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Thunder

von

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sowas wie ein Prolog

Ha, und weiter geht's! Ich würd die zwei doch nie im Zwist auseinander gehen lassen *g*
 

Thunder
 


 


 

„Freust dich schon?“

Fireball sah stirnrunzelnd von seinem Kaffee hoch. Jetzt war er seit Monaten zuhause und arbeitete sogar schon wieder und seine Mutter fragte jeden Morgen das selbe. Langsam wurde es ihm zu öde. Ohne einen Ton von sich zu geben, nickte er kurz und nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee.

Da seine Mutter ihren Blick jedoch nicht von ihm ließ, antwortete er fast knurrend: „Es ist ein Bürojob wie jeder andere auch. Worauf soll ich mich da freuen? Ich bin froh, überhaupt eine Arbeit gefunden zu haben.“

Er machte sich auf den Weg ins Vorhaus, wo er sich die Jacke überzog und die Haustüre aufschloss. Mit einem Lächeln verabschiedete er sich von Hiromi: „Ich muss los, sonst komm ich zu spät. ...Bis heute Abend, Mum.“

Fireball fuhr mit dem Rollstuhl die Straße entlang zum Polizeipräsidium. Wie jeden Morgen hing er seinen Gedanken nach, während er zur Arbeit ging. Es war ein seltsames Gefühl, wieder in der Heimat zu sein. Als er zurückgekommen war, hatte er sich erst ein paar Wochen ausgeruht und war dann zu Kommandant Tomoei aufs Revier gefahren. Er wollte sich persönlich für den Brief und die netten Worte bedanken. Doch aus einem einfachen Besuch wurde quasi ein Vorstellungsgespräch, denn Tomoei bot ihm einen Job in der Kriminalabteilung an. Vollkommen überrascht hatte Fireball damals zugesagt. Als er gehört hatte, dass auch sein ehemaliger Kollege, Seiji Katagiri, in der selben Abteilung gelandet war, freute er sich schon richtig auf den Job. An sich war die Arbeit auch ganz in Ordnung, es war aber doch nur ein Bürojob. Fireball war fürs Stillsitzen einfach nicht geschaffen und schon bald hatte er gemerkt, dass er sich auf Streife wesentlich wohler fühlen würde. Den Gedanken musste er jedoch schon im Ansatz verwerfen. Als Rollstuhlfahrer war es unmöglich im aktiven Außendienst zu sein.

Seit seiner Abreise aus Yuma hatte Fireball den Kontakt zu Saber und Colt sehr gepflegt. Er rief immer mal wieder an und erkundigte sich, wie es ihnen allen so ging. Dabei erfuhr er auch, dass die kleine Jessica die Grippe ausgepackt hatte und seit knapp zwei Wochen flachlag. Saber hatte Synthia geheiratet. Er arbeitete zwar immer noch für das KOK, allerdings in einer vollkommen anderen Abteilung. Saber hatte sich auf Wunsch versetzen lassen, er kam mit Commander Eagle auf keinen grünen Zweig mehr.

Und was April betraf, fiel es Fireball immer noch schwer. Er hatte mit ihr nicht mehr gesprochen, seit er sie zu Chris geschickt hatte. Der junge Japaner dachte viel an sie, allerdings waren die Gedanken traurig und bezogen sich immer auf die letzten Wochen, die sie miteinander verbringen konnten.

Fireballs Kollegen in der Abteilung erleichterten ihm den Start in ein normales Leben ungemein. Sie akzeptierten ihn sofort und unternahmen viel mit ihm. So kam es oft vor, dass am Samstag Abend Seiji und die anderen vor Fireballs Tür standen und ihn einfach irgendwohin entführten. Sie hatten eine Menge Spaß und allmählich merkte auch Fireball, dass Trübsal blasen wenig Sinn machte.
 

Die Tage im Büro vergingen meistens recht flott. Nur manchmal fiel es Fireball schwer, sich zu konzentrieren. An einem sonnigen Nachmittag riss ihn eine weibliche Stimme aus den Gedanken: „Entschuldigung. Ich suche Seiji Katagiri.“

Ohne von seinen Unterlagen aufzusehen, murmelte er der Frau entgegen: „Der hat gerade Mittagspause. In einer halben Stunde ist er wieder im Büro.“

Die junge Frau blickte zu Boden und seufzte: „Ich erwisch ihn einfach nie. ...Kann ich das wenigsten für ihn da lassen?“

Fireball wimmelte sie mit einer Handbewegung ab, er sah immer noch nicht von seinen Unterlagen auf: „Ja ja, sicher doch. Soll ich ihm auch was ausrichten?“

Die Frau stellte einen Korb vor Fireballs Nase und meinte schließlich: „Ja, sagen Sie dem Faulpelz, dass er sich mal wieder melden könnte. Und die Kaffeepause soll er genießen,“ Sie musterte den jungen Mann vor ihr, der ihr das Gesicht noch immer nicht zugewandt hatte und meinte, jemanden bekannten zu erkennen. Vorsichtig fragte sie: „Shinji?“

Fireball sah auf und maulte fast: „Auf den Namen hör ich für gewöhnlich,“ er blickte direkt in das Gesicht der jungen Frau und ein Lächeln formte sich um seine Lippen: „Laura?“

Laura konnte kaum glauben, wer da vor ihr saß und sich geweigert hatte, ihr Beachtung zu schenken. Sie hatte ihre Jugendliebe seit Jahren nicht gesehen, geschweige denn etwas von ihm gehört. Die Beziehung mit dem Jungen, der vor ihr saß, war die schönste und gleichzeitig auch die schlimmste Zeit in ihrem Leben. Damals war einfach alles drunter und drüber gegangen. Ihr Bruder, ihre Gefühle und offensichtlich auch Fireballs Schuldgefühle hatten die Beziehung schließlich zum Scheitern verurteilt.

Das schwarzhaarige Mädchen strahlte übers ganze Gesicht: „Mensch, dass du noch lebst! Shinji, ich hab dich Jahre nicht gesehen, was machst du hier?“

Fireballs Lächeln verschwand wieder und sein Gesichtsausdruck wurde kalt: „Arbeiten? Und dass ich noch lebe, ist eher eine Laune der Natur gewesen.“

Plötzlich verflog auch Lauras Lächeln. Sie verstand den letzten Satz nicht. Instinktiv fragte sie sich, ob sie was verschlafen hatte. Vorsichtig fragte sie nach, denn sie hatte gemerkt, dass sie einen wunden Punkt erwischt hatte: „Wenn ich dich jetzt noch mehr reizen darf, was ist denn nach deinem Abgang passiert, weil du meinst, unter uns zu weilen, sei eine Laune der Natur gewesen?“

Fireball schloss für einen kurzen Moment die Augen und seufzte. Er entschied sich dafür, vorerst nichts zu sagen und sein Auftreten für sich sprechen zu lassen. Er löste die Bremsen des Rollstuhls und fuhr zurück, damit Laura ihn auch sehen konnte. Als sie ihn allerdings nur entsetzt ansah und kurz davor war, ein paar Tränchen zu vergießen, erklärte er ihr im ruhigen Tonfall: „Weißt du, ich hab auf Yuma einen Baum geküsst und das hätte mich fast mein Leben gekostet.“

Der gewünschte Effekt blieb allerdings aus. Auf Lauras Stirn bildeten sich noch mehr Fragezeichen. Da gab es Fireball einen Stich. Sie war wie April in der Hinsicht! Fireball sah zu Boden und fragte: „Hast ein paar Minuten Zeit? Dann geb ich dir eine kurze Inhaltsangabe von den letzten paar Jahren.“

Laura nickte. Sie war gespannt darauf zu erfahren, was ihr Verflossener die letzten Jahre außer Rennfahren so getrieben hatte. Schweigend nahm sie ihren Korb, der eigentlich für Seiji bestimmt war, und folgte Fireball in die Kaffeeküche. Fireball erzählte Laura in kurzen Schritten, was nach ihrer Trennung alles passiert war, ließ die unangenehmen Details jedoch außen vor. Schließlich endete er seine Erzählung: „Ich war auf einem Ball in Yuma und hab meine alten Freunde wieder getroffen. Mit April hatte ich einen fürchterlichen Streit wegen meines lautlosen Abgangs. Ich wollte einfach nur noch nach Hause und irgendwie hab ich den Baum erwischt. Als ich im Krankenhaus wieder aufgewacht bin, durfte ich mir einige tolle Ratschläge zu Herzen nehmen und hab eine tolle Physiotherapeutin zur Seite gestellt bekommen. So eine Sklaventreiberin. Als ich endlich wieder hier war, hab ich Tomoei einen Besuch abgestattet und er hat mich in die Kriminalabteilung gesetzt, wo ich mich jetzt tagtäglich frage, ob Menschen die schlimmeren Verbrecher als Outrider sind.“

Fireball und Laura hatten nicht bemerkt, dass inzwischen Seiji in der Tür stehen geblieben war und gespannt zugehört hatte. Der recht hochgewachsene Japaner hatte sich an den Türrahmen gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Fragend sah er zu Fireball hinüber: „Out... was?“

Verblüfft wandte Fireball seinen Blick zu Seiji, nur um festzustellen, dass der die Ohren gespitzt hatte. Mit einem schiefen Lächeln erklärte er: „Outrider, Seiji. Das sind Phantomwesen und sie haben im neuen Grenzland unendlich viele Menschen umgebracht. Sie haben den Siedlern unsagbares Leid zugefügt. Mein Freund Colt hat seine Eltern durch Outrider verloren. Diese Wesen haben kein Gewissen, keine Skrupel. ...Ich dachte immer, nur Outrider würden Menschen so abschlachten, aber seit ich hier in der Kriminalabteilung sitze, zweifle ich daran.“

Die drei machten sich noch über die Mitbringsel von Laura her und nun erzählte auch Laura, was sie in der Zwischenzeit alles erlebt hatte. Sie besuchte ihren Bruder Tom nach wie vor im Gefängnis, allerdings nicht mehr so regelmäßig. Nach der Verhandlung hatte Laura eine Lehre zur Bürokauffrau angefangen und auch erfolgreich beendet. Nun arbeitete sie seit über zwei Jahren in einer Rechtsanwaltskanzlei, die immer wieder Pflichtverteidiger stellte. Laura fühlte sich in ihrem Beruf sehr wohl, hatte sie doch öfter die Möglichkeit ins Polizeipräsidium zu kommen. Nachdem Fireball in den Rennzirkus gegangen war, hatte ihr Seiji geholfen, wo er konnte, und die beiden waren gute Freunde geworden. Solche Kaffeepausen waren nichts Ungewöhnliches mehr in der Abteilung. Manchmal machten sogar alle kollektiv Pause.
 

Laura und Fireball trafen sich die nächste Zeit zumindest einmal die Woche und sie kamen sich wieder näher. Sie hatten viel Spaß zusammen und Fireball konnte zumindest zeitweise vergessen, was er durchgemacht hatte. Die beiden unterhielten sich viel, waren viel zusammen an der frischen Luft.

Laura hatte Fireball sogar einmal überrascht. Sie war mit ihm ins Grüne gefahren. Zumindest neben der Strecke war es grün. Sie hatte ihn zur Rennstrecke von Suzuka gefahren, wo für Fireball alles begonnen hatte. Er hatte dort seine Rennlizenz gemacht. Die beiden saßen gemeinsam auf den einsamen Zuschauerrängen an der Start- und Ziellinie. Mit einem verklärten Lächeln erzählte Fireball Laura, wie er hier damals seine ersten Erfahrungen mit Autos gesammelt hatte und dass er mit seinem schwarzen Wagen, den er damals bei der Under Cover Aktion hatte, die ersten Runden gedreht hatte. Seine damaligen Sponsoren hatten ihm den Wagen geschenkt und er befand sich immer noch in seinem Eigentum.

Laura kam auch wieder öfters zu Besuch im Hause Hikari, allerdings wohnte sie nicht mehr bei ihnen. Hiromi begrüßte die durchaus positive Wandlung im Leben ihres Sohnes. Sie erkannte, dass er wieder neuen Mut fasste und wesentlich leichter durchs Leben ging, als noch vor ein paar Monaten.
 

Die Freunde saßen beim wöchentlichen Absacker zusammen und unterhielten sich. Es empfanden es als durchaus positiv, dass nun auch Chris öfters mit von der Partie war, so kam sich April nicht wie das fünfte Rad am Wagen vor. Die sechs trafen sich regelmäßig um Neuigkeiten auszutauschen und natürlich auch um einfach zusammen zu sein.

April war es die erste Zeit nach Fireballs Rückreise nach Japan schlecht gegangen. Sie hatte sich nur zuhause verkrochen und hatte kaum den Kontakt zu ihren Freunden gepflegt. Wenn Chris auf Yuma war, besuchte er sie und zerrte sie förmlich außer Haus. Er ging mit ihr Essen, ins Kino oder einfach nur spazieren. Allmählich hatte sich April an den Gedanken gewöhnt, Fireball wahrscheinlich nie wieder zu sehen. Sie sprach immer weniger über ihn und mit der Zeit schien sie ihn völlig vergessen zu haben. Sie amüsierte sich köstlich mit Chris, der die letzten Monate der Zwischensaison auf Yuma verbracht hatte.

Saber hatte sich in die Ausbildungsabteilung versetzen lassen. Er unterrichtete die Kadetten hauptsächlich in Selbstverteidigung und technischen Abläufen. Es machte ihm Freude, jungen Leuten was beizubringen. Synthia war nicht mehr aktiv im KOK tätig, sie war nämlich gerade im Mutterschutz. In wenigen Monaten würden die beiden ihr erstes Kind bekommen und sie freuten sich schon drauf. Da gab es nur ein Problem: Colt versuchte, ihnen das Kind madig zu reden. Immer wieder kam er mit blöden Sprüchen an und versuchte ihnen weis zu machen, dass die netten Abende zu zweit mit einem Kind Geschichte waren. Doch die er konnte ihnen die Freude nicht verderben, egal was er auch sagte.

Das lag wahrscheinlich daran, dass Colt in seiner Vaterrolle geradezu aufblühte. Jessica hatte ihr erstes Jahr fast hinter sich und Colt verbrachte jede freie Minute mit ihr. Robin war das nur recht. Denn sie hatte wieder angefangen, halbtags in einer Schule zu unterrichten. Sie hatte die Stelle von einem alten Studienkollegen zugetragen bekommen, der an der selben Schule unterrichtete und denen eine Lehrkraft abhanden gekommen war.

Die sechs saßen diesmal bei Colt und Robin zusammen und spielten Karten. Es war ein ausgeglichenes Spiel, bis jetzt hatte jeder einmal gewonnen. Colt versuchte ununterbrochen zu schummeln und flog dabei jedes Mal auf. Ganz im Gegensatz zu April. Ihr ging jeder Bluff durch.

Stur, sturer, April!

Seiji saß Fireball gegenüber und versuchte ihm genau zu erklären, wie er den Tatort vorgefunden hatte. Der ehemalige Rennfahrer saß nachdenklich vor den Fotos und versuchte sich ein Bild zu machen. Es war nicht immer leicht für ihn, Seiji zu folgen, denn dieser sprintete von einem Gedankengang zum nächsten, ohne dass es ihm auffiel.

Als es wieder soweit war, blickte Fireball von den Fotos auf und unterbrach Seiji: „Moment mal! Zuerst sagst du mir, dass die Leiche in der Küche gefunden wurde und auf der Anrichte ein blutiges Messer gefunden worden ist. Einen Augenblick später erzählst du mir dann, dass das Messer im Vorraum gelegen ist. ...Also, wo hast du das Ding jetzt gefunden? In der Küche auf der Anrichte oder doch im Vorraum?“

Erstaunt hielt Seiji einen Augenblick inne. Ihm war gar nicht aufgefallen, welchen Stuss er gerade von sich gegeben hatte. Eigentlich wollte er Fireball erklären, dass im Vorraum auch Blutspuren gefunden worden sind, und nicht das Messer. Etwas beschämt senkte Seiji den Kopf und entschuldigte sich: „Tschuldige... Also, das Messer ist tatsächlich auf der Anrichte gelegen. Allerdings sind auch im Vorraum Blutspuren gefunden worden....“

Bevor Seiji weiter erzählen konnte, meldete sich das Telefon zu Wort. Seiji hob ab und überreichte Fireball dann mit einem leichten Lächeln den Hörer: „Es ist Kommandant Tomoei für dich.“

Fireball nahm den Hörer entgegen und meldete sich: „Hikari? ...Worum geht es? ... Zu Ihnen ins Büro? ...Gut, ich bin schon fast bei Ihnen, wiederhören.“

Er legte auf und machte sich ohne Erklärungen zu Kommandant Tomoei auf den Weg. Seiji sah ihm mit fragenden Blicken hinterher.
 

Vor dem Büro von Tomoei angekommen, fragte er zuerst die Sekretärin: „Hallo, Sarah. Der Chef hat mich zu ihm bestellt. Ist er frei?“

Sie nickte ihm zu und Fireball betrat mit einem unbehaglichen Gefühl das Büro. Es war nicht alltäglich, dass Tomoei jemanden zu sich ins Büro zitierte und irgendwie beschlich Fireball das ungute Gefühl, dass es in wenigen Augenblicken vielleicht so zugehen könnte, wie damals bei Commander Eagle im Büro.

Der Kommandant empfing ihn und lotste ihn gleich vor den Bildschirm seines Computers. Ohne Umschweife begann dieser dann: „Gehört es im Kavallary Oberkommando zum guten Ton, wenn man mit einer schönen Abfindung gekündigt wird?“

Fireball verstand kein Wort. Abfertigung? Er? Das einzige, was er zur Kündigung erhalten hatte, war eine hübsche Drohung, die Commander Eagle wahr machen würde, wenn er nicht spurte. Er starrte auf den Monitor und ihm blieb der Mund offen stehen.

Tomoei erklärte ihm: „Diese E-Mail hab ich vor einer viertel Stunde erhalten und na ja. Shinji, ich glaube kaum, dass sich einer meiner Mitarbeiter so etwas zu Schulden kommen lässt, wie in diesem Haftbefehl steht. Dieser internationale Haftbefehl wurde von den Kollegen in Yuma City ausgeschrieben. ...Junge, eigentlich müsste ich dich in den Keller bringen lassen und erst mal hinter Gitter setzen. Bitte sei ehrlich. Hast du dir im KOK was zu Schulden kommen lassen?“

Fireball versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn es ihm schwer fiel. Vorerst ohne Antwort blieb er sitzen und blickte auf den Bildschirm. Er nahm die Maus und fuhr zum Kopf der E-Mail. Mit Bauchschmerzen las er sich die E-Mail komplett durch, seine Gesichtsfarbe spielte im Laufe der E-Mail alle Farben, von knallrot bis käseweiß. Als er fertig war, wandte er sich mit zittrigen Händen an Kommandant Tomoei. Er wisperte: „Eagle...“

Tomoei rutschte ein Stück näher und sah seine alte Neuwerbung fragend an. Ebenso leise, wie Fireball die Worte ausgesprochen hatte, fragte er nach: „Was hat er damit zu tun?“

Der junge Japaner schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf, bevor er seufzte und seinem neuen Vorgesetzten erklärte: „Das Mädchen, April Eagle, das laut diesem Haftbefehl vergewaltigt worden ist, ist seine Tochter. ...Als er mich damals rausgeworfen hat, hat er mir mit einer solchen Anzeige gedroht, falls ich auch nur irgendetwas ausplaudern sollte, was vorgefallen ist,“ Fireball machte eine kurze Pause und vergrub sein Gesicht in seinen Händen: „Ich hab ihr nichts getan... Ich könnte ihr nie etwas antun...“

Kommandant Tomoei glaubte sich daran zu erinnern, dass der blonde Offizier, der ihn damals besucht hatte, etwas Derartiges erwähnt hatte und was er von Fireballs Verhalten schließen konnte, dürfte er dem Mädchen wirklich nichts getan haben. Nachdenklich meinte er: „Wenn du es nicht getan hast, werden wir das auch beweisen, Shinji. ...Hast du noch Kontakt zu deinen Freunden aus dem KOK?“

Fireball verstand, was der Kommandant damit sagen wollte. Er nickte: „Ja. Ich werde sie anrufen und bitten, sofort zu kommen.“

Auch der Kommandant nickte. Immer noch nachdenklich schob er die Brille wieder nach oben. Er sprach Fireball Mut zu: „Keine Sorge, Junge. Ich werde die Aussagen deiner Freunde aufnehmen. Niemand sonst wird in diesem Gebäude davon erfahren. ...Allerdings muss ich dich für die Dauer dieser Angelegenheit vom Dienst suspendieren. Solange deine Unschuld nicht bewiesen ist wenigstens.“
 

Als Fireball wieder zu Seiji ins Büro kam, war eine gute Stunde vergangen und sein Kollege saß gerade über den Tatortfotos von vorhin. Seiji sah auf und konnte den Gesichtsausdruck von Fireball nicht deuten. Er fragte ihn: „Was war denn, dass es gar so lange bei Tomoei gedauert hat?“

Fireball ignorierte den hochgewachsenen Japaner im Augenblick völlig. Wie ferngesteuert griff er nach dem Telefon und wählte eine Nummer. Nervös wartete er darauf, dass sich am anderen Ende jemand meldete.
 

Nachts um kurz nach drei Uhr ertönte das schrille Piepsen eines Kommunikators. Völlig verwirrt und verschlafen hob der Mann, der dadurch aus seinen Träumen gerissen wurde, ab: „Rider?“

„Saber. Ich bin’s, Fireball. Ich brauch unbedingt eure Hilfe. Mein Kopf steckt in der Schlinge und die zieht sich gerade zu. Bitte, komm so schnell es geht und bring auch die anderen mit. Bitte.“

Saber hatte bestimmt die Hälfte nicht verstanden, worum Fireball gerade hektisch gebeten hatte. Gähnend sagte er zu: „Kein Problem. Wir kommen mit dem nächsten ...Flug. Was ist eigentlich los?“

Inzwischen war auch Synthia wach geworden, die neben Saber gelegen hatte. Sie hatte sich aufgesetzt und war schon aufnahmefähiger als ihr Liebster neben ihr. Sie verfolgte aufmerksam das Gespräch zwischen Saber und dem jungen Mann am Telefon.

Fireball stotterte: „Das kann ich am Telefon nicht erklären, Saber. Bitte, ihr müsst einfach alle kommen und mir helfen.“

Saber versicherte Fireball noch einmal, dass sie den nächsten Flug am Morgen nach Japan nehmen würden. Er wünschte seinem ehemaligen Kollegen noch eine gute Nacht und legte auf. Knurrend drehte er sich zur Seite und wollte wieder weiterschlafen. Doch Synthia stieß ihren Liebsten an: „Das war doch gerade Fireball, nicht wahr?“

Widerwillig setzte sich Saber wieder auf. Langsam wurde auch Saber richtig wach: „Ja, das war Fire.“

Synthia fragte nach, ihr angetrauter Ehemann ließ sich alles aus der Nase ziehen: „Steckt er in Schwierigkeiten, weil er so spät noch anruft?“

Sie hatte ein gutes Gespür für solche Angelegenheiten entwickelt. Sie ahnte schon Schlimmes, doch Saber brabbelte verharmlosend: „Er hat angerufen und gemeint, wir sollten nach Japan kommen, so schnell es geht. Der Kleine hat nicht genau gesagt worum es geht. ...Wird schon nicht so schlimm sein.“

Synthia schüttelte skeptisch den Kopf: „Mir behagt die Sache nicht, Schatz. Fireball versucht normalerweise schon um eine Uhrzeit anzurufen, wo wir beide schon wach sind. Nur um einen Besuch wird er wohl kaum gebeten haben.“

Saber schüttelte ebenfalls den Kopf und drückte Synthia wieder in ihr Kissen. Sie sollte sich ausruhen und schlafen. Er selbst legte sich auch wieder hin und nahm seine schwangere Frau in den Arm. Allerdings konnte er nicht mehr einschlafen, nun war er wach, hellwach sogar. Er rief sich das Gespräch mit Fireball von eben noch einmal in Erinnerung. Als er eben mit ihm telefoniert hatte, war er komplett neben sich gestanden, wusste eigentlich nicht richtig, was er mit ihm besprochen hatte. Aber allmählich kam er zu dem Schluss, dass Fireball dieses Mal ziemlich tief in der Tinte saß.

Eineinhalb Stunden früher als sonst stand Saber an diesem Morgen auf und saß bei seiner Tasse Kaffee. Er wartete eigentlich nur noch auf eine menschliche Uhrzeit, um Colt und April anzurufen. Als es dann endlich nicht mehr nächtlicher Ruhestörung gleichkam, wenn er anrief, wählte er Colts Nummer.

Dieser fluchte ihm entgegen: „Ich hoffe für dich, dass es wichtig ist, Schwertschwinger.“

Saber wählte seinen befehlshabenden Ton Colt gegenüber, damit dieser ihn auch ernstnahm: „Kuhhirte. Matchbox hat mich heute in der Nacht angerufen. Er steckt in Schwierigkeiten und braucht unsere Hilfe. Pack deine Frau und dein Kind zusammen und kommt zu mir und Synthia.“

Colt imponierte dieser Tonfall gar nicht und deswegen maulte er gleich zurück: „Du bist nicht mehr mein Boss, schon vergessen? Häng gefälligst ein Bitte hinten an, wenn du was von mir willst.“

Grinsend gab Saber zurück: „Bitte, tu mir den Gefallen, Cowboy. Du weißt doch, ohne dich läuft gar nichts.“

Plötzlich musste auch Colt lächeln. Er war zwar gerade erst aufgestanden, aber wenn sogar Saber mal blödeln konnte, dann konnte es Colt erst recht. Er flötete: „Ich kann dir den Wunsch doch nicht abschlagen. ...In einer halben Stunde komm ich und bring Familie und Frühstück mit.“

Da beendete Colt das Gespräch auch schon. Saber saß noch einen Moment vor seinem Kommunikator und schüttelte lächelnd den Kopf. Colt war ab und zu einfach zu leicht zu durchschauen. Er wählte Aprils Nummer an, doch diese hob nicht ab. Also entschloss er sich kurzerhand, zu ihr zu spazieren.
 

Als es an der Tür klingelte, huschte April in den Flur um zu öffnen. Sie steckte lächelnd den Kopf heraus: „Ja?“

Saber lächelte ihr entgegen. Sie musterte ihren alten Vorgesetzten und in ihr stieg ein schlechtes Gefühl auf. Wenn Saber schon zu so einer Uhrzeit vor ihrer Türe stand, hatte er normalerweise seine Frau und mindestens ein paar Brötchen mit. Doch nicht an diesem Morgen. Er hatte weder seine Frau noch irgendwelches Gebäck bei sich und das bescherte April fast Magenschmerzen. Es konnte nur etwas passiert sein.

Sie öffnete die Tür komplett und bat Saber herein: „Komm erst mal rein, Säbelschwinger.“

Saber nahm das Angebot gerne an. Als er im Flur stand, glaubte er, jemanden in der Küche verschwinden zu sehen. Unbeirrt dessen setzte Saber seinen Weg mit April ins Wohnzimmer fort: „April. Kannst du dir ein paar Tage frei nehmen? Es wäre wichtig.“

Das blonde Mädchen bat Saber weiter in die Küche: „Worum geht es überhaupt, Saber? Was ist passiert?“

In der Küche angekommen, verschlug es Saber erst einmal kräftig die Sprache. Auf einem Stuhl vor ihm saß Chris bei einer Tasse Kaffee. Also hatte er sich nicht getäuscht, als er geglaubt hatte, jemand sei in die Küche gegangen. Ungläubig rieb sich Saber die doch noch etwas kleinen Augen und blickte dann fragend zu April. Doch diese gab ihm keine Antwort. Sie stand lediglich mit den Armen vor der Brust verschränkt vor ihm und blickte starr zu Boden.

Saber entschied sich, die Situation einfach zu ignorieren und kam gleich zur Sache. Er setzte sich neben Chris an den Tisch und begann: „Fire bräuchte ganz dringend unsere Hilfe, April. Bist du dabei?“

Chris antwortete an Aprils Stelle: „Was ist denn nun schon wieder los? In welchem Schlammassel steckt er diesmal?“

Saber runzelte die Stirn. Er wusste zwar selbst nicht, warum Fireball sie brauchte, aber er wusste, dass er sie brauchte. Er sah April eindringlich an, denn diese saß unbeteiligt daneben: „Er konnte am Telefon nicht darüber sprechen, aber ich befürchte, dass er dieses Mal nicht alleine damit fertig wird. Wir sollen alle nach Japan fliegen.“

April stand auf und ging zur Anrichte. Sie nahm sich die Kaffeekanne und schüttete Kaffee in eine Tasse. Die ganze Zeit über schwieg sie. Saber war aufgefallen, dass sie wieder unglücklicher wirkte, seit die Sprache auf Fireball gefallen war. Bedächtig drehte sie sich um und gab Saber eine ernüchternde Antwort: „Ich werde nicht mitkommen, Saber.“

Den beiden Männern fiel alles runter. Bevor Saber noch an Aprils Vernunft appellieren konnte, war Chris bereits aufgestanden und hatte sich vor April gestellt. Er gab April zu verstehen: „Das kannst du nicht machen, April! Du verweigerst einem Freund von dir die Hilfe.“

Trotzig antwortete April: „Er ist nicht mehr mein Freund, Christian. Es geht mich nichts an, was mit ihm ist.“

April war immer noch zu tiefst verletzt. Der Mann, für den sie Gefühle hatte, hatte diese mit Füßen getreten, und keinerlei Vertrauen zu ihr gehabt. Und dem Mann sollte sie nun helfen? In April sträubte sich alles dagegen, nach Japan zu fahren. Sie wollte Fireball nie wieder sehen. Er hatte ihr in kürzester Zeit mehr als nur einmal das Herz gebrochen, und sie hatte lange gebraucht um zu verstehen, dass Fireball nichts für sie empfand, auch wenn er vielleicht das Gegenteil behauptet hatte. Nein, sie würde sich diesem Gefühlschaos nie wieder aussetzen.

Mit Schwung stieß sie sich von der Anrichte ab und ging in ihr Zimmer. Sie ließ die beiden Männer alleine zurück.

Saber verstand Aprils Reaktion in keiner Weise, er wusste auch nicht, was er nun machen sollte. Er konnte April doch schlecht zwingen, eine Reise anzutreten. Aber Chris schien April durchschaut zu haben. Er schrie ihr einfach hinterher: „Du bist ein feiges Huhn, ich hoffe, das weißt du, April! Nur weil du zu feige bist, ihm noch einmal in die Augen zu sehen, muss er vielleicht auf Hilfe verzichten, die er braucht!“

Der Schotte begriff langsam, dass er im Moment fehl am Platz war und es getrost Chris überlassen konnte, April umzustimmen. Er stand auf und gab Chris noch einmal die Hand: „Kommt ihr beide dann zu mir, Chris? Ich meine, wenn du April soweit hast, dass sie doch mitkommt?“

Chris lächelte Saber zuversichtlich zu: „Klar. Ich werde einen Freund ganz bestimmt nicht mehr im Stich lassen. Und April wird sich schon einkriegen, sie hat nur Angst.“

Der Rennfahrer begleitete Saber noch zur Tür und ging dann zu April ins Zimmer. Er klopfte an und wartete auf eine Antwort. Als er allerdings keine erhielt, öffnete er die Tür einen Spalt und steckte den Kopf ins Zimmer. Er fragte im ruhigen Ton nach April. Doch sie antwortete nicht. Also betrat er das Zimmer und sah sich um. Der Kleiderschrank stand offen und von April war keine Spur zu sehen. Sie musste im Badezimmer sein, dass sich im Anschluss an das Schlafzimmer befand. Chris setzte sich in Bewegung und fand die Blondine auch wie erwartet. Sie wusch sich das Gesicht, offensichtlich befand sie sich gerade bei der Morgentoilette.

Mit verschränkten Armen lehnte sich Chris an den Türstock und fragte April im ruhigen Ton: „Warum willst du nicht mitkommen? ...Gibt es einen besonderen Grund dafür?“

April griff nach einem Handtuch und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Sie blickte Chris mit blitzenden Augen an: „Ja, den gibt es. Und nein, es geht dich nichts an.“

April hatte absolut keine Lust ihre Entscheidung mit Chris auszudiskutieren. Schließlich war es einzig und allein ihre Angelegenheit, ob sie zu Fireball fuhr oder nicht. Sie hatte gute Gründe, ihn nicht mehr sehen zu wollen, das redete sie sich jedenfalls ein. Denn, wenn sie ihn nicht mehr sah, musste sie nicht mehr an ihn denken und er könnte ihr nicht mehr wehtun. Fireball könnte ihr nicht mehr das Herz brechen und sie alleine zurücklassen, wie er es bereits zweimal getan hatte. Nein, sie würde diesen kleingeratenen Japaner ein für alle Mal aus ihrem Leben streichen. Und das hieß in jeder Hinsicht, dass sie konsequent sein musste.

Chris stieß sich vom Türrahmen ab und kam auf April zu. Mit einem traurigen Gesichtsausdruck begann er von Neuem: „Dein Verhalten tut mir unheimlich weh, April. Es tut mir deshalb weh, weil du dich offensichtlich nicht mehr für Fireball verantwortlich fühlst. Das ist schade, denn ich weiß, dass Fireball die Hand für dich ins Feuer halten würde, wenn du ihn brauchen würdest. Er würde für dich sterben.“

Das verkraftete April nur schlecht. Chris’ Worte rüttelten sie unsanft wach. Erbost schmiss sie ihm das Handtuch vor die Brust und fuhr ihn an: „Hör auf! Ich will es nicht hören! ...Er war nie da, wenn ich ihn gebraucht habe, nie!!“

Reaktionsschnell fing Chris das weiße Handtuch mit einer Hand ab. Aprils Reaktion eben war nicht gerade die gewesen, die sich Chris erwartet hatte. Wie sollte er nun weiter vorgehen? Wenn er an Aprils Gefühle appellierte, stand er auf verlorenem Posten und musste sogar Angst haben, dass April ausrastete. Denn sie stand vor ihm, vor Wut schnaubend und mit einem verdammt bösen Gesichtausdruck. Der ehemalige Kollege von Fireball entschied sich nun für die harte Variante. Er drehte sich um und ging ins Schlafzimmer zurück. Das Handtuch ließ er dabei beiläufig auf den Boden fallen. Sofort machte er sich daran, eine Tasche zu suchen. In diese packte er wahllos T-Shirts, Hosen, Unterwäsche, Röcke von April hinein. Er stopfte ziemlich alles hinein, wovon er dachte, dass sie es in Japan brauchen konnte. Schlussendlich ging er ins Badezimmer zurück, schnappte sich ihre Zahnbürste, ihren Kamm und ihre Tagescreme. Als April ihn zurückhalten wollte, packte er sie nur am Arm und gab ihr scharf zu verstehen: „Du fährst nach Japan, ob du nun willst oder nicht! Verdammt, so einen sturen Bock wie dich hab ich gesehen auch noch nicht.“

April wusste nicht, wie ihr geschah. Plötzlich stand sie halb angezogen im Flur und wurde von Chris alles andere als höflich aufgefordert, sich endlich Schuhe anzuziehen. Die Jacke hatte er ihr bereits übergelegt. Mit ein wenig Angst stellte April fest, wie ernst es Chris war. Offenbar versuchte er krampfhaft etwas wieder gut zu machen, doch April konnte sich nicht vorstellen, was das sein sollte. Widerwillig schlüpfte sie in das bequemste Paar Schuhe, das sie besaß und trottete dann Chris hinterher.

Die beiden fanden sich schließlich bei Saber in der Wohnung wieder, wo bereits alle auf die beiden gewartet hatten. Der Schotte zog Chris kurz zur Seite, bevor sie den Weg zum Flughafen antraten. Er ging mit ihm in die Küche und fragte nach, wie Chris es geschafft hatte, sie umzustimmen. Der Rennfahrer grinste: „Ich hab nur das getan, was ich am besten kann. Impulsiv sein!“

Wiedersehensfreuden

So, es hat wieder mal länger gedauert, aber es gibt wieder Nachschub...
 

Fireball war etwas früher als sonst von der Arbeit nachhause gefahren. Seine Mutter war noch nicht zuhause, als er die Tür zum Haus aufschloss. Er hatte ein mulmiges Gefühl. Würden seine Freunde kommen um ihm zu helfen? Saber hatte am Telefon nicht gerade den Eindruck gemacht, als wäre er schon aufnahmefähig gewesen. Vielleicht dachte dieser ja, es wäre alles nur ein Scherz von Fireball gewesen.

Hiromi würde bald nachhause kommen, deshalb entschied sich Fireball etwas zu kochen. Seine Mutter musste ihn nicht immer wie ein Muttersöhnchen behandeln, kochen und aufräumen konnte er sehr wohl noch. Als Hiromi endlich kam, stand das Essen bereits auf dem Wohnzimmertisch und wartete darauf, verspeist zu werden. Fireball begrüßte seine Mutter und ging mit ihr ins Wohnzimmer. Nachdem sie aufgegessen hatten und der Abwasch erledigt war, setzten sich die beiden auf die Couch. Zögernd begann Fireball: „Mum? Hast du ein wenig Zeit für mich?“

Erstaunt sah Hiromi zu ihrem Sohn, sie hatte eigentlich gerade damit begonnen in der Zeitung zu schmökern. Wortlos sprang sie auf und kam kurze Zeit später mit zwei Tassen Tee zurück: „Hier. Damit lässt sich länger reden.“

Fireball atmete schwer aus und sank merklich zusammen. Er musste mit seiner Mutter jetzt darüber reden, bevor sie es von anderen Leuten erfuhr, wer wusste schon, wie lange so ein internationaler Haftbefehl geheim bleiben würde. Mit gesenktem Blick begann er schließlich: „Weißt du, ich möchte, dass du es von mir hörst und nicht von irgendjemand anderen.“

Hiromi wusste nicht, wovon ihr Sohn gerade sprach, aber sie war sich sicher, dass es nichts Gutes war. Sie strich ihm freundschaftlich über die Schulter: „Ach, Shinji. Du musst dich nicht dauernd fragen, was ich denke, wenn ich von deinen Abenteuern höre.“

Fireball wusste, dass sie von Saber einiges zugetragen bekommen hatte. In einem leisen Tonfall begann er: „Fangen wir ganz vorne an, gut? ...Mum, egal wie ich es auch drehe und wende, ich komme immer zum selben Ergebnis. Ich trage die Verantwortung für Yamatos Tod. In dieser Nacht, als er gestorben ist, ist für mich die Welt zusammengebrochen. Die Kugel, die er abgefangen hat, war für mich bestimmt und hätte er mich nicht beiseite gestoßen, hätte sie ihr Ziel nicht verfehlt. Mum, ich hab noch nicht einmal registriert, dass Tom ein zweites Mal geschossen hat, ich hab es erst bemerkt, als ich schon auf dem Boden lag. Dieses Gefühl hat sich nie beiseite schieben lassen Die ersten Monate nach Yamatos Tod hat es mich schier aufgefressen. Nichts war wie vorher. Mein bester Freund und Vaterersatz war von einen Tag auf den anderen nicht mehr da und dir hat wieder ein Mann an deiner Seite gefehlt. Ich bin weggerannt, oh ja und das nicht gerade langsam. Im Rennzirkus hab ich mich halbwegs wohl gefühlt und deswegen hab ich auch zugesagt, als sie mich gefragt haben, ob ich ein fixes Cockpit haben möchte. ...“

Der junge Japaner nahm hin und wieder einen Schluck von seinem Tee und erzählte seiner Mutter alles haarklein. Er ließ nichts aus und beschönigte auch nichts. Er erzählte ihr von den neuen Freunden, die er überall im neuen Grenzland gefunden hatte und was ihn auf Yuma alle vierzehn Tage erwartet hatte. Manchmal musste er selbst grinsen, wenn er an manche Geschichten zurück dachte. Zu guter letzt erzählte er ihr auch von sich und April: „April und ich waren auf Ramrod immer gute Freunde, nähergekommen sind wir uns erst, als ihr Vater von den Outridern entführt worden war. Das hat ihren Vater natürlich schwer getroffen: Seine Tochter und der Taugenichts. Er hat mich einfach rausgeworfen und mir das Blaue vom Himmel gedroht, falls ich nicht spuren sollte. ...Weißt du, ich hab April quasi ohne ein ‚Tschüss’ sitzen lassen. Als er mich damals angerufen hat, sind wir gerade bei ihr zuhause gesessen, bei einem Glas Wein. Wir waren gerade dabei, aus unserer Freundschaft eine feste Beziehung zu machen... Naja, mit meinem tollen Dienstzeugnis konnte ich nicht mehr zur Polizei, obwohl ich gerne wieder angefangen hätte, also blieb mir nur der Rennzirkus übrig...“

Jedes Mal, wenn er April erwähnte, fingen Fireballs Augen zu glitzern an, der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er umfasste die Tasse mit beiden Händen und starrte hinein. Mit einiger Ironie in der Stimme erzählte Fireball auch von den letzten eineinhalb Jahren, die wahrlich alles andere als ein Zuckerschlecken für ihn gewesen sind. Als er sich endlich alles von der Seele geredet hatte, erklärte er seiner Mutter kopfschüttelnd: „Und das beste an der ganzen Geschichte kommt erst noch. Kommandant Tomoei hat mich heute zu sich ins Büro gerufen. Ich bin erst mal auf unbestimmte Zeit beurlaubt.“

Hiromi hatte geduldig zugehört, manches hatte sie schockiert, manches allerdings hatte sie schon gewusst. Zum Beispiel, dass sich Fireball die Schuld an Yamatos Tod gab. Was sie nur ansatzweise von Saber erfahren hatte, waren die Geschichten aus dem KOK und selbst da schien der blonde Schotte selbst fast nichts gewusst zu haben. Sie unterbrach ihren Sohn: „Weshalb bist du beurlaubt worden, Shinji? Ist was vorgefallen?“

Unsicher rutschte Fireball auf der Couch hin und her: „Nein, das versuch ich dir doch gerade zu erklären, Mum. Heute Nachmittag hat mich die Vergangenheit wieder eingeholt. ...Commander Eagle um ehrlich zu sein. Er hat seine Drohung wahr gemacht.“

Verschämt blinzelte der junge Japaner in seine nun leere Teetasse und wartete eine Reaktion seiner Mutter ab. War sie auch nur ein bisschen so wie er, würde sie wahrscheinlich an die Decke gehen. Als er keinen Laut vernahm, blickte er scheu zu seiner Mutter hinüber. Doch sie saß nicht mehr an ihrem Platz. Offensichtlich war sie aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen. Verwundert stellte Fireball die Tasse auf den Tisch und setzte sich in seinen Rollstuhl. Er suchte nach seiner Mutter und fand sie schließlich im Schlafzimmer. Sie hielt ein Foto in Händen und blickte traurig darauf. Als sie Fireball bemerkte, stellte sie hastig das Foto zurück auf den Nachttisch und drehte sich zu ihrem Sohn um. Ihr Gesichtsausdruck wirkte ertappt. Lächelnd ging Hiromi ein paar Schritte auf Fireball zu. Sie betrachtete das, was ihr von ihrer kleinen Familie geblieben war. Es war nicht viel. Aber immerhin etwas.

