf. Nur wenig

später hatte Tore einen der durchgefrorenen Jungs überredet, ihm das Paar

Schlittschuhe für die Zeit eines Hockeyspiels zu leihen. "Wenn du schon

zurückgehen willst, ich finde den Weg, Nat!" Prüfend schlug Tore mit dem

Hockeystock auf das Eis, dann zischte er los, zu den anderen. Herrlich.

Bewegung, austoben, ein schneller Sport, der seine Konzentration verlangte,

so dass er sich nicht zu fragen begann, wie attraktiv Nathan noch werden

musste, damit er ihn anbaggerte.

"Nat? Nat klingt ziemlich bescheuert", erklärte Nathan Dunja grinsend,

während er die Hündin davon abhielt, Tore begeistert zu folgen. "Nee, nee,

Mädel, da schlitterst du mir noch in einen Hockeyschläger. Außerdem kannst

du auf dem Eis kaum laufen. Aber andererseits..." Er hockte neben ihr nieder

und legte einen Arm um den warmen, schlanken Körper. "Wenn er das sagt, ist

es irgendwie... niedlich."

Gedankenverloren streichelte er Dunjas Brustfell, während er Tore mit den

Blicken verfolgte, wie er über das Eis fegte, auch nicht größer als viele

der Kinder, geschmeidig und wendig. /Ich wette, er hat kein Gramm Fett zu

viel./ Ärgerlich ertappte er sich dabei, wie er begann, sich den nackten

Körper auszumalen, ein wenig sehnig, sehr schlank, wenn man nach den

schmalen Handgelenken ging und dem, was man durch die weite Kleidung erahnen

konnte. /Wenn er behaart ist, dann nicht allzu viel. - Nathan! Hör auf!/

Doch er erinnerte sich an den Blick beim Essen zurück, die Art, wie Tore den

Kopf schief gelegt hatte. /Was wäre, wenn in all den Jahren mein holder

Bruder mal nicht an einen Hetero-Kumpel geraten wäre?/

Das Was-wäre begann sich festzusetzen, während er dem Wirbelwind auf dem

zugefrorenen See zusah. /Keine Freunde deines Bruders! Aber wenn... was

wäre, wenn er... Nur, weil er ein Freund von Chris ist, heißt es ja nicht,

dass ich... Was wäre, wenn Tore quasi meine Lydia wäre? Da könnte er nichts

dagegen sagen. Und wenn.../ Unwillkürlich musste er lachen. "Dunja, gerade

werde ich sehr albern." Dennoch konnte er sich nicht von dem Anblick lösen

und weitergehen. Und nicht einmal er glaubte sich die Ausrede, dass es

unhöflich wäre, einen Gast allein zu lassen.

Verwundert sah Tore, dass Nathan es doch tatsächlich ausgehalten hatte, die

halbe Stunde, zwei Spielzeiten, am Rand des Sees zu warten. Er winkte und

lachte ihn fröhlich an, während er Verabredungen mit den Kids für den

nächsten Tag abwehrte, weil er nicht wusste, was Chris geplant hatte.

Rasch gab er die geliehenen Schlittschuhe zurück und zog seine kalten Schuhe

wieder an, um zu Nathan zu laufen. "Whoohoo, wir haben gesiegt. Ha!" Er

hüpfte einmal. "Danke, dass du gewartet hast." /Hat er meinetwegen gewartet

oder aus Höflichkeit? Hat er mich beobachtet? Vorhin schien es mir so. Er

starrt mich an, beobachtet mich. Hm. Das kann ich auch. Er ist ja auch gut

anzustarren... netter Körper, trotz der schrecklichen Hose./ Mit

schiefgelegtem Kopf sah Tore zu Nathan auf und fragte "Sind deine Großeltern

eigentlich auch so Leute, die viel vom Kaffeetrinken und Kuchenessen

halten?" /Oh, Apfelstrudel mit Vanillesoße, ich würde sterben dafür!/

"So viel, dass du binnen drei Tagen kugelrund bist, wenn du alles isst, was

meine Oma dir auf den Teller legen will. Pflaumenkuchen hat sie für heute

geplant, wenn ich mich nicht irre." Nathan grinste, spürte noch das kleine,

nicht wirklich willkommene Kribbeln im Magen, weil Tore ihm zugewinkt hatte,

während gleichzeitig ein neues erwachte, da er mit schiefgelegtem Kopf

einfach niedlich aussah. Er pfiff nach Dunja, die abseits an ein paar Bäumen

schnupperte, um ihr zu sagen, dass sie weiter gingen und sah Tore noch

einmal kurz direkt in die grauen Augen. "Du läufst gut."

Tore grinste nur und beschloss, dass sie flirteten. Definitiv. Der Weg zum

Haus zurück wurde ihnen kurz, weil sie es über das Schlittschuhlaufen

irgendwie geschafft hatten, das Gespräch auf Sommerurlaube zu bringen und

sich gegenseitig die netten Wanderwege erzählten, auf denen man sich

herrlich austoben konnte, auf denen wunderbare kleine Hütten lagen, vor

denen man am Abend sitzen und den Tieren zusehen konnte.

Das Kaffeetrinken über redeten Tore und Christian über die nächsten

Projekte. Nathan schwieg dazu nur, was sollte er auch groß erzählen. Doch

Tore hatte nicht den Eindruck, dass es ihn störte. Vielmehr schien es Nathan

und auch ihm selber nur um so mehr Gelegenheiten zu diesen Blicken zu geben,

eine Spur zu direkt, aber dennoch nicht direkt genug, um aufzufallen.

Sie gingen nach dem Kaffee dazu über, Monopoly zu spielen, was Tore eher

langweilte und dazu brachte, seine Müdigkeit von dem Tag im Schnee zu

bemerken. Und so verabschiedete er sich an dem Abend recht bald nach dem

Abendbrot, nachdem sie besprochen hatten, was sie am nächsten Tag, dem Tag

vor Weihnachten, alles machen wollten.

"Shoppen gehen, dann mit der Gondel auf den Berg und rodeln, dann zu euren

Freunden und mit denen noch in die Disco", zählte Tore gähnend auf. "Ich

glaub, dafür werde ich meinen Schlaf brauchen. Gute Nacht zusammen." Er

gönnte sich noch einen Blick in Nathans Gesicht und befand, dass es ihm

wirklich gut gefiel, vor allen Dingen, wenn dieses kleine Halblächeln darin

stand. "Bis morgen früh. Weckt mich wer?", fragte er schon eine Spur zu

direkt an Nathan gerichtet, aber bekam von Chris eine entsprechende Zusage.

Sehr zufrieden kuschelte Tore sich in das Bett, den Troll neben sich und

sein Psychologiebuch vor der Nase. Er schlief allerdings ein, bevor er das

Licht ausschalten konnte.
 

Nathan verabschiedete sich knapp eine Stunde später. Seine Großeltern ließen

sich von Christian alles über Lydia erzählen, ob sie nicht endlich

Heiratspläne hatten, wie es bei dem letzten Besuch bei ihren Eltern gewesen

war, und, und, und. Er hatte keine Lust auf die fünfhundertste

Lydia-Geschichte, auch wenn er es nachvollziehen konnte. Denn es war sehr

wahrscheinlich, dass Christian der einzige der Familie war, der Nachkommen

in die Welt setzen würde.

Zwar hatte er mit seinen Großeltern nie darüber gesprochen, aber er

vermutete, dass sie im Gegensatz zu seinen Eltern ahnten, dass er schwul

war. Sie würden deswegen mit ihm aber nicht den Kontakt abbrechen, wie er es

von seinen eigenen Eltern vermutete. Immerhin hatten diese, als sie von der

Homosexualität seines Onkels erfahren hatten, diesen für nicht mehr zur

Familie gehörig erklärt.

Mit ausdruckslosem Gesicht erinnerte Nathan sich an die bösen Worte, die

sowohl sein Vater wie auch seine Mutter für den Weg seines Onkels übrig

gehabt hatten, an die religiösen Begründungen, die sie aufgezählt hatten.

Nur wenig später hatte er herausgefunden, dass er selber schwul war und nur

noch das Ziel gehabt, so schnell wie möglich auszuziehen. Statt des von ihm

erwarteten Abiturs hatte er die mittlere Reife gemacht, dann die Ausbildung,

und direkt nach seinem Wehrdienst war er vollkommen ausgezogen. Er hatte es

nicht bereut.

Langsam stieg er die Treppe hoch, in Gedanken noch immer bei den

unerfreulichen Wochen, die dem Outing seines Onkels gefolgt waren, als er

den schmalen Lichtstreifen bemerkte, der unter Tores Tür hervorkam. Noch

bevor er darüber hatte nachdenken können, hatte er angeklopft, ohne auch nur

zu wissen, was er überhaupt sagen wollte.

Aber mit einem Mal hatte er das Bedürfnis, die großen, grauen Augen zu

sehen, die den Abend über immer wieder seinen Blick erwidert hatten. Das

Lächeln, das über Nathans Gesicht huschte, verdrängte die unangenehmen

Erinnerungen. Tore hatte mit ihm geflirtet, direkt im Wohnzimmer seiner

Großeltern. Doch es kam keine Antwort. Nathan klopfte erneut. "Tore? Noch

wach?"

Als wieder keine Antwort kam, öffnete er einfach die Tür. Das Bild, das ihn

empfing, ließ sein Lächeln tiefer werden. Der junge Mann lag auf dem Bett,

ein buntes Stofftier im Arm und halb auf einem dicken Buch, und war ganz

offensichtlich am Schlafen. Seine weichen Lippen standen ein wenig offen,

und seine Miene war entspannt, wenn auch leicht erschöpft. Endlich verbargen

weder das Tuch, noch ein Übermaß an Stylinggel den Blick auf seine blonden

Haare, die ihn, zerzaust wie sie waren, kindlicher wirken ließen.

Nathan spürte bei dem Anblick das Verlangen, sich dazu zu legen, den Arm um

die schmale Gestalt zu schlingen und ihn einfach festzuhalten.

/Beschützenswert... Dabei ist er bestimmt älter als ich./ Mit einer Gebärde

und einem leisen Wort verwehrte er Dunja den Zugang, ehe er selber eintrat.

Er zog ihm vorsichtig das Buch unter dem Kopf hervor, klappte es zusammen

und legte es auf den Nachttisch, ohne den Blick von dem anderen Mann zu

lassen. Nahezu selbstständig streckte Nathan die Hand nach dem

faszinierenden Gesicht aus, wollte ihm über die Wange streicheln, doch bevor

er ihn berühren konnte, seufzte Tore leise im Schlaf, und Nathan zuckte

erschrocken zurück. /Dummkopf, tu doch so was nicht./

Lautlos machte er einen Schritt zurück, löschte das Licht und ging dann in

sein eigenes Zimmer, wo Dunja in ihrer Ecke verschwand. /Dummkopf/, dachte

er erneut. /Nur, weil er ein wenig mit dir geflirtet hat... Er hat mit mir

geflirtet. Er hat wunderschöne Augen, und er hat mit mir geflirtet./

Unwillkürlich musste er lachen. "Und das im Wohnzimmer meiner Großeltern.

Dunja, wenn er so weitermacht, kann ich ihm nicht mehr wiederstehen. Wer

hätte das gedacht. Einer von Christians Freunden ist schwul."

Rasch zog er sich um, ehe er noch einmal im Bad verschwand, um dann

ebenfalls ins Bett zu gehen. Dass er Tore wieder vor sich sah, kaum dass er

die Augen geschlossen hatte, verwunderte ihn nicht.

Tore wachte im Dunkeln auf und streckte sich gähnend, bevor er sich aus dem

Bett schwang und das Fenster öffnete. Die Sterne funkelten noch, wenn auch

schon blasser, aber den Anblick war er gewohnt. Er war noch nie ein

Langschläfer gewesen und bemerkte auch nun nach einem Blick auf seine Uhr,

dass es erst halb sieben war. Dennoch beeilte er sich, um vor den anderen

beiden in die Dusche zu kommen, vor allem, weil er ein wenig länger

brauchte.

Er suchte sich eine neue Shorts heraus. Ebenfalls eng, dieses Mal in schwarz

mit neckischen Netzteilen an den Seiten. Ein Geschenk von Schulfreunden, die

ihn hatten ärgern wollen, ohne zu ahnen, dass er diese Art Wäsche gern

anzog.

Die Dusche tat ihm gut. Er hatte einen leichten Muskelkater von der noch

ungewohnten Bewegung beim Schlittschuhlaufen, aber der ließ sich mit ein

wenig heißem Wasser wegmassieren. Anschließend zog er sich die Shorts an und

begann, sich dann für das Rasieren einzuseifen, während er mit der Handkante

den Spiegel frei wischte.

Grinsend freute er sich schon auf den Tag. Mit Chris, aber vor allem auch

mit Nathan. /Mit ihm kann man gut flirten. Ob er das, was wir tun, auch als

Flirt auffasst? Vielleicht bewerte ich das übermäßig?/ Doch dann schüttelte

er leicht den Kopf und spülte den Rasierer mit Wasser ab. /Nein. Er hat mir

direkt in die Augen gesehen. Das machen Heteros nicht, jedenfalls nicht mehr

als einmal./

Erneut erinnerte Tore sich an den Körper, dem man die körperliche Arbeit

ansah; der öfter mal ein wenig nachdenkliche Ausdruck in dem runden Gesicht

mochte gar nicht so recht dazu passen. /Bücherwurm sagt er zu Chris, aber

liest er selber wirklich nicht gern?/ Grübelnd ließ Tore den Rasierer

sinken. /Warum zum Teufel denke ich so viel über ihn nach? Ich werde ihn

noch eine Woche lang sehen, zu Silvester bin ich doch schon längst wieder

daheim. Silvester ziehe ich endlich meinen Plan durch!/ Auch wenn der

Gedanke ihm ein wenig Angst machte.

Als Nathan erwachte und das Licht einschaltete, saß Dunja bereits

erwartungsvoll vor seinem Bett und sah ihn an. In der Helligkeit blinzelnd

grinste er und rieb sich erst einmal die Augen, ehe er aufstand. "Na, Lady,

dir kann es auch nicht früh genug losgehen, hm?"

Gähnend streckte er sich, entledigte sich dann rasch seines Schlafanzugs, um

in der kalten Luft fröstelnd zu seinem Schrank zu laufen. Doch als er ihn

öffnete, fiel ihm ein, dass er den dicken Trainingsanzug am Morgen davor im

Badezimmer hatte liegen lassen, um ihn später wegzuräumen. Später hatte sich

ziemlich offensichtlich auf jetzt verzögert, denn er hatte ihn vollkommen

vergessen. Und da seine Oma es sich abgewöhnt hatte, für ihn aufzuräumen,

nachdem er ihr erklärt hatte, dass er das gar nicht leiden konnte, egal wie

gut sie es meinte, musste er noch immer dort auf dem Hocker auf ihn warten.

Als er auf den Flur trat, sah er den Lichtstreifen unter der Tür vom

Badezimmer schimmern. Unwillkürlich musste er grinsen. /Hat Chris schon

wieder vergessen, das Licht auszuschalten. Da kann er nur hoffen, dass Opa

das nicht gesehen hat, sonst geht er wieder die Wände hoch ob der

Stromverschwendung./

Er öffnete die Tür, nur um dann erst einmal für einen Moment innezuhalten.

Es war nicht Christians Schuld. Stattdessen wurde er mit einem wirklich

atemberaubenden Anblick konfrontiert, der lediglich von dem Rasierschaum im

Gesicht etwas getrübt wurde. Tore stand bis auf eine enge, schwarze Shorts,

die seinen knackigen Hintern deutlich betonte, nackt vorm Spiegel; durch die

seitlichen Netzeinsätze konnte man die blasse Haut sehen, was Nathan mehr

als sexy fand. Und dass, obwohl Tore ihm fast ein wenig zu dünn schien.

Nathans Blick glitt über die leicht abgebildeten Muskeln des Bauches und der

Oberschenkel, ehe ihm bewusst wurde, dass er starrte. /Großartig, Mann! Reiß

dich zusammen! Gott, sieht der gut aus!/

Kap. 4

"Na, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Morgen." Er trat ein, schloss

die Tür endlich hinter sich, um nicht die komplette Wärme auf den kalten

Flur entweichen zu lassen und ging zu dem Hocker in der Ecke, auf dem nach

wie vor der graue Trainingsanzug mit den blauen Streifen lag. "Dann gibt es

jetzt wohl außer mir noch einen Frühaufsteher im Haus."

Tore wich mit einem kleinen Geräusch ein wenig von der Tür zurück, dann

erinnerte er sich, dass er den Schlüssel nicht wirklich enthusiastisch

umgedreht hatte. "Oh... habe wohl..." Er fing sich, nachdem er Nathans

Abwenden zu einem kleinen Streifzug der Blicke über dessen Körper genutzt

hatte.

"Morgen. Ich brauch immer so lange, deswegen wollte ich früh ins Bad."

/Hm... nett./ Ihm gefielen die Rückenmuskeln, und der Hintern war sicherlich

auch nicht übel. /Wie er wohl ausgestattet... Tore! Verdammt noch mal! Augen

geradeaus, aber Zackzack!/ Rasch wendete Tore sich wieder dem Spiegel und

seiner Rasiererei zu. "Wenn du noch fünf Minuten wartest, dann komme ich

mit, Nat." /Scheiß auf die Frisur, das hier ist wichtiger./

/Nat... Schon wieder Nat./ Unsichtbar für Tore, dafür aber sehr breit

grinste Nathan seinen Trainingsanzug an. /Und er will mitkommen. Yay!/ Noch

bevor er seine Mimik in eine vollkommen neutrale Form gebracht hatte, drehte

er sich schon wieder um, sah den anderen Mann im Spiegel an, um nicht gleich

wieder auf den Hintern starren zu müssen. "Klar warte ich. Komm einfach zu

mir rüber, wenn du fertig bist."

Er zwinkerte ihm kurz zu, beschimpfte sich gleich darauf dafür und verließ

das Bad, um zurück in sein Zimmer zu gehen. Während er sich anzog und seine

Laufschuhe schnürte, sah er zu der erwartungsvoll wedelnden Dunja hin.

"Er kommt mit; deswegen wirst du noch ein paar Momente warten müssen",

erklärte er ihr leise und grinste schon wieder. "Jetzt sag mir mal, ob das

ein spontaner Entschluss war oder ob er öfter Joggen geht. Und wenn es

spontan war, ob es wegen mir ist. Dunja, Mädel, er sieht zum Anbeißen aus.

Ein bisschen dünn, aber... Wow."

Mit einem Lachen streichelte er ihr über den Kopf und stand auf. "Mal

schauen, ob er so schnell wie Chris aufgibt und auf der Hälfte der Strecke

umkehren will. Und wenn ja... ob ich dir deinen Morgenspaziergang kürze."

Tore hastete aus dem Bad und hechtete förmlich zuerst in die alte Unterhose;

wenn sie Joggen gehen würden, dann würde er ohnehin noch einmal duschen.

Dann stürzte er sich in ein T-Shirt, seinen Trainingsanzug und einen

Kapuzenpullover, den er darüber zog und dessen Kapuze er rasch schützend

über seine noch feuchten Haare stülpte. Die Turnschuhe waren noch nicht ganz

zugebunden, als er schon zu Nathan rüberlief. "Fertig, du wolltest doch auch

joggen, oder?" Hoffnungsvoll sah er Nathan an, während er der japsenden

Hündin auf die Flanken klopfte.

Nathan lachte leise. "Sicher wollte ich das. Mache ich jeden Morgen. Und

mittlerweile hat Dunja sich so daran gewöhnt, dass sie mir böse ist, wenn

ich es mal nicht schaffe."

Sie folgten der Hündin, die vor ihnen die Treppe heruntersprang und fröhlich

nach draußen in den Schnee stürmte, kaum dass Nathan die Tür geöffnet hatte.

Er tastete nach, ob er auch den Schlüssel dabei hatte, denn selbst, wenn sie

die gesamte Strecke durchzogen, würden sie zurücksein, bevor seine

Großeltern oder Chris wach wären; er hatte nicht vor, sie wecken zu müssen,

weil er vergesslich war.

Eine Weile liefen sie still nebeneinander her, das Knirschen ihrer Schritte

und Dunjas Hecheln die einzigen Geräusche zu der frühen Morgenstunde. Das

Dorf lag noch im Tiefschlaf. In der Nacht war wieder Schnee gefallen, so

dass auf der frischen Decke nur Spuren von Vögeln, Kaninchen und einem

schnürenden Fuchs zu sehen waren, die Dunja mit Interesse verfolgte.

Nathan stellte fest, dass er Tores Anwesenheit genoss, einfach nur, dass er

da war, auch ohne dass sie sich unterhielten. Das Echo zu seinen Schritten,

seinem Atem.

"Wie lange willst du laufen?", fragte er dennoch schließlich, als sie kurz

vor einem Scheideweg waren. "Die kleine, die große oder die Ausdauertour?

Das heißt, eine halbe, eine ganze oder zwei Stunden?"

Tore grinste ihn halb versteckt unter der Kapuze an. "Mich bekommst du nicht

tot, aber wenn wir zu lange laufen, dann machen sich die anderen vielleicht

Sorgen." Seine Füße waren eigentlich jetzt schon recht durchgefroren, aber

das würde er Nathan sicherlich nicht erzählen. /Nicht, dass er denkt, ich

bin eine Sissy./

Sie liefen nun unter Bäumen auf einem Trimmpfad entlang, der angenehm

leichte Steigungen und Senken enthielt. Unter dem Schutz der Äste lag

weniger Schnee, was das Laufen erleichterte. Tore merkte, wie seine Nase und

seine Finger den Füßen im Einfrieren folgten und lenkte sich mit Gedanken an

den heißen Typen neben sich ab.

/Nicht der übliche Schönling; um genau zu sein nicht mal mein Typ, aber...

er sieht so verdammt kuschelig aus, als ob er drauf stehen würde, einen im

Bett nicht mehr loszulassen... und als ob er mit seinen kräftigen Händen gut

massieren kann./ Genießerisch driftete Tore in seine Träume von den Dingen

ab, die ja doch nie passieren würden.

Sie waren offensichtlich eine mittlere Runde gelaufen, denn als sie

verschwitzt und verfroren wieder beim Haus ankamen, waren zwar die Mieter

und ihre Kinder schon auf und schippten den Schnee von der Auffahrt, aber

von Chris und den Großeltern war unten noch nichts zu sehen. Im Bad rauschte

die Dusche.

Tore ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen und wischte sich über die Stirn.

"Yay, das hat gut getan!" Neugierig sah er sich um und fragte dann "Solange

die Dusche besetzt ist, könnten wir doch eigentlich 'ne heiße Schokolade

trinken, oder?" Suchend glitt sein Blick an den ordentlich beschrifteten

Aufbewahrungsdosen entlang.