Fireballs Vater fehlte Hiromi jeden Tag, und ganz besonders jetzt fehlte er ihr unendlich. Sie fühlte sich hilflos, denn sie wusste nicht, wie sie ihrem Sohn helfen konnte. Sie konnte ja schlecht für ihn aussagen, schließlich war sie nicht dabei gewesen. Hiromi ging vor Fireball in die Knie und nahm seine Hand. Sie blickte ihm direkt in die Augen, als sie sagte: „Wir werden das schon schaffen, Shinji. Dieser Vorwurf von Charles ist völlig aus der Luft gegriffen.“
 

Fireball war relativ früh an diesem Samstag Morgen aufgestanden. Er hatte schlecht geschlafen und hielt es im Bett nicht mehr länger aus. Als er schon die zweite Tasse Kaffee in Angriff nahm, erschien auch seine Mutter am Frühstückstisch. Die beiden unterhielten sich über Gott und die Welt. Ihre Anwesenheit gab Fireball ein wenig mehr Zuversicht. Bis Saber ihn anrief um zu sagen, dass sie alle am Raumhafen Tokio gelandet waren. Fireball bat noch kurz Laura, sie zu begleiten, da er seine Freunde nicht in ein Auto zwängen konnte.

Fireball hatte es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht und schwieg die ganze Fahrt über. Seine Gedanken drehten sich um all die Probleme, die sich mit dem Besuch seiner Freunde angebahnt hatten. Und vor allem beschlich ihn ein unsagbar schlechtes Gefühl, wenn er an April dachte. Was würde sie sagen? Was tun? Kopfschüttelnd blickte Fireball dann auf die Straßen Tokios. Mit einem schmerzerfüllten Lächeln senkte er den Kopf. April würde natürlich nichts zu ihm sagen. Sie würde sich verhalten, als sei nie was passiert, vielleicht sogar, als würde sie ihn gar nicht kennen. All das traute er April zu. Wenn sie wollte, konnte sie eine unheimlich professionelle Miene aufsetzen.

Laura riss ihn aus seinen Gedanken: „Du scheinst dich nicht sehr über den Besuch deiner Freunde aus Yuma zu freuen, Shinji.“

Überrascht drehte sich Fireball zu seiner Freundin um. Er stützte den Kopf auf und seufzte: „Du würdest dich genauso wenig darüber freuen, wenn du den Grund für ihren Besuch kennen würdest. Aber ich bin froh, dass sie da sind. Auch, wenn’s nicht danach aussieht.“

Die junge Japanerin lächelte verstohlen. Sie konnte sich schon vorstellen, weshalb Fireball so eine Miene zog. Immerhin war sie eine Frau und intuitiv wusste sie, dass ein Mädchen an Fireballs Verstimmung schuld war. Sie schaltete ein paar Gänge zurück und fuhr auf den Parkplatz, als sie ihn aufmunterte: „Sie wird dich schon nicht fressen, Shinji. Du bist zwar zum Anbeißen süß, aber sie wird deinen Kopf sicherlich noch dran lassen.“

Dem Rennfahrer verschlug es für einen kurzen Moment die Sprache. Wie konnte Laura so etwas nur sagen? Gespielt sauer sah er sie an: „Woher willst du das Bitteschön wissen, Miss Lee?,“ in einem nachdenklich Tonfall erklärte er ihr: „Wenn du wüsstest, wie sehr ich ihr wehgetan hab, Laura, dann würdest du nicht so große Töne spucken. Ich hab sie mehr als nur einmal im Stich gelassen. Und sie ist nachtragend.“

Keck antwortete die Rechtsanwaltsgehilfin: „Ich bin auch nachtragend und du lebst immer noch, Shinji. Das einzige, was dir gefährlich werden kann, bist du selbst, wenn ich dich daran erinnern darf.“

Mit einer bösen Miene zog Fireball die Handbremse an: „Danke, das hätte ich fast vergessen. ...Immer die Handbremse anziehen, du willst doch nicht, dass sich unser Auto verkrümelt. Mensch, bei wem hast du bloß autofahren gelernt?“

Grinsend schüttelte er den Kopf. Laura würde es nie lernen. Aber so waren Frauen eben. Wie er das schwarzhaarige Mädchen kannte, zog sie die Handbremse nicht an, weil sie wusste, dass Fireball es für sie erledigen würde. Laura stieg aus und half Fireball in den Rollstuhl. Die beiden warteten schweigend auf Hiromi und gingen dann gemeinsam in die Ankunftshalle.

Der riesige Raum war schier überfüllt. Die drei fragten sich, ob sie die Star Sheriffs überhaupt finden würden. Langsam aber sicher bahnten sie sich einen Weg durch die Menge bis zur Gepäcksausgabe. Fireballs Freunde würden sicher mit Gepäck reisen und das brauchte bekanntlich auf diesem Raumhafen über eine Stunde, bis es abgeladen war.
 

„Die sind alle so klein hier!“

Schon fast genervt schüttelte Saber den Kopf und tadelte seinen Freund: „Nur, weil sie nicht so aussehen wie du, oder so groß sind wie du, heißt das noch lange nicht, dass das alles Außerirdische sind. Mensch du, unser Matchbox ist auch nicht größer, bei dem hast du dich auch nie beschwert.“

Den ganzen langen Flug über mussten Saber und die anderen nun schon Colts leidige Tour ertragen. Seit er bei Saber ins Taxi gestiegen war, war er unausstehlich. Selbst Robin schien bald die Nerven über Bord zu schmeißen. Der Flug war anstrengend, auch ohne Colts blöde Bemerkungen.

Die sechs machten sich auf den Weg zur Gepäckausgabe. Nach ihrer Ankunft hatten sie erst einmal ausgecheckt und waren noch schnell in ein Cafe gegangen. Nun suchten sie nach ihren Koffern. Endlich war Colt ruhig. Dafür schlug plötzlich Chris einen Höllenlärm. Als er sich flüchtig vom Förderband umgedreht hatte, hatte er jemand Bekannten entdeckt.

Sofort war er von der Gepäckausgabe davon gesprungen und lief laut schreiend auf die drei Neuankömmlinge zu: „Fire! Mann, bin ich froh, dich zu sehen! Lass dich mal ansehen!“

Vollkommen überrascht ließ sich Fireball von seinem alten Kumpel kurz drücken und begutachten. Mit Chris hatte er am allerwenigsten gerechnet: „Was, zum Geier, machst du hier?“

Laura kniff Fireball leicht in die Seite: „Fluch bitte nicht so. Das gehört sich nicht.“

Breit grinsend fing Chris den Satz auf und baute ihn gleich zu einer noch besseren Aussage aus: „Ja genau! Begrüßt man so einen alten Freund, Fire? ...Du stehst aber schon ziemlich unterm Scheffel, mein alter Schwede, du.“

Hiromi hielt sich schweigend im Hintergrund und sah sich das Begrüßungsspektakel mit gebührenden Abstand an. Irgendwie war es amüsant für sie. Sie hatte nie gesehen, wie sich Fireball verhielt, wenn er sich mit Freunden unterhielt. Zuhause war er eher ruhig und anständig, aber anscheinend konnte er auch anders. Und zwar im positiven Sinne.

Inzwischen waren auch die anderen aufgetaucht. Colt ließ Chris’ Reisetasche vor seinen Füßen fallen: „Ich bin nicht dein Packesel, Rennsemmel!,“ er riskierte einen Blick zu Fireball und dann auf das Mädchen, das neben Fireball stand. Er pfiff zwischen den Zähnen hindurch: „Holla, die Waldfee.“

Fireball grinste und widmete sich lachend Colt: „Die Waldfee hat auch einen Namen, Kuhhirte. Sie heißt Laura. ...Darf ich vorstellen, der Kerl mit dem Hut, der sich so gewählt ausdrückt, ist Colt. Daneben seine Frau Robin mit Töchterchen Jessica. Chris hast du schon kennen gelernt. Der smarte blonde Typ ist Saber Rider, seine Lebensgefährtin Synthia. Und das... ist April.“

Fireball hatte April bewusst als letzte vorgestellt, er wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Gott sei Dank war niemanden aufgefallen, dass er nach Aprils Namen leise geseufzt hatte. Denn Colt verbesserte seinen alten Freund schon wieder: „Säbelschwinger hier und die holde Jungfrau Synthia sind schon ewig und drei Tage verheiratet, falls es dir entgangen sein sollte.“

Nun konnte auch Saber nicht anders. Spitzbübisch grinsend nahm er seine Frau in den Arm und erklärte Fireball: „Naja, hold ist sie schon noch, aber das mit der Jungfrau muss ich korrigieren. Wir sind in einem halben Jahr zu dritt.“

„Das freut mich. Wisst ihr schon was es wird?,“ Fireball freute sich aufrichtig für Sabers und Synthias Glück. Nach dem Gespräch mit seiner Mutter hatte er neuen Mut gefasst und sich geschworen, dass er nicht so schnell wieder das Handtuch werfen würde. Sein Leben war seine Sache und er ließ sich nicht für etwas wegsperren, das er nicht verbrochen hatte.

Saber stellte mit Wohlwollen fest, dass sich Fireball wieder zum Positiven entwickelt hatte, seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten. Der junge Japaner saß zwar nach wie vor im Rollstuhl, was auch so bleiben würde, egal was er auch unternahm, aber sein Lächeln verriet, dass er sich mit seinem Schicksal arrangiert hatte und das beste daraus machen würde.

Endlich machte Synthia den Anfang. Sie umarmte Fireball herzlich und begrüßte danach auch Laura und Hiromi. Bis sich alle durch hatten, stiftete Colt auch diesmal wieder Unruhe. Langsam glaubte Saber zu wissen, dass Colt das Reisen einfach nicht gut tat. Zum Schluss waren nur noch April und Fireball übrig, die sich noch nicht begrüßt hatten.

Unschlüssig darüber, wie sie ihn begrüßen sollte, versteckte April erst mal ihre Hände auf dem Rücken. Mit niedergeschlagenen Augen trat sie vor ihn und streckte ihm dann die Hand entgegen: „Hi.“

Mehr brachte die Blondine nicht heraus. Es war wie verhext. Sie brauchte Fireball nur anzusehen und schon erinnerte sie sich an seine letzen Worte. Geh zu Chris und lass dich trösten, April. Es tat ihr immer noch weh, sehr weh. Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass sie sich wirklich von Chris hatte trösten lassen. Da konnte sie noch so oft behaupten, dass es nicht wahr war, ihre Freunde wussten es besser. Als April Laura angesehen hatte, wurde sie schlagartig traurig. Wie dieses Mädchen neben Fireball stand. So selbstverständlich, als wäre sie immer schon an seiner Seite gewesen, als würde sie nirgendwo anders hingehören, außer zu ihm. Die Blondine bemerkte sofort, wie nahe sich Fireball und Laura standen und ihr Herz brach in weitere Stücke auseinander. Nun stand sie da und wartete auf eine Reaktion von Fireball. Doch die ließ auf sich warten.

Fireball brachte seinen Mund nicht auf. Er konnte ihr nicht mal ein „Hallo“ entgegenbringen. Mit jeder Reaktion hatte Fireball gerechnet, vor allem mit einer wütenden oder zumindest mit einer tränenreichen, aber nicht damit. Dass sie so kühl zu ihm war, hatte er nicht erwartet und das verschlug ihm vollkommen die Sprache. Mit gesenktem Blick drehte er sich um und bedeutete seinen Freunden ihm zu folgen: „Lasst uns erst mal zu mir nachhause fahren. Dort könnt ihr euch ausruhen.“

Der Fit-Check der anderen Art

Im Hause Hikari angekommen, wurden erst einmal die Zimmer verteilt. Das Haus war groß genug für die ganze Bande, Fireball hatte sich freiwillig auf die ausziehbare Couch zurückgezogen, damit April ein Zimmer für sich alleine hatte. Die Freunde staunten nicht schlecht, als Hiromi sie durch das Haus führte.

Colt murmelte: „Von außen sieht es viel kleiner aus, Misses Hikari.“

Hiromi drehte sich zu dem Cowboy um und lächelte ihn vielsagend an, verkniff sich dann allerdings jegliche Antwort, die zweideutig hätte ausfallen können. So blieb sie bei einer schlichten Erklärung: „Es sieht von draußen wirklich etwas kleiner aus, als es tatsächlich ist. Die Räume sind gut aufgeteilt, Colt.“

April kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Das ganze Haus war voll mit Bildern und Gegenständen aus Fireballs Leben. Zum ersten Mal überhaupt sah sie ein Foto von Fireball als Jugendlicher und auf einem Foto trug Fireball eine Uniform und grinste spitzbübisch. Neben ihm stand ebenfalls ein junger Mann in Uniform. Fasziniert blieb April stehen und betrachtete es. Als Hiromi Aprils Zurückbleiben bemerkte, kam sie wieder auf das Mädchen zu, das schweigend vor dem Foto stand.

Als April Hiromi neben sich bemerkte, fragte sie: „Wann ist das Bild gemacht worden, Misses Hirkari?“

Die Japanerin betrachtete das Bild, das da an der Wand hing und runzelte die Stirn. Allmählich fiel ihr wieder ein, wann es entstanden war und sie erzählte April: „Das Bild ist von der Abschlussfeier von Shinjis Jahrgang. Er hat damals mit Auszeichnung seine Prüfung bestanden. Der junge Mann neben ihm ist Seiji Katagiri, ein Kollege, mit dem er heute wieder zusammenarbeitet.“

Verwundert betrachtete April das Bild noch einmal aufmerksam, ehe sie schmerzlich antwortete: „Er war also wirklich Polizist.“

Die Blondine senkte den Blick und drehte sich zu den anderen. Hiromi hatte sofort gemerkt, wie gekränkt April war, kaum etwas von ihrem Sohn zu wissen. Sie konnte spüren, wie schwer es April fiel, all das zu verarbeiten und zu begreifen, es das erste Mal mit eigenen Augen zu sehen und sich gewahr zu werden, nicht einmal annähernd über den anderen Bescheid gewusst zu haben.

Hiromi brachte die Freunde in ihren Zimmern unter, Saber und Synthia würden ihr altes Schlafzimmer beziehen, Colt und Robin bekamen Fireballs Jugendzimmer, Chris wurde ins Gästezimmer im ersten Stock verbannt und April würde im Gästezimmer im Erdgeschoss nächtigen.
 

Colt ließ die Reisetaschen fallen und sah sich im Zimmer um. Als erstes fielen ihm gleich die vielen Autos und diese Ordnung auf. Stirnrunzelnd ging er auf ein Modellauto zu und fuhr mit dem Zeigefinger sachte darüber. Er betrachtete seinen Finger und grinste Robin entgegen: „Sogar die Autos sind pikobello geputzt.“

Robin schüttelte nur lächelnd den Kopf und machte sich daran, die Taschen auszuräumen. Die kleine Jessica hatte sie auf das Bett gesetzt und ihr was zum Spielen in die Hand gedrückt. Sie öffnete die Schranktür und musste feststellen, dass noch alle alten Kleidungsstücke von Fireball darin verstaut waren. Sie nahm einen Kleiderhaken, auf dem eine Uniform hing, heraus und zeigte sie Colt: „Ich wette, Fireball würde umwerfend darin aussehen.“

Der Cowboy ging näher heran, fühlte an der Uniform und sein Grinsen wurde noch breiter: „Wahrscheinlich sieht er darin wie ein Vertreter aus,“ etwas nachdenklicher fügte er noch hinzu: „Lass uns auspacken und ihn dann mal danach fragen.“

Die Lehrerin nickte. Sie brannte schon darauf, mehr über Fireball zu erfahren und sie hatte das Gefühl, dass diesmal einiges besser laufen würde, als bei ihrem letzten Treffen. Schließlich waren sie alle auf seinen Wunsch hier, auch wenn sie nicht wussten, was los war. Gedankenverloren machte sie im Schrank ein wenig Platz für ihre Kleidung und verstaute diese säuberlich darin.

Colt hingegen war zum Fenster gegangen und blickte hinaus. Die Aussicht war für eine Stadt ziemlich gut, denn zwischen ihm und dem nächsten Haus lag ordentlich viel Grünfläche mit Bäumen und Sträuchern. Verstohlen gähnte er, allmählich wurde er wirklich müde. Colt dachte an alte Zeiten zurück, ihm gefiel die Situation, wie sie seit einigen Jahren war, nicht besonders. Er vermisste seinen Freund, den alten Matchbox ungeheuer. Seit Fireball damals verschwunden war, war das Leben ein Stück ernster für Colt geworden. Nicht, dass er Robin nicht schon immer heiraten wollte, aber er hätte Fireball schon gerne dabei gehabt. Er seufzte bei dem Gedanken, was Fireball im Leben der anderen alles verpasst hatte.
 

Als April und Hiromi die Treppen wieder herunter kamen, waren Fireball und Laura gerade im Begriff zu gehen. Hiromi sah ihren Sohn verwundert an: „Wo wollt ihr beide denn jetzt noch hin?“

Lächelnd drehte sich Fireball noch zu seiner Mutter um, während Laura sich die Schuhe anzog: „Mum, ich muss noch zum Arzt, das weißt du doch. Und ich will nicht unpünktlich sein, Dr. Shirota ist so schon streng genug.“

Kopfschüttelnd antwortete Hiromi ihm: „Du bist der einzige, der so ungern zu Dr. Shirota geht, Shinji. Alle anderen sind begeistert von ihm.“

Fast genervt konterte Fireball: „Alle anderen haben auch nicht so eine Krankenakte wie ich.“

Unbewusst hatte er dabei April angesehen, die traurig den Blick von ihm abwandte. Getroffen wandte sich auch er ab und hielt Laura an: „Komm, Kleine. Ich will noch los, bevor der nächste Tag anbricht.“

Da waren die zwei auch schon bei der Türe draußen und man konnte hören, wie Laura den Motor startete. April stand neben Hiromi und kam sich fehl am Platz vor. Sie hatte das Gefühl, bei Fireball nicht willkommen zu sein. Schon bei der Ankunft hatte sie gemerkt, dass er ihr aus dem Weg ging, sie weder ansah noch ansprach, wenn es nicht notwendig war. Es schien ihr fast, als wäre es alleine Sabers Idee gewesen, sie mitzunehmen. So, wie sich Fireball verhielt, konnte sie sich kaum vorstellen, dass er alle eingeladen hatte, wenn er sie überhaupt eingeladen hatte. Mutlos schüttelte April den Kopf und bat Hiromi: „Macht es Ihnen was aus, wenn Sie mir vielleicht ein Glas Wasser bringen könnten, Misses Hirkari?“

Mitfühlend blickte Hiromi zu dem blonden Mädchen. Zaghaft legte sie April die Hand auf die Schulter und versuchte, ihr zu erklären: „Es ist schwer für ihn, April. Sehr schwer. Sei ihm bitte nicht böse, wenn er...“ sie sprach nicht mehr weiter.

Verunsichert blickte April zu Hiromi auf. Was meinte sie? April konnte sich keinen Reim darauf machen, was Hiromi meinte, wenn sie sagte, April solle Fireball nicht böse sein. Was sollte er denn tun?
 

„Du bist mir viel zu leise, Shinji.“

Der ehemalige Rennfahrer blickte gedankenverloren zum Beifahrerfenster raus und antwortete nicht. Seit die beiden im Auto saßen, hatte Fireball keine einzige Frage beantwortet, die Laura ihm gestellt hatte. Vergeblich versuchte sie ihn in ein Gespräch zu verwickeln, doch es gelang ihr nicht. Langsam begann sie sich zu fragen, was das Geheimnis hinter dem Besuch dieser sechs Fremden war. Schon, als sie diese Leute vom Raumhafen abgeholt hatten, war Fireballs Verhalten alles andere als normal. Er hatte sich ihr gegenüber nie so ruhig verhalten, es konnte ihrer Meinung nach nur mit diesen sogenannten Freunden zusammenhängen. Und da Laura bestimmt nicht auf den Kopf gefallen war, hatte sie sofort bemerkt, dass die Schuld bei dieser langhaarigen Blondine zu suchen war. Zwischen den beiden musste was vorgefallen sein, was immer noch zwischen ihnen stand und Fireball offensichtlich sehr belastete.

Provozierend fragte Laura Fireball noch einmal: „Bist du wegen diesem einen Mädchen so ruhig, Shinji?“

Laura hatte es geschafft. Ein Paar haselnussbraune Augen blickte sie verwirrt an: „Was?“

Shinji hatte nicht zugehört. Er hatte nur seinen Namen eben vernommen und das Wort ruhig. Es hatte irgendwie seine Aufmerksamkeit erregt und nur deshalb hatte er sich umgedreht.

Laura ließ den Wagen halten und das Fenster runterfahren. Sie löste das Parkticket und während sie wieder anfuhr, meinte sie nüchtern: „Seit diese Blondine angekommen ist, ist mit dir nichts mehr anzufangen und dabei ist sie noch keinen Tag im Land.“

Fireball unterdrückte nur mit viel Mühe ein Seufzen und erklärte Laura mit einem verschmitzten Lächeln: „Etwa eifersüchtig, Süße? Und mit mir ist nur deshalb nichts anzufangen, weil ich den Kopf voll mit Dingen habe, die sich nicht in Wohlgefallen auflösen werden. ...Leider.“

Das Mädchen schüttelte vehement den Kopf: „Ich und eifersüchtig auf so eine Bohnenstange?! Die Zeiten sind schon lange vorbei, denn um auf April, so heißt sie doch, eifersüchtig zu sein, müsste ich mit dir zusammen sein. Das sind wir de facto schon lange nicht mehr.“

Demonstrativ parkte sie ein, stellte den Motor ab und stieg aus. Laura wollte mit Fireball jetzt keine alten Geschichten aufwärmen, dazu hatte sie keine Lust. Sie war froh, mit Fireball wieder befreundet zu sein, die schlechten Jahre gut überstanden zu haben.

„Ja, klar,“ Fireball stieß die Tür auf und grinste in sich hinein. Wenn er jetzt wollte, konnte er Laura aufzwicken, doch dann hatte er mit Sicherheit keine Fahrgelegenheit mehr nach Hause. So ließ er sich von Laura in die Arztpraxis begleiten und gab ihr als kleines Dankeschön ein Küsschen auf die Nase.

Dr. Shirota, Fireballs Hausarzt, stand schon im Warteraum und lächelte Fireball an: „Kein Wunder, dass du immer zu spät zu deinen Terminen kommst, junger Hikari. Bei so einer hübschen Begleitung.“

Fireball begrüßte Dr. Shirota, als sei nichts passiert. Die beiden Männer gingen in die Ordination und ließen Laura bei der Sprechstundenhilfe zurück.

Mittlerweile war Fireball gut in Übung, sich vom Rollstuhl woanders hin zu setzen und so war es ihm ein Leichtes, sich auf den Untersuchungstisch zu setzen. Er schälte sich aus seinem T-Shirt und grinste Dr. Shirota an: „Ist es Ihnen nicht zu blöd, die Ordination auch noch am Samstag offen zu halten?“

Der ältere Mann, dessen Haare schon lange schlohweiß waren, begann mit der Untersuchung und erklärte dem jungen Mann vor ihm: „Für Patienten wie dich sollte man sich viel Zeit nehmen und die hab ich unter der Woche nicht. Wenn ich mir deine Schulter so ansehe, hast du dir für deine Gesundheit nie viel Zeit genommen. Die Narbe sieht schrecklich aus.“

Fireball drehte den Kopf etwas nach hinten, um seinem Arzt beim Reden ins Gesicht sehen zu können. Er kannte Dr. Shirota schon, seit er ein kleiner Junge gewesen war und deshalb sprach er auch dementsprechend mit ihm: „Sie wissen ganz genau, dass ich mir damals für gar nichts die Zeit genommen habe. Weder für die Narbe da hinten, die ich ohnedies nicht sehen kann, noch für ...für andere Dinge halt.“

Der Arzt tastete Fireballs Rücken ab und antwortete in einem tadelnden Tonfall: „Du hast dir auch später keine Zeit für deine Gesundheit genommen. Die Akte vom KOK spricht Bände und das nicht allzu erfreuliche. ...Shinji, hast du dir denn keine Gedanken gemacht?“

Kritisch legte Fireball seine Stirn in Falten und überlegte lange, ehe er seinem Arzt eine Antwort gab. Zerknirscht meinte er: „Im KOK war keine Zeit für die Gesundheit. Wir waren wochenlang unterwegs, die Verletzungen sind nur sporadisch kuriert worden, ich weiß. Dr. Shirota, ich hatte im Oberkommando ganz andere Sorgen als vielleicht meine Schulter, oder den Gedächtnisverlust, der mich eine Weile geplagt hat.“

Dr. Shirota bedeutete Shinji, sich wieder anzuziehen. Er selbst drehte sich seinem Schreibtisch zu und fing in einem Krankenblatt zu blättern an. Schweigend wartete er ab, bis sein Patient wieder im Rollstuhl saß und zu ihm an den Tisch kam. Erst jetzt klappte er die Akte zu und faltete die Hände. Mit einem sanften Lächeln erklärte er dem jungen Mann vor ihm: „Es hat einen ganz bestimmten Grund, weshalb ich dich an einem Samstag zu mir rufe, junger Hikari. ...Ich habe endlich deine Krankenberichte aus Yuma bekommen und diese eingehend studiert. Und, mein Verdacht hat sich bestätigt.“

Mit einem fragenden Gesichtsausdruck hakte Fireball nach. Etwas passte dem Japaner gerade ganz und gar nicht an der Art von Dr. Shirota. Auf der einen Seite lächelte dieser und auf der anderen sprach er irgendwie von einem Verdacht, der sich nicht positiv für Fireball anhörte. Skeptisch blinzelte er dem Arzt entgegen: „Welcher Verdacht? Ist etwas nicht in Ordnung?“

Der Arzt stand von seinem Stuhl auf und schaltete die Röntgenbildtafel ein. Er erklärte Hiromis Sohn freudig: „Die Ärzte in Yuma haben sich geirrt. Was nicht in Ordnung ist, ist, dass du noch im Rollstuhl sitzt. Auf Yuma haben sie das Krankheitsbild verwechselt, was ich anhand des Erstberichts deines behandelnden Arztes auch verstehen kann. Sieh mal,“ Dr. Shirota deutete mit einem Stab auf die Röntgenaufnahmen von Fireball: „die beiden Wirbel hier haben sich verkeilt und deine Nervenbahnen eingezwickt. Wenn wir diese wieder grade biegen, dann wirst du auch wieder wie ein zwanzig Jähriger durch die Gegend laufen können.“

Fireball verstand nicht ganz, was ihm der Arzt da erklärte, die im Yuma Memorial Hospital hatten ihm ganz was anderes erzählt. Er ließ sich alles noch einmal haarklein von Dr. Shirota erklären und auch, was das alles nun zu bedeuten hatte.

Der Doktor beendete seinen kleinen Ausflug in die Welt der verkeilten Wirbel mit einer deutlichen Ansage: „Du wirst wieder laufen können. Zwar nicht sofort, aber mit Hilfe der Physiotherapie wirst du nach der Operation schnell Fortschritte machen können.“

Verdattert richtete sich Fireball in seinem Stuhl auf. Im Augenblick war er hin und hergerissen. Sollte er sich freuen oder aber einen Wutanfall bekommen? Gerade jetzt konnte er es sich nicht leisten, wieder im Krankenhaus zu liegen. Seine Zukunft hing davon ab. Barsch fuhr er seinen Hausarzt deshalb an: „Operation?! Wann wollen Sie mich denn aufschlitzen?“

Der Arzt musterte den Jungen vor ihm verwundert. Jeder andere hätte sich wie an seinem zweiten Geburtstag über so eine Nachricht gefreut, nicht aber der junge Hikari. Sachlich legte er die Fakten auf den Tisch: „Je früher wir deine Wirbel wieder in die richtige Position bringen, desto größer ist die Chance, dass keine allzu großen Schäden bleiben werden. Ich würde dich gerne morgen um 17 Uhr im Tokio Center sehen.“

„Morgen schon?! Dr. Shirota, kann man die Operation nicht aufschieben? Ich hab ziemlich viel um die Ohren...,“ Fireball sah sich schon auf dem OP-Tisch liegen.

Dr. Shirota schmunzelte: „Du fängst ja schon wieder so an. Hör zu, Shinji, wenn dir was an deiner Gesundheit liegt, dann kommst du morgen ins Tokio Center und zwar pünktlich. Alles andere kann warten. Die Gesundheit geht vor.“

Schnaubend gab sich Fireball geschlagen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und murmelte: „Krieg ich wenigstens ein Einzelzimmer?“

Der Arzt grinste: „Das muss ich mir noch überlegen. Kannst du dir das überhaupt leisten?“

Der dunkelhaarige Japaner lächelte schon wieder, er würde sich ohnehin damit anfreunden müssen: „Klar. Meine Krankenversicherung blecht der Staat und der hat bekanntlich die beste. Außerdem hab ich noch eine private Versicherung aus Rennfahrertagen. ...Also dann. Morgen um fünfe im Tokio Center. Ich kann’s kaum erwarten.“

Ausgegrenzt

So, meine Wenigkeit braucht ja bekanntlich immer ein bisschen länger, bis sich wieder was brauchbares herausstellt... Seid gnädig mit mir, mir schwirren so viele Ideen im Kopf herum, dass ich gar nicht weiß, wie ich sie am besten umsetzen soll (eine kleine Schreibblockade der anderen Art *g*)
 

Die drei Star Sheriffs und ihre Begleitung saßen mit Hiromi in der Küche. Fireballs Mutter hatte für ihre Gäste etwas zu Essen zubereitet und ihnen Getränke serviert. Es war gar nicht so einfach gewesen, alle an einen Tisch zu bringen, denn der Platz in der Küche war fast zu klein. So saßen alle dicht gedrängt an der gedeckten Tafel und unterhielten sich.

April hatte sich von ihrem Tiefpunkt wieder einigermaßen erholt und kostete mit Vergnügen die Häppchen, die Hiromi für sie gezaubert hatte. In Gedanken versunken biss sie von einem Brötchen ab. Noch immer fühlte sie sich unwohl hier zu sein. Alles war ihr so fremd, so anders als zuhause. Und sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Es fiel ihr schwer, so zu tun, als habe es diese eine Nacht nie gegeben und als sei dieser Unfall nie passiert. Es fiel ihr nicht zuletzt deswegen so schwer, weil der lebende Beweis für diese unheilbringende Nacht noch kein vernünftiges Wort mit ihr gesprochen hatte und zu allem Überfluss auch noch nicht einmal bei ihnen im Haus war.

Saber wandte den Kopf zu seiner Frau und strich ihr mit einem milden Lächeln im Gesicht mit einer Hand über die Wange. Ihm kam das Haus nicht mehr ganz so fremd vor, wie den anderen, immerhin hatten er und Synthia ja schon einmal das Vergnügen mit Hiromis Gastfreundschaft Bekanntschaft zu machen. Er genoss die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hinter ihm auf seinen Rücken schienen und ihn wärmten. Als er merkte, dass Synthia sein Lächeln erwiderte, gab er ihr einen sanften Kuss.

Kurz nach dem Kuss bekam er schon von Colt die Quittung für sein Verhalten. Dieser stieß ihm nämlich breit grinsend den Ellbogen in die Seite: „Hey! Das hier sind nicht eure Flitterwochen! Die hattet ihr schon, und zwar vor zwei Monaten. Also reißt euch zusammen.“

Bevor Saber antworten konnte, oder Robin ihren Mann tadeln konnte, verteidigte Hiromi den Schotten lächelnd: „Bitte, Colt. Lassen Sie ihn doch, es war so lange keine Liebe in diesem Haus.“

Colt konnte sich einfach nicht mehr beherrschen, Hiromi hatte ihn schließlich mit dieser Aussage förmlich dazu aufgefordert, etwas zu sagen. Schelmisch grinsend antwortete er seiner Gastgeberin: „Wieso denn nicht? Hat Fire nie eine nachhause gebracht?“

Ja, Colt hatte wieder mit einer Zielgenauigkeit ein Fettnäpfchen getroffen, wie es selten jemanden gelang. Hiromi senkte den Kopf und erklärte: „Doch, aber es hat nicht lange gehalten. ...Manchmal glaube ich, er ist für eine Beziehung nicht geeignet.“

Der Kuhhirte heiterte Hiromi gleich wieder auf: „Aber dafür hat er andere Qualitäten. Und das mit den Frauen kommt schon noch.“
 

Fireball hatte sich an der Tür noch von Laura verabschiedet und machte sich auf den Weg ins Haus. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf und er war sich sicher, dass diese Gedanken allesamt nur Fragen waren, auf die er sowieso keine Antwort hatte. Ihm wurde schon ganz anders, wenn er auch nur daran dachte, dass er morgen ins Krankenhaus musste, und dann nicht mehr in der Lage war, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es ärgerte ihn auf der einen Seite über alle Maßen, ins Krankenhaus zu müssen, aber auf der anderen Seite keimte auch ein Funke Hoffnung in ihm. Vielleicht würde sich endlich alles zum Guten wenden. Er wünschte es sich jedenfalls.

Die Stimmen der anderen drangen aus der Küche in den Flur und Fireball beschloss, den Stimmen zu folgen. Bevor er seine Freunde und seine Mutter begrüßte, fiel er gleich griesgrämig mit der Tür ins Haus: „Immer, wenn ich auf euch treffe, bringt ihr nur schlechte Nachrichten mit. Es ist zum Verzweifeln, echt.“

Alle starrten den Neuankömmling an, aber nur Colt vermochte zu antworten. Er hatte nicht anständig geschluckt und deshalb nuschelte er: „Was? Warum wir? Diesmal haben wir nichts gemacht!“

Fireball kam näher und erklärte seinen Freunden: „Tja, a) Seid ihr nicht hier, weil ich euch so dolle vermisst hab, sondern weil ich in der Tinte sitze. Und b) Ihr seid ab morgen Nachmittag für eine Weile auf euch allein gestellt.“

Saber legte instinktiv einen Arm um Synthia und fragte Fireball nach dem Grund: „Jetzt mal schön langsam mit den jungen Pferden, Fireball. Würdest du uns freundlicherweise aufklären, ich versteh kein Wort.“

Gespannt hörten alle zu, doch es dauerte eine Weile, ehe Fireball zu einer Antwort ansetzte: „Also, ich hoffe euch schmeckt es. ...Die Sache ist die, Saber, ich hab dich angerufen, weil...,“ Fireball machte eine kurze Pause, er wusste nicht recht, wie er es formulieren sollte: „...ich bräuchte ein paar glaubwürdige Zeugen, die mich vor dem Gefängnis bewahren und für den Job wärt ihr genau die richtigen. Und morgen Nachmittag muss ich ins Krakenhaus, es lässt sich nicht aufschieben, leider.“

Kurz herrschte Schweigen in der Küche. Colt tauschte kurz mit Saber Blicke aus und als dieser dann auch noch nickte, war dem Kuhhirten klar, was hier gespielt wurde, zumindest zum Teil. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und brummte: „Eagle!“

Fireball lächelte gequält und blickte in die Runde: „Seit wann ist unser Cowboy so ein Blitzmerker?“

Der Kuhhirte verteidigte sich: „Na, hör mal. Wozu solltest du uns sonst als Zeugen brauchen, wenn nicht wegen der Schweinerei?!“

Saber legte Colt beruhigend eine Hand auf die Schulter und meinte an Fireball gewandt: „Er hat seine Drohung also war gemacht? Er hat dich tatsächlich angezeigt?“

Der Schotte konnte kaum glauben, dass Eagle diesen Schritt wirklich gegangen war. Auch Synthia, Robin und Colt waren überwältigt von Eagles Kaltblütigkeit. Nur April saß auf ihrem Stuhl und verstand nur Bahnhof. Auf ihrer Stirn bildeten sich immer mehr Falten und es hatte nicht den Anschein, dass sie einer aufklären würde. Welche Drohung? Was hatte ihr Vater nur schon wieder angerichtet? Und warum wussten alle anderen Bescheid, nur sie nicht? Gekränkt stand sie auf und murmelte: „Ich seh schon, das ist eine Sache, die mich nichts angeht. ...Dann werde ich mal gehen.“

Ausgerechnet Fireball war es, der April im Vorbeigehen am Arm nahm und sie zum Stehen bleiben zwang. Er sah sie eindringlich an und bat sie, sich wieder zu setzen: „Gerade dich geht die ganze Sache was an. Bitte setz dich wieder.“

Genervt riss sich April von Fireball los und antwortete schnippisch: „Weshalb geht mich die ganze Sache was an? Ihr sechs seid ja nicht einmal soviel, dass ihr mir sagt, was los ist! Also weshalb sollte ich hier bleiben und mir anhören, was mein Vater getan hat? Warum?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ April die Küche und verschwand in ihrem Gästezimmer. Völlig verwirrt blickte Fireball in die übriggebliebene Runde und warf dann fragend ein: „Ihr habt ihr nichts gesagt?“

Doch kaum hatte er diesen stillen Vorwurf laut ausgesprochen, verkrampfte sich ihm der Magen. Er war hier der einzige, der niemanden Vorwürfe machen durfte, schon gar nicht seinen Freunden und schon gar nicht deswegen. Denn schließlich war es eine Angelegenheit, die Fireball betraf und er hätte April vorher aufklären müssen. Seufzend zog er den Kopf ein. Er war automatisch davon ausgegangen, dass Saber oder Colt den Mund schon aufmachen würden, wenn er Yuma erst einmal verlassen hätte. Der junge Japaner hätte schwören können, dass seine Freunde April auch die Sache mit der Anzeige erklärt hätten, wenn sie ihr schon die Akte gezeigt hatten und auch sonst allerhand persönliche Dinge ausgeplaudert hatten. Doch ein schüchterner Blick in die Augen von Colt und Saber verriet Fireball, dass sie es nicht getan hatten. Vielleicht hatten sie einfach nicht damit gerechnet, dass Commander Eagle seine Drohung wahr machen würde.

Der Cowboy glaubte, sein Schwein pfeife, als er Fireballs Stimme vernommen hatte. Perplex und gereizt gab er seinem Hombre einen Tipp: „Ihr?! Ich glaub, mein Pferd lernt auf die Schnelle Tango tanzen, lernt es! ...Wieso hast du ihr nicht gesagt, was ihr Daddy gerne mit dir machen würde? Wir sind nicht deine Kindermädchen, verdammt noch mal.“

Er hatte jeglichen Appetit durch diese neuerliche Auseinandersetzung verloren und das, obwohl Hiromis Leckerein eine Sünde wert waren. Colt schob demonstrativ seinen Teller von sich weg und verschränkte anschließend die Arme vor der Brust. Es war doch kaum zu fassen. Dieser Junge vor ihm würde nie dazulernen. Hatte er denn nicht gesehen, welchen Schaden er mit seiner Geheimniskrämerei anrichtete? Was war für Fireball so schwer zuzugeben? Standen ihm seine Gefühle oder sein Sturschädel mehr im Weg?

Robin hatte gespannt zugehört, war ruhig geblieben. Als ihr Mann allerdings solch einen Ton anschlug, hielt sie es für besser, einzugreifen. Sie wollte weder noch mehr Streit riskieren noch wollte sie noch mehr verbale Ausrutscher von ihrem Geliebten hören. Die Blondine war überrascht, wie schnell sie alle wieder in den alten Trott verfielen. Sanft drückte sie Colts Oberschenkel, um ihm zu zeigen, dass alles halb so wild war und schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln. An Fireball gewandt riet sie ihm: „Bevor hier noch mehr Vorwürfe und Schimpfwörter kommen, schlage ich vor, du redest mit ihr, Fireball. Erklär ihr die Sachlage, und warum du ihr nichts gesagt hast. Aber setz sie nicht unter Druck.“

Saber nickte zustimmend: „Dafür bin ich auch. Setz dich mit ihr zusammen und besprecht das unter vier Augen.“

Der Schotte bezweifelte zwar, dass Fireball ruhig mit April sprechen würde, aber hoffte das Beste. Die gute Stimmung von vorhin war wie ausgelöscht. Saber bedauerte dies zwar, aber er hatte vom Heißsporn auch nichts Anderes erwartet. Nach Fireballs Anruf hatte er schon Ärger vermutet, aber mit diesem Ausmaß hatte er nicht gerechnet.

Fireball nickte matt: „Später, ja?“

Für das Gespräch mit April musste er sich erst eine Taktik zurecht legen, unvorbereitet würde er sicherlich nicht zu ihr gehen. Er war sich sicher, würde er für eine Antwort zulange überlegen, würde sie ihm einen Strick daraus drehen und ihm gleich die Leviten lesen. Das wollte er nicht riskieren, er hatte so schon genug Probleme.
 

April war in das ihr zugeteilte Zimmer geflüchtet und hatte sich sofort aufs Bett geworfen. Sie fühlte sich von ihren Freunden ausgegrenzt, alleine gelassen. Sie war enttäuscht, vor allem von Robin. Colts Frau konnte sonst kein Geheimnis für sich behalten und erzählte April sogar den letzten Tratsch, aber so eine Kleinigkeit wie Fireballs Anzeige plauderte sie nicht aus. Ihre beste Freundin verheimlichte ihr Informationen bezüglich Fireball! April konnte verstehen, weshalb Colt oder auch Saber und Synthia geschwiegen hatten. Die drei wollten keinen Staub aufwirbeln und Chris meinte sowieso immer, ihn gehe das alles nichts an, er sei nur Zaungast. Aber Robin? Ihre Freundin, mit der sie sich am häufigsten traf, der sie erzählte, wie sie sich fühlte und die auch immer über ihre Gefühlslage Bescheid wusste, hielt den Mund.

Bedächtig strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und starrte an die Decke. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Die letzten Monate hatte sich alles wieder normalisiert und kaum dachte sie, sie hätte ihr Leben wieder im Griff, kamen neuerlich Schwierigkeiten auf sie zu. April war verwirrt und sauer gleichzeitig. Mehr als verwirrt war sie allerdings über ihre Gefühlslage. Bis vor einigen Tagen hätte sie schwören können, dass sie über Fireball hinweg war, immerhin hatte sie es sich auch lange genug eingeredet. Aber kaum hatte sie ihn gesehen, seine dunklen Augen gesehen, war alles wieder beim Alten.

April wunderte sich über sich selbst. Im Normalfall war sie ruhig, besonnen und äußerst professionell, aber nicht, wenn es um Fireball ging. Da benahm sie sich wie ein Teenager, völlig unreif einfach! Von sich selbst genervt griff April nach einem Polster unter ihr und warf ihn Richtung Tür, sie musste Dampf ablassen. Mit einem Ruck sprang sie aus dem Bett und machte sich an ihrer Tasche zu schaffen. Sie inspizierte, was Chris ihr alles eingepackt hatte und was sie vom ersten Blick sagen konnte, war eine Shoppingtour dringend fällig. Die Blondine verstaute ihre Kleidungsstücke und verschaffte sich einen Überblick über ihr Zimmer. Anscheinend wurde das Gästezimmer hier im Erdgeschoss von Fireball genutzt. Es schien, als hätte er sich hier eingerichtet, denn alles war in einer Höhe, die für Rollstuhlfahrer auch noch angenehm war.
 