Nathan hatte noch rasch Dunja mit einem alten Handtuch abgetrocknet, ehe er

sie in die Wohnung gelassen hatte. Jetzt lief er mit seinen ausgetretenen

Hausschuhen an Tore vorbei. "Sicher. Ich mach dir gerade eine." Er selber

gönnte sich erst einmal eine halbe Flasche Apfelsaftschorle, ehe er Kakao

aus dem Regal holte und in einer besonders großen Tasse anrührte, die er

dann schlicht in die Mikrowelle stellte. Während sie ihre Kreise drehte,

brachte er Tore ebenfalls eine Flasche Schorle. "Du auch? Wenn oben frei

ist, kannst du rein. Ich werde einfach das Bad meiner Großeltern in Beschlag

nehmen, das geht schon. Ich bin trotzdem fertig, ehe sie wach sind."

„Chris braucht ja nicht so lange. Bloß blöd, dass ich schon geduscht hatte.

Wenn ich gewusst hätte, dass hier jemand früh aufsteht und dann auch noch

joggen geht. Machst du das morgen wieder?“ Er blinzelte, dann grinste er.

„Ach nein, Chrissi meinte was von Party und Disco heute Abend, richtig?

Kommst du mit?“ Er zog sich seinen der Pullover über den Kopf und glättete

seine zu allen Seiten abstehenden Haare nachlässig.

Nathan grinste ebenfalls. „Sicher. Ihr braucht ja jemanden, der euch fährt,

wenn ihr etwas trinken und trotzdem wieder nach Hause kommen wollt. Da

kommen entweder Opa oder ich in Betracht. Dass ihr Opa dafür begeistern

könnt, ist fraglich.“ Und wenn er eine Chance hatte, mit Tore zusammen zu

sein, würde er sich die nicht entgehen lassen. Ihn tanzen zu sehen, war

bestimmt ein Erlebnis, so voller Energie wie der andere war.

Als ein deutliches Ping ertönte, holte Nathan die Tasse aus der Mikrowelle,

rührte noch einmal um und stibitzte seiner Großmutter von der Sahne, die

eigentlich für den Kuchen gedacht war, um eine nette Haube darauf zu

sprühen. Mit einem Grinsen stellte er sie vor Tore, ehe er sich ihm

gegenüber setzte. „Ich hoffe, das ist genehm.“

Tore versenkte sich nach einem kleinen Lächeln schweigend in die dampfende

Tasse und genoss den Unterschied von der kühlen Sahne an den Lippen zum

heißen Kakao. Schließlich hörte er am Poltern aus dem Obergeschoss, dass

Chris ihm die Dusche freigegeben hatte. Rasch stellte er den Becher auf die

Seite und erklärte Nathan, dass er den Kakao zum Frühstück später weiter

trinken würde, bevor er nach oben flüchtete.

Nathan direkt vor sich sitzen zu haben, in seine grünlichen Augen zu sehen

und das vergnügte Funkeln darin zu erkennen, wenn ihre Blicke sich

begegneten, schuf eine nervöse Wärme in ihm. Zudem hatte er immer mehr den

Wunsch verspürt, seine Hand über den abgeschabten Holztisch zu reichen, um

die kräftigen Finger zu berühren, denen man deutlich die Arbeit ansah.

Den Wunsch konnte er zwar kurze Zeit unterdrücken, aber als sie eine halbe

Stunde später in größerer Runde erneut an dem Tisch saßen und gemeinsam mit

Chris und den Großeltern Brot und aufgebackene Brötchen aßen, kehrte er

zurück.

Immer häufiger wurde Tores Blick zu Nathan gezogen, immer seltener schaffte

er es, rechtzeitig wegzusehen, um nicht erwischt zu werden. Dennoch ging er

zunächst mit Chris allein in das Dorf, um noch ein paar Kleinigkeiten für

Freunde aus der Uni einzukaufen und sich ein wenig umzusehen.

/Wie bekomme ich mehr über ihn heraus, wie schaffe ich es, zu erfahren, ob

er nur spielt? Er wirkt schon so erwachsen, schon so viel älter als er ist.

Eigentlich ist er doch sicher noch jünger als ich, oder?/ Entschlossen

fragte er Chris, als sie am Mittag auf dem Rückweg zum Haus waren. "Sag mal,

dein Bruder ist doch jünger als du, nicht? Er wirkt so... erwachsen. Weißt

du, was ich meine?"

Christian lachte und sah zu ihm hin. "Erwachsen? Nun ja... nicht, wenn du

ihn näher kennen lernst. Er ist durch und durch ein kleiner, nerviger

Bruder." Während er eine seiner beiden Tüten in die andere stopfte, gab er

jedoch zu "Ja, ich weiß, was du meinst. Liegt vielleicht daran, dass er

schon recht früh von zu Hause weg ist. Hat weder Abi gemacht, noch studiert.

Er wusste verdammt früh, was er wollte. Er ist einundzwanzig, arbeitet aber

schon seit über einem Jahr richtig."

"Durch und durch nerviger Bruder, hm?" Tore kickte einen Eisbrocken über die

Strasse, als sie in die kleine Gasse einbogen, in der die Großeltern

wohnten. "Meine Mutter hat mir vor einer Woche erzählt, dass ich - hurra -

einen kleinen Bruder bekommen werde. Mit ihren Vierzig ist sie noch mal

schwanger geworden. Toll."

/Erzählst du ihm jetzt, dass du schwul bist, und dass deine Mutter wörtlich

gesagt hat, dass sie hofft, dass es diesmal ein normaler Junge wird?/ Das

war der Grund, aus dem er ihr gesagt hatte, dass er beim Vater Weihnachten

feiern würde. Jener aber war gar nicht da, sondern verlobte sich auf Hawaii

mit seiner fast zwanzig Jahre jüngeren Langzeitgeliebten.

"Du kriegst einen Bruder?" Überrascht drehte Christian sich ihm zu. Er

schien etwas sagen zu wollen, grinste fröhlich, doch schnell wurde es

schief, dann schwieg er. Einen Moment später seufzte er. "Nun, weißt du,

eigentlich ist er nicht schlecht. Ich bin froh, dass es ihn gibt, egal wie

sehr ich manchmal über ihn lästere." Die Geste, mit der er sich durch die

Haare strich, wirkte ein wenig unsicher. "Das liegt bei dir etwas anders,

ich weiß." Wieder schwieg er einen Augenblick. "Aber selbst wenn es dich

nicht gerade vom Hocker haut vor Begeisterung, irgendwie klingst du ja fast

sauer deswegen. So schlecht ist es mit Sicherheit nicht."

Tore seufzte und zuckte mit den Achseln. "Ich fühle mich, als würden sie

mich als einen Fehler aus ihrer Vergangenheit ansehen. Meine Mutter war

siebzehn, und ich war ein Flower Power Unfall von den beiden. Nun haben sie

beide ihr richtiges, ordentliches Leben, und ich erinnere sie nur an die

Fehler."

Er seufzte noch einmal und entdeckte dann Nathan, der aus einem Fenster des

Hauses anscheinend nach dem Hund im Vorgarten sah. Grinsend winkte Tore ihm

zu und endete "Vermutlich werde ich nicht viel mit ihm anfangen können. Wenn

er zu studieren anfängt, bin ich längst alt."

Christian grinste ebenfalls und stieß ihm in die Seite. "Wenn du ein Fehler

bist, dann ein gut gelungener."
 

Nathan hatte festgestellt, dass ihm die Zeit, bis Tore zurückkam, deutlich

länger vorgekommen war, als es eigentlich hätte sein sollen. Er beschäftigte

sich damit, den Keller schon einmal durchzusehen, was er ausmisten musste.

Seine Großeltern hatten die Tendenz, Vorräte anzusammeln, als müssten sie

eine Hungerzeit durchstehen, und diese dann derart lang zu vergessen, dass

selbst bei Dosen das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war. Dunja leistete ihm

eine Zeitlang Gesellschaft, doch dann verlor sie die Lust und bettelte so

lange, bis er sie in den Garten ließ.

Unerwartet oft ertappte er sich dabei, aus dem Keller nach oben zu laufen,

um nach ihr zu sehen. Es war nicht so, dass er sich Sorgen um sie machte,

dass sie zu lange draußen blieb. Stattdessen schaute er immer wieder den Weg

entlang, den Tore und Christian kommen mussten, wenn sie endlich wieder

zurück waren.

Als er sie dann endlich kurz nach Mittag erblickte, blieb er einfach am

Fenster stehen, obwohl er es besser wusste. In seiner dicken Winterjacke

wirkte Tore noch kleiner und dünner und dadurch noch niedlicher, als er es

ohnehin schon war. Dann sah der andere zum Haus hin, und Nathan hatte das

Gefühl, dass sich ihre Blicke direkt trafen. Er lächelte, spürte Wärme in

sich, als der andere Mann ihm zuwinkte und hob selber grüßend die Hand.

/Ich bin mir sicher, dass er schwul ist. Schwul und nicht uninteressiert./

Während er Teewasser aufsetzte, drifteten seine Gedanken zum Frühstück

zurück. Tore hatte schon fast auffällig oft zu ihm hingesehen, doch er war

sich sicher, dass es niemand außer ihm bemerkt hatte. /Hm... vielleicht

komme ich ihm heute Abend etwas näher. Wenn er etwas trinkt, vielleicht./

Nicht, dass er mit viel rechnete, immerhin waren sie dort nicht allein und

nicht in einer Schwulendisco.

Er warf ein paar Teebeutel Pfefferminztee in eine Tasse, dann ging er zur

Haustür, um Tore und seinem Bruder zu öffnen und seine Hündin wieder

hereinzuholen. Er pfiff nach Dunja und hielt sie davon ab, direkt in den

Flur zu stürmen. Während er sie mit dem alten Handtuch trocken rubbelte,

grinste er zu Tore hoch, als dieser hinein kam. "Na, fündig geworden?"

Tore fuhr sich kurz mit den Fingern über seine wieder zu kleinen Stacheln

aufgestellten Haare und erwiderte das Lächeln mit einem kleinen Blick in die

Augen, dann strich er der Hündin einmal über den Kopf, überlegte, ob er es

dazu kommen lassen sollte, dass sich ihre Hände einmal streiften, doch zog

sich dann gleich wieder zurück. "Nein. Alles war hektisch und ausgesucht.

Ich hab aber für eure Großeltern etwas gefunden, das sie vielleicht mögen

werden. Zum Glück haben sie es dort schon eingepackt."

Er sah sich nach der Oma in der Küche um und beugte sich dann mit einem

versteckten Grinsen zu Nathan runter, um ihm vertraulich ins Ohr zu flüstern

"Ein kleines Räuchermännchen. Chris meinte, dass ihr altes zerbrochen ist."

Er richtete sich wieder auf. "Ich werde mal meine Eltern anrufen gehen. Bis

nachher."

"Bis nachher." Nathan lächelte in sich hinein und genoss den Nachhall des

Prickelns, das Tores Mund direkt neben seinem Ohr und die leise Stimme

hervorgerufen hatten. Es war fast wie ein Vorgeschmack gewesen, wie es

klingen könnte, wenn er ihm anderes sagte.

/Idiot/, dachte er belustigt und schickte Dunja mit einem Klaps weg, ehe er

aufstand. /Aber wenn er jetzt nicht von Räuchermännchen erzählt hätte, seine

Stimme vielleicht noch ein klein wenig atemlos.../

Abrupt nahm das Kribbeln in ihm zu und brachte ihn dazu, in die Richtung zu

sehen, in der Tore verschwunden war. /Warum stehe ich auf ihn? Das ist

absurd. Ein Kumpel von Chris, gepierct, zu dünn. Und mit Abstand die

schönsten, grauen Augen, die ich je gesehen habe. Plus ein wirklich süß

schmolliger Mund, von dem ich zu gerne wüsste, wie er schmeckt./

Leider nahm Christian den anderen Mann viel zu sehr in Beschlag, so dass

Nathan nach dem Mittagsessen allein mit Dunja loszog. Als er endlich nach

zwei Stunden wieder zurückkehrte, sich wesentlich besser fühlend, waren sein

Bruder und Tore oben im Zimmer, um über ein Projekt zu sprechen, während

sein Opa im Sessel einen etwas verspäteten Mittagsschlaf hielt. Bis zum

Abend bekam er ihn auch nicht wieder zu Gesicht, was ihn nicht

unbeträchtlich störte, auch wenn er es verbarg und sich verstärkt dem Keller

widmete.

Tore reichte es gerade und er wollte schon aufspringen, als Chris ihn

erlöste und ankündigte, dass sie nun rodeln gehen würden. Es war noch früher

Nachmittag, aber mehr als zwei oder drei der Touren würden sie kaum

schaffen. Leider kam dann auch noch Nebel auf, und sie schafften nur eine

Abfahrt, waren durchgefroren, und Tore wurde im Verlauf des Nachmittags

immer hibbeliger.

Dankbar kletterte er deswegen nach einem ausgefeilten Styling und längerem

Überlegen der Kleidung in den blauen Kombi, um mit Chris und Nat zu der

Dorfdisco zu fahren. /Hoffentlich lassen sie die Leute da tanzen. Ich muss

mich dringend austoben./ Er betrachtete Nathan, und ihm gefiel immer mehr,

was er sah. Statt der üblichen weiten Hosen trug der andere Mann eine weiße,

enge Jeans, die seinen Hintern betonte, dazu ein grünes Hemd, das die Farbe

seiner Augen leuchtender werden ließ. Sein Haar war jedoch zerzaust wie

immer, mit einfacher Bürste ließ es sich offensichtlich nicht in Form

bringen.

Tore selber hatte seine Haare nach der dritten Dusche an dem Tag nur mit Gel

zerstrubbelt. Dafür hatte er sich mit den Klamotten Mühe gegeben. Nach einem

längeren Hin- und Herlaufen vor dem Kleiderschrank entschied er sich, seine

enge, schwarze Hose und ein dazu passendes schwarzes Shirt mit grellem

Aufdruck und Netzteilen anstelle der Ärmel anzuziehen. Darüber trug er noch

einen orangefarbenen Pullover, aber den gedachte er bei gegebener

Gelegenheit aufzugeben.

Nervös drehte er den breiten Silberring an seinem Daumen, weil er sich

fühlte, als würde ein Überdruckventil in ihm demnächst aufgeben und er

Nathan anfallen müsste. Die Spannung zwischen ihnen war seit dem letzten

Treffen über das leichte Flirten hinaus geraten. /Selber Schuld, Tore. Aber

er geht drauf ein, spielt mit. Ob er die richtige Wahl wäre?/

Zuerst holten sie jedoch Freunde von Nathan und Chris bei deren Eltern ab.

Man musste in das Wohnzimmer gehen, mit den Eltern reden, mit den Freunden

von alten Zeiten schwärmen, und es gab schon bei beiden Besuchen die ersten

zwei Bier. Tore setzte sich extra weit von Nathan entfernt, zu Chris, um die

Zugehörigkeiten einfacher zu gestalten.

Zudem gab es ihm mehr Gelegenheit, damit zu beginnen, sich nach der Nähe und

dem Geruch von Nathan zu sehnen. Er stellte fest, dass es ein Fehler gewesen

war, sich so dicht zu ihm herabzubeugen. Nathan hatte so lecker gerochen,

sein Nacken war so dicht gewesen, hatte viel zu sehr dazu verführt, schnell

einmal zu probieren, ob der Geschmack ebenso lecker war.

Zu seinem Glück brachen sie recht bald auf und fuhren die knapp zehn

Kilometer in die kleine Diskothek im Nachbardorf. Es stellte sich als eine

Aprés-Ski-Kneipe heraus, in der auch reichlich Urlauber schon ordentlich

betrunken feierten. In einem Raum wurden Schunkellieder für ältere Gäste

gespielt, im größeren Nebenraum sorgte jedoch ein Diskjockey für ordentliche

Musik zum Abreagieren.

Tore verabschiedete sich von seinem Pullover, den er auf einer Ablage über

einer Box deponierte und stürzte sich in die Menge, während Nathan und Chris

sich noch mit ihren Freunden an die Bar begaben. Er brauchte nicht lange, um

sich ausgetobt zu haben. Einige Lieder und ein paar riskantere Bewegungen

später hatte er ein wenig mehr Platz gewonnen und seinen Kopf frei bekommen.

Frei von den Sorgen und dem Ärger um seine Eltern, frei von seinen Gedanken

und Wünschen Nathan betreffend. /Wenn ich nichts erwarte, dann kann er mich

nicht enttäuschen./

Als Tore sich das erste Mal bereits so weit von ihm weggesetzt hatte, als

sie ihre Freunde abgeholt hatten, verabschiedete sich Nathan von dem

Wunschtraum, ihm etwas näher zu kommen. Bei den nächsten wurde das noch

verstärkt, als sich das Spiel wiederholte. /Als ob er mir ausweichen würde.

Hat er es über bekommen? Will er doch nichts? Hat er sich umentschieden?

Oder ist er einfach nur... hm... schüchterner, als man es denken mag?/

Dankbar ließ Nathan sich von den anderen ablenken, als sie erst einmal an

die Bar gingen, auch wenn er Tore noch einen Blick hinterher warf. Ganz in

schwarz mit den Netzärmeln und der engen Hose sah er einfach nur sexy aus,

und Nathan hatte mit einem Mal das intensive Bedürfnis, ihm zu folgen, ihn

in den Arm zu ziehen und Besitzansprüche geltend zu machen, als er die

ersten Mädels sah, die Tore mit den Blicken folgten.

/Hör auf, Dummkopf. Entweder ist ihm das egal, oder du bist ihm egal. Beides

läuft auf eine endgültige Entscheidung hinaus./

Die nächste halbe Stunde gelang es ihm wirklich, nicht mehr an ihn zu

denken, während er in Gespräche verwickelt wurde und zwei Einladungen auf

ein Bier ablehnte, um sich an seiner Cola festzuhalten. Wenn er fuhr, trank

er grundsätzlich nicht. Doch dann zogen sich auch Christian und sein Kumpel

auf die Tanzfläche zurück und der andere mit seiner Freundin in eine

ruhigere Ecke. Nathan überlegte, ob er auch tanzen wollte, doch stattdessen

bestellte er ein Bier, und als dieses kam, ging er auf die Suche nach Tore.

Er entdeckte ihn noch immer auf der Tanzfläche, mittlerweile schwitzend und

dadurch unergründlicher Weise noch wesentlich attraktiver. Nathan konnte

nicht anders, als ihn erst einmal zu beobachten, ehe er sich kurz vor Ende

eines Songs zu ihm drängte.

"Bier? Ich dachte, du müsstest mittlerweile Durst haben."

Tore erfasste mit einem kleinen Blick in die Runde, dass es sich nur um

Nathan handelte und grinste ihn an, während er sein Hemd hochzog, um sich

einmal schnell über das Gesicht zu tupfen. Rasch ließ er seinen Hemdsaum

wieder fallen, weil diese beiden Mädchen, die ihn schon eine ganze Weile

angetanzt hatten, sich kichernd dichter in seine Nähe drängten.

"Danke, das wäre mein nächstes Ziel gewesen." Er warf einen Blick seitwärts

auf die Mädchen, dann lehnte er sich an Nathan heran und fragte ihn gegen

die nun einsetzende Musik ins Ohr "Wollen wir vielleicht weiter nach vorn

gehen? Ist so laut hier."

Nathan spürte, wie Tores Nähe ihm erneut einen angenehmen Stich durch die

Magengrube sandte. Wieder hatte er das Bedürfnis, den anderen Mann an sich

zu ziehen, um ihn zu küssen oder ihn auch einfach nur zu halten, über seinen

Rücken zu streicheln, seine Gegenwart zu spüren. "Ja, gerne", antwortete er

stattdessen, froh über das Colaglas, das seine Hände beschäftigte.

Der Barbereich war mit orangefarbene Lampen recht dämmrig erleuchtet. Tore

ging voran und schnorrte sich im Vorbeigehen eine Zigarette. Er rauchte

eigentlich nur zum Alkohol, nun wollte er zusätzlich noch gern etwas in den

Fingern haben. Aber er ließ sich noch kein Feuer geben, weil er erst

abchecken wollte, ob Nathan ihn vielleicht doch attraktiv genug für eine

kleine Knutscherei finden konnte.

Zwei Plätze in einer Ecke wurden frei, und Tore hechtete sich darauf. Sie

mussten sich dicht gegenüber sitzen, ihre Knie berührten sich schon fast,

aber das fand er noch aufregender. Die Wärme und die pure Präsenz des

anderen Körpers, das Gefühl, das seine Blicke in ihm erzeugten, dieses

Prickeln zwischen ihnen.

Wieder steigerte es sich schon fast unerträglich, Tore war wieder kurz

davor, alle Konventionen zu vergessen, alle Leute, die umherstanden, Chris,

alle anderen, die Nathan schon lange kannte, und ihn an sich zu drücken und

zu küssen. Stattdessen spielte er mit der Zigarette und trank einen großen

Schluck Bier. "Stört es dich?" Fragend hob er die Zigarette hoch.

Nathan seufzte unhörbar und fügte auf seiner Minusliste einen weiteren Punkt

hinzu, nur um festzustellen, dass es bei Tore überhaupt nicht ins Gewicht

fiel. Piercings, zu dünn, Raucher. Alles störte nicht. /Ich will keinen

Aschenbecher küssen. Aber irgendwie.../ Für einen Moment ignorierend, wo er

war, rutschte er ein wenig nach vorne, bis er sein Knie gegen Tores schieben

konnte und es leicht gegen ihn drückte. "Wenn dein Seelenheil davon

abhängt", antwortete er nur und sah ihm direkt in die Augen, bedauernd, dass

er selber kein Feuerzeug dabei hatte.

Kap. 6

Tore lachte auf und hüpfte ein wenig. Zum einen von Nathan fort, um ihn zum

Losgehen zu bringen, zum anderen, um selber ein wenig wärmer zu werden. "Das

klingt so nach Klischee!", rief er begeistert. Er seufzte und sah in den

Himmel, aus dem nun die Flocken immer dichter auf sie niederfielen.

Endlich begann er, sinnvoll zu denken. Nicht unbedingt, um die Dinge

einfacher zu machen, aber es half dennoch, seine Erregtheit zu bekämpfen,

von der er nicht wollte, dass Chris sie gleich bemerkte. "Wo wohnst du

eigentlich?"

Gedankenlos antwortete Nathan, während er überlegte, dass er es trotz

Klischee, trotz seinem eigenartigen Gefühl dabei wirklich und wahrhaftig in

Betracht zog, zu Tore zu kommen, wenn alle anderen im Bett lagen. /Was eine

Idiotie... und lohnt es sich überhaupt? Ist es für ihn denn etwas ernsteres?

Ich will nicht einfach nur einen Ferienflirt, der vorbei ist, noch ehe man

sich richtig verabschiedet hat./

Als er zu dem Energiebündel neben sich hinsah, wurde ihm bewusst, dass er zu

viel empfand dafür. Und es half auch nicht, sich vorzurechnen, dass sie sich

erst ein paar Tage kannten. "Du wohnst bei Chris in der Nähe, oder? Das sind

in etwa zwei Stunden mit dem Auto."