Nach und nach machten sich alle auf, um in die Federn zu schlüpfen. Der Flug hatte durchaus seine Spuren hinterlassen und die Müdigkeit hatte sie übermannt. Auch Hiromi schloss sich den anderen an und so saß Fireball am Ende ganz allein in der Küche. Er hing sichtlich seinen Gedanken nach. Er hatte viel mit seinen Freunden besprochen, aber das Wort wurde kein einziges Mal mehr auf April gebracht. Die Freunde wollte die Wiedersehensfreuden nicht noch mehr drücken und Fireball selbst hatte für sich beschlossen, April für einige Zeit in Ruhe zu lassen. So saß er nun in der Küche, ganz alleine bei einer Tasse Tee, di in der Zwischenzeit auskühlte. Gedankenverloren starrte er ins Leere und konnte sich des Gefühles nicht erwehren, die ganze Angelegenheit falsch angepackt zu haben. Er hätte April vorher erklären sollen, worum es ging, aber er war blauäugig davon ausgegangen, seine Freunde hätten sie bereits aufgeklärt. Nun fragte er sich, was er ihr sagen sollte. Er hatte keine Ahnung wie sie auf ihn reagieren würde, wenn er ihr unter die Augen trat. Es war weit nach Mitternacht, als Fireball entmutigt seufzte und sich müde die Augen rieb. Er hatte stundenlang nach den richtigen Worten gesucht, doch nicht ansatzweise welche gefunden. Müde stellte er seine Tasse in die Spüle, löschte das Licht in der Küche und bettete sich auf seine vorübergehende Schlafstätte.

Bestimmt fünfzig Mal drehte er sich auf der Couch hin und her und konnte doch nicht einschlafen, so müde er auch war. Schlussendlich entschied er sich dazu, den Fernseher anzustellen und zu hoffen, dass ihn eine Dokumentation oder Ähnliches einlullen würde. Abgekämpft zappte er zwischen den Kanälen umher, bis er endlich etwas gefunden hatte, das sich ansehen ließ. Einige Minuten dauerte es nur, bis Fireball müde die Augen zufielen.

Er fiel in einen tiefen Schlaf, der allerdings alles andere als erholsam war. Wieder hatte er diesen einen Traum, den er auch kurz vor seinem und Aprils Wiedersehen hatte. Lange hatte ihn dieser Traum nicht mehr verfolgt, doch nun, in dieser Nacht, wiederholte sich sein Traum abermals. Nichts hatte sich an diesem Traum geändert und Fireball wusste, dass es nur ein Traum war. Doch er konnte nicht daraus aufwachen. Es schien, als müsste er ihn zu Ende träumen.
 

April wurde spät nachts noch einmal wach. Sie hatte sich am frühen Abend im Zimmer eingerichtet und war bald darauf schlafen gegangen. Doch nun hatte sie Durst und auf ihrem Nachttisch stand kein Glas Wasser, wie sonst auch. Unentschlossen machte sie das Licht an und setzte sich auf. Sie überlegte, ob sie aufstehen sollte, sich in die Küche schleichen sollte um sich ein Glas Wasser zu holen. Lange hielt diese Unentschlossenheit allerdings nicht an, der Durst hatte bald die Überhand und so schlich April aus ihrem Zimmer. Die Tür ließ sie offen stehen, damit ihr das Zimmerlicht den Weg in die Küche leuchtete und sie nicht über irgendetwas stolpern konnte. An der Couch blieb April aber dann hängen. Das Licht aus ihrem Zimmer und das spärliche Licht des Fernsehers leuchteten den jungen Mann, der darauf nächtigte, gerade gut genug aus um zu erkennen, wer da schlief.

Ein unbeschreibliches Gefühl breitete sich ruckartig in April aus, als sie Fireball auf der Couch liegen sah. Sie beobachtete ihn eine Zeit lang und versuchte krampfhaft, dieses Gefühl zuordnen zu können. Es war weder Zu- noch Abneigung Fireball gegenüber. Sie konnte es nicht beschreiben, so sehr sie sich auch bemühte. Wie sie ihn dort so liegen sah, schlafend, glaubte sie, es wäre nie passiert. Sie glaubte für einen Moment, alles wäre wie früher, Fireball wäre noch der Alte. Im Gedanken schalt sie sich für diese Naivität und redete sich ein, dass ihr dieses Wunschdenken nicht weiterhalf.

Als sie in die Küche weitergehen wollte, schreckte Fireball plötzlich von der Couch hoch. Erschrocken fuhr sie zusammen.

Die Kunst des Einlullens

So, meiner Einer meldet sich wieder mal, vielleicht gibt's heuer ein Weihnachtsspecial von mir, aber nur, wenn ich in der richtigen Stimmung bin... *g*. Ansonsten viel Spaß beim Lesen
 

Schweißgebadet und kerzengerade saß er auf der ausgezogenen Couch und keuchte. Verwirrt fuhr er sich durch die Haare und murmelte zu sich selbst: „Oh, Mann...“

Er hatte April nicht bemerkt. Diese räusperte sich leise und sprach ihn mit einer besorgten Stimme an: „Hab ich dich aufgeweckt, Fire?“

Nun war es Fireball, der erschrocken zusammenfuhr. Mit einem entsetzten Gesichtsausdruck drehte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Als er April identifizieren konnte, schüttelte er schnell den Kopf: „Nein, hast du nicht. ...Ich schätze, du warst nur gerade zur falschen Zeit am falschen Ort. Was machst du überhaupt hier, mitten in der Nacht?“

Schüchtern deutete April in Richtung der Küche: „Ich wollte noch was trinken, ich hatte Durst.“

Fireball lächelte und bedeutete April, sie möge gern in die Küche gehen, sich was holen. Er glaubte, April hätte sich bereits zum Gehen gewandt, deshalb fuhr er sich matt mit beiden Händen übers Gesicht. Wie jedes verdammte Mal, wenn er diesen Traum hatte, hing er ihm nach dem Aufwachen immer noch eine Zeit lang nach, ehe er sich wieder beruhigt hatte. Leise seufzte er und versuchte sich einzureden, dass alles nur ein Traum war. So etwas würde nie im wirklichen Leben passieren, das war einfach unmöglich.

April musterte Fireball, wie er sich übers Gesicht fuhr. In ihren Augen sah er zerschlagen aus, etwas stimmte nicht, zumindest soweit sie es beurteilen konnte. Sie haderte lange mit sich, bevor sie sich zu Fireball auf die Couch setzte und ihn gerade heraus anblickte: „Geht’s dir nicht gut?“

Sie versuchte, so normal wie möglich mit Fireball zu reden. Es fiel ihr nicht unbedingt leicht, aber wenn sie versuchte, ihn als guten Bekannten zu sehen, ging es besser.

Verlegen blickte Fireball auf, er hatte nicht damit gerechnet, dass April nicht gegangen war. Leise verneinte er: „Nur schlecht geschlafen. Weiter nichts.“

April lächelte mild, sie wollte ihm ihren guten Willen zeigen. Sie nickte kurz: „Hier würd’ ich auch schlecht schlafen. Willst du nicht in dein eigenes Bett gehen?“

Fireball riss sich am Riemen, er wollte April keine Arbeit und keine Umstände machen. Er grinste schelmisch: „Mein Bett ist besetzt. ...Aber danke für das Angebot. Es liegt nicht an der Couch, dass ich so schlecht schlafe. Das hat andere Gründe.“

Jetzt hatte er sich doch verplappert, aber irgendwie fühlte sich die Situation im Moment so angenehm, so vertraut an. April saß neben ihm, sprach ganz vernünftig und im normalen Tonfall mit ihm und auch er verhielt sich ausnahmsweise mal wie ein erwachsener Mensch. Es schien ihm, als hätte sich wieder ein bisschen Nähe zwischen ihnen aufgebaut.

Auch April merkte, wie gut sich dieser Moment anfühlte. Es war so harmonisch zwischen ihnen beiden und diesen Moment wollte sie auskosten. Denn April wusste, dass diese Art von Momenten in der Vergangenheit spärlich gesät waren und auch in Zukunft nicht allzu häufig auftreten würden. Sie senkte den Kopf ein wenig und murmelte: „Ist es wegen mir?“

Verwundert blickte Fireball an April hinab. Mit so einer Aussage hatte er nicht gerechnet. Was sollte er ihr nun sagen? Ja, weißt du, mit dir hab ich in letzter Zeit so meine liebe Not. Er erkannte, dass er April jetzt nicht sagen konnte, weshalb sie hier war, sie würde ihn in der Luft zerreißen und diese wohltuende Nähe wäre auch dahin. Niedergeschlagen antwortete er: „Nein. Ich muss morgen ins Krankenhaus. Wenn ich diese Institution nur nicht so hassen würde...“

„Also geht’s dir doch nicht gut,“ April sah wieder zu Fireball auf und blickte in seine Augen. Sie waren zwar bei dem schwachen Licht nur schwer zu sehen, aber sieh sah ihm seine Sorgen deutlich an. Aufmunternd nickte sie ihm zu: „Es wird schon nichts Ernstes sein.“

Fireball schüttelte langsam seinen Kopf. April konnte es ja nicht wissen, sie war schließlich nicht dabei, als er Saber und den anderen erzählt hatte, weshalb er ins Krankenhaus sollte. Schüchtern lehnte er sich gegen die Lehne der Couch und schloss die Augen. Schließlich rang er sich dazu durch, ihr wenigstens einmal im Leben die Wahrheit zu sagen: „Ich weiß, und trotzdem hab ich Angst. Diese Operation gibt mir soviel Hoffnung, aber was, wenn es nicht hilft? Wenn ich trotz der Operation nicht gehen kann, dann habe ich so viele Hoffnungen darin gesetzt und bin doch nur wieder enttäuscht worden. Ich wünsche es mir so sehr. Ich möchte wieder ein normales Leben führen, nicht in meiner Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sein. Aber ich habe einfach Angst vor einer neuerlich Enttäuschung.“

April sank mit jedem Wort mehr in sich zusammen. Sie fühlte sich von Fireball direkt angesprochen, sie wusste instinktiv, dass er mit Enttäuschung sie meinte. Unweigerlich begann sie sich selbst wieder Vorwürfe zu machen, denn sie war sich bewusst, dass sie ihn in jener Nacht nicht nur enttäuscht, sondern ihn beinahe umgebracht hatte. April war sich sicher, hätte sie ihm damals geglaubt, wäre dieser schreckliche Unfall niemals passiert. Leise stahl sich in der Dunkelheit eine einzelne Träne davon. Der blonde Star Sheriff gab sich alle Mühe, Fireballs Ängste zu nehmen: „Du musst diese Operation als Chance sehen. Sie ist eine Chance auf ein normales Leben. Und vielleicht ist sie der Anfang einer Zeit, in der sich alles zum Besseren wendet.“

Fireball lächelte gequält: „Na, noch schlechter kann’s ja wohl kaum noch kommen.“

Er wusste, was April meinte, doch konnte er nicht so recht an Glück glauben. Zu oft war er von seinem Glück in der letzten Zeit verlassen worden und auch jetzt sah es nicht so aus, als wäre ihm Fortuna gut gesinnt. Er entschied sich, April wieder aus ihrer Pflicht als Freundin zu entlassen. Schief grinsend schickte er sie in die Küche: „Jetzt hol dir dein Glas Wasser, bevor du mir auf dem Weg dorthin noch verdurstest, Kleines. Ich komm schon zurecht, hab schließlich schon ganz andere Sachen überlebt.“

Ohne Antwort stand April auf. Plötzlich hatte sie wieder das Gefühl, dass sich Fireball in ihrer Nähe unwohl fühlte. Von einen Moment auf den anderen war wieder diese Distanz zwischen ihnen. So leid es April auch tat, sie würde nicht krampfhaft versuchen, eine Nähe zu suchen, wo keine war.
 

Der nächste Tag verlief ruhig, für Fireballs Geschmack etwas zu ruhig. Es schien ihm, als wäre es die große Ruhe vor dem Sturm. Im Laufe des Tages erledigte er noch allerhand Sachen, die er vor der Operation noch erledigt wissen wollte. Er rief kurz bei Kommandant Tomoei an und teilte ihm mit, dass die nächsten Wochen aus der Suspendierung bitte ein Krankenstand zu machen sei. Außerdem erklärte er ihm, dass seine Freunde schon im Lande waren und quasi nur noch auf ihre Zeugenaussage warteten. Der Kommandant erkundigte sich kurz nach dem Grund für den Krankenstand und ließ sich anschließend von Fireball die Namen seiner Freunde geben. Tomoei würde alle einzeln zu sich rufen, vielleicht sogar tageweise. Er konnte sich vorstellen, dass Fireball vielleicht über die moralische Unterstützung nach der Operation angewiesen sein könnte und er hatte immerhin die Möglichkeit, den Aufenthalt seiner Freunde in die Länge zu ziehen, damit sich sein gebeutelter Angestellter schneller erholen konnte.

Nach dem Telefonat mit Kommandant Tomoei haderte Fireball lange mit sich selbst, ob er Seiji vielleicht Bescheid sagen sollte. Immerhin war dieser sein Partner. Nachdenklich hielt er das Telefon in Händen und betrachtete es. Schließlich konnte er sich dazu durchringen. Doch bei diesem Anschluss schien etwas nicht zu stimmen. Sarah, Tomoeis Chefsekretärin, hob ab: „Hallo, Sarah am Apparat.“

„Sarah? Ich glaub ich hab mich eben verwählt,“ vollkommen verwirrt und durcheinander suchte Fireball nach einer Erklärung: „Ich wollte eigentlich Seiji anrufen.“

Die Frau am anderen Ende lachte ganz leise: „Du hast dich nicht verwählt, Seiji ist unter der Dusche. Soll ich ihm was ausrichten?“

Langsam stieg Fireball die Schamesröte ins Gesicht, als ihm klar wurde, weshalb Sarah bei Seijis Telefon dran gegangen war. Er hatte nie bemerkt, dass zwischen den beiden eine Art Beziehung sein könnte. Leise murmelte er: „Ja, könntest du ihm bitte sagen, dass er für die nächsten Wochen einen neuen Partner bekommt? Ich bin im Krankenstand.“

Erschrocken fragte Sarah nach. Sie konnte diese Botschaft nicht einfach so übermitteln: „Fehlt dir was?“

Es war unvorstellbar, wie schnell man bei dem Wort Krankenstand schon die Frage nach der Gesundheit am Hals hatte. Aber er freute sich, dass sich offensichtlich auch Sarah ihre Gedanken machte, er kam gut mit der Chefsekretärin aus: „Nein. Ich werde am Rücken operiert. Mein Arzt geht davon aus, dass sich meine Nerven vielleicht nur verklemmt haben und ich deshalb nicht mehr gehen kann. Also verfrachtet er mich unters Messer und schaut, ob er Recht hatte oder nicht. ...Bitte sag Seiji schöne Grüße und er soll seinen Ersatzpartner nicht so zutexten, wie er es mit mir immer macht.“

Fireball konnte Sarah fast durchs Telefon schmunzeln sehen. Anscheinend wusste sie ganz genau, was sie sich da angelacht hatte. Er verabschiedete sich noch von Sarah und legte dann auf. Somit hatte er alles auf seiner To-Do-Liste erledigt, fehlte nur noch das Wichtigste. April sagen, weshalb sie hier war und die Tasche fürs Krankenhaus packen.
 

Fireball entschied sich dafür, letzteres zuerst zu machen und die Sache mit April ein anderes Mal zu besprechen. Irgendwie konnte er sich nicht dazu überwinden, es fiel ihm viel zu schwer. Nachdem April letzte Nacht wieder in ihr eigenes Bett geschlichen war, war es um Fireball geschehen. Er konnte weder einschlafen noch einen klaren Gedanken fassen. Dieses Gespräch und die Atmosphäre waren so anders gewesen, als das, was er die letzten Monate mit April erlebt hatte. Er hatte das Gefühl, sie hätte zum ersten Mal Verständnis für sein Verhalten gezeigt und es war ihm, als hätte sie ihm endlich verziehen.

Es war ihm deshalb unmöglich, April gleich wieder einen Dämpfer zu geben. Er schwor sich, April im richtigen Augenblick dann zu erklären, was gespielt wurde, aber er wusste, dass die Zeit und die Operation in der Hinsicht sein größter Feind waren.
 

Synthia machte sich gerade mit Hiromi an der Kaffeejause zu schaffen, sie hielt es für angebracht, der Gastgeberin unter die Arme zu greifen. Sabers Frau konnte förmlich fühlen, welche Sorgen sich Hiromi um ihren Sohn machte und konnte dies voll und ganz nachvollziehen. Schließlich schickte man sein Kind nicht jeden Tag ins Krankenhaus um am Rücken operiert zu werden. Sie wusste, dass Fireball gestern untertrieben hatte und nur vorgegeben hatte, sich keine Sorgen zu machen, weil er seine Mutter und seine Freunde nicht noch mehr beunruhigen wollte. Die schwarzhaarige Frau stellte das Tablett mit den Keksen und dem Kuchen auf dem Küchentisch ab und lächelte: „So bedient euch.“

Kaum stand das Tablett auf dem Tisch, machte sich schon eine gierige Hand an den Keksen zu schaffen: „Auja, lecker Hapa-Hapa!“

Saber glaubte, sich verhört zu haben. Was sprach Colt da für eine Sprache? Skeptisch und stirnrunzelnd blickte er zu seinem ehemaligen Scharfschützen hinüber und musterte ihn abschätzend. Es dauerte eine Weile, bis sich Sabers Stirnfalten wieder verzogen und der Schotte die Antwort kannte. Es musste an Colts kindlichen Gemüt liegen und an seiner kleinen Tochter, dass er in die Babysprache zurückverfiel. Anders konnte sich der Schotte dieses verbale Etwas nicht erklären. Schief lächelnd wandte er sich an Robin: „Wie ist das so mit zwei kleinen Kindern im Haushalt als alleinerziehende Mutter?“

Robin lächelte verschmitzt, sie hatte im Gegensatz zu ihrem Mann sofort durchschaut, weshalb Saber das jetzt fragte. Sie setzte Jessica zu Colt auf den Schoß, Colt bekrümelte sich selbst eh schon, da fielen die Krümel seiner Tochter nicht mehr ins Gewicht und Robin würde sauber bleiben. Grinsend lehnte sie sich nach vor und stützte den Kopf auf einer Hand ab. Sie kehrte Colt den Rücken und erklärte Saber: „Ich hab Gott sei Dank schon vorher gewusst, was ich da heirate. Also war die Umstellung keine allzu große. Aber mal ehrlich, Säbelschwinger: Wie war er auf Ramrod so?“

Ohne mit der Wimper zu zucken antwortete Saber: „Da ist es teilweise wie im Kindergarten zugegangen. Ich sage dir, er und Fireball sind sich dauernd in den Haaren gelegen. Das hat beim Frühstück oft schon angefangen.“

Das hatte Colt gehört und er verteidigte sich sofort: „Wenn die Rennsemmel immer angefangen hat! Ich kann gar nichts dafür, echt nicht!“

April fiel ihrem ehemaligen Kollegen grinsend in den Rücken: „Du bist kein solches Unschuldslamm, Kuhhirte, wie du immer tust. Wie oft hast du die letzte Tasse Kaffee verdrückt, nur weil du sie niemand anderen vergönnt hast?“

Völlig verdattert drehte sich Colt in die Richtung, aus der dieser Vorwurf gerade gekommen war. Er fühlte sich missverstanden, außerdem war er nicht der einzige, der sich auf Ramrod daneben benommen hatte. Mit gespielt angegriffener Miene murmelte er: „Ich wollte doch bloß nicht, dass einer von euch kalten Kaffee trinken muss. Soviel Kitsch hätte ich auf Ramrod nicht verkraftet.“

Fragend kniff April die Augenbrauen zusammen und rückte ein Stück näher an Colt heran: „Wie meinst du das?“

Mit einem zuckersüßen Lächeln antwortete der Cowboy: „Naja. Kalter Kaffee macht bekanntlich schön und soviel Schönheit wär kitschig gewesen.“

„Du!!!,“ April holte aus und wollte Colt mit der flachen Hand auf den Hinterkopf schlagen, doch geistesgegenwärtig duckte sich der Cowboy und Aprils Hand fuhr ins Leere. Mit hochrotem Kopf schimpfte die Blondine: „Du bist so ein Idiot, Colt.“

Alle herum amüsierten sich, sogar Saber grinste von einem Ohr über das andere. Das hatte ja schon fast was von den guten alten Zeiten auf Ramrod. Fehlte nur noch, dass Colt die Blondine zu einem Wettrennen aufforderte.

Inzwischen war auch Fireball dazugekommen und hatte sich dieses Spektakel aus sicherer Entfernung angesehen. Am Türrahmen angelehnt, kippte er den Rollstuhl leicht nach hinten, sodass dieser am Türrahmen ankam, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte amüsiert den Kopf: „Du hast es immer noch nicht gelernt, Colt.“

Der Cowboy streckte seinen eingezogenen Kopf wieder von den Schultern weg und blickte zur Tür hinüber, wo Fireball seit geraumer Zeit zu stehen schien. Genervt schnatterte er hinüber: „Was soll ich noch nicht gelernt haben, Grünschnabel?“

„Wie man einer Frau durch die Blume sagt, dass sie noch etwas kalten Kaffee vertragen könnte, natürlich,“ Fireball zwinkerte April vielsagend zu.

April fing Fireballs Blick auf, konnte ihm aber nicht standhalten. Sie senkte den Kopf und rammte Colt den Ellbogen in die Seite. Sie versuchte, sich selbst von diesem komischen Gefühl abzulenken, das sich schon wieder seinen Weg ins Freie zu suchen schien: „Allerdings. Du als alter Frauenheld müsstest doch eigentlich die Kunst des Einlullens perfekt beherrschen. Bei mir hast du bisher kläglich versagt.“

Über beide Ohren grinsend schoss Colt zurück. Er fühlte sich in der Umgebung seiner Freunde so wohl wie schon lange nicht mehr. Es war alles fast wie früher, nur eine Nummer größer, so schien es ihm. Lachend antwortete er also: „Dich kann nicht einmal so ein Weichspüler wie unser Turbofreak einlullen, Kleines. Du wirst immer meine eiserne Jungfrau bleiben, April.“

Ehe April was erwidern konnte, sprang Fireball in die Breschen. Verärgert gab er ihm zu verstehen: „Ich hab April nie einlullen versucht! Was spinnst du dir da für absurde Gesichten zusammen, Kuhhirte?! Du siehst schon Gespenster, du Wahnsinniger!“

Colt grinste und meinte nichtssagend: „Ich sehe nur was offensichtlich ist, Kleiner. Bin ja kein Hellseher.“

Chris stopfte sich das letzte Stück Kuchen in den Mund und mischte sich auch mal ein wenig ein: „Na, dann hättest du das vielleicht mal versuchen sollen, Fireball. Frauen stehen darauf, eingelullt zu werden, wie ihr das so schön nennt.“

Diese Diskussion ging noch einige Male zwischen den Freunden hin und her, wobei sich die Frauen dezent aus der Geschichte raushielten. Sie machten sich lieber über die Herren der Schöpfung lustig. Auch Hiromi hatte sich auf die Seite der Frauen geschlagen und kicherte amüsiert mit ihnen.
 

Die Freunde brachten Fireball gemeinsam ins Krankenhaus und setzten ihn in seinem Zimmer ab. Irgendwie war die Stimmung immer noch heiter und ausgelassen, obwohl sie sich aus einem ernsten Grund hier befanden. Endlich merkte auch Dr. Shirota, der in der Zwischenzeit noch einmal die Vorgehensweise erklärt hatte, weshalb sein Schützling ein Einzelzimmer haben wollte. Er konnte nun nachvollziehen, dass diese Rabauken die anderen Patienten unnötig stören würden. Fireballs Freunde verabschiedeten sich vorläufig von ihrem Freund und hofften das Beste.
 

Fireball wurde gleich am nächsten Morgen operiert. Ausnahmsweise lief mal alles glatt, bis auf ein paar Pannen beim Aufwachen. Als Fireball die Augen öffnete, war er nicht allein in seinem Zimmer. Benommen und konfus blickte er um sich, nur um zu erkennen, dass die halbe Belegschaft der Kriminalabteilung im Zimmer herumlungerte, allerhand Geschenke und Blumen mitgebracht hatte und darauf wartete, endlich eine Antwort zu bekommen.

Seiji grinste verlegen: „Guten Morgen, Partner.“

Verwirrt fühlte Fireball an seinem Kopf, schüttelte ihn leicht und konnte doch niemanden mit Hut ausmachen. Also antwortete er Seiji matt: „Colt ist nicht da. Du suchst deinen Partner vergeblich.“

Alles, was Fireball als Antwort bekam, war ein total verpeiltes „Hä???“ von Seiji. Der Japaner hatte noch keinen der ausländischen Freunde von Fireball kennen gelernt, geschweige denn ihre Umgangsformen. Er hatte das Partner lediglich auf ihre Partnerschaft bei der Arbeit ausgelegt, er hatte nicht gewusst, dass dieser Colt, wie Shinji ihn nannte, vielleicht auch öfters mit Partner angesprochen wurde.

Sarah drängte Seiji währenddessen vom Bett zurück, sie hatte schon bemerkt, dass Fireball noch nicht ganz bei sich war. Sie drückte dem Patienten einen Kuss auf die Stirn und begrüßte ihn: „Hallo, Shinji.“

So ging es die ganze Runde durch, bis auch schließlich Kommandant Tomoei Fireball einen guten Morgen gewünscht hatte. Die Polizisten konnten allerdings nicht lange bleiben, sie waren nur auf einen kurzen Sprung vorbei gekommen, um Hallo gesagt zu haben, das gehörte sich so unter guten Kollegen. Nach und nach gingen alle, nur Seiji und Sarah nicht.

Als auch der letzte außer den beiden, die Türe schloss, setzte sich Sarah zu Fireball, der mittlerweile klar im Kopf war, aufs Bett. Sie betrachtete noch einmal all die Blumen, die die Gäste hinterlassen hatten, ihr Blick fiel auch auf den Herzfrequenzmesser, der noch mit Fireball verbunden war. Als sich auch Seiji auf einem freien Stuhl niedergelassen hatte, begann Sarah zögerlich. Sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte, immerhin war Shinji noch nicht so lange bei ihnen: „Shinji? Seiji und ich würden dich gerne was fragen. Aber nur, wenn wir dürfen.“

Fireball nickte: „Gerne. Worum geht’s denn?“

Seiji schenkte Sarah einen kurzen Blick, den diese auffing und dann fortfuhr: „Ich hab ein Schreiben in der Arbeit in die Hände bekommen, das dich betrifft. Tomoei hat ein Antwortschreiben an die Polizei in Yuma geschrieben...“

Sarah traute sich nicht, weiter zu sprechen, zu unangenehm war ihr dieses Thema. Und auch Seiji machte keine Anstalten, Fireball die volle Geschichte zu erklären.

Doch Fireball konnte sich schon vorstellen, worum es in diesem Schreiben ging. Immerhin war er vor wenigen Tagen wegen eines Haftbefehls bei Tomoei aufmarschiert. Er seufzte leise, langsam wurde er es leid, jedermann von seinen Problemen mit einem gewissen Commander zu berichten. Aber da er mit Seiji zusammen arbeitete und auch mit Sarah eigentlich gut auskam, erzählte er ihnen in aller Kürze, was es mit diesem Haftbefehl und dem Antwortschreiben auf sich hatte.
 

Einige Tage später ging bei Hiromi ein Anruf von der Polizeistation ein. Es war Tomoei, der April als erste befragen wollte und er ließ dieser ausrichten, sie solle zum Präsidium kommen.

April sagte verwundert zu, schnappte sich ihre Tasche und zog sich Schuhe an. Sie fuhr mit einem Taxi zum Präsidium, zu Fuß hätte sie den Weg nicht gefunden. Sie fragte sich, was Kommandant Tomoei bloß von ihr wollen konnte. Immerhin hatte sie von Fireballs Vorgesetzten noch nie etwas gehört oder gesehen, sie wusste lediglich, dass er Fireball wieder eingestellt hatte. Die Taxifahrt gestaltete sich für April äußerst unangenehm, ihre Nerven wollten nicht mitspielen. Außerdem drängte sich ein schlechtes Gefühl in den Vordergrund, das sogar die letzten Tage, die nett und erholend auf sich gewirkt hatten, in den Schatten stellte.

Beim Präsidium angekommen musste sich April erst den Weg zu Kommandant Tomoeis Büro erfragen. Sie fühlte sich in dieser Stadt beim besten Willen nicht wohl, was hauptsächlich an der Tatsache lag, dass April die Sprache nicht sprach und mit den Schriftzeichen absolut nichts anfangen konnte. Sie konnte ja nicht einmal das Stockwerk oder Ähnliches auf der großen Tafel in der Eingangshalle entziffern. Wie gesagt, April kämpfte sich bis ins 15. Stockwerk durch. Dort wurde sie von einem jungen Mann in Empfang genommen, der gleich mit ihr ein bisschen Smalltalk hielt.

Dieser kam auf sie zu und gab ihr etwas unsicher die Hand: „Guten Tag, Sie müssen April Eagle sein.“

Ebenso flapsig wie der Japaner vor ihr, reichte ihm April die Hand. Sie nickte leicht und hoffte, dass sein Englisch so verständlich blieb, wie die Begrüßungsworte.

Der junge Mann fuhr fort: „Mein Name ist Seiji Katagiri, ich bin Shinjis Kollege.“

Endlich fand auch April ihre Sprache wieder. Sie begrüßte Seiji: „Freut mich, Sie kennen zu lernen. ...Aber, verzeihen Sie mir die Frage... Woher wissen Sie, dass ich April Eagle bin?“

April gab Seijis Verhalten Bedenken auf. Sie hatten sich noch nie zuvor gesehen und trotzdem hatte er sie auf Anhieb erkannt.

Der hochgewachsene Japaner lächelte freundlich: „Shinji hat Sie sehr gut beschrieben, außerdem hat mir Kommandant Tomoei schon mitgeteilt, dass Sie heute kommen. ...Darf ich Sie zum Kommandanten bringen, er wartet schon auf Sie.“

April erwiderte das freundliche Lächeln und folgte Seiji schweigend. Er klopfte an Tomoeis Tür und bat April hinein: „Bitte. Vielleicht ergibt sich ja später noch ein wenig Zeit um uns miteinander zu unterhalten, April.“

„Ja, vielleicht. ...Danke, Seiji,“ April nickte Seiji noch einmal freundlich zu und schritt dann durch die offene Tür. Noch immer hatte sie keine Vorstellung davon, weshalb sie hier war. Vielleicht wollte der Kommandant nur mit ihr plaudern.

heilsame Gespräche

April setzte sich auf den ihr angebotenen Platz, dem Kommandanten gegenüber. Sie sah sich aufmerksam im Büro von Fireballs Vorgesetzten um und bemerkte, dass es ziemlich kühl wirkte. Außer einigen Auszeichnungen hing nichts an den Wänden, auf dem Tisch vor ihr standen nur ein riesiger Bildschirm, ein kleines Bild, die Tastatur und die Maus und auf der rechten Seite türmten sich die Unterlagen. Auch ein Glas Wasser und eine große Tasse standen auf dem Schreibtisch Tomoeis.

Schweigend wartete Tomoei ab, bis April es sich bequem gemacht hatte und die unvertraute Umgebung in Augenschein genommen hatte. Dann machte er es sich selbst bequem und legte den rechten Zeigefinger auf seine Lippen. Er überlegte noch, wie er am besten vorgehen sollte, er wusste, dass diese Art von Verhör für ein Opfer immer die Hölle auf Erden bedeutete. Als Sarah die Tasse Kaffee und das Glas Wasser für April gebracht hatte und sie die Tür wieder schloss, begann der Kommandant schließlich: „Ich freue mich, dass Sie so schnell kommen konnten, Miss Eagle. ...Wie gefällt es Ihnen in Japan?“

Fast erleichtert atmete April auf. Der ältere Mann vor ihr, war nicht so, wie er auf den ersten Blick auf sie gewirkt hatte. Als sie eingetreten war, hatte April vermutet, er sei griesgrämig und schlecht gelaunt, da er keine Miene verzogen hatte. Nun aber hatte sich herausgestellt, dass er mindestens genauso freundlich wie der junge Polizist von eben war. April lehnte sich etwas entspannter in ihren Stuhl zurück und lächelte dem Kommandanten entgegen: „Ich finde mich hier überhaupt nicht zurecht, Kommandant. Aber es sind alle sehr freundlich hier.“

Tomoei musste an seine erste Begegnung mit einen von Fireballs Freunden denken. Als Offizier Rider damals bei ihm im Büro gesessen hatte, war ihm auch sofort aufgefallen, dass er sich mit den Gepflogenheiten des Landes schwer tat. Und nun saß dieses junge blonde Mädchen vor ihm und wirkte genauso verloren, wie es Saber damals getan hatte. Der Kommandant rührte kurz in seiner Tasse Kaffee, nahm einen Schluck und erkundigte sich dann bei April: „Ihr Name ist April Eagle, nicht wahr?“

April nickte nur. Weshalb fragte der Kommandant sie das? Er musste doch wissen, wie ihr Name war. Wieder mehr verunsichert rutschte April ein Stück auf dem Stuhl nach vor und setzte sich aufrecht hin. Sie war gespannt, was sie erwarten würde und hatte gleichzeitig auch Angst. Sie hatte Angst davor, was sie vielleicht hier über Fireball erfahren würde, denn ohne Grund würde sie Kommandant Tomoei doch nicht zu sich gerufen haben.

Der Kommandant fuhr unbeirrt fort. Mit einem milden Lächeln im Gesicht fragte er April: „Wie haben Sie sich kennen gelernt, Sie und Shinji?“

Auf Aprils Gesicht zeichnete sich ein verträumtes Lächeln ab, als sie Tomoei antwortete: „Er hat mir aus der Klemme geholfen. Ramrod wurde angegriffen und plötzlich war er da, am Außenstützpunkt des KOK. Gerade im richtigen Augenblick. ...Ohne darüber nachzudenken, hat er mir geholfen, Ramrod aus der Gefahrenzone zu bringen.“

Tomoei machte sich während des Gespräches immer wieder Notizen und überlegte sehr genau, was er als nächstes tat. Im Laufe des Gespräches hatte er erfahren, dass Fireball nach dieser Aktion vom KOK aufgenommen wurde, als Pilot von Ramrod. Deshalb knüpfte er an diesen Punkt an: „Hat er sich gut ins Team integrieren können, oder war er ein Einzelgänger?“

Energisch schüttelte April ihren Kopf. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr und erklärte Tomoei: „Er war ein ausgesprochener Teamplayer. Ich kenne kaum jemanden, der sich so schnell an eine solche Situation gewöhnen konnte. ...Wir vier haben uns alle hervorragend verstanden. Wir sind gute Freunde.“

Der Kommandant nickte: „Sie haben sich also gut verstanden?“

„Ja, sehr gut. Wir waren, wie gesagt, alle gute Freunde auf Ramrod,“ In Gedanken fragte sich April, weshalb sie es jetzt nicht mehr waren. Es tat ihr unheimlich weh, so einen guten Freund wie Fireball verloren zu haben, nur weil ihr Vater seine Finger im Spiel hatte. Sie seufzte leise.

Fragend hakte Tomoei nach. Bis jetzt war die Befragung sehr gut verlaufen, allerdings stand der schwierigste Teil noch bevor. Aber bevor er nicht den Werdegang zwischen April und Fireball verstanden hatte, würde er April zu den Vorwürfen nicht befragen. Er kratzte sich nachdenklich am Kopf: „Ist das jetzt nicht mehr so? Hatten Sie Streit?“

Langsam wurde April misstrauisch und traurig. Misstrauisch wurde sie, weil der Kommandant so gezielt nachfragte und sie verunsicherte, als ob er etwas im Schilde führte. Und traurig machte sie die Tatsache, dass sie und Fireball tatsächlich kein gutes Verhältnis mehr zueinander hatten. Leise antwortete sie: „Nein, nicht direkt. Nach dem Krieg ist er einfach verschwunden, wie sich später herausgestellt hat, hat ihn mein Vater unehrenhaft entlassen. Und seitdem ist irgendwie Eiszeit.“

„Aha, also war Ihr Verhältnis zueinander früher anders?,“ Tomoei senkte den Blick wieder auf seine Notizen, die sich vermehrten. Gespannt wartete er auf eine Antwort und hoffte, dass er danach mit der eigentlichen Befragung anfangen konnte.

April nahm einen Schluck vom Wasser und überschlug die Beine: „Ja, ganz anders. Wir hatten ein sehr enges freundschaftliches Verhältnis. Wir haben viel zusammen unternommen, auch in der Freizeit.“

„Wie eng war denn dieses Verhältnis, Miss Eagle?,“ Tomoei wusste, dass er mit dieser Frage wie ein Elefant im Porzellanladen war, aber es schien ihm der richtige Zeitpunkt und die richtige Frage zu sein.

April fuhr erschrocken zurück. Plötzlich kam sie sich wie ein Verbrecher vor, den man gerade verhörte. Der freundliche Ton war aus Kommandant Tomoeis Stimme gewichen und hatte der Sachlichkeit platz gemacht. Eingeschüchtert murmelte sie: „Eigentlich sehr eng. Wir haben fast Tag und Nacht miteinander verbracht. Er ist mir sehr nahe gestanden.“

April war seiner Frage gezielt ausgewichen. Sein Instinkt verriet Tomoei, dass nicht nur auf freundschaftlicher Ebene was zwischen dem Mädchen vor ihm und seinem Angestellten gewesen war. Schon fast routiniert forderte er April deshalb auf: „Wie nahe genau? Hatten Sie Kontakt miteinander?“

Tomoei dachte, seine Frage sei eindeutig genug formuliert gewesen, aber April fasste die Frage nicht so auf. Sie hatte seine Andeutung nicht verstanden und bat deshalb: „Wie bitte? Natürlich hatten wir Kontakt, wir waren immerhin zwei Jahre auf Ramrod stationiert. Wir haben uns täglich gesehen.“

Als April ihm diese Antwort gab, war auch Tomoei aufgefallen, dass die Frage äußerst schwammig formuliert war. Deshalb fragte er noch einmal, diesmal zielführender: „Hatten Sie sexuellen Kontakt, Miss Eagle?“

Plötzlich wurde April blass um die Nase. Verschreckt von dieser Frage wandte sie den Blick zum Fenster hinaus und atmete tief durch. Was wurde hier nur gespielt und weshalb wollte der Kommandant so intime Angaben? Sie fuhr sich verwirrt durch ihren Pony und setzte ihre professionellste Miene auf: „Ich muss Sie kurz unterbrechen, Kommandant Tomoei. Darf ich bitte erfahren, weshalb ich hier bin, bevor ich diese Frage beantworte?“

Überrascht nickte er. Gleichzeitig fragte er sich, wie es passieren konnte, dass April nicht wusste, weshalb sie hier war. Zielstrebig wandte er sich dem Berg von Akten zu und suchte die gewünschte heraus. Er öffnete diese und reichte April ein Papier: „Sie sind deswegen hier, Miss Eagle. ...Sie halten gerade den Haftbefehl für Shinji Hikari in Händen. Ihm wird sexueller Missbrauch vorgeworfen. Und Sie sind hier, weil ich die Zeugenaussagen aufnehme und Sie das Opfer sind.“
 

Immer noch wütend und durcheinander begab sich der blonde Star Sheriff auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus. Wie konnte er ihr eine solche Demütigung nur antun? Sie war komplett unvorbereitet zu Kommandant Tomoei ins Revier gefahren, weil sie darum gebeten worden war. Als dieser ihr dann diverse Fragen über ihr Privat- und Liebesleben stellte, bekam April erst annähernd eine Vorstellung davon, was wirklich los war. Völlig verwirrt hatte sie nach einigen Fragen von Tomoei dazwischen gefragt, weshalb sie eigentlich hier sei. Als ihr Fireballs Vorgesetzter dann den Haftbefehl mit dem dazugehörigen Vorwurf präsentiert hatte, wich alle Farbe aus Aprils Gesicht. Warum hatte er ihr von alledem nichts erzählt? Allmählich war ihr bewusst geworden, dass sie sich in einem Verhör befand und dies wurde ihr schmerzlich klar, als Tomoei ihr Fragen stellte, die sie niemanden beantworten würde, sie es aber dennoch tun musste. Fragen über Fireball und sie, wie ihr Verhältnis zueinander sei, wie intim sie miteinander waren und solche Sachen.

Sie stieß die Zimmertür auf und entdeckte Fireball am Tisch sitzend und mit Colt und Robin Karten spielend. Anscheinend war für ihn die Welt in Ordnung. Als April merkte, dass ihr niemand Aufmerksamkeit schenkte, klopfte sie an die offen stehende Tür und räusperte sich: „Hkm... Fireball? Hast du einen Moment Zeit?“

Der Japaner sah von seinen Spielkarten auf und lächelte April an: „Ja, sicher. ...Äh, Colt? Robin? Würdet ihr bitte-,”

Doch April schnitt ihm das Wort ab: „Nein, Fireball. Die beiden brauchen nicht zu gehen. Wir beide gehen in den Garten, einverstanden?“

April wollte niemanden in der Nähe haben, wenn sie Fireball nun die Quittung für sein Verhalten präsentieren würde. Ungeduldig stieg sie von einen Fuß auf den anderen und wartete mit verschränkten Armen in der Tür auf den Rennfahrer.

Fireball verabschiedete sich von Colt und Robin und stand unbeholfen auf. Er griff nach seinen Krücken, die er trotz der gelungenen Operation noch länger brauchen würde und humpelte zu April hinüber. Die beiden gingen dann gemeinsam in den Krankenhauspark hinunter. Während des Spazierganges schwiegen sich die beiden nur an. Fireball beschlich ein ungutes Gefühl, April war ansonsten nie so leise wie jetzt. Möglichst weit entfernt blieben sie stehen.

Obwohl ein strahlend schöner Frühlingstag war und die Temperaturen die Menschen eigentlich scharenweise hinauslocken müssten, war der Krankenhauspark menschenleer. Das ungleiche Paar blieb unter einer groß gewachsenen, alten Eiche stehen.

April atmete noch einmal tief durch und dann brach alles hervor. Sie hatte ihre Wut und ihren Ärger, sowie ihren Schmerz all die Zeit unterdrückt, doch jetzt sprudelte es förmlich aus ihr heraus. Mit blitzenden blauen Augen musterte die Blondine ihr Gegenüber und begann mit fester Stimme: „Ich bin enttäuscht von dir, Fireball, unendlich enttäuscht. Wie wenig sind dir deine Freunde eigentlich wert? Ich bin dir augenscheinlich nicht einmal so viel wert, dass du mir sagen kannst, weshalb ich hier bin! Ich war heute bei Tomoei, er hat mich um ein Gespräch gebeten und weißt du, worum es gegangen ist? ...Natürlich weißt du’s, es ist ja dein Haftbefehl, den ich in Händen halten durfte! Verdammt, warum nur, Shinji? Du hast keinerlei Vertrauen zu mir, so wie’s aussieht. Ich muss von einem wildfremden Menschen erfahren, dass du vor Gericht musst, weil du mich vergewaltigt haben sollst. Und jetzt sag ich dir was. Du hast mich missbraucht. Zwar nicht körperlich, aber seelisch. Du lässt mich fünfzehn Monate alleine mit einem Berg Gefühle und als du wieder auftauchst, hast du nichts als fadenscheinige Erklärungen für mich! Du beziehst mich kein Stück weit in dein Leben mit ein, ich weiß plötzlich nicht mehr, welcher Mensch vor mir steht! Alles was dich, was uns beide betrifft, erfahre ich Stückchenweise und dann auch noch von anderen! Durch dich habe ich den guten Draht zu meinem Vater verloren und am meisten schockiert hat mich deine Personalakte und dass du all die Jahre kein Wort darüber verloren hast. Jeder andere Mensch platzt bei solchen Anschuldigungen irgendwann mal, du augenscheinlich nicht. Du gibst dich nur irgendwann selbst auf! Und selbst, wenn man dich mit der Wahrheit konfrontiert und du eigentlich wissen müsstest, dass ich schon alles weiß, blockst du immer noch ab und tust so, als sei alles eine große Lüge. Du wendest dich von mir ab, obwohl du beteuert hast, mich zu lieben. Was ist das denn für eine Logik, frag ich dich. ....Du wehrst dich vehement, ja sogar mit Händen und Füßen gegen die Leute, die dir helfen wollen. Ich hab die Welt nicht mehr verstanden, als du dich von mir nicht einmal mehr berühren lassen wolltest. Damit hast du mir mehr wehgetan, als du es mit deinen Ausbrüchen getan hast. Und dann? Dann brichst du mir abermals das Herz in tausend Stücke und gehst einfach! Ich frage mich, was mit dir los ist, Fireball. Warum kannst du mir nicht sagen, was du offensichtlich Colt und auch Saber ohne Probleme anvertrauen kannst? Warum kannst du mich nicht in dein Herz lassen, wie du es früher getan hast? Bist du zu stolz, Fehler zuzugeben, oder nicht Manns genug, Gefühle offen zulegen. ...Warum kannst du mir nicht mehr in die Augen sehen?“

April stand schnaubend vor Fireball, sie hatte sich in Rage geredet. Nun wartete sie auf eine Antwort. Sie blickte Fireball fordernd an, stemmte die Arme in die Hüften.

Der Rennfahrer allerdings schwieg. Während Aprils Standpauke war ihm heiß und kalt geworden und er wusste, dass sie mit jedem einzelnen Wort Recht hatte. Aber er wusste auch, dass er gute Gründe hatte, ihr nichts zu sagen. Die Operation war kaum eine Woche her, und obwohl Fireball gute und vor allem rasch Fortschritte machte, war er am Ende seiner Kräfte. Er war sich bewusst, dass seine Art, Probleme zu bewältigen, keine echte Lösung war. Aber er war in seiner Haut gefangen, er konnte nicht anders handeln. Manchmal wollte er April bei ihrem Monolog dazwischen reden, sie korrigieren, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. Nun stand er dort, auf zwei graue Krücken gestützt, mit zittrigen Armen. Den Blick hatte er starr auf seine Beine gerichtet. Angestrengt atmete Fireball einige Male tief ein und aus, ihn schienen die Kräfte zu verlassen. Leise antwortete ihr Fireball nach einer schier endlosen Stille: „Ich darf nicht.“

Dem Japaner wurde plötzlich schwarz vor Augen und er geriet ins Straucheln. Die Krücken fielen genauso unsanft zu Boden, wie Fireball selbst. Als sein Körper aufschlug, kam er wieder zu sich. Sofort keuchte er schmerzerfüllt auf und versuchte sich aufzusetzen. Aber sein Kopf ließ das nicht zu, ihm war immer noch schwindelig und alles drehte sich.

Angsterfüllt hatte April mitangesehen, wie Fireball zu Boden sackte. Sie stand zu weit weg um seinen Fall noch irgendwie bremsen zu können. Sofort setzte sie sich in Bewegung, kniete sich zu ihm hinab und sprach ihn an: „Fireball? Fireball? Kannst du mich hören?“

Der Rennfahrer legte den Kopf wieder auf das Gras und schloss die Augen. Er murmelte matt: „Alles in Ordnung. Keine Angst, so was kommt schon mal vor.“

Er winkelte die Beine an, holte einige Male tief Luft und hoffte, dass sich sein Kreislauf wieder fangen würde. Fireball hatte keine Lust, April einen Arzt holen zu lassen. Als es sein Kopf wieder zuließ, setzte sich Fireball auf. Da er in der Nähe des Baumes umgekippt war, krabbelte er bis zum Stamm der Eiche und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Seine linke Hand legte er in den Nacken, die rechte lag auf den angewinkelten Knie.

April verfolgte die Bewegungen des angeschlagenen Rennfahrers mit Argusaugen. Was eben passiert war, war ihr nicht geheuer und sie beschloss, vorerst den Mund zu halten. Sie sammelte die Krücken auf und setzte sich im Schneidersitz vor Fireball. Sie musterte ihn mit sorgenvollen Blick und strich sich gedankenverloren eine Strähne hinters Ohr. Die beiden umfing eine leichte, lauwarme Brise. April machte sich still Vorwürfe, Fireball zu hart angefasst zu haben, allerdings war sie erleichtert. Endlich hatte sie sich all ihren Kummer von der Seele geredet und es ging ihrem Seelenwohl wieder ein wenig besser. Allmählich schien es auch Fireball wieder besser zu gehen. Leise fragte April deshalb nach: „Du hast vorhin gesagt, du darfst nicht. Was darfst du nicht, Fire?“

Fireball fuhr sich durch die Haare und faltete die Hände über den Knien zusammen. Kaum hörbar und mit schmerzerfüllter Stimme erklärte er ihr: „Ich darf dich nicht berühren, nicht ansehen. Ich dürfte nicht in deiner Nähe sein und schon gar nicht dürfte ich dich lieben. Aber ich hab mich in dich verliebt und jedes Mal, wenn ich dich ansehe, dir in die Augen sehe, erkenne ich, was ich angerichtet habe.“

Während er sprach, hatte Fireball den Blick starr auf den Boden gerichtet. Er konnte April dabei nicht ansehen, denn er ahnte, was nun passieren würde. Er spürte, dass es Zeit war, die Karten offen auf den Tisch zu legen, bevor er sie für immer verlieren würde. Deshalb hatte er sich auch dazu entschlossen, ihr zu antworten, ihr die Wahrheit zu sagen.

April musste ein Stück näher zu ihm rücken, um ihn zu verstehen, denn er sprach sehr leise. Sie legte ihre warme Hand auf seine und flüsterte: „Mein Vater hat es dir verboten, nicht wahr? Saber und Colt haben mir von dieser Abmachung erzählt, Matchbox. Aber warum denn nur? Warum hat er dich fortgeschickt?“

Fireball seufzte und lächelte gequält: „Ganz einfach. Weil er so einen Schandfleck nicht an der Seite seiner Tochter haben wollte. Er ist nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen, wie du weißt.“

April drückte ihren Rücken durch und machte sich vor Fireball etwas größer. Tadelnd antwortete sie ihm: „Ja, das hab ich mitbekommen. Denn im Gegensatz zu dir, hab ich deine Akte schon gesehen. Warum hast du Sturkopf nie was gesagt? Wir hätten dir alle geholfen!“

Die Blondine hatte es geschafft. Der junge Japaner blickte endlich zu ihr auf. Es schien Fireball, als würde April wirklich alles hören wollen, nicht nur die Dinge, die sie beide betrafen. Es fiel ihm immer noch unsagbar schwer, das alles noch einmal zu erzählen, es noch einmal zu erleben. Um die Atmosphäre etwas zu lockern, spielte Fireball auf seine Personalakte an: „War wohl eine abendfüllende Lektüre, so wie sich das anhört.“

„Ich würde eher sagen, es war ein Gruselschocker, aber bitte. Hast du nie den Geduldsfaden verloren?“

April dachte an die Berichte und Verweise, die in der Akte standen. Alleine bei dem Gedanken stellten sich ihr schon die Nackenhaare auf. Sie hätte bei so einer Behandlung durch ihren Vorgesetzten schon frühzeitig ihre Koffer gepackt und sich eine andere Arbeitsstelle gesucht.

Niedergeschlagen nickte Fireball, der immer noch an den Baum gelehnt vor ihr saß: „Doch. Du hast keine Vorstellung davon, wie viele Stunden ich im Büro deines Vaters fluchend und schreiend verbracht habe. Und die arme Misses Müller durfte sich alles anhören. Wundert mich, dass die Gute nachher immer noch so freundlich mit mir war. Sie hat mir nach den stundenlangen Standpauken immer noch einen Kaffee gegeben und versucht, mich wieder aufzubauen...“
 

„Was fällt dir eigentlich ein?! Du hast die anderen unnötig in Gefahr gebracht mit deiner hirnverbrannten Aktion! Warum kannst du nicht vorher denken und dann handeln, verdammt noch mal!“

Commander Eagles Gesichtszüge hatten sich bei seinem Eintreten schon derart verfinstert, dass ein Donnerwetter einmal mehr unausweichlich war. Kaum hatte Fireball die Tür zu Commander Eagles Büro geschlossen, waren diese Worte auch schon wie Pfeile auf ihn abgefeuert worden. Erschrocken blieb Fireball genau dort stehen, wo er eben eingetreten war, möglichst weit weg von seinem Vorgesetzten. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre gleich wieder nach draußen gegangen, doch er wusste, dass Flüchten nicht drin war. Seine Freunde, April, Saber und Colt waren gerade eben erst gegangen, sie hatten ihre Einsatznachbesprechung in aller Ruhe schon hinter sich gebracht. Jedes Mal, wenn die vier auf Yuma waren und endlich Zeit fanden, die Berichte mit Commander Eagle aufzuarbeiten, war Fireball als letzter mit der persönlichen Besprechung dran und jedes Mal musste er sich aufs Neue anhören, wie unverantwortlich er handelte.

Fireball ließ sich nicht anmerken, dass seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Er salutierte kurz vor Commander Eagle und begrüßte ihn im betont ruhigen Ton: „Erst mal Guten Abend, Commander Eagle.“

Sein Vorgesetzter sprang auf und erwiderte aufgebracht: „Spar dir deine Freundlichkeiten. Wir sind nicht zum Spaß hier!,“ er machte eine kurze Pause, in der er den Bericht noch einmal kurz überflog und klopfte danach erbost auf den Tisch: „Du lässt dich wissentlich in eine Falle locken und das auch noch von einem Kind?! Dir sind wohl alle Sicherungen durchgebrannt!“

Fireball kam auf Commander Eagle zu, er setzte sich ihm gegenüber. Der Japaner hoffte, dass sein Vorgesetzter nicht mehr so laut war, wenn er sich an den Tisch setzte. Es war ihm nach wie vor äußerst unangenehm, mit dem Commander alleine zu sein. Manchmal wusste Fireball schon gar nicht mehr, wo er hinsehen sollte. Als er Platz genommen hatte, versuchte er Eagle zu erklären, weshalb er so gehandelt hatte: „Todd war durcheinander, er wusste weder vor noch zurück, Commander. Ich wollte ihm beweisen, dass man mit der Wahrheit immer noch am besten fährt. Für sich selbst und auch für andere ist die Wahrheit am besten.“

Verächtlich schnaubte der Commander. Er war einmal mehr kurz vor einem Ausbruch und dieser ließ nicht allzu lange auf sich warten: „Und deshalb lässt du dich in die Falle locken?! Um einem Kind zu beweisen, was passiert, wenn man lügt? ...Dafür bringst du dich und die anderen drei in Gefahr?! Bist du wahnsinnig geworden, Hirkari?!“

Noch blieb Fireball ruhig, er ließ sich nicht anmerken, wie wahnsinnig ihn die Situation machte. Er handelte nach bestem Wissen und Gewissen, das sollte der Commander mittlerweile bemerkt haben. Sachlich antwortete er schließlich seinem Chef: „Ich bin völlig normal, Commander. Außerdem ist den anderen nichts passiert, oder waren die etwa auch beim Arzt?“

In seinem Unterton hörte man beim letzten Satz seinen trockenen Sarkasmus mitschwingen. Zwei Moralpredigten an einem Nachmittag verkraftete er nicht. Vorhin, beim Arzt, musste er sich schon zur Genüge anhören, dass seine Schulter der eines 80jährigen glich, total verschlissen und marode. Wenn nun auch noch Commander Eagle auf ihm herumhacken würde, würde er seine gute Erziehung vergessen.

Commander Eagle enttäuschte Fireball nicht. Erbost sprang dieser nämlich auf und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den jungen Japaner: „Wird wohl reichen, dass wir dich die ganze Zeit verarzten dürfen! Und bilde dir nicht ein, dass du im Krankenstand bist! Du wirst mit Saber, Colt und April übermorgen früh wieder starten, ob du deinen Arm bewegen kannst, oder nicht! ...Ich frage mich, woher du diesen irrsinnigen Sturkopf hast! Von deinem Vater hast du ihn wohl kaum.“

In Fireball sträubte sich alles gegen eine neuerliche Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten, doch er konnte nicht anders. Erbost sprang er auf und fuhr den Commander an: „Was zum Teufel hat mein Sturkopf mit meiner Schulter zu tun?! Dass bei dem Job mehr als nur meine Knochen brechen, ist Ihnen wohl noch nicht aufgefallen! Commander Eagle, wir riskieren Kopf und Kragen für ein sicheres Grenzland und einmal passiert was und Sie rasten aus? Bitte, das kann’s doch nicht sein!“

Fuchsteufelswild sprang der Commander hinter seinem Schreibtisch hervor und versuchte, sich den jungen Hikari mundgerecht zu machen: „Ich raste aus, weil du unfähig bist und nicht, weil du so ein Tollpatsch bist! Hast du einen Gedanken daran verschwendet, dass ihr vier mit deiner verletzten Schulter vielleicht einem Renegade nicht gewachsen seid?! Soweit hast du natürlich wieder nicht gedacht, war ja vorher zu sehen!“

„Was regen Sie sich deswegen so auf, es ist niemanden was passiert?! Alle sind wohlbehalten wieder auf Yuma gelandet!,“ Fireball raufte sich wütend die Haare. Toll, diese Diskussion hatte schon mit dem richtigen Zündstoff begonnen, er fragte sich nur, was noch alles auf dem Plan stand. Würde Commander Eagle ihm weitere Fehler aufzählen oder wieder mit einem ganz anderen Thema aufwarten?

Der Commander tigerte vor seinem Fenster auf und ab. Minutenlang würdigte er Fireball keines Blickes, bedachte ihn allerdings mit unschönen Worten: „Weshalb ich mich aufrege, ist meine Sache! Hör zu und hör mir gut zu, Fireball, denn ich werde es nicht noch einmal sagen. Du arbeitest hier in einem Team, in das du dich einzufügen hast und nicht bei der Polizei, wo jeder seinem eigenen Geschäft nachgeht. Hier hat jede Handlung Konsequenzen für dich und auch die anderen drei. Baust du Mist, schweben auch April, Colt und Saber in Gefahr! Lern endlich deinen Sturkopf zu zügeln, oder du lernst mich kennen!“

„Darauf verzichte ich mit Vorlieben!,“ mit einiger Wucht flog Fireballs EDM durch den Raum, direkt auf den Commander zu: „Sie können mir den Buckel runter rutschen! Suchen Sie sich einen anderen Blöden, mir reicht’s!“

Eagle hörte, wie die EDM scheppernd neben ihm auf dem Fußboden landete. Schnaubend drehte er sich dem jüngsten Mitglied der Star Sheriffs zu. Mit vor Wut funkelnden Augen betrachtete er Fireball kurze Zeit und wartete ab. Allerdings tat ihm der junge Japaner den Gefallen nicht und blieb starr vor seinem Vorgesetzten stehen. Zischend sog der Commander die Luft zwischen den Zähnen hindurch und spie ihm entgegen: „Falls das deine Kündigung war, Freundchen, die kannst du dir abschminken. Du gehst erst, wenn ich es dir erlaube, verstanden?! Sieh zu, dass du deine Karte aufsammelst und gehst, bevor ich sauer werde!“

Fireball ballte die Hände zu Fäusten. Es war zum verrückt werden. Weshalb durfte er den Saftladen nicht verlassen? Wutentbrannt drehte er sich der Wand zu und hieb mit der rechten Faust dagegen. Wutschnaubend schrie er den Commander hinter sich an: „Alter Sklaventreiber!“

Commander Eagle traute Augen und Ohren nicht. Vor Wucht war eine eingerahmte Urkunde von der Wand gerutscht und mit einem lauten Knall auf dem Boden aufgeschlagen. Überall lagen die Glassplitter herum und der vergeratene Sohn seines ehemals besten Freundes mittendrin! Wenn er vorhin nicht schon wütend gewesen wäre, so wäre er es mit Sicherheit jetzt. Er stapfte mit einem Fuß kraftvoll auf und schrie Fireball an: „Jetzt demolierst du auch noch meine Einrichtung! Herrgott noch mal, Shinji, was hast du da in die Welt gesetzt?! Fireball, dein Vater würde sich in Grund und Boden für dich schämen!“

„Ach ja?!,“ mit zwei blitzenden Augen drehte sich Fireball zum Commander um. „Woher willst du das bitteschön wissen?“

„Also, erstens bin ich immer noch dein Vorgesetzter und den hast du im angemessen Tonfall und mit der angemessenen Anrede anzusprechen! Zweitens war dein Vater zufälligerweise eine Ikone hier im KOK. Ganz im Gegensatz zu dir! Du bist ein Nichts im Vergleich zu deinem Vater, was dein Können betrifft. Und von der Art muss ich gar nicht erst anfangen zu reden, das wirst du wohl selber wissen! Dein Vater hat unermessliches Glück, das hier nicht mit ansehen zu müssen.“

Der Commander wusste genau, wie er sich Fireball handlich machen konnte, das hatte er inzwischen gelernt. Eagle brauchte nur von Shinji Hikari senior zu berichten und schon war Ruhe im Stall. Und er tat es mit Hochgenuss. Commander Eagle liebte es zu sehen, wie Fireball vor ihm immer kleiner und ruhiger wurde, bis er ihn zum Schluss so weit hatte, dass dieser nicht einmal mehr widersprach. Mit diabolischem Grinsen verließ er schließlich sein Büro: „Mach deinem Vater nicht noch mehr Schande, als du es schon getan hast und sieh zu, dass aus dir endlich ein Mann wird...“
 

„...Tja, die gute Misses Müller und ich haben uns dann noch ein Tässchen Kaffee mit einem Schuss Schnaps gegönnt, bevor sie abgeschlossen hat und gegangen ist,“ Fireball lächelte verstohlen und unsicher.

April stand auf. Sie drehte sich einmal im Kreis und richtete dann ihren Zeigefinger auf ihn. Gereizt gab sie ihm zu verstehen: „Siehst du, genau das hab ich gemeint! Du machst schon wieder einen Witz aus der ganzen Sache. Ich hab kein einziges Mal gehört, dass du dich dabei elend oder schlecht gefühlt hast. Dein Sarkasmus überdeckt einfach alles.“

Total verunsichert ließ Fireball den Kopf hängen. Kurz ließ er sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und musste feststellen, dass April recht hatte. Er hatte ihr eben alles erzählt wie jemand, der das von außen beobachtet hatte, keinerlei Gefühlsregung war in seinen Worten gelegen. Müde und abgekämpft fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare und schwieg. Er wusste nicht, was er April antworten sollte und überlegte fieberhaft. Schließlich machte er seinen Mund auf. Aber was da raus kam, erfreute April ganz und gar nicht: „Du bist unmöglich, April. Da sage ich dir die Wahrheit und du bist immer noch nicht zufrieden. Was willst du denn noch?“

April wich erschrocken über diese Worte zurück. Ihr stockte für einen kurzen Moment der Atem und sie musste sich erst mal sammeln. Fireball hatte lange Zeit geschwiegen, ehe er ihr geantwortet hatte, also waren ihre Worte nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Sie löste sich aus ihrem Schneidersitz und kniete sich neben Fireball. Aufmerksam musterte sie ihn und sie stellte fest, dass es in ihm rumoren musste. Sie blickte in seine dunklen Augen, die abermals alles von ihrem Glanz eingebüßt hatten. April merkte, dass sie ihn nur richtig aus der Reserve locken musste und er würde mit ihr reden. Ihr Blick wanderte die Augen hinauf und blieb nicht weit davon hängen. Nämlich an der Narbe an der rechten Augenbraue. April konnte sich noch genau an den Tag und auch an die Nacht davor erinnern. Sie hatte damals fühlen können, wie schlecht es Fireball gegangen war. April setzte sich, stützte sich mit der linken Hand leicht ab und berührte mit den Fingerspitzen der rechten Fireballs Augenbraue ganz sanft. Mit einem besorgten Ton in der Stimme flüsterte sie: „Ich will nur nicht, dass deine Gefühle, die du niemanden anvertraust, dich schier auffressen, bis wieder alles über dich hereinbricht.“

Sofort wich Fireball etwas zurück. Sie war ihm viel zu nahe gekommen. Das sollte sie nicht! Ehe sie ihren Satz vollkommen zu Ende gesprochen hatte, wandte Fireball den Blick eingeschüchtert ab. Er konnte ihrem sorgenvollen Blick nicht standhalten. Diese blauen Augen blickten bis in sein Innerstes, so schien es ihm jedenfalls. Mit fahrigen Bewegungen griff er nach Aprils rechter Hand, die vor wenigen Sekunden über seine Narbe im Gesicht gefahren war. April wusste nicht, dass sich Fireball für dieses Andenken ihres Vaters jeden Tag verfluchte. Denn nicht nur er sah es jeden Tag im Spiegel, sondern auch alle anderen.

Niedergeschlagen legte Fireball den Kopf zur Seite und blickte an sich hinab. Leise verneinte er: „Was soll denn schon großartig über mich hereinbrechen, April? Welche Gefühle sollten das sein?“

April umschloss Fireballs Hand vorsichtig. Sie versuchte ihm das nötige Gefühl von Halt und Sicherheit zu geben, das er brauchte, um endlich zu reden. Sie blickte auf ihre Hand, die in seiner lag und hauchte: „Dieselben Gefühle, die über dich hereingebrochen sind, als du im Yuma Bay gelegen hast. Du wärst jämmerlich an deinen Gefühlen zugrunde gegangen, Fireball.“

Der Rennfahrer im Ruhestand fühlte Aprils Hand in seiner und er spürte ihre Nähe ganz deutlich. Eine gewisse Wärme ging von April aus, das konnte er nicht leugnen. Um seine Verlegenheit zu überspielen, stieß Fireball seine Krücken ein wenig zur Seite. Er erinnerte sich an die Zeit im Krankenhaus als wäre es erst gestern gewesen. Und er musste zugeben, dass April recht hatte. Sie hatte ein gutes Gespür für die Gefühle anderer Leute, außer, wenn diese Gefühle sich auf sie selbst bezogen. Er seufzte kaum hörbar, April bemerkte lediglich, dass sich Fireballs Hand ein wenig bewegte. Der Japaner haderte mit sich selbst. Es fiel ihm so unsagbar schwer, diese Gefühle zuzulassen. Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, jede Emotion, jedes Gefühl, das ihm zu schaffen machen könnte, das ihn um den Schlaf bringen könnte, auszublenden. Und bisher hatte es ziemlich gut funktioniert, zumindest redete sich Fireball das ein.

Er blickte April mit einem nichtssagenden Lächeln ins Gesicht. Matt meinte er: „Im Yuma Bay ist es mir auch nicht sonderlich gut gegangen, Kleines. Und das hatte ausnahmsweise nur was mit meinen Beinen zu tun, nicht mit irgendwelchen Gefühlen.“

„Klar,“ April sog die Luft zwischen den Zähnen hindurch und atmete laut durch die Nase aus: „Und weil das so war, hattest du auch null Selbstbewusstsein zu der Zeit. Falls du dich nicht mehr daran erinnerst, obwohl ich weiß, dass du es sehr wohl tust, du hattest unheimliche Angstattacken.“

April hielt Fireballs Hand immer noch fest. Inzwischen war sie auch ein Stück näher zu ihm gerutscht und nun wartete sie ab. Sie war gespannt, wie Fireball darauf reagieren würde. Der blonde Star Sheriff wusste sehr wohl, dass ihn diese Neuigkeit aus der Bahn warf.

Minutenlang schwieg Fireball. Gedankenverloren sah er April an. Bis seine Augen zu glitzern begannen, dann wandte er sich wieder von ihr ab. Er drehte ihr etwas den Rücken zu und flüsterte heiser: „Du hättest auch Angst gehabt, April. Du hättest auch Angst gehabt.“

„Aber weshalb hattest du solche Angst, Fireball?,“ April hob ihre freie Hand und berührte Fireballs Gesicht. Ihre weichen Finger glitten langsam seine Wange hinab und mit sanftem Druck drehte sie Fireballs Antlitz wieder in ihre Richtung. Traurig bemerkte sie, wie sich Fireballs Augen mit Tränen füllten.

Fireball wollte sich mit einer Hand über die Augen fahren um sich die Tränen weg zu wischen. Doch es half nichts. Ehe seine Hand auch nur in die Nähe kam, lief ihm bereits eine dicke Träne über die Wange. Er ließ seine Hand wieder sinken und schluchzte: „Ich bin dort aufgewacht und hatte keinerlei Erinnerung mehr. Alles was da war, war diese Mauer zwischen uns und ich wusste Anfangs nicht, weshalb. Mein Leben hat sich mit einem Schlag verändert, kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Und dann kommt auch noch Colt und fährt mit Informationen auf, die er gewiss nicht von mir hatte. All diese Gespräche, die ich führen musste, obwohl ich lieber gegangen wäre... Gott, am liebsten wär ich damals gestorben!“

Beim letzten Satz hatte Fireball Aprils Hand losgelassen und sie mit der anderen vors Gesicht geschlagen. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen und wandte sich von April ab. Das blonde Mädchen konnte nur das stete Zittern erkennen, das Fireballs Körper immer wieder durchzuckte. Ganz leise konnte sie ihn schluchzen hören.

April schnürte sich bei diesem Anblick der Hals zu. Sie fragte sich insgeheim, welchen Schaden sie nun wieder angerichtet hatte. Instinktiv griff sie nach Fireballs Händen und zog sie von seinem Gesicht. Sie umschloss sie fest und zwang ihn, sie anzusehen. Es schien ihr der einzige Weg zu sein, Fireball zu helfen. Sie strich ihm mit der rechten Hand zuerst die Haarsträhnen aus dem Gesicht und danach kümmerte sie sich um die Tränen: „Das darfst du nicht sagen, Fireball. Ich wäre vor Sorge damals bald umgekommen, ich bin so froh, dass du überlebt hast,“ kurze Zeit schwieg sie und beobachtete Fireball aufmerksam, ehe sie fortfuhr: „Welche Gespräche meinst du eigentlich? Die mit Saber?“

Unwirsch löste sich Fireball von April. Ihm ging es abermals so schlecht wie damals. Mit einem unsicheren Blick sah Fireball zu April. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte er, dass dem Mädchen vor ihm das Herz vor Sorge um ihn blutete. Sie würde ihn weder tadeln noch auslachen, egal was er ihr erzählte. April würde für ihn da sein, das hatte er nun verstanden. Und obwohl er zu dieser Erkenntnis gelangt war, kamen ihm die Worte nicht allzu leicht über die Lippen: „Die mit deinem Vater. Gegen die Aussagen deines Vaters waren Jesse Blues Morddrohungen harmlos. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, April. Commander Eagle, er war eigentlich nicht sonderlich amused darüber, dass ich zu euch gestoßen bin. Nachdem er herausgefunden hatte, dass ich dir verfallen bin, und wie ich mit König Jarred auf Du und Du gekommen bin, war’s mit der fast väterlichen Fürsorge vorbei. Aber das hast du ja alles aus der Akte eh schon gelesen. Und damals im Krankenhaus... Ich war doch so schon am Ende, und dann kommt er zu mir und macht mich...“ Fireballs plötzlicher Redefluss erstarb in neuerlichen Schluchzern.

April schloss Fireball in die Arme. Sie drückte ihn vorsichtig an sich, strich ihm beruhigend über den Rücken und mit einer Hand hielt sie seinen Kopf. Auch ihr schossen die Tränen in die Augen, hätte sie gewusst, was sie anrichtete, hätte sie lieber ihren vorlauten Mund gehalten. Sie sah Fireball abermals vor einem tiefen Abgrund stehen, und dieses Mal konnte sie mit Recht behaupten, sie hatte ihn dazu getrieben. April erkannte, dass ihr Vater Fireball alles genommen hatte, woran er jemals geglaubt hatte, alles worin er jemals Hoffnung gesetzt hatte. Ihr Vater hätte wahrscheinlich mit Vergnügen zugesehen, wie Fireball vor Kummer gestorben wäre!

April kullerten nun ebenfalls dicke Tränen über die Wange, sie schmiegte sich an ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Es tut mir alles so leid, Fireball. ...Ich hätte dich nie gehen lassen dürfen!“

Fireball erwiderte Aprils Umarmung. Auch er schloss April fest in die Arme und wollte sie nie wieder los lassen. Obwohl er nicht alles ausgesprochen hatte, fühlte er sich einerseits erleichtert, andererseits aber hatte er das Gefühl, April abermals das Herz gebrochen zu haben. Der junge Japaner drückte April und flüsterte heiser: „Bitte bleib bei mir...“

Bei diesen Worten hielt April inne. Sie richtete sich etwas auf, brachte Fireball auf den Abstand, um ihm ohne weiteres ins Gesicht sehen zu können und musterte ihn. Um weitere Tränen zu unterdrücken, biss sich der blonde Star Sheriff auf die Lippen. Sie schloss die Augen und nickte entschlossen. Plötzlich verspürte April wieder ein eigenartiges Gefühl in sich aufsteigen. Es war warm und gleichzeitig unheimlich. Es jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Sie blickte in die großen, dunklen Augen des Japaners und schien sich darin zu verlieren. Mit einem Schlag wurde ihr klar, wo ihr Platz im Leben war. Und er war nicht an der Seite ihres Vaters! Mit einem zärtlichen Lächeln auf den Lippen schloss April abermals die Augen. Zaghaft näherte sie sich Fireball, bis sich ihre Lippen schließlich berührten. Sie gab ihm einen zärtlichen, schüchternen Kuss und murmelte: „Ich werde nie wieder gehen, Fireball.“

Saber in Erklärungsnot

Halli, Hallo, Hallöle! Ja, ich lebe noch *g*. Es tut mir unheimlich leid, dass es jetzt doch wieder so ewig gedauert hat, was zu schreiben, aber die Muse macht keine Überstunden *g*. Ich wünsche viel Spaß und freue mich über eure Kommis
 

„Hoppla, da haben zwei den Schnellzug genommen, Robin!,“ pfiff Colt vergnügt, als er mit seiner Frau endlich die zwei abgängigen gefunden hatte. Er nahm die blonde Lehrerin in den Arm und schmiegte sich an sie. Er genoss das Bild, das sich ihm bot. Denn seiner Meinung nach, sollte es schon seit einigen Jahren so zwischen April und seinem kleinen Hombre laufen.

Robin ließ ihren Mann gewähren und schmiegte sich ebenfalls an ihn. Amüsiert stieß sie dem Kuhhirten ganz sachte den Ellbogen in die Seite: „Na, das war wohl eher die Regionalbahn, so lange wie das gedauert hat.“

Verschreckt löste sich Fireball von April und drehte den beiden Neuankömmlingen den Rücken zu. Völlig durcheinander fuhr er sich übers Gesicht, wischte schnell die letzten Tränen fort und zersauste seine Haare. Warum musste der Cowboy gerade jetzt auftauchen? Es hatte so lange gedauert, bis sich Fireball und April wieder so nahe waren und Colt funkte innerhalb weniger Sekunden dazwischen, als ob er es riechen würde. Fireball seufzte und hob die Hand zum Gruß: „Habt ihr uns schon vermisst?“

April fuhr sich gedankenverloren über die Lippen. Eine zarte Rötung brachte Aprils Wangen zum Glühen. Sie schien gar nicht richtig bemerkt zu haben, dass Colt und Robin sie gerade gestört hatten.

Colt nützte diese Situation natürlich schamlos aus und er machte keinen Hehl daraus, wie niedlich er das ganze Spektakel fand. Er drückte seine Frau noch einmal herzhaft und grinste von einem Ohr zum anderen: „Naja, wir haben euch in der Tat vermisst. Der edle Säbelschwinger ist nämlich auf Besuch gekommen und hat uns gebeten, mal nach euch zu schauen. Wer kann denn ahnen, dass ihr beide euch gleich so zügellos der Lust hingebt, wenn man euch fünf Minuten alleine lässt.“

Mit hochrotem Kopf verteidigte sich Fireball: „Du spinnst ja, Kuhhirte!! Die gute April hat mir gerade die Leviten gelesen, mehr nicht!“

Colt konnte sich nicht mehr halten. Fireball verhielt sich endlich wieder so, wie er es früher auf Ramrod getan hatte! Er ließ sich so herrlich aufziehen, zumindest jetzt wieder. Colt nahm den Hut vom Kopf und hielt ihn sich vor die Brust. Mit dem breitesten Grinsen, das er aufbringen konnte, erklärte er: „Na, wenn das bei unserer kleinen April immer so aussieht, würd ich mir von ihr auch gerne mal die Leviten lesen lassen!“

Diesmal war Colt zu weit gegangen. Aber nicht Fireball oder April regten sich auf, sondern Robin verzog wütend das Gesicht. Sie löste sich aus seiner Umarmung und wich einige Schritte zurück. Angewidert und aufgebracht ereiferte sie sich: „Colt!! Also wirklich, du stierst sogar deiner Teamkollegin nach!“

„Aber Robin-Schatz, das war doch gar nicht so gemeint. Ich liebe doch nur dich!,“ Colt brachte den Hut wieder in Position und fiel vor Robin auf die Knie. Er sah sie mit seinem Hundeblick, den er extra für solche Fälle immer trainierte, an. Und es wirkte. Robin zog ihn wieder zu sich auf die Beine und küsste ihren Colt.

April war inzwischen aufgestanden und hatte sich von ihrer Lethargie erholt. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht half sie Fireball auf die Beine. Doch es war gar nicht so einfach, Fireball war immer noch ziemlich schwach und die Beine spielten nicht mehr mit. Als Colt das bemerkte, nahm er Fireball gleich auf den Arm und grinste: „Ich möchte gar nicht wissen, was ihr noch alles gemacht habt, nachdem du so ausgelaugt bist, Hombre!“

Trocken antwortete Fireball seinem Kumpel, der ihn sicher wieder Richtung Krankenhaus transportierte: „Das willst du auch nicht wissen. Nur so viel: Mich hat’s dabei umgehauen.“

Fireball griff mit einem Grinsen nach Colts Hut und setzte ihn sich auf. Allerdings war Fireballs Kopf zu klein für die Hutgröße und er stand ihm viel zu tief ins Gesicht. Er schüttelte den Kopf und gab das gute Stück wieder seinem Besitzer zurück. Die beiden Männer bemerkten in ihrer Kabbelphase gar nicht, dass Robin und April etwas zurückgefallen waren.
 

Die beiden Frauen schlenderten hinter den beiden Männern, die sie immer wieder lachen hörten, her. April hatte sich der Krücken angenommen und trug diese unter ihrem linken Arm. Ihre Wangen waren immer noch zart rosa gefärbt und ihr Lächeln verriet Robin, dass es ihr gefallen hatte. Colts Frau legte freundschaftlich einen Arm um April und nickte ihr zu: „Ihr wart ganz schön lange weg, du und Fire.“

„Wirklich?,“ ein Blick auf ihre Uhr bestätigte April, dass sie tatsächlich über eine Stunde hier draußen mit Fireball alleine gewesen war. Für sie hatte es sich angefühlt, wie ein paar Minuten, aber die Uhr war unbarmherzig und log niemals.

Sie spürte Robins wohlwollenden Blick auf ihr ruhen und sah der Blondine mit den, wie Colt es sagte, zwei klaren chinesischen Bergseen, direkt in die Augen. Sie lächelte verlegen: „Was?“

Grinsend blieb Robin neben April stehen: „Ja, genau, April. Du hast es erfasst... Was? Jetzt rück endlich mit der Sprache heraus, bei was haben wir dich und Fireball gerade gestört?“

April wich Robins Blicken wieder aus. Verlegen senkte sie den Blick zu Boden und flüsterte: „Ach, wir waren ohnehin fertig, Robin. Ihr habt uns gar nicht gestört.“

Das war ja ein Ding! Robin versuchte noch das Lachen zu unterdrücken, doch es gelang der blonden Frau schon nicht mehr. Kichernd strich sie sich eine Strähne hinters Ohr, die der Wind verweht hatte: „Womit wart ihr denn fertig? ...Ach, April, lass dir doch nicht alles so aus der Nase ziehen. Colt und ich haben gesehen, dass ihr euch geküsst habt. Also, was hab ich verpasst?“

April entschied sich dafür, alles herunterzuspielen. Sie nahm die Krücken fester in die Hand und erklärte ihrer besten Freundin: „Du hast gar nichts verpasst. Nur das Übliche. Wir haben uns gestritten, uns gegenseitig zum Weinen gebracht...“

„Und euch offensichtlich versöhnt!,“ beendete Robin Aprils Satz. Die Lehrerin freute sich für April und Fireball, auch wenn sie nicht wusste, wie lange dieses Glück halten würde. Sie legte einen Arm um ihre Freundin und ging mit ihr den beiden Jungs ins Zimmer nach.
 

***
 

Die nächsten Tage verbrachte Kommandant Tomoei damit, Fireballs Freunde zu vernehmen. Er machte weder vor Robin und Synthia noch vor Chris halt. Alle kamen der Reihe nach dran, jeden Tag einer. Es machte dem Kommandanten zwar keinen Spaß, immerhin ging es um einen seiner Schützlinge, doch es hatte auch was für sich. Er lernte Fireballs Freunde aus alten Zeiten kennen und erhielt gleich noch einen Einblick in die letzten Jahre seines Polizisten.

Saber stand als nächstes, nach April, auf Kommandant Tomoeis Liste. Er ließ den blonden Offizier am nächsten Morgen zu sich rufen, um möglichst viel Zeit für ihn zu haben.

Und Saber war wie immer pünktlich. Kurz vor neun Uhr vormittags trat er im fünfzehnten Stock aus dem Fahrstuhl direkt in den Flur der Kriminalabteilung. Für den Schotten hatte der Aufenthalt im Polizeipräsidium nichts Außergewöhnliches mehr, war er doch schon einmal hier gewesen und kannte mittlerweile auch die Gepflogenheiten des Landes. Er schritt rasch zu Tomoeis Chefsekretärin und ließ sich anmelden.

Kurze Zeit später saßen die beiden Männer schon bei einer Tasse Kaffee in Tomoeis Büro. Der Kommandant hatte Saber herzlich begrüßt und ihm einen Platz angeboten. Tomoei hatte sowohl die Akte von Fireball als auch Aprils Aussage, die Sarah am Vorabend noch abgetippt hatte, vor sich liegen. Er warf einen prüfenden Blick auf den Schotten, der sich seit seinem letzten Besuch nicht verändert hatte, und fragte vorsichtig: „Sie wissen, weshalb Sie hier sind, Offizier Rider?“

Nachdem er am Vortag bei April derart ein Fettnäpfchen erwischt hatte, ging der Kommandant diesmal auf Nummer sicher.

Saber nickte und seufzte: „Ich weiß es. ...Ich wünschte, das ganze Theater hätte endlich ein Ende.“

Dem Säbelschwinger war anzusehen, dass er es allmählich leid war. Aber man sah ihm auch die Sorge um seinen Freund deutlich an. Der Kommandant lächelte zuversichtlich: „Sie werden sehen, Saber. Nach den Aussagen wird es nicht einmal zu einer Anklage kommen, die Beweislage ist eindeutig.“

„Hoffen wir’s. ...Womit kann ich Ihnen nun behilflich sein, Kommandant Tomoei?,“ Saber wollte seine Aussage so schnell als möglich hinter sich gebracht haben. Schon die letzten Nächte hatte er sich sorgfältig darauf vorbereitet. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass er Fireball vielleicht in ein falsches Licht rücken würde, oder aber noch Unangenehmeres auf ihn zukommen würde, als diese eine Anklage.

Der Kommandant fischte sich einen Block und Schreibmaterial, platzierte es vor sich auf dem Tisch und kratzte sich kurz hinterm Ohr, ehe er zu Saber aufsah und direkt einstieg: „Sie wissen, ich muss die Aussagen formell aufnehmen. ...Also, Ihr Name ist Saber Rider?“

Das Nicken bestätigte dem Kommandanten die Richtigkeit und er fuhr fort: „Sie haben auch mit Shinji zusammengearbeitet, wie Miss Eagle?“

„Ja, ich war der befehlshabende Offizier an Board von Ramrod.“

„Ah ja,“ der Kommandant notierte sich das kurz und stellte gleich die nächstliegende Frage: „da Sie der kommandierende Offizier waren, schätze ich, Sie haben eine gute Menschenkenntnis. Wie haben Sie Shinji eingeschätzt?“

Einige Momente schwieg Saber. Wie hatte er Fireball eingeschätzt? Diese Frage hatte sich Saber nie gestellt, für ihn war immer klar gewesen, dass Fireball ein Freund war, den man ab und zu ein wenig zügeln musste, aber doch nie ein untergeordnetes Mitglied einer Einheit. Saber hatte Fireball genommen wie er war, er hatte nie versucht, den jungen Japaner zu ändern. Weshalb denn auch? Fireball trug das Herz am rechten Fleck und den Hitzkopf hatte er mit der Zeit weitestgehend abgelegt. Stirnrunzelnd sah Saber an sich hinab und richtete seinen Hemdkragen, ehe er zu Kommandant Tomoei hinüber sah. Der Mann saß dort, ihm gegenüber, ein Haufen Akten um ihn herum. War es klug, ihm eine Gegenfrage zu stellen? Nein, sicherlich nicht. Den Gedanken verwarf Saber sofort wieder. Er überflog noch einmal die wichtigsten Punkte in seiner Liste, die er sich im Kopf gemacht hatte und entschied, diesen Punkt mit dem Charakter als gegeben anzunehmen und die Frage so gut wie möglich zu beantworten.

Saber setzte sich im Stuhl aufrechter hin und begann: „Ich hab ihn als gut gelaunten Jugendlichen kennen gelernt, der ab und zu mit seinem Dickkopf durch die Wand wollte. Er ist ehrlich, ein guter Kamerad und Freund. Fireball würde nie jemanden mit Absicht verletzen, geschweige denn jemanden körperlichen oder seelischen Schaden zufügen. Im Laufe der Jahre ist er erwachsen geworden, damit allerdings auch verschlossener.“

Den letzten Satz hätte Saber am liebsten sofort gestrichen, jemand, der Fireball nicht kannte, könnte das bei diesen Anschuldigungen in den falschen Hals bekommen und falsche Schlüsse daraus ziehen. Der Schotte ärgerte sich darüber, obwohl man es ihm nicht ansah.

Und als hätte Tomoei Sabers Gedanken erraten, war es ausgerechnet dieser letzte Satz, den der Kommandant erklärt haben wollte: „Wie meinen Sie das, Saber? Inwieweit war er verschlossen?“

Der Kommandant hörte Saber merklich seufzen und sah dem Schotten beim Haare raufen direkt in das zermarterte Gesicht. Saber ließ bei dessen Blick sofort von seinen Haaren ab und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Er musste Fireball aus diesem Schlamassel heraushelfen!