Tore nickte leicht. "Mit dem Auto... hab ja keins. Meine Wohnung ist zwar

schön gelegen und schön groß, aber dafür auch ziemlich teuer. Da bleibt nix

für eine eigene Karre über." Er warf der zuvor vernachlässigten Dunja einen

Ast und murmelte "Wollte nur so wissen, ob du nach dem Fest gleich abhaust

oder... so."

Unsicher begannen seine Gedanken sich zu drehen. /Was soll der Quatsch? Wir

haben einmal geknutscht, er wird dich auch gerade zum Silvesterfest

einladen, damit er sich dann mit deinen Problemen rumärgern kann, anstelle

schön mit 'ner Sahneschnitte aus dem nächsten Club zu vögeln./ Verärgert

schob er seine Hände in die Jackentasche, nachdem er den Ast besonders weit

geschleudert hatte.

Überrascht sah Nathan, wie Tores Gesicht sich verdunkelte, wie die weichen

Lippen fester zusammengepresst wurden. /Habe ich etwas falsches gesagt, als

ich die Fahrtstrecke angesprochen habe? Ist das seine Art, mir zu sagen,

dass er mehr als einen Flirt nicht in Betracht zieht?/ Er vergrub das Kinn

in seinem Schal und wandte den Blick von Tore, um auf den verschneiten Weg

zu starren, auf dem selbst ihre Spuren schon fast wieder verschwunden waren.

"Ich wollte noch ein paar Tage bleiben. Mal sehen. Silvester bin ich wieder

zu Hause."
 

Als ihnen an der nächsten Kurve mehrere Jungs entgegen kamen, war Nathan

froh, dass er Tore nicht mehr im Arm hielt. Im Moment konnte er gut auf

Spott und Gerüchte verzichten; das musste nun wirklich nicht am Heiligen

Abend sein. Doch irgendwie war die Stimmung abgekühlt, und sie sprachen

nicht mehr, bis sie das Haus erreichten.

Unsicher sah Tore Nathan ab und zu von der Seite her an. /Mist. War es das

jetzt? Nur weil ich nachfrage? Shit. Toll. Aber dann wäre er ja perfekt.

Einmal und nie wieder. Eigentlich... aber er ist Chris' Bruder... Shit!/

Chris kam ihnen schon aus dem Wohnzimmer entgegen. Er schien seinen Kater

überwunden zu haben und nahm Tore mit seinem Projektordner in Beschlag, den

er durchgesehen haben wollte. Missmutig aß Tore mit der Familie zu Mittag

und fragte sich wieder und wieder, was jetzt los war. /Er ist so... nicht

mein Typ, aber trotzdem, irgendwie, hat es so dermaßen gefunkt eben. Hab ich

mir das eingebildet, oder was?/

Um endlich Klarheit zu bekommen, kündigte er an "Ich werde mein Buch noch

ein wenig weiterlesen. Die Messe ist ja erst um fünf", nachdem Chris sich

zum obligatorischen Telefonieren mit Lydia verabschiedet hatte. Schnell lief

er die Treppen rauf und warf sich auf das Bett.

Nathan gelang es, ihm nicht mit den Blicken zu folgen, als er das Zimmer

verließ. Es gelang ihm ebenfalls, ihm nicht sofort hinterher zu gehen, auch

wenn er nichts sehnlicher wünschte. /Ich kann ihn doch nicht regelrecht

verfolgen, sobald er mal allein ist. Das will er vielleicht gar nicht. Oder

will er genau das? Scheiße. Er war so still. Hat mich beim Essen und danach

nicht wirklich angesehen./

Während er in der Fernsehzeitung blätterte und seinen Blick über zahllose

Märchenfilme schweifen ließ, die er als Kind so gerne gesehen hatte, dachte

er an den Kuss im Wald. An die Küsse. Er schloss die Augen und lehnte sich

im Sessel zurück, um das Kribbeln noch einmal zu genießen, Tores Geschmack

wieder auf der Zunge zu haben, die Wärme seiner Haut, die er unter den

Fingerspitzen gefühlt hatte. /Gott, es war so... gut... so richtig. So

perfekt. Das kann doch nicht sein, dass es für ihn nicht mehr war als

einfach nur irgendein Kuss. Tore war so leidenschaftlich! So...

unbeschreiblich.../

Ehe er darüber nachdenken konnte, hatte er die Zeitschrift auf den kleinen

Beistelltisch geworfen, war aufgestanden und hatte das Wohnzimmer verlassen,

um nach oben zu gehen. Vor Tores Zimmer zögerte er wieder. /Vielleicht komme

ich ihm besitzergreifend vor?/ Doch dann klopfte er an und trat nach einem

Moment ein, schloss die Tür hinter sich.

Der andere Mann lag auf dem Bett, das Buch auf dem Bauch, jedoch

unaufgeschlagen. Als der Blick der großen, grauen Augen ihn traf und Wärme

in ihm auslöste, schüttelte Nathan innerlich den Kopf. /Nein, auf keinen

Fall nur irgendein Kuss.../

Er setzte sich zu ihm auf die Matratze, während er von der Stärke des

Bedürfnisses, den anderen Mann einfach an sich zu ziehen und ihn in einen

neuen, leidenschaftlichen Kuss zu verwickeln, überrascht wurde. /Das geht

nicht. Chris würde einfach so reinplatzen, wenn er etwas will, weil er nicht

damit rechnet, stören zu können./ Stattdessen zog er ein Bein an und schlang

die Arme darum, ohne aber den Blick von Tore abzuwenden. "Wir sind vorhin im

Wald nicht wirklich zum Reden gekommen... und irgendwie scheint es mir, als

hätte es dann ein Missverständnis gegeben."

Tore legte das Buch fort und setzte sich ebenfalls auf; Nathan gegenüber

ruckelte er sich auf der dicken Decke in den Schneidersitz zurecht. Dann

senkte er den Kopf leicht und murmelte "Das Missverständnis war, dass ich

weiß, dass es ein Problem geben wird und du nicht." Er sah Nathan nicht ins

Gesicht, sondern starrte auf dessen Finger, sehnte sich mit trügerischer

Sicherheit nach ihnen. "Mich."

"Dich...?" Von einem Moment auf den anderen spürte Nathan unangenehme,

ängstliche Kälte in sich empor kriechen. /Er will doch nicht mehr als einen

Flirt. Oder er hat einen Freund. Oder er ist nicht schwul, sondern bi und

will nur eine Affäre. Oder.../ Ihm fielen tausend Dinge ein, die alles nicht

das waren, was er sich so sehnlichst wünschte.

Eine Weile lang versuchte Tore die richtigen Worten zu finden, dann erzählte

er schlicht die Version, die er auch all den Therapeuten berichtet hatte und

den Hypnotiseuren und den Heilpraktikern. "Ich war ein Unfall, auf einem

Musikfestival. Meine Mutter war mit einer ganzen Gruppe dort, sie haben das

Wochenende über gezeltet, getrunken und geraucht. Wieder daheim stellte sie

fest, dass sie schwanger ist. Wusste nicht so genau von wem, aber hat es

dann meinem Vater angehängt, der zu der Zeit ihr Freund war."

Er bemerkte Nathans verständnislosen Blick und sprach hastig weiter. "Mein

Vater ist dunkelhaarig, ein dunkler Hauttyp zudem. Meine Mutter hat eher

dunkelblonde Haare und ich... blond. Als Kind weißblond. Als ich zwei war,

hat mein Vater mich nach einem Streit genommen und zu Freunden von ihr

gebracht. Jorge, Claus und Max, die auch auf dem Festival waren. Die waren

alle blond, und in seinen Augen ist einer von denen der Vater."

Tore lachte auf. "Der Hohn. Sie sind alle schwul und lebten zu der Zeit in

einer wilden Kommune zusammen." Nathans Blick auf sein Gesicht wurde nicht

wesentlich verständnisvoller, deswegen seufzte Tore und entschuldigte sich

leise. "Der Punkt ist, ich hab einige Monate bei ihnen gelebt, während meine

Eltern einem Egotrip gefolgt sind. Als meine Mutter mit einem Mal ihre

mütterlichen Gefühle zurückentdeckte und mich dort abholte, war ich...

komisch, anders."

Er spielte unsicher mit den violetten Stirnfransen vom Stofftroll. /Gleich

geht er sicherlich weg und dann? Zurück zu Plan A. Betrinken, bis alles taub

wird und es tun./ Dann hob er den Blick und sah Nathan in die Augen. Sein

Herz machte einen kleinen Satz, und er wünschte sich so sehr, den anderen

Mann wieder zu küssen, seine Finger auf sich zu spüren, sein Begehren...

Vielleicht sogar mehr als das, vielleicht sogar ein Gefühl, das länger

halten konnte.

"Ich lasse mich nicht anfassen, nicht sehr lange jedenfalls. Streicheln und

Umarmen geht mittlerweile, Küssen, aber sobald ich... nackt bin und es

weiter geht, wird mir kalt. Es ist schon weitaus besser geworden als damals,

als ich nicht mal berührt werden wollte. Es ist so... kompliziert, weil ich

es will und zugleich Angst davon bekomme, von der niemand weiß, woher sie

kommt. Die Schwulen nicht, sie schwören, dass keiner mich angefasst hat,

meine Eltern nicht, die Therapeuten nicht und ich... erst recht nicht."

Tore schloss die Augen und ließ sich einfach fallen, den Troll fest in der

einen Hand. "Tut mir leid, dass ich das zu spät gesagt habe."

Nathan sah auf ihn hinab, während das Bedürfnis, den anderen zu berühren,

übermächtig wurde. So hilflos erschien er ihm mit einem Mal, so unendlich

klein und verletzlich, wie er sich an das bunte Stofftier klammerte, dass er

ihn nur halten wollte, um ihm zu versichern, dass alles gut werden würde. In

dem Moment wurde es egal, ob seine Großeltern oder Christian hereinkommen

würden und dass Weihnachten war.

Er ließ sich neben Tore sinken, streichelte sanft über seine Schultern,

Oberarme und den Rücken, ehe er die Hand auf seiner Taille liegen ließ. "Zu

spät? Es ist nicht zu spät. Wann hättest du es sonst sagen sollen? Hallo,

ich bin Tore, und übrigens gibt es da etwas...?" Mit der anderen Hand begann

er, Tores Haare zu kraulen, während er versuchte, Worte zu finden. "Ich...

Weißt du, es ist nicht so, dass ich einfach... dass... Ich will nicht

einfach nur mit dir ins Bett, Tore. Ich will nicht einmal nur einen

Ferienflirt. Nicht bei dir. Und wenn es nicht ausgerechnet das ist, was du

willst, nur einen Flirt, dann können wir den Rest auch mit dem Tempo

angehen, das du vorgibst."

Tore blinzelte und fragte sich, ob es an ihm lag oder ob Nathan da wirklich

genau das Gegenteil von dem tat, was er erwartet hatte. Langsam drehte er

sich in seinem Arm um, ließ den Troll unbeachtet hinter sich liegen. Mit

Blicken suchte er das freundliche, runde Gesicht vor ihm ab, nach einem

Hinweis darauf, dass Nathan dies nicht ernst meinte oder dass er wie einige

zuvor den Verständnisvollen machte, um Tore rumzukriegen.

Doch Nathans Gesichtsausdruck zeigte Erleichterung und auch sehr deutlich,

dass der junge Mann ihn gern hatte, mehr als gern. Tore erwiderte das kleine

Lächeln zaghaft, dann sagte er heiser "Ich hab es schon langsam versucht, in

meinem Tempo sozusagen. Das ist echt schief gegangen, mehr als einmal,

weswegen ich es zu Weihnachten oder Silvester nun schnell versuchen wollte.

Schocktherapie sozusagen. Wie man Leute mit Höhenangst auf einen Turm

verfrachtet."

Er schob seine Finger nervös unter Nathans Hemdkragen und spielte mit den

feinen Härchen an seinem Nacken, während er erneut in seinen Augen nach

einer Antwort suchte. "Und... für diese Schocktherapie kamst du mir so

ungeeignet vor, weil ich dich..." Er legte den Kopf ein wenig schief und

schlug dann den Blick auf Nathans Brust nieder. "Dazu hab ich dich zu gern."
 

Die zärtlichen Finger und die Worte ließen Nathan einen warmen Schauer den

Rücken hinablaufen, der seinen Magen zum Tanzen zu bringen schien. Mit halb

geschlossenen Augen betrachtete er den anderen Mann, während er die

Berührung schon viel zu sehr genoss. "Ich habe dich auch gern. Sehr gern.

Und egal, wie und wann du es willst, ich richte mich nach dir."

Er zog ihn an sich und suchte vorsichtig seinen Mund, um ihn zu küssen. Mit

der Zungenspitze fuhr er forschend die weichen Lippen nach, folgte der

Linie, an der sie sich trafen, um Einlass bittend. Tore schmeckte

wundervoll, und Nathan begann, sich nach mehr Nähe zu sehnen. /Egal. Nicht

jetzt und nicht hier, und erst, wenn er es will./ Allein, ihn ohne die

dicken Jacken zu halten, war schön.

Lächelnd erwiderte Tore den Kuss, aber versank nicht, gab nicht gegen seinen

Körper auf, sondern ließ Nathan los, als er vom Flur her Stimmen hörte.

"Chris kommt gleich ins Zimmer, denke ich." Er warf einen Blick auf seine

Armbanduhr und entzog sich Nathan nach einem weiteren Kuss auf die Wange.

"Es wird auch Zeit, für das Schönmachen und so weiter." Noch ein leichtes

Streicheln über Nathans Taille auf seinen Hintern, dann verteilte Tore sich

vom Bett rollend einen Klaps darauf.

"Nicht, dass du es nötig hättest", endete er dann und grinste, während er

sich ohne Scheu das T-Shirt und den Pullover zusammen über den Kopf zog.

Nathan lachte leise und gönnte sich einen Blick auf den nackten, sehnigen

Oberkörper, den er in exakt diesem Moment gerne angefasst hätte, doch so

wandte er sich nur von ihm ab, um in sein eigenes Zimmer zu gehen und sich

umzuziehen. In dem Augenblick, als er nach der Klinke griff, wurde die Tür

geöffnet.

Es war Christian, der zusammenzuckte, als er ihm so unerwartet entgegen kam,

sich aber schnell wieder fasste. "Ich wollte nur sagen, dass wir gleich

losmüssen und dass ihr euch fertig machen solltet. Aber ihr habt ja

offensichtlich selber daran gedacht."

Nathan grinste und nickte dann, während er sich an seinem Bruder vorbei

schob. "Sicher." Während er sich in seinen Anzug warf, dachte er daran, wie

Tore ihn angesehen hatte, dort auf dem Bett. Als würde er wirklich erwarten,

dass Nathan ihn weniger mögen würde, nur, weil er vielleicht nicht sofort

mit ihm schlafen konnte. Innerlich schüttelte er den Kopf, als er versuchte,

seine Haare mit Wasser in Form zu bringen. Als ob das ein Grund wäre. Das

war höchstens etwas, das in Nathan noch viel mehr den Wunsch hervorrief, ihn

zu halten, zu lieben und zu beschützen.

Tore hatte Chris' Blick mit einem Grinsen und der Erklärung "Es ging um ein

Weihnachtsgeschenk", beantwortet. Er zog sich rasch die schwarze, enge Hose

vom Vortag und ein weißes Oberhemd über, dazu ausnahmsweise einmal keine

Turnschuhe. Dann stellte er das Räuchermännchen für die Großeltern unter den

Baum zu den Geschenken dazu und das Buch, das er für Chris gekauft hatte.

In dem Moment, während die anderen schon draußen auf dem Flur ihre Mäntel

anzogen und Kleingeld für die Kollekte zurecht legten, fiel ihm auf, dass er

Nathan nicht bedacht hatte, nicht würde extra bedenken können, ohne

aufzufallen. Er hatte im Dorf tatsächlich ein kleines Geschenk gekauft, aber

es handelte sich nur um einige besondere Schokoladensorten, eher als

Dankeschön für das Mitnehmen im Auto denn als Weihnachtsgeschenk gedacht.

Als sie später in der Kirche saßen, folgte Nathan der Predigt und dem

Krippenspiel weniger aufmerksam als sonst. Immer wieder wanderte sein Blick

zu Tore hin, der in seiner schickeren Kleidung noch besser als in seinem

normalen Schlabberlook aussah. Doch weder wagte er es, ihn zu lange zu

beobachten, noch ihn zu berühren, auch wenn ihm danach war, seine Hand zu

nehmen. Während die Engel an der Krippe ihr Lied sangen, stellte Nathan

fest, dass er kein Geschenk für seinen neuen Freund hatte und nahm sich vor,

das definitiv nachzuholen.

Während Tore mechanisch die Lieder mitleierte und die Predigt an sich

vorbeirauschen ließ, zerbrach er sich den Kopf, wie er Nathan beschenken

könnte, aber ihm fiel nichts ein. Davon ein wenig verärgert, sowie von dem

Stillsitzen genervt, schaffte er es nur mit Mühe, am Esstisch vor dem im

Lichterglanz prachtvoll schimmernden Baum zu lächeln, als sie endlich wieder

zu Hause waren.

Immer wieder sah Nathan über Bratenplatten und Soßenschüsseln zu Tore hin;

er konnte einfach nicht anders. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als

er feststellte, dass der Platz, den er und Tore zugewiesen bekommen hatten,

gegenüber voneinander, nicht der schlechteste war. Er ließ seine Serviette

fallen und visierte, als er sie unter dem Tisch aufhob, Tores Beine an.

Scheinbar interessiert mischte er sich dann wieder in die Unterhaltung ein

und lobte den Braten, den seine Oma zubereitet hatte, während er einen

Hausschuh vom Fuß streifte, nach Tores Bein tastete und ihn über den Fuß und

unter der Hose über das Schienbein streichelte.

Tore verschluckte sich ein wenig an dem Schokoladenpudding mit Schuss, den

er gerade mit Genuss in sich hineingeschaufelt hatte. Dann warf er einen

kleinen Blick zu Nathan rüber und begann, das Essen mit einem Mal weitaus

interessanter zu finden. Immer wieder streiften sich ihre Blicke, während um

sie herum über Weihnachtsbräuche diskutiert wurde und die Großeltern sich zu

erinnern meinten, dass der Pfarrer dieselbe Predigt doch schon im Jahr zuvor

gehalten hatte.

Als sie mit vereinten Kräften den Tisch abräumten, um Platz zu schaffen für

warmen Punsch und Kekse und natürlich die Geschenke, gelang es Tore sogar,

Nathan leicht auf den Hals zu küssen, als er an ihm vorbei eine Schale vom

Tisch nahm. /Hm. Er riecht so lecker, und er flirtet so süß mit mir. Bin ich

verknallt? Ich muss verschossen sein in ihn, sonst würde ich nicht permanent

so dämlich grinsen./

Die Großeltern holten ihre Geschenke von den Enkeln zum Tisch heran, um dort

im besseren Licht auch die Anhängekärtchen lesen zu können. Gleich bemerkten

sie, dass auch Tore ihnen ein Geschenk machte, und es folgte eine wortreiche

Diskussion darum, ob das denn nötig gewesen wäre. Natürlich nicht, aber Tore

wehrte ihren übermäßigen Dank geschickt ab, während er sich von Chris zum

Dank für die Bücher umarmen ließ.

Chris schenkte ihm von Lydia umwerfend kreativ eingepackte und angenehmen

Duft verströmende Kerzen in drei Gläsern und ein kleines Buch mit Spielideen

für Jugendgruppen. Noch einmal umarmten Chris und er sich lachend.

Schüchtern sah er zu Nathan hin, der auf dem Sofa saß und hockte sich dann

vor ihn, um sich an seinem Knie festhaltend zu murmeln "Es ist nicht das

Geschenk, dass ich eigentlich hätte machen wollen. Ich kannte dich zu wenig

für etwas schöneres."

Nathan musste sich zusammenreißen, um sich nicht vorzubeugen und Tore

einfach auf den Mund zu küssen, als die grauen Augen ihn fast scheu ansahen,

während die Berührung ein warmes Kribbeln in ihm hervorrief. /Wenn ich ihn

wenigstens streicheln dürfte.../ Stattdessen schenkte er ihm ein Lächeln und

einen Blick, von dem er hoffte, dass er nur Tore sagte, was er empfand.

"Danke. Das ist mehr, als ich für dich habe. Das tut mir leid."

Obwohl er im Allgemeinen Papier eher rücksichtslos aufriss, nahm er sich

dieses Mal die Zeit, die Klebstreifen zu entfernen und es sorgfältig zu

entfalten. Es waren einige Tafeln Schokolade, und Nathan musste grinsen.

"Hm, aber trotzdem gut getroffen. Ich nasche hin und wieder erschreckend

gerne."

Er nutzte die günstige Gelegenheit, um Tore seinerseits kurz zu umarmen und

ihm ins Ohr zu flüstern "Das größte Geschenk bist ohnehin du."

Tore errötete ein wenig und drückte ihn als Antwort einmal schnell fester.

Dann zog er sich seinerseits auf das Sofa zurück, während die Jungs von der

Oma gestrickte Socken und Handschuhe anprobieren mussten und sich

gegenseitig ebenso noch beschenkten.

Die Geschenke von den Eltern wurden ausgepackt. Tore hatte neben einigen

grauenhaften Büchern von seiner Mutter und noch schlimmeren T-Shirts von der

Freundin seines Vaters zum Glück reichlich Geld geschenkt bekommen. Nachdem

die Eltern sich im schlechten Gewissen aalten, weil sie jeder annahmen, dass

Tore sich gegen sie entschieden hatte wegen der Neuerungen in ihrer Familie,

war die Summe deutlich aufgestockt worden.

Um der Familie mal ein wenig Luft zu lassen und um Abstand von Nathan zu

bekommen, den er sonst sicherlich noch deutlicher begann mit Blicken und

zufälligen Berührungen zu verfolgen, entschuldigte Tore sich, um seine

Eltern anzurufen.

Es lief nicht gut, seine Eltern wussten bereits, dass er sich nicht nur

gegen einen von ihnen, sondern gegen sie beide entschieden hatte. Es gab den

weihnachtstypischen Familienkrach in drei Akten. Erst Tore gegen seine

Mutter, dann seine Mutter gegen seinen Vater, dann der Vater gegen Tore. Zum

Schluss legte Tore auf, nachdem er ihnen mitgeteilt hatte, dass er vor

Ostern auch nicht mehr anrufen würde, wenn es so weiterging.

Er war zu wütend zum Essen und Feiern und vor allem zum Stillsitzen.

Stattdessen zog er seine dicken Turnschuhe wieder an, nahm seine Jacke und

rief ins Wohnzimmer, dass er mal ein wenig frische Luft bräuchte. Rasch

verließ er das Haus und beachtete auch nicht die freudig wedelnde Dunja. Er

ging über die Auffahrt zur Straße und kickte einige Eisklumpen auf die

gegenüberliegende Seite.