„Er war in der Hinsicht verschlossen, als dass er nie jemanden seine Probleme anvertraut hat,“ das war es! Saber hatte die Idee, wie er den letzten Satz doch noch für Fireball nutzen konnte. „Wie Sie ja schon wissen, hatte er einige Probleme mit Commander Eagle, Aprils Vater und seinem Vorgesetzten. Fireball hat weder mir, als seinen direkten Vorgesetzten, noch April, die ihm von uns allen am nächsten stand, anvertraut, wie schlimm ihm der Commander zusetzt. Erst nach einer Reihe unglücklicher Umstände und einem ziemlich langem Gespräch, haben wir herausgefunden, was in groben Zügen passiert war. Nachdem wir die Personalakte analysiert hatten, haben wir erst das ganze Ausmaß erkannt. ...Und nun, da sowohl ich als auch Colt und April von den Schikanen erfahren haben, hat Commander Eagle seine Drohung, Fireball vor Gericht zu bringen, wahr gemacht. Und nur deshalb sitze ich hier und muss Ihnen erklären, dass Fireball April nichts getan hat.“

Anerkennend nickte Tomoei. Saber hatte es auf den Punkt gebracht und es treffender als alles andere formuliert. Und der Kommandant würdigte dies, indem er die Befragung fortsetzte, allerdings in einem viel freundschaftlicheren Ton, als noch bis vor kurzem: „Sie sagen also, dass diese Anzeige und der Haftbefehl, die hier vor mir liegen, nur so eine Art Rache des Commanders sind.“

Saber kam neuerdings eine Idee. Er setzte sich im Stuhl zurecht und fragte den Kommandanten höflich: „Sir, kann man nachverfolgen, wer die Anzeige aufgegeben hat?“

Verdutzt sah der Kommandant in seinen ausgedruckten Unterlagen nach, konnte dort aber nichts finden. Also setzte er sich schweigend vor den Computer und schrieb in wenigen Worten eine E-Mail an die Polizeistation in Yuma. Als er fertig war, wandte er sich wieder Saber zu: „In einigen Minuten wissen wir, wer Ihren Freund angezeigt hat. Ich schlage vor, wir fahren derweil mit der Befragung fort, Saber. ...Es geht ja hauptsächlich darum, dass Shinji Ihre Kollegin vergewaltigt haben soll. Wissen Sie, wie das Verhältnis zwischen den beiden war, oder auch ist?“

Unweigerlich senkte Saber seinen Blick zu Boden. Ihm war das Drama, dass sich vor einem guten Jahr in Yuma abgespielt hatte, nur allzu gut in Erinnerung geblieben, nicht nur wegen seiner Suspendierung. Er legte beide Hände auf den Tisch, die er dann zusammenfaltete und begann ohne Umschweife: „Ich würde sagen, das Verhältnis zwischen April und Fireball gliedert sich in groben Zügen in drei Teile. Fangen wir einfach der Reihe nach an. Die beiden haben sich zufällig kennen gelernt, als Ramrod angegriffen wurde. Nachdem Fireball uns aus der Patsche geholfen hat, wie übrigens auch Colt, sind die beiden von Commander Eagle eingestellt worden. Im Laufe der Zeit haben sich die beiden, also April und Fireball, gegenseitig ihre Grenzen aufgezeigt, sie waren gute Freunde. Ich glaube, nachdem Aprils Vater von den Outridern entführt worden war, muss es zwischen den beiden gefunkt haben. Shinji hat April getröstet, auf sie aufgepasst, besser als es Colt und ich je hätten tun können. ...Ja, ich denke, in dieser Zeit muss der Funken übergesprungen sein. Und plötzlich, die erste Nacht nach Kriegsende, war Fireball wie vom Erdboden verschluckt. Ich weiß noch, wie wir Commander Eagle nach seinem Verbleib gefragt haben. ...Heute weiß ich, dass er mir ins Gesicht gelogen hat. So unglaublich es klingt, fünfzehn Monate später haben wir Fireball zufällig wieder getroffen. April, die nicht den Hauch einer Ahnung hatte, weshalb er klammheimlich gegangen war, hat ihm schwere Vorwürfe gemacht. Sie hatte keinerlei Vertrauen mehr zu ihm. Alles, was vielleicht mal zwischen den beiden gewesen ist, ist von diesem befohlenen Vertrauensbruch zunichte gemacht worden. Die ganze Beziehung, sei es auf freundschaftlicher oder auf einer Gefühlsebene, war wie ausgelöscht. Bis Fireball wieder nach Japan gegangen war, haben sich beide tagein tagaus gequält. ...Mittlerweile ist es so, dass die beiden daran arbeiten, zumindest wieder Freunde zu werden.“

Aufmerksam hatte Kommandant Tomoei zugehört, zum Ende hin war ihm sogar der Kugelschreiber aus der Hand gefallen. Tomoei hatte annähernd einen Einblick davon erhalten, wie eng Shinji mit den Star Sheriffs befreundet gewesen sein musste. April hatte am Vortag bei Weitem nicht so viel gesagt, wie es Saber getan hatte. April hatte nämlich nur gesagt, sie seien gute Freunde gewesen. Tomoei beschlich das ungute Gefühl, dass er April vielleicht noch einmal zu sich rufen musste, um die Aussage ein zweites Mal aufzunehmen. Ihm gefiel der Gedanke nicht, in schmerzlichen Erinnerungen zu stochern, doch wenn es Shinji dabei half, ihn vor einer Anklage zu bewahren, würde er es tun. Gerade dieser Vertrauensbruch und das anschließende völlig veränderte Verhalten zwischen den beiden, könnte Shinji zum Verhängnis werden, auch wenn April sagen würde, er hätte ihr nie etwas getan.

Tomoei nahm geistesabwesend einen Schluck vom kalten Kaffee und fragte Saber ein weiteres Mal: „Glauben Sie, dass in der Nacht von Shinjis Verschwinden damals, er April tatsächlich etwas angetan haben könnte? Wie erklären Sie sich seinen lautlosen Abgang, Saber?“

Saber entgleisten alle Gesichtszüge. Weshalb war er nicht selbst darauf gekommen, dass diese eine Nacht, die das gesamte Verhältnis zwischen April und Fireball derart zerrüttet hatte, bei dieser Anklage als Anhaltspunkt dafür genommen werden konnte, dass Fireball in den Augen eines Außenstehenden wirklich zum Täter geworden sein könnte? Saber musste seinen Fehler sofort korrigieren. Energisch beantwortete er Tomoeis Frage: „Niemals! Ich muss Ihnen wohl erklären, weshalb Fireball damals verschwunden ist. Aufgrund der Tatsache, dass Commander Eagle Fireball nicht mochte und er mitbekommen hat, wie sehr April und Fireball voneinander angetan waren, hat der Commander beschlossen, dem Treiben ein Ende zu setzen. Er hat ihn mitten in der Nacht zu sich gerufen, ihm die unehrenhafte Entlassung unter die Nase gehalten und Fireball zu verstehen gegeben, dass er niemanden etwas davon erzählen darf. Fireball musste das KOK stillschweigend verlassen, ansonsten hätte Commander Eagle ihn angeklagt. ...Sie müssen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass Fireball nie im Leben einer Frau etwas antun könnte. Sei es nun April oder jemand anderes.“

Angestrengt hatte der Kommandant zugehört, allmählich merkte er, wie verworren und kompliziert die ganze Geschichte wirklich war. Er rieb sich die müden Augen um wieder scharf sehen zu können und gab Saber zu verstehen: „Glauben heißt nichts wissen, Offizier Rider. Also, glauben Sie, dass Shinji Hikari ihrer Kollegin nichts getan hat, oder wissen Sie’s?“

Saber war baff. Der Kommandant war knallhart, das wurde Saber plötzlich bewusst. Denn wäre er an Kommandant Tomoeis Stelle gesessen, hätte er sich in einem derartigen Gewissenskonflikt befunden, dass er den Fall abgeben hätte müssen. Der Schotte bewunderte Tomoei, konnte sich aber gleichzeitig vorstellen, dass dieser den nötigen Abstand zur Anzeige und Fireball hatte. Immerhin war Kommandant Tomoei nicht dabei gewesen. Er hatte nicht mit ansehen müssen, wie Fireball um sein Leben gerungen hatte, geschweige denn wie April und er vor einem Trümmerhaufen gestanden hatten. Missmutig schüttelte Saber den Kopf. Ihm war auf der einen Seite klar, dass der Kommandant solche Fragen stellen musste, aber andererseits empfand er es als unverfrorene Unverschämtheit, Fireball wirklich für einen Triebtäter zu halten. Unwillkürlich pumpte sich bei diesen Anschuldigungen seinem Freund gegenüber mehr und mehr Blut durch die Adern des Säbelschwingers. Er musste einige Male tief durchatmen, um dem Kommandanten so präzise und unmissverständlich wie möglich eine Antwort zu geben: „Ich wäre nicht hier, wenn ich es wüsste, Kommandant Tomoei. Diese Anschuldigungen sind in den Raum gestellt worden, nachdem sich April von ihrem Vater abgewandt hat. Ich weiß von Shinji, dass der Commander ihm mit genau einer solchen Anklage gedroht hatte, eben weil er weiß, dass man einem einfachen Star Sheriff und Rennfahrer nicht glauben wird, wenn das Oberhaupt des westlichen Grenzlandes das Gegenteil behauptet. ...Und was ist mit April? Wenn Fireball sie wirklich missbraucht hätte, dann, und darauf können Sie Gift nehmen, hätte unsere April nicht über zwei Jahre gewartet um ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen.“

Bei den letzten Worten hatte Sabers Stimme merklich an Schärfe und Gereiztheit zugelegt. Nein, April würde nie so lange warten, und schon gar nicht würde sie Colt und ihm eine solche Gräueltat verschweigen, wer auch immer sie begangen haben mochte. Im Gedanken war Saber froh, nicht auf Yuma zu sein, nicht in der Nähe des Commanders, während er diese Antworten gab. Der Schotte wusste, wenn er die Aussage auf Yuma machen hätte müssen, wäre er wahrscheinlich einmal mehr bei Eagle im Büro gestanden und hätte wahrscheinlich nicht nur eine Woche Suspendierung kassiert.

Doch der Kommandant gab sich mit dieser Antwort immer noch nicht zufrieden. Es schien Saber, als hätte dieser einen Narren an der letzten gemeinsamen Nacht von April und Fireball gefressen. Nach einer Pause, in der er Saber wieder zur Ruhe kommen ließ, begann er von Neuem: „Wie Sie selbst gesagt haben, waren Sie mit April wie auch mit Shinji gut befreundet. Was ist in der Nacht, in der Sie Shinji aus den Augen verloren haben, vorgefallen?“

„Ich weiß es nicht,“ mehr konnte Saber dazu nicht sagen. Weder April noch Fireball hatten jemals ein Wort über das, was geschehen war, verloren.

Der Säbelschwinger hoffte, der Kommandant würde das leidige Thema bald abschließen und Fireball das selber fragen, er konnte schließlich nicht riechen, was wirklich vorgefallen war. Obwohl Saber den Kommandanten das letzte Mal viel freundlicher in Erinnerung hatte und er auch auf indiskrete Fragen eingestellt gewesen war, fühlte sich Saber nicht übertrieben wohl in seiner Haut. Seine Gedanken schweiften immer wieder zu dieser verdammten Personalakte ab, was unweigerlich dazu führte, dass in Saber Schuldgefühle aufstiegen, die sich nicht totschweigen ließen. Es fiel Saber immer noch unglaublich schwer, die Gegebenheit zu akzeptieren, nichts von den Schikanen gewusst zu haben. Ihm kam es vor als ob er den Posten eines befehlshabenden Offiziers nie bekleiden hätte dürfen. Saber fühlte sich derart mitschuldig an Fireballs Situation, dass es ihm selbst schon unheimlich wurde.

Tomoei hatte noch stundenlang Fragen auf Lager, sie schienen ihm nicht auszugehen. Kaum hatten die beiden ein Thema der Befragung abgehakt, fiel dem Kommandanten auch flugs wieder ein neuer Themenbereich ein, der unbedingt erörtert werden sollte. Saber bewunderte die stoische Genauigkeit, die der Kommandant an den Tag legte, fragte sich aber doch, ob all das was nützen würde, wenn es erst einmal zu einer Anklage kam.

Colt der Bulle

So, Colt hat sich selbst von selber in diesen Schlamassel gebracht, das hat sich richtig aufegzwungen *g*
 

April konnte nicht schlafen, so müde sie auch war. Die letzten Tage hatten sie zu sehr aufgewühlt. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss und kurz davor war, einzuschlafen, drang eine Stimme in ihr Unterbewusstsein vor.

Diese Stimme war ihr Gewissen. Aber April wusste nicht, weshalb sich ihr Gewissen meldete. Sie hatte sich doch mit Fireball ausgesprochen. Sie waren sich sogar wieder näher gekommen, weshalb also sollte sie ein schlechtes Gewissen haben?

Nach einer halben Ewigkeit, so schien es April, hielt sie nichts mehr im Bett. Sie stand auf und schlich die Treppen hinauf. Mittlerweile war ihr das Haus der Familie Hikari nicht mehr fremd, immerhin verbrachten sie schon einige Tage hier. Die Blondine schlich wie ein Einbrecher durch den Flur Richtung Gästezimmer. Aus einem Zimmer hörte sie gedämpft Sabers Stimme, der sich noch mit seiner Frau unterhielt. Aus einem anderen drang nur Colts Schnarchen zu ihr durch. Unweigerlich fragte sich April, wie Robin das bloß Nacht für Nacht aushielt. Endlich, April hatte das Ende des Flurs erreicht. Ohne zu klopfen öffnete sie die Tür und trat leise ein. Sie schloss die Tür und machte einige Schritte in den Raum hinein. Mit leiser Stimme fragte sie: „Schläfst du schon?“

Vom Bett her kamen Geräusche, nachdem April ihre Frage ausgesprochen hatte. Aber die Blondine wusste nicht, ob er tatsächlich wach war, oder sich nur umgedreht hatte. Ohne darüber nachzudenken, tastete sich April im dunklen Zimmer bis zum Bett vor und setzte sich dann auf die Kante. Sie ließ ihr rechte Hand über die Bettdecke streichen und wartete auf eine Reaktion.

Das Bett gab beim Setzen einen etwas ächzenden Ton von sich und widerwillig öffnete der Rennfahrer die Augen. Er murrte: „Hmmm?? Muss ich schon aufstehen?“

April kicherte amüsiert, er war einfach göttlich, wenn er verschlafen war: „Nein... Hab ich dich geweckt?“

Natürlich hatte sie das! Warum fragte sie ihn überhaupt, wenn sie doch selbst gemerkt hatte, dass er schon geschlafen hatte? April schüttelte den Kopf und tadelte sich selbst für so viel Naivität. Sie war gespannt, ob sich Chris fangen würde oder ob er gleich wieder wegdöste. Bei ihm wusste man nie so genau, ob er nicht einfach wieder die Augen zumachte und sich wegdrehte. Aber April hatte Glück.

Chris setzte sich auf und rieb sich müde die Augen. Er gähnte und streckte sich, ehe er April näher zu sich klopfte: „Was ist denn los, April?“

Seit Fireballs Unfall und ihrer unfreiwilligen Zusammenkunft war so etwas wie ein unsichtbares Band zwischen April und Chris entstanden. Die beiden verstanden sich hervorragend, fast schon zu gut, wie Colt manchmal fand. Chris, der Fireball damals das Versprechen gegeben hatte, auf die Blondine aufzupassen, mochte April ungeheuer gerne. Manchmal, in stillen Momenten, in denen er Zeit für sich alleine hatte, fragte er sich, was wohl zwischen ihm und April wäre, wenn es Fireball nicht gäbe.

April hatte sich damals schnell an Chris’ Gegenwart gewöhnt, er hatte sich in ihr Leben vollkommen lautlos hineingeschlichen. Anfangs war er nur manchmal bei ihr, allmählich, stillschweigend und selbstverständlich, war er immer öfters auf Besuch gekommen, bis er eines Tages schließlich jeden Tag mit April verbrachte. Sie genoss seine Nähe, er brachte sie immer auf andere Gedanken, wenn sie schwermütig war oder Trost brauchte.

Die Blondine zog die Beine an ihren Körper heran und legte ihr Kinn auf die Knie: „Ich kann nicht schlafen und ich dachte, du schlägst mit mir die Zeit ein bisschen tot.“

„Ach, April,“ Chris ließ April zu sich unter die Decke schlüpfen, er konnte ahnen, dass es einige Zeit dauern würde, bis April endlich müde genug war, um zu schlafen. Mittlerweile kannte er solche Attacken wie diese schon. Manchmal brauchte sie einfach jemanden, mit dem sie reden konnte und der sie im Arm hielt. Chris fragte sich, wer diese Aufgabe übernommen hatte, bevor er in Aprils Leben getreten war. Fast lautlos krabbelte das blonde Mädchen zu Chris und glitt in seine Arme.

Mit einem leichten Lächeln begann sie, sich mit ihm zu unterhalten. Es war so anders, als mit Fireball, das erkannte April jedes Mal aufs Neue, aber es war keinesfalls schlechter. Die Blondine erzählte Chris, wie sie Fireball die Meinung ins Gesicht gesagt hatte, nachdem sie bei Tomoei auf dem Revier war. Allerdings erwähnte sie mit keinem Wort, was sie dem Japaner versprochen hatte.
 

April und Robin hatten Colt zu Kommandant Tomoei begleitet, genauer gesagt, hatten sie ihn dort abgesetzt. Aprils Garderobe, die ja Chris in Windeseile für sie zusammengestellt hatte, war nicht das, was sich April wünschte und deshalb war sie mit ihrer besten Freundin bereit eine Shoppingtour durch Tokio zu starten. Die beiden Frauen verabschiedeten den Kuhhirten am Eingang und verkrümelten sich schnellstens.

Colt, der inzwischen von Saber und April wusste, wo sich das Büro des Kommandanten befand, machte sich ohne Umschweife auf den Weg dorthin. Irgendwie war es für Colt ein komisches Gefühl, aber seine Laune ließ sich dadurch nicht trüben. Immerhin wimmelte das Präsidium nur so von schönen Frauen und Robin war nicht dabei, um ihm die Ohren lang zu ziehen. Der Kuhhirte genoss also die endlos lange Leine, die er dank des Verhörs an diesem Tag hatte, und musterte die asiatischen Schönheiten eingehend.

Mit der Chefsekretärin von der Kriminalabteilung bandelte er gleich ein bisschen an. Diese Sarah, wie ihr Name war, war kein Kind von Traurigkeit und hässlich war sie erst recht nicht. Colt hatte seinen Spaß mit der jungen Frau, bis ein junger Mann auf die beiden zukam und Sarah einen flüchtigen Kuss auf die Lippen drückte.

Colt runzelte die Stirn und stupste seinen Hut aus dem Gesicht. Irritiert fragte er die Sekretärin: „Sagt man bei euch so Hallo? ...Gefällt mir!“

Sarah schüttelte amüsiert den Kopf, während der Mann neben ihr rot vor Wut wurde. Dieser Jemand war Seiji und es gefiel ihm ganz und gar nicht, welche Ausstrahlung dieser Fremde hatte. Mürrisch, aber dennoch höflich, fragte er den Mann: „Womit können wir Ihnen behilflich sein, Mister?“

Colt konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen, hatte er doch glatt wieder ein Fettnäpfchen erwischt. Er hüstelte verlegen: „Hkm, das könnten Sie allerdings. Ich hab einen Termin mit Kommandant Tamagochi oder so ähnlich.“

„Sein Name ist Tomoei, Mister,“ Seiji runzelte die Stirn, hatte der Mann ihm seinen Namen schon genannt: „wie war Ihr Name noch mal?“

Grinsend stieß Colt seine rechte Hand in Richtung des Japaners: „Da reich ich doch glatt das Patschehändchen, reich ich doch! Ich bin der gute Colt, Partner.“

Seiji war das Verhalten des Fremden nicht geheuer, dennoch reichte er ihm zögerlich die Hand und stellte sich vor: „Seiji Katagiri. Sehr erfreut.“

Bevor dieser komische Mann noch mehr Verwirrung stiften konnte, zog es Seiji vor, ihn beim Kommandanten anzumelden. Er drängte den Cowboy anschließend schier ins Büro: „Kommandant Tomoei erwartet Sie schon.“
 

Colt hatte es sich in seinem Stuhl bequem gemacht und lauschte nun den Ausführungen des Kommandanten. Allerdings tat er das nur mit mäßigem Interesse, er fand die Aussicht, die sich vom fünfzehnten Stock bot, viel aufregender. Hin und wieder gab er dem Kommandanten ein paar nichtssagende Antworten und fragte sich, weshalb April und auch Saber so einen Wind um die Aussagen gemacht hatten. Der Kommandant war doch ganz nett und Fragen stellte er auch nicht so schlimme. Der Kaffee war auch nicht so schlecht und Colt befand, dass er es hier durchaus einige Stunden aushalten konnte. Immerhin schien ihm die Sonne direkt in den Rücken und verursachte ihm ein wohlig warmes Gefühl auf der Haut.

Alles hätte so schön und angenehm für den Cowboy werden können, hätte Tomoei nicht doch irgendwann angefangen, heikle Fragen zu stellen. Anfangs antwortete Colt auf jede ihm gestellte Frage, doch als die Fragen immer intimer wurden, spreizte sich der Kuhhirte. Er würde nichts ausplaudern, was er nicht hundertprozentig wusste.

Doch der Kommandant ließ nicht locker. Im Gegenteil. Er reizte Colt nur noch mehr, zwang ihn förmlich dazu, endlich eine brauchbare Antwort zu geben: „Ihr Freund wandert hinter Gitter, wenn Sie nicht die Wahrheit sagen, Mister Wilcox. ...Also, seien Sie nicht so stur und sagen Sie endlich, was Sie wissen! Hat Shinji Hikari Ihre Kollegin April Eagle vergewaltigt oder nicht?“

Die geballte Faust von Colt rammte gegen die Tischplatte und ließ den Schreibtisch des Kommandanten erzittern. Colt sprang ohne Vorwarnung auf und warf dabei seinen Stuhl um. Sein Gesichtsausdruck glich dem eines zornigen Bullen, der den Matador mit Sicherheit umnieten würde, wenn er erst einmal losrannte. Colt kochte und das ließ er den Kommandanten der Japanischen Polizei auch spüren. Jede einzelne Faser seines Körpers straffte sich, Colt war für einen Angriff bereit, Tomoei brauchte nur noch das Startsignal zu geben. Wie konnte sein Gegenüber bloß so dreist sein? In den Augen des Cowboys glich es der Meuterei, Fireball eine Vergewaltigung zu unterstellen. Der nächste, der auch nur etwas Ähnliches zu behaupten wagte, würde mit seiner Faust Bekanntschaft machen.

Mindestens so laut, wie der Stuhl zu Boden gefallen war, schnitt nun Colts Stimme durch den Raum: „Nein, verdammt noch mal! Wofür halten Sie unseren Matchbox eigentlich?! Ihr Gesetzeshüter seid doch alle gleich, verdammt noch eins! Ihr riecht hinter jedem Strauch eine Verschwörung und seid doch selbst diejenigen, die für das meiste Geld eure Ehre verkauft. Du würdest doch sogar deine eigene Großmutter bestehlen, würdest du!“

Tomoei verfolgte mit einem Paar weit aufgerissener Augen, wie sein Gegenüber zum verbalen Rundumschlag ausgeholt hatte. Nie in seinem Leben hätte er gedacht, dass er jemals drei so unterschiedliche Menschen befragen würde, die allesamt die besten Freunde waren. April, Saber und Colt waren wie Tag und Nacht gewesen. Während April nervös und mit zittrigen Händen jede Frage beantwortet hatte, wenn auch nicht immer alles gesagt hatte und Saber immer auf die richtige Wortwahl bedacht gewesen war, sah er bei Colt die pure Kampfeslust aus den Augen blitzen. Tomoei musste seinen Befragungskurs schleunigst ändern, wenn er nicht riskieren wollte, dass Colt ihm sein Büro zu Brennholz verarbeitete.

Er stand ebenfalls auf, ging aber an Colt vorbei aus dem Büro hinaus. Tomoei hatte sich dafür entschieden, die Befragung für einige Minuten zu unterbrechen, damit sich das Temperament des Kuhhirten wieder abkühlen konnte. Doch er hatte nicht mit Colt gerechnet. Der stürmte ihm hinterher, pfiff auf die Etikette und dass er hier in einem völlig fremden Land war und packte den Kommandanten wutschnaubend am Hemd: „Stehen geblieben, Freundchen! Wir sind noch nicht fertig miteinander!“

Im Bruchteil weniger Sekunden hatte sich Kommandant Tomoei auf dem Absatz zu Colt umgedreht und ihm die Hand vom Hemd geschlagen. Er sah den jungen Cowboy mit blitzenden Augen an. Er war zu weit gegangen. Tomoei musterte Colt, der eine Nummer größer war als er selbst und zischte ihm zu: „Ich rate Ihnen, das nicht noch einmal zu machen, wenn Sie nicht für eine Nacht hinter Gittern sitzen wollen, Mister Wilcox. Beruhigen Sie sich wieder, ansonsten muss ich Sie aus dem Gebäude verweisen lassen.“

Aus den Augenwinkeln konnte Colt erkennen, wie die gesamte Abteilung in Aufruhr geraten war. So sauer er auch gewesen sein mochte, so sehr schämte er sich nun, den Chef einer ganzen Abteilung vor den Augen aller angeblufft zu haben. Er zog den Hut so tief wie möglich ins Gesicht, damit niemand erkennen konnte, wie sein Gesicht zu glühen und brennen begann. Anschließend steckte er die Hände in die Hosentaschen und murmelte: „Pardone moi, Kommandant. Ich werde zum Löwen, wenn es um unseren Kleinen geht.“

Ehe der Kommandant etwas erwidern konnte, war der Cowboy schon im Büro verschwunden und hatte die Tür hinter sich zugeschmissen. Er hoffte inständig, der Kommandant möge ihm seinen Fehler verzeihen und würde Saber nichts davon erzählen. Wenn der Schotte davon erfahren würde, gäb’s faschierten Kuhhirten! Colt lehnte sich gegen die Wand und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Was hatte er sich nur dabei gedacht? So würde er keinem helfen!
 

Gute zehn Minuten nach der Auseinandersetzung erschien Tomoei wieder im Büro. Er setzte sich auf seinen Platz und musterte Colt: „Haben Sie sich wieder beruhigt?“

„Tja, ich würde sagen, die Leistung vorhin war zirkusreif von mir. Sorry...,“ Colt war Kommandant Tomoeis Blicken ausgewichen, so gut er nur konnte. Seine Augen hatten stattdessen das gesamte Büro gescannt.

Tomoei hingegen setzte ein freundliches Lachen auf. Er griff wieder zu seinem Schreiber und einem Blatt Papier und begann erneut mit der Aufnahme der Zeugenaussage. Allerdings stellte er eines klar: „Bevor hier noch mehr Ausfälle von Ihnen kommen, werde ich Ihnen noch einmal erklären, weshalb ich die Zeugenaussagen aufnehme und welche Spielregeln wir haben. ...Niemand, und ich meine wirklich niemand, in diesem Gebäude glaubt auch nur im Entferntesten daran, dass an dieser ...saublöden Anzeige auch nur ein Funken Wahrheit dran ist. Ich versuche Shinji lediglich zu helfen, indem ich die Aussagen von Ihnen allen aufnehme und nicht die Polizei in Yuma. Sie können mir glauben, die würden bei Weitem nicht so freundlich mit Ihnen umspringen. Aber ich muss einfach diverse unangenehme Fragen an Sie richten, damit auch wirklich jeder Zweifel an Shinjis Unschuld zunichte gemacht wird. Tun Sie mir also bitte den Gefallen und antworten Sie. Sagen Sie mir die Wahrheit, aber beleidigen Sie niemanden oder werden handgreiflich. Das ist nicht zielführend.“

Colt nickte stumm und ließ weitere zweieinhalb Stunden diverse Fragen über sich ergehen. Er erkannte zwischendurch wieder schmerzlich, wie wenig er Fireball helfen hatte können. Mit Wehmut wünschte er sich die guten alten Zeiten auf Ramrod zurück. Der Cowboy wollte sich gar nicht ausmalen, was erst los war, wenn Fireball wirklich inhaftiert würde und vor einem Untersuchungsrichter stand. Betrübt schüttelte Colt den Kopf. Nein, soweit durfte es gar nicht erst kommen. Doch Colt fiel es schwer, ruhig zu bleiben, nicht Kommentare von sich zu geben, die das Gegenteil erreicht hätten.

Kommandant Tomoei hingegen versuchte mit aller Macht, Colts Antworten in die richtige Richtung zu lenken, was kein einfaches Unterfangen war. Aber weil er die Aussagen von April und Saber schon hatte, und wusste, dass diese nahezu ident in manchen Sachen waren, lenkte er auch durch geschicktes Fragen Colt zur richtigen Antwort.

Als endlich alles rum war, fiel Colt ein Stein vom Herzen. Er hatte es im zweiten Anlauf tatsächlich geschafft, einen kühlen Kopf zu behalten und wahrheitsgetreue Antworten zu geben. Er war stolz auf sich selbst, allerdings nagte die Angst an ihm. Er beugte sich zu Tomoei über den Tisch und flüsterte: „Sir? Könnten Sie bitte den kleinen Zwischenfall von vorhin vergessen? Ich bitte Sie darum.“

Tomoei lächelte Colt entgegen: „In der Aussage wird er mit keinem Wort erwähnt werden, Mister Wilcox, keine Sorge.“

„Davon rede ich nicht,“ sein Gesicht nahm einen flehenden Ausdruck an: „Bitte sagen Sie meinen Freunden nichts davon, oder meiner Frau. Die verarbeiten mich zu Schaschlik, wenn sie davon erfahren.“

Tomoeis Lächeln wurde immer breiter, aber er nickte. Er versprach Colt, niemanden davon zu erzählen. Das beruhigte den Kuhhirten ungemein. So musste er keine Angst vor Saber oder vor Robin haben. Einen kurzen Moment stellte er sich vor, wer ihn wohl schlimmer in die Mangel nehmen würde, Saber oder seine Frau. Keine Frage, Robin natürlich! Zuerst würde sie knallrot anlaufen, am liebsten selbst im Boden versinken und nach der ersten Schrecksekunde lostadeln. Sie würde sich für ihren Mann in Grund und Boden schämen, aber dabei nicht vergessen, ihn einen Kopf kürzer zu machen. Saber hingegen würde nur den Boss raushängen lassen und dann war gut.
 

Auch Robin, Synthia und Chris mussten sich den Fragen des Kommandanten stellen. Allerdings fiel es den dreien nicht ganz so schwer, wie Saber oder auch April und Colt. Sie wurden lediglich manchmal etwas leiser und zurückhaltender, aber ansonsten richtete die Befragung bei ihnen nicht so viel Schaden an.

Wieder einmal war die Zeit gekommen, sich voneinander zu verabschieden. Nachdem die Aussagen aller aufgenommen wurden, hieß es für die Star Sheriffs und ihre Begleitung zurück nach Yuma. Die Freunde mussten sich allerdings schon am Vortag von Fireball verabschieden, der musste noch einige Tage länger auf seine Entlassungspapiere warten und konnte sie nicht zum Flughafen begleiten. Aber dafür brachten Laura und Hiromi die Rasselbande sicher zum Raumhafen.

Mittlerweile waren alle beim Du angekommen und so verlief der Abschied wesentlich entspannter. Colt umarmte Hiromi mit seinem typischen vielsagenden Lächeln und knuffte sie: „Hiromi, Schätzchen. Ich hoffe, man sieht sich mal wieder.“

Fireballs Mutter lachte herzlich auf: „So hat mich schon seit Jahren niemand mehr genannt, Colt!,“ sie ließ den Kuhhirten los und umarmte auch alle anderen herzlich. April behielt sie sich bis zum Schluss auf.

Hiromi hatte nach wie vor das Gefühl, April mit Samthandschuhen anfassen zu müssen, obwohl sie selbst nicht wusste, weshalb. Die junge Blondine schien sich viel besser mit der Situation abzufinden, als es ihr Sohn tat und dennoch, April hatte was Zerbrechliches an sich. Hiromi drückte April kurz und wünschte ihr eine gute Heimreise: „Kommt gut heim.“

Laura beobachtete alles aus sicherer Entfernung. Die letzten Tage waren für sie unwirklich gewesen. Sie blickte auf die Freunde und konnte sich nicht vorstellen, weshalb Fireball so an ihnen allen hing. Vor allem konnte sie nicht verstehen, welchen Narren Fireball an April gefressen hatte. Sie schien sich doch gar nichts aus ihm zu machen! Laura hatte eine gute Beobachtungsgabe, vor allem, wenn sie den gewissen Abstand dazu hatte, und so war ihr aufgefallen, wie nahe sich April und Chris waren. Sicherlich, Fireball bedeutete April was, aber er war ihr nicht so viel wert, dass sie für ihn alles aufgeben würde. Die Japanerin empfand es als nicht fair, denn Fireball, das wusste sie, würde für April durch die Hölle gehen. Fireball wäre auch für sie durch die Hölle gegangen, als sie zusammen waren.

Abschiedsschmerz

So, momentan läufts ganz gut, deshalb kommt auch wieder Nachschub für euch. Diesmal muss ich aber auch einen Disclaimer angeben, hab mich nämlich an einem Songtext bedient. Dieser Song ist von Jonny Logan und nennt sich "Hold me now", gehört also in keinster Weise mir *g* Ansonsten wünsch ich viel Spaß beim Lesen.
 

Als der Flug der Freunde aufgerufen wurde, machten sich Laura und Hiromi wieder auf den Nachhauseweg. Zumindest Hiromi tat das. Sie musste noch einige Besorgungen machen und den Haushalt nach diesem halben Hurrikane wieder auf Vordermann bringen. Laura hingegen nützte den freien Tag und fuhr ohne Umweg ins Krankenhaus. Sie konnte sich gut vorstellen, dass Fireball vielleicht jemanden zum Reden brauchte. Allerdings war er nicht in seinem Zimmer, als sie dort ankam. Wohl oder übel musste sich Laura auf die Suche nach ihm machen.

Sie fand ihn schließlich im Garten auf einer Bank sitzen. Die Krücken hatte er neben sich an die Bank angelehnt. Von Weitem konnte Laura schon erkennen, dass er den Kopf in den Nacken gelegt hatte und in den Himmel starrte. Ohne übertrieben intelligent sein zu müssen, wusste die Rechtsanwaltsgehilfin, dass er mit den Gedanken mindestens genauso weit weg war, wie die Star Sheriffs.

Als sie näher kam, senkte Fireball seinen Blick wieder Richtung Erde und rieb sich bedrückt die Schläfen. Er schloss die Augen und war kurz davor, sich selbst für seine eigene Blödheit zu tadeln oder zu ohrfeigen. Warum hatte er ihr bloß geglaubt? Hätte er doch nur ein wenig mehr nachgedacht, dann hätte er nicht wirklich geglaubt, dass April dieses Mal bei ihm bleiben würde. Sie hatte am Vortag nicht einmal etwas in der Richtung erwähnt, sie schien ihre Worte selbst nicht ernst genommen zu haben. Aber er hatte ihr geglaubt. Er hatte fest damit gerechnet, dass sie hier blieb. Und nun war sie weg und er saß hier mutterseelenallein ohne zu wissen, was aus ihm werden sollte. Sicherlich, er hatte seine Mutter und seine Freunde, aber er wollte die Frau bei sich haben, die er über alles liebte .Hätte er doch bloß nicht so viele Hoffnungen in Aprils Versprechen gesetzt und hätte ihr nicht geglaubt, würde ihm der Abschied von ihr nicht so schwer fallen und es würde nicht so weh tun.

Zaghaft, fast schüchtern, setzte sich Laura neben Fireball auf die Parkbank. Sie überkreuzte die Beine und beobachtete ihn. Innerlich keimte Zorn in ihr auf. Sie sah, wie April halbherzig mit Fireballs Gefühlen umging und das machte sie wütend. Sah diese Frau denn nicht, wie sehr sie ihn quälte, oder wollte sie ihn so derart am Boden sehen?

Nach einigen Minuten rang sich Laura dazu durch, Fireball eine Hand auf sein Knie zu legen und ihn kraftspendend anzulächeln: „Na, genießt du die Sonne?“

Ruckartig schnellte eine Hand von Fireball auf Lauras hinab und hielt sie fest. Mit einem überraschten Gesichtsausdruck blinzelte er seiner alten Freundin entgegen, ohne ein Wort herauszubekommen.

Laura hatte gespürt, wie sich jeder Muskel in Fireball bei ihrer Berührung angespannt hatte. Sie wollte ihn nicht erschrecken, und dennoch hatte sie es mit Leichtigkeit zustande gebracht. Freundschaftlich erwiderte sie den Druck, den ihr Fireballs Hand entgegenbrachte. Sie rückte ein Stück näher und unterhielt sich mit ihm: „Deine Freunde sind wieder abgereist. Pünktlich um halb zwei.“

„Ja, ich weiß,“ Fireballs Augen schimmerten verdächtig. Er fragte sich plötzlich, weshalb sich Laura so aufopfernd um ihn kümmerte. Ihm war bewusst geworden, dass dieses Mädchen, seit sie wieder in sein Leben getreten war, immer für ihn da war, eine helfende und tröstende Hand, wann immer man sie brauchte. Und das alles ohne eine Dankeschön zu erwarten. Und doch. Fireball wünschte sich April an Lauras Stelle. Der pensionierte Rennfahrer rang sich zu einem Lächeln durch: „Was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht ein paar Anklagen vorbereiten?“

„Ich hab mir den Tag für meinen Lieblingsrennfahrer freigehalten,“ dabei zwinkerte Laura schelmisch. Ihre dunklen braunen Augen glänzten und schienen dabei fast schwarz zu sein. Es war lange Zeit her, dass Fireball und sie einmal mehr als Freunde waren und dennoch mochte sie ihn immer noch. Er war zwar um ein vielfaches ruhiger geworden und es war nicht immer einfach, mit seiner Stimmung, die blitzschnell von einem Lächeln zu einer tieftraurigen schwanken konnte, umzugehen, doch Laura wich nie länger als nötig von Fireballs Seite. Das war sie ihm schuldig! Denn er war für sie da gewesen, als sie keinen Ausweg mehr gesehen hatte, als sie in die Kriminalität abzurutschen drohte, war er aufgetaucht und hatte ihr den Strohhalm gegeben, an den sie sich klammern konnte. Niemals zuvor hatte ihr jemand solche Perspektiven aufgezeigt, hatte ihr gezeigt, was das Leben alles zu bieten hatte, wenn man fest daran glaubte.

Und nun, da Shinji selbst den Halt verloren zu haben schien, wollte Laura ihm eine Konstante geben, die da war, egal was auch immer passieren würde.

Mit einem leichten Lächeln im Gesicht verstärkte Fireball den Druck auf Lauras Hand für kurze Zeit und ließ sie dann los. Er murmelte: „Danke.“

Verwundert schüttelte Laura den Kopf. Sie wusste nicht, wie sie dieses Dankeschön einordnen sollte. Sie hatte doch nichts getan, wofür er sich bedanken müsste. Durch sein Lächeln und seine netten Worte verunsichert, antwortete Laura: „Wofür?“

Abwesend nahm Fireball seine Krücken und stand auf. Er blickte ihr mit einem noch größeren Lächeln wieder ins Gesicht. Es schien, als hätte er so eine Antwort von ihr erwartet. Die Krücke, die Fireball in der rechten Hand hielt, schlug ganz sachte gegen ihr Bein und sollte ihr so zu verstehen geben, dass er gehen wollte. Als sich Laura erhob, drückte er ihr einen kurzen Schmatzer auf die Stirn: „Wofür? ...Hm, mal überlegen, Süße. Du nimmst dich wildfremder Menschen an, bringst mich ohne Murren überall hin, weil ich zu nichts im Stande bin,“ bei den letzten Worten war Fireballs Gesichtsausdruck wieder traurig geworden. Es gefiel ihm nach wie vor nicht, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.

Die letzten Tage hatte sich Fireball zunehmend besser von seiner neuerlichen Operation erholt, auch die Kraft kehrte langsam zurück. Jeden Tag war er eine Runde im Krankenhauspark spazieren gegangen, zuerst nur kleine, dann immer größere. Er war zwar immer noch nicht so weit, dass er weitere Strecken zu Fuß zurücklegen konnte, aber immerhin war er wieder auf seinen eigenen Beinen unterwegs.

Laura beobachtete die Genesung mit Freude, es verdeutlichte ihr immer wieder, welch starken Willen Shinji hatte, auch, wenn davon und von seiner Lebensfreude im Moment nicht viel zu sehen war. Sie knuffte ihm leicht in die Seite und schritt voran: „Dafür musst du dich nicht bedanken. Das ist doch selbstverständlich.“

Fireball setzte sich nun auch in Gang und humpelte hinter ihr her. Er musterte Lauras Gestalt. Sie war schlank, wenn nicht fast ein bisschen zu zierlich, hatte schulterlange schwarze Haare und einen Hüftschwung, der einem alle Sinne vernebeln konnte, wenn man nichts dergleichen kannte. Aber die Zeiten, in denen Fireball irgendwelchen äußeren Reizen an Frauen verfallen wäre, waren lange vorbei. Was für den jungen Japaner im Augenblick viel mehr zählte, war die Art und Weise wie sie ihm half. Er hatte ihr doch damals das Herz gebrochen, als er ihr erklärt hatte, dass er Japan verlassen wollte, und dennoch war sie hier und machte sein Leben ein Stückchen erträglicher.
 

April schloss ihre Wohnungstür auf und huschte hinein. Sie schloss die Tür, ließ den Schlüssel auf die kleine Kommode im Flur sinken, stellte die Reistasche ab und stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie entledigte sich noch ihrer Schuhe und der Jacke, ehe sie ins Wohnzimmer ging. Geradezu sporadisch machte sie Licht. Betrübt machte April es sich auf der Couch bequem. Das Radio hatte sie ganz leise aufgedreht.

Genau hier hatte sie gesessen, bevor Fireball wegen eines ominösen Anrufs überstürzt aufgebrochen war. Er hatte ihr gegenüber gesessen, auf dem einzigen Stuhl im Wohnzimmer. April schloss die Augen und erinnerte sich...
 

Vollgepackt stieß sie ihre Wohnungstür auf und manövrierte ihre letzten Taschen durch die Tür: „Danke fürs Helfen, Fire.“

Hinter ihr trat der junge Japaner in die gemütliche Wohnung und schloss die Tür. Die beiden jüngsten Star Sheriffs hatten sich dazu entschlossen, erst mal die restlichen Sachen aus Ramrod zu holen und dann einen gemütlichen Abend miteinander zu verbringen. Colt und auch Saber waren kurz nach dem Rapport bei Commander Eagle stiften gegangen und hatten April und Fireball ihrem Schicksal überlassen.