/Blöde Eltern. Blödes Fest. Aber Nathan.../ Er sah einmal kurz zurück und

lächelte leicht. /Das ist es doch wieder wert, dass man feiert. Ich bin ein

Geschenk, sagt er... Aber er weiß nicht wie schwierig, aussichtslos, wie

kompliziert das wird. Er denkt wie all die anderen, dass es leicht ist, dass

es nur ein wenig Zureden brauchen wird./

Tore ging aus dem Sichtfeld des Hauses und formte mit bloßen Händen einen

Schneeball, den er dann über die Gartenmauer der Nachbarn kugelte, bis eine

dicke, unförmige Rolle entstanden war. Grinsend stellte er die Rolle auf

einen Pfosten auf. /Wie aber machen wir das? Ich will ihn. Diesmal ist es

stärker als sonst. Ich will ihn spüren, so sehr, zu sehr fast schon. Aber

wenn es schief geht und ich schreie, ist das ganze Haus wach. Chris bekommt

einen Schock./

Tore lehnte sich neben dem Pfosten an. /Guten Morgen und fröhliche

Weihnachten, Chris. Ach ja. Folgendes: Ich bin schwul. Ich hab mich

verknallt in deinen kleinen Bruder... Ach ja, der ist auch schwul. Da kann

ich ihn ja schmerzloser mit einem Holzhammer erschlagen, verdammt!/

Nathan hatte aufgehorcht, als er den verärgerten Unterton in Tores Stimme

vernommen hatte, nachdem es kurz zuvor etwas lauter im Flur gewesen war.

Gerne wäre er ihm gefolgt, doch warum auch immer Tore das Haus verlassen

hatte, er wollte bestimmt allein sein. Deswegen nahm Nathan sich zusammen

und blieb, wo er war, um mit Christian seinen Großeltern die Funktionsweise

der teuren Kaffeemaschine zu erklären, die sie ihnen geschenkt hatten und

die auch Cappuccino und Espresso herstellen konnte. Obwohl sie sich diese

gewünscht hatten, war es gar nicht so einfach, es ihnen begreiflich zu

machen, und so vergaß er für eine Weile seine Gedanken um Tore. Als dieser

jedoch nach zwanzig Minuten noch immer nicht wieder gekommen war, begann er,

sich Sorgen zu machen.

/Ob er geklingelt hat und wir ihn überhört haben? Aber nein, dann hätte

Dunja gebellt, und zumindest das ist deutlich. Wenn ihm etwas passiert ist?

Nathan, hör auf, immer so schnell das Schlimmste zu befürchten! Nur, weil du

ihn magst, passiert ihm nicht plötzlich etwas, das ihm nicht passiert wäre,

wenn er dir gleichgültig wäre./ Dennoch stand er auf und streckte sich. "Ich

lasse Dunja noch mal kurz raus und schau bei der Gelegenheit nach, ob Tore

im Schnee versackt ist."

"Danke, Brüderchen."

Als Nathan Christians Miene sah, spürte er einen nervösen Stich.

Offensichtlich war auch sein Bruder der Meinung, dass Tore schon zu lange

weg war. /Hör auf, habe ich gesagt!/, schalt er sich ärgerlich. /Zwanzig

Minuten sind nun wirklich nicht die Welt./

"Bis gleich. Ich werde nicht lange weg sein." Im Flur zog er sich rasch

Stiefel und seine warme Winterjacke an, dann verließ er mit Dunja das Haus.
 

Die eisige Luft war angenehm nach der stickigen Hitze des Wohnzimmers,

Nathan atmete befreit auf, während seine Hündin schon wieder durch den

Schnee tobte, als hätte sie den Tag über noch keinen Auslauf bekommen. Der

dunkle Himmel war klar, und für einen Moment wünschte Nathan sich, dass er

weit außerhalb wäre, um mehr Sterne sehen zu können.

Dann jedoch schaute er sich wieder besorgt um, konnte Tore aber nicht

entdecken. Nur seine deutlichen Fußspuren führten aus dem Garten fort. Er

folgte ihnen, bis er den anderen Mann nicht allzu weit entfernt fand,

angelehnt an den Zaun der Nachbarn und mit dem Rücken zu ihm.

"Tore?" Er trat zu ihm, schob ihm nach einem kurzen Blick in die Runde die

Arme von hinten um die Taille und zog ihn dann an sich. Um die Uhrzeit war

an Weihnachten hier niemand mehr auf der Straße. Sacht drückte er ihm die

Lippen auf den kühlen Hals. "Alles in Ordnung?"

Tore zuckte leicht zusammen und merkte erst in dem Moment, wie ausgekühlt er

schon war. "Ja, alles okay, ich hab nur ein wenig frische Luft gebraucht."

Er drehte sich zu Nathan um und sah ihn kurz an, dann lächelte er und zog

den Reißverschluss von seinem Parka mit steifen Fingern auf.

"Schaut aus, als müsstest du mich auftauen." Er schob seine Arme unter dem

Parka um Nathans kräftigen Oberkörper herum und lehnte sich gegen ihn, um

aufatmend die Nase gegen den Stoff zu stupsen.

Sacht drückte Nathan ihn an sich und vergrub das Gesicht in Tores dank der

Kirche ungegelten Haaren. Er war erleichtert, dass es ihm gut ging, schämte

sich jedoch ein klein wenig, dass er so beunruhigt war. /Aber Christian war

es ja auch./

Einen Moment lang schwieg Tore noch, dann trat er seufzend einen Schritt

zurück und sagte leise "Ich... bin kein Baby, du musst dir keine Gedanken um

mich machen, Nat." Er küsste ihn einmal schnell und drehte sich dann herum.

"Ich hab mir nur Sorgen gemacht wegen Chris. Irgendwie finde ich es unfair

zu schweigen."

Tore warf einen Seitenblick auf Nathan, der von Dunja umtollt wurde und

musste spontan lachen. "Tut mir leid, tschuldigung. Das ist alles so

schnell, und wir kennen uns erst seit nicht mal drei Tagen, und ich fange

schon so an."

Auch Nathan lachte leise auf. Es machte ihn glücklich, dass Tore so dachte.

Über nur einen Ferienflirt zerbrach man sich nicht den Kopf mit so etwas.

"Erstens hat Christian sich auch gefragt, wo du bleibst, und wenn ich nicht

gegangen wäre, hätte er nach dir geschaut. Da war mir das so doch lieber.

Zumal Dunja wenigstens noch mal kurz raus musste. Für einen Spaziergang, wie

sie ihn sich wünscht, ist mir das jetzt zu spät. Und zum Zweiten..."

Er legte den Kopf in den Nacken und sah zum Sternenhimmel empor, ehe er mit

einem Lächeln zu Tore hin die Hände in den Taschen vergrub. "Ich mag es,

wenn du dir darüber Gedanken machst. Und Chris wird es auf jeden Fall

erfahren. Meine Großeltern auch. Nur nicht heute."

Dann konnte er nicht mehr widerstehen und umarmte ihn, küsste ihn auf die

Wange, den Mundwinkel und die Nase, um ihm dann in die Augen zu sehen. "Ich

könnte dir doch etwas schenken, wenn du es magst. Ich kann gut massieren.

Ich verspreche dir auch, ich fasse dich nicht weiter an als nur, um dich

durchzukneten."

Tore lachte leise auf. "Mit anderen Worten, du willst dich wirklich in Nacht

und Nebel durchs Haus schleichen? Aber 'nein' würde ich sicherlich nicht

sagen." Sie wandten sich schon wieder dem Haus zu und gingen langsam zurück.

Durch das Fenster auf der linken Seite konnte Tore den Baum der Mieter

erkennen. Die Kerzen wurden soeben zum zweiten Mal angezündet;

offensichtlich war auch Besuch da, denn zwei Wagen parkten noch auf der

Straße.

"Ich bin so verdammt froh, dass ich hier bin und nicht bei meiner Mutter in

ihrer Designerwohnung mit ihrem ekeligen Kerl, der mich immer versucht zu

therapieren, oder bei meinem Vater auf Hawaii, das wäre ja noch besser!" Er

warf einen schüchternen Blick zu Nathan hin und wollte ihn gerade fragen,

was er Silvester vorhatte, als Christian in der Tür erschien und ihnen

zuwinkte.

Tore grinste und lief zu ihm hin, warf heimtückisch mit einem Schneeball und

erklärte dann "Ich war ein wenig mies drauf wegen meiner dummen Eltern mal

wieder, kennste ja. Ich wollte euch aber nicht mit meiner Laune anstecken."

Er lachte und klopfte der Hündin auf den Rücken. "Dunja hat mich wieder

aufgemuntert."

Dunja wedelte fröhlich mit dem Schwanz, und Christian lachte. "Das kann sie

gut. Und ich finde es klasse, dass du hier bist. Besser, als dich mit deinen

Eltern rumzuärgern." Er zwinkerte ihm zu und sagte eine ganze Ecke leiser

"Zudem ist es sehr angenehm, mit einem Freund hier zu sein. So lieb sie

sind, sind meine Großeltern doch etwas anstrengend manchmal."

Nachdem Tore sich die Jacke ausgezogen hatte, legte er ihm einen Arm um die

Schulter, um ihn wieder mit ins Wohnzimmer zu nehmen. Nathan, der wie üblich

erst einmal Dunja abgetrocknet hatte, sah ihm mit einem stummen Seufzen

hinterher, ein wenig neidisch darauf, dass Christian es so einfach durfte,

Tore umarmen und drücken, selbst wenn es nur kurz war.

/Dummkopf/, dachte er mit einem leise lächelnden Kopfschütteln. /Das, was du

willst, ist weitaus mehr und gänzlich anderer Art./ Seine Gedanken wanderten

zu dem leicht amüsierten Kommentar Tores zurück, dass er wirklich nachts zu

ihm kommen wollte. Natürlich wollte er. Am liebsten wäre er gar nicht mehr

von der Seite des anderen Mannes gewichen, hätte ihn gerne schon jetzt im

Arm gehalten.

Während Dunja ihm brav die Pfoten anhob, damit er sie von Schnee und Dreck

befreien konnte, driftete er zu dem ab, was Tore ihm am Nachmittag erzählt

hatte. Dass er sich nackt nicht anfassen ließ. Dass Küssen und Umarmen in

Ordnung war, aber alles darüber hinaus... /Und keiner weiß warum. Mach dir

bloß nicht zu viele Gedanken darüber, Nathan. Noch jemand, der Therapien

ausprobiert, kann ihm mit ziemlicher Sicherheit gestohlen bleiben. Aber was

mache ich, wenn es wirklich nicht geht? Ich will ihn jetzt schon so sehr./

Gleichzeitig wusste er jedoch, dass er für diesen Mann mehr als nur Geduld

haben würde.

Erst als Dunja unruhig zu werden begann, stellte er fest, dass er schon viel

zu lange an ihr herumrubbelte. Mit einem schiefen Grinsen und einem

kräftigen Klopfen auf ihre Flanke gab er sie frei. "Tut mir leid, Süße. Ich

war in Gedanken woanders."

Er räumte das alte Handtuch weg und kam dann langsam ins Wohnzimmer

hinterher. Den Rest des Abends bemühte er sich redlich, weder dauernd zu

Tore hinzustarren, noch tausend Gelegenheiten zu suchen, um ihn rein

zufällig berühren zu dürfen. Dafür empfand er die, bei denen es wirklich

nebenbei geschah, als um so wertvoller.

Es war schon weit nach Mitternacht, als die Großeltern sich verabschiedeten

und dann noch einmal sicherlich eine halben Stunde, in der die drei Jungs

bei endgültig niederbrennenden Kerzen ihren letzten Schluck im Glas

aufschoben, während sie sich halbbetrunkenen Unsinn erzählten.

Tore genoss das Zusammensein mit Christian und Nathan, obwohl er den Mann,

in den er sich so unerwartet und heftig verschossen hatte, nicht umkuscheln

und küssen durfte. Nathan und er saßen nebeneinander auf dem Sofa und Chris

auf dem Hocker vom Sessel davor. Dies gab Tore die Gelegenheit, dichter

neben Nathan zu sitzen, weil sie leise reden wollten und sich ein wenig

heimlichtuerisch zusammenrotteten.

Doch es hatte auch den dummen Nebeneffekt, dass er zu denken begann, dass

dies ein guter Moment wäre. Um es Chris zu sagen, um dazu stehen zu können,

ohne Erklärungen, in denen Worte wie ,Damals Weihnachten... wir sind nur

noch nicht dazu gekommen...' /Ja, wann ist es denn richtig? Shit. Er ist

nicht mein Bruder. Es ist nicht meine Entscheidung, sondern seine./

Frustriert nippte er noch einmal an seinem längst kühlen Glühwein. Das gab

den Anstoß. "Ich mach mir noch einen halben Becher heiß, dann schlafe ich

sicherlich heute Nacht wie ein Stein. Nat, du auch? Chrissi ist wohl noch

abstinent nach gestern, gell?"

Er nahm Nathans Becher mit einem kleinen Blick in dessen Augen entgegen und

ging in die Küche hinüber, Dunja folgte ihm, um geräuschvoll aus dem

Wassernapf zu trinken, den Tore ihr rasch noch einmal frisch machte.

Nathan sah ihm kurz hinterher und hatte das dumpfe Gefühl zu wissen, was

Tore damit bezweckte. Doch er würde es nicht an Weihnachten sagen, das hatte

er durchaus ernst gemeint. Er hatte keine Lust darauf, dass es Christian als

verdorbenes Fest in Erinnerung bleiben würde.

Ein schneller Blick in der Runde sagte Tore, dass Nathan diesen Moment nicht

sinnvoll gefunden hatte, und ein Seufzen unterdrückend stellte er die Becher

ab. Sie blieben, nachdem die Kerzen eine nach der anderen verloschen waren,

nicht mehr lange im Wohnzimmer. Christian lüftete den Rauch noch ein wenig

aus, und Nathan ließ Dunja noch einmal in den Garten, damit sie am anderen

Morgen länger aushielt. Somit blieb Tore nur noch, die Becher und Gläser

abzuräumen und sich dann nach einem raschen Zähneputzen in sein Zimmer zu

verabschieden.

Er zog sich seine Hose und das T-Shirt über und knipste dann die

Nachttischlampe an, aber stellte sie auf den Fußboden, was zum Effekt hatte,

dass der braune Lampenschirm aus Holzlamellen nur gedämpftes Licht

verbreitete, das kaum auf das Bett hinauf reichte.

Gespannt setzte er sich am Kopfende auf und wartete, ob Nathan sein Wort

haltend tatsächlich zu ihm schleichen würde. Allein der Gedanke zauberte

einen Wirbel wilder Gefühle in seinen Bauch. Kein einziges ließ die mögliche

Kälte vermuten. /Vielleicht... Das letzte Mal, dass ich es versucht habe,

ist schon ein Jahr her, wäre es nicht toll, wenn es wegen ihm aufhören

würde? Einfach so? Nur, weil ich mich in ihn verschossen habe?/ Und das

hatte er, aber nicht zu knapp. Wie noch nie zuvor wollte er Nathan haben, um

sich haben, ihn spüren, ihn küssen. /Mal sehen, er hat massieren gesagt,

vielleicht, wenn wir uns ranpirschen.../

Nathan war in seine alte Jogginghose und das ausgeleierte T-Shirt

geschlüpft, was er hier zum Schlafen trug, und stand zähneputzend vor dem

Badezimmerspiegel. Er starrte sich in die grünen Augen und fragte sich, ob

er wirklich so zu Tore gehen wollte. Doch immerhin wollte er nicht mehr, als

ihn zu massieren. /Von wegen. Ich will viel mehr./ Das glucksende Grinsen

fiel dank der Zahnbürste sehr schräg aus, was ihn noch mehr zum Lachen

brachte und ihn Mühe kostete, um sich nicht zu verschlucken.

Während er sich den Mund ausspülte, gab er sich das feste Versprechen,

dennoch brav zu bleiben. Zwar würde er kaum verhindern können, dass er Tore

begehrte, und vermutlich würde man ihm das auch ansehen, doch das hieß noch

lange nicht, dass er über ihn herfallen musste. Nach einem letzten Blick in

den Spiegel und einem vergeblichen Versuch, seine zerzausten, blonden Haare

mit etwas Wasser zu bändigen, nahm er das Körperöl mit in sein Zimmer und

überließ Christian das Bad.

Auf seinem Bett sitzend lauschte er auf die Geräusche, die sein Bruder

machte, hörte seine Schritte und schließlich das Klappen der Tür. /Wie lange

braucht er, um einzuschlafen? Verdammt, ist das nicht egal? Ich will ihn

massieren. He, Nathan, massieren! Das gibt keine verräterischen Laute./

Dennoch wartete er nahezu eine Viertelstunde, ehe er aufstand, um zu Tore zu

gehen. Er konnte nicht verhindern, dass er breit grinste und sich wie ein

Teenager vorkam. Heimlich durch das nächtliche Haus schleichen, um seinen

Freund zu treffen, war in seinen Augen nicht besonders erwachsen. Nur kurz

klopfte er an, um dann direkt einzutreten und die Tür hinter sich wieder zu

schließen.

Ein warmes Kribbeln breitete sich in seinem Magen aus und flutete von dort

durch seinen Körper, als er den schlanken Mann auf dem Bett sitzen sah,

neben dem unsäglichen, bunten Stofftier, während Tore mit diesen

atemberaubenden, grauen Augen in einer Mischung aus Erwartung, Freude und

Belustigung seinen Blick erwiderte. Nathan lächelte und setzte sich zu ihm,

um ihm einen schnellen Kuss auf den Mund zu geben und dann die Flasche mit

Öl anzuheben. "Hier. Versprochen ist versprochen."

Tore konnte nicht verhindern, dass er breit über sein ganzes Gesicht zu

grinsen begann. "Wow, du hast dich wirklich hergeschlichen. Wie ein Schüler,

der heimlich rauchen will. Ich komme mir so... witzig vor, irgendwie wie

damals. Die erste Liebe, sich treffen in einem halb verfallenen Schuppen,

heimlich diese Pornohefte durchblättern, die ich aus der Schwulenkommune

geklaut hatte." Er lachte leise, dann küsste er Nathan noch einmal auf den

Mund. Länger diesmal und weicher. Nicht nur als Begrüßung gedacht, sondern

auch als Einladung. Er krabbelte etwas zurück und zog sein T-Shirt aus,

legte sich der Länge nach auf das Bett. "Auf den Bauch, ja?"

Nathan nickte, als die Wärme in ihm anstieg und sich Schmetterlinge dazu

gesellten, und ließ seinen Blick bewundernd über den sehnigen, wenn auch

sehr schlanken Oberkörper gleiten, jetzt, wo er es so offen durfte. Diese

leicht definierten Muskeln, die er überall bewundern konnte, gefielen ihm

besser als so mancher Mann mit deutlich mehr.

"Ich fühle mich auch etwas komisch", gestand er mit einem leisen Lachen, das

aber verstummte, als er Tore zärtlich durch die Haare streichelte, um die

Hand auf seinem Hinterkopf ruhen zu lassen und ihn näher an sich zu ziehen.

/Ich darf ihn nicht so anfassen, wie ich gerne möchte. Aber ich darf ihn

küssen./ Und das tat er auch. Liebevoll erkundete er den warmen Mund, die

weichen Lippen, die sich so perfekt auf seinen anfühlten, die Zähne und den

Gaumen, spielte mit Tores Zunge und neckte den anderen Mann, ohne ihn weiter

als so zu berühren.

Als er sich endlich zurückzog, lächelte er und sah ihm in die halb

geschlossenen, grauen Augen. "Du hast mir vollkommen den Kopf verdreht,

Tore."

Tore errötete und ließ den Blick lediglich lächelnd über Nathans Gesicht und

seine Hände streifen. Er mochte beides so gern, viel zu gern. /Und du mir,

wir sind quitt./ Aber er sagte es nicht, sondern schloss schweigend die

Augen und versuchte sich entspannt sinken zu lassen.

Noch immer lächelnd schraubte Nathan die Flasche auf und ließ sich reichlich

Öl auf die Hände laufen, um es anzuwärmen. Dann erst legte er sie auf den

durchtrainierten Rücken, um es in langsamen, streichelnden Bewegungen auf

der warmen Haut zu verteilen. Es tat gut, ihn so direkt zu berühren, und

Nathan ließ sich Zeit damit, erforschte die leichten Erhebungen der Rippen,

folgte ihnen bis zu den Seiten, ehe er wieder zurückglitt und das Rückgrat

entlang zeichnete. Nur allmählich wurden seine Griffe fester, als er nach

Verspannungen zu suchen begann.

Gern hätte Tore das Schnurren gelernt, denn das wäre die passende Antwort

auf das feste, gleichmäßige Streicheln von Nathan gewesen. Er war zu müde

für Erregung und zu wach, um einzuschlafen, so blieb er in einem

genießerischen Halbschlummer gefangen, es kam ihm vor wie ein Traum. Er

hatte sich verliebt, und sie taten rein gar nichts, versuchten nichts; die

wenigen Küsse, das leichte Streicheln und im Grunde viel zu wenig, aber

dennoch so herrlich seine Erwartungen steigernd.

Er streckte sich nach einer kleinen Weile und murmelte schlaftrunken "Ich

bin immer am Kreuz verspannt, weiß nicht wieso, vielleicht vom Skaten."

Damit zog er seine Hose eine Idee weiter herunter, gerade so weit, dass man

den Ansatz vom Po sehen konnte.

Nathan konnte nicht anders als ihn anzusehen und sich vorzustellen, wie es

wäre, ihn exakt jetzt an exakt dieser Stelle zu küssen. Doch er blieb artig,

berührte ihn nicht einmal mit den Händen dort, nur beinahe, als er eine

Verspannung weiter verfolgte, um sie wegzumassieren. "Wann immer dir danach

ist, frag einfach. Mir macht das Spaß."

"Verrückt... Aus welchem Himmel bist denn du gefallen?" Tore gähnte

verhalten, aber lächelte Nathan einmal leicht zu. "Das ist herrlich."

Nathan grinste versteckt. Es war zumindest dann großartig, wenn er jemanden

wie Tore durchkneten durfte, auch wenn er es gleichzeitig als süße Folter

empfand. Allein, ihn in dem gedämpften Licht zu betrachten, war etwas

besonderes, es zauberte mit dem weichen Schimmer des Öls Wärme auf den

schlanken Körper. Und so fuhr er damit fort, ihn zu massieren, als er nichts

mehr fand, was auch nur noch im entferntesten verhärteten Muskeln glich.

Tore schien unter seinen Händen dahin geschmolzen zu sein. Schließlich, als

er das Gefühl hatte, dass der andere Mann mehr und mehr in einen Zustand

glitt, der dem Schlaf ähnlicher als dem Wachen war, wurden seine Griffe

wieder leichter, bis er ihn erneut nur zärtlich streichelte. Er musste sich

anstrengen, um es vollkommen enden zu lassen. Die Hände leicht auf dem

mittleren Rücken ruhend beugte er sich nach vorne und küsste ihn vorsichtig

auf die Schulter.

"So, ich denke, das reicht für heute", sagte er leise und rieb seine Nase

sacht an Tores Wange. "Willst du dein T-Shirt noch anziehen, oder soll ich

dich gleich zudecken?"

Tore drehte sich herum und schlang seine Arme um Nathans Schultern, um ihn

energischer, als er es sich selber zugetraut hatte, zu sich herab zu ziehen.