„Solange ich dafür ordentlich verpflegt werde, trag ich gerne deine Sachen in den achten Stock,“ er warf April ein vielsagendes Lächeln zu, das diese mit einem ebenso schelmischen Lachen erwiderte. Sie hatte Fireball ein Abendessen versprochen und deshalb waren die beiden auch noch einen Sprung im Einkaufscenter gewesen. Sie deutete Fireball, die Sachen einfach im Vorraum stehen zu lassen und schon mal ins Wohnzimmer zu gehen.

Doch Fireball ließ es sich nicht nehmen, ihre letzten Habseligkeiten aus Ramrod bis zu ihrem Schlafzimmer zu tragen. Allerdings nicht ohne Hintergedanken, denn so konnte er die ganze Wohnung unter einem einfachen Vorwand abgehen und sie begutachten. Der Rennfahrer war zum ersten Mal in Aprils Appartement und deshalb neugierig, wie die Blondine außerhalb von Ramrod so lebte. Auf den ersten Blick schien sie ordentlich zu sein und einen ziemlich guten Geschmack zu haben. Alles in der Wohnung gefiel ihm zwar nicht, aber sie war nicht so übertrieben vollgestopft mit Kitsch, wie er gedacht hatte. Staunend kam er vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer zurück und bemerkte erst jetzt die riesige Glasfront. April hatte einen Wahnsinnsblick auf Yumas Skyline. Ehe er allerdings alles genauer unter die Lupe nehmen konnte, rief April ihn zu sich in die Küche: „Hilfst du mir bitte?“

April hatte in der Zwischenzeit die Einkäufe ausgepackt und wartete nur noch darauf, dass auch der werte Herr mit anpackte, wenn es ums Kochen ging. Die Blondine wusste zwar, dass er Spiegeleier zwangsläufig nicht hinbekam, dafür aber ein begnadeter Nudelkoch war. Aufgrund dieser Tatsache zog es April vor, ihn durchaus helfen zu lassen. Erstens musste sie nicht alles alleine machen und zweitens bekam sie etwas Gesellschaft. Und sie genoss diese neue Art von Gesellschaft in vollen Zügen. April konnte bereits jetzt spüren, dass es außerhalb von Ramrod etwas ganz Besonderes war, den Abend mit ihm verbringen zu können. Sie konnten endlich zeigen, was sie füreinander fühlten, ohne darauf achten zu müssen, dass ihnen ein gutgelaunter Cowboy blöde Sprüche entgegen brachte.

Nach dem Essen machten es sich die zwei auf der Couch gemütlich, bei einem Glas Rotwein. Doch nicht lange. Lächelnd sprang der Heißsporn noch einmal von seinem Platz auf und lächelte ihr zu: „Ich komm gleich wieder, Kleines. Muss nur was aus dem Wagen holen!“

Kurze Zeit später schloss sich die Eingangstür auch schon wieder und Fireball steuerte zielstrebig auf die Stereoanlage im Wohnzimmer zu. Mit Hifi-Geräten kannte er sich genauso gut aus, wie mit Autos. Die Technik lag ihm einfach. Er öffnete den CD-Player und legte eine CD ein. Er stellte das Radio an und drehte sich zu April um: „Das dürfte dir gefallen.“

Auch April war nicht untätig gewesen in der Zwischenzeit. Sie hatte alle Lichter in der Wohnung gelöscht, nur die Stehlampe in der Ecke spendete noch Licht. Auch ein paar Kerzen hatte sie auf den Wohnzimmertisch gestellt. Die Atmosphäre schien zu knistern, beide fühlten sich unsagbar wohl in diesem Moment.

Fireball setzte sich im Schneidersitz auf den einzigen Stuhl im Raum und überließ April die große Couch. Sie unterhielten sich gut und flirteten immer wieder schüchtern miteinander. Der Wein tat sein übriges um die romantische Stimmung noch zu untermauern. Nach einiger Zeit aber war es April leid, alleine auf der Couch zu sitzen. Sie klopfte Fireball zu sich: „Warum setzt du dich nicht zu mir, Turbofreak?“

Die Antwort war denkbar einfach, zumindest für Fireball. Denn April war doch überrascht, als sie seine Stimme hörte: „Ich habe Angst, dass ich dich küsse, wenn ich dir so nahe bin!“

Sein schelmisches Lächeln und die spitzbübisch blitzenden Augen unterstrichen seine Worte zusätzlich. April konnte mit einem Mal sehen, welche Gefühle der Rennfahrer für sie hegte. Plötzlich waren sie so klar, so eindeutig. Auf Ramrod hatte er sich nie so klar ausgedrückt und auch seine Körpersprache hatte nichts in der Richtung vermuten lassen.

April glaubte, Fireball könnte ihr Herz schlagen hören. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und hörte auf ihre innere Stimme und das Lied, das leise im Hintergrund lief:
 

Don’t

Don’t close your heart to how you feel

Dream

Don’t be afraid the dream’s not real

Close your eyes

Pretend it’s just the two of us again

Make believe

This moment’s here to stay
 

Sie spürte Fireballs Hand auf ihrer ruhen und öffnete die Augen, er war aufgestanden und saß nun auf dem Boden vor ihr. Er lächelte sie an, mit so viel Wärme und Zuneigung wie nie zuvor. Sachte senkte sie den Kopf zu seinem hinab und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Danach hauchte sie: „Jetzt hab ich dich geküsst, weil deine Nähe so unglaublich ist.“

Zärtlich umschloss Fireball April und zog sie ganz nahe an sich. Er wollte sie nicht loslassen, nie wieder. Er setzte gerade zu einem „April, ich...“ an, da machte sich sein ComGerät bemerkbar...
 

Bebend rang April nach Luft und eine dicke Träne stahl sich davon. Sie schlang die Arme um die angezogenen Beine und schluchzte. Erst jetzt verstand April, was Fireball ihr damals sagen wollte, als sein Com Alarm geschlagen hatte. Tagelang hatte sich April damals zuhause verschanzt und verzweifelt auf einen Anruf von ihm gewartet. Nach einigen Tagen hatten Saber und Colt dann angerufen, um zu fragen, ob auf Wolke Sieben noch Platz wäre. Als sie damals in Aprils verheultes Gesicht gesehen hatten, war ihnen schlagartig klar geworden, was passiert war.

April verfluchte ihre Torheit, Fireball damals nicht geglaubt zu haben, als sie sich auf dem Ball wieder getroffen hatten. Da hatte er ihr mit schmerzerfüllten Blick gesagt, was er am letzten Abend schon sagen wollte und sie hatte ihm kein einziges Wort geglaubt! All die Liebe, die sie nach wie vor für ihn empfand, war im Laufe der Zeit unter all dem Kummer und all den Sorgen begraben worden. Es schien, als wären diese Gefühle kaum noch am Leben, aber jedes Mal, wenn sie ein Lebenszeichen von sich gaben, fügten sie ihr unendliche Schmerzen zu.

Fireball hatte nach seinem Unfall keinerlei Vertrauen zu einem anderen Menschen gehabt, und nun, da er sich wenigstens ein wenig geöffnet hatte, enttäuschte April ihn aufs Neue. Aber sie konnte nicht anders handeln. Sie konnte nicht bei ihm bleiben! April hatte lange mit sich gerungen, aber war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht bleiben konnte. Sie kannte weder die Sprache noch die Schrift in diesem Land, hatte keine Arbeit und keine Freunde dort. Schlicht und ergreifend hatte sie den Mut nicht aufgebracht, dieses Wagnis für eine Beziehung einzugehen, die irgendwo in den Sternen stand.

Aber nun, da sie wieder zuhause, in ihren eigenen vier Wänden war, schämte sich April unendlich, ihn alleine gelassen zu haben. Sie hatte noch seine Worte in den Ohren, wie er sie unter der Eiche angefleht hatte, bei ihm zu bleiben. Und sie doofe Nuss hatte es ihm auch noch versprochen!

das Ende?

Hi, ich schon wieder! Wie gesagt, meine Muse macht grad fleißig überstunden und dass muss ich euch genießen lassen *g* Viel Spaß
 

Abermals vergingen Tage in denen April das Haus nicht verließ und auch nicht in der Stimmung für Gesellschaft war. Sie verkroch sich, saß stundenlang auf der Couch und hörte immer wieder ein und das selbe Lied. Fireball hatte damals in seiner Eile einfach alles stehen und liegen gelassen: das angefangene Glas Wein, den Rest seiner Einkäufe, den er bei April zwischengelagert hatte und die CD. Mit der Zeit hatte April vergessen, dass sie da war, dass sie nicht ihr gehörte. Erst als sie aus Japan wieder gekommen war, hatte sie daran gedacht, sich daran erinnert. Nun grübelte sie, was diese CD eigentlich damals schon für eine Aussagekraft hatte. Alle Lieder, ohne Ausnahme, waren ruhig und langsam, manche hatten sogar einen melancholischen Ton. Niemand, der Fireball aus früheren Zeiten kannte, würde glauben, dass diese CD wirklich von ihm war. Sie war das genaue Gegenteil seines offensichtlichen Charakters, den alle immer als fröhlich, gut gelaunt und energiegeladen beschreiben würden.

Am späten Nachmittag riss jemand April aus ihren Gedanken. Fast schon gereizt, weil April weder jemanden sprechen noch sehen wollte, öffnete sie die Tür und erstarrte augenblicklich. Vor ihr stand Chris, mit einem freundlichen Lächeln. Ohne ein „Hallo!“ oder Ähnlichem ging er an April vorbei direkt ins Wohnzimmer. Schweigend setzte er sich auf die Couch und wartete, bis April ihm gefolgt war. Als diese sich endlich setzte und ihn fragend ansah, verschwand sein Lächeln und der Gesichtsausdruck wurde verärgert. Chris’ grüne Augen verengten sich zu zwei Schlitzen, die sie anfunkelten. Seine Stirn runzelte sich bedenklich und April konnte sich schon vorstellen, was jetzt folgte. Mit ihrem unschuldigsten Blick wartete sie auf ihre Anklage.

Und Chris begann schließlich mit einem sehr ernsten Tonfall in der Stimme: „Weshalb gehst du nicht ans Telefon, April? Seit wir wieder zurück sind, hab ich bestimmt hundert mal versucht, dich zu erreichen! ...Mensch, Baby, ich mach mir Sorgen um dich und dass du dich nicht meldest, lässt meine Sorgen nicht gerade verschwinden!“

Zum Schluss hin hatte Chris eher Sorgenfalten auf der Stirn als verärgerte. April konnte sehen, dass er sich wirklich Sorgen um sie gemacht hatte. Allerdings stand sie ohne zu antworten auf und ging in die Küche. Sie hatte keine Lust, Chris schon wieder vorzuheulen, wie schäbig und auch einsam sie sich fühlte. Ab und zu hatte April ein furchtbar schlechtes Gewissen Chris gegenüber. Für sie machte es manchmal den Eindruck, dass sie Chris nur ausnutzte, er eine Art Schulter zum Anlehnen für sie war. Aber eigentlich war er inzwischen viel mehr als der Freund von Fireball, der nach dessen Unfall alles daran gesetzt hatte, in April Verständnis für Fireball zu erwecken. Mittlerweile war er nämlich genauso ein guter Freund wie Colt oder Saber. Er hatte sich perfekt in das eingespielte Team integriert, er hatte Fireballs Lücke mehr als nur ausgefüllt.

Allerdings würde er die Freunde bald wieder verlassen. Die Saison, die er wegen Fireball ausgesetzt hatte, war zu Ende, in einigen Tagen oder Wochen würde sich Chris wieder dem Rennzirkus anschließen und zum Autotesten nach New Wichita aufbrechen. April wollte nicht, dass auch Chris wieder seiner Wege ging, doch sie konnte ihm nicht verbieten, wieder Rennen zu fahren. Abgesehen davon würde sie es ihm auch nie verbieten versuchen. Er war ihr Freund, nicht ihr Lebensgefährte!

Der Rennfahrer schlich hinter April her und setzte sich schließlich auf die Anrichte. Er beobachtete, wie April für ihn und sich selbst etwas zu trinken machte. Immer noch schwieg sie und versuchte, Chris aus dem Weg zu gehen. Es schien ihm, als würde April was auf der Seele brennen, aber sie es ihm nicht anvertrauen wollen. Er konnte sich vorstellen, was ihr die Seele zerfraß. Schließlich hatte auch er Angaben bei Tomoei machen müssen und sicherlich waren die Fragen des Kommandanten sehr ähnlich gewesen. Wenn es April auch nur ein bisschen so ging wie ihm, dann mussten Zweifel an April nagen. Zweifel, ob die Aussagen reichen würden. Zweifel darüber, ob Fireball all das heil überstehen würde, wenn er tatsächlich angeklagt werden sollte.

Als April ihm ein Glas Orangensaft in die Hand drückte, hielt er sie kurzerhand am Arm fest und blickte in ihre tiefblauen Augen, den Spiegel ihrer Seele. Chris erschrak und wäre beinahe nach hinten gekippt. Aprils Ausdruck war schon lange Zeit nicht mehr so schlimm gewesen wie in diesem Moment. Unweigerlich festigte er seinen Griff um Aprils Arm. Er forderte sie auf: „Rede mit mir!“

April versuchte sich loszureißen, doch Chris’ Hand wich keinen Millimeter von ihr ab. So senkte sie ergeben und unsicher den Blick: „Ich will dich nicht damit belasten, Chris.“

Fast sauer stellte Chris das Glas neben sich auf die Anrichte. Er zog April in seine Arme und flüsterte liebevoll: „Du belastest mich, wenn du nicht mit mir redest. Baby, bitte fang du jetzt nicht auch mit dem Blödsinn an. Matchbox hätte es beinahe das Leben gekostet, ich will dich nicht verlieren!“

Zum ersten Mal hatte April Fireballs Kosenamen von Chris gehört. Und als sie an ihn dachte, flammte wieder diese Traurigkeit und das unsagbar schlechte Gewissen in April auf. Ihr schossen die Tränen in die Augen und sie klammerte sich an Chris: „Was bin ich bloß für eine Freundin, Chris? Ich hab ihm versprochen zu bleiben und bin trotzdem wieder nachhause gefahren. Ich hab ihn im Stich gelassen!“

Ohne April loszulassen, rutschte Chris von der Anrichte herunter. Er stand vor ihr, hielt sie beschützend im Arm und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. Instinktiv gab er April das Gefühl nicht allein zu sein. Er trocknete ihre Tränen und beruhigte sie: „Sch... April, ich denke, Fireball weiß genau, dass du nicht bei ihm bleiben konntest. Mach dir deswegen keine Gedanken. Er meldet sich schon, wenn er dich braucht, glaub mir.“

Langsam beruhigte sich April wieder. Sie genoss die Nähe und die Wärme, die ihr Chris schenkte. Manchmal dachte sie, sie würde es zu sehr genießen. Chris gab April das Gefühl, ihr könnte nichts passieren und ihr müsste nichts peinlich sein. Deshalb ließ sie sich in seine Arme sinken, lehnte ihren Kopf an seine Brust und wurde langsam wieder ruhiger. Nach einigen Minuten des Schweigens begann April Chris von ihrem letzten gemeinsamen Abend mit Fireball zu erzählen. Sie erzählte es zum ersten Mal, es fühlte sich irgendwie komisch an, es weder Colt noch Saber oder Robin und Synthia erzählt zu haben.

Chris setzte sich mit April ins Wohnzimmer, dort ließ sich besser reden. Er hörte ihr aufmerksam zu und bekam neue Einblicke in die Beziehungswirren von April und Fireball. Deshalb also war es dem Japaner so schwer gefallen, April zurückzulassen. April lehnte immer noch an ihm und suchte seine Nähe, es half ihr unheimlich.

„...Fireball ist aufgestanden und hat sich nicht einmal von mir verabschiedet. Er ist gegangen und nicht wieder gekommen,“ April seufzte leise bei den letzten Worten. Es tat ihr immer noch weh, keine Frage, aber mittlerweile konnte sich April mehr und mehr Reime machen.

Chris hingegen musste erkennen, dass Fireball auch ihm Theater vorgespielt hatte. Auch, wenn er von Aprils Dad erzählt hatte und man deutlich merken konnte, dass es ihm nicht gut ging, so hatte er mit keiner Silbe erwähnt, wie schlecht er sich wegen der letzten Nacht mit April fühlen musste.

Der Rennfahrer zog April unweigerlich noch näher zu sich: „Das müssen harte fünfzehn Monate für dich gewesen sein, Süße.“

April schüttelte traurig den Kopf: „Ich fürchte, die fünfzehn Monate waren nur halb so schlimm, wie das, was danach gekommen ist. Chris, wärst du nicht da gewesen, ich weiß nicht, wo ich dann wäre.“

„Aber ich bin da gewesen, April. Und nur das zählt. ...Langsam solltest du mich schon kennen.“ Er lächelte April kraftspendend und auch ein bisschen zweideutig an. Ja, man könnte sagen, sie beide hätten sich gesucht und gefunden, wenn da nicht etwas zwischen ihnen stünde. Chris fühlte sich zur Blondine hingezogen, mit jedem Moment mehr und er verfluchte es. Aber April war so ein hinreißendes Geschöpf, fast ein engelsgleiches Wesen, wie Chris fand. Und manchmal fragte er sich, ob nicht auch wenigstens ein paar Gefühle auch von April zurückkamen.

April lehnte sich zurück und lächelte ebenfalls: „Das stimmt. ...Ich hab solche Angst, Chris,“ platzte es plötzlich aus der Blondine heraus.

Völlig verdattert starrte Chris Fireballs ehemalige Kollegin an. Er wusste nicht recht, wovon sie sprach: „Wovor hast du denn Angst?“

Ihre Stimme war nur ein Hauchen, aber Chris konnte ihre Antwort deutlich verstehen: „Ich hab Angst davor, wieder ganz alleine zu sein. Wenn du gehst, wenn du dich wieder dem Rennzirkus anschließt, dann bin ich wieder alleine. Ich hab Angst davor, dass du vielleicht gehst, und nie wieder kommst, so wie Fireball.“

Erschüttert von diesen Worten nahm Chris April abermals in den Arm und nun konnte er seine Gefühle nicht mehr im Zaum halten. Er drückte April einen Kuss auf die Lippen und flüsterte: „Ich werde dich nicht allein lassen, April. Niemals.“

Völlig überrumpelt von Chris’ Berührung schreckte April zurück. Sie war so verwirrt, dass sie gar nicht auf seine Worte geachtet hatte. Als sie sich von Chris abstieß, kippte sie eines der halbvollen Gläser auf dem Tisch um. Das war zuviel für die Blondine, es war so unerwartet gekommen, sie wusste nicht einmal, wie sie darauf reagieren sollte. Als das Glas klirrend auf dem Boden zerschellte und sich dessen Inhalt über den Tisch und den ahornfarbenen Parkettboden ergoss, sprang April mit Tränen in den Augen auf und erhob die Stimme: „Oh mein Gott!“

Da war sie auch schon barfuss und ohne Schlüssel aus ihrem eigenen Appartement gestürmt.
 

Chris hatte nicht die Zeit zu reagieren, April zurückzuhalten, ihr Aufbruch war unerwartet für ihn gekommen. Eher hatte er damit gerechnet, dass April ihm die selbe Zuneigung entgegen brachte. Er biss sich auf die Unterlippe und bereute augenblicklich April geküsst zu haben. Ihr Herz gehörte doch längst einem anderen, weshalb hatte er sich überhaupt eingebildet, es für sich gewinnen zu können? Wahrscheinlich lag es daran, dass April sein Herz im Sturm erobert hatte. Als er das blonde Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte, wie sie da stand, mit Tränen in den Augen und dem verzweifelten Ton in der Stimme, da war es für Chris bereits zu spät gewesen. Solange Fireball in der Nähe war, hatte Chris es immer im Hinterkopf, doch seit Fireball Milliarden Kilometer weit weg war und sich auch nicht sonderlich oft meldete, geriet die mahnende Stimme in Chris ins Vergessen. Ja, er hatte seinem Freund versprochen, auf April aufzupassen und für sie da zu sein, aber das war so unheimlich schwierig, wenn sich dabei Gefühle entwickelten.

Kopfschüttelnd dachte der Rennfahrer an einen alten Liebesfilm, in dem sich der Bodyguard in seine Klientin verliebte. Ungefähr so fühlte sich Chris und dieser Gedanke rang ihm ein kleines Lächeln ab. Er als Bodyguard. So hatte er die Sache noch nie betrachtet! Allerdings war hinter April nicht ein Verrückter her, sondern einer seiner besten Freunde, der immer noch unter dem Erlebten litt.

Etwas frustriert entschied sich Chris dafür, April entscheiden zu lassen und abzuwarten. Sie würde die richtige Entscheidung für sich treffen, da war er sich ganz sicher. Mit einem leisen Seufzen stand er auf, umrundete die Sauerei auf dem Boden und holte etwas zum Aufräumen aus der Küche. Er würde hier auf April warten, wie sollte sie sonst wieder in ihre Wohnung kommen, wenn sie nicht mal einen Schlüssel mithatte. Chris kannte den Hausbrauch bei April nun schon lange genug um zu wissen, wo er was fand. Er wischte den Orangensaft provisorisch von Tisch und Boden, achtete sorgsam darauf, dass er sich keinen Splitter in die Hand jagte und machte anschließend die Tiefenreinigung.

Er würde auf April warten, und wenn es ihn den Kopf kosten würde. Chris wollte Klarheit über seine und Aprils weitere Beziehung zueinander. Sie sollte ihm sagen, was sie von ihm wollte. Er würde sich danach richten und sich dementsprechend verhalten. Denn eines wollte Chris garantiert nicht: Ohne April leben!
 

‚Warum tut er das nur? Ich hab doch schon genug mit Fireball zu kämpfen, weshalb halst er mir das jetzt auch noch auf?,’ Heulend lief April durch Yumas Straßen und achtete weder auf den Verkehr noch auf die Menschen um sie herum. Alles schien ihr über den Kopf zu wachsen, sie hatte keine Kontrolle mehr über ihre Gefühle oder über das, was um sie herum passierte. Krampfhaft wünschte sich April wieder ins Teenageralter zurück, sie wünschte sich die Tage, an denen sie an Ramrod gebastelt hatte und ihre einzige Sorge war, mit wem sie am Samstagabend ausging. Damals war das Leben so viel einfacher gewesen, ihre Gefühle waren ihr nicht im Weg gestanden und niemand hatte von ihr verlangt, tapfer und stark zu sein. April wusste weder vor noch zurück. Sie verfluchte sich, Chris überhaupt die Tür aufgemacht zu haben, aber seine Nähe fühlte sich einfach so unverschämt gut an und es war genau das gewesen, was April im Moment gebraucht hatte. Aber es war nicht fair. Es war Fireball gegenüber nicht fair, das wusste April.

Tief in ihrem Unterbewusstsein regte sich allerdings schon geraume Zeit die Frage, wie realistisch es war, mit Fireball eine Beziehung aufbauen zu können. Durch Chris’ Kuss war diese Frage in ihr Bewusstsein katapultiert worden und malträtierte sie nun schon seit dem Kuss. Wie realistisch war es wirklich? Wenn man ehrlich zu sich selbst war, sank die Chance immer mehr gegen null, das musste sich April eingestehen. Fireball war meilenweit weg, und ihm stand nicht einmal der Sinn danach, sie regelmäßig anzurufen. Sie hörte so gut wie gar nichts von ihm, genauer gesagt hatte sie seit ihrer Abreise aus Japan keinen Ton mehr von ihm vernommen. Langsam stieg das Gefühl in April hoch, dass Fireball nie wieder zu ihr nach Yuma kommen würde. Auch nicht, wenn er es vielleicht gesagt hatte. Er war so weit weg, kümmerte sich nicht um sie, wo sie ihn doch wie die Luft zum Atmen brauchte!

Aber Chris tat es. Er war hier, kümmerte sich um sie, machte sich Sorgen, stand immer mit Rat und Tat zur Seite. Still ertrug er ihre Attacken, bei denen sie vor lauter Wut und Zorn wegen Fireball ausrastete. Chris tröstete sie, fragte nie nach dem Grund ihrer Tränen sondern suchte einen Grund, ihre Tränen versiegen zu lassen. Chris war so anders als Fireball. Und er war da, hier bei ihr!
 

„April!,“ plötzlich legte sich eine Hand auf Aprils Schulter. Verdattert sah sie auf, nur um sich vor dem Hauptquartier zu finden. Wie war sie hierher gekommen? Offenbar hatte sie instinktiv den Weg eingeschlagen, den sie ohnehin fast täglich ging. Perplex blickte sie an dem fremden Arm entlang Richtung Körper. Und vom Körper aus schweifte ihr Blick zum Gesicht hinauf. Erschrocken wich sie daraufhin einige Schritte zurück. Sie hatte ihn schon Wochen nicht mehr gesehen, und wenn, dann hatte sie ihn angefahren und ihn abgewimmelt.

Aprils Vater stand vor ihr, er wirkte Jahre älter als noch beim letzten gemeinsamen Aufeinandertreffen, es musste ihm sehr zusetzen, den Kontakt zu ihr verloren zu haben. Commander Eagle verstärkte sanft den Druck auf Aprils Schulter und fragte sie ruhig: „Was ist mit dir passiert, April?“

Ihm war nicht entgangen, dass seine Tochter total verheult und ohne Schuhe vor ihm stand, er war zwar nicht mehr der Jüngste, aber seine Augen und sein Verstand arbeiteten noch ohne zu murren. Aprils Aufzug konnte nur eines bedeuten: Der vergeratene Sohn von Shinji Hikari steckte dahinter!

Für den Bruchteil einer Sekunde verfinsterte sich Commander Eagles Blick, ehe er seine volle Aufmerksamkeit seiner Tochter widmete, die zitternd vor ihm stand und immer noch mit den Tränen kämpfte.

April war so mit anderen Dingen beschäftigt, dass sie darauf vergaß, wie sauer sie auf ihren Vater eigentlich war. Immerhin war er genau im richtigen Moment aufgetaucht und er machte sich offensichtlich Sorgen um sie. Er handelte immer noch wie ihr Vater, auch wenn er Fehler gemacht hatte!

„Daddy!,“ haltsuchend klammerte sich April an ihren Vater. Ein Bild, das in den letzten Monaten einen enormen Seltenheitswert hatte. Seit Fireball nämlich auf Yuma aufgetaucht war und all diese unangenehmen Details an die Oberfläche gesickert waren, hatte sich April vehement geweigert, ihren Vater auch nur anzusehen.

Schweigend nahm Charles sein Kind in die Arme und brachte sie zu sich nach Hause. Er machte ihr Tee und brachte ihr etwas zum Anziehen, schließlich war der Abend über Yuma hereingebrochen, und sie hatte nicht einmal Socken an. Er wartete, bis sich April beruhigt hatte, sie wieder einen halbwegs klaren Kopf hatte und belästigte sie nicht mit Fragen oder Vorwürfen, obwohl er ihr am liebsten gesagt hatte, wie töricht sie war. Hätte sie doch nur einmal auf ihren alten Herren gehört, wäre ihr all dieses Leid erspart geblieben. Sie wäre mit jemanden wie Saber oder Leutnant O’Neill glücklich geworden.

Der Commander war froh, April wieder bei sich zu haben, es war einsam gewesen, ohne seine Tochter, die ihn früher immer wieder gerne besucht hatte. April tat ihm leid. Er hätte den Kontakt zu Fireball viel früher unterbinden sollen, dann wäre nie so ein Malheur daraus entstanden. April war vor dem Yuma Ball vor einem guten Jahr doch schon so gut wie über Fireball hinweg und dann das! Am liebsten würde Charles den Jungen vor eine Wand zur Hinrichtung stellen.
 

Spät abends schlich April erst bei ihrer eigenen Haustüre herein. Sie hatte Stunden bei ihrem Vater zugebracht, sie hatten sich angeschwiegen und kurz über alltägliche Dinge gesprochen. Nun war sie hundemüde und hoffte, Chris hätte ihre Haustür nicht verschlossen. Doch zu ihrer Überraschung sprang die Tür ohne Widerstand auf und sie konnte eintreten.

Im Wohnzimmer brannte Licht! April fragte sich, weshalb in ihrem Wohnzimmer Licht brannte, wo sie doch gar nicht zuhause gewesen war. Schnellen Schrittes sprang sie in Richtung der Couch und musste bei dem Anblick, der sich ihr von dieser Perspektive aus bot, das Lachen unterdrücken. Er hatte tatsächlich hier auf sie gewartet.

Alle schlechten oder beißenden Gefühle waren verschwunden, sie machten einem wohligen Gefühl Platz, das sich rapide in April ausbreitete. Weshalb hatte sie es nicht schon früher bemerkt? Chris würde immer auf sie aufpassen, sie behandeln, wie sie es verdient hatte. Freudig und mit einem strahlenden Lächeln setzte sich April auf den Boden vor der Couch. Sie streichelte Chris die dunkelbraunen Haare aus der Stirn und flüsterte: „Schläfst du gut auf meiner Couch?“

Mit einem warmen Lächeln im Gesicht schlug der Rennfahrer die Augen auf und murmelte: „Das ist das Mindeste, was ich tun konnte, April,“ er setzte sich auf und wartete, bis sich April neben ihn gesetzt hatte. Dann nahm er eine ihre Hände und sah sie fragend an: „Geht es dir besser?“

Still, aber mit gewissen Schwung fiel April ihrem Gefährten um den Hals: „Endlich, ja!“

Als sie Chris auf der Couch vorgefunden hatte, war alles von ihr abgefallen. Sie fühlte sich wie neugeboren, die schweren Stunden und nervenaufreibenden Geschehnisse waren plötzlich in weite Ferne gerückt. Fireball war in weite Ferne gerückt. Im Moment wollte sie nur einen bei sich haben, und der saß neben ihr auf der Couch. Sie war Chris unendlich dankbar dafür, dass er ihr die Augen geöffnet hatte. Sie hatte eingesehen, dass es vergebene Liebesmühe war, an einem Mann festzuhalten, der mit sich selbst nicht im Reinen war.

April wusste, dass Chris nicht gehen würde, sie nicht alleine lassen würde, wenn sie ihn brauchte. Und das Gefühl, das er ihr mit seiner Anwesenheit vermittelte, tat so gut. In dieser Nacht würde Chris nicht mehr zu sich in sein Appartement gehen, denn April hatte andere Pläne.

unfreiwillige Entdeckungen

Hi! Ich wünsche einen schönen Wochenstart und hab ein bisschen was zum Entspannen für euch. Langsam aber sicher nähert sich Teil 2 dem Ende. *g*
 

„April?“

Erst nach mehrmaligen Rufen und Klopfen wurde April wach. Sie fand sich in Chris’ Armen, die sie schützend umschlossen. Zuerst dachte sie, sie hätte nur geträumt, doch irgend jemand rief tatsächlich ihren Namen. Völlig schlaftrunken stapfte April ins Vorhaus und öffnete mit kleinen Augen die Haustür. Sie murmelte: „Ja, bitte?,“ und gähnte dabei verstohlen.

Ihr Gegenüber konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Das Bild, das sich ihm bot, war einfach zu herrlich. Kichernd blickte er an April hinab und zog sie auf: „Ich wusste ja gar nicht, dass die neue Uniform für Frauen so zwanglos ist.“

Saber atmete ein paar Mal tief durch, um sich wieder zu beruhigen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Erst, als April ihm einen durchbohrenden Blick zuwarf, verwandelte sich auch Sabers Mine wieder zur Üblichen. Das Lächeln verschwand und machte seinem undurchdringbaren Gesichtszügen Platz. Besonnen, nachdem er April noch einmal genau in Augenschein genommen hatte, hakte er nach: „Ich gehe stark davon aus, dass du den Termin mit deinem Vater vergessen hast.“

April versuchte die Uhr zu entziffern und als sie die Uhrzeit abgelesen hatte, entfuhr ihr ein herzhaftes Fluchen: „Scheiße! Wir kommen zu spät!“

Mit wehenden Haaren stürmte April ins Schlafzimmer zurück um sich schnell die Uniform anzuziehen. Den Termin mit ihrem Vater hatte sie bei all dem Trouble der letzten Tage total vergessen. Der Termin stand schon Wochen fest und sowohl April als auch Saber hatten keine rechte Freude damit, aber es war ihre Pflicht. Sie waren die einzigen verbliebenen Star Sheriffs im Kavallary Oberkommando und alle Belange, die Ramrod betrafen, mussten sie zwangsläufig mit Commander Eagle abklären. Obwohl Saber inzwischen als Ausbilder fungierte, hatte der Commander es außer Zweifel gelassen, den Schotten auch weiterhin als befehlshabenden Offizier der Einheit Ramrod an Board zu haben, so wie seine Tochter für den großen Cowboy verantwortlich bleiben würde. Auch, wenn nun schon fast zwei Jahre Frieden herrschte, so wollte das Kavallary Oberkommando gerüstet sein, und deshalb war April mit der Weiterentwicklung von Ramrod betraut worden. Das Ergebnis sollten Saber und sie heute in genau fünfzehn Minuten dem Commander und einigen Offizieren präsentieren.

April unterwarf sich einer sporadischen Katzenwäsche, sie putzte sich nur schnell die Zähne und versuchte, ihre Haarpracht unter Kontrolle zu bekommen. Weil letzteres aber nicht gelingen wollte, steckte April die blonde Mähne kurzerhand hoch. Nach nicht einmal fünf Minuten war sie quasi vorzeigbar.
 

Lächelnd stöberte Saber in der Zwischenzeit in Aprils Wohnung herum. Seit ihrer Ankunft hatten sie sich nicht gesehen und so wie es schien, ging es April wesentlich besser. Saber hatte den Eindruck, April hätte der Aufenthalt in Japan gut getan. Wäre das nicht der Fall, hätte sich April bestimmt bei Robin oder Synthia gemeldet. Die Freunde waren überein gekommen, den Commander nichts von der Anzeige wissen zu lassen, er würde es ohnehin früh genug erfahren.

Saber war immer wieder erstaunt darüber, wie gut alle sich verstanden, jeder war für den anderen da. Er wusste, dass so eine Gemeinschaft keine Selbstverständlichkeit war. Aber er hätte sich nie träumen lassen, dass Robin sowie Synthia und auch Chris die selbe Auffassung vertraten und ohne Wenn und Aber für jeden der vier da waren. Immerhin gab es genug Fälle, wo die Freundin oder auch die Frau die besten Freunde auseinandergebracht hatte.

Aprils Wohnung hatte sich nicht großartig verändert, seit sie hier eingezogen war. Alles stand noch am selben Platz, nur ein paar Accessoires und allerhand Fotos waren dazu gekommen. Saber schlenderte den Flur entlang, blinzelte das ein oder andere Foto an und konnte sich manchmal ein verlegenes Lächeln nicht verkneifen. Sein Gesichtsausdruck änderte sich allerdings schlagartig, als er am Schlafzimmer vorbeikam. Saber war bestimmt niemand, der jemanden bewusst auf den Schlips treten würde, oder das Leben anderer bekritteln würde, aber als er Chris in Aprils Bett liegen sah, war sein Lächeln blitzschnell verschwunden. Mit gesenktem Blick wandte er sich schnellstens ab und verschwand ins Wohnzimmer. Da Saber von April wusste, dass sie sich nie mit jemanden nur für eine Nacht einlassen würde, stieg in Saber unweigerlich ein mieses Gefühl auf. Es musste bedeuten, dass April und Chris schon länger daran waren, eine Beziehung aufzubauen. Und irgendwie störte es Saber ungeheuer. Er fragte sich, ob Fireball davon wusste und was der davon wohl hielt.

Doch ehe er den Gedanken weiterspinnen konnte, hakte sich April bei ihm ein und zog ihn aus der Haustür: „Komm schon, Säbelschwinger! Zu spät zu kommen können wir uns nicht leisten.“

Mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht, ließ sich Saber aus der Wohnung zerren, aber nicht, ohne einen trockenen Kommentar abzugeben: „Hättest du dir einen Wecker gestellt, Süße, wären wir schon fast beim zweiten Frühstück.“
 

Die beiden Star Sheriffs führten Commander Eagle und drei weitere hochrangige Offiziere durch den modifizierten Friedenswächter. April hatte die meisten Veränderungen selbst vorgenommen, es war eine willkommene Abwechslung gewesen und hatte sie von ihren Problemen abgelenkt. Selbst Saber sah erst an diesem Tag alle Verbesserungen. Die Blondine erklärte den Männern alles wissenswerte und vergewisserte sich, dass ihr alle aufmerksam folgten.

Die Offiziere und Commander Eagle waren ganz bei der Sache, doch Saber schweifte immer wieder mit den Gedanken ab. Ohne es zu merken, war er vor dem Gemeinschaftsraum stehen geblieben. Den hatte April nicht verändert. Er öffnete die Tür und sah sich drinnen um. Ziemlich alles stand an seinem Platz, nur dass alles glänzte und geputzt war. Kein Geschirr stand in der Spüle und angebrauchte Gläser waren auch nirgends zu sehen. Saber war zum ersten Mal seit der letzten Schlacht wieder auf Ramrod und es erfüllte ihn mit Wehmut. Still wünschte er sich immer noch mit Ramrod und den anderen dreien durch das Universum zu gondeln und die Welt vor dem Bösen zu beschützen. Aber wenn er es genauer überdachte, hatten sie genug böses vor der eigenen Haustür und Saber war nicht im Stande gewesen, es zu erkennen und seine Teammitglieder davor zu beschützen. Sauer über sich selbst ballte der Blondschopf die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf. Nie wieder sollte es so weit kommen.

April führte die kleine Delegation von der Kommandobrücke zu den Unterkünften und erklärte: „Auf Ramrod I und auch II war Platz Mangelware, das haben vor allem die Jungs zu spüren bekommen. Deshalb habe ich Ramrod III im Rahmen der Möglichkeiten vergrößert. Jedes Teammitglied hat jetzt sein eigenes Quartier, in das er sich bei Bedarf zurückziehen kann...“

Die Blondine öffnete jedes Quartier und ließ es inspizieren. Ins vorletzte schickte sie Saber als ersten: „Das hier ist dein neues Reich, Saber.“

Den Schotten überkam ein leichter Schauer und verblüfft wandte er sich an April: „Wow! Ist groß geworden, findest du nicht?“

Die Offiziere nickten anerkennend und wollten auch das vierte Zimmer in Augenschein nehmen. Allerdings zögerte April bei diesem Quartier. Sie ließ alle anderen vorher eintreten und sich umsehen. Sie selbst blieb vor der Tür stehen und klammerte sich an ihren Notizblock.

Saber fiel als erstes auf, wie unpersönlich dieses Quartier war. In den anderen dreien hatte man sofort bemerkt, für wen es bestimmt war. Das erste war in zarten Pastellfarben gehalten, hatte einen femininen Touch, war also Aprils neues Zuhause. Das zweite war wesentlich rustikaler aber auch gemütlich. Offensichtlich war es für Colt bestimmt gewesen. Sabers Zimmer beherbergte jetzt schon viele Bücher und besaß einen großen Schreibtisch. April hatte an alles gedacht. Aber das letzte Zimmer? Es besaß keinerlei persönliche Note. Das Quartier hatte ein Bett, einen Stuhl und einen Schreibtisch. Ansonsten war es leer und Saber wunderte sich plötzlich, weshalb nicht ein einziger persönlicher Gegenstand von Fireball auf Ramrod erhalten geblieben war.

Nach einer kurzen Runde hatte Saber das Zimmer bereits wieder verlassen und ließ die restliche Führung über sich ergehen. April hatte wirklich alles daran gesetzt, Fireball aus ihrem Leben zu streichen und das hatte sie konsequent umgesetzt, wie Saber feststellte. April schien bereit für ein neues Leben ohne den Japaner zu sein, während Saber mit sich selbst rang. Er sträubte sich strikt dagegen, Fireball aus seinem Leben zu streichen und so zu tun, als wäre nie etwas vorgefallen. Nein, das ließ Sabers Ehrgefühl gar nicht erst zu.
 

Nach dem Rundgang setzten sich die Offiziere mit April und Saber noch in der Kantine zusammen. Sie besprachen allerhand Details zur Finanzierung und der restlichen Ausstattung. Bei zukünftigen Friedensmissionen sollte Ramrod, wenn die Outrider nicht mehr auftauchten, zu Demonstrationszwecken dienen und den Menschen zeigen, was sie gerettet hatte. Nach einem kleinen Mittagessen verschwand April als erstes mit ihrem Vater. Die beiden hätten noch einige Dinge zusammen zu erledigen. Mit gemischten Gefühlen sah Saber dem ungleichen Gespann hinterher. Was war nur nach Japan passiert? Oder vielmehr drängte sich die Frage auf, was war in Tokio bloß vorgefalle?. Saber wimmelte die anderen Offiziere kurzerhand ab und verschwand für den restlichen Tag aus dem Hauptquartier. In ihm hatte sich ein derart schlechtes Gefühl breit gemacht, mit dem er sich nicht alleine quälen wollte. Er musste mit jemanden darüber sprechen, aber dieser jemand sollten nicht April oder seine über alles geliebte Frau sein. Synthia hatte selbst genug Probleme, da musste er sie nicht noch zusätzlich beunruhigen. Ohne es begründen zu können, wusste Saber, dass bald wieder unerfreuliche Hindernisse vor den Star Sheriffs standen und er fragte sich ernsthaft, wie sie diese überwinden sollten. Die Gemeinschaft, über die er sich noch vor einigen Stunden so gefreut hatte, schien langsam aber sicher auseinander zu bröckeln. Aber gerade für diese Art von Problemen, die auf sie zurollen würde, brauchten sie sich als Freunde, nicht als Bekannte!
 

Saber war zu Colt gefahren, seinem einzigen Anhaltspunkt in dieser Situation. So sachlich wie möglich hatte er dem Cowboy von seinen Beobachtungen erzählt, doch manchmal rutschten selbst ihm Bemerkungen raus, die nicht angemessen waren.

Colt schmetterte stinksauer den Bierdeckel ins Grüne und sprang auf. Er hatte es sich mit dem Säbelschwinger auf der Terrasse bei einem kühlen Blonden gemütlich gemacht, und dessen Ausführungen gelauscht. Nun explodierte er schier und war kurz davor, in seinen Bronco zu springen und jemanden zu Brei zu verarbeiten. Er fluchte lauthals: „Ich bring ihn um! Was denkt der Kerl sich eigentlich?! Wartet einfach nur den richtigen Zeitpunkt ab und dann krallt er sich die kleine April! Ich würg ihn wie einen Truthahn, wenn ich ihn erwische! Der kann was erleben. Ich klatsche ihn solange gegen die Wand, bis er seinen Verstand wieder einschaltet! Diese miese Schlange!“

„Colt!,“ Saber wollte Colt von seiner Palme so schnell wie möglich wieder runterholen, doch dieser ereiferte sich immer noch wegen April und Chris. Weil Colt nicht damit aufhören wollte und inzwischen auch ein oder zwei Nachbarn über den Gartenzaun spähten, zog der Schotte ihn kurzerhand am Hemdärmel zu sich herunter und zischte: „Colt! Setz dich auf deine vier Buchstaben und hör mir zu!,“ erwartungsvoll beobachtete er den Kuhhirten, der sich tatsächlich wieder setzte und fuhr fort: „Gut so. Chris ist sicherlich nicht unschuldig bei der Sache, aber in letzter Instanz ist es Aprils Entscheidung, wen sie zu sich ins Bett lässt.“

Ungewöhnlich rasch hatte Colt verstanden, was Saber damit sagen wollte. Und deshalb lenkte er seine gesamte Energie nun auf die Blondine. Mit einem Zug leerte er die halbe Bierflasche und ließ sich nach hinten sacken. Er war maßlos enttäuscht von April, hatte er doch das kleine Stell-dich-Ein mit Fireball im Krankenhauspark beobachtet. Ihm schnürte sich die Kehle bei dem Gedanken zu, wie sich der Japaner fühlen musste, wenn er von den Bettgeschichten mit Chris erfuhr. Zuerst machte sie ihm Hoffnungen und dann schoss sie ihm in den Rücken! Colt hatte das Gefühl, April spielte mit gezinkten Karten. Für ihn stank die Angelegenheit zum Himmel. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte in die Ferne, als er Saber wütend erzählte: „In Japan küsst sie Fire und schwört, dass sie ihn nicht mehr verlässt und jetzt vergnügt sie sich mit dem Casanova für Arme! ...Herrgott noch mal, wenn sie so weitermacht, bringt sie ihn um!“

Und der letzte Satz von Colt war genauso gemeint, wie er ihn ausgesprochen hatte. Auch wenn es Fireball nie zugeben würde, so wusste der Cowboy doch zu hundert Prozent, weshalb der Japaner damals den Baum anvisiert hatte. Er war mit Absicht dagegen gefahren, das wussten inzwischen alle. Aber die genauen Beweggründe, weshalb er nicht mehr weiterleben wollte, hatte er niemanden anvertraut. Colt allerdings konnte sich ziemlich einen Reim auf den Unfall machen. Es war nicht wegen Commander Eagle oder der Standpauke seiner Freunde gewesen, das hätte Fireball ertragen. Der Kuhhirte wusste, was Fireball nicht verwunden hatte: April.

Saber war sprachlos. Colt war zwar immer etwas lauter und das Mundwerk saß generell locker bei dem Scharfschützen, aber solche Worte kamen selbst Colt nicht allzu oft über die Lippen. Schweigend saßen die beiden Männer nun auf der kleinen Bank und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Colt hatte immer wieder mal ein Auge auf seine kleine Tochter, die er in die Schaukel gesetzt hatte, während Saber sich in den unendlichen Weiten seiner Bierflasche zu verlieren schien. Der Schotte starrte in die kleine Öffnung der braunen Flasche, als könnte er dort alle Lösungen und Antworten auf seine Probleme finden. Er wusste einfach nicht, was er nur tun sollte. April hatte abgeschlossen, sie ging wieder ihr gewohntes Leben. Sogar mit ihrem Vater verstand sie sich wieder. Saber fragte sich, ob alle Anstrengungen der letzten Wochen und Monate umsonst gewesen waren. Es schien dem Schotten, als würde er sich in dieser veränderten Welt nicht mehr zurecht finden. Auf Ramrod war er immer derjenige mit dem kühlen Kopf gewesen, der immer gewusst hatte, was zu tun war. Doch jetzt, da der Frieden eine langanhaltende Wirklichkeit geworden war, sah sich Saber außer Stande, vermutlich ganz alltägliche Probleme lösen zu können. Frustriert schüttelte er den Kopf. Nein, alltäglich waren diese Probleme, die sie momentan hatten, bestimmt nicht! Oder war es etwa alltäglich, dass ein liebestoller Junge von seinem zukünftigen Schwiegervater wegen Vergewaltigung angezeigt wurde? Saber rieb sich müde die Augen und stellte seine Bierflasche mit einigem Schwung auf dem Tisch vor sich ab. Er atmete schwer aus und fragte Colt: „Denkst du, April hat ihn aufgegeben?“

Überrascht kippte Colt seine Bierflasche um, die er nach der ersten Schrecksekunde aber schon wieder aufgestellt hatte. Obwohl er reaktionsschnell gehandelt hatte, hatte sich eine erhebliche Menge Bier vom Acker gemacht. Blinzend wandte er sich Saber zu, dessen Gesichtausdruck er beim besten Willen nicht deuten konnte. Colt überlegte lange, ehe er eine Antwort gab. Er hatte keine Ahnung, was Saber mit dieser Frage bezwecken wollte. Wollte der Schotte sehen, inwieweit er seinen Hombre auch schon aufgegeben hatte oder wollte er hören, dass alles wieder gut wurde? Der Kuhhirte verließ sich auf seinen Instinkt, der hatte ihn noch nie betrogen. Er hatte ihn zwar manchmal in schwierige Situationen gebracht, aber auch die Wahrheit ans Licht befördert. Peinlich darauf bedacht, nicht allzu viel Angriffsfläche für den Schotten zu bieten, zog Colt seinen braunen Hut tiefer ins Gesicht und faltete anschließend die Hände. Er senkte seinen Blick und murmelte: „Ja, ich denke, April hat Fireball zu Grabe getragen. Sie hat alles, was sie mit ihm verbindet zu Grabe getragen.“

Der blonde Mann nickte nur niedergeschlagen. Also hatte auch Colt den selben Eindruck. Nun konnte er ihm auch erzählen, was sich auf Ramrod zugetragen hatte. Saber kippte sich den Rest des Hopfengetränkes hinunter und schilderte Colt, was auf dem Friedenswächter von Fireball übrig geblieben war. Er vergaß auch nicht zu erwähnen, dass April danach lächelnd mit ihrem Vater verschwunden war.

Obwohl es ein wunderschöner Sommertag hier auf Yuma war, senkte sich die Stimmung immer mehr gegen den Tiefpunkt. Die Sonne half nicht im geringsten dabei, wenigstens etwas Positives an Aprils Verhalten zu finden. Seine keine Ahnung, was die letzten Tage passiert war, fest stand nur, dass sich Aprils Charakter um hundertachtzig Grad gedreht hatte. Sie war wie verändert, vermutlich hing es mit der Aussage zusammen, die sie bei Tomoei zu Protokoll gegeben hatte. Die beiden Männer warteten gemeinsam auf Robins Heimkehr, die für gewöhnlich am späten Nachmittag aus der Schule kam, ehe sich Saber auf den Heimweg machte. Er wollte Synthia nicht zu lange warten lassen.

Wer grillt hier was?

So, meinereiner lebt auch noch. Es geht wieder weiter, ein paar Zeilen hab ich noch für euch, ehe auch "Thunder" abgeschlossen ist.
 

Nach endlosen vier Wochen setzte Fireball endlich wieder einen Fuß ins Freie. Seiner Entlassung aus dem Krankenhaus waren stundenlange Diskussionen vorausgegangen, die doch alle nur zum selben Ergebnis geführt hatten. Dr. Shirota hatte dem Rennfahrer strikt verboten, einen Revers oder Ähnliches zu unterschreiben und somit frühzeitig die Obhut von Fachleuten zu verlassen. Die Rückschläge, die er immer wieder hinnehmen musste, hatten Dr. Shirota nur in seinem Glauben bestärkt, den Heißsporn noch länger unter Beobachtung zu halten. Es gab Tage, da kam Fireball vor Schmerzen kaum aus dem Bett, einen Schritt allein zu gehen, davon war an diesen Tagen keine Rede. Immer wieder musste Dr. Shirota den Jungen auf andere Medikamente einstellen, weil nicht alle die gewünschte Wirkung erzielten, oder aber die Nebenwirkungen zu stark waren. Und wie schon beim letzten Aufenthalt in einem japanischen Krankenhaus war Fireball sich selbst der größte Feind. Seine Mutter und auch Dr. Shirota spürten, wie sehr sich Fireball selbst unter Druck setzte. Doch eine rasche Genesung konnte er nicht erzwingen, so sehr er sich auch anstrengte.

Grummelnd ging Fireball hinter seiner Mutter her, die seine Tasche trug. Er war deshalb so schlecht gelaunt, weil der erste Weg vom Krankenhaus direkt zu Dr. Shirota in die Praxis führte und Fireball absolut keinen Arzt mehr riechen oder sehen konnte. Er wollte keine Ratschläge mehr hören, keine Untersuchungen mehr über sich ergehen lassen müssen. Doch Hiromi kannte kein Erbarmen mit ihrem Sohn. Da musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Wenn er doch nur wieder selbst fahren könnte, dann hätte er seine Mutter nicht dabei gehabt und hätte sich vor dem Termin bei Dr. Shirota drücken können.

Dr. Shirota empfing Fireball bereits am Eingang seiner Praxis und führte ihn in die Ordination. Hiromi sollte draußen auf ihn warten. Als der Arzt die Tür zu seiner Ordination hinter sich schloss, wies er Fireball an, sich zu setzen: „Setz dich ruhig, es wird etwas länger dauern, Shinji.“

Mit einigem Unbehagen nahm Fireball den ihm angebotenen Platz an. Er fragte sich, was ihm sein Hausarzt in der Klinik nicht erzählen konnte, es hier aber durchaus vermochte. Er kannte seinen Hausarzt nun schon, seit er ein kleiner Junge gewesen war und mittlerweile wusste er auch von den Eigenheiten seines Arztes. So unterhielt sich dieser mit seinen Patienten ab einem gewissen Alter lieber allein und wenn möglich, nicht im Krankenhaus, in dem er seit Jahrzehnten arbeitete, vor allem dann, wenn das, was er zu sagen hatte, negativ behaftet war.

Mit einem aufgesetzten Lächeln lehnte Fireball die Krücken, die seit der Operation sein ständiger Begleiter waren, gegen die Tischkante und wandte sich seinem Arzt zu: „Was ist es, was Sie mir im Krankenhaus nicht sagen konnten, Dr. Shirota?“

„Ich möchte mit dir über das hier sprechen,“ Dr. Shirota legte eine dicke Akte auf den Tisch vor Fireball und setzte sich kurz darauf dem jungen Rennfahrer gegenüber. Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Fireball eingehend. Abschätzend wartete er auf eine eventuelle Antwort des jungen Hikari, aber dieser ließ sich bitten. Fireball machte keine Anstalten auch nur „Pieps“ zu sagen. Also schlug Dr. Shirota die erste Seite auf und reichte Fireball ein Röntgenbild: „Das Bild kennst du noch, Shinji. Es ist deine Schulter direkt nach dem Einschuss. Der ganz weiße Fleck ist die Kugel, die in deiner Schulter gesteckt hat.“

Mit einem nichtssagenden Blick legte Fireball das Röntgenbild zurück auf den Tisch. Bedächtig faltete er die Hände und lehnte sich in den Stuhl zurück, ehe er in einem säuerlichen Ton antwortete. Fireball wusste genau, was gleich kommen würde und dafür hatte er absolut keine Nerven mehr. Dr. Shirota würde ihm lang und ausführlich erklären, dass er bei diesem Lebenswandel nicht alt werden würde. Aber wer wollte das schon, wenn er in Fireballs Haut steckte? Also antwortete er: „Wollen wir nicht gleich bei den Kinderkrankheiten starten, Dr. Shirota? Wir wissen beide, wie schrecklich meine Schulter aussieht, schließlich haben Sie mir die Kugel rausgeholt.“

Dr. Shirota zeigte sich allerdings nicht sonderlich beeindruckt von Fireballs Sarkasmus. Unbeirrt blätterte er in der Akte weiter und warf ihm ein weiteres Röntgenbild über den Tisch. Er ließ Fireball einige Momente Zeit, das Bild eingehend zu studieren, in dieser Zeit verstaute er das erste wieder in der Akte.

Mit einem triumphierenden Lächeln erkannte der Arzt, dass Fireball dieses Bild völlig fremd war. Beinahe überheblich, weil er sich diebisch über diesen kleinen Sieg freute, erklärte er dem jungen Hikari: „Das hier scheint dir fremd zu sein, Shinji. ...Ich vermute, in Yuma weiht man seine Patienten nicht gerne in die Diagnose und die weitere Behandlung ein. Es zeigt ebenfalls deine Schulter. Abgesehen davon, dass deine Haltung alles andere als gesund auf diesem Röntgen ist, ist deutlich zu sehen, wie das Schulterblatt, das durch die Kugel schon abgesplittert war, angebrochen ist. Und wie ist es behandelt worden, Shinji?“

Schulter angebrochen? Fireball konnte Dr. Shirota nicht folgen, oder er wollte es nicht. Er war sich nicht klar darüber, was ihm sein Hausarzt damit sagen wollte. Alles, was er genau verstanden hatte, war, dass Dr. Shirota auf etwas ganz Bestimmtes hinaus wollte. Aber Fireball hatte keine Lust auf diese Spielchen, er hatte ja nicht einmal eine Ahnung davon, von welchem Zeitraum das Röntgenbild war. Ohne seinem Arzt zu antworten griff sich Fireball seine Krücken und stand auf. Er verabschiedete sich störrisch: „Ich hab keine Zeit für so einen Schwachsinn, Dr. Shirota. Meine Krankengeschichte kenne ich selbst am besten, das muss ich nicht mit Ihnen durch besprechen.“

Mit so einer Reaktion hatte Dr. Shirota nicht gerechnet. Der junge Hikari war früher bei weitem nicht so unnahbar und undurchdringbar gewesen. Auch er stand auf und umrundete mit einem Satz den Schreibtisch, der zwischen ihm und seinem Patienten stand. Behände nahm er ihm die Krücken ab und drückte den Heißsporn auf seinen Stuhl zurück. Um nicht noch einmal so eine Distanz überwinden zu müssen, blieb Dr. Shirota nun neben Fireball stehen und lehnte sich an die Tischkante. Er stellte die Krücken wieder zurück und legte die Hände in den Schoß. Mit Wehmut versuchte er ein weiteres Mal, Fireball zum Zuhören zu bewegen. Diesmal aber wählte er den direkten Weg: „Versteh mich bitte nicht falsch, Shinji. Diese Akte da könnte von einem siebzig jährigen stammen,“ er deutete auf das dicke Krankenblatt auf dem Tisch: „Es sind nicht nur Röntgenbilder, wie diese, sondern auch Diagnosen und Behandlungen, die mich stutzig machen. Niemand auf Yuma scheint sich um den leibliches Wohlergehen gekümmert zu haben. Krankenhausaufenthalte während deiner Zeit als Star Sheriff habe ich nur einen gefunden und der hat keine drei Tage gedauert. Immer wieder finde ich darin Kürzel, die einem Revers ähneln. Alles, selbst Brüche, ist nur medikamentös behandelt worden. Keine Schienen, kein Gips. Gar nichts!“

Darum ging es dem alten Mann also! Fireball sank in seinem Stuhl zusammen und musste erkennen, dass er Dr. Shirota nicht entkommen konnte. Fadenscheinige Argumentationen würden ihm in dieser Situation genauso wenig weiter helfen, wie bloßes Schulterzucken. Fireball kannte seine Krankenakte nicht gut genug, um Dr. Shirota ins Gesicht zu lügen und ihm irgendeinen Grund zu nennen. Wohl oder übel musste er sitzen bleiben und sich die Predigt zumindest anhören. Obwohl Fireball nicht verstand, was es helfen sollte, immerhin waren seine Verletzungen auch so verheilt.

Unangenehmes Schweigen breitete sich über die Ordination aus. Fireball leitete seinen Blick an Dr. Shirota vorbei, Richtung Fenster. Er wartete auf die unausweichliche Belehrung seines Arztes, die mit Sicherheit kommen würde. Ob früher oder später, war dahin gestellt, aber er würde sich noch einiges anhören müssen.

Plötzlich durchzuckte Fireball ein Gedanke wie ein Blitz. Erschrocken richtete sich der Rennfahrer in seinem Stuhl auf und schnappte nach Luft. Er japste: „Meine Mutter! Kennt sie die Akte?“

Dr. Shirota konnte die Gedankengänge seines Patienten gerade nicht nachvollziehen. Was war der Grund für die plötzliche Unruhe und was hatte Misses Hikari mit Fireballs Krankenakte zu schaffen? Doch ziemlich verunsichert von dieser Zwischenfrage, die gar nichts mit seinen vorigen Worten zu tun hatte, zog der weißhaarige Mann die Augenbrauen hoch. Er rümpfte die Nase: „Ich bezweifle, dass irgendjemand hier diese Akte kennt, Shinji. Wie gesagt, ich habe Monate gebraucht, bis ich endlich alle Krankenblätter erhalten hatte. Dein ehemaliger Arbeitgeber rückt generell nicht gerne Informationen heraus.“

„Was erwarten Sie, der ganze Verein bewegt sich verdächtig in der Grauzone zwischen legal und illegal,“ Fireball lächelte zum ersten Mal seit er das Sprechzimmer von Dr. Shirota betreten hatte. Wenn selbst sein Hausarzt keine Informationen vom Kavallary Oberkommando erhielt, würden wohl Presse und seine Mutter auch nicht daran kommen. Seit Monaten hatte er keinen Journalisten mehr erblickt, was ihn nicht unbedingt störte. Er war sehr froh, dem Rummel um seine Person nach dem Unfall entkommen zu sein. Ab und zu wunderte es ihn, wie gut er in Yuma von der Presse abgeschottet worden war. Hier in Japan brauchte ihm niemand die Journalisten vom Leib halten, es waren sowieso keine an seiner Geschichte interessiert.

In Gedanken lobte er die Politik des Kavallary Oberkommando sogar ein wenig. Er kannte keine andere Organisation, die eine Informationspolitik so konsequent verfolgte, wie dieser Verein von Soldaten. Er hätte bei einer Mission sterben können, und die vom KOK hätten seiner Mutter nicht einmal bescheid gegeben! So, wie damals bei seinem Vater.

Dr. Shirota schmunzelte über die Aussage seines Patienten: „Die haben wohl einiges zu verbergen in Yuma.“

„Darauf können Sie Gift nehmen, Dr. Shirota,“ Fireball angelte sich einen Kugelschreiber, der auf dem Tisch lag, und begann damit zu spielen. Er musste mit seinen Händen einfach was anfangen, seine Energien in irgendeine Richtung lenken, sonst würde er sich noch versucht fühlen, Dr. Shirota mehr als nötig zu erzählen.

Der weißhaarige Mann rutschte etwas näher an Fireball heran und neigte den Kopf zur Tischplatte, auf der die Akte immer noch aufgeschlagen lag: „Um noch einmal zum Thema zu kommen, junger Hikari. Weshalb wurdest du nicht stationär in Krankenhäusern behandelt?“

Fireball drehte den Kugelschreiber zwischen seinen Fingern hindurch und ließ sich zurück sacken: „Ich war Teil eines Teams, das quasi die Geheimwaffe des KOKs war, Krankenstand war nicht drin, so einfach ist das, Dr. Shirota.“

Der alte Mann verstand den Sinn und Zweck einer solchen Vorgehensweise überhaupt nicht. Wie konnte man an der Gesundheit einer so wichtigen Einheit sparen und welcher Arzt unterstützte diese Einstellung auch noch? Aber sein Patient schien diese Ansichten durchaus zu verstehen, was ihn gleich noch wütender machte. Dr. Shirota musste es schließlich dabei belassen und nahm Fireball das Versprechen ab, in Zukunft besser auf sich Acht zu geben.
 

Die ruhigen Sommertage auf Yuma endeten meistens in einem kleinen Gewitter, das sich nach einer Stunde Platzregen wieder verkrümelte und der Himmel sich wieder klärte. Nach einem solchen Gewitter roch es in den Gärten von Yuma außergewöhnlich frisch und die Luft war wie gewaschen.

Die Familie Wilcox hatte zum Grillabend geladen. Kurzerhand wurden sie von einem Gewitter nach drinnen gescheucht. Doch noch vor Sonnenuntergang stand einem gemütlichen Abend im Freien nichts mehr im Wege. Colt hatte seinen Freunden keine Wahl gelassen. Es gab nur Steak und Salate fürs leibliche Wohl. Aber niemand hatte sich beschwert oder seinen Einkaufszettel auf etwas anderes abgestimmt. Also ließen sie Colt und Saber am Grill basteln, während sich Robin und April an den Salaten vergriffen.

Synthia saß mit der kleinen Jessica auf dem Arm auf der Bank auf der Terrasse und unterhielt sich mit Chris. Dieser linste immer wieder mal in die Küche, um April erspähen zu können. Seit er mit dem blonden Star Sheriff was angefangen hatte, hatte er das Gefühl, alle würden ihn am liebsten mit ihren Blicken töten. Deshalb war er froh, April mit zwei Schüsseln Salat endlich wieder aus der Küche kommen zu sehen.

Die Blondine ließ sich neben Chris nieder und lächelte ihn warmherzig an. Sie schien niemanden in der Runde zu vermissen. Kaum hatte sie sich gesetzt, schnappte sie sich ihr Besteck und stieß die Gabel in den grünen Salat. Sie schob sich die volle Gabel in den Mund und schmatzte vergnügt: „Mmh, lecker!“

„Wirklich?,“ auch Synthia lehnte sich nach vor und kostete die Vitaminbombe. Anerkennend nickte sie April und auch Robin zu, nachdem sie den Bissen hinuntergeschluckt hatte: „Salate könnt ihr zwei ja schon sehr gut anrichten. ...Kann man nur hoffen, dass die beiden Helden da drüben nichts anbrennen lassen.“

Ihr Blick schweifte zu Colt und ihrem Mann, die die Köpfe über dem roten Kugelgrill zusammengesteckt hatten. Undeutlich konnte man erkennen, wie die beiden Männer mit der Kohle und den Anzündern hantierten und sich doch kein Feuerchen entzünden ließ. Auch die anderen hatten ihre Aufmerksamkeit vom Salat auf die beiden Freunde am Grill gerichtet. Langsam drehte April ihren Kopf wieder zu Chris und klopfte ihm sachte auf den Oberschenkel: „Bitte hilf den beiden, Chris.“

Seufzend erhob sich Chris daraufhin und nahm seine Bierflasche in die Hand: „Retten das Neue Grenzland vor den Outridern mit einer Technologie, die kein Mensch versteht, und können nicht mal einen einfachen Kohlegrill anzünden. ...Mann fasst es nicht.“

Mit einem schiefen Grinsen und kopfschüttelnd kam Chris auf Saber und Colt zu. Ein paar Minuten sah er ihnen über die Schulter, bis er begriff, was das Problem war. Die beiden versuchten gar nicht ernsthaft ein Feuer zu entzünden! Gespielt schüchtern räusperte sich der Neuankömmling am Grill und tippte Colt auf die Schulter: „Hkm, Verzeihung, wenn ich störe. Aber so, wie ihr das macht, wird das nie was.“

Mit einem vielsagenden Lächeln drehte sich Saber zu Chris um: „Das wissen wir, Chris. ...Wir wollen nur mal fünf Minuten unsere Ruhe vor den werten Damen da drüben haben.“

Mit einem Schlag war Chris’ Lächeln von seinen Lippen verschwunden, er wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte.

Das Problem nahm ihm allerdings Colt in Windeseile ab. Denn dieser hielt ihm ein Streichholz unter die Nase und grinste: „Und wir würden gern mal deine Zeit in Anspruch nehmen.“

„Warum ausgerechnet meine Zeit?,“ Chris wollte sich schon wieder umdrehen, denn er konnte ahnen, weshalb sie ihm die Zeit stehlen wollten. Aber aus seinem Fluchtplan wurde nichts, Saber hielt ihn sanft aber bestimmt an der Schulter fest.

Der Schotte trat näher an Chris heran und flüsterte: „Wir zwei gehen erst Mal frische Kohlen holen.“

Lächelnd und mit erhobenen Händen wandte sich der Blondschopf an die Damen: „Mädels, es kann sich nur noch um Stunden handeln. ...Chris und ich gehen schnell neue Kohle holen, die alte brennt nicht mehr richtig.“

Mit gehörigem Unbehagen folgte der Rennfahrer Saber. Er hatte absolut keine Lust auf eine Predigt oder eventuelle Morddrohungen. Chris sah auch so, wie unangenehm die Situation war, seit er mit April zusammen war. Aber was sollte er machen? Er hatte sich in die Blondine verguckt und diese erwiderte seine Zuneigung. Ohne großartig viel darüber nachdenken zu müssen, wusste Chris automatisch, wie es für die anderen aussah. Sie fühlten sich diesbezüglich sehr unwohl in ihrer Haut, die Treffen zwischen ihnen wurden immer spärlicher. Unruhig beobachtete Chris die Bewegungen des Schotten. Hoffentlich machte er ihm nun keine Vorwürfe.
 

Kurz nach Saber und Chris verließ auch Colt die Mädchen. Er grinste in ihre Richtung und deutete zum Wohnzimmer hinüber: „Ich geh schnell schauen, ob ich noch irgendwo Anzünder finde!“

Ohne auf eine Antwort zu warten, war der Cowboy schon im Haus verschwunden. Die Aktion wollte er sich nicht entgehen lassen, außerdem empfand er es als seine persönliche Pflicht, seinen Senf zu der Debatte zu geben.

Auf flinken Füßen stiefelte Colt durchs Haus und entdeckte die abgängigen zwei im Flur. Saber lehnte mit dem Rücken an der Wand vom Durchgang, während Chris mit verschränkten Armen mitten im Raum stand. Der Gesichtsausdruck des Schotten sprach Bände. Colt ahnte, was in Saber vor sich ging und nahm ihm deswegen gleich das Reden ab.

Barsch und für Colts Verhältnisse extrem ernst fiel er mit der Tür ins Haus: „Was zum Henker reitet dich?!“

Der Cowboy blieb direkt vor Chris stehen und blitzte ihn an. Die Spannung war förmlich zu spüren und Chris wurde heiß und kalt gleichzeitig. Ihm war nicht wohl bei der Sache, gleich zwei erfahrene Star Sheriffs vor sich zu haben, die auch noch beide nicht gut auf ihn zu sprechen waren.

Der Rennfahrer verlagerte sein Gewicht auf ein Bein und konterte lachend: „Eigentlich müsste es heißen, was ich reite, wenn du schon so blöd fragen musst, Colt!“

Der Schuss war nach hinten losgegangen. Colt lief plötzlich dunkelrot an und ihm quollen die Halsschlagadern hervor. Schnaubend hatte er schon ausgeholt und verteufelte Chris. Doch bevor er zuschlagen konnte, hielt Saber ihn zurück.

Eine Handbewegung und ein strafender Blick von Saber genügten. Colt würde Chris nicht mehr das Genick brechen wollen, aber er war immer noch rot und die Adern traten nach wie vor heraus. Er pöbelte Chris an: „Du hast verdammtes Glück, dass der Säbelschwinger hier nicht auf Gewalt steht, sonst würdest du dir die Radieschen längst von unten anschauen!“

Colt empfand in diesem Moment tiefste Abneigung gegen den ansonsten eigentlich lieb gewonnenen Freund. Wie konnte dieser Vollidiot es wagen, sich auch noch derart lustig über diese Sache zu machen? Er konnte es nicht mit ansehen. April wandte sich zunehmend von ihren alten Freunden ab, von Matchbox brauchte man gar nicht erst zu reden. Und dieser Heini vor ihm tat auch noch so, als würde er nur irgendein Mädchen aus der Box flachlegen. Wenn der Rennfahrer nicht vorsichtig war, kam Colt bald alles hoch.

Auch Saber war nicht glücklich über Chris’ Worte. Er hing einfach viel zu sehr an April als liebe Freundin, als dass er es zulassen könnte, dass so ein Rennfahrer ihre momentane Gefühlslage ausnutzen könnte. Er wollte sich bestimmt nicht einmischen, doch wollte er zumindest eine Warnung an Chris adressieren: „Chris. Versteh mich bitte nicht falsch und nimm Colt nicht allzu ernst. Es geht hier ganz allein um Aprils Wohlergehen. Sie hat ein schlechtes Jahr hinter sich bringen müssen. Wir wollen einfach nicht, dass du sie abschleppst und dann wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Das würde sie nicht verkraften.“

„Aber er darf sie alleine lassen!,“ plötzlich stinksauer und wütend brüllte Chris sein Gegenüber an. April hatte die letzten Wochen viel mit ihm gesprochen, hatte ihm viel erzählt, was er von Fireball nicht gehört hatte. Und das fiel ihm gerade wieder ein. Fireball durfte April Hoffnungen machen, sie einfach sitzen lassen und ihr nicht nur einmal das Herz brechen. Aber er sollte gefälligst die Füße stillhalten?! Für Chris fügte sich in diesem Moment ein Puzzlestück nach dem anderen zusammen. Es war den beiden vor ihm völlig egal, was April wollte. Die beiden wollten nur eines sicher wissen: dass sich April für Fireball aufsparte, falls diesem irgendwann in ferner Zukunft doch mal einfiel, dass er sie ganz gern mochte! Aber nicht mit ihm! Da spielte Chris nicht mit. Er hatte nicht vor, April gehen zu lassen, oder ihr weh zu tun.

„Ihr beide habt doch einen Knall! Ihr wollt doch bloß nicht, dass April ohne Fireball ihr Glück findet!“

Der Rennfahrer begann sich zu ereifern und ihm rutschten allerhand Dinge raus, die er besser nicht gesagt hätte. Mittlerweile war er so laut geworden, dass seine Stimme bis auf die Terrasse hinausdrang und die Mädels auf den Streit zwischen den Männern aufmerksam wurden. Sie versammelten sich mucksmäuschenstill im Wohnzimmer und lauschten den Ausführungen des ehemaligen Teamgefährten.

„...Verdammt noch mal! Ihr könnt mir nicht erzählen, dass ihr ernsthaft glaubt, der Japaner würde irgendwann wieder einen Fuß auf Yuma setzen! Der hat mit euch genauso abgeschlossen, wie mit seinem früheren Leben als Star Sheriff. Wäre diese Anzeige nicht gewesen, wäre der Kontakt schleichend abgebrochen und er hätte sich irgendwann überhaupt nicht mehr bei euch gerührt! Fireball geht’s sehr gut in Tokio und der verschwendet sicherlich keinen Gedanken daran, wie es euch allen hier geht!“

„Du hast ja gar keine Ahnung!,“ Colts Faust rammte mit voller Wucht an Chris vorbei und hinter diesem an die Wand. Der Cowboy wollte nicht glauben, was Chris da in die Welt hinausschrie. Er glaubte es einfach nicht. Sein Hombre würde sie nie vergessen! Mittlerweile war der Kuhhirte so zornig und sauer auf den Rennfahrer, dass er ihm die Pest an den Hals wünschte und ihn am liebsten an Fireballs Stelle gesetzt hätte. Der billige Abklatsch hatte doch keine Ahnung, was mit Fireball los war!

Auch Saber verzog bei diesen Anschuldigungen das Gesicht. Allerdings kam ansonsten keine Reaktion darauf. Der Schotte fuhr unbeirrt darin fort, Chris lediglich darauf hinzuweisen, wie er sich zu verhalten hatte: „Tu uns einfach den Gefallen und denk in erster Linie an April und dann an deinen Spaß, Chris.“

Saber fühlte sich irgendwie hundeelend, wenn er Chris so reden hörte. Er hatte plötzlich keine Ahnung mehr, was wahr und was gelogen war. Zuviel war die letzten Monate vorgefallen und wie Saber fand, wurde alles immer noch verwirrender. Und eben weil er nicht noch mehr Verwirrung stiften wollte, war er auf die Anschuldigungen, Fireball würde sich einen Dreck um sie alle hier auf Yuma kümmern, nicht eingegangen.

Aber dafür mischte sich nun jemand ganz anderer in die Diskussion ein. Nämlich Robin. Was Chris gerade von sich gegeben hatte, war für Robins Geschmack zuviel des Guten gewesen. Die junge Lehrerin hatte die letzten Monate genug Zeit, um über all diese Geschehnisse nachzudenken, zumindest hatten sie sie lange genug wach im Bett gehalten und war dadurch zum Nachdenken gezwungen worden. Auf Robins Wangen zeichneten sich leichte rote Flecken ab und nicht nur der Cowboy, sondern auch Saber und Synthia wussten, was das zu bedeuten hatte. Robin kochte vor Wut. Die Blondine hatte die Hände in den Rock gekrallt und war erhobenen Hauptes auf Chris zumarschiert. Als Colt seine Liebste kommen gesehen hatte, war er unweigerlich einige Schritte zur Seite gegangen. Das letzte Mal hatte er diesen Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen, als sie ihm vorgehalten hatte, welch schlechter Freund er war.

Robin stand direkt vor Chris und sah zu ihm hinauf. Sie streckte den Zeigefinger aus und öffnete den Mund. Doch anstelle eines Wortschwalls entwich nur ein lautes Ausprusten der Luft. Robin ließ den Zeigefinger und den Arm wieder sinken und schüttelte energisch den Kopf: „Es hat keinen Sinn, jemanden wie dir zu erklären, was Freundschaft bedeutet.“

Das fasste Chris als offene Anfeindung gegen seine Person auf. Er giftete die Lehrerin unbeherrscht an: „Ich weiß sehr genau, was Freundschaft ist, Robin! Freundschaft bedeutet, immer für einen da zu sein. Und ihr dürftet keine guten Freunde gewesen sein! Sonst hättet ihr eher was unternommen, als Fireball sich verkrümelt hat und ihr hättet eher versucht, an der beschissenen Situation was zu ändern. Aber das habt ihr nicht! Ihr alle habt als Freunde kläglich versagt! Und ihr seid gerade im Begriff es wieder zu tun, aber dieses Mal bei April! ...Es ist ganz alleine ihre und meine Angelegenheit, was wir wann und wie miteinander machen. Ihr Heuchler solltet euch freuen, dass sie ihr Leben endlich wieder in die Hand nimmt und nicht auf einen Traumprinzen wartet, der in Wirklichkeit ein Frosch ist!“

„Wow wow, halt den Ball schön flach und pass auf, was du sagst,“ beschützend war Colt zwischen seine Frau und Chris getreten, der sich bedrohlich vor ihr aufgebaut hatte. Der Cowboy zitterte schon vor Wut. Es war eine ausgesprochene Frechheit, was Chris sich jetzt leistete. Ohne auf Robin zu achten, schob er sie nach hinten, weg von Chris, von dem im Moment eine echte Gefahr für die Frau auszugehen schien. Was bildete sich der Junge überhaupt ein, so einen gequirlten Blödsinn von sich zu geben?

Doch Robin ließ sich nicht zur Seite schubsen. Energisch und voller Selbstbewusstsein drängte sie sich vor Colt. Sie nahm seine Hand und drückte sie. Sie wollte ihrem Mann zeigen, dass sie vor Chris keine Angst hatte und sich gut gegen ihn zur Wehr setzen konnte. Denn Robin spielte ihren Trumpf aus: „Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, Chris. Du kannst von mir aus über uns hier behaupten, was du willst, aber wage es nicht, über jemanden herzuziehen, der nicht anwesend ist. Hast du eine Ahnung, was Fireball in seinem Leben schon durchgemacht hat?“

Verzweifelt schob sich nun auch Synthia mitten in den Tumult. Sie hatte Robins und Colts Tochter noch immer auf dem Arm und rieb sich mit der rechten Hand die Schläfen. Sie konnte all das nicht mehr mit ansehen. Sie waren doch alle Freunde, weshalb feindeten sie sich nun so an? Synthia blickte zwischen den Fronten hin und her und passte den richtigen Augenblick ab. Sie ging beschwichtigend dazwischen: „Bitte hört auf damit! Es hat doch keinen Sinn uns hier die Köpfe einzuschlagen,“ sie nahm Robin freundschaftlich am Arm: „Robin, lass gut sein. Es nützt nichts.“

Aber auf die Meinung der hübschen Kindergärtnerin hielt man in dieser Situation nicht allzu viel. Robin wischte mit einer wirschen Handbewegung Synthias Hand von ihrer und sie blitzte zornig in Chris grüne Augen. So einfach würde er nicht davon kommen. Er wollte Streit haben, den sollte er auch bekommen! Niemand in diesem Raum hier sollte einem der drei, April, Colt oder Saber, vorhalten, was für schlechte Freunde sie waren!
 

Schweigend beobachtete Saber, was sich vor ihm abspielte. Was war nur plötzlich in sie alle gefahren? Hatte er diesen Streit angezettelt? Als sein Blick durch den Raum schweifte, bemerkte der Schotte Aprils Fehlen. Die junge Ingenieurin hatte noch kein Wort zu den Vorwürfen und Anschuldigungen gesagt und wie Saber nun bemerkte, konnte sie das mangels Anwesenheit auch nicht machen.

Der blonde Recke entschied sich, April suchen zu gehen. Weit konnte sie ja nicht gegangen sein. Er fand sie schließlich in Chris’ Wagen auf dem Beifahrersitz. Saber konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten, er wusste auch nicht, was sie von dieser Unterhaltung alles gehört hatte. Aber was er mit Sicherheit sagen konnte war die Tatsache, dass April nicht weinte. Diese Begebenheit empfand Saber schon als sehr positiv, immerhin bedeutete es, dass es April nicht all zu sehr belastete. Vorsichtig umrundete er das Auto, klopfte und stieg auf der Fahrerseite ein. Saber setzte sich hinter das Steuer des Wagens und musterte das Sportcoupè. Der Innenraum war bis ins kleinste Detail durchdacht, die Armaturen glänzten in Chrom, die Beleuchtung derselbigen war rot. Abschätzend legte Saber die Hände auf das Lenkrad und fragte sich unweigerlich, was man für so einen Wagen hinblättern musste, wenn man ihn sein Eigen nennen wollte. Mit dem Zeigefinger fuhr Saber die Konturen der Marke, die auf der Lenkradmitte eingestanzt waren, nach. Es war dieselbe Automarke, die Fireball gefahren hatte, bevor er diesen Unfall hatte. In dem Augenblick, wo ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen war, schüttelte er den Kopf. Er war schon selten dämlich. Natürlich fuhr Chris die selbe Automarke, wie Fireball, die beiden waren ja Teamkollegen gewesen!

Aprils Augen verfolgten jede Bewegung des Säbelschwingers. Es wirkte seltsam, Saber auf dem Fahrersitz eines Sportwagens zu erleben. Aber das Bild hatte durchaus auch was Amüsantes. Ohne zu sprechen, löste April ihre Arme und hantierte am Radio. Sie suchte nach einem Sender, oder zumindest dem Knopf für den CD-Player. Ganz so leise sollte es auch nicht sein, wenn Saber und sie sich schon anschwiegen. April war froh darüber, dass dieses Schweigen nicht von dieser unangenehmen Kälte begleitet wurde, die oftmals entstand, wenn man sich nichts mehr zu sagen hatte. Sie war gespannt, ob ihr alter Vorgesetzter von selbst zu reden begann, oder ob sie ihn dazu auffordern musste. An Sabers niedergeschlagenen Augen konnte April erkennen, wie schlecht sich der Recke wegen dem Streit, der im Haus der Wilcox’ wohl noch voll im Gange war, fühlte. Aber April konnte sich nicht vorstellen, dass Saber den Streit angefangen haben sollte. Nein, viel eher waren es Colt oder Chris gewesen. Die beiden waren manchmal solche Kindsköpfe!

„Den Grillabend können wir uns wohl in die Haare schmieren,“ Sabers Augen blickten April entschuldigend von unten herauf an. Die Blondine wusste, dass diese Worte eigentlich eine Entschuldigung für das Verhalten der anderen war.

Milde lächelnd schüttelte April den Kopf und blickte anschließend in den Abend hinaus. Sie stützte den Kopf auf den rechten Arm und murmelte: „Irgendwann musste es ja soweit kommen.“

„Wie meinst du das?,“ erschrocken richtete sich Saber im Fahrersitz auf. Seine rechte Hand schnellte zu Aprils hinüber, sie sollte spüren, dass jemand da war.

Doch diese wirkte ganz gefasst. Saber erkannte, womit sich die blonde Frau die letzten Wochen seit ihrer Ankunft auseinandergesetzt hatte und musste erkennen, dass sie ihnen allen einen Schritt voraus war.

April wandte den Kopf zu Saber und sie begann leise zu erklären: „Ich hätte euch früher sagen sollen, dass ich es mit Chris versuche. Stattdessen stoße ich euch mit der Nase darauf, ohne vorher ein Wort darüber zu verlieren. ...Weißt du, Saber, Chris passt auf mich auf. Und er lässt mich nicht allein. Er hat das Rennfahren aufgegeben, um bei mir sein zu können.“

‚Ehrenwerter Vorsatz,’ fuhr es Saber durch den Kopf. Chris mochte ja ein Hallodri gewesen sein, aber in Punkto April war der Rennfahrer immer vernünftig und auch ehrlich gewesen, das musste sich Saber eingestehen. Allerdings verstand Saber nicht, weshalb Chris bei diesem Streit vorhin auf Fireball losgegangen war. Seine Augenbrauen zogen sich verdächtig zur Mitte hin zusammen und er fragte leise: „Und Fire?“

April schloss die Augen und lächelte sanft: „Fireball kommt auch ohne mich zurecht. Außerdem wird er nicht mehr zurück kommen, Saber. Nie wieder.“

Die Worte sickerten langsam in Sabers Bewusstsein. Mit welche Sicherheit konnte April behaupten, den Heißsporn nicht mehr auf Yuma zu sehen? April hatte immer einen unerschütterlichen Glauben an das Gute gehabt, dieser schien nicht mehr vorhanden zu sein. Und auch Sabers Glauben wackelte beträchtlich. Unsicher fragte Saber noch einmal nach: „Woher willst du das wissen, April?“

Zu Sabers Enttäuschung kam April nicht ins Wanken, nein sie blieb ruhig, sie verzog keine Mine und nichts und niemand konnte ihre Ansicht mehr ändern: „Was wissen wir schon über Fireball? Wir mussten schmerzlich erfahren, dass er nicht der ist, der er vorgegeben hat, zu sein. Er hat Erfahrungen in seinem Leben gemacht, die er mit niemanden von uns teilen wollte, weshalb sollte er uns an seinem weiteren Leben Teil haben lassen? Fire ist und bleibt ein Einzelgänger, das habe ich erkannt.“

Summer Rain

Guten Morgen! Jetzt ist es amtlich: Das ist das letzte Kapitel von "Thunder". Ich fand es als Schluss passender als alles andere.
 

***
 

„Kommandant, können wir bitte ein anderes Mal weitermachen?,“ flehend blickten die Augen des jungen Mannes zu seinem Vorgesetzten hinüber. Sie saßen schon seit ein paar Stunden hier im Büro, hatten es nur zum Mittagessen einmal verlassen, und es schien kein Ende absehbar zu sein. An sich hatte Fireball ja kein Problem damit, bei seinem Kommandanten im Büro zu sitzen, aber in den letzten Stunden hatte der junge Japaner ziemlich alle Gefühle durchlebt, die weder schön noch wünschenswert waren. Er wusste zwar, dass ihm sein Boss nur helfen wollte, aber diese Fragen brannten sich durch sein angegriffenes Nervenkostüm wie durch ein Stück Papier und hinterließen schmerzende Wunden. Fireball war sich sicher, wenn der Kommandant nicht bald mit den Fragen aufhörte, würde er hier und jetzt tot umfallen, so unangenehm war ihm das alles.

Doch der Kommandant schüttelte nur müde den Kopf und faltete die Hände, ehe er die Ellbogen auf der Tischplatte aufstellte: „Es wäre nicht klug, hier abzubrechen, Shinji. Wir sind bald fertig, versprochen.“

Dem Kommandanten der Polizei fiel es nicht leicht, seinen Angestellten derart zu quälen, aber er hatte immerhin mit dem Verhör schon begonnen und es wäre aus taktischen Grünen nicht klug, es an gerade dieser Stelle abzubrechen. Es tat Tomoei leid, denn Fireball war bei weitem noch nicht zu Kräften gekommen und außerdem war er heute zum ersten Mal seit seiner Operation wieder im Präsidium gewesen. Der Junge hatte nur seine liegengebliebenen Akten durchsehen und aufarbeiten wollen und nun saß er hier vor ihm, verzweifelt und kein Funke Selbstbewusstsein in sich.