"Küssen musst du mich noch einmal, sonst schlafe ich sicherlich nicht ein."

Nathan fing sich überrumpelt ab, um nicht auf ihm zu landen, konnte aber

nicht verhindern, dass Tore ihn nah genug zog, dass er seine Wärme durch das

Shirt hindurch an seiner Brust spüren konnte. Die Hitze, die durch ihn

hindurch schoss, explodierte direkt in seinen Lenden. /Ich schlafe so und so

nicht ein. Reiß dich zusammen, Mann! Gott, wie sehr ich ihn will.../

"Dein Wunsch ist mir Befehl." Er konnte seiner Stimme anhören, wie sehr er

ihn begehrte und hoffte, dass Tore es nicht ebenso erkennen konnte. Sacht

fuhr er ihm durch das kurze Haar und sah ihm in die Augen, ehe er die letzte

Entfernung vernichtete und seine Lippen auf Tores legte, um ihn weich zu

küssen.

Kap. 7

Es wurde weitaus länger und inniger, als Nathan geplant hatte, aber nicht

von wilder Leidenschaft, sondern eher von liebender Zärtlichkeit geprägt,

die seine Erregung zwar nicht verringerte, ihn jedoch mit einem warmen

Gefühl erfüllte, das ihn begreifen ließ, dass mehr für den Moment auch für

ihn nicht notwendig war.

/Verrückt/, dachte er ein wenig schwindelig, als sie sich wieder voneinander

lösten, und lächelte glücklich. /Vollkommen verrückt das ganze; und ich

glaube, ich bin vollkommen verliebt./ Rasch küsste er Tore noch einmal und

noch einmal, ehe er sich endgültig von ihm trennte.

Fürsorglich deckte er ihn zu und drückte seine Lippen erneut auf Tores

Stirn, bevor er vom Bettrand aufstand, die Lampe wieder auf den Nachttisch

stellte und nach der Ölflasche griff. "Gute Nacht; süße Träume wünsche ich

dir."

Mit einem letzten Lächeln zu Tore hin verließ er endlich dessen Zimmer, um

sich auf den wenigen Metern in sein eigenes zurück beinahe zu fühlen, als

würde er schweben.
 

erschien und ihnen zuwinkte.

Tore grinste und lief zu ihm hin, warf heimtückisch mit einem Schneeball und

erklärte dann "Ich war ein wenig mies drauf wegen meiner dummen Eltern mal

wieder, kennste ja. Ich wollte euch aber nicht mit meiner Laune anstecken."

Er lachte und klopfte der Hündin auf den Rücken. "Dunja hat mich wieder

aufgemuntert."

Dunja wedelte fröhlich mit dem Schwanz, und Christian lachte. "Das kann sie

gut. Und ich finde es klasse, dass du hier bist. Besser, als dich mit deinen

Eltern rumzuärgern." Er zwinkerte ihm zu und sagte eine ganze Ecke leiser

"Zudem ist es sehr angenehm, mit einem Freund hier zu sein. So lieb sie

sind, sind meine Großeltern doch etwas anstrengend manchmal."

Nachdem Tore sich die Jacke ausgezogen hatte, legte er ihm einen Arm um die

Schulter, um ihn wieder mit ins Wohnzimmer zu nehmen. Nathan, der wie üblich

erst einmal Dunja abgetrocknet hatte, sah ihm mit einem stummen Seufzen

hinterher, ein wenig neidisch darauf, dass Christian es so einfach durfte,

Tore umarmen und drücken, selbst wenn es nur kurz war.

/Dummkopf/, dachte er mit einem leise lächelnden Kopfschütteln. /Das, was du

willst, ist weitaus mehr und gänzlich anderer Art./ Seine Gedanken wanderten

zu dem leicht amüsierten Kommentar Tores zurück, dass er wirklich nachts zu

ihm kommen wollte. Natürlich wollte er. Am liebsten wäre er gar nicht mehr

von der Seite des anderen Mannes gewichen, hätte ihn gerne schon jetzt im

Arm gehalten.

Während Dunja ihm brav die Pfoten anhob, damit er sie von Schnee und Dreck

befreien konnte, driftete er zu dem ab, was Tore ihm am Nachmittag erzählt

hatte. Dass er sich nackt nicht anfassen ließ. Dass Küssen und Umarmen in

Ordnung war, aber alles darüber hinaus... /Und keiner weiß warum. Mach dir

bloß nicht zu viele Gedanken darüber, Nathan. Noch jemand, der Therapien

ausprobiert, kann ihm mit ziemlicher Sicherheit gestohlen bleiben. Aber was

mache ich, wenn es wirklich nicht geht? Ich will ihn jetzt schon so sehr./

Gleichzeitig wusste er jedoch, dass er für diesen Mann mehr als nur Geduld

haben würde.

Erst als Dunja unruhig zu werden begann, stellte er fest, dass er schon viel

zu lange an ihr herumrubbelte. Mit einem schiefen Grinsen und einem

kräftigen Klopfen auf ihre Flanke gab er sie frei. "Tut mir leid, Süße. Ich

war in Gedanken woanders."

Er räumte das alte Handtuch weg und kam dann langsam ins Wohnzimmer

hinterher. Den Rest des Abends bemühte er sich redlich, weder dauernd zu

Tore hinzustarren, noch tausend Gelegenheiten zu suchen, um ihn rein

zufällig berühren zu dürfen. Dafür empfand er die, bei denen es wirklich

nebenbei geschah, als um so wertvoller.

Es war schon weit nach Mitternacht, als die Großeltern sich verabschiedeten

und dann noch einmal sicherlich eine halben Stunde, in der die drei Jungs

bei endgültig niederbrennenden Kerzen ihren letzten Schluck im Glas

aufschoben, während sie sich halbbetrunkenen Unsinn erzählten.

Tore genoss das Zusammensein mit Christian und Nathan, obwohl er den Mann,

in den er sich so unerwartet und heftig verschossen hatte, nicht umkuscheln

und küssen durfte. Nathan und er saßen nebeneinander auf dem Sofa und Chris

auf dem Hocker vom Sessel davor. Dies gab Tore die Gelegenheit, dichter

neben Nathan zu sitzen, weil sie leise reden wollten und sich ein wenig

heimlichtuerisch zusammenrotteten.

Doch es hatte auch den dummen Nebeneffekt, dass er zu denken begann, dass

dies ein guter Moment wäre. Um es Chris zu sagen, um dazu stehen zu können,

ohne Erklärungen, in denen Worte wie ,Damals Weihnachten... wir sind nur

noch nicht dazu gekommen...' /Ja, wann ist es denn richtig? Shit. Er ist

nicht mein Bruder. Es ist nicht meine Entscheidung, sondern seine./

Frustriert nippte er noch einmal an seinem längst kühlen Glühwein. Das gab

den Anstoß. "Ich mach mir noch einen halben Becher heiß, dann schlafe ich

sicherlich heute Nacht wie ein Stein. Nat, du auch? Chrissi ist wohl noch

abstinent nach gestern, gell?"

Er nahm Nathans Becher mit einem kleinen Blick in dessen Augen entgegen und

ging in die Küche hinüber, Dunja folgte ihm, um geräuschvoll aus dem

Wassernapf zu trinken, den Tore ihr rasch noch einmal frisch machte.

Nathan sah ihm kurz hinterher und hatte das dumpfe Gefühl zu wissen, was

Tore damit bezweckte. Doch er würde es nicht an Weihnachten sagen, das hatte

er durchaus ernst gemeint. Er hatte keine Lust darauf, dass es Christian als

verdorbenes Fest in Erinnerung bleiben würde.

Ein schneller Blick in der Runde sagte Tore, dass Nathan diesen Moment nicht

sinnvoll gefunden hatte, und ein Seufzen unterdrückend stellte er die Becher

ab. Sie blieben, nachdem die Kerzen eine nach der anderen verloschen waren,

nicht mehr lange im Wohnzimmer. Christian lüftete den Rauch noch ein wenig

aus, und Nathan ließ Dunja noch einmal in den Garten, damit sie am anderen

Morgen länger aushielt. Somit blieb Tore nur noch, die Becher und Gläser

abzuräumen und sich dann nach einem raschen Zähneputzen in sein Zimmer zu

verabschieden.

Er zog sich seine Hose und das T-Shirt über und knipste dann die

Nachttischlampe an, aber stellte sie auf den Fußboden, was zum Effekt hatte,

dass der braune Lampenschirm aus Holzlamellen nur gedämpftes Licht

verbreitete, das kaum auf das Bett hinauf reichte.

Gespannt setzte er sich am Kopfende auf und wartete, ob Nathan sein Wort

haltend tatsächlich zu ihm schleichen würde. Allein der Gedanke zauberte

einen Wirbel wilder Gefühle in seinen Bauch. Kein einziges ließ die mögliche

Kälte vermuten. /Vielleicht... Das letzte Mal, dass ich es versucht habe,

ist schon ein Jahr her, wäre es nicht toll, wenn es wegen ihm aufhören

würde? Einfach so? Nur, weil ich mich in ihn verschossen habe?/ Und das

hatte er, aber nicht zu knapp. Wie noch nie zuvor wollte er Nathan haben, um

sich haben, ihn spüren, ihn küssen. /Mal sehen, er hat massieren gesagt,

vielleicht, wenn wir uns ranpirschen.../

Nathan war in seine alte Jogginghose und das ausgeleierte T-Shirt

geschlüpft, was er hier zum Schlafen trug, und stand zähneputzend vor dem

Badezimmerspiegel. Er starrte sich in die grünen Augen und fragte sich, ob

er wirklich so zu Tore gehen wollte. Doch immerhin wollte er nicht mehr, als

ihn zu massieren. /Von wegen. Ich will viel mehr./ Das glucksende Grinsen

fiel dank der Zahnbürste sehr schräg aus, was ihn noch mehr zum Lachen

brachte und ihn Mühe kostete, um sich nicht zu verschlucken.

Während er sich den Mund ausspülte, gab er sich das feste Versprechen,

dennoch brav zu bleiben. Zwar würde er kaum verhindern können, dass er Tore

begehrte, und vermutlich würde man ihm das auch ansehen, doch das hieß noch

lange nicht, dass er über ihn herfallen musste. Nach einem letzten Blick in

den Spiegel und einem vergeblichen Versuch, seine zerzausten, blonden Haare

mit etwas Wasser zu bändigen, nahm er das Körperöl mit in sein Zimmer und

überließ Christian das Bad.

Auf seinem Bett sitzend lauschte er auf die Geräusche, die sein Bruder

machte, hörte seine Schritte und schließlich das Klappen der Tür. /Wie lange

braucht er, um einzuschlafen? Verdammt, ist das nicht egal? Ich will ihn

massieren. He, Nathan, massieren! Das gibt keine verräterischen Laute./

Dennoch wartete er nahezu eine Viertelstunde, ehe er aufstand, um zu Tore zu

gehen. Er konnte nicht verhindern, dass er breit grinste und sich wie ein

Teenager vorkam. Heimlich durch das nächtliche Haus schleichen, um seinen

Freund zu treffen, war in seinen Augen nicht besonders erwachsen. Nur kurz

klopfte er an, um dann direkt einzutreten und die Tür hinter sich wieder zu

schließen.

Ein warmes Kribbeln breitete sich in seinem Magen aus und flutete von dort

durch seinen Körper, als er den schlanken Mann auf dem Bett sitzen sah,

neben dem unsäglichen, bunten Stofftier, während Tore mit diesen

atemberaubenden, grauen Augen in einer Mischung aus Erwartung, Freude und

Belustigung seinen Blick erwiderte. Nathan lächelte und setzte sich zu ihm,

um ihm einen schnellen Kuss auf den Mund zu geben und dann die Flasche mit

Öl anzuheben. "Hier. Versprochen ist versprochen."

Tore konnte nicht verhindern, dass er breit über sein ganzes Gesicht zu

grinsen begann. "Wow, du hast dich wirklich hergeschlichen. Wie ein Schüler,

der heimlich rauchen will. Ich komme mir so... witzig vor, irgendwie wie

damals. Die erste Liebe, sich treffen in einem halb verfallenen Schuppen,

heimlich diese Pornohefte durchblättern, die ich aus der Schwulenkommune

geklaut hatte." Er lachte leise, dann küsste er Nathan noch einmal auf den

Mund. Länger diesmal und weicher. Nicht nur als Begrüßung gedacht, sondern

auch als Einladung. Er krabbelte etwas zurück und zog sein T-Shirt aus,

legte sich der Länge nach auf das Bett. "Auf den Bauch, ja?"

Nathan nickte, als die Wärme in ihm anstieg und sich Schmetterlinge dazu

gesellten, und ließ seinen Blick bewundernd über den sehnigen, wenn auch

sehr schlanken Oberkörper gleiten, jetzt, wo er es so offen durfte. Diese

leicht definierten Muskeln, die er überall bewundern konnte, gefielen ihm

besser als so mancher Mann mit deutlich mehr.

"Ich fühle mich auch etwas komisch", gestand er mit einem leisen Lachen, das

aber verstummte, als er Tore zärtlich durch die Haare streichelte, um die

Hand auf seinem Hinterkopf ruhen zu lassen und ihn näher an sich zu ziehen.

/Ich darf ihn nicht so anfassen, wie ich gerne möchte. Aber ich darf ihn

küssen./ Und das tat er auch. Liebevoll erkundete er den warmen Mund, die

weichen Lippen, die sich so perfekt auf seinen anfühlten, die Zähne und den

Gaumen, spielte mit Tores Zunge und neckte den anderen Mann, ohne ihn weiter

als so zu berühren.

Als er sich endlich zurückzog, lächelte er und sah ihm in die halb

geschlossenen, grauen Augen. "Du hast mir vollkommen den Kopf verdreht,

Tore."

Tore errötete und ließ den Blick lediglich lächelnd über Nathans Gesicht und

seine Hände streifen. Er mochte beides so gern, viel zu gern. /Und du mir,

wir sind quitt./ Aber er sagte es nicht, sondern schloss schweigend die

Augen und versuchte sich entspannt sinken zu lassen.

Noch immer lächelnd schraubte Nathan die Flasche auf und ließ sich reichlich

Öl auf die Hände laufen, um es anzuwärmen. Dann erst legte er sie auf den

durchtrainierten Rücken, um es in langsamen, streichelnden Bewegungen auf

der warmen Haut zu verteilen. Es tat gut, ihn so direkt zu berühren, und

Nathan ließ sich Zeit damit, erforschte die leichten Erhebungen der Rippen,

folgte ihnen bis zu den Seiten, ehe er wieder zurückglitt und das Rückgrat

entlang zeichnete. Nur allmählich wurden seine Griffe fester, als er nach

Verspannungen zu suchen begann.

Gern hätte Tore das Schnurren gelernt, denn das wäre die passende Antwort

auf das feste, gleichmäßige Streicheln von Nathan gewesen. Er war zu müde

für Erregung und zu wach, um einzuschlafen, so blieb er in einem

genießerischen Halbschlummer gefangen, es kam ihm vor wie ein Traum. Er

hatte sich verliebt, und sie taten rein gar nichts, versuchten nichts; die

wenigen Küsse, das leichte Streicheln und im Grunde viel zu wenig, aber

dennoch so herrlich seine Erwartungen steigernd.

Er streckte sich nach einer kleinen Weile und murmelte schlaftrunken "Ich

bin immer am Kreuz verspannt, weiß nicht wieso, vielleicht vom Skaten."

Damit zog er seine Hose eine Idee weiter herunter, gerade so weit, dass man

den Ansatz vom Po sehen konnte.

Nathan konnte nicht anders als ihn anzusehen und sich vorzustellen, wie es

wäre, ihn exakt jetzt an exakt dieser Stelle zu küssen. Doch er blieb artig,

berührte ihn nicht einmal mit den Händen dort, nur beinahe, als er eine

Verspannung weiter verfolgte, um sie wegzumassieren. "Wann immer dir danach

ist, frag einfach. Mir macht das Spaß."

"Verrückt... Aus welchem Himmel bist denn du gefallen?" Tore gähnte

verhalten, aber lächelte Nathan einmal leicht zu. "Das ist herrlich."

Nathan grinste versteckt. Es war zumindest dann großartig, wenn er jemanden

wie Tore durchkneten durfte, auch wenn er es gleichzeitig als süße Folter

empfand. Allein, ihn in dem gedämpften Licht zu betrachten, war etwas

besonderes, es zauberte mit dem weichen Schimmer des Öls Wärme auf den

schlanken Körper. Und so fuhr er damit fort, ihn zu massieren, als er nichts

mehr fand, was auch nur noch im entferntesten verhärteten Muskeln glich.

Tore schien unter seinen Händen dahin geschmolzen zu sein. Schließlich, als

er das Gefühl hatte, dass der andere Mann mehr und mehr in einen Zustand

glitt, der dem Schlaf ähnlicher als dem Wachen war, wurden seine Griffe

wieder leichter, bis er ihn erneut nur zärtlich streichelte. Er musste sich

anstrengen, um es vollkommen enden zu lassen. Die Hände leicht auf dem

mittleren Rücken ruhend beugte er sich nach vorne und küsste ihn vorsichtig

auf die Schulter.

"So, ich denke, das reicht für heute", sagte er leise und rieb seine Nase

sacht an Tores Wange. "Willst du dein T-Shirt noch anziehen, oder soll ich

dich gleich zudecken?"

Tore drehte sich herum und schlang seine Arme um Nathans Schultern, um ihn

energischer, als er es sich selber zugetraut hatte, zu sich herab zu ziehen.

"Küssen musst du mich noch einmal, sonst schlafe ich sicherlich nicht ein."

Nathan fing sich überrumpelt ab, um nicht auf ihm zu landen, konnte aber

nicht verhindern, dass Tore ihn nah genug zog, dass er seine Wärme durch das

Shirt hindurch an seiner Brust spüren konnte. Die Hitze, die durch ihn

hindurch schoss, explodierte direkt in seinen Lenden. /Ich schlafe so und so

nicht ein. Reiß dich zusammen, Mann! Gott, wie sehr ich ihn will.../

"Dein Wunsch ist mir Befehl." Er konnte seiner Stimme anhören, wie sehr er

ihn begehrte und hoffte, dass Tore es nicht ebenso erkennen konnte. Sacht

fuhr er ihm durch das kurze Haar und sah ihm in die Augen, ehe er die letzte

Entfernung vernichtete und seine Lippen auf Tores legte, um ihn weich zu

küssen.

Es wurde weitaus länger und inniger, als Nathan geplant hatte, aber nicht

von wilder Leidenschaft, sondern eher von liebender Zärtlichkeit geprägt,

die seine Erregung zwar nicht verringerte, ihn jedoch mit einem warmen

Gefühl erfüllte, das ihn begreifen ließ, dass mehr für den Moment auch für

ihn nicht notwendig war.

/Verrückt/, dachte er ein wenig schwindelig, als sie sich wieder voneinander

lösten, und lächelte glücklich. /Vollkommen verrückt das ganze; und ich

glaube, ich bin vollkommen verliebt./ Rasch küsste er Tore noch einmal und

noch einmal, ehe er sich endgültig von ihm trennte.

Fürsorglich deckte er ihn zu und drückte seine Lippen erneut auf Tores

Stirn, bevor er vom Bettrand aufstand, die Lampe wieder auf den Nachttisch

stellte und nach der Ölflasche griff. "Gute Nacht; süße Träume wünsche ich

dir."

Mit einem letzten Lächeln zu Tore hin verließ er endlich dessen Zimmer, um

sich auf den wenigen Metern in sein eigenes zurück beinahe zu fühlen, als

würde er schweben.
 

Tore lachte noch ein Weilchen leise in sich hinein. Nathan war erregt genug,

dass er es gespürt hatte, aber wollte nichts weiter als ihn massieren, ihn

streicheln und nicht mal an unartigen Stellen. Ein schönes Gefühl, auch wenn

Tore davon ein leicht schlechtes Gewissen bekam. /Was hat er denn davon?

Nichts? Auch wenn er sagt, dass er es mag. Ich muss ihm sagen, woran er

sieht, wie weit er gehen darf, damit er sich mehr zu machen traut./

Er schlief wie ein Stein, nachdem er warm geknubbelt, gestreichelt und

herrlich romantisch geküsst worden war. Für Träume schien ihm die Energie

gefehlt zu haben. Doch trotzdem wachte Tore am Morgen gegen halb sieben

wieder auf und zog sich nach einem kleinen Badezimmerausflug seinen

Trainingsanzug und einen Kapuzenpulli an. Leise schlich er sich dann zu

Nathans Zimmer und lugte durch den Türspalt.

Eine erwartungsvoll wedelnde Dunja sah ihm entgegen, während Nathan in

seinem grauen Trainingsanzug mit den blauen Streifen auf der Bettkante saß

und sich die Schuhe schnürte. Er schaute hoch, grinste Tore an und stand

auf, nachdem er die Schleife noch einmal nachgezogen hatte, um die Tür

gänzlich zu öffnen und den anderen Mann in den Arm zu nehmen. Ihn an sich

drückend küsste er ihn eine Weile, ziemlich sicher, dass Christian so früh

nicht aufstehen würde und somit keine Gefahr bestand. Nach einem kleinen,

verschmitzten Zwinkern ließ er ihn wieder los. "Morgen, Schatz, und

fröhliche Weihnachten. Hast du gut geschlafen?"

Tore nickte und flüsterte zurück "Wie ein Stein. Herrlich." Er grinste noch

immer über das 'Schatz', als sie schon längst die Treppe hinunter liefen.

Sie verließen das Haus und folgten der fröhlich vorweg tobenden Dunja auf

den mittlerweile schon zur Gewohnheit gewordenen Pfad in den Wald. Die Nacht

über hatte es offensichtlich nicht geschneit, so dass der Schnee auf dem Weg

bereits heruntergetreten war und es sich leichter laufen ließ. Nathan

empfand die kalte Luft als sehr angenehm, ebenso wie die Bewegung, die ein

wenig seiner Unruhe, die er seit dem Kuss schon wieder verspürt hatte,

vertrieb.

Sie tobten sich aus, liefen ein schnelles Tempo, das die schneidende Kälte

vergessen lassen konnte. Tore war jedoch in Gedanken nicht bei seiner Atmung

oder bei der schönen Umgebung, sondern überlegte, wie er Nathan fragen

konnte. Wie er fragen konnte, ob er nicht mit zu ihm kommen konnte. /Ich

will mit ihm zusammen sein, und ich hab nach Silvester noch eine ganze Woche

frei, bevor ich zum Seminar muss. Ob ich ihn dann nerven würde, wenn ich in

seiner Wohnung... Vielleicht hat er ja gar keinen Platz? Mist. Wie frage ich

denn, ohne dass er denkt, dass er ja sagen muss?/

Er kam zu keinem Ergebnis, bis sie zum Haus gelangt waren. Es war zwar noch

sehr früh, aber an diesem Morgen war die Großmutter schon in der Küche, als

sie hereinschneiten und kochte bereits den starken Kaffee, den sie und ihr

Mann den Vormittag über tranken.