Fireball ließ den Kopf hängen und seufzte ergeben. Sein Boss hatte ja Recht, aber es war ihm so unangenehm, mit ihm über seine Beziehung zu April zu sprechen. Der Rennfahrer schloss die Augen und erzählte dem Kommandanten, wie er April kennen gelernt hatte und was er für sie empfand. Er beendete seinen Vortrag mit den Worten: „Das einzige, was man mir vorwerfen kann, ist ein Kuss. Ich habe mit April niemals geschlafen, sie nicht tätlich angefasst. Das einzige war ein kleiner Kuss auf die Lippen.“

„Und was ist mit Commander Eagle? Wie bist du mit dem ausgekommen?“

Tomoei hatte in den letzten Stunden alles über Fireballs Freunde und die zwei Jahre auf Ramrod erfahren. Nur über seinen Vorgesetzten beim Kavallary Oberkommando war ihm kein Wort über die Lippen gekommen. Der Kommandant interessierte sich brennend für die Antwort, denn sie stellte quasi den Schlüssel zur Lösung des Falles dar.

Unsicher fuhr sich Fireball mit der rechten Hand durch die Haare. Er schwieg einige Zeit, ehe er mit gebrochener Stimme antwortete: „Ehrliche Antwort? Ich bin nicht gut mit ihm ausgekommen. Wir hatten andauernd Differenzen, Streiterein wenn Sie so wollen.“

Der Polizeichef zog die Stirn kraus, das war nicht die Antwort gewesen, die er hören wollte. Also bohrte er nach: „Hast du dich nicht an die Etikette gehalten, oder an die Kompetenzverteilung?“

Tomoei fragte deshalb so gezielt nach, weil er aus Yamatos Zeiten noch wusste, wie der junge Hikari mit Vorgesetzten verfahren war, wenn ihm etwas nicht in den Kram gepasst hatte. Ihm war bei solchen Wutausbrüchen egal gewesen, wer vor ihm stand und welchen Titel dieser Jemand bezeichnete, wenn Fireball wütend gewesen war, gab es für ihn ohnehin nur das Du.

Traurig hob Fireball den Kopf und seine braunen Augen waren leer. Sie waren ausdruckslos, wie Tomoei feststellte. Fireball antwortete niedergeschlagen: „Ich war blutjung, als ich beim Oberkommando gelandet bin. Ich kannte nur die Umgangsformen, die wir hier gepflogen haben. Nur waren die ganz anders als in der Kavallary. Und mit Commander Eagle bin ich leider nie recht ausgekommen. Allerdings hab ich dort gelernt, was ein unbefristetes Dienstverhältnis ist. Selbst kündigen ist nicht drin, man darf erst gehen, wenn man entweder abkratzt oder vom Commander gegangen wird. Zumindest war das bei mir so. Commander Eagle hat mich dermaßen oft zum Heinz gemacht, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was alles auf meiner Vergehensliste steht.“

Erschöpft ließ sich Kommandant Tomoei in seinen Sessel sinken. So kamen sie nicht weiter! Er atmete tief ein und forderte Fireball auf: „Waren die Disziplinareinträge berechtigt oder nicht?“

Fireball verdrehte die Augen. Was sollte er auf diese Frage antworten? Die Wahrheit würde mehr Verwirrung als Klarheit schaffen, aber er befand sich in einem Verhör und als Polizist sollte er wissen, wie man sich bei einem Verhör zu verhalten hatte. Immerhin galt es hier seine Haut zu retten. Fireball kratzte sich hinterm Ohr: „Manchmal ja. Kommandant, Sie wissen selbst, dass ich kein Unschuldslamm bin, aber nicht alle Einträge, welche auch immer in meiner Akte stehen mögen, sind berechtigt.“

Das Verhör zog sich bis in den späten Nachmittag hin, immer wieder tauchten neue Fragen auf, neue Details kamen ans Tageslicht. Tomoei schüttelte immer wieder missmutig den Kopf. Hätte er von den anderen bessere Antworten bekommen, hätte dieses Verhör sich nicht über den ganzen Tag hingezogen und es hätte Fireball nicht mehr als einmal die Tränen in die Augen getrieben. Aber gegen vier Uhr nachmittags war sich Tomoei endlich sicher, dass die Anzeige noch vor der Klagseinreichung fallen gelassen würde. Er hatte es tatsächlich hinbekommen, aus Fireballs Aussage jeden Zweifel, oder alles, was gegen seine Unschuld sprechen könnte, zu eliminieren.

Fireball verließ abgekämpft das Büro von Tomoei. Im Vorbeigehen warf er Sarah ein gequältes Lächeln zu und humpelte zu seinem Schreibtisch zurück.
 

Er war gar nicht richtig angekommen, da kam ihm schon das Stimmengewirr seiner Kollegen entgegen. Sie standen zu sechst um Seijis und seinen Schreibtisch herum und rissen sich immer wieder gegenseitig eine Zeitschrift aus den Händen. Seiji bemerkte Fireball als erstes. Er scheuchte die aufgebrachte Meute auf ihre Plätze zurück: „Hey, macht mal Platz, Leute! Heute habt ihr wieder gar keine Manieren.“

Fireball ließ sich auf seinen Stuhl sinken und lehnte die Krücken daneben, ehe er zu seinen Kollegen aufsah: „Was gibt’s denn so Interessantes, dass ein Raubüberfall zur Nebensache wird?“

Seiji schüttelte nur den Kopf und vergrub sich in seiner Arbeit. Er war sich nicht sicher, wie ernsthaft das Interesse des Rennfahrers war und wie erfreulich die Nachrichten für ihn waren.

Allerdings hegte nur Seiji diese Bedenken, die anderen fünf hielten nicht lange mit der Zeitung hinterm Berg. Ein Kommissar, der Fireball damals kurz in seine Arbeit eingewiesen hatte, legte ihm die Zeitschrift, die er kurz zuvor von einem anderen Kollegen wieder zurückerobert hatte, auf den Tisch. Er deutete auf ein Mädchen und einen Jungen, die eng umschlungen ein Restaurant verließen und lachte: „Die Kleine da gehört doch zu dir, oder nicht, Shinji?“

„Welche Kleine?,“ verdutzt folgte Fireball dem Zeigefinger seines Kollegen, der seine Augen direkt auf ein Foto von Chris und April führte. Fireballs Augen verengten sich zu zwei Schlitzen und seine Stirn kräuselte sich immer mehr, je genauer er das Foto unter die Lupe nahm. Als er die zwei Gestalten als seine Freunde identifizieren konnte, riss er die Zeitung vom Tisch hoch und klappte sie ungläubig zu. Er las den Namen der Zeitschrift und verzog die Mundwinkel nach unten. Es war die Sportzeitschrift, die jedes Monat erschien und für gewöhnlich nur gut recherchierte Artikel brachte. Schnaubend schlug Fireball die Zeitung wieder auf und überflog den Text, den Bildern wollte er sich nicht mehr widmen, das eine hatte ihm gereicht. Als er merkte, wie ihn alle gebannt anstarrten, zog er den Kopf hinter die Zeitung. Erstens konnte er so den Blicken seiner Kollegen ausweichen und zweitens konnte niemand sein Minenspiel sehen. Mit jeder Zeile des Artikels verzog Fireball aufs Neue das Gesicht und konnte ihn dennoch nicht beiseite legen.
 

„...Nach dem Ausscheiden des ehemaligen Star Sheriffs gab nun auch Christian Longemont seinen Rücktritt aus dem Renngeschehen bekannt. Das bekannte Formel-1-Team muss sich nun um guten Ersatz umsehen, wenn es auch in der nächsten Saison mitmischen will. ...Der Grund für Longemonts Rücktritt ist die ehemalige Kollegin von Shinji Hikari. Wie der Rennfahrer in einem Statement erklärte, will er sich ganz seinem Privatleben widmen, das offensichtlich auch die hübsche Freundin beinhaltet...“
 

Ungläubig schmetterte Fireball die Zeitung zurück auf den Tisch und verschränkte die Arme. Er fauchte: „So ein verdammter Idiot!“

Keiner seiner Kollegen hatte den Artikel gelesen, sie hatten sich lediglich den Mund über die hübsche Blondine, die sie als eine von Fireballs Freundinnen zuordnen konnten, zerrissen. Deshalb verstanden alle auch nur Bahnhof, als der junge Japaner wieder etwas von sich gab.

Seiji musterte sein Gegenüber skeptisch und fragte sich, wie gesund es war, genauer nachzufragen. Er konnte an Fireballs Blick unmissverständlich erkennen, dass diesem gerade alles vergangen war und er sicherlich keine Lust auf Gespräche über diesen Artikel hatte. Allerdings war die Neugierde stärker als die Vernunft. Seiji angelte über den Schreibtisch hinüber und nahm sich der Zeitung an. Er musterte das Pärchen auf dem Foto noch einmal und blickte Fireball dann fragend an: „Was hat er denn gemacht?“

Seiji kam der junge Mann auf dem Foto bekannt vor, er hatte das Gefühl auch ihn hier im Präsidium schon einmal gesehen zu haben. Doch Chris hatte für Seijis Geschmack ein Allerweltsgesicht und sah aus, wie jeder andere Europäer auch.

Krachend fielen die Krücken zu Boden. Fireball hatte sie umgestoßen, als er sich umgedreht hatte, um nach einer Unterlage zu suchen. Doch statt sie aufzuheben, fluchte er lieber: „Verdammt!,“ zu Seiji gewandt brummte er: „Der Esel verlässt ein Team, bei dem man in Pension gehen kann!“

Spätestens jetzt war allen klar, dass ihrem Kollegen die gute Laune vergangen war. Ohne Aufsehen zu erregen begaben sich alle wieder an ihren Schreibtisch und ließen Seiji die Suppe alleine auslöffeln. Dieser bedachte alle mit einem säuerlichen Blick und widmete sich dann wieder seinem Partner. Mittlerweile kannte Seiji Fireball wieder etwas besser. Die Jahre waren an keinem spurlos vorbeigegangen, vor allem nicht an Fireball, wie Seiji traurig festgestellt hatte. Die ersten Wochen hatte es sogar fast den Anschein gehabt, Seiji und er würden in zwei unterschiedlichen Welten leben, doch nach und nach hatten sie sich wieder angenähert. Sie mussten auf der Arbeit zwangsläufig viel Zeit miteinander verbringen und das hatte Seiji die Möglichkeit gegeben, Shinji wieder besser kennen zu lernen. Einige Wochen nach Shinjis ersten Dienstantritt waren die beiden schon so weit, dass sie auch ihre freie Zeit miteinander verbrachten. Und nachdem Seiji den Rennfahrer und Laura damals etwas belauscht hatte, war die Freundschaft wieder beständiger geworden. Seiji verstand durch die Geschichte nun zumindest zum Teil, weshalb aus dem Jugendlichen mit dem strahlenden Lächeln ein ruhiger und auch verschlossener Erwachsener geworden war.

Als Seiji das Foto von Chris und April so betrachtete, war er sich sicher: Fireball war nicht etwa deswegen so übellaunig, weil Chris das Team verlassen hatte, sondern weil dieser sich das Mädchen geschnappt hatte, das Fireball gerne gehabt hätte. Und es war die Frau, die seinem Freund so viel Ärger eingebrockt hatte, dass es für zwei Leben locker gereicht hätte.

Seiji wollte Fireball gerade etwas über das Team fragen, als dieser ihn unverwandt ansah und bat: „Sag Tomoei bitte, dass ich mich nicht gut fühle und mich deshalb jetzt schon vom Acker mache.“

Seiji nickte und stand auf. Geschickt umrundete er den großen Schreibtisch und kniete sich hin. Er hob das Paar Krücken auf und drückte sie Fireball in die Hände. Besorgt nickte er seinem Partner zu: „Ruh dich aus, Shinji. Es war vielleicht doch noch zu früh, um wieder arbeiten zu gehen.“

Fireball nickte ebenfalls und schlug die Augen nieder. Er stand mit fahrigen Bewegungen auf: „Danke, Seiji. Wir sehen uns.“

Mit gemischten Gefühlen sah er seinem Partner nach. Als Fireball im Fahrstuhl verschwunden war, keifte er seine Kollegen an: „Das habt ihr ganz toll hinbekommen! Echt großartig, ihr Blödmänner!“ Im selben Atemzug drehte er sich zum Telefon und ließ somit keine Zweifel daran, dass er keine Widerworte duldete. Seiji ahnte, wohin Fireball unterwegs war, dafür musste er kein Hellseher sein, das hatte er am Gesichtsausdruck schon erkannt. Aber er konnte hier nicht weg, deshalb sollte eine gute Freundin nach Shinji sehen.
 

Erschöpft ließ sich Fireball an der Grabeinfassung nieder. Der Weg zum Friedhof war weiter gewesen, als er ihn in Erinnerung hatte. Seine Augen wanderten zum Himmel hinauf, und betrachteten diesen mit Wehmut. Föhnwolken schoben sich durch das Bild, vorbei am Fujiyama. Alles Gute war im Moment so fern, so unerreichbar für ihn. Tomoeis bohrende Fragen tauchten immer wieder in seinen Gedanken auf, die Bilder aus der Zeitschrift ließen ihn nicht mehr los. Fireball senkte den Blick wieder und sah direkt auf die Fronten zweier Familiengräber. Und beiden Gräbern fühlte er sich verbunden. Das Grab rechts war allerdings leer, das wusste Fireball. Es war das Familiengrab der Hikaris und offiziell lag auch sein Vater auf diesem Friedhof begraben, obwohl man ihn niemals gefunden hatte. Es war nur zu ironisch, dass links daneben gleich das Familiengrab der Yamatos war. Haruto Yamato, Shinji und Hiromi Hikaris bester Freund, hatte seine letzte Ruhestätte bereits bezogen.

Der junge Japaner ließ den Kopf hängen und schloss die Augen. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare und bemerkte zum ersten Mal eine lange Narbe auf seiner Kopfhaut. Sie war ihm noch nie zuvor aufgefallen, weder beim Waschen noch beim Kämmen der Haare. Offenbar hatten sich die Ärzte auf Yuma nicht nur an seinem Rücken sondern auch an seinem Kopf zu schaffen gemacht. Langsam wurde Fireball klar, dass nicht nur ein Schutzengel an jenem Morgen dabei gewesen sein musste. Er fühlte sich leer und ausgelaugt, dieser Tag hatte ihn wieder mehr Kraft gekostet, als er tatsächlich hatte. Warum nur? Warum nur hatte er all diese Qualen erleiden müssen, wenn er doch alles verloren hatte? Er hatte diesen Morgen überlebt, nur damit ihn jetzt Commander Eagle für den Rest seines Lebens hinter Gitter stecken konnte und nur um mit zu erleben, wie er April für immer verloren hatte. Verloren an einen seiner besten Freunde.

Fireball war enttäuscht von seinen Freunden. Keiner der beiden hatte den Mut aufgebracht, sich bei ihm zu melden und es ihm zu erklären. Er musste es aus der Zeitung erfahren, neben seinen Kollegen, die allesamt wussten, was dieses Mädchen mit ihm zu schaffen hatte.

Er fühlte sich innerlich als würde er sterben. Genauso, wie er sich nach Harutos Tod gefühlt hatte. Diese schweren Wochen nach seinem Tod würde er nie vergessen. Vor Toms Ausraster war das Leben viel einfacher und leichter gewesen...
 

Erst weit nach Mittag torkelte der junge Hikari schlaftrunken die Treppen herunter. Gähnend setzte er sich an den Tisch in der Küche und visierte mit kleinen Augen die nächststehende Kaffeetasse an. Seine Mutter war schon seit den Morgenstunden außer Haus, allerdings saß er nicht alleine am Tisch.

Sein Kollege klopfte ihm lächelnd auf die Schulter: „Hat gestern wohl etwas länger gedauert, Shinji?“

Shinji streckte sich ausgiebig und ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen: „Ich hab gestern noch einige Informationen eingeholt. Das hat sich bis um halb fünf hingezogen. Du weißt ja selbst, wie langwierig Spitzelaktionen sein können.“

Laut lachend klopfte sich Haruto daraufhin auf die Oberschenkel. So eine Ausrede wäre ihm als Jugendlicher nie eingefallen! Der Sohn von Shinji und Hiromi war aufgeweckt wie er selten zuvor einen Jugendlichen erlebt hatte. Die letzten Nächte hatten sich beide im Nachtdienst befunden, eine Straßengang machte seit geraumer Zeit die Straßen Tokios unsicher. Shinji hatte sich durch seine ausgezeichneten Abschlussprüfungen an der Akademie quasi für diesen Job empfohlen und nach sechs Wochen Intensivtraining bei einem bekannten Autohersteller war die Geheimoperation angelaufen. Haruto war nicht entgangen, wie gut sich Shinji mit einem Mädchen aus der Gang verstand und er wusste, weshalb es letzte Nacht wieder länger als geplant gedauert hatte. Er lachte: „Sag doch gleich, dass du die Kleine noch auf ein Frühstück entführt hast, Shinji.“

„Entführung ist ein strafbarer Tatbestand, außerdem ist sie freiwillig mitgefahren!,“ Shinji leerte die Kaffeetasse in einem Zug und lehnte sich in den Stuhl zurück. Er blickte auf die Uhr und maulte gespielt: „Schon fast halb vier. Ich muss noch ins Präsidium bevor ich wieder als Mechaniker durchgehen kann.“

Shinji musste bei der Polizeistation täglich einen kurzen Bericht darüber abliefern, was er herausgefunden hatte und was weiter zu tun war. Je besser die einzelnen Mitglieder dieser Aktion informiert waren, desto schneller würden sie die Bande hochgehen lassen können.

Haruto saß lächelnd neben seinem Zögling, wie er Shinji gerne nannte. Er war nun fünfunddreißig, hatte weder Frau noch Kinder und hatte sich zudem von seiner Familie abgewandt. Und der Grund waren Hiromi und Shinji junior gewesen. Als die junge Witwe damals mit ihrem kleinen Kind wieder in Tokio gelandet war, hatte sie niemanden, an den sie sich hätte wenden können. Ihre Eltern hatten sie verstoßen und die Eltern von Shinji fühlten sich für die junge Frau nicht mehr verantwortlich. Unter Tränen hatte sie kurz vor ihrer Ankunft einen alten Freund ihres Mannes angerufen: Haruto. Seit diesem Tag war der dunkelhaarige, schlanke Japaner nicht mehr von der Seite der kleinen Familie gewichen. Haruto war immer eine helfende Hand, egal worum es gerade ging. Er legte auch bei Shinjis Erziehung mal Hand an, wenn die Strenge der Mutter nicht ausreichte. Haruto ersetzte dem Jungen den Vater, so gut es ging, allerdings war er immer darauf bedacht, dass dieser wusste, dass er nicht sein wirklicher Vater war. Für Shinji war Haruto im Laufe der Jahre zu einem engen Vertrauten geworden, ein besserer Freund als man es von einem Vater je erwarten hätte können.

Der junge Hikari hatte schon als Kind viel Freizeit im Präsidium verbracht, da Hiromi einen Ganztagsjob in einer großen Firma angenommen hatte, um sich und ihren Sohn über die Runden zu bringen. So war Shinji nach der Schule immer direkt zur Polizei gegangen und hatte dort seine Hausaufgaben gemacht und allerhand vom Polizeialltag kennen gelernt. Als er alt genug war um den Nachmittag alleine verbringen zu können, waren die Besuche trotzdem nicht weniger geworden. Jeden Tag war er einen Sprung in der Station vorbeigekommen.

In der Schule hatte Shinji nicht viele Freunde, was hauptsächlich daran lag, dass er keinen Vater hatte und seine Mutter ihn alleine großzog. Aber auf der Polizeiakademie, die er gleich nach dem vorgezogenen Abitur besucht hatte, fand er viele Freunde. Dort waren alle schon reifer und bildeten sich ihre eigene Meinung. Die neuen Freunde waren allerdings auch mit einigen Vermerken verbunden gewesen, denn manchmal war es nicht bei harmlosen Streichen geblieben.

So oder so, Shinji hatte seine Ausbildung mit Auszeichnung absolviert und stellte sich nun seiner ersten Aufgabe als Officer. Bislang machte er seine Arbeit hervorragend, wie Haruto fand. Und deshalb verzieh er seinem jungen Freund auch, dass er in der letzten Nacht über die Strenge geschlagen hatte.

Die beiden Männer blieben noch kurze Zeit am Tisch sitzen, ehe sie sich auf den Weg machten...
 

Es war das letzte gemeinsame Frühstück mit Haruto gewesen. Es war der letzte Tag eines unbeschwerten Lebens für Shinji gewesen. Stumme Tränen bahnten sich ihren Weg, als in Shinjis Inneren wieder die Bilder der Schießerei auftauchten. Haruto Yamato war in seinen Armen gestorben. Für ihn! Und damals wie heute wünschte sich Shinji an dessen Stelle. In seinen Augen hatte Haruto dem Schicksal ins Handwerk gepfuscht, als er ihn aus der Schusslinie gestoßen hatte. Die zweite Kugel war genauso für ihn bestimmt gewesen, wie die erste, die ihn in der Schulter getroffen hatte.

Der Verlust der Vertrauensperson hatte Shinji schwer zu schaffen gemacht. Genauer gesagt tat er das immer noch. Er war nie damit fertig geworden, dass Haruto keine schützende Hand mehr über ihn und seine Mutter hielt, er nie wieder lächelnd in der Tür stehen würde. All die Jahre im Ausland, in allen Ecken und Enden des Universums waren nur der klägliche Versuch gewesen, zu vergessen.

Langsam erschien ein Schatten in Fireballs Blickfeld. Er kam näher und wurde immer größer, bis er plötzlich stoppte. Ein paar Haarsträhnen hingen vor seinen Augen herunter und langsam erschien auch das Gesicht des Schattens. Sie kniete sich vor ihm in den Kiesboden und suchte den Blickkontakt mit ihm. Als sie sich sicher war, dass er sie ansah und seine Aufmerksamkeit ihr galt, legte sie ihm eine Hand auf das rechte Knie, die andere strich ihre Haare aus dem sorgenvollen Gesicht. Sie neigte den Kopf und fragte leise: „Du vermisst ihn.“

Ohne auf ihre Worte zu antworten, streckte der Japaner eine Hand aus und strich Laura mit den Fingerspitzen übers Gesicht: „Ich fühle mich wie damals, Süße. Nur mit dem Unterschied, dass ich damals jemanden an meiner Seite hatte, der mir Kraft gegeben hat.“

„Du bist nicht alleine, Shinji,“ Laura legte ihren Kopf in Fireballs Hand. Sie war warm und seine Berührungen waren noch genauso zärtlich, wie damals. Laura schloss die Augen und ließ den Moment für sich sprechen. Auch ihre Hand wanderte vom Knie hinauf zu Shinjis Gesicht. Sie strich ihm eine Strähne aus der Stirn und wischte mit dem Daumen leicht über seine Wangen.

Laura war von Seiji angerufen und gebeten worden, nach Shinji zu sehen. Allerdings war auch sie voll im Beruf eingespannt gewesen und konnte erst nach Feierabend weg. Der Polizist hatte ihr noch erzählt, was in der Zeitung stand, deshalb wusste die junge Frau auch, was Shinji wieder in einen derartigen Gemütszustand gebracht hatte. Im ersten Moment war sie unheimlich sauer auf diese Blondine und den zweiten Rennfahrer gewesen, sie hatte sie mit einigen Flüchen bedacht und den Kopf erbost geschüttelt. Aber nun, eine knappe Stunde später, war der erste Zorn verraucht und bei Shinjis Anblick, wie er einsam vor dem Grab seines Vaters und seines Freundes gesessen war, stiegen Sorgen in Laura auf.

Sie konnte nicht verstehen, wie man ein Wesen, das so gutmütig und zärtlich war, so demütigen und ihm solche Schmerzen zufügen konnte. Laura hatte selbst erlebt, wie hingebungsvoll er sich um andere Menschen kümmerte. Die Rechtsanwaltsgehilfin ärgerte sich, sie hätte ihn nur nicht gehen lassen dürfen, dann wäre er vielleicht nicht als gebrochener Mann wieder zu ihnen zurückgekehrt. Aber andererseits hätten ihn keine zehn Pferde in Tokio gehalten.

Laura hatte nach Shinjis Ankunft in Japan nicht lange gebraucht, um herauszufinden, was ihm fehlte. Es stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben, dass er sich nach Wärme und Zärtlichkeit sehnte. Auf seltsame Art und Weise schien Shinji weniger Probleme damit zu haben, mit ihr über seine Gefühle zu sprechen, als mit sonst einem Menschen. Laura wusste nicht, woran das lag, aber sie konnte sich vorstellen, dass sie das schreckliche Erlebnis damals zusammengeschweißt hatte. Auch, wenn Shinji nach jener Nacht wie verändert gewesen war, so war er doch nie von ihrer Seite gewichen. Er hatte ein gutes Wort für sie beim Untersuchungsrichter eingelegt, hatte zugesehen, dass Laura mit einer Bewährungsstrafe davon kam und hatte ihr ein Zuhause gegeben. Niemand war auf Lauras Seite gestanden, auch keiner ihrer früheren Freunde. Dafür war sie dem Jungen mit den haselnussbraunen Augen unendlich dankbar und wahrscheinlich war es auch mit ein Grund für ihre tiefe Zuneigung. Laura ertrug es kaum, Shinji so am Boden zu erleben, und sie war böse auf seine angeblichen Freunde aus Yuma. Es war gerade bergauf mit ihm gegangen, doch dann waren diese sechs Gestalten hier aufgetaucht und alles ging von vorne los!

Die beiden schwiegen sich lange Zeit an, keiner wollte die wohltuende Ruhe zwischen ihnen zerstören. Doch langsam wurden aus den Föhnwolken dicke Gewitterwolken, die reichlich Regen im Gepäck hatten. Als die ersten Tropfen auf ihren Häuptern landeten, stand Laura auf und streckte ihm eine Hand entgegen: „Komm, ich bring dich nachhause.“

Shinji allerdings nahm die Hand, die sie ihm reichte, nicht an. Er neigte nur den Kopf schräg nach unten und griff nach seinen Krücken. Mit kraftlosen Bewegungen erhob sich auch Fireball von der Grabeinfassung, die ihm als Hocker gedient hatte. Traurig warf er noch einen Blick auf die beiden Gräber und formte stumme Worte, die nur für Haruto und seinen Vater bestimmt waren: „Warum habt ihr mich allein gelassen? Es ist nicht fair.“

Er bat Laura, nicht zu ihm nach Hause zu fahren, er wollte seiner Mutter nicht unter die Augen treten. Unsicher nickte Laura und ging voraus. Sie wusste, welche Gründe ihn davon abhielten, die schützenden vier Wände aufzusuchen. Der Rennfahrer wollte seiner Mutter keinen Kummer mehr bereiten. Seit sie Shinji kannte, war er darauf bedacht gewesen, seine Mutter, das einzige, was ihm von seiner Familie geblieben war, aus Schwierigkeiten rauszuhalten und sie keinen Kummer sehen zu lassen, der ihm vielleicht auf der Seele brannte.

Die anfänglich kleinen Tröpfchen, die man kaum auf der Haut spürte, wurden immer größer und noch bevor das ungleiche Paar den Ausgang des Friedhofs erreicht hatte, regnete es in Strömen. Während Laura in ihrer Handtasche verzweifelt nach ihrem Regenschirm suchte, blieb Fireball unvermittelt stehen. Er hob den Kopf zum Himmel und ließ den Regen auf sein Haupt prasseln. Der Guss war warm und irgendwie schien er Fireball gut zu tun. Es fühlte sich an, als würde ihm der Regen alle schlechten Gefühle und Gedanken, all die verletzenden Erinnerungen fort waschen. Er schloss die Augen und legte den Kopf nur noch mehr in den Nacken. Es war ihm egal, ob er bis zu den Knochen aufgeweicht wurde.

Laura beobachtete, wie ihr Freund die Krücken los ließ und die Handflächen nach oben drehte. Sie sah, wie er den Regen mit jeder Faser seines Körpers spürte. Aber es gefiel ihr nicht. Nein, in Laura breitete sich eher das Gefühl von Unbehagen aus, wenn sie Fireball so dastehen sah. Er schien so fremd, er war ihr nicht mehr vertraut, aber sie wusste, er würde niemals mehr so werden, wie er damals war. Laura hatte das Gefühl, die Jugendtage, die allesamt unbeschwert waren, wichen nun endgültig dem Erwachsenenalter. Sie spürte, wie sich ihr Herz bei diesem Anblick zusammenzog. Früher war sie diejenige gewesen, die Halt und Schutz bei ihm gesucht hatte, nun war er der Schutzbedürftige! Sie musste wohl oder übel zusehen, dass sie so schnell als möglich lernte, Verantwortung für sich und andere Menschen zu übernehmen. Sie war kein Kind mehr! Sie würde für Shinji da sein, jeden Tag, jede Minute, wenn er sie brauchte.

Von dieser Entfernung aus konnte die junge Frau nicht erkennen, ob sich unter die Rinnsale aus Regen auch Tränen mischten. Aber für Laura hatte es ganz den Anschein. Sie musste zu ihm und seine Schmerzen lindern. Der Regen war ihr in diesem Moment egal. Sie ließ den Schirm und die Handtasche auf den Boden fallen. Flinken Schrittes trat sie auf Shinji zu. Sie nahm eine seiner Hände, die er immer noch mit den Handflächen nach oben hielt, und legte sie auf ihre Schulter. Ihre Arme umschlangen die Taille des Rennfahrers und gaben ihm durch ihre Wärme zu verstehen, dass sie sich um ihn sorgte. Sie flüsterte: „Du bist nicht allein, Shinji. Ich werde immer da sein.“

Shinji erwiderte Lauras Umarmung. Allerdings nur sehr zaghaft und unheimlich schüchtern. Es schien der schwarzhaarigen, zierlichen Frau, als hätte er Angst, aus einem Traum aufzuwachen, oder sie könnte wie eine Seifenblase zerplatzen. Langsam zog er Laura an sich heran, vergrub seine zweite Hand in ihren langen Haaren und legte seinen Kopf sachte auf Lauras Haupt. Er spürte ihre Nähe, die so unglaublich gut tat in diesem Augenblick. Sie war wirklich da und sie spendete allein durch ihre Anwesenheit mehr Trost, als es seine Mutter oder April, die diesmal für seinen schlechten Zustand verantwortlich war, jemals vermocht hätten. Beinahe hatte er das Gefühl, wieder sechzehn zu sein und mit Laura am Anfang zu stehen.
 

…Wieder wachte er mitten in der Nacht aus einem schrecklichen Traum auf. Sein Herz pochte und schlug ihm schier bis zum Hals. Keuchend setzte er sich auf und fuhr sich durch die schweißnassen Haare. Der Mond schien durch das Schlafzimmerfenster herein und tauchte dieses in unwirkliches Licht. Nichts rührte sich im Hause Hikari, alle schliefen, erschöpft von den Anstrengungen der letzten Wochen. Nur Shinji war wieder einmal aufgewacht. Verängstigt drehte er sich auf die andere Seite des Bettes. Sie war noch da. Gott sei Dank. Tom schwirrte durch seine Gedanken, die Drohung, die der große Bruder von Laura ausgesprochen hatte, bescherte ihm seit Wochen die schlimmsten Albträume. Ihr sollte nichts geschehen. Doch er konnte für Lauras Wohlergehen nicht viel tun, er hatte nicht einmal verhindern können, dass Haruto gestorben war. Shinji erinnerte alles im Haus an den verstorbenen Freund und Vater. Jedes Bild, jeder Einrichtungsgegenstand, schien noch immer von der Wärme, die Haruto seiner Familie geschenkt hatte, zu zehren. Seine Mutter ertrug den Verlust stumm und ohne darüber zu sprechen. Sie hatte sich von Haruto verabschieden können, genauso wie Laura. Nur er konnte es nicht. Shinji hatte das Hospital nicht verlassen dürfen, nicht einmal für ein paar Stunden, um seinem besten Freund die letzte Ehre zu erweisen. Es tat ihm schrecklich weh, er gab sich die Schuld an der ganzen Misere. Wohl auch zu Recht. Denn hätte er besser aufgepasst und Tom nach seinem ersten Schuss selbst angeschossen, oder ihm zumindest die Waffe aus der Hand geschossen, wäre Haruto niemals gestorben. Eine einzelne Träne bahnte sich abermals ihren Weg. Shinji hatte langsam keine Tränen mehr übrig.

Nach Toms Verhaftung war der ganze Zirkus erst richtig losgegangen. Der Untersuchungsrichter hatte alle Beteiligten geladen, Laura genauso wie die anderen, die in Toms Bande Mitglieder gewesen waren. Allen hatte der Richter Untersuchungshaft aufgebrummt, Laura hatte er allerdings aufgrund von Shinjis Aussage, die er im Krankenbett nach seiner Operation gemacht hatte, laufen lassen. Sie war erst wieder zur Gerichtsverhandlung von ihm geladen worden, sie sollte die Kronzeugin in diesem Verfahren sein, Tom be- sowie Shinji und die anderen Polizisten entlasten. Als Tom davon erfuhr, hatte er geschworen, dem verdammten Polizisten und seiner eigenen Schwester den Garaus zu machen, sollte er eine Möglichkeit finden. Und diese Drohung machte Shinji nun schon seit Wochen Kopfzerbrechen. War er in der Lage auf Laura aufzupassen? Er fühlte sich doch im Moment selbst so klein und hatte kaum genug Vertrauten um behaupten zu können, er könnte auf sich selbst aufpassen. Aber Laura vertraute ihm. Sie legte ihre Hoffnungen und ihre Gesundheit in seine Hände und vertraute darauf, dass sich alles zum Besseren wenden würde.

Shinji riskierte noch einen Blick auf das schlafende Mädchen neben ihm, sie war wunderschön. Und sie schien etwas Schönes zu träumen, denn auf ihren Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Er hatte sich Hals über Kopf in dieses Mädchen verliebt, als er zu Tom in die Gruppe gestoßen war. Sie war ihm sofort aufgefallen, er hatte nach wenigen Worten gemerkt, dass sie nicht so war, wie die anderen. Laura war durch ihren Bruder auf die schiefe Bahn geraten, sie war zu jung gewesen, um von selbst zu erkennen, was richtig und was falsch war. Durch einige Gespräche hatte er festgestellt, wie die Verhältnisse in der Familie von Laura waren. Und die waren einfach gehalten, denn es gab nur sie und Tom. Die Eltern der beiden waren nach Amerika ausgewandert und hatten den beiden die freie Entscheidung gelassen, hier in Japan noch die Schule zu beenden und eventuell ein weiteres Leben hier aufzubauen oder mit ihnen nach Washington zu gehen. Laura wollte nicht in ein fremdes Land, ihre Freunde verlassen und so war sie bei ihrem Bruder geblieben, der Japan nicht für alles Geld der Welt verlassen hätte.

Das erste bekannte Gesicht nach dem Aufwachen im Krankenhaus war Laura gewesen. In Tränen aufgelöst und verzweifelt. Ihr Bruder war sofort in Sicherungsverwahrung genommen worden und sie saß somit auf der Straße, denn sie ging noch zur Schule, hatte somit kein Einkommen und konnte sich die Wohnung nicht leisten. Es hatte Shinji gefreut, das Mädchen auch unter diesen Umständen wieder zu sehen. Hätte sie ihn nämlich von vornherein angeflunkert und hätte er dann herausgefunden, was sie wirklich tat, er wäre zuerst maßlos enttäuscht gewesen. Aber dieses Mädchen nicht. Sie war sogar irrsinnig froh darüber, in Shinji nicht das gefunden zu haben, was er vorgegeben hatte. Nämlich dass er ein einfacher Mechaniker war und gerne illegale Straßenrennen fuhr. Es hatte sich innerhalb kürzester Zeit herausgestellt, wie viel die beiden verband und deshalb hatte Shinji seine Mutter schon im Krankenhaus darum gebeten, Laura bei sich einziehen zu lassen.

Nun war Laura schon einige Wochen hier im Hause der Hikaris. Sie hatte sich gut eingelebt, aus Zuneigung hatte sich eine starke Liebe entwickelt. Beide gaben sich Kraft und Halt, auch wenn Shinji es nie zugegeben hätte, ohne Laure wäre es ihm noch schlechter gegangen. Beide mussten Aussagen machen, zu Verhandlungsterminen erscheinen und versuchen, ihr Leben in geregelte Bahnen zu lenken. Doch gerade Shinji fiel es schwer, der lange Krankenstand und der Verlust des Vaters verhinderten konsequent wieder ein normales Leben führen zu können. Shinji war es allerdings gelungen, Laura in seiner alten Schule unterzubringen, damit sie ihr Abitur machen konnte. Er selbst verbrachte die meiste Zeit unter Tags auf der Rennstrecke. Er hielt es zuhause nicht aus, er konnte seiner Mutter nicht in die Augen sehen.

Lauras Anwesenheit vermittelte Shinji, dessen Puls noch immer raste, Geborgenheit und die Sicherheit, dass ihr noch nichts passiert war. Auch, wenn Shinji seit Harutos Tod kaum noch lachte oder scherzte, weil ihm der Verlust die Seele zerfraß, so war er doch froh über Lauras Anwesenheit. Er zeigte es ihr nie, aber Laura gab ihm die Kraft, alles in seiner Macht stehende zu tun, um wenigstens für ihre Probleme einen guten Ausgang zu erarbeiten. Sie vermittelte ihm jeden Tag aufs Neue, dass er gebraucht wurde und dass es noch einen Grund gab, nicht aufzugeben.

Doch irgendwann würden selbst tiefe Gefühle füreinander und gegenseitiges Mutmachen nicht mehr ausreichen…
 

THE END



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Kommentare zu dieser Fanfic (48)
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Von: abgemeldet
2007-03-15T18:23:35+00:00 15.03.2007 19:23
Das Kapitel ist der Hammer. Ich hab wieder so gelitten, das kann doch alles nicht wahr sein.
Selbst ich hab mich bei dem Verhör so klein gefühlt und dann auch noch der Artikel in der Zeitung. Warum schaffen sie es nicht, sich endlich mal aufzuraffen, es muß doch noch eine Zukunft für die beiden geben?! *heul*

Wie Fire zum Grab maschiert ist, so angeschlagen wie er war, Mensch ich dachte wirklich er macht Schluß mit allem. Ich hatte beim lesen tierische Magenschmerzen.

Es war wirklich ein super Abschluß, wann kommt die Fortsetzung? *grins*

Ganz lieben Gruß
carry
Von: theTHUNDERinside
2007-03-15T17:32:26+00:00 15.03.2007 18:32
wow, klasse geschrieben...habe es zweimal lesen müssen.

Super FF, kann man die wo Runteladen (mit samt vorgänger FF)?

*knuddel*
Von: abgemeldet
2007-03-15T12:51:00+00:00 15.03.2007 13:51
Puh! Schwere Kost, muss ich sagen. Das wars dann wohl mit April und Fireball. Schade eigentlich. Aber nichts desto trotz ist dir diese FF (und ihr dazugehöriger Vorgänger)wahnsinnig gut gelungen!

*eins geb und in meine Favoriten-Liste stecke*

LG, Flora
Von: abgemeldet
2007-03-09T19:24:57+00:00 09.03.2007 20:24
Schön das es doch noch weitergeht!
War schon traurig das die Story nun vielleicht zuende ist... und das wo ich deine Stories doch so gern lese. ;)
Dann können wir uns ja auf gaaanz viel Lesestoff, so nach und nach von dir, freuen. ;) Und die Story ist echt spannend, man weiss ja nicht wie sich alles noch entwickelt... also weiterhin viel Spaß und tolle Einfälle beim Schreiben! ;) Lg, Piper
Von:  Turbofreak
2007-03-09T16:46:39+00:00 09.03.2007 17:46
Hallo, ihr Lieben!

Vielen Dank für eure Kommis, dat geht runter wie Öl *g*. Was meine Einleitung betrifft, es wird zu dieser FF noch ein oder zwei Kapitel geben, dann ist Ende im Gelände.

ABER: Es kommt dann noch Teil 3 und je nach dem, was meine Plotbunnies so machen, vielleicht auch noch einen Teil 4.

Wie ich mich kenne, habt ihr also noch ein gutes Jahr sicher was zu lesen *lach*

Danke noch mal und weiterhin viel Spaß beim Lesen
Niki
Von: theTHUNDERinside
2007-03-06T20:57:51+00:00 06.03.2007 21:57
Ich muss Piper recht geben, so ein kleines bisschen Glück hätte er verdient.

Ich hab das so verstanden, dass es noch eine Fortsetzung gibt, oder? *sich umguck*
Von: abgemeldet
2007-03-06T20:55:05+00:00 06.03.2007 21:55
Mit der Einleitung das hab ich eigentlich so verstanden das es jetzt das letzte Kapitel gewesen ist, oder?

Vom Schreibstil her gefällt mir die Story sehr.

Vom Inhalt her hab ich das SO nicht kommen sehen, aber so'n Überraschungseffekt ist ja auch nicht das schlechteste. ;) Das sich zwischen April und Chris was anbahnt war ja schon klar, aber nicht das Fire nun doch entgültig aus dem Leben seiner Freunde verschwindet. Ich finde es schon schade das es mit Fireball so gekommen ist, eigentlich hatte ich die Hoffnung es würd doch noch in eine positive Richtung steuern nachdem die Ansätze da waren. Der Arme hat ja schon mächtig viel durchgemacht und so ein Ende ist schon traurig. Er hat ja eigentlich auch mal endlich Glück verdient. ;)

Lg,
Piper
Von: abgemeldet
2007-03-06T19:51:20+00:00 06.03.2007 20:51
Ich komm bald aus der Verzweifelung nicht mehr raus. Da dachte ich, man jetzt geht es endlich bergauf und dann????? Sie können Fire doch nicht einfach so aufgeben! *tränchen wegwisch*
Was mich in diesem Kapitel richtig beeindruckt hat, ist wie Robin zu Fireball gestanden hat, wie sie ihn verteidigt hat. Mensch du bringst eine ganz neue Seite an Robin zum Vorschein. Find ich echt klasse von dir. :-)

Du hast geschrieben, das das Kapi bald zu Ende ist, hoffe doch Happy End, oder gibt es noch ne Fortsetzung?

Alles in allenm, wieder ein sehr gelungenes Kapitel.
Ich liebe deine Story. Schreib bitte schnell weiter. *gg*

Lieben Gruß
carry
Von: abgemeldet
2007-03-06T10:41:35+00:00 06.03.2007 11:41
O je! Haben denn jetzt alle Fireball aufgegeben? Was soll das für ein Ende nehmen, frag ich mich.

Deine Einleitung hab ich nicht ganz verstanden: War das jetzt das letzte Kapitel?

LG; Flora
Von: theTHUNDERinside
2007-02-11T18:18:53+00:00 11.02.2007 19:18
Schliße mich carry an!!! meien Nerven liegen blank...mensch April *motz*


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