Deswegen kühlten Tore und Nathan sich nur schweigend am Küchentisch aus,

während die Oma Brötchenteig zum Gehen auf den Ofen setzte und dann schon

mal den Braten für das Mittagessen vorbereitete. Die Eltern von Nathan und

Christian standen zum Besuch an. /Eltern. Die werden erst Recht nicht

erfahren dürfen, was los ist. Schade./ Grummelig duschte Tore und freute

sich dennoch auf den Nachmittag, für den Christian ihm versprochen hatte,

dass sie nach Abfahrt der Eltern endlich zum Skigebiet fahren würden, um

sich die Wochenkarte bis Silvester zu kaufen.

Nathan war nicht besonders glücklich mit der Aussicht, seine Eltern hier zu

haben, und es erleichterte ihn, dass sie nur den einen Tag blieben. Allein

schon, dass sie zusammen zur Nachmittagsmesse gehen würden, nervte ihn

bereits. Und der traurige Blick, den seine Oma ihm zugeworfen hatte, weil

sich sein Vater in diesem speziellen Ton erkundigt hatte, ob außer 'den

Jungs' noch jemand da sein würde, machte ihn wütend. Warum konnten seine

Eltern nicht einfach akzeptieren, dass Onkel Johannes nun mal schwul war? Er

tat weder ihnen noch sonst jemanden damit weh.

/Sie werden niemals akzeptieren, dass ich es auch bin. Es wird genauso

laufen wie bei Johannes. 'Wir haben nur einen Sohn. Niemals zwei gehabt.'

Oder so./ Eigentlich hatte Nathan gedacht, er wäre darüber hinweg, es würde

ihn nicht mehr stören. Doch gerade jetzt, wo er diesen wundervollen Mann

getroffen und sich so heftig in ihn verliebt hatte, ärgerte er sich

besonders darüber.

Sie hatten noch nicht ganz das Frühstück beendet, als draußen im Flur das

Telefon klingelte. Bevor seine Oma auch nur vom Tisch abrücken konnte, war

Nathan bereits aufgesprungen. "Ich geh schon." Heimlich hoffte er, dass

seine Eltern wegen unwägbarer Wetterverhältnisse, Stau oder einer besonderen

Messe zu Hause absagen würden, selbst wenn die Chancen dafür verschwindend

gering waren. Was ihn am anderen Ende der Leitung empfing, nachdem er

abgehoben und sich gemeldet hatte, war auch dementsprechend nicht sein

Vater. Mit Lydia hatte er allerdings ebenfalls nicht gerechnet.

"Fröhliche Weihnachten, Nathan. Kannst du mir mein Bärchen geben?"

"Dir auch fröhliche Weihnachten. Moment nur." Nathan kehrte ins Wohnzimmer

zurück und wies grinsend mit dem Daumen nach draußen. "Für das Bärchen."

"Idiot!" Christian ließ es sich nicht nehmen, ihm etwas zu hart gegen die

Schulter zu knuffen, als er an ihm vorbei ging und im Flur verschwand.

Nachdem sie das Frühstück beendet und den Tisch abgeräumt hatten und

Christian noch immer nicht fertig zu sein schien, befand Nathan, dass er

selbst für das übliche Liebesgeturtel recht lange weg blieb. Doch gerade,

als er deswegen eine scherzhafte Bemerkung zu Tore machen wollte, die recht

viel mit Hormonüberschuss zu tun hatte, kam Christian zurück. Er war blass,

grinste gleichzeitig jedoch etwas schief und unsicher. "Ich weiß, es kommt

ein wenig überraschend, aber ich werde nachher mit den Eltern zurückfahren.

Ich... Himmel... Ich werde Vater."

"Vater?" Nathan hielt mitten in der Bewegung inne. Verwirrt starrte er

seinen Bruder an, nicht ganz sicher, ob er richtig verstanden hatte und wenn

ja, ob das ein glückliches oder eher ein missliches Ereignis war.

Tore hatte gerade sein Messer auf den Stapel zu den anderen legen wollen,

aber ließ es nun mit einem lauten Knallen auf den Teller fallen. "Was?"

/Lydia... ist schwanger? Oder was will er damit sagen?/ Er kam zu keiner

weiteren Frage, denn im Anschluss an diese Eröffnung war die Familie mehr

als aufgeregt am Diskutieren. All die vielen, kleinen Probleme, die

auftauchen würden, vermischt mit Freude, vornehmlich von Seiten der

Großeltern, die sich schon scherzend mit Uroma und Uropa riefen, was

Christian nicht wirklich aus dem Schock herauszuhelfen schien.

Endlich reichte es Tore. Er knuffte Chris unsanft und verlangte "Such dir

verdammt noch mal endlich einen Zug raus, Papi. Du willst sie doch nicht mit

ihren Eltern allein lassen, oder? Die hab ja sogar ich noch in Erinnerung."

"Papi? Oh Himmel..." Christian fuhr sich mit beiden Händen durch das

zerzauste, blonde Haar, dann umarmte er Tore einfach, doch es schien mehr,

als würde er sich festhalten. "Ich hab das Studium nicht fertig, noch lange

nicht, Lyddi auch nicht. Wir wollten noch gar keine Kinder. Lyddi ist

fertig, sie hat geweint. Aber trotzdem... trotzdem freue ich mich irgendwie,

als sei ich bescheuert." Noch einmal drückte er ihn fest, dann ließ er

wieder von ihm. "Natürlich lasse ich sie nicht allein mit ihren Eltern. Ich

gehe jetzt packen. Aber ich fahre mit Mama und Paps nach Hause, das geht

schneller. Die dürften ohnehin in spätestens einer Stunde hier sein. Und

wenn sie das hören, dann werden sie mit Sicherheit keine Einwände haben,

etwas früher zu fahren."

Aber anstatt nach oben zu gehen, starrte er Tore schuldbewusst an. "Mist.

Wir wollten... die Wochenkarte. Ich... Mist! Das tut mir leid. Aber du

verstehst das, ja? Ich kann nicht... Ich kann sie jetzt nicht allein

lassen."

Tore winkte ab und drückte ihn an sich. "Das ist um Klassen wichtiger,

Mann!" Lachend schob er Chris zu seinem Zimmer und verbrachte die nächste

Stunde damit, ihn wieder und wieder zu beruhigen, wenn ihm nach und nach die

ganzen Problemen in den Kopf kamen.

Fast war er ein wenig erleichtert, als die Eltern von Chris und Nathan

ankamen und sich der Trubel erst einmal um Chris drehte, so dass er nach

einer kleinen Vorstellung entlassen war. Er ging in den Garten raus, um

nicht zu stören und half den Kindern der Mieter dabei, ein Iglu zu bauen.

Nathan nutzte die erste Gelegenheit, die sich ihm bot, um aus der

unmittelbaren Nähe seiner Eltern zu verschwinden, nachdem auch er seinem

Bruder mehrfach erklärt hatte, dass er, wenn er Hilfe brauchte, jederzeit

auf ihn zurückkommen konnte, so lange es sich nicht um Babysitten handelte.

/Lydia schwanger... Christian wird allen Ernstes Vater. Immerhin das kann

mir nicht passieren./ Er grinste und fand den Gedanken, Onkel zu werden, für

einen Moment sogar ganz lustig. Dann dachte er an Tore, und seine Laune

sackte, als er überlegte, ob sein Bruder wie sein Vater auch bald

beschließen würde, Einzelkind zu sein. /Hör auf. Mit Johannes kommt Chris

auch gut aus. Aber ich bin froh, dass wir es ihm gestern nicht gesagt haben.

Dann hätte er jetzt zwei Dinge, wegen der er sich den Kopf zerbrechen

müsste./

Er pfiff nach Dunja, die er als Entschuldigung, sich zu entfernen,

vorgeschoben hatte, griff nach seiner Jacke und verließ bereits das Haus,

noch ehe er den Reißverschluss zugezogen hatte. /Hm, und wenn Chris geht...

will Tore dann auch weg? Oder würde er bleiben, weil ich noch da bin?/

Während seine Hündin sich fröhlich in den Schnee stürzte und gleich zu Tore

tollte, sah er nur zu dem jungen Mann hin, der so selbstverständlich mit den

Nachbarskindern spielte. /Wenn er... wenn wir wirklich zusammen bleiben, und

es für ihn nicht nur eine Laune ist, dann hat Chris einen begeisterten

Babysitter, sobald das Balg etwas älter ist./ Nathan fröstelte, schloss

seine Jacke und schob die Hände in die Taschen. /Immerhin, Ömchen und Opa

sind glücklich. Das ist es doch wert./

Energisch knüppelte er seine aufkeimende Eifersucht hinunter, die ihn von

Zeit zu Zeit überfiel, weil Christian im Gegensatz zu ihm irgendwie alles

richtig zu machen schien und selbst die Dinge, die sonst als Fehler

angerechnet wurden, immer noch perfekt zu sein schienen.

Als Tore, von Dunja angesprungen, auf- und zu ihm sah, lächelte er. "Ich

gehe mit ihr spazieren. Magst du mitkommen?"

Tore runzelte die Stirn. /Ich bin in den letzten zwei Tagen schon mehr

spazieren gegangen als in meinem Leben zuvor insgesamt./ Er entschuldigte

sich dennoch bei den Kindern und ging zu Nathan hin. "Wann fährt Chris? Ich

will mich auf jeden Fall verabschieden bei ihm." Er zögerte und suchte in

den in diesem Licht eher grau-blau wirkenden Augen seines Freundes nach ein

Hinweis auf dessen Pläne. "Ich würde natürlich auch fahren. Könnte ich

vielleicht für ein paar Tage mit zu dir?"

Die ersten paar Meter, bis sie außer Sichtweite des Hauses waren, schlug

Nathan ein schnelles Tempo ein, ehe er wieder langsamer wurde und

schließlich stehen blieb, um sich gegen eine Mauer zu lehnen, die einen

Garten von der kleinen Hauptstraße trennte. "Sie werden wohl in einer Stunde

aufbrechen. Ich habe nicht vor, so lange zu gehen. Ich wollte nur..." Er

zögerte, zuckte dann mit den Schultern. "Ich wollte nur raus. Ich gebe zu,

ich habe Dunja als Ausrede genommen."

Ein wenig geistesabwesend beobachtete er seine Hündin, die enthusiastisch

zwischen den Laternen und dem Mäuerchen hin und her sprang und besonders

interessiert an einem gelben Fleck im Schnee schnüffelte. "Du bist

eigentlich zum Snowboarden hergekommen, nicht? Du kannst ja trotzdem

bleiben. Meine Großeltern wird es nicht stören. Aber wenn dir das unangenehm

ist..." Er wandte seinen Blick wieder Tore zu. "Können wir auch gerne

fahren. Ich würde mich freuen, wenn du zu mir kommst... Wenn du Zeit und

Lust hast, auch über Silvester."

Tore warf einen Blick die Strasse hinunter, dann legte er den Kopf schief,

während er abwog. Snowboarden gegen Nathan allein und nur für sich haben.

"Lieber zu dir", entschied er schließlich, vor allem, weil er sich nicht

noch einmal vorstellen konnte, in der Nacht im Haus umherzuschleichen, und

sah Nathan fragend an. "Es sei denn, du willst noch bleiben."

Nathan lachte und stieß sich von der Mauer ab. "Ich bin gerne bei meinen

Großeltern, aber ich werde sie auch noch öfter sehen. Und der Gedanke, dich

für mich zu haben, ohne jemanden zu stören, gefällt mir ausgesprochen gut,

wie ich gestehen muss. Ohne zu stören und ohne gestört zu werden." Mit einem

Mal deutlich besser gelaunt als noch vor ein paar Minuten zwinkerte er Tore

verschmitzt zu und wusste allein von dem warmen Gefühl in seinem Bauch, das

sein Freund hervor rief, dass er richtig handelte, egal was seine Eltern

denken mochten.

Tore grinste leicht. Er sah sich einmal kurz um, dann umarmte und drückte er

Nathan, bevor er ihn rasch einmal küsste. "Ich freu mich. Dann sollte ich

wohl mal packen gehen!" Schnell drehte er sich um und winkte ihm, um zu Haus

zurück zu laufen.

Überrascht blinzelte Nathan ihm hinterher. "Oh... Derart schnell hatte ich

das nicht gedacht." Aber dann lächelte er nur und folgte ihm wesentlich

langsamer, um noch die Ruhe des verschneiten Dorfes genießen zu können, ehe

er seinen Eltern wieder in die Hände fiel. /Ich bin schon eigenartig.

Einerseits ist es mir nur recht, wenn ich möglichst wenig von ihnen höre und

andererseits... andererseits will ich noch immer, dass sie mich nicht immer

mit Chris vergleichen und mich auch mal für das anerkennen, was ich bin.

Abseits dessen, was sie für mich geplant haben und was ich nicht eingehalten

habe. Aber wenn sie erst einmal erfahren, dass ich schwul bin, kann ich das

ja endgültig vergessen./

Er seufzte und lenkte seine Gedanken wieder Angenehmerem zu, zum Beispiel,

dass er Tore in weniger als drei Stunden ganz allein für sich haben würde,

wenn auch erst einmal nur im Auto, wo sie herzlich wenig würden machen

können. Schließlich fuhr sich der Wagen nicht allein. Nathan musste grinsen

und fühlte sich schon wesentlich gewappneter, um seiner Verwandtschaft

gegenüber treten zu können.

Es wurde anstrengender, als er befürchtet hatte. Seine Mutter fragte nach

Freundinnen und Frauen, die es werden könnten; sein Vater bedachte

missbilligend die Kinderphotos, die ihn mit seinem Bruder zeigten, was seine

Oma zum Glück nicht mitbekam, weswegen Nathan auch dieses Mal nicht den

schon obligatorischen Streit zur Verteidigung von Onkel Johannes begann.

Tore nippte im Sofa lümmelnd an seinem Kaffeebecher, während die Familie

sich um den Esstisch verteilt hatte, und Nathan sich beinahe anhörte wie auf

einem Prüfstand. Christian musste Heiratspläne über sich ergehen lassen,

sogleich wurde Nathan nach einer 'kleinen Freundin' gefragt, was Tore zum

Grinsen brachte. /Klein bin ich ja schon, ob ich aufzeigen sollte, um

wenigstens ein Kriterium zu erfüllen?/ Aber Nathans verbissene Miene verbot

jeden Spaß, und so hielt er sich weiterhin am Kaffee nuckelnd zurück.

Immerhin konzentrierte sich die größte Aufmerksamkeit auf Christian und

dessen baldiges Kind. Zwar waren die Eltern nicht sehr begeistert davon,

dass Lydia unverheiratet schwanger geworden war, aber sie freuten sich

dennoch über ihr baldiges Enkelchen. Nathan atmete erleichtert auf, als nach

einer ausgiebigen Verabschiedung seine Eltern und sein Bruder endlich

abgefahren waren.

Danach wurde es noch einmal fast genauso stressig, als er seinen Großeltern

erklärte, dass er mit Tore ebenfalls schon abreisen würde und versprechen

musste, bald wiederzukommen. Er atmete erst erleichtert auf, als sie das

Dorf hinter sich gelassen hatten und auf die Autobahn eingebogen waren. "So,

jetzt hast du also mal meine Eltern in Fahrt miterlebt. So sieht ein

Zusammentreffen von ihnen und mir meistens aus." Mit einem schiefen Grinsen

schaltete er einen Gang hoch. "Nur dreifach schlimmer, weil im Normalfall

länger und ohne Ablenkung."

Tore wiegte den Kopf und murmelte "Da kann ich dir versichern, dass ein

Nachmittag mit meiner Mutter und ihrem gestörten Therapeutenmacker

sicherlich noch um das Zehnfache schlimmer ist. Sie sind zwar offiziell

nicht dagegen, dass ich schwul bin, aber versuchen es mir dabei immer und

immer wieder abzutherapieren."

Er warf einen Blick auf die vorbeihuschende Landschaft und fragte leise

"Willst du wissen, was ich glaube, warum ich so... komisch bin?"

"Ja, natürlich." Nathan sah kurz zu Tore hin und nickte dann.

Tore hatte seine Turnschuhe abgestreift und stemmte nun die Füße in den

geringelten Socken gegen die Klappe vom Handschuhfach. "Ich glaube, dass die

Schwulen, die mit einem Mal zu dritt Vater von mir, gerade mal zwei geworden

waren, unheimliche Angst hatten, dass man sie als Pädophile ansieht. Hm,

vielleicht, dass sie sich selber so sehen müssen. Deswegen haben sie mich

gar nicht angefasst, wirklich gar nicht. Der eine hat sich sogar

Backofenhandschuhe angezogen, wenn er mich baden sollte."

Er warf einen Seitenblick auf Nathan. "Als meine Mutter dann zurückgekommen

ist, war ich mir sicher, dass es so sein muss, dass man mich nicht berühren

darf. Von ihr wollte ich das auch gar nicht. Vielleicht ist es ja das." Er

hob eine Hand. "Von dir wollte ich es aber... gestern Nacht und heute auch;

wenn du Ofenhandschuhe hast, wirf sie bloß weg, ja?"

Nathan musste lachen, auch wenn es insgesamt nicht zum Lachen sein sollte.

Aber das mit den Ofenhandschuhen fand er einfach niedlich. "Wenn du nicht

willst, dass ich mir die Finger verbrenne, wenn ich Plätzchen backe oder

Auflauf mache, dann werde ich sie wohl oder übel behalten müssen." Er sah zu

seinem Freund und griff dann nach seiner Hand, um sie an seine Lippen zu

ziehen und sie zu küssen, erst auf den Handrücken, dann auf die Innenfläche

und das Gelenk, während er den Blick wieder auf die Straße richtete.

"Ich will dich auch berühren. Gerade im Moment und immerzu." Als er dann

davon abließ, an den Fingerspitzen zu knabbern, und zum Überholen eines

Lastwagens ansetzte, ließ er seine Finger zwischen Tores gleiten und drückte

ihn sacht.

Tore grinste. Nathan lachte, hielt ihn nicht für einen Spinner; das tat ihm

ebenso gut wie die Zärtlichkeiten zwischen ihnen. "Nimm Topflappen. Ich

schenke dir auch welche. Nur diese Handschuhe kann ich wirklich nicht

leiden." Er warf dem blonden Mann neben sich einen weichen Blick zu, dann

glättete er ihm die Haare leicht. "Ich freu mich." Eine Kinderstimme

nachahmend fragte er unter Grinsen "Wie laaaaaaaaange noch?"

"Okay, ich steige auf Topflappen um." Wieder musste Nathan lachen; er

knuffte Tore in die Seite, ohne ihn jedoch loszulassen. "Und gedulden wirst

du dich schon noch müssen. Zweieinhalb Stunden; das schafft selbst Dunja,

also wirst auch du es können."

Kap. 8

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kap. 9

Mit einem Lächeln streckte Nathan die Hand aus und schaltete das Licht aus,

froh darüber, dass er es vom Bett erreichen konnte. Dann bemerkte er, dass

er das im Flur vergessen hatte und beschloss schon im gleichen Moment, dass

es ihm egal war. Der kleine Streifen, der durch die Tür herein fiel, würde

sie nicht vom Schlafen abhalten. Aber in dem Augenblick wollte er sich

wirklich nicht von Tore wegbewegen, nicht einmal die wenige Schritte zum

Schalter.

Er vergrub das Gesicht in den Haaren seines Freundes, genoss es, bei ihm zu

sein und ihn halten zu dürfen, genoss seinen Geruch und seine Nähe, seine

Wärme und das Gefühl der weichen Haut an seiner. /Er ist herrlich, selbst

wenn er austickt./

Langsam drifteten seine Gedanken weg, während er auf Tores gleichmäßigen

Atem lauschte. Der Wind ließ die Bäume draußen rauschen, gedämpft drang

Motorenbrummen herauf, eingehüllt in die weiche Watte seiner Müdigkeit.

Irgendwo klirrte etwas, dann bellte Dunja einmal kurz und holte ihn damit

wieder etwas weiter zurück in die Welt der Wachen.

/Hm, nein, sie kann jetzt nicht raus wollen. Wir waren vorhin/, dachte er

schläfrig und blinzelte dann verwirrt, als er Schritte hörte, die nicht von

Hundepfoten stammten. Doch bevor er die Eindrücke richtig sortiert hatte,

wurde die Schlafzimmertür aufgestoßen.

"Nathan, bist du noch wach? Tut mir leid. Ich..."

Die Stimme verstummte abrupt, und Nathan fühlte sich, als hätte ihm jemand

Eiswasser über den Kopf gekippt, als er alles in einem Moment registrierte.

Christians Stimme, Christians Stocken, Christians aufgerissene Augen und den

fassungslosen Ausdruck in dem blassen, vom Flurlicht erhellten Gesicht. /Oh

Gott, Scheiße!!/

Tores Schlafunterlage zuckte und warf ihn ab. Unsanft landete er auf der

Matratze, während er langsam wach wurde. "Wasnlos?" Grummelig wollte er

Nathan wieder an sich raffen, aber bemerkte dann den anderen Mann im

Schlafzimmer. /Chris ist hier, wie nett... Nett?/ Er grübelte schlaftrunken,

dann hob er abrupt den Kopf. "Shit. Chris?"

Christian tastete nach dem Schalter, ohne den Blick vom Bett zu lassen, dann

ging das Licht an und ließ Nathan in der unerwarteten Helligkeit blinzeln.

"Tore? Nathan? Gott verdammt, was... Das ist..."

Das erste, was Nathan auf der Zunge lag, war ein Spruch in der Art wie 'Es

ist nicht so, wie du denkst'. Aber das war es sehr wohl. Stattdessen schlug

er die Decke beiseite und stand auf. "Na großartig; dass du es so erfährst,

hatte ich nicht geplant. Auch gut. Jetzt weißt du es. Halt die Luft an, atme

tief durch und dann sag mir, warum du eigentlich hier bist. Ist alles okay?

Ist etwas mit Lydia?"

Dass Christian einen Schritt zurückwich, als er auf ihn zukam, ließ Nathans

Herz tiefer rutschen, und die Mischung aus Verwirrung, Abscheu, Wut und

Fassungslosigkeit bewirkte, dass sich etwas Kaltes in seinem Bauch zu

sammeln schien, hart, schwer und unverdaulich. /Hätte ich ihm nur nicht den

Ersatzschlüssel gegeben!/

"Du bist eine gottverdammte Schwuchtel!"

Nathan blieb stehen und presste die Lippen aufeinander. Sehr deutlich merkte

er, dass es ihm sehr wohl etwas ausmachte, von seinem Bruder so bezeichnet

zu werden. Dass ihn dieser abfällige Blick durchaus verletzte, auch wenn er

sich wieder und wieder gesagt hatte, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass

Christian mit einem Schulterzucken darüber hinweg ging. "Ich bin schwul,

richtig, aber weder gottverdammt, noch Schwuchtel."

Tore wurde kalt. Chris war doch immer so freundlich und gleichmäßig ruhig

gewesen bislang. Und nun, wie er allein da in der Tür stand. Anklagend und

seinen Bruder wütend anbrüllend. Ihm wurde bewusst, dass er nicht würde

helfen können, nur alles schlimmer machen. Deswegen setzte er sich still an

das Kopfende und zog die Decke um sich. Zum Wärmen, aber auch als Schutz.

Schweigend beobachtete Tore, wie Nathan und Chris sich gegenüber standen und

anstarrten, dann wandte Chris sich ab, offensichtlich um das Haus zu

verlassen. /Shit./

Nathan ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen den Schmerz und die

hilflose Wut. "Was ist, willst du jetzt einfach gehen? Ohne ein weiteres

Wort? Willst du es machen wie Papa? Wirst du erklären, du hättest keinen

Bruder mehr? Scheiße, Chris! Das kannst du nicht!" Er folgte ihm auf den

Flur, hätte ihn am liebsten festgehalten und durchgeschüttelt. "Ich bin

schwul, nicht pestkrank! Das ist weder ansteckend, noch tut es jemandem

weh!"

Er war drauf und dran, ihm zu erklären, dass Schwule nicht automatisch jeden

Mann anmachten und dass Tore ihn bestimmt auch in Ruhe gelassen hatte, hielt

sich dann aber zurück. /Lass ihn aus dem Spiel. Noch ist er nur auf dich

sauer, Mann./

"Du bist pervers!" Es klang, als hätte Christian ausgespuckt. Er drehte sich

nicht noch einmal um, als er die Tür öffnete, nach draußen ging und sie

regelrecht behutsam hinter sich schloss. Nathan starrte ihm hinterher und

fühlte sich leer, während sich in ihm lauter kleine Stachel ausbreiteten,

die sich überall festsetzten und zu stechen begannen. Erst nur leicht, doch

dann immer schlimmer werdend.

"Scheiße", flüsterte er. Er lehnte sich gegen die Wand, schlang frierend die

Arme um seinen Oberkörper und schloss die Augen. "Das kannst du doch nicht

machen, Chris."

Tore hörte das verdächtig leise Klicken der Tür, nachdem die beiden sich nur

wenig angeschrieen hatten. Er seufzte und holte den Troll aus seiner Tasche.

Den würde er sicherlich brauchen. Dann zog er sich ein weites, langarmiges

Shirt und seine geringelten Stricksocken über und nahm für Nathan ein

T-Shirt mit in den Flur. Er küsste seinen Freund leicht auf die Schulter und

drückte es ihm in die Hand, dann ging er schweigend weiter in die Küche

durch, um einen Kakao zu kochen.

Erst als er Milch in die bauchigen, grünen Becher gegeben hatte, rief er

leise nach Nathan. "Komm her zu mir und lass dich trösten, ja? Er muss das

erst mal verkraften. Jetzt fühlt er sich betrogen und belogen und schnappt

deswegen so, aber morgen tut es ihm bestimmt schon wieder leid, Nat."

Endlich stieß sich Nathan von der Wand ab und zog das Shirt über, ehe er zu

Tore in die Küche tappte. Er umarmte ihn von hinten und lehnte den Kopf an

seine Schulter, froh darüber, nicht allein zu sein. "Idiot... Er hätte ja

nicht einfach so reinkommen müssen. Im Normalfall klopft oder klingelt man,

selbst wenn man einen Ersatzschlüssel hat. Idiot. Scheiße."

Eine Weile standen sie einfach so da, und Nathan ließ Tore nicht los, bis er

registrierte, dass seine Füße langsam die Temperatur der Bodenkacheln

anzunehmen begannen. Mit den Tassen gingen sie ins Wohnzimmer und setzten

sich aufs Sofa. Nathan griff nach der Wolldecke und breitete sie über ihre

Beine, ehe er seinen Freund wieder an sich zog. Er trank einen Schluck

Kakao, starrte dann eine Weile in die braune Flüssigkeit, auf der kleine

Schaumbläschen ihre Bahnen zogen.

"Ich hoffe, du hast recht", murmelte er schließlich. "Aber Onkel Johannes

hat das auch gehofft, als meine Eltern ihn rausgeworfen haben. Und seitdem

reden sie nicht einmal mehr von ihm. Als hätte Papa keinen Bruder." Er

seufzte und lehnte sich gegen Tore. "Immerhin ist Christian kein so

verbohrter Religionsspinner. Scheiße. Aber dass er mir einfach den Rücken

zugedreht hat. Dass er einfach gegangen ist..."

Tore hatte seinen Kakao ausgetrunken und befand für sich, dass es ohnehin

Zeit für Schokolade gewesen war. Gähnend kuschelte er sich an Nathan an und

murmelte nachdenklich "Warum ist er überhaupt hergekommen? Meinst du, etwas

mit Lydia ist schiefgelaufen?"

"Ich weiß es nicht." Nathan vergrub das Gesicht in Tores zerzausten Haaren

und starrte durch die blonden Strähnen zum Fenster hin, das abweisend und

kalt in der Schwärze der Nacht wirkte. /Verdammt. Verdammt, verdammt,

verdammt. Wenn er hierher gefahren ist, ist es ernster. Er hat kein Auto,

und jetzt steht er draußen in der Kälte. Der letzte Bus muss der sein, mit

dem er gekommen ist. Scheiße. Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Aber

ich habe ihn ja schlecht aufhalten können. Dafür hätte ich mich wohl mit ihm

schlagen müssen. Scheiße. Idiot! Komm zurück./

Nathan hatte seine noch halbvolle Tasse irgendwann in die Küche gebracht,

als Tore beschlossen hatte, dass Christian wohl doch nicht mehr zurückkommen

wollte. Er ging gähnend ins Badezimmer, um sich noch einmal die Zähne zu

putzen. Die Schramme auf seinem Rücken war schon bläulich und von leicht

abgeschabter Haut bedeckt.

Da Nathan noch die Tassen spülte, was Tore wie eine Entschuldigung für das

alleine in der Küche rumstehen vorkam, sah er überhaupt noch einmal aus dem

Fenster. "Du, dein Bruder steht da unten an der Straßenecke und starrt zum

Haus rüber." Christian schien nachzudenken, zu zögern. Eine Haltung, die

Tore ziemlich bekannt vorkam. "Ich glaube, dass er sich nur nicht mehr rein

traut. Geh doch mal runter und zeig ihm, dass du nicht sauer bist, Nat."

Nathan ließ die Bürste ins Spülwasser fallen und stürzte zu Tore hin. Er

warf nur einen kurzen Blick nach draußen und auf die Gestalt, die frierend

den Kopf zwischen die Schultern gezogen hatte, dann war er auch schon wieder

im Flur. Ohne Socken schlüpfte er die Stiefel, warf sich den Parka über und

war schon fast unten, bevor er auch nur halbwegs zum Nachdenken kam. /Was

sag ich ihm? Was, wenn er mir nur wieder vorhält, ich bin pervers?/

Die Schlafanzughose war eindeutig zu dünn für das Wetter, stellte er fest,

als er das Haus verließ und die Kälte schneidend durch den Stoff drang.

Gänsehaut überzog seinen Körper, und für einen flüchtigen Moment musste

Nathan grinsen, als er daran dachte, dass es auf jeden Fall jedes Begehren

im Keim erstickte und Tore sich nicht in der Nacht mit einem überaktiven

Freund plagen musste. Dann wandte Christian den Kopf und sah zu ihm hin, und

die Gedanken an Tore waren vergessen.

Sekundenlang starrten sie sich über die Straße hinweg an, ohne dass einer

von beiden sich gerührt hätte. Nathan wollte etwas sagen und hatte doch

Angst, dass es das Falsche war, dass Christian sich wieder einfach nur

wegdrehen würde. /Gott, das ist albern! Ich stehe im Schlafanzug mitten im

Winter nachts auf der Straße und traue mich nicht, meinen eigenen Bruder

anzusprechen./

"Chris, mir ist saukalt. Wie wäre es, du kommst mit hoch, lässt mich

wahlweise Kaffee, Tee oder sonst was Warmes machen, und wir setzen das

Anstarren dann oben fort?"

Christian zögerte, dann kam er zu ihm, hielt seinen Bruder jedoch am Arm

fest, als dieser sich stumm umdrehen und zum Haus gehen wollte. Angst schoss

durch Nathan hindurch, Angst, dass er ihm lediglich sagen wollte, dass er

genau das machen würde, was sein Vater getan hatte. Sich nur noch mal

verabschieden. Oder ihn bitten, ihn in die Stadt zu fahren und sich dann nie

wieder zu melden. Oder...

"Es tut mir leid wegen eben, Nathan. Ich habe den Kopf verloren. Ich hatte

mit gar nichts gerechnet, wollte einfach nur zu dir und mich auskotzen und

dann war da... ich... und ausgerechnet Tore!" Christian verstummte, ließ

seinen Arm aber nicht los. Er wirkte verwirrt, halb erfroren und am Ende

seiner Kräfte.

Nathan hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand die Finger von der Kehle

genommen und als würde sein Herz wieder normal seine Arbeit leisten, ohne

Stolpersteinen ausweichen zu müssen. "Es ist okay, Chris. Komm einfach mit

hoch. Ich bin nicht sauer. Es war alles etwas überraschend und mit

Sicherheit nicht die Art, wie du es erfahren solltest."

Er wollte noch mehr sagen, wollte ihn fragen, warum er überhaupt mitten in

der Nacht bei ihm einfiel. Doch ein Blick in Christians Gesicht zeigte ihm,

dass sein Bruder erst mal Wärme brauchte, einen Platz auf dem Sofa und etwas

Ruhe. /Und dann kann er erzählen. Ich glaube, danach ist er wieder

aufnahmefähiger./ Dann erst fiel ihm auf, dass Christian für das Wetter auch

nicht die richtige Jacke anhatte und nach wie vor die Schuhe trug, die er

sich eigentlich für die Kirche herausgesucht hatte. /Scheiße, und damit

stiefelt er stundenlang durch den Schnee!/

Energisch machte er sich frei und schob seinen Bruder in den Hausflur und

dort in den Aufzug. "Morgen hast du eine Erkältung wie seit Jahren nicht

mehr", prophezeite er ihm, während sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.

"Das nächste Mal, wenn du vorhast, stundenlange Wanderungen zu machen, leih

dir wenigstens meine Stiefel - und wenn du schon dabei bist, nimm auch noch

Dunja mit. Der tust du damit zumindest einen Gefallen."

Immerhin entlockte das Christian ein kleines Grinsen. Als sie in die helle

Wohnung traten, registrierte Nathan besorgt die blauen Lippen und Christians

zitternde Hände, als dieser seine Jacke an die Gardarobe hängte und sich

dann irgendwie unsicher umdrehte, um Tore anzusehen, der in der Tür zum

Wohnzimmer stand. "Tut mir leid wegen vorhin..."

"Ich koche Kaffee. Ich glaube, den brauchen wir jetzt mehr als Tee. Gibst du

ihm die Decke, Tore? Und vielleicht noch ein paar dicke Socken von mir. Die

Schublade unter dem Spiegelschrank im Schlafzimmer. Andererseits..." Ein

weiterer Blick auf seinen Bruder überzeugte Nathan davon, dass es keine

schlechte Idee war. "Baden wäre jetzt wohl besser. Sonst taust du gar nicht

mehr auf."

"Du bist eine Glucke, Nathan." Christian musste grinsen. "Ich hätte es

eigentlich wissen müssen. Das warst du schon immer, und dazu diese pinken

Kacheln!"

Dennoch schien er die Idee für gut zu befinden, denn er verschwand erst

einmal im Bad. Nathan schnitt eine Grimasse, als er das charakteristische

Geräusch des sich drehenden Schlüssels hörte.

"Das hat er vorher nicht gemacht", murrte er leise genug, dass Christian es

nicht würde hören können. "Aber immerhin ist er wieder hier und wird auch

die Nacht über bleiben, selbst wenn ich ihn dafür einsperren muss."

Tore kam mit den Socken und einer warm aussehenden Trainingshose aus dem

Schlafzimmer zurück und bemerkte leise "Das wirst du nicht müssen. Hier.

Ich... geh euch aus dem Weg." Er sah forschend in Nathans Augen. "Bis

nachher, hm?"

Nathan erwiderte den Blick einen Moment, ehe er sich vorbeugte und Tore

küsste. "Bis nachher, Schatz." Er nahm ihm die Kleidung ab, zögerte kurz und

tat dann doch, wonach ihm zumute war. Rasch zog er Tore in seine Arme und

drückte ihn fest an sich. "Danke, dass du aus dem Fenster geschaut hast. Ich

bin so froh, dass er zurück ist."

Nach einem weiteren Kuss schickte er seinen Freund dann doch mit einem

kleinen Klaps auf den Hintern und einem Grinsen dabei ins Bett, ehe er die

zweite Bettgarnitur aus dem Schlaf- ins Wohnzimmer brachte und anschließend

endlich den Kaffee aufsetzte. Während die Maschine gemütlich vor sich hin

blubberte und Nathan Tassen, Milch und Zucker zusammensuchte, begann er

nahezu automatisch, seine Liste an Argumenten, die er schon unzählige Male

gedanklich für den Fall des überraschenden Outings erstellt hatte,

durchzugehen.

Als er mit dem Tablett ins Wohnzimmer kam und sein Blick auf den

Kleiderhaufen auf dem Sofa fiel, musste er grinsen. Immerhin war sein Bruder

nicht in die noch im Flur verstreuten Sachen gerannt... andererseits wäre er

davon wenigstens gewarnt gewesen. /Warum ist er überhaupt hier? Die

Autofahrt ist schon lang genug. Warum hat er mitten in der Nacht diese halbe

Weltreise mit dem Bus auf sich genommen?/

Christian sah wesentlich besser aus, als er schließlich in Nathans dicken,

blauen Frotteebademantel gehüllt ins Wohnzimmer kam. Die unnatürliche Blässe

war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Lippen hatten wieder ihre normale

Farbe angenommen. Dennoch zog er sich dankbar zusätzlich die Hose und die

Socken an und verkroch sich auch schon halb unter dem Federbett, ehe er nach

der Kaffeetasse griff. Er nahm einen kleinen, vorsichtigen Schluck und

lehnte sich mit einem leisen Seufzen zurück.

Dann wandte er den Kopf, sah Nathan eine Weile an und stellte die erste der

unvermeidlichen Fragen. "Seit wann weißt du es denn?"

/Das klingt, als sei ich krank oder schwanger./ Nathan wickelte sich in die

Wolldecke, die er sich zuvor schon mit Tore geteilt hatte, ehe er

antwortete, obwohl ihn viel mehr interessierte, warum sein Bruder

hergekommen war. Immerhin hatten sie die ganze Nacht Zeit, und er war viel

zu froh, dass Christian nicht einfach wirklich gegangen war.

Allzu lange dauerte es dann aber doch nicht. Christian war von dem Auf und

Ab des Tages, den diversen Hoch und Tiefs derart erschöpft, dass er trotz

des Kaffees ziemlich schnell begann, immer wieder wegzunicken. Nathan nahm

ihm mit einem Grinsen die Tasse ab, versprach ihm, dass sie am nächsten

Morgen weiterreden würden und kehrte, nachdem er das Licht ausgeschaltet

hatte, zu Tore zurück.

Er konnte nicht anders, als ihn einen Moment zu betrachten, wie er entspannt

und mit zerzausten Haaren in seinem Bett lag, die Augen geschlossen und tief

und gleichmäßig atmend. Wärme erfüllte Nathan und machte ihm wieder einmal

bewusst, dass es unmöglich falsch sein konnte, was er empfand. /Jemanden zu

lieben, mit ihm zusammen sein und ihn beschützen zu wollen, ist nicht

pervers. Das wirst du begreifen, wenn du darüber nachdenkst, Chris. Auch

wenn es dir jetzt komisch vorkommt./ Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken,

krabbelte er zu ihm, um sich unter der Decke an ihn zu schmiegen.
 

"Was ist, willst du jetzt einfach gehen? Ohne ein weiteres Wort? Willst du

es machen wie Papa? Wirst du erklären, du hättest keinen Bruder mehr?

Scheiße, Chris! Das kannst du nicht!" Er folgte ihm auf den Flur, hätte ihn

am liebsten festgehalten und durchgeschüttelt. "Ich bin schwul, nicht

pestkrank! Das ist weder ansteckend, noch tut es jemandem weh!"

Er war drauf und dran, ihm zu erklären, dass Schwule nicht automatisch jeden

Mann anmachten und dass Tore ihn bestimmt auch in Ruhe gelassen hatte, hielt

sich dann aber zurück. /Lass ihn aus dem Spiel. Noch ist er nur auf dich

sauer, Mann./

"Du bist pervers!" Es klang, als hätte Christian ausgespuckt. Er drehte sich

nicht noch einmal um, als er die Tür öffnete, nach draußen ging und sie

regelrecht behutsam hinter sich schloss. Nathan starrte ihm hinterher und

fühlte sich leer, während sich in ihm lauter kleine Stachel ausbreiteten,

die sich überall festsetzten und zu stechen begannen. Erst nur leicht, doch

dann immer schlimmer werdend.

"Scheiße", flüsterte er. Er lehnte sich gegen die Wand, schlang frierend die

Arme um seinen Oberkörper und schloss die Augen. "Das kannst du doch nicht

machen, Chris."

Tore hörte das verdächtig leise Klicken der Tür, nachdem die beiden sich nur

wenig angeschrieen hatten. Er seufzte und holte den Troll aus seiner Tasche.

Den würde er sicherlich brauchen. Dann zog er sich ein weites, langarmiges

Shirt und seine geringelten Stricksocken über und nahm für Nathan ein

T-Shirt mit in den Flur. Er küsste seinen Freund leicht auf die Schulter und

drückte es ihm in die Hand, dann ging er schweigend weiter in die Küche

durch, um einen Kakao zu kochen.

Erst als er Milch in die bauchigen, grünen Becher gegeben hatte, rief er

leise nach Nathan. "Komm her zu mir und lass dich trösten, ja? Er muss das

erst mal verkraften. Jetzt fühlt er sich betrogen und belogen und schnappt

deswegen so, aber morgen tut es ihm bestimmt schon wieder leid, Nat."

Endlich stieß sich Nathan von der Wand ab und zog das Shirt über, ehe er zu

Tore in die Küche tappte. Er umarmte ihn von hinten und lehnte den Kopf an

seine Schulter, froh darüber, nicht allein zu sein. "Idiot... Er hätte ja

nicht einfach so reinkommen müssen. Im Normalfall klopft oder klingelt man,

selbst wenn man einen Ersatzschlüssel hat. Idiot. Scheiße."

Eine Weile standen sie einfach so da, und Nathan ließ Tore nicht los, bis er

registrierte, dass seine Füße langsam die Temperatur der Bodenkacheln

anzunehmen begannen. Mit den Tassen gingen sie ins Wohnzimmer und setzten

sich aufs Sofa. Nathan griff nach der Wolldecke und breitete sie über ihre

Beine, ehe er seinen Freund wieder an sich zog. Er trank einen Schluck

Kakao, starrte dann eine Weile in die braune Flüssigkeit, auf der kleine

Schaumbläschen ihre Bahnen zogen.

"Ich hoffe, du hast recht", murmelte er schließlich. "Aber Onkel Johannes

hat das auch gehofft, als meine Eltern ihn rausgeworfen haben. Und seitdem

reden sie nicht einmal mehr von ihm. Als hätte Papa keinen Bruder." Er

seufzte und lehnte sich gegen Tore. "Immerhin ist Christian kein so

verbohrter Religionsspinner. Scheiße. Aber dass er mir einfach den Rücken

zugedreht hat. Dass er einfach gegangen ist..."

Tore hatte seinen Kakao ausgetrunken und befand für sich, dass es ohnehin

Zeit für Schokolade gewesen war. Gähnend kuschelte er sich an Nathan an und

murmelte nachdenklich "Warum ist er überhaupt hergekommen? Meinst du, etwas

mit Lydia ist schiefgelaufen?"

"Ich weiß es nicht." Nathan vergrub das Gesicht in Tores zerzausten Haaren

und starrte durch die blonden Strähnen zum Fenster hin, das abweisend und

kalt in der Schwärze der Nacht wirkte. /Verdammt. Verdammt, verdammt,

verdammt. Wenn er hierher gefahren ist, ist es ernster. Er hat kein Auto,

und jetzt steht er draußen in der Kälte. Der letzte Bus muss der sein, mit

dem er gekommen ist. Scheiße. Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Aber

ich habe ihn ja schlecht aufhalten können. Dafür hätte ich mich wohl mit ihm

schlagen müssen. Scheiße. Idiot! Komm zurück./

Nathan hatte seine noch halbvolle Tasse irgendwann in die Küche gebracht,

als Tore beschlossen hatte, dass Christian wohl doch nicht mehr zurückkommen

wollte. Er ging gähnend ins Badezimmer, um sich noch einmal die Zähne zu

putzen. Die Schramme auf seinem Rücken war schon bläulich und von leicht

abgeschabter Haut bedeckt.

Da Nathan noch die Tassen spülte, was Tore wie eine Entschuldigung für das

alleine in der Küche rumstehen vorkam, sah er überhaupt noch einmal aus dem

Fenster. "Du, dein Bruder steht da unten an der Straßenecke und starrt zum

Haus rüber." Christian schien nachzudenken, zu zögern. Eine Haltung, die

Tore ziemlich bekannt vorkam. "Ich glaube, dass er sich nur nicht mehr rein

traut. Geh doch mal runter und zeig ihm, dass du nicht sauer bist, Nat."

Nathan ließ die Bürste ins Spülwasser fallen und stürzte zu Tore hin. Er

warf nur einen kurzen Blick nach draußen und auf die Gestalt, die frierend

den Kopf zwischen die Schultern gezogen hatte, dann war er auch schon wieder

im Flur. Ohne Socken schlüpfte er die Stiefel, warf sich den Parka über und

war schon fast unten, bevor er auch nur halbwegs zum Nachdenken kam. /Was

sag ich ihm? Was, wenn er mir nur wieder vorhält, ich bin pervers?/

Die Schlafanzughose war eindeutig zu dünn für das Wetter, stellte er fest,

als er das Haus verließ und die Kälte schneidend durch den Stoff drang.

Gänsehaut überzog seinen Körper, und für einen flüchtigen Moment musste

Nathan grinsen, als er daran dachte, dass es auf jeden Fall jedes Begehren

im Keim erstickte und Tore sich nicht in der Nacht mit einem überaktiven

Freund plagen musste. Dann wandte Christian den Kopf und sah zu ihm hin, und

die Gedanken an Tore waren vergessen.

Sekundenlang starrten sie sich über die Straße hinweg an, ohne dass einer

von beiden sich gerührt hätte. Nathan wollte etwas sagen und hatte doch

Angst, dass es das Falsche war, dass Christian sich wieder einfach nur

wegdrehen würde. /Gott, das ist albern! Ich stehe im Schlafanzug mitten im

Winter nachts auf der Straße und traue mich nicht, meinen eigenen Bruder

anzusprechen./

"Chris, mir ist saukalt. Wie wäre es, du kommst mit hoch, lässt mich

wahlweise Kaffee, Tee oder sonst was Warmes machen, und wir setzen das

Anstarren dann oben fort?"

Christian zögerte, dann kam er zu ihm, hielt seinen Bruder jedoch am Arm

fest, als dieser sich stumm umdrehen und zum Haus gehen wollte. Angst schoss

durch Nathan hindurch, Angst, dass er ihm lediglich sagen wollte, dass er

genau das machen würde, was sein Vater getan hatte. Sich nur noch mal

verabschieden. Oder ihn bitten, ihn in die Stadt zu fahren und sich dann nie

wieder zu melden. Oder...

"Es tut mir leid wegen eben, Nathan. Ich habe den Kopf verloren. Ich hatte

mit gar nichts gerechnet, wollte einfach nur zu dir und mich auskotzen und

dann war da... ich... und ausgerechnet Tore!" Christian verstummte, ließ

seinen Arm aber nicht los. Er wirkte verwirrt, halb erfroren und am Ende

seiner Kräfte.

Nathan hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand die Finger von der Kehle

genommen und als würde sein Herz wieder normal seine Arbeit leisten, ohne

Stolpersteinen ausweichen zu müssen. "Es ist okay, Chris. Komm einfach mit

hoch. Ich bin nicht sauer. Es war alles etwas überraschend und mit

Sicherheit nicht die Art, wie du es erfahren solltest."

Er wollte noch mehr sagen, wollte ihn fragen, warum er überhaupt mitten in

der Nacht bei ihm einfiel. Doch ein Blick in Christians Gesicht zeigte ihm,

dass sein Bruder erst mal Wärme brauchte, einen Platz auf dem Sofa und etwas

Ruhe. /Und dann kann er erzählen. Ich glaube, danach ist er wieder

aufnahmefähiger./ Dann erst fiel ihm auf, dass Christian für das Wetter auch

nicht die richtige Jacke anhatte und nach wie vor die Schuhe trug, die er

sich eigentlich für die Kirche herausgesucht hatte. /Scheiße, und damit

stiefelt er stundenlang durch den Schnee!/

Energisch machte er sich frei und schob seinen Bruder in den Hausflur und

dort in den Aufzug. "Morgen hast du eine Erkältung wie seit Jahren nicht

mehr", prophezeite er ihm, während sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.

"Das nächste Mal, wenn du vorhast, stundenlange Wanderungen zu machen, leih

dir wenigstens meine Stiefel - und wenn du schon dabei bist, nimm auch noch

Dunja mit. Der tust du damit zumindest einen Gefallen."

Immerhin entlockte das Christian ein kleines Grinsen. Als sie in die helle

Wohnung traten, registrierte Nathan besorgt die blauen Lippen und Christians

zitternde Hände, als dieser seine Jacke an die Gardarobe hängte und sich

dann irgendwie unsicher umdrehte, um Tore anzusehen, der in der Tür zum

Wohnzimmer stand. "Tut mir leid wegen vorhin..."

"Ich koche Kaffee. Ich glaube, den brauchen wir jetzt mehr als Tee. Gibst du

ihm die Decke, Tore? Und vielleicht noch ein paar dicke Socken von mir. Die

Schublade unter dem Spiegelschrank im Schlafzimmer. Andererseits..." Ein

weiterer Blick auf seinen Bruder überzeugte Nathan davon, dass es keine

schlechte Idee war. "Baden wäre jetzt wohl besser. Sonst taust du gar nicht

mehr auf."

"Du bist eine Glucke, Nathan." Christian musste grinsen. "Ich hätte es

eigentlich wissen müssen. Das warst du schon immer, und dazu diese pinken

Kacheln!"

Dennoch schien er die Idee für gut zu befinden, denn er verschwand erst

einmal im Bad. Nathan schnitt eine Grimasse, als er das charakteristische

Geräusch des sich drehenden Schlüssels hörte.

"Das hat er vorher nicht gemacht", murrte er leise genug, dass Christian es

nicht würde hören können. "Aber immerhin ist er wieder hier und wird auch

die Nacht über bleiben, selbst wenn ich ihn dafür einsperren muss."

Tore kam mit den Socken und einer warm aussehenden Trainingshose aus dem

Schlafzimmer zurück und bemerkte leise "Das wirst du nicht müssen. Hier.

Ich... geh euch aus dem Weg." Er sah forschend in Nathans Augen. "Bis

nachher, hm?"

Nathan erwiderte den Blick einen Moment, ehe er sich vorbeugte und Tore

küsste. "Bis nachher, Schatz." Er nahm ihm die Kleidung ab, zögerte kurz und

tat dann doch, wonach ihm zumute war. Rasch zog er Tore in seine Arme und

drückte ihn fest an sich. "Danke, dass du aus dem Fenster geschaut hast. Ich

bin so froh, dass er zurück ist."

Nach einem weiteren Kuss schickte er seinen Freund dann doch mit einem

kleinen Klaps auf den Hintern und einem Grinsen dabei ins Bett, ehe er die

zweite Bettgarnitur aus dem Schlaf- ins Wohnzimmer brachte und anschließend

endlich den Kaffee aufsetzte. Während die Maschine gemütlich vor sich hin

blubberte und Nathan Tassen, Milch und Zucker zusammensuchte, begann er

nahezu automatisch, seine Liste an Argumenten, die er schon unzählige Male

gedanklich für den Fall des überraschenden Outings erstellt hatte,

durchzugehen.

Als er mit dem Tablett ins Wohnzimmer kam und sein Blick auf den

Kleiderhaufen auf dem Sofa fiel, musste er grinsen. Immerhin war sein Bruder

nicht in die noch im Flur verstreuten Sachen gerannt... andererseits wäre er

davon wenigstens gewarnt gewesen. /Warum ist er überhaupt hier? Die

Autofahrt ist schon lang genug. Warum hat er mitten in der Nacht diese halbe

Weltreise mit dem Bus auf sich genommen?/

Christian sah wesentlich besser aus, als er schließlich in Nathans dicken,

blauen Frotteebademantel gehüllt ins Wohnzimmer kam. Die unnatürliche Blässe

war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Lippen hatten wieder ihre normale

Farbe angenommen. Dennoch zog er sich dankbar zusätzlich die Hose und die

Socken an und verkroch sich auch schon halb unter dem Federbett, ehe er nach

der Kaffeetasse griff. Er nahm einen kleinen, vorsichtigen Schluck und

lehnte sich mit einem leisen Seufzen zurück.

Dann wandte er den Kopf, sah Nathan eine Weile an und stellte die erste der

unvermeidlichen Fragen. "Seit wann weißt du es denn?"

/Das klingt, als sei ich krank oder schwanger./ Nathan wickelte sich in die

Wolldecke, die er sich zuvor schon mit Tore geteilt hatte, ehe er

antwortete, obwohl ihn viel mehr interessierte, warum sein Bruder

hergekommen war. Immerhin hatten sie die ganze Nacht Zeit, und er war viel

zu froh, dass Christian nicht einfach wirklich gegangen war.

Allzu lange dauerte es dann aber doch nicht. Christian war von dem Auf und

Ab des Tages, den diversen Hoch und Tiefs derart erschöpft, dass er trotz

des Kaffees ziemlich schnell begann, immer wieder wegzunicken. Nathan nahm

ihm mit einem Grinsen die Tasse ab, versprach ihm, dass sie am nächsten

Morgen weiterreden würden und kehrte, nachdem er das Licht ausgeschaltet

hatte, zu Tore zurück.

Er konnte nicht anders, als ihn einen Moment zu betrachten, wie er entspannt

und mit zerzausten Haaren in seinem Bett lag, die Augen geschlossen und tief

und gleichmäßig atmend. Wärme erfüllte Nathan und machte ihm wieder einmal

bewusst, dass es unmöglich falsch sein konnte, was er empfand. /Jemanden zu

lieben, mit ihm zusammen sein und ihn beschützen zu wollen, ist nicht

pervers. Das wirst du begreifen, wenn du darüber nachdenkst, Chris. Auch

wenn es dir jetzt komisch vorkommt./ Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken,

krabbelte er zu ihm, um sich unter der Decke an ihn zu schmiegen.
 

Tore erwachte an Nathan gekuschelt und seufzte leise. Sein Troll lag auf der

anderen Seite des Bettes, unbeachtet und nicht gebraucht, was ihn glücklich

machte. /Wenn Nat so weiter macht, werde ich den Troll bald selber

weiterschenken./ Er küsste Nathans Schläfe einmal schnell.

Leise kramte Tore sich eine warme Hose, ein besonders schrilles T-Shirt und

ein Kopftuch mit blauen Blümchen aus der Tasche heraus, ehe er zuerst ins

Bad huschte, dann in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Schließlich schnappte

er sich Dunja, bevor sie einen der beiden Brüder wecken konnte und ging mit

ihr die kleine Straße entlang zu dem nahe gelegenen Park, in dem er sie von

der Leine losmachte, damit sie sich ein wenig austoben konnte.

Der Schnee war hier weniger dick, dafür aber überfroren, was den Spaziergang

abkürzte, auch wenn Tore durch die vielen Hunde, die spazieren geführt

werden wollten, gleich drei von Nathans Nachbarn kennen lernte. Als er

wieder in die Wohnung zurückkehrte und Dunjas Pfoten mit dem dafür

bereitliegenden Tuch abgewischt hatte, stieß er im Wohnzimmer auf Chris.

Verschlafen unter der Decke zusammengekauert blinzelte sein Studienfreund

ihn an. Müdigkeit, die nicht nur von einem Mangel an Schlaf herrührte,

strahlte von ihm aus. Tore lächelte ihm unsicher zu, dann holte er zwei

Becher mit Kaffee. Viel Milch für ihn, reichlich Zucker und ein Schuss Milch

für Chrissi. /Er dachte, er kennt mich. Er dachte, er kennt seinen Bruder.

Jetzt ist seine Welt mit einem Mal komplett falsch, als hätte er die ganze

Zeit etwas nicht kapiert. Hoffentlich fühlt er sich nicht verarscht./

"Morgen." Tore stellte den Becher vor Chris hin und hockte sich

vorsichtshalber in einiger Entfernung zu ihm auf die Fensterbank, die dank

Heizung angenehm wärmte.

"Morgen." Christian setzte sich auf und strich sich mit beiden Händen durch

die Haare, eher eine hilflose Geste, als dass sie bei seiner Frisur etwas

gebracht hätte. Er sah ihn nicht an, als er nach dem Kaffee griff und

vorsichtig einen Schluck trank. "Danke..." Einen Moment herrschte Schweigen.

"Schläft Nathan noch?"

Tore nickte und beobachtete die Nachbarn von ringsum, die von irgendwoher

mit Brötchentüten die Straße raufkamen. /Wo der Bäcker wohl ist?/ "Er war

ziemlich tot nach der ganzen Aufregung", sagte er dann sich zu Christian

zurück drehend.

"Hm... Na ja. War spät." Wieder trank Christian einen Schluck, ehe er auf-

und zu Tore schaute, ein kleines, schiefes Grinsen versuchend. "Ist die

Fensterbank bequem?"

Tore erwiderte das Grinsen leicht. "Sie ist warm." Er ruckelte sich ein

wenig zurecht und sagte dann mit der sonst nur für seine unartigen Kids in

den Camps bestimmten Festigkeit "Ich entschuldige mich nicht, das habe ich

mir abgewöhnt."

"Dafür, dass du schwul bist oder dafür, dass du es so ewig nicht gesagt

hast?" Christian seufzte und starrte wieder in seine Kaffeetasse. "Wenn du

das mit dem Schwulsein meinst, he, ganz blöd bin ich nicht, selbst wenn das

gestern so wirkte. Immerhin habe ich einen schwulen Onkel. Der hat sich das

auch nicht ausgesucht."

Tore senkte den Kopf. "Es klingt immer wie eine Strafe oder wie eine

Krankheit. So wie meine Tante meinte, dass es ja nicht meine Schuld sein

könnte, wenn ich schwul bin. Genauso wenig wie sie Schuld an ihrer

Zuckerkrankheit tragen würde. Aber nur zur allgemeinen Information, ich

leide nicht darunter, wenn ich einen Mann attraktiv finde, kein Stück. Ich

fühle mich wohl." Er lächelte leicht. "Jetzt sowieso. Und es beim Vorstellen

zu sagen, finde ich äußerst bescheuert. 'Guten Morgen, ich bin Tore, und ich

bin schwul', sehr geil."

Christian musste lachen. "Hi, ich bin Christian, und ich bin hetero. Klingt

auch nicht besser." Doch unvermittelt wurde sein Gesicht ausdruckslos; seine

Hände schlossen sich fester um die Kaffeetasse. "Und ist auch nicht

zwangsläufig besser. Entschuldige noch mal wegen der blöden Dinge, die ich

gestern gesagt habe. Es war nur... der letzte Tropfen in dem berühmten Fass.

Lyddi will abtreiben lassen."

Tore blinzelte und fragte leise "Wirklich? Oder war sie nur... im Schock?"

"Sie hat mir eine ganze Reihe Argumente aufgezählt. Wir sind beide noch

nicht mit dem Studium fertig, noch zu jung für eine Familie, noch nicht

bereit dafür, das Geld wird nicht reichen. Und so weiter." Christian atmete

tief durch, schien seiner Gefühlswelt Herr werden zu wollen und es doch

nicht ganz zu schaffen. "Aber... das ist unser Kind da in ihrem Bauch. So

klein das Wesen noch ist, das ist doch unser Kind! Sie kann doch nicht

einfach... Zum Schluss hat sie mich angeschrieen. Und ich bin gegangen,

bevor ich etwas sagen konnte, das mir hinterher nur leid tut. So wie gestern

haben wir uns noch nie gestritten. Wir haben überhaupt fast nie..."

Verstummend starrte er wieder nur blicklos in seine Tasse.

Tore hüpfte von der Fensterbank runter und ging zu ihm hin, drückte kurz

seine Schulter. "Ruf sie an. Das geht so nicht. Auch wenn sie noch so

schreit, das will sie nicht wirklich, nicht bei all den Kinderbücher, die

sie jetzt schon gehortet hat."

Christian schenkte ihm ein kleines, unsicheres Lächeln. "Du hast recht.

Danke." Er schob die Decke beiseite, stellte die Tasse auf den Tisch und

stand sich streckend auf. "Ich hoffe, ich wecke sie nicht. Andererseits will

ich mir nicht ihren Zorn auch noch deswegen zuziehen, dass ich sie nicht

angerufen habe, wenn sie jetzt schon wach ist."

Tore ging weiter durch das Wohnzimmer und tätschelte Dunjas Kopf. "Ich werde

mal zu Nat gehen und ihn fragen, woher all seine Nachbarn die Brötchen

haben."

Als er die Schlafzimmertür öffnete, wurde er von einem müde den Kopf

hebenden Nathan begrüßt, der ihn ziemlich zerknautscht ansah, um sich dann

wieder ganz in die Matratze sinken zu lassen. "Morgen", nuschelte er,

während ihm bewusst wurde, dass er verschlafen hatte und dass Dunja

vermutlich schon ziemlich ungehalten sein würde. Gleichzeitig erinnerte er

sich, dass sein Bruder auf seinem Sofa lag, dass dieser jetzt wusste, dass

er schwul war, dass Lydia anderer Meinung als Christian war, was das Kind

betraf, und dass er keinen Guten-Morgen-Kuss erhalten hatte, bevor Tore

aufgestanden war.

Zumindest dem letzten Zustand beschloss er abzuhelfen, als Tore

unvorsichtigerweise einen Schritt auf das Bett zu machte. Er richtete sich

kurz auf, griff sich eine Handvoll von Tores Shirt und zog ihn daran mit

einem kräftigen Ruck auf sich und in seine Arme, um ihm dann einen

energischen Kuss auf den Hals zu drücken.

Tore quietschte vergnügt und lachte, während er sich sehr wenig effektiv

gegen die Hände und Lippen seines Freundes wehrte. "Guten Morgen", brachte

er schließlich atemlos hervor. Dann rappelte er sich jedoch auf und entkam

Nathans kräftigen Armen geschickt. "Ich wollte Brötchen holen gehen, woher

bekommen deine Nachbarn die?"

Nathan beschrieb ihm den Weg, während er sich endlich aus dem Bett quälte

und von Tore darüber aufgeklärt wurde, dass er erst einmal in Ruhe duschen

und sich um seinen Bruder kümmern konnte, da er mit Dunja bereits draußen

gewesen war. Als er aus dem Schlafzimmer kam und an Christians Stimme hörte,

dass dieser offensichtlich mit seinem Schatz telefonierte, beschloss er, ihm

erst einmal nicht guten Morgen zu sagen und verschwand gleich im Bad.

Während sie dann gemeinsam frühstückten, nachdem Tore mit frischen Brötchen

zurückgekommen war, erzählte Christian, dass Lydia ihn mit dem Wagen ihrer

Eltern abholen würde und bat gleichzeitig etwas schuldbewusst darum, dass

sie vielleicht nicht unbedingt offenkundig machen mussten, dass sie ein Paar

waren. "Ich hätte gerne erst mal das eine geklärt, bevor ich mit dem

nächsten über sie herfalle." Nathan lachte und sagte ihm auf den Kopf zu,

dass sie vermutlich weniger Probleme damit haben würde als er, versprach es

aber.

Als jedoch Lydia eine Stunde später ankam, verstand er Christians Sorge, so

blass und verheult wie seine zukünftige Schwägerin aussah. Sie wurde umarmt

und mit einem heißen Tee zu ihrem Schatz ins Wohnzimmer verfrachtet. Nathan

und Tore zogen sich diskret in die Küche zurück, und Nathan schloss die

sonst nie benutzte Klappe der Durchreiche, um den beiden Ruhe zu gewähren.

Immerhin schien es zu helfen. Nach zwei Stunden wurde es ruhiger im

Wohnzimmer, und als er vorsichtig nachsah, ob die beiden noch lebten, konnte

er feststellen, dass sie sich auf dem Sofa sitzend nur noch fest im Arm

hielten und alles andere als zerstritten wirkten.

Unauffällig zog er den Kopf zurück und grinste Tore zu. "Alles wieder im

Lot, soweit ich das sehen konnte. Sie schmusen und sehen um Klassen besser

aus als vorher."

Tore erwiderte das Grinsen und flüsterte ihm zu "Schmusen, das klingt jetzt

wirklich gut." Er lauschte nach drüben und küsste Nathan dann vorsichtig und

so weich er konnte. /Wenn erst mal Chris und Lyddi weg sind... endlich.../

In der Tat verabschiedeten sich die beiden nach einem eher schweigsam

eingenommenen Essen zu viert. Lydia fragte nicht, wieso Tore da war, aber

sie schaute zwischen ihm und Nathan hin und her und legte den Kopf ein wenig

schief.

/Frauen./ Tore spießte ein Stück Kartoffelkloß auf, von der Oma gespendet.

/Wissen immer Bescheid, ätzend. Aber sie schaut nur, sagt nichts. Ob sie

denkt, dass Chris es nicht rafft?/ Fragend sah er Nathan an, der neben ihm

saß.

Nathan erwiderte seinen Blick kurz, dann grinste er und zuckte unauffällig

mit den Schultern. Er konnte sich denken, in welche Richtung Tores Gedanken

gingen, aber er würde nichts sagen. Weder, um irgendetwas zu bestätigen,

noch um etwas abzustreiten. Einerseits hatte er es seinem Bruder versprochen

und zum anderen hatte er keine Lust mehr auf Fragen und Diskussionen; erst

recht nicht nach diesem vielversprechenden Kuss, den Tore ihm in der

Küche... ja, geschenkt hatte. Sein Grinsen wurde zu einem Lächeln, und er

wandte sich wieder seinem Teller zu.

Christian und Lydia fuhren direkt nach dem Essen, und Nathan amüsierte sich

über sich selber, als er die Erleichterung registrierte, mit der er darauf

reagierte, dass sein Bruder ihn zum Abschied wie immer umarmte und auch Tore

kurz drückte. Er schloss die Tür hinter ihnen, lehnte sich dann dagegen und

sah zu Tore hin, ihn einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen. /Weg sind sie.

Ich habe ihn wieder ganz für mich./ Und im Moment wollte er auch nicht im

Geringsten teilen. /Herrlich... allein die Augen. Und dieser weiche Mund./

Nathans Blick ließ sofort ungeahnte Hitze in Tore entstehen. /Verdammt, das

kann doch eigentlich nicht wahr sein. Es ist doch schon einmal schief

gegangen, soll das etwa... egal! Sehr egal!/ Mit einem Grinsen ging Tore auf

Hände und Knie und krabbelte schnell und Nathan nicht aus den Augen lassend

auf ihn zu, um ihn dann spielerisch anzuspringen und mit den Händen auf den

Oberschenkeln an die Tür zu pressen.

Er sah kurz in das ein wenig verwunderte Gesicht seines Freundes hoch, dann

grinste er wieder und murmelte "So? Endlich allein?" Langsam und bedächtig

rieb er seine Wange auf dem einen Oberschenkel entlang und erfreute sich an

der Reaktion, die sich daraufhin deutlich an Nathan zeigte.

Wärme durchflutete Nathan, die sich gleichermaßen in seinem Herz und seinen

Lenden sammelte, und er gab einen leisen Laut des Wohlbehagens von sich.

Sacht streichelte er ihm durch die Haare und lächelte auf ihn hinunter. Eine

Weile genoss er die Berührung, dann ließ er sich an dem glatten Holz langsam

in die Hocke sinken, während seine Hände über Tores Nacken, seine Schultern,

seinen Rücken glitten, bis sie seinen Po erreichten. Er umfasste ihn und zog

ihn leicht gegen sich, zwischen seine Beine, während er seine Lippen für

einen langen, weichen Kuss suchte.

Tore schloss die Augen und tastete mit der Zunge über Nathans Mund,

ertastete die feinen Bartstoppeln und den Unterschied zu der zarten Haut auf

den Lippen. Lächelnd öffnete er schließlich seinen Mund und lockte Nathan zu

sich, während er einen Arm um seine Schultern schlang und ihn über sich zog.

Kap.10

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Blackdragonstar
2007-08-28T19:33:22+00:00 28.08.2007 21:33
Hallo erst mal XD
Ich finde deine FF echt gut gelungen und du hast auch alles sau süüß beschrieben,vorallem die Flirtszenen!XD Das kommt alles richtig geil rüber XD mann könnte meinen faneben zustehen XD
Das einzige, was ich net so wirklich versteh, ist dass ich mir die ersten drei vier Kapitel drei mal durchgelesen habe, aber die Szene mit dem ersten Kuss net gefunden hab. Das fand ich irrgend wie schade.
Aber der hund is auch gut XD Der is wirklich ein "Romantikkiller"! XD
Aber echt gut geschrieben!! Das kann ich garnicht oftgenug sagenXD
Ich hoffe, dass du vielleicht mal ne Fortzetzung schreiben würdest xD würd mich echt interessieren, ob Tore seine Angst ganz ablegt und ob das mit dem zusammenziehne klappt!! Aber mich würde auch interessieren, was Nathans Eltern sagen XD
Aufjeden fall gefällt mir der FF sau gut, da kann ich nix anderes sagenXD
*knuddeltz*
Blackdragonstar


